Diskussionsrunde I: im Konzert- und Opembetrieb Werner Andreas Albert, Konrad Bach, Hans-Martin Höpner und Peter P. Pachl im Gespräch

Werner Andreas Albert: So eine Oper neu aus der Taufe zu heben, also uraufzuführen, dem Orchester und den Solisten zu vermitteln, ist eine Riesenaufgabe. Ich selber habe mich jetzt seit wirklich vielen Wochen damit beschäftigt und die heilige Linde ist wahnsinnig viel Stoff - man braucht ein großes Orchester, einen großen Chor und viele Solisten, wie Sie ja sehen werden. Die heilige Linde kannte natürlich niemand im Orchester, nicht ein Einziger. Es ist bei auch so, dass er ein her• vorragender Orchestrierer ist, aber das er auch sehr schwer zu spielen ist. Es ist nicht so, dass man eine Tonleiter, einen Dreiklang, eine Chromatik anfasst und dann ganz genau weiß, da fange ich an und es geht von dieser Tonart in jene Tonart und es einfach überschauen kann. Es kommt immer anders, als man denkt, und man muss sehr viel mitlesen. Es ist sehr, sehr schwer zu spielen. Das WDR-Sinfonieorchester ist ein sehr routiniertes Orchester, das sich sehr gut auskennt und unglaublich gut reagieren kann, aber auch dieses Orchester musste oft die Zähne zusammenbeißen und viel üben, viel tun, da die Oper auch sehr lang ist. Es sind fast zweieinhalb Stunden Musik. Das ist eine große Arbeit und viel Mühe, die man dem Orchester die ganze Zeit vermittelt, es bei der Stange hält und immer wieder aufbaut. Es ist eine große Aufgabe auch fiir die vielen Solisten, die wir haben, und fiir den Chor.

Peter P. Pachl: Herr Höpner, ich habe vorhin erwähnt, dass Sie sich viel mit Siegfried Wagner befasst haben. Sie haben so tolle Worte unlängst in der Pressekonferenz gefunden, so dass ich Sie herzlich bitten möchte, uns doch noch einmal kurz Ihren persönli• chen Weg zu Siegfried Wagner vorzustellen.

Hans-Martin Höpner: Das Interessante an mir ist m. E., dass ich hier der Einzige bin, der Siegfried Wagner sehr viel gespielt, im Orchester gespielt hat und dadurch den Zugang er• langt hat. Ein Dirigent hat natürlich immer den großen Überblick, wie wir wissen, oder er sollte ihn haben. Er muss das Ganze sehen, muss auf Chor, Solisten und auch auf das Orchester eingehen. Wenn man als Orchestermusiker in einem Graben sitzt oder auch auf der Bühne, bekommt man sehr schnell mit, was uns eigentlich die Musik gibt, was sie fiir technische Anforderungen stellt. Wir kommen da auf

344 etwas, was bis jetzt wenig erwähnt wurde. Es stellt sich oft die Frage: Wie ist die Qualität der Musik eigentlich? Ich spreche jetzt nicht von Inspiration, das ist eine andere Frage, sondern wie diese Musik gemacht ist. Für mich war das eine Riesen• überraschung, als ich das erste Mal Siegfried Wagner spielen durfte. Es waren zwei Dinge. Wir haben den Herzog Wildfang seinerzeit in München komplett aufge• führt. Ich war damals auch Orchestervorstand, unser Chefdirigent war Peter Falk. Ich weiß noch, wie er uns ins Zimmer holte und sagte: "Wir machen mal etwas ganz anderes, was ihr alle noch nicht kennt." Als er sich ans Klavier setzte und anfing, das Vorspiel von Herzog Wildfang zu spielen und sagte, das klingt mindes• tens genauso gut wie das Meistersinger-Vorspiel und hat eine gewisse Ähnlichkeit, kam das große Seitenthema, die Arie von Bariton usw. Wir waren alle begeistert davon und haben gesagt: "Wieso kennt man diese Musik eigentlich nicht?" Das nächste war dann, dass die Noten aufgelegt wurden, und die Erfahrung war hier ähnlich wie beim WDR-Sinfonieorchester. Es war wesentlich schwerer, als man glaubte. Von der Struktur her ist es ähnlich angelegt, aber Humperdinck lässt sich im Verhältnis zu Siegfried Wagner ausgesprochen gut spielen. Das sind ganz nor• male harmonische Abläufe und es ist sehr instrumental geschrieben. Bei Siegfried Wagner hat man tatsächlich immer, wie Herr Professor Albert schon sagte, ziemli• che Überraschungen zu erwarten. Als Musiker hat man so eine gewisse Art, sich Sachen zurechtzulegen. Man hat seine Tonleitern und Dreiklänge geübt, alles was so kommt in harmonischer Ver• wechslung. Das liest sich eigentlich ganz gut, und hier geht es doch meistens ein wenig anders weiter. Bei Strauss sind auch ähnliche Ecken drin. Puccini z. B. ist ein Komponist, der sich immer wieder sehr gut spielen lässt. Den können Sie auch im südlichsten Italien spielen, es wird immer wieder gut klingen. Das passiert bei Strauss und auch bei Siegfried Wagner nicht. Man hört sehr viel, es ist ziemlich gefährlich. Der zweite Punkt, wie ich zu Siegfried Wagner gekommen bin, war, als ich beim Bayrischen Rundfunk ausgeholfen habe. Das war das Gedenkkonzert zum 50jährigen Todestag, wenn ich das richtig im Kopf habe, in auf der Büh• ne mit dem Bayerischen Rundfunk und mit Heinz Wallberg als Dirigenten. Es wa• ren Arien und Vorspiele von Siegfried Wagner. Hier hatte man also in geraffier Form Alles bekommen, was - heute würde man sagen - gut und teuer war. Damals war im Orchester auch die Diskussion "Ja was steckt denn eigentlich dahinter? Ist es nicht besser, wenn man das nur in ganz kurzer Form präsentiert? Dann bleiben einem erstens die Texte erspart, mit denen wir uns damals natürlich noch nicht sehr viel beschäftigt hatten, und hätte gleichzeitig sozusagen die Highlights zusammen." Man weiß ja, dass man bei Wagner, auch beim Vater, immer noch sehr viel hinten dranhängt, drei bis fünf Stunden Musik. Ich spreche jetzt ganz bewusst als Orches-

345 tennusiker, der ich damals war. Trotzdem ist für mich in den Gedanken und in der Erinnerung eine Musik geblieben, die einen nicht mehr loslässt. Seine Themata sind wirklich sehr einprägsam und sehr gut zu behalten. Ich hatte dann nach zwei Jahren das Glück oder auch das Pech, dass ich meinen angestammten Beruf verlassen habe und ins Orchestennanagement übergewechselt habe. Ich bin dann als erstes nach Bamberg gegangen. Bamberg liegt in der Nähe von Bayreuth, da war Richard dann wieder ganz im zentralen Punkt, und mit Sieg• fried Wagner wenig zu machen. Ich bin dann nach Stuttgart gegangen, an den Rundfunk - aber das war eine zu kurze Phase. Das erste Mal, wo ich die Möglich• keit bekam, auch selbst Siegfried Wagner ins Programm zu nehmen, war in Frank• furt. Dort haben wir eine Schallplatte produziert, das wissen Sie sicher, mit Vor• spielen. Diese Vorspiele brechten auch wieder dieselbe Erfahrung. Das Orchester dachte, ,,Na ja, es ist Siegfried Wagner, wird schon gehen", war dann jedoch ganz erstaunt, was dort für Anforderungen gestellt wurden. Meistens nimmt man solche Noten nicht mit nach Hause oder schaut sie vorher auch gar nicht an. Es war jedes Mal wieder interessant zu sehen, wie es den Kollegen, quer durch die ganze Orche• sterlandschaft, immer wieder ähnlich ergangen ist wie uns damals, als ich Siegfried Wagner das erste Mal in die Hand bekam. Hier kommt ein anderer Punkt hinzu: Warum ist Siegfried Wagner, wenn man ihn kennt, immer relativ negativ besetzt in der musikalischen Szene? Ich habe mich das oft gefragt. Ich hatte damals keinerlei Ahnung. Das Buch von Peter P. Pachl habe ich erst sehr viel später bekommen und gelesen. Es wurde uns als Orchester auch niemals mitgeteilt, was eigentlich dahin• ter stand. Man bekommt Noten hingelegt, spielt die, und mal geht's leichter, mal geht's schwerer, mal gefallt es einem, mal gefallt es einem nicht. Aber Hintergrün• de, warum dieser Komponist unbekannt ist und warum, wenn man sich mit ihm beschäftigt, eigentlich immer nur abfallige Bemerkungen bekommt, das muss man auch einmal ganz deutlich sagen, hat mich dazu gebrecht, mich näher mit ihm zu beschäftigen. Ich habe mich dann, nachdem man auch nebenbei so ein wenig Komposition studiert hat usw., damit beschäftigt: was ist das handwerklich für eine Musik? Ich habe festgestellt, dass diese Musik unglaublich gut komponiert ist. Ein• fach vom Technischen, Handwerklichen her, und auch eine, die für die Zeit aus dem vorhandenen Material relativ neue Wege gesucht hat. Ich habe damals auch schon immer gesagt: "Ihr könnt nicht erwarten, dass jeder Komponist die Welt auf den Kopf stellt von vornherein, jeder, der nur was in die Hand nimmt. Dann hätten, wenn wir bei Gabrieli anfangen, spätestens die Bachsöhne bei der Zwölf-Ton• Musik enden müssen." Natürlich ist immer ein gewisser Zeitgeist vorhanden, der eine bestimmte Art der Musik aufgreift, verarbeitet und versucht, im Rahmen des• sen die Grenzen etwas auszuweiten. Gut, ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, wie schwierig das ist, wenn man Diskussionen mit gestandenen Musikwissenschaftlem

346 führt. Die Diskussion endet meistens nach zwei Minuten. Das ist eigentlich unin• teressant, darüber brauchen wir uns gar nicht zu unterhalten, vergessen Sie es. Man trifft auf Dirigenten, die sagen: "Ich habe so vieles noch nicht dirigiert. Warum soll ich mich gerade damit beschäftigen? Mir fehlt noch der Rosenkavalier, mir fehlt noch das und das und das." Der Druck aus den Orchestern kommt auch nicht, weil die Musik unbekannt ist. Also aus meiner Sicht ist es tatsächlich eine ziemlich wichtige Aufgabe, diese Musik einfach einmal zu spielen. Man kann dann immer noch feststellen und sagen: die Mühe lohnt sich nicht, so etwas gibt es auch. Warum nicht? Oder zu sagen, das ist eigentlich eine Entwicklung, die ausgegrenzt wurde. Ich erinnere mich nämlich genau an die Zeiten, als es z.B. mit Zemlinsky losging, das war in der Zeit, als ich in Bamberg war. Plötzlich kam dieser Kompo• nist ganz groß, wie man sagt, heraus. Hätte man zehn Jahre vorher davon gespro• chen, dann wäre man wahrscheinlich auch noch etwas irritiert angeschaut worden. Wenn man weiter zurückgeht, gibt es einen wunderschönen Fernsehfilm der Wie• ner Philharmoniker mit Bernstein bei der Probe zu einer Mahler-Sinfonie, bei der die Wiener Philharmoniker, wenn sie ausgesprochen unwillig waren und ihm er• klärt haben, was das für "Scheiß"-Musik sei, so ist es wortwörtlich gefallen. Wir sprechen nicht etwa von den zwanziger Jahren oder sonst irgendwas, sondern wir reden von 1968. Bernstein musste dann den Wiener Philharmonikern erklären, dass es eigentlich ganz interessant wäre, sich zumindest mal mit dieser Musik auseinan• der zu setzen. Ob sie gut gefunden würde, wäre ein Problem jedes Einzelnen. Also, Sie sehen, die Entwicklungen sind immer wieder sehr interessant. Mahler ist, glau• be ich, heute unumstritten, bei allen akzeptiert, selbst bei den Wiener Philharmoni• kern. Die hatten natürlich auch noch ein anderes Verhältnis zu Mahler, da der ein• mal deren Chefdirigent war, und so etwas ist prägend bei Orchestern. Orchester denken in sehr langen Zeiträumen. Das macht sie auf der einen Seite liebenswert und auf der anderen Seite manchmal auch sehr schwierig. Das bedeutet, eine Ent• wicklung, die man gerade anleiert, wird nach zwanzig Jahren gemerkt und dann heißt es "ganz toll". Es kann einem aber auch passieren, dass die Entwicklung schon wieder vorbei ist, und dann muss man sie im Orchester umsetzen. Für mich ist es sehr schön, und ich bin dankbar, dass man in eine Position kommt, wo man auch aktiv an Entwicklungen mitarbeiten, nicht nur als Orches• termusiker spielen, sondern auch tatsächlich etwas befordern kann. Trotzdem war es für mich ausgesprochen wichtig, Siegfried Wagner als Orchestermusiker zu er• leben. Ich glaube nicht, dass ich den Zugang zu Siegfried Wagner so hätte, wie ich ihn habe, wenn ich das rein über den Intellekt angesteuert hätte. Für mich war ganz entscheidend das körperliche Anfassen, Machen und Tun mit dieser Angelegenheit und dadurch auch einen Zugang zu bekommen, der mich - wie wurde vorhin davor gewarnt - teilweise auch zum Überzeugungstäter hat werden lassen.

347 Peter P. Pacht: Danke, Hans-Martin Höpner, für diese sehr persönlichen Ausfiihrungen. Sie spannten den Bogen bis zur Mahler-Renaissance, die ich auch seit den sechziger Jahren beobachten konnte. Wir hatten die Zeit vieler Wiederentdeckungen. Ich er• innere mich, als Schreker wieder aufgeführt wurde. Von dessen Werken gab es, als ich mich für ihn zu interessieren begann, genauso wie von Siegfried Wagner, über• haupt keine Tonträger. Bei den ersten Schreker-Auffiihrungen hörte man immer: "Ja, aber diese Musik, das ist wie Puccini und wie Strauss." - "Es ist wie", mit ei• nem kleinen Abwerten im Mundwinkel. Es dauerte nicht lange, bis andere Kompo• nisten, insbesondere der so genannten entarteten Musik, wieder entdeckt wurden und auch auf Tonträgern erschienen, und plötzlich schrieb man bei denen: die Mu• sik ist wie Schreker. Von dem Punkt "es ist wie Siegfried Wagner" sind wir wahr• scheinlich doch noch weit entfernt.

Konrad Bach: Mit Siegfried Wagner hatte ich bisher sehr viel zu tun. Zwei Opern-CD's und eine Ausgrabung. Es ist vielleicht ein kleiner Anachronismus, aber ich habe das der heiligen Linde folgende Opus bereits vor der Linde ausgegraben. Es ist ein unvoll• endetes Werk, es waren nur 1 Y2 Akte fertig. Es gab eine Teamarbeit zwischen Pro• fessor Pachl und mir. Wir haben die Oper vollendet, ich natürlich musikalisch. Ich habe einen Schlussmonolog nach Vorlagen von Siegfried Wagner zu dieser Oper komponiert, weil ich versucht habe, nicht nur zu rekonstruieren, sondern auch et• was dabei zu empfinden. Das sollte man nicht unterlassen, wenn man Musik macht. Vorhin wurde die Bemerkung gemacht: "Das WDR-Orchester ist ein wunderba• res Orchester, aber für dieses Orchester ist Siegfried Wagner auch schwer." Was sollte ich damals sagen, als ich mit einem Provinzorchester die CD's fertig ge• bracht habe, die auch gute Kritiken bekommen haben. Es war tatsächlich wahnsin• nig schwer und es gab bei uns damals noch die zusätzliche Belastung, dass man, wie es nun einmal in der deutschen Kulturlandschaft ist, immer an Kultur sparen muss, nebenbei noch ein Orchester auflöste, Fusionen machte und man in dem Be• schäftigungszeitraum mit Siegfried Wagner auch noch Musiker entlassen musste etc. Es war nicht leicht, es war eine Bürde, aber umso fruchtbarer fand ich, dass ich die Beziehung und den Kontakt zu Siegfried Wagners Musik gefunden hatte. Ich habe natürlich auch in der ständigen Beschäftigung die Fragen gestellt: "Warum war Siegfried Wagner vergessen? Woran hat das gelegen? Warum wurden so lange Pausen gemacht, bis er wieder gespielt wurde? Warum aber war er am Anfang so erfolgreich?" Dabei bin ich zu verschiedenen Überlegungen gekommen. Natürlich war die Nachfolgeschaft ein wichtiger Grund, der es ihm sehr schwer gemacht hat. Das ist für jeden verständlich. Auch die familiäre Situation scheint doch eine sehr große Rolle gespielt zu haben - als zweiter Punkt. Als dritter Punkt die politische

348 Entwicklung und alle Kontroversen, die sich innerhalb dieses Zeitraumes abge• spielt haben. Natürlich hat er sich in erster Linie als Festspielleiter der Bayreuther Festspiele gesehen, er war im Bann seines Vaters und hat sich nicht genügend mit sich selbst und mit seiner eigenen Musik, außer natürlich dem Vorgang des Kom• ponierens selbst, beschäftigen können. Was für einen Arbeitszeitraum er in dieser Zeit auch zur Verfügung hatte, er war nie ausreichend für alles was er tun musste. Bekanntlich hat er von früh um 7.00 Uhr bis Nachts 24.00 Uhr durchgearbeitet. Siegfried Wagner muss ein sehr gutes Gedächtnis gehabt haben. Bei seinem Vater haben wir die Leitmotivtechnik gesehen und wir kennen sie. In den Klavier• auszügen sind die Leitmotive ganz wunderbar aufgestellt. Ich habe mir die Mühe gemacht, anhand von vier Opern aufzuzeigen, wie dort die Motive aussehen, wann und wo sie wiederkehren. Da kommt man zu einem unwahrscheinlichen Ergebnis: Siegfried Wagner hatte eine Gesamtkonzeption. Er hat schon in sehr früher Zeit Motive und Themen aufgeschrieben. Aus diesem reichen Reservoire von Themen hat er seine Musik gemacht. Seine Opern hängen musikalisch, musikinhaltlich und musikthematisch stark zusammen. Gerade die Themen, die er sich herausgesucht hat, diese Figuren, die Zauberfiguren, die Teufelsfiguren, die Aschenweibchen, die Wurzelweibchen, gerade diese Komponente muss in ihm sehr viel bewirkt haben. Denn gerade diese Motive kehren fast in allen seinen Opern wieder. Der Teufel z. B. hat zwei Motive. Eines, was ein wenig gefährlicher klingt - das Höllenmotiv, das auch in tiefen Bässen immer erscheint, und ein lustiges, zwickendes. Siegfried Wagner hat ja den deutschen Teufel gemocht. Dieser Teufel war eine ganz ur• sprüngliche, traditionelle und bekannte Figur in Deutschland, der Mephistopheles. Siegfried Wagner hat diesen schlagbaren Teufel, diesen unbeholfenen Teufel, den nicht siegenden Teufel, den überwindbaren Teufel und auch den freundlichen Teu• fel geliebt. Dieser Teufel spielt überall in seinen Stücken eine Rolle. Nur bei Nen• nung dieses Namens, da muss es keine Vorbereitung geben, kommt er irgendwo mit einem seiner Motive dahergelaufen, ob es nun in Bruder Lustig ist, ob es in Schwarzschwanenreich oder ob es in Wahnopfer ist. Genauso ist das bestellt mit den Zaubermotiven, die von Hexen usw. ausgelöst werden, auch dafür gibt es ein immer wiederkehrendes Motiv, was Siegfried Wagner in verschiedenen Abwand• lungen zeigt. Schwarzschwanenreich halte ich für eines derjenigen Werke, welches sofort auf die Spielpläne gehörte, auch von der Musik her. Er hat dort diese schwarzen Schwäne, die schwarzen Reiter, in einem zuckenden Thema vorgestellt. Am Schluss, als es zur Katastrophe kommt, in einem wahnsinnig aufregenden Zwi• schenspiel, hat er in den Posaunen, in den tiefen Bässen, in der Tuba, nur durch Augmentation, durch die 8-fache Augmentation, oder sogar 16-fache Augmentati• on, ein unheimlich gewaltiges und erdrückendes Thema uns vorgestellt, was auch entsprechende emotionale Wirkung hat.

349 Diese Durchdringung mit den gleichen Motiven macht natürlich auch Siegfried Wagners Spezifik aus. Es sind Liebesthemen, Schmerzthemen, Widerspruchsthe• men, Erinnerungsthemen, Erlösungsthemen usw., die alle in seinen Opern eine Rolle spielen. Diese werden in den verschiedenen Werken zusammengefügt, und so bekommt man plötzlich Zusammenhänge geliefert zwischen Figuren, wo man anfangs keinen Zusammenhang sieht. Erst durch diese Beziehung, die er musika• lisch setzt, fängt man an zu überlegen, welche Zusammenhänge es gibt.

Peter P. Pachl: Sie haben eben Herrn Steinbeck widersprochen, als Sie sagten: Das ist ja nicht so, dass er so erfolglos war, wie hier am Anfang behauptet wurde. Er war durchaus, wenn auch nur partiell, sehr erfolgreich als Komponist.

Wemer Andreas Albert: Das große Problem vieler Musik ist einfach, dass wir im Laufe der Jahre, auch schon nach dem Krieg, falsch erzogen worden sind. Unsere Programme sind falsch angelegt worden, insbesondere auch von der Schallplattenindustrie. Die Konzert• programme wurden so gestaltet, dass man das Publikum unbedingt ins Konzert gebracht hat. Man hat einen Namen herausgebracht. Es durften nicht zu viele sein, damit man sich gut daran erinnert. So baut man Solisten auf, und so baut man Diri• genten auf, und so baut man einige Komponisten auf. Diese Tatsache, dass man sagt, man macht dann die erste Brahms und der Konzertsaal ist voll, und man macht die erste Mahler usw., das ist glaube ich ein ganz großes Problem. Mit die• sem Problem kämpfen wir schon seit langem. Ich habe in Australien, wo ich ja seit vielen Jahren arbeite, einen Versuch mit dem Publikum gemacht. Ich habe mit dem Publikum über die Presse geredet und gesagt: "Ihr seid eigentlich völlig langweilig, Ihr geht mir als Publikum entsetzlich auf die Nerven. Ihr wollt immer dieselben Werke haben, die dirigiere ich ja auch sehr gerne, aber es gibt so unglaublich viel, was man noch tun könnte, und wenn Sie endlich von Ihrer Langweiligkeit herunterkommen würden und sich endlich interessierter zeigen würden, dann könnten wir auch irgend etwas anfangen mitein• ander." Das ging dann einige Male hin und her, das Publikum hat mich sehr kriti• siert. Ich habe es beschimpft und habe es aus seiner Reserve gelockt und dann habe ich den Vorschlag gemacht, dass ich eine Saison lang zu Anfangs eines jeden Pro• gramms einen Komponisten spiele, den kein Mensch kennt. Ich habe dann bewusst nicht Avantgarde gemacht und unser Jahrhundert ein bisschen ausgespart, ich habe Hermann Götz, Raff, Pepping, Hindemith und weitere Komponisten vorgestellt, deren Werke eigentlich nicht bekannt sein konnten. Das Publikum hat dann plötz• lich mitgemacht. Viele Komponisten werden einfach nicht aufgeführt, weil man

350 immer das Gefühl hat, das Publikum will das Bekannte hören, und dann ist das Konzert ausverkauft. Allerdings habe ich das Gefühl, dass uns das Publikum jetzt selbst dazu zwingt, umzudenken. In meiner Jugend, als ich anfing, zu dirigieren, da war, wenn man die bekannten Werke drauf hatte, der Konzertsaal voll, das ist er heute nicht mehr. Das ist kein Garant mehr. Die großen Namen ziehen teilweise immer noch, aber es wird zum Teil unerschwinglich, weil man das ganz einfach nicht mehr bezahlen kann. Bei der Schallplatte hat man bereits gemerkt, dass wir neue Wege gehen müs• sen. Ich habe nie verstanden, dass die großen Schallplattenfirmen, so wie hier EMI, Deutsche Grammophon, Sony, meines Erachtens nach lange keine Marktforschung betrieben haben. Sie haben immer wieder die Beethoven-Symphonien herausge• bracht und die Brahms' und Bruckners usw., und plötzlich haben sie Schiflbruch erlitten. Den erleiden sie ja auch im Moment, es wird nicht verkauft. Auch die gro• ßen Orchester können es sich nicht erlauben, die Beethoven-Symphonien wieder aufzunehmen, weil einfach kein Markt dafür da ist. Ich glaube, jetzt gibt es eine ganz große Chance für viele Komponisten, wenn sie gut sind. Im Moment ist es noch ein kleiner Publikumskreis, aber ein Publikum, das sagt: ,,Ich bin interessiert, etwas anderes zu hören." Wir machen ja derzeit eine Koproduktion Westdeutscher Rundfunk mit der Firma cpo: der Westdeutsche Rundfunk produziert es und die Firma cpo übernimmt es. Das ist eine kleine Firma, wie Sie wissen, aber die hat einen Markt aufgetan, wo es wahnsinnig viele Leute gibt, die sagen: "Ich will das hören." Die bringen monatlich ihre neuen CD's heraus, und es gibt weltweit einen großen Kreis von Leuten, die das einfach hören wollen. So verstehe ich die Chance, die aufuns zukommt. Ich habe damit vor Jahren be• gonnen. Den Anfang machte der Westdeutsche Rundfunk, wo ich als junger Diri• gent eingeladen wurde, zu produzieren. Man hat damals schon ausgefallene Sachen gewollt. Das hiesige Orchester und auch die Gastorchester, die für den WDR gear• beitet haben, sollten nicht Brahms, Beethoven oder Bruckner aufnehmen, sondern all die Dinge, die man eben sonst nicht gemacht hat. So kam ich eigentlich zur Musik, die mehr am Rande liegt, und ich habe dann mehr und mehr entdeckt, wie wunderbar diese Musik ist. Ich finde es auch völlig uninteressant, wenn man sagt, Mahler ist großartig und jetzt gucke ich mir diesen den ganzen Tag an. Ich meine, das ist doch völlig langweilig. Warum gehe ich nicht in ein Konzert und bin wenigstens bereit, eine halbe Stunde oder auch eine Stunde dieses Konzertes, oder in einer Oper dann einen Abend, einen Komponisten kennen zu lernen, den ich nicht kenne. Diese Neugierde wurde lange Zeit einfach nicht geweckt, weil man uns verführt hat immer dasselbe zu hören, weil das ja so toll ist. Natürlich ist das alles toll, aber

351 die Neugierde auf neue Werke ist ganz wichtig, und ich glaube, dass da jetzt Kom• ponisten eine große Chance haben. Natürlich muss der Komponist gut sein. Es geht nicht nur, das man sagt: "Die anderen werden nicht so akzeptiert, jetzt können wir alles mögliche spielen." Das wird auch nicht stattfinden, sondern es muss Vielver• sprechendes da sein und der Komponist muss überzeugen können. Ich bin zu Siegfried Wagner gekommen als Teil meiner CD-Aufnahmen, aber rein sinfonisch. Ich habe zuerst angefangen, nur Ouvertüren aufzunehmen und Zwischenspiele, mit der Oper hatte ich zunächst einmal gar nichts zu tun. Ich musste mich damit gar nicht auseinandersetzen, auch nicht mit dem Text und ande• ren Bereichen, in denen es dann schwieriger wird. Ich habe mir die Musik ange• guckt und fand es einfach großartig. Erst über die Musik habe ich den Zugang zu dem Komponisten gekriegt. Ich muss unterstreichen, was Herr Höpner sagte: ,,Es ist einfach handwerklich gut gemacht." Obwohl das auch schon wieder abfällig klingt, denn bei Hindemith sagt auch jeder: ,,Handwerklich ist es doch hervorra• gend." - Es ist ein großartiger Komponist, das ist nicht nur handwerklich gut ge• macht. Es gibt auch Leute, die ganz gute Ideen hatten und eben das handwerklich nicht umsetzen konnten. Das sind aber auch keine großen Komponisten gewesen. Wir sind hier für Siegfried Wagner, wir brauchen für ihn kein Plädoyer zu hal• ten. Er ist ein ganz großartiger Komponist gewesen. Wir wissen auch, wir brauchen es auch gar nicht mehr zu wiederholen, dass die Familie ziemlich furchtbar war und die Umstände auch, das haben wir jetzt alles hinter uns, und jetzt liegt er ei• gentlich vor uns. Wir haben jetzt die Chance, etwas daraus zu machen. Wir, die wir hier sitzen, tragen jetzt unseren großen Teil dazu bei. Ohne Herrn Höpner wäre die Urauffiihrung der heiligen Linde, die ein immenses Geld kostet, gar nicht zu be• werkstelligen gewesen. Er hat Recht gehabt, dies zu machen, weil die Musik es einfach verdient. Wenn einer dies noch nicht kapiert hat, dann liegt er irgendwo falsch, dann stimmt irgendetwas nicht. Das ist großartige Musik, nicht nur, weil ich das jetzt mache. Ich mache ja auch so viel anderes. Ich brauchte Siegfried Wagner ja nicht zu machen. Meine Neugierde hat nie aufgehört, zu existieren. Ich wurde vor einiger Zeit, dieses erkläre ich sehr gerne als Beispiel, von der Schallplattenfirma cpo gefragt: "Wollen Sie mal die 2. Sinfonie von Richard Wetz aufnehmen und die Kleist• Ouvertüre?" Da habe ich gefragt: "Bitte von wem?" Da war das also Richard Wetz. Er ist 1935 in Jena gestorben, er hat immerhin bei den Berliner Philharmonikern mitgespielt und einen großen Teil seiner Werke uraufgeführt. Da habe ich mal rein gesehen in diese Partituren und habe gedacht, das ist ja großartige Musik. Mich interessiert, dass da gute Musik ist, und es gibt ein Publikum für diese Musik. Im Vertrieb von jpc stand im Jahre 2000 Richard Wetz an 8. Stelle der meistverkauf-

352 ten Platten (CD's). Das war für mich unglaublich interessant: die Bereitschaft des Publikums ist vorhanden. Es gilt, diese Bereitschaft weiter zu treiben, dem Publikum die Werke Siegfried Wagners zugänglich zu machen. Jetzt habe ich also ein kleines Plädoyer gehalten und ich bin nicht bereit, mir negative Dinge anzuhören.

Peter P. Pachl: Ich komme noch einmal zu dem Thema Siegfried Wagner als Orchesterreper• toire zurück, natürlich auch als Theaterrepertoire. Nun ist die Schwierigkeit: wir, die hier sitzen, sind mehr oder weniger interessiert oder auch überzeugt; wir bilden uns einen Klang und ein inneres Auge darüber. Herr Höpner, wenn man so etwas umsetzen will, wie funktioniert das? Wie sind Ihre Erfahrungen damit, dass es an• genommen wird?

Hans-Martin Höpner: Also wenn Sie es jetzt auf die Oper direkt übertragen, da verfüge ich natürlich über keine Erfahrungen. Aber, da ich 10 Jahre lang in der Oper gearbeitet habe, habe ich so meine Ahnungen, wie man so etwas umsetzen kann. Ganz sicher nicht mit der Argumentation der Musik, sondern da müssen Sie dann tatsächlich auf die Regie zugehen und vielleicht noch ein pränatales Ereignis bei Herrn Siegfried Wagner feststellen, dann wird das Ganze vielleicht interessant für viele Leute. Spaß beiseite! Es geht darum, wenn wir heutzutage als Rundfunkanstalt etwas machen, dann geht es, wie der Intendant vorhin schon gesagt hat, in erster Linie darum, et• was aufzunehmen und zu produzieren, was nicht jeder macht. Es ist die Aufgabe auch für uns, auch in der heutigen Zeit, obwohl sich die Auf• gabe der Orchester etwas geändert hat im Verhältnis zu früher, immer auch für das Programm zu produzieren. Im Klartext heißt das, es macht wenig Sinn, die 70. Fas• sung einer Brahms-Symphonie einzuspielen, und ich spreche von der 70. Fassung, die hier im Keller liegt. Das hat nichts damit zu tun, dass nicht auch jeder Dirigent und jedes Orchester etwas neu dazu zu sagen hätte. Ich glaube, wir können uns hier bestimmt 5 Tage, 24 Stunden lang, die Vierte Brahms abspielen - so viele Auf• nahmen gibt es bei uns im Archiv. Dies bedeutet, dass wir schauen müssen, was gibt es noch, was ist interessant für unser Publikum? Ist interessant, was es nicht auf dem Schallplattenmarkt gibt? Auch hier kommen wir wieder in eine Situation hinein, die sehr zwiespältig ist: gleichzeitig werden solche Dinge als Koproduktio• nen gemacht. Es interessiert die Leute stark. Man kann sich das nach Hause mit• nehmen, das Interesse am Rundfunk lässt auch da wieder etwas nach. Unsere Ar• chive werden dadurch entwertet, aber das ist ein ganz anderes Thema. Was passiert bei der Schallplattenindustrie im Moment? Wir beliefern sozusagen den freien

353 Markt und erarbeiten gleichzeitig als öffentlich-rechtliche Anstalt etwas, was letzt• endlich kein Mensch bezahlen kann. Keine Koproduktion kann auch nur im Ansatz die Kosten die hier alleine durch die Vorhaltung eines Orchesters entstehen, erset• zen. Wir reden überhaupt nicht davon, dass wir etwas machen, sondern allein die Tatsache, dass wir ein Orchester haben kostet so viel Geld. Am billigsten ist es, das wissen auch alle Dirigenten, das Orchester überhaupt nicht spielen zu lassen, weil jegliche Aktion zusätzliche Kosten mit sich bringt. Wir haben den Auftrag, Dinge zu tun, die andere nicht tun können oder auch nicht tun wollen, weil wir nicht dem Markt ausgeliefert sind. Das führt zum Um• kehrschluss, dass man sagt: "Mit den Rundfunkanstalten kann man alles machen. Die haben ja alles Geld dieser Welt." Das stimmt überhaupt nicht. Es geht mir dar• um, dass wir nicht den Auftrag haben, mit unseren Dingen ein Einspielergebnis zu erzielen, denn das Einspielergebnis hat letztendlich der Hörer schon einmal be• zahlt, nämlich durch seine Rundfunkgebühren. Also haben wir die Möglichkeit, auch etwas freier und offener an solche Dinge heranzugehen. Das macht es für das Management natürlich wesentlich einfacher, weil wir nicht unter diesem Erfolgs• zwang stehen. Aber dass wir alle, die wir hier an unserem Produkt arbeiten, natür• lich damit auch Erfolg haben wollen und Erfolg haben müssen, ist völlig klar. Dass die Qualität eines Produktes stimmen muss, ist hier sogar noch mehr gefordert. Eine Opernaufführung ist vorbei, wenn der letzte Ton verklungen ist. Was wir ge• macht haben, wird leider Gottes festgehalten und ist jederzeit nachkontrollierbar.

Peter P. Pachl: Sie haben ja auch das Vorspiel zu Rainulf und Adelasia mal auf Reisen ge• schickt.

Hans-Martin Höpner: Ja, und das war ein ganz großer Erfolg. Aus dem einfachen Grund, den auch Professor Albert genannt hat: das Publikum ist durstig nach etwas Neuern. Norma• lerweise reiten wir auf Tourneen die alten Schlachtrösser tot. Der Veranstalter ver• langt es, und wir haben im Grunde genommen hier dieselbe Methode, wie wir es auch bei neuer Musik praktizieren, die Sandwich-Methode. Wir packen unbekannte Stücke zwischen bekannte Sachen. Die andere Methode ist das Ghettokonzert, die mag ich nicht ganz so gerne, d. h. nämlich, dass ich eine bestimmte Sache nur in einem Konzert mache, und dann kommen nur die Leute, die das interessiert. Das betrifft vor allem die Neue Musik. Ich bin ziemlich unglücklich über diese Metho• de. Auch das werden wir irgendwann einmal ändern, man braucht einen langen Atem. Man kann durch eine geschickte Mischung eine gewisse Konzertdramatur• gie aufbauen. Es ist relativ leicht, in dieser Art auch Stücke zu bringen, wenn man sie in das richtige Umfeld stellt, und wir haben damals etwas ganz bewusst anders

354 gemacht. Wir haben zu Rainulf und Adelasia anschließend die Rhapsody in Blue gemacht. Diese Musiken sind ungefähr in der gleichen Zeit entstanden, auch das sollte man sich mal anschauen, und wir haben danach noch die Fünfte Prokofjew gespielt. Das war ein interessantes, spannungsreiches Programm, und das ist über• all hervorragend angenommen worden.

Peter P. Pachl: Herr Albert, Sie haben ja auch diverse Male mit verschiedenen Orchestern ver• sucht, in Konzerten Siegfried Wagner einzubetten. Wie waren da die Möglichkei• ten oder worin bestanden die Schwierigkeiten, auf die Weise Siegfried Wagner zum Gegenstand zu machen?

Wemer Andreas Albert: Da gab es eigentlich keine Schwierigkeiten. Für das Orchester ist es, wie wir vorhin schon ausgeführt haben, nicht leicht. Man muss es erarbeiten, aber das Or• chester akzeptiert es dann und findet die Musik sehr gut, und das Publikum auch. Das Publikum kommt ins Konzert, und dann ist Siegfried Wagner ja in unserer Zeit nicht schwer zu hören und zu begreifen. Wir leben ja jetzt mehr als 70 Jahre nach dem Tod von Siegfried Wagner, und seine Musik wird sofort zugänglich und wird sofort voll akzeptiert. Das Problem ist nur, dass diese Musik nicht oft genug ange• boten wird.

Peter P. Pach!: Warum ist es nicht möglich, ihn öfter ins Konzertprogramm zu nehmen?

Wemer Andreas Albert: Ich stehe bei den Entscheidungen für meine Konzertprogramme nicht immer alleine. Ich bin auch von Veranstaltern abhängig. Ich produziere auch mit anderen Komponisten, ich mache dann Hermann Götz, Pfitzner, Reger usw.

Hans-Martin Höpner: Ich muss es von der ganz praktischen Seite betrachten. Sie schlagen 30 Diri• genten vor, Siegfried Wagner zu machen, und wenn Sie Glück haben, finden Sie beim 35. jemanden, der überhaupt bereit ist, das zu machen. Die Herrschaften rei• sen nämlich von einem Ort zum anderen und haben keine Zeit, irgendwe1che Wer• ke neu einzustudieren. Von einer Oper reden wir überhaupt nicht, denn die setzt unheimlich lange Vorbereitungszeit voraus. Ich spreche nur von einem Vorspiel. Ich habe in meiner ganzen Orchestermanagerzeit seit 1982, und das sind jetzt im• merhin 19 Jahre, außer Herrn Albert einen einzigen Dirigenten gefunden, der bereit war Siegfried Wagner zu machen, das war Kitajenko. Einen einzigen, der gesagt

355 hat, das kann ich mir mal anschauen, ja, das machen wir. Es geht hier nicht um die Frage, dass man das lernen muss, sondern es fehlt jede Auseinandersetzung damit. "Dafür haben wir keine Zeit, uns damit zu beschäftigen, machen wir doch Tristan• Vorspiel und -Liebestod, das haben doch alle drauf." So einfach ist das.

Peter P. Pachl: Eine letzte Frage an Konrad Bach. Sie haben Siegfried Wagner auf dem Orches• terpodium und im Graben dirigiert - wo lieber?

Konrad Bach: Das ist überhaupt keine Gewissensfrage. Bei guter Musik ist es egal, wo man sie macht, auf dem Podium oder im Orchestergraben. Wenn man die Wahl hat, das Theater zu machen, dann macht man Siegfried Wagner natürlich im Theater. Er hat ja auch sinfonische Werke geschrieben, und die sinfonischen Werke macht man auf dem Konzertpodium. Das habe ich natürlich genau so gerne gemacht. Es ist schade, dass so viele profilierte oder so genannte profilierte Leute so intolerant sind, was Kunst und Musik betrifft. Es ist manchmal erschütternd, wie wenig Aufgeschlos• senheit man antrifft. Ich habe das selbst erlebt. Ein Generalmusikdirektor fragte mich: ,,Ich mache jetzt ein Wagner-Konzert. Hätten sie nicht eine Idee, was ich dabei noch machen könnte?" Da habe ich gesagt: "Machen Sie doch mal Siegfried Wagner, zu Anfang die Sehnsucht. Das ist ein tolles, begeisterungsfähiges Stück, das kommt an." Was dann nicht auf seinem Konzertplan stand, war Siegfried Wag• ner. Es wird eben immer wieder das Gleiche gemacht. Es wäre schön, wenn es da mal einen Durchbruch gäbe. Man muss sich eben dafür einsetzen.

Jonathan Ca": Herr Professor Albert, eine ganz kurze Frage. Wie ist es mit den Orchestern ge• genüber Siegfried Wagner im Ausland bestellt? Sie haben so viele tolle CD's von Benjamin Frankel und Hindemith und anderen Komponisten in Australien aufge• nommen. Kann es sein, dass Orchester anders reagieren, wenn sie nicht deutsch sind und unter dem Schatten des großen stehen?

Werner Andreas Albert: Siegfried Wagner ist in Australien nur durch mich ein bisschen bekannt gewor• den, aber sonst natürlich auch nicht. Ich glaube, wenn ich an meine Tourneen in der Welt denke, sieht die Situation eigentlich nicht viel anders aus als bei uns. In Australien wird viel mehr Elgar aufgeführt und Vaughan Williams und Tippet. Das verlagert sich einfach. Ich glaube, man ist in Australien und England manchmal aufgeschlossener und flexibler und macht nicht immer nur die Standardwerke, die wir haben. Man kennt vielleicht anfangs ein bisschen mehr. Bei uns ist es doch manchmal sehr deutsch und sehr klassisch.

356 Diskussionsrunde D: Siegfried Wagner auf dem Theater Konstanze Lauterbach und Peter P. Pachl in der Diskussion mit Eckart Kröplin

Eckart Kröplin: Es gibt heute auch einiges anzuschauen. Das hängt damit zusammen, dass wir über Inszenierung, also über das auf-die-Bühne-Bringen von Siegfried Wagners Opern, sprechen wollen. Ich darf vorstellen zu meiner Rechten Konstanze Lauter• bach und zu meiner Linken muss ich Ihnen nicht vorstellen, Professor Pachl. Beide ihres Zeichens Regisseure, wenn auch aus völlig verschiedenen Lagern. Aus dem Schauspiel und aus dem Musiktheater. Bei Siegfried Wagner haben sie sich getrof• fen. Konstanze Lauterbach aus dem Osten, Peter P. Pacht aus dem Westen Deutschlands, auch insofern für die Diskussion ein guter, interessanter Kontrast. Konstanze Lauterbach ist im Thüringischen geboren und hat im Thüringischen be• gonnen, Theater zu machen. In Altenburg, in Rudolstadt, dann in Leipzig, lange Jahre im Schauspielhaus und jetzt seit geraumer Weile Regisseurin am Deutschen Theater Berlin. Ihre jüngste Schauspielinszenierung war Garcia Lorcas "Bluthoch• zeit". Peter P. Pachl, gebürtiger Bayreuther, insofern schon im engeren Umkreis seines Forschungsobjektes - Siegfried Wagner - aufgewachsen, Regisseur des Mu• siktheaters seit langen Jahren. Er hat in München studiert und nebenher begonnen, Theater zu machen. Er war an vielen Theatern zu Gast, gegenwärtig und seit vielen Jahren immer wieder mit Siegfried Wagner beschäftigt. Konstanze Lauterbach hat neben ihrer Tätigkeit jetzt in Berlin, gastweise in München, in Wien bei den Fest• wochen und am Burgtheater, Bonn, Karlsruhe, Bremen gearbeitet. Also sie sind beide weit herumgekommen, haben viele Erfahrungen sammeln können, natürlich auch außerhalb von Siegfried Wagner. Wir sind uns das erste Mal begegnet in Rudolstadt. Peter P. Pachl war dort Intendant und hat die Rudolstädter Festspiele, die ja bekanntlich Siegfried Wagner zum Schwerpunkt gemacht hatten, 5 Jahre lang geleitet und auch selbst inszeniert. Konstanze Lauterbach, noch mit einigen Verbindungen an Ihre frühere Wirkungsstätte Rudolstadt gebunden, dann von Peter P. Pachl dorthin gebeten zu ihrer ersten Operninszenierung nach bisher nur Schau• spielarbeiten, Schwarzschwanenreich. Diese Begegnungen waren auch für mich, das darf ich ehrlich zugeben, von größtem Interesse. Ich habe durch beide ganz verschiedene Handschriften, Arbeiten und Arbeitsweisen kennen gelernt. Wenn ich nun auf unser heutiges Hörerlebnis zurückschaue - es ist nun eine knappe Stunde her, die heilige Linde Generalprobe in der Philharmonie - so ist mir dabei Eines wieder aufgegangen. Ich glaube, so schön konzertante Aufführungen sind - man kann sich rein auf den Notentext konzentrieren, auf das rein musikalische Ereignis

357 - diese Musik verlangt gebieterisch nach der Szene, zumal wenn ich den für mich sehr unerwartet bombastischen Schluss höre. Damit wären wir schon wieder bei einem auf dem Symposium schon angesprochenen Problem gelandet, dem Problem der Schlüsse bei Siegfried Wagner. Dieser Schluss ist für mich sehr unerwartet und sehr rätselhaft. Ich glaube er ist nicht konsumierbar ohne szenischen Kommentar. Siegfried Wagner selbst war viel zu sehr Szeniker. Das macht sich an seinem Oeuvre bemerkbar, indem er fast nur Opern geschrieben hat, und er hat sie natür• lich geschrieben im Hinblick darauf, dass sie auf einer Bühne aufgeführt werden. Also: so glücklich ich mich schätze, heute als Uraufführung überhaupt erst einmal die heilige Linde kennen lernen zu können, um so glücklicher würde ich mich - oder wir uns, glaube ich, alle - schätzen, wenn uns in absehbarer Zeit, und nicht erst in noch einmal 70 Jahren, in absehbarer Zeit, die Chance gegeben würde, die• ses Werk durch eine intelligente Regie auf die Bühne gebracht zu sehen. Bei all den Fragestellungen, die wir gestern und heute schon aufgeworfen haben an Sieg• fried Wagner, fragt man sich: Wie kann man dieses vielschichtige, schwer greifba• re, scheinbar so fern liegende, musikalische Theaterwerk eines Komponisten der vorvergangenen Jahrhundertwende, wie kann man das überhaupt inszenieren? Ich frage zunächst Konstanze Lauterbach. Sie war in der glücklichen Lage, völlig, oder fast völlig unvorbelastet an ein Siegfried Wagner-Werk herangehen zu können, also, was für Künstler eine unheimliche Chance ist, mit ganz naivem Blick auf das Werk heranzugehen und es auf die Bühne zu bringen. Wie ist es Ihnen ergangen beim Herangehen an die Partitur, an das Werk, an die Dramaturgie, an die Hand• lung? Wie haben Sie den Zugang zur Szene gefunden?

Konstanze Lauterbach: Ich entsinne mich genau, es gab einen Mitschnitt einer konzertanten Aufführung auf Band. Ich hatte die Inhaltsangaben zu den Libretti der anderen Opern gelesen und habe einfach geguckt, welcher Stoff mich anspringt, und das war unter ande• rem Schwarzschwanenreich. So habe ich mich dann für diese Oper entschieden. Ich habe den Text gelesen und mir diese konzertante Aufführung unter musikalischen Aspekten angehört und dachte erst einmal: Oh Gott, wie macht man das? Da gibt es so viele Befremdlichkeiten auch sprachlicher Natur. Wie thematisiert man das, dass man nicht Nostalgie und Museum betreibt, sondern, dass die Geschichte eine Tran• sparenz zu heute bekommt, ohne dass man sie plump aktualisiert. Ich habe ver• sucht, diesen Text, die Geschichte, die Story, die erzählt wird, zu erden, zu entde• cken, was daran das Modeme und Heutige ist. Ich brauchte für mich immer einen Überbau oder einen Satz, der mir reicht, um das ganze Stück zu machen, wodurch ich eine Dynamik bekomme für diese Oper. So kam ich darauf, dass es ein Stück über Mobbing ist, eine Gesellschaft die Mobbing macht. Die Geschichte der Kindsmörderin Linda als ein Eifersuchtsdrama ist eine Liebesgeschichte.

358 Eckart Kröplin: In der Rudolstädter Version hieß Hulda Linda, wie Siegfried Wagner ursprüng• lich einmal die Figur betitelt hatte, und für Konstanze Lauterbach ist das natürlich nach wie vor Linda.

Konstanze Lauterbach: Ich bin bei Linda gelandet, das finde ich auch besser. Da ich zu der Zeit damals zumeist Geschichten erzählt habe über das Schaffen von Phantasieräumen auf der Bühne, also eine Szenerie, ein Spiel oder eine Szene, die sich nicht reduziert dar• auf, dass man geht, steht und singt an der Rampe, sondern dass man versucht, diese Oper über spielerische Momente zu knacken, über Sinnlichkeit und Poesie. Da ha• be ich mich dann an den Text gesetzt und immer versucht, den in Bilder umzuden• ken. Und es wurde immer spannender, als ich wusste, wie man diese tiefe Zerris• senheit, die in den Figuren ist, in die Sänger bekommt, so dass sie mehr von sich geben, als was sie sonst so machen, eine Figur zu spielen. Denn ich arbeite immer sehr exzessiv in die Tiefen von menschlichen Abgründen hinein. Da offenbarte sich mir diese Oper immer mehr, und es fruchtete. Man konnte mit dieser Oper phantasieren, Szenen phantasieren, und zu den Szenen Bilder phantasieren. Richtig schöne szenische Übertragungen zu erfinden für das Theater, auch schonungslos zu sein und das Konstruktive auch in das Dekonstruktive zu führen. Ich war damals und bin auch heute noch sehr interessiert an einem Theater, was über Choreogra• phien arbeitet und Schauspieler wie Sänger in extreme Situationen führt. Schwarz• schwanenreich ist eine Oper, die ich heute im Nachvollzug, nach mehr als 30 In• szenierungen, immer noch gerne betrachte, was mir zu der Oper alles eingefallen ist, welche emotionale Kraft das für mich hatte, was die Sänger Walter Raffeiner und Beth Johanning da gemacht haben. Die Oper steht im Vergleich zu meinen anderen Inszenierungen, in meiner kleinen persönlichen Hitliste, an Nr. 5. Es war keine Arbeit, die eine Fehlenergie bedeutet hat.

Eckart Kröplin: Schönen Dank, Kostanze Lauterbach. Wir haben nachher Gelegenheit, in ein paar Szenen Videoaufzeichnung der Rudolstädter Aufführung hinein zu schauen. Es war dies ein Statement, wie gehe ich, Konstanze Lauterbach, an ein so mir un• bekanntes, aber mich anspringendes oder anreizendes Werk, das sich mir sperrig entgegenstellt, da heran? Bei Peter P. Pachl, wenn ich nach einem solchen State• ment frage, sieht das sicher ganz anders aus, denn er hat seit etlichen Jahren Sieg• fried Wagner inszeniert. Er ist also bereits einen langen Erfahrungsweg im Um• gang mit Werken dieses immer noch so unbekannten Komponisten gegangen. Peter, wie hast Du angefangen, Siegfried Wagner zu inszenieren, und aufwelchem Punkte würdest Du Dich heute sehen als Regisseur Siegfried Wagners?

359 Peler P. Pachl: Das Problem für mich mit Siegfried Wagner war, dass ich immer in jenem Zwiespalt, in dem der Komponist aus ganz anderen Gründen, die wir gestern und heute schon verschiedentlich unter allerlei Punkten analysiert haben, mich selber befand, einerseits der Wissenschaftler zu sein, der dieses Werk dann auch mög• lichst komplett vorstellen will, andererseits der Regisseur zu sein, der damit um• geht und sich sagt, man muss das eigentlich alles über Bord werfen und sich das Werk zu eigen machen. Damit auch wieder den Intentionen des Komponisten fol• gend, der ja Werke für die Szene geschaffen hat und der selbst auch für Bayreuth und überhaupt das Primat des Regisseurs über den Dirigenten erklärt hat, dass der Regisseur der wichtigere sei. Nachdem er beides war, und in beiden Bereichen nicht erfolglos, hat das umso mehr Gewicht. Für mich war immer die Frage: was erzählt uns das heute, was springt mir aus dem Stück ins Gesicht oder in den Nacken, so dass ich dies den Sängern mitteilen oder sie gar zum Mitträger dieses Albs machen kann, auf dass sie das transportieren und das Publikum dann der Dritte im Bunde wird.

Eckart Kröplin: Jetzt haben wir es zweimal gehört. Beide haben sich die Frage gestellt, was springt mich aus diesem Stück, mit dem ich mich im Moment konkret beschäftige, als heutig an? Was ist an dieser Geschichte heute so interessant und bewegend, dass es ein Publikum interessieren kann? Also nicht irgendeine historische Ge• schichte an sich und für sich genommen und sich darauf verlassend, dass das schon irgendwie laufen wird, sondern heraus zu fühlen zwischen den Textzeilen, zwi• schen den Partiturseiten, was im Hintertext, im Hintergrund, im Untertext, im Tie• fenpsychologischen zu finden ist, was Menschen heute ebenso bewegt wie es das vor hundert Jahren getan haben mag. Das ist ein konzeptioneller Ansatzpunkt, im Vorfeld einer Inszenierung im Kopf des Regisseurs oder des Inszenierungstearns, zumeist kollektiv mit dem Bühnenbildner, und wenn es gut geht, sogar mit dem Dirigenten zusammen. Es ist nicht immer der Fall, dass sich ein Dirigent auch da• für interessiert. Diese von beiden Regisseuren formulierte Voraussetzung, das Heutige an dem Stück zu finden, ist eine Grundwahrheit oder Grundvoraussetzung, überhaupt Theater zu machen. Warum sonst spielen wir Shakespeare? Warum sonst spielen wir - oder kaum noch - Schiller? Wann und welche Generation findet in den überkommenden Autoren oder in den überkommenden Texten etwas uns heute Bewegendes? Was war es bei Siegfried Wagner und Schwarzschwanenreich, Konstanze Lauterbach? Was war es, was Sie so als bewegend heutig empfunden haben?

360 Konstanze Lauterbach: Abgesehen von der Geschichte der Kindsmörderin ist Linda eine Fremde in dem Ort, eine Außenseiterin, von der man wenig weiß, über die Gerüchte im Umlauf sind. Wie stürzt sich eine Gesellschaft auf das, was sie nicht kennt. Das war damals der Punkt, den ich ganz brisant fand. Das haben wir, glaube ich, auch in der Auf• führung hervorgehoben. Am Schluss wird Linda gelyncht und hingerichtet, weil sie des Kindesrnordes überführt wurde. Gleichzeitig läuft die Lynchjustiz ihr gegen• über, angezettelt durch die Intrige der Ursula, auf einer privaten Schiene. Eine Ge• sellschaft macht Mobbing. Das ist ein sehr moderner Vorgang.

Eckart Kröplin: Ich würde vorschlagen, wir schauen mal in einem Ausschnitt aus Schwarz• schwanenreich hinein. Hat jemand von Ihnen zufälliger Weise damals vor 8 Jahren in Rudolstadt Schwarzschwanenreich gesehen? Doch! Ab, in Bayreuth auch! Wir waren damit ja auch in Bayreuth. Also einige von Ihnen haben die Produktion ge• sehen, die meisten aber nicht. Für den, der es gesehen hat, ist es vielleicht eine in• teressante Rückerinnerung, für andere die erste Begegnung damit. In jedem Falle, denke ich, werden Sie Bilder - ich greife das Wort von Konstanze Lauterbach auf• Bilder sehen, die mehr sind als die pure Abbildung dessen, was man aus der Szenenanweisung der Szene herauslesen kann. Andeutungsweise hat man erkennen können, dass die hier im Bild festgehalte• nen szenischen Ausschnitte nicht pur Szenenanweisungen von Siegfried Wagner aufgenommen oder übernommen haben, sondern dass diese in bildhafte Metaphern, aus dem Untertext gewonnen, umgesetzt wurden. Das war für uns das sehr interes• sante Unternehmen mit Konstanze Lauterbach: einen scheinbar reinen und gradli• nig erzählten (Märchen-) Stoff in all seinen Brüchen, Abgründen, tiefen Schründen erleben zu können. Alle Besucher, die damals in den beiden Jahren die Schwarz• schwanenreich-Aufführungen erlebt haben, bestätigten uns, sofern wir dann ins Gespräch kamen, und das haben wir immer wieder gesucht, die ungeheuer tiefe Betroffenheit, die sie aus diesem künstlerischen Erlebnis mitgenommen haben. Also unsere Erfahrung war, bei einem solchen Umgang mit einer Siegfried Wagner Partitur auf der Bühne ist sehr brisant Heutiges zu gewinnen und ist ein heutiges Publikum auch sehr stark zu interessieren. Man ist nicht nur im Opernhaus um sich genüsslich im Sessel zurück zu lehnen und schöne Musik über sich ergehen zu las• sen, man wird überwältigt von einer szenischen Bildvielfalt, die plötzlich ganz kongruent der Klangvielfalt der Partitur erscheint. Aber jedes erzählt auf eigene Weise, auch einander reibend, die Geschichte. Peter P. Pachl hat in den Rudolstädter Zeiten, etwas vorsichtig mit dem Bären• häuter, der seit seiner Uraufführung als das populäre Volksmärchenstück von Sieg-

361 fried Wagner galt, angefangen. Das war im ersten Jahrgang der Festspiele zu sehen. Es folgte dann Wahnopfer, inszeniert von Steffen Kaiser als Gast. Wir wollten Steffen Kaiser eigentlich heute auch hier haben, aber er musste wegen laufender Verpflichtungen absagen. Es war wahnsinnig interessant für uns, eine Uraufführung eines unvollendeten Werkes zu realisieren. Konrad Bach hat gestern darüber berichtet, wie er und Peter P. Pachl zusammen einen Schluss gefunden haben. Die Komposition bricht ja in der ersten Hälfte des 2. Aktes ab. Sie haben einen Schlussbogen gefunden, um zu• mindest der Geschichte eine gewisse Rundung, wenn auch keine Lösung zu geben. Wahnopfer in einer Freilichtaufführung, oben auf der Heidecksburg, inszeniert von Steffen Kaiser, schauen wir auch da mal hinein. Banadietrich folgte im Jahr nach Wahnopfer. Banadietrich, ein ähnlich schwie• riges, aus verschiedensten Märchen-, Sagen- und Stoffbereichen zusammenge• stelltes Stück. Ein Musterbeispiel für das, was Siegfried Wagner selbst Motivsuche und -verknüpfung genannt hat. Ein Werk, das sich auf mehreren Ebenen erzählt. Peter P. Pachl hat dafür einen ganz eigenen, eigenartig anmutenden inszenatori• schen Einstieg gesucht und gefunden. Vielleicht kannst Du das mal etwas näher erläutern.

Peter P. Pacht: Auch hier wieder die Frage: Was interessiert den Regisseur, den Kapellmeister, die sich damit beschäftigen, an diesem Werk? Was hat Siegfried Wagner an der Figur des Banadietrich, an dem großen Übeltäter, interessiert, der, weil er nicht als ein Mensch, der Besonderes leistet, oder ein Mensch, der durch irgendeine beson• ders gute Tat in die Geschichte eingehen kann, der größte Frevler sein will. Er wandelt sich - besonders schlimm in diesen Tagen, das zu sagen - er wandelt sich zum Terroristen. Gleichzeitig aber wird sein Handeln auf einer Kunstebene unter• sucht, und das führte uns zu der Frage: Wie taucht man hinab in alte Geschichten? Wie taucht man hinab in andere archaische BildweIten, oder umgekehrt, modem gefragt: Was lösen alte Bilder in uns aus? Entsetzen? Stumme Ablehnung? Fremd• heit? Was führt im Extremfall Leute dazu, Bilder mit Säure zu überschütten, Kunstwerke zu vernichten? Diese Fragestellung bot sozusagen den Rahmen, dass wir diese Handlung in einem Museum angesiedelt haben, mit Böcklingemälden. Der Frevler, der das Bild am Ende des Stückes dann auch vernichtet, steigt in diese Bildwelt hinein, wird Teil davon. Es erfolgt aber immer wieder ein Bruch, immer wieder das Zurückkehren in eine Realität und in die Fragestellung. Für mich selbst im Nachhinein am spannendsten geglückt im dritten Akt, als dieser Frevler junge Kinder verführt, verlockt. Da steht er inmitten des Böcklin-Bildes und lockt Schul-

362 kinder, die das Museum besuchen, in das Bild. Auf der anderen Seite kommen sie als kleine Elfen wieder hervor.

Eckart Kröplin: Gott sei Dank waren wir da in Rudolstadt - und auch die Regie - in dem großen Vorteil, dass die aufgeführten Werke dem Publikum absolut unbekannt waren. Es konnte also fast keiner mit dem Argument kommen: Oh Gott, oh Gott! Spielt doch endlich mal die Opern wieder so, wie die alten Meister es gewollt haben. Das ist ein so entsetzlich dummes Argument, aber gerade deswegen wahrscheinlich hält es sich auch heute unsterblich weiter in den Diskussionen über Theaterregie, über Opernregie. Diese Chance also hatten wir. Die Leute konnten gar nicht wissen, wie es wohl anders ausgesehen hätte. Man konnte auch nicht einfach im Opernführer nachschauen, oder sich einen Klavierauszug, ein Textbuch besorgen. Alles das gibt es ja von Siegfried Wagner so gut wie nicht im öffentlichen Verkehr, im Leihver• kehr, in Bibliotheken und ähnlichem. Man muss schon sehr konsequent daran ar• beiten. Insofern war es für uns nicht schwer mit dem Publikum angesichts dieser Art inszenatorischen Umgangs mit Siegfried Wagner, und es war ein interpretie• render Umgang, nicht ein konservierender, ein interpretierender, ein schöpferischer Umgang mit dem vorliegenden Werk, mit dem vorliegenden Noten- und Worttext. Insofern war es für uns also einfach, mit dem Publikum darüber in ein produktives Gespräch zu kommen. Wir haben das immer wieder gesucht. Vor den Aufführun• gen, da wussten sie noch nicht, was sie erwartet, und dann auch nach den Auffüh• rungen. Die Erfahrung war dabei sehr produktiv. Banadietrich ist auch in zwei Jah• ren gelaufen, bis zum letzten Festspiel im Jahr 1995. Dann war zwar schon alles gedacht und vorgeplant, auch für 1996, aber die anstehende Fusion des Theaters Rudolstadt mit dem Theater Eisenach, der erzwungene Wechsel in der Theaterlei• tung durch die kommunalen Verantwortungsträger, hat dieser jungen Festspiel• pflanze "Rudolstädter Festspiele" 1995 den Garaus gemacht. Es war eine Chance vergeben, Siegfried Wagner heute eine Heimstatt, eine Werkstatt zu geben, in der mit ihm neue Erfahrungen für das Theater gewonnen werden konnten. Die Erinne• rung für uns ist schon sehr nostalgisch, auch schon eine wunderschöne Legende, wie für manche der Besucher auch. Noch heute kommen manchmal in Rudolstadt, so sagen die Kollegen von dort, Anfragen: Wann gibt es denn nun mal wieder eine Fortsetzung der Festspiele mit Siegfried Wagner? Ich weiß gar nicht, ob solche Anfragen von den heutigen Theatermachern in Rudolstadt eine Antwort bekom• men, ob heutige Theatermacher in Rudolstadt sich überhaupt noch erinnern. Fusio• nen haben nicht nur Personalwechsel, sonder auch Personalabbau mit sich ge• bracht. Es gibt dort kaum mehr einen damals mitarbeitenden Künstler. Umso schö• ner fand ich es, dass Peter P. Pachl in den letzten Jahren, z. B. in Hagen, Gelegen• heit hatte, Siegfried Wagner aufzuführen.

363 Peter P. Pachl: In Hagen habe ich zunächst An Allem ist Hütchen Schuld! inszeniert. Das Inter• essante daran war, jetzt jenseits von Festspielen und jenseits von raren konzertan• ten Aufführungen, Siegfried Wagner im Repertoire auszuprobieren. Das Verblüf• fende war, dass diese Oper - eine Collage von über 40 Märchen - in den 13 Jahren der Theaterleitung von Peter Pietzsch, neben Zauberflöte und neben West Side Story, die bestausgelastete Aufführung war. Das Theater war immer voll, und das Publikum besuchte die Aufführung nicht nur einmal, sondern sie kamen immer wieder, weil sie sagten: ,,Die Musik ist so schön und es gibt so viel zu sehen, so viel zu erleben". Dass ein Stück im Repertoire sich so beweisen konnte, führte dann dazu, dass der Intendant Peter Pietzsch gesagt hat: "Das kann man nicht so stehen lassen, da muss man zwei Jahre später - es wurden dann 3 Jahre - den näch• sten Siegfried Wagner folgen lassen. Das war vor gut einem Jahr die Oper Bruder Lustig, die dann dort auch herauskam und die vom WDR aufgezeichnet wurde und wenigstens als Tonkonserve erhalten ist. Was beim Hütchen damals nicht der Fall war, da das Orchester gerade auch fusioniert wurde und daher meinte: "Jetzt wer• den wir es den Politikern mal zeigen: wir verhindern die CD-Aufnahme." Natürlich hat das keinen Politiker interessiert, und hinterher war das Orchester selber traurig, dass es davon keine Einspielung gemacht hat, aber der Zug war abgefahren. Ich hoffe, dass irgendwann eine Bühne sich wieder entschließt, An Al/em ist Hütchen Schuld! zu machen, und wir auf diese Weise auch mal zu einer Aufnahme der Oper kommen. Hütchen war tatsächlich ungekürzt und hat auch ungekürzt funktioniert, im Bruder Lustig gab es diverse Striche.

Eckart Kröplin: Ich möchte Konstanze Lauterbach noch einmal als Schauspielregisseurin, die den Umgang mit Schauspielern gewohnt ist, befragen: Schauspieler arbeiten auf der Szene ganz anders, dort ist der Text zu interpretieren, zu hinterfragen, mit Text zu arbeiten. Auf dem Musiktheater kommt eine zweite, unabänderliche Kompo• nente hinzu, und das ist die der Musik. Die hat ein bestimmtes Tempo, sie hat be• stimmte Noten. Noch sind wir nicht so weit und werden es wohl auch nicht wollen, dass Notentext verändert wird. Also, es ist dort eine Konstante vorgegeben, in die sich Sänger hinein begeben müssen. Singen, singend musizieren und singend dar• stellen ist etwas anderes als sprechend darstellen. Wie ist es Ihnen ergangen, in der Begegnung mit den Sängern von Schwarzschwanenreich in Rudolstadt, Beth Johanning in der Hauptrolle, also der LindalHulda, und den anderen Protagonisten?

Konstanze Lauterbach: Ich hatte Glück mit diesen Sängern. Sie waren nicht der Auffassung: Ich singe hier, das ist meine einzige Aufgabe. Die kannten andere meiner Inszenierungen, die

364 wussten, was auf sie zukommt, was Spieldominanz anbelangt, und sie haben die Anforderungen auch bewältigt. Also es gibt Sänger, die bei bestimmten Geschich• ten z. B. Rhythmus oder Koordination verlieren, da macht das linke Bein dann nicht, was das rechte Bein machen soll. Bei solchen Sängern muss man die Finger davon lassen, sie in irgendeine Spielweise zu treiben. Ich hatte das Glück, mit Walter Raffeiner zu arbeiten, Beth Johanning und anderen Sängern aus Rudolstadt, die das von sich aus mitbrachten, die sich nicht selbst im Wege standen. Für mich war die Erfahrung verwunderlich. Ich habe sehr extreme Sachen vorgegeben, auch zum Teil vorgespielt, das ist so eine Form, die ich liebe, weil man als Sänger sofort sieht, was gemeint ist, und die Aufgabe hat, es sich zu eigen zu machen, was ich vorgebe. Was dem Regisseur zu spielen möglich ist, muss dem Sänger auch mög• lich sein. Ich war verwundert, weil es im Schauspiel oft so ist, dass man anfängt mit einer ersten Probe, und es funktioniert hervorragend, und am nächsten Tag ist davon nichts mehr da, und dann braucht man sechs Wochen um das wiederzukrie• gen, was bei der ersten Probe funktioniert hat. Bei den Sängern war ich erstaunt und überrascht, am nächsten Tag war das einfach wieder da, bis auf kleine Aus• nahmen. Das hing natürlich damit zusammen, dass sie einfach die Einbindung in die Form der Musik, des Rhythmus', des Gesanges hatten. Wenn da spielerisch etwas nicht funktioniert hätte, wäre es nie dazu gekommen. Es hat immer auf An• hieb geklappt. Die eigentliche Arbeit war, zu suchen, die jeweiligen Mittel für eine Szene zu finden. Wie weit geht man? Wo stoppt man? Erst einmal an Grenzen ge• hen und sagen: hier wird es unertragbar, viel zu viel, jetzt können wir reduzieren. Bei Schauspielern arbeite ich so, dass ich in der letzten Zeit Musiken einspiele, die sich die Schauspieler zum Teil anhören und sich einpegeln auf diese Musik. Dann nehmen wir bestimmte Texte und behandeln diese Texte illustrativ zur Musik ana• log der musikalischen Vorlage. Am Ende wird diese Musik weggeblendet und ich habe das, was ich an emotionaler oder gefühlsmäßiger Entäußerung gesucht habe. Es sind also ganz verschiedene Wege. Die Sängerdarsteller in Rudolstadt haben mich sehr überrascht. Anders war es dann beimjliegenden Holländer in Karlsruhe: die Solisten hatten ihre Partien schon mehrfach an anderen Häusern gesungen. Da hieß es, ganz von vorne anfangen und abbauen, was schon verinnerlicht ist, auch die Bereitschaft der Solisten dafür zu finden, es an einem Haus so zu singen, in der Inszenierung am anderen Haus ganz anders. Es gibt keine Verbindungsmöglich• keiten von der einen Aufführung zur anderen. Das war schon ein anderer Arbeits• prozess und Kampf.

Eckart Kröplin: Die Akkuratesse der Sänger hängt sicherlich auch damit zusammen, dass das mit Musik Erarbeitete sich mit Musik verbunden hat, und wenn diese Musik aus dem Orchestergraben schlicht und einfach bei der nächsten Probe oder bei der

365 nächsten Aufführung reproduziert wird, stellt sich psychisch dieser Kontext sofort wieder her. Im Schwarzschwanenreich gibt es eine delikate Szene, als HuldalLinda im Wald das Grab des abgetriebenen Kindes wieder aufsucht, laut Szenenanwei• sung ragt das Ärmchen dieses abgetriebenen Kindes hervor. Wir wissen auch dar• um, dass bei der Uraufführung Siegfried Wagner aus engstem Familienkreise nahe gelegt wurde, diese furchtbare Szene - es war eine Hoftheateraufführung in Anwe• senheit der höchsten Herrschaften - wegzulassen. Er hat es nicht getan, und das hat dort auch eine tüchtige Missstimmung gegeben. So weit hat er sich dann zu all sei• nen Partituren und zu deren Unbequemlichkeiten bekannt und sich diese nicht aus• treiben lassen. Die Inszenierung Schwarzschwanenreich in Rudolstadt hat auf dem Vorspiel, was eigentlich gar nicht so komponiert ist, nämlich die Vorgeschichte Lindas mit der Geburt, Abtreibung, also Tötung des Kindes - eine Szene gezeigt, die, wenn man ins Opernhaus kommt und die Oper damit beginnt, schockierend ist. Das war eine Erfindung von Konstanze Lauterbach, gemeinsam mit der Hauptdar• stellerin Beth Johanning, die sich voll dazu bekannt hat, hier so etwas Schockie• rendes auf der Szene darzustellen. Was sind Ihre Erfahrungen? Ich frage Sie beide, was sind Ihre Erfahrungen mit solcher Art Theater? Es gehört zu den heutigen Entwicklungen des Theaters grundsätzlich dazu, vor allem auf dem Musiktheater, bei Siegfried Wagner und nicht nur bei Siegfried Wagner. Sie haben beschrieben: in Rudolstadt war das eine besondere Situation mit jungen oder sehr interessierten Sängern gemeinsam etwas Neues zu erobern. Beim Holländer haben Sie etwas anderes erlebt. Wie kann man mit solchen Szenen bei Siegfried Wagner umgehen? Es gibt ja deren auch in anderen Opern mehrere, die vom Komponisten bewusst so gesetzt waren, aber mit einem gewissen Mantel des Märchenhaften überdeckt sind. Wie geht man mit solchen sehr schwierigen Szenen für den "Otto-Normal• verbraucher" um? Einmal, wo sie vorgegeben sind, und andererseits, wenn man noch welche dazu erfindet, um der Geschichte, die man erzählen will, ihre notwen• dige Schärfe, ihre Provokation zu geben?

Konstanze Lauterbach: Der Ausgangspunkt für alles, was man findet, ist nicht ein Selbstlauf, nicht ein Einfall jagt den anderen, sondern es geht immer darum, wie erzähle ich die Ge• schichte bildhaft, so dass sie sich auch eingräbt. Das kann ich üppig exzessiv ma• chen, ich kann die Wunden zeigen, die eine Geschichte hat, auch die offenen Rän• der, die sie besitzt. Das kann ich sehr sparsam, minimalistisch reduziert machen. Es gibt sehr unterschiedliche Mittel, um eine Wirkung zu erzielen. Ich denke beim Arbeiten, beim Entstehen von Szenen, in keiner Weise an irgendwelche möglichen Zuschauerreaktionen. Ich baue spontan eine intuitive Szenerie auf, die immer aus einer Situation heraus erwächst. So auch beim Vorspiel zu Schwarzschwanenreich, das ja nicht mit der Abtreibung durch Linda begann. Zunächst wurde eine Tänzerin

366 als Schwan in einem Müllsack auf die Bühne ausgeschüttet. Das war einfach ein politischer Punkt. Damals sollte das Rudolstädter Ballett abgeschafft werden. Im Schwarzschwanenreich erschienen die Schwäne als Tänzer, die sich durch das Stück zogen, die gejagt wurden. Wo man diese Menschen jagt, auf der Kunstebene mit den Schwänen von Tschaikowski - verbunden mit einem Kunstvorgang. Die aus dem Sack geschüttete Tänzerin tanzte dann in der Ouvertüre noch ein Solo im Bewegungsduktus des klassischen Balletts Schwanensee, was wunderbar war. Das reine Schrittmaterial aus dem klassischen Ballett ging musikalisch 1: 1 auf mit den Tempi von Wagner, und da haben wir uns sehr gefreut. Wir mussten also in der klassisch vorgegebenen Choreographie gar nichts ändern. Mit Steinen, die ihr vor die Füße geworfen wurde, wurde sie von der Spitze geschossen. Solche übertra• genden Vorgänge interessieren mich am Theater, wo man nicht alles pur serviert. Dann setzt man plötzlich einen ganz realistischen Vorgang, der ja in dem Sinne nicht naturalistisch ist, denn wir befinden uns ja auf dem Theater, wir sind nicht im Leben. Der Abtreibungsvorgang ist ja auch in eine Form gebracht. Es war nicht unästhetisch, obwohl der Vorgang an und für sich fies und scheußlich ist. Wir ha• ben nicht die Sängerin auf die Bühne gelegt mit gespreizten Beinen - das gibt es auch, aber das wäre nicht mein Geschmack. Ich denke, die Geschichte hat so eine Eigendynamik, einen Sog, was man aus ihr gewinnt. Das kann man gar nicht alles erklären, das passiert. Nach etwa vier Wochen Proben merkt man, ist das auf der Höhe des Stückes oder liegt es drunter? Sind wir hier kleiner mit unserem Angebot auf dem Theater als die Vorlage? Das eigene Kontrollorgan setzt irgendwann ein, man korrigiert, oder findet etwas Neues, oder man verlässt sich pur auf das, was dasteht. In meinen Inszenierungen gibt es diesbezüglich stets ein Mischverhältnis.

Eckart Kröplin: Ich möchte noch einmal auf Banadietrich kommen. Beide Sachen sind ja im en• gen zeitlichen Rahmen, zeitlichen Umfeld, entstanden. Aus Banadietrich ist auf dem Band noch ein Ausschnitt zu sehen. Die BildweIten, die uns hier, sowohl im Banadietrich, übersetzt in einen Muse• ums frevel, oder in Schwarzschwanenreich entgegentreten, sind ungewöhnlich ge• nug, aber sie sind Gott sei Dank so ungewöhnlich, dass sie zum geistigen Mitpro• duzieren provozieren. Ich glaube, das ist eine der Grundaufgaben von Regie, das Publikum nicht im Passiven sitzen zu lassen, sondern das Publikum soweit geistig aufzureizen, mitzunehmen in eine phantastische, in eine Theaterwelt, um von dort aus nachdenkend, nachfühlend etwas für sich oder auch für andere mitnehmen zu können. Diese ungewöhnlichen Bilderwelten in der Regie von Konstanze Lauter• bach und Peter P. Pachl können sich durchaus auf den Autor selbst berufen, auf Siegfried Wagner, von dem bekannt ist, dass er durchaus ein konservativ gesinnter Mensch und Künstler war. Von dem aber auch bekannt ist, wie sehr er unter dem

367 konservativen Zwang des Hauses und des Bayreuther Festspielbetriebes seit Beginn der 19. Jahrhunderts versucht und auch durchgesetzt hat, Schritt für Schritt, die Szene Wagners im Festspielhaus zu verändern. Was als Kanon durch Mutter Cosima und viele Mitstreiter gewissermaßen festgeschrieben war, hat er Stück für Stück aufgelöst. Er hat destrukturiert, um zu neuen Ufern zu finden. Das machte sich umso deutlicher in den 20er Jahren und sollte eigentlich gipfeln im Tannhäuser und weiterfolgenden Inszenierungen von 1930. Die Möglichkeit war durch seinen frühen Tod dann nicht mehr gegeben. Aber ich glaube, Siegfried Wagner ist als Regisseur der Werke seines Vaters durchaus als Kronzeuge zu neh• men für einen Umgang mit überlieferten Werken, mit einem Umgang, der ins Heute führen will und dabei auch Ungewöhnliches auf die Bühne bringen kann.

Sven Friedrich: Drei Fragen, die sich für mich aus dem Komplex der weitgehend fehlenden Re• zeptionsgeschichte ergeben, an die Regisseure und, stellvertretend für die Regis• seure, an die Künstler. Ist es eher eine Chance oder ist es eher ein Hindernis, eine Oper zu inszenieren, die über weitgehend keine Aufführungstradition verfügt. Re• pertoireoper bedeutet im Regelfalle, eine Aufführungstradition mit zu erben und auf diese reagieren zu müssen, nolens volens, was leichter oder schwerer sein kann. Das würde ich gerne von den Regisseuren wissen, stellvertretend vielleicht für die Musiker, für die Sänger und Orchestermusiker: Können Sie vielleicht etwas dazu sagen, wie es für einen Sänger oder einen Orchestermusiker ist, sich einem Stück zu nähern, das kein Repertoirestück ist, sondern ganz neu im Grunde genommen, wie ein heutiges Stück, ein Lachenmann oder so, einstudiert werden muss. Ich weiß nicht, ob man an den Hochschulen für Musik und darstellende Künste ausgerechnet Siegfried Wagner-Partien lernt. Im Zusammenhang damit vielleicht eine etwas kri• tische Anmerkung zum Thema Siegfried Wagner als Regisseur. Herr Kröplin, Sie haben gesagt, die heilige Linde würde nach der theatralen Epiphanie drängen. Sieg• fried Wagner hat nie außerhalb Bayreuths inszeniert und er hat nie etwas anderes inszeniert als die Werke seines Vaters. Also dem Drang, von dem Richard Wagner ja so beherrscht war, nämlich die Vollendung des Werkes in der Verlebendigung auf der Bühne, scheint Siegfried Wagner nicht in dem Maße eigen gewesen zu sein. Zumindest gibt es, nach meiner Kenntnis, keine Dokumente darüber, dass ihn das jetzt übermäßig in einen Leidensdruck gebracht hätte.

Konstanze Lauterbach: Für mich ist es immer eine Chance und kein Hindernis, wenn etwas noch nicht über alle Theaterbretter geschleift wurde, abgeschleift wurde bis zur Unkenntlich• keit. Mir geht es im Schauspiel so mit Lorca, mit Hans Henny Jahnn - Autoren, wo man sagt, diese Stücke sind nicht mehr spielbar, die strotzen vor Pathos. Dann setzt

368 das in mir eine Energie frei, wo ich sage: Warum denn eigentlich nicht? So ist es mir mit Wagner auch ergangen. Ich war eigentlich froh, dass es gar nicht so viele Vergleiche gab, denn ich fange gerne vom Anfang an, das finde ich spannender.

Peter P. Pachl: Herr Bach hat heute früh bei seinen musikalischen Analysen kurz auch szenisch den Liebestraum, Anfang 2. Akt, Schwarzschwanenreich umrissen, der in der Büh• nenbildanforderung damals eine Innovation darstellte; der Akt beginnt mit einem unwirklichen Bild, und deshalb ist ein Gazeschleier, der durchsichtig wird, vorge• schrieben. Siegfried Wagner hat in Bayreuth auch sehr gerne mit diesen Gaze• schleiern experimentiert und zum Teil auch mit Licht und Gaze gearbeitet. Diese Bühnenbildvision, die wahrscheinlich auch in der Uraufführung nicht so realisiert wurde, hat dann wiederum inspiriert, dieses Bühnenbild zu reali• sieren, allerdings nicht in der Oper seines Vaters, sondern in der Oper seines Groß• vaters. Denn genau die Umkehrung dieses Bühnenbildentwurfes war dann Wie• lands erster Tristan. Konstanze Lauterbach hat gerade diesen Liebestraum völlig anders gelöst, Blumen nicht als ein Blütendach, sondern als eine böse Gratulations• kur.

Konstanze Lauterbach: Ich bin davon ausgegangen, die Liebe zwischen den Beiden ist etwas sehr Schö• nes, ist eine große Sehnsucht, die sich nicht erden lässt in dieser Gesellschaft. Da haben wir überlegt, was das ist. Für uns am Theater ist der schönste Moment nach der Arbeit die Premiere, wenn es Blumen gibt, wenn man überhäuft wird mit Blu• men, wenn man Erfolg hat, wenn man Applaus hat. Wir haben dieses Paar in dem Duett in die Mitte der Bühne gestellt. Sie kamen wie auf dem Eis angelaufen. Der Bühnenboden wurde in der Phantasie zu Eis, wie aufs Glatteis gestellt. Es schneite und sie waren auch anders gekleidet als ein traditionelles Wunschhochzeitspaar, naiv, wie Prinz und Prinzessin. Dann kam der Chor als eine Schlange von Gratu• lanten zu dieser Hochzeit, was nur in ihrer Phantasie stattfand, so wie sie es sich gewünscht hätten. In einer endlos seriellen Wiederholung wurden diesem Paar Blumen überreicht, bis sie die Blumen nicht mehr tragen konnten. Also das Schöne verkehrte sich und wurde zur Last. Am Ende des Traumes kamen die Chorsänger wieder auf die Bühne und haben alle Blumen kaputt geschlagen, also den schönen Traum zerstört. Es waren alles echte Blumen. Das ist ein furchtbarer Vorgang. Es blieben nur geköpfte, enthauptete Blumen auf der Bühne liegen und mitten in die• sem Blütenhaufen brachen die Beiden zusammen. Das ist so ein Bild, wo ein Pro• zess, eine Konfrontation stattfindet zwischen dem Wunsch, der Sehnsucht und der Realität: wenn die aufeinander knallen, da beißt es und tut weh.

369 Eckart Kröplin: Dieser Vorgang wurde entgegen der szenischen Anweisung Siegfried Wagners übersetzt auf 70 Jahre später und in heutiger Erfahrung. Nähme man den von Sieg• fried Wagner in der Szenenanweisung so beschriebenen Vorgang pur, dann würden wir heute sagen, das ist ja entsetzlicher Kitsch. Er war für Siegfried Wagner den• noch eine szenische Erneuerung, eine Innovation, aber das war vor 70 Jahren. Theaterkunst ist eine unbedingte Zeitkunst. Theater findet immer heute statt. Das wollte ich nur als Zwischenruf sagen.

Peter P. Pachl: Auf den zweiten und dritten Teil, zur Frage der Sänger, zur Frage der Orchester, ist ja gestern Abend in der Diskussion schon gesprochen worden. Die Sänger wer• den noch ausgiebig Thema sein bei der großen Diskussion am Samstagvormittag in der Musikhochschule. Ich denke, dass wir da genau auf solche Unterschiede kom• men werden. Zur Frage Siegfried Wagner als Regisseur, gestatten Sie, dass ich Ihnen im Detail widerspreche. Er hat ja, weil Sie sagen als Richard Wagner• Regisseur, z.B. 1930, noch in seinem Sterbejahr, in Mailand den Ring inszeniert. Er war - und daraufhin kam auch Gustav Mahlers Forderung: "Kommen Sie zu uns als Oberregisseur" - bei seinen Opern in München, in Wien, in Hamburg zugegen, als Regieschüler von ihm, mit denen er vorher schon gearbeitet hatte und die bei ihm gelernt hatten, erst einmal die Grundarbeit übernommen haben. Er kam regel• mäßig bei den Uraufführungen seiner Opern die letzte Woche dazu und hat auch szenisch ganz entscheidend Anteil gehabt. In den ersten Jahren, also bei den frühen Opern, obendrein durch das Verfassen von Regiebüchern, die nicht alle erhalten sind, aber, soweit sie erhalten sind, zeigen, dass er als Regisseur partiell seine Mu• sik in Frage stellt. In Banadietrich z. B., wo er sagt: Um das herauszuarbeiten, steht in der Partitur ein falsches Tempo. Das müsste eigentlich in einem viel schnelleren Tempo erfolgen. Oder er gibt dann via Regiebuch an, dass noch eine ganze Klang• partitur dazu treten soll, dass hinter der Szene ein Xylophon einstürzen soll, was in seiner Orchesterpartitur gar nicht notiert ist. Das von ihm geforderte Primat der Szene bei seinen Opern hat er auch realisiert bei Aufführungen seiner Opern. Er war auch offen - das überliefert Kurt Söhnlein - wenn man dann z. B. in Darmstadt anders mit seinen szenischen Vorschriften umging, einen Gesamteinheitsraum ge• schaffen hat, eine neue Ästhetik fand. Wenn er auf eine völlig andere Ästhetik stieß, so hat er sicher nicht eingegriffen, sondern hat sich dem nicht leidend, son• dern hochinteressiert gefügt.

Eckart Kröplin: Das hängt vielleicht auch mit dem zeitgenössischen Verständnis von der sozia• len Rolle eines Komponisten zusammen. Wir wissen es auch von Komponisten-

370 kollegen Siegfried Wagners um die Jahrhundertwende und in den ersten Jahrzehn• ten: als Regisseure waren sie nicht gebeten. Wenn jemand versuchte, sich als Re• gisseur einzubringen, wie z. B. Hans Pfitzner, dann gab es geradezu Skandal mit dem Dirigenten oder dem szenischem Leiter oder der Opernintendanz. Man wollte die Komponisten gar nicht unbedingt als Regisseure haben. Siegfried Wagner freute sich, wenn seine Opern gespielt wurden, und kam auch gerne hin und hat dann, wie Peter P. Pachl eben beschrieb, unter der Hand doch noch versucht, ein wenig auf das szenische Geschehen Einfluss zu nehmen, oder darauf zu bestehen, dass bestimmte szenische Sachen, auch wenn sie undelikat waren, vorkommen. Als reisender Dirigent, vor allem auch als Konzertdirigent, begnügte er sich damit, Gelder einzuspielen, um das Festspielhaus in Bayreuth in Gang zu halten, um Geld zu haben. Als Regisseur war er verpflichtet, das Werk seines Vaters zu inszenieren, das gehörte zu seinem Beruf als künstlerischer Leiter der Festspiele. Hier hatte er tatsächlich das Feld, um als Regisseur tätig zu sein.

Walter Keller: Ich möchte eine Lanze einlegen fiir das konservative Publikum, das hier schon ein paar Mal angesprochen worden ist. Ich habe von Dir, Konstanze gehört, dass Dir das sehr gefallen hat, wie bei der Regie am anderen Tag, wie die Musik aus dem Orchester kam, fiir die Sänger alles wieder da war. Dieser Vorgang passiert natürlich auch beim Publikum. Wenn das Publikum mal eine schöne Inszenierung gesehen hat, und es hört die Musik wieder, dann ist das Bild von der Inszenierung halt auch wieder da. Ich habe jetzt sicher 80 Vorstellungen von gehört, aber wenn ich die Musik höre, dann sehe ich immer wieder das Bild von Wieland Wagners Inszenierung 1962 mit Wolfgang Windgassen und Martha Mödl in mir. Das sind die ersten Eindrücke, die einem eben bleiben, und die Musik evo• ziert das immer wieder - sowohl bei den Sängern, wie auch beim Publikum. Das ist vielleicht nicht böser Wille des Publikums, sondern das ist etwas, was von der Mu• sik wieder evoziert wird. Ich denke, die Regisseure, sollen es machen, wie es ihnen gefällt, wie es fiir sie richtig ist, und sie finden dann ihr Publikum, ihr neues Publi• kum. Das alte Publikum wird vermutlich immer wieder die alten Bilder mit sich herumtragen.

Eckart Kröplin: Ganz gewiss ist das bei überlieferten und rezeptionsbelasteten Werken der Fall. Jedem ist es irgendwann so ergangen, dass er eine Inszenierung gesehen hat, die ihn so ungeheuer beeindruckt hat, dass er manchmal ein Leben lang keine überzeu• gendere Inszenierung findet. Es kann auch das Gegenteil eintreten, dass man nach Jahren eine Inszenierung sieht, die einem auf andere Weise, auf neue Weise, und

371 dazu ist der Regisseur verdammt, immer wieder den heutigen, den neuen Zugang finden lässt.

Sandra Erens: Mir fiel eben nur etwas ein zu der Bilderwelt, auch beim Banadietrich. Ich habe vor zwei oder drei Jahren die Daphne von Richard Strauss gesehen. In dieser In• szenierung wurden in der Schluss szene Bilder gezeigt aus der Entstehungszeit der Oper, also aus der Nazizeit. Da fiel mir eben spontan ein, ob das zum Flüchlein passen würde, hinsichtlich der Aussage zur Entstehungszeit der Oper, bzw. welche Folgen es hatte. Wäre es eine Lösung für Sie, einen Originalfilm oder Bilder auf den Bühnenhintergrund zu projizieren?

Peter P. Pachl: 1984, bei der Umufführung vom Flüchlein, das Jeder mitbekam, war ich Regis• seur. Damals waren wir noch sehr vorsichtig mit dem direkten Zitat von Symbolen, denn es gab damals eine Rechtsprechung, dass man z. B. ein Hakenkreuz nicht auf die Bühne bringen durfte, und wir haben das Hakenkreuz dann etwas verändert. Aber alleine durch die Musik war Räuberhauptmann Wolf ganz klar der von Sieg• fried Wagner damit gezeichnete in seinem Bürgerbräukeller und es gab Graf Erpelmann, eine Mischform von Stresemann und einigen anderen SPD• Politikern, die in diese Figur eingeflossen sind, sowie das sterbende Königtum von 1918. Da hatten wir tatsächlich die Zeitebene gewählt. In den letzten Jahren konnte ich bei qualitätsvollen Inszenierungen im Schau• spiel und im Musiktheater beobachten, also auf dem Theater generell, dass ein di• rekter Historizismus kaum mehr eine ästhetische Chance hat. In EinzeWillen wirkt das frappierend, in anderen Fällen geht es absolut in die Hose.

Dorothea RenckhojJ: Mir lässt dieser Satz von Herrn Dr. Keller keine Ruhe, mit dieser Erinnerung, die sich so eingegraben hat. In meiner Dmmaturgenzeit habe ich das natürlich sehr oft in Diskussionen gehört, aber so deutlich formuliert ist es mir noch nie begegnet. Wenn Sie heute die Aufführung, die Sie damals so beeindruckt hat, genauso wie sie damals war, sehen würden, würde Sie diese mit Sicherheit nicht wieder so beein• drucken. Sie würden sagen: War das dieselbe Aufführung? Denn wir wissen ja in• zwischen - da gibt es ja viele Untersuchungen darüber - dass die menschliche Er• innerung Erinnerungen retuschiert. Wenn drei Leute dieselbe Sache gesehen oder erlebt haben, erzählt nach zehn Jahren jeder eine völlig andere Geschichte. Das ist einfach so. Sie haben in der Zeit weitergelebt und Sie würden sich wundem über das, was Sie damals so beeindruckt hat. Für mich ist es wirklich eine furchtbare Vorstellung, wenn ich denke, wir machen Theater, und jeder im Publikum hat ein

372 Bild im Kopf und sieht das gar nicht mehr, was wir machen. Dann wäre Theater überhaupt nicht mehr möglich. Ich denke schon, dass man bestimmte Aufführun• gen hat, die einen so beeindrucken, dass man sagt, das war das Richtige. Aber ich glaube doch, dass viele Zuschauer die Offenheit haben, sich aufs Neue immer wie• der von ganz anderen Sachen beeindrucken zu lassen.

Walter Keller: Es ist ja nicht so, dass man sich nicht mit dem Neuen auseinandersetzen würde oder wollte. Ich gehe sehr oft ins Theater und sehe mir das Neue an. Es ist nicht so, dass ich mich dagegen sträube. Ich bin offen dafür. Ich stelle aber fest, es gibt ge• wisse erste Eindrücke, die verwischen sich nicht. Sie mögen Recht haben, dass wenn ich heute diese Aufführung wieder sehen würde, würde sie mich längst nicht mehr so beeindrucken, aber ich bin nicht mehr derselbe. Ich habe mich unterdessen weiterentwickelt und das von früher würde ich heute anders sehen. Das ist richtig, aber im Gedächtnis bin ich noch der von damals und habe das damals gesehen, und das steht mir immer vor den Augen. Es stört mich nicht, es ist ein Vergleich. Ich vergleiche immer damit. Das ist - Sie können das als psychisches Faktum anneh• men - nicht ein böser Wille gegen die heutigen Regisseure.

Konstanze Lauterbach: Ich denke, Walter, man muss es nicht festmachen am ersten Eindruck. Es kann auch bei einem Stück, was Du viermal siehst, der vierte Eindruck sein, wo diese Initialzündung passiert. Für mich hat deshalb Alles, was Du beschreibst, nichts mit konservativ zu tun. Konservativ ist für mich, wenn ein Zuschauer, der nicht den Beruf gelernt hat, wie wir ihn gelernt haben, und mir hinterher auf der Bühne sagt: "Das hat der Schiller nicht gemeint." Da werde ich fuchsteufelswild. Er kann sich dann mit mir unterhalten, aber er wird den Kürzeren ziehen, wenn er nur ein festes Bild im Kopf hat. Da kann man nur daran erinnern, um bei Schiller zu bleiben, was in der Uraufführung der Räuber im Zuschauerraum los war. Immerhin sind wir Interpreten eines Textes.

Eckart Kröplin: Es gibt im Kunsterlebnis überhaupt und im Theatererlebnis ganz gewiss Initial• zündungen. Irgendeine Aufführung, irgendwo einmal gesehen, unter bestimmten Umständen, dazu gehört auch eine psychische Befindlichkeit, die heute so ist und morgen schon gar nicht mehr so ist, dass man plötzlich ein Erlebnis so speichert - auch als Bilderwelten im Theater - und behält. Das ist für einen ein ungeheures Erlebnis. Konservatismus setzt dann ein, wenn man sagt: Das ist die einzige Lö• sung und so und nicht anders möchte ich für unser Publikum das Theater jemals wieder sehen. - Das wäre blanker Konservatismus! Den gibt es natürlich auch, da

373 hast Du recht, den gibt es auch im Publikum. Unsere verdammte und schöne Auf• gabe als Theaterleute ist es, immer wieder gegen den anzugehen durch neue Provo• kationen, durch das Finden neuer Verständnisse, neuer Bilderwelten, neuer Bezüg• lichkeiten zum Heute. Es ist schwer und es wird immer schwerer, je länger ein Stück Rezeptionsgeschichte hat, je älter der Autor ist. Es ist immer schwerer, gegen überlieferte Initialzündungen und Erfahrungen anzugehen, aber das ist das Schöne und Schwere am Theaterberuf. So viel Neues, Überzeugendes auf die Szene zu bringen, dass zumindest die Initialzündung von irgendwann einmal nicht gelöscht wird, aber aufgehoben wird, dass eine neue hinzugekommen ist. Dass man an ei• nem Stück, das man zu kennen glaubte, etwas Neues entdeckt. Das ist ungeheuer schwer, aber das ist, glaube ich, auch ungeheuer schön für Theaterleute und für ein Publikum, welches mit Neugier und mit Aufgeschlossenheit ins Theater geht. Deswegen, glaube ich - ohne hier Widersprüche zudecken zu wollen - ist die Dis• kussion zwischen Keller, Renekhoff, Lauterbach und uns die Beschreibung ein• und desselben Tatbestandes aus verschiedenen Sichten heraus. Wir wissen, dass wir damit leben und arbeiten müssen.

374 Foto aus Der Bärenhäuter in der Inszenierung von Peter P. Pachl, 1993

Fotos aus Banadietrich in der Inszenierung von Peter P. Pachl, 1995

Vorspiel

375 3.Akt

376 Fotos aus Schwarzschwanenreich in der Inszenierung von Konstanze Lauterbach, 1993

1. Akt

I.Akt

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3.Akt

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2.Akt

382 Diskussionsrunde III: Siegfried Wagner singen Katalin Halmai, Ksenija Lukic, Dagmar Schellenberger, Mechthild Georg, Volker Horn, Thorsten Scharnke, John Wegner, Wolfgang Schmidt

Peter P. Pachl: Guten Morgen, meine Damen und Herren, guten Morgen, liebe Sänger• Darsteller zum Thema "Siegfried Wagner singen". Wir haben an den Anfang ein Tonbeispiel gesetzt von Martha Mödl, die zugesagt hatte in unserer Runde zu sein, wie sie denn eigentlich immer in irgendeiner Weise beteiligt war, wenn Siegfried Wagner Thema war von Aufführungen, von Tagungen, auch als langjähriges Mit• glied der Internationalen Siegfried Wagner Gesellschaft. Leider ist Martha Mödl verhindert, wirklich schwer verhindert. Sie lag 14 Tage im Koma, hat einen Schlaganfall dazu bekommen und ist glücklicherweise auf dem Wege der Besse• rung, aber natürlich der Rehabilitierung. Sie muss wieder lernen, sich zu bewegen, und muss wieder lernen, zu sprechen - Tragik eines Künstlerlebens. Uns zur Freu• de hat Martha Mödl, nachdem all ihre Anlagen, all ihre Rücklagen wirtschaftlicher Art durch einen Spekulanten, vor nunmehr einigen Jahrzehnten, verbraucht worden waren, eine zweite Karriere begonnen, ihr Comeback gemacht in den Rollen der alten Damen. Aus jenem Haus, in dem sie mit einer Freundin seit 30 Jahren ge• wohnt hat, musste sie plötzlich ausziehen. Eine Grundstücksspekulantin hat dieses Haus geerbt, hat die alten Damen, die hier aufgrund ihrer langjährigen Zeit als Mieter bis zum Ende ihrer Tage hätten wohnen dürfen, mit Drohungen hinausge• worfen. Das Haus wurde verdunkelt und den Damen wurde gesagt: "Wenn Sie nicht endlich ausziehen, kommt die Abrissbirne, auch wenn Sie noch im Haus sind." Dann wurden - das ist schon fast wieder ein Themasprung zu uns - über dreißig Bäume um das Haus herum abgeholzt. Ob dieses Geräusches, dieser abge• holzten Bäume, haben sich Martha Mödl und ihre Freundin entschlossen, doch in ein Seniorenheim zu ziehen. Kaum war Martha Mödl dort, bekam sie einen Schlaganfall und ihre schwere Krankheit. Wir wünschen ihr auf diesem Wege alles, alles Gute. Sie ist eine Stehaufdame, und nachdem sie wieder voll bei Bewusstsein ist, denke ich, ist dieses Comeback auch ein typisches Comeback für Martha Mödl. Ich begrüße sehr herzlich die Protagonisten der Uraufführung der heiligen Lin• de, die auch gestern Abend vor Ihnen standen und diese Oper, die hier in Köln durch den WDR aus der Taufe gehoben wurde und gestern live im Rundfunk über• trage wurde, realisiert haben. Sie sehen die Namensschilder, aber ich begrüße sehr herzlich, ich muss immer bei einer Seite anfangen, ich begrüße sehr herzlich die Hildegard der Aufführung, Dagmar Schellenberger, Thorsten Scharnke, der den

383 Fritigern gesungen hat. Ksenija Lukic, die Siegrun, John Wegner, den Arbogast, Katalin Halmai, die Autonoe , Volker Horn, den Philo, Mechthild Georg, die Gun• delind. Als Gast in der Runde einen Tenor, der natürlich in erster Linie als Richard Wagner-Interpret bekannt ist, Wolfgang Schmidt, der aber in der Jugend auch die Erfahrung mit Siegfried Wagner gemacht hat. Die Begegnung mit Siegfried Wag• ner, sprich: mit diesen Noten von etwas, was man nicht hören kann, was man nur in den Noten sehen konnte und was zum Leben erweckt werden musste, was man in den Körper bekommen muss. Wie war das mit Eurer ersten Begegnung?

Dagmar Schellenberger: Mir war natürlich Siegfried Wagner als Name schon bekannt, aber mehr oder weniger als Sohn von Richard und Vater von Wieland Wagner. Näheres war ein Vakuum, so muss ich gestehen. Als letztes Jahr das Anliegen an mich herangetra• gen wurde, die CD zu machen mit Arien aus neun oder zehn verschiedenen Sieg• fried Wagner-Opern, und als ich die Noten frisch auf meinem Klavier hatte und dachte, jetzt fängst du damit an zu arbeiten, war das für mich wirklich ein Aha• Erlebnis: um so mehr ich mich hinein vertiefte - und ich spiele ganz gut Klavier, ich konnte das recht gut alleine erst einmal erarbeiten - habe ich schon Schauer bekommen. Denn beispielsweise Der Schmied von Marienburg ist eine so schöne Musik! Was mich - das ist meine persönliche Empfindung, auf andere wirkt es vielleicht anders - aber besonders an der Musik reizt, sind die Zwischenfarben, die Zwischentöne. Es ist keine Schwarzweißmalerei, es sind wirklich Farben gefragt. Man kann an sich alles herausholen, und das ist natürlich die Chance, wenn man so etwas wie Die heilige Linde zum ersten Mal macht. Dass man keine strengen Vor• gaben hat, sondern man konnte seinen eigenen Weg suchen. Das finde ich wirklich sehr schön, weil sich das lohnt in der Musik. Es steckt so viel drin! Ich speziell habe meinen Weg darin gefunden, ich hoffe es zumindest, und bin dankbar, dass ich mit dieser Musik konfrontiert wurde.

Peter P. Pachl: Ja, Dagmar, Du hast ja mit neun Opern sehr unterschiedliche Farben zu bewälti• gen gehabt, wir werden darauf kommen. Auch Thorsten Scharnke hat eine eben• falls noch nicht erschienene CD ebenfalls mit dem WDR Rundfunk Sinfonie Or• chester und dem Chor des WDR eingespielt, also in der Besetzung, wie wir auch die Aufführung der heiligen Linde erlebt haben. Wie war das bei Dir, mit dem Zu• gang zu Siegfried Wagner?

Thorsten Scharnke: Eigentlich ganz ähnlich. Aus der Beschäftigung mit der Musikgeschichte war mir Siegfried Wagner natürlich ein Begriff, aber dass ich irgendetwas von ihm ge-

384 kannt hätte, hätte ich nicht ruhigen Gewissens behaupten können. Ich bekam die Noten, habe hineingeschaut und fand vieles sehr, sehr schön. Ja, es ist einfach Neuland. Neuland macht mich eigentlich immer neugierig, und ich habe mich sehr gefreut, diese Musik singen zu dürfen, auch gestern und jetzt in den vergangenen vierzehn Tagen, etwas machen zu können, was den eigenen Horizont erweitert. Ich denke, das ist eine Musik, die Wert ist, gehört zu werden.

Dagmar Schellenberger: Diese Musik ist sängerisch geschrieben. Sie lässt einem Sänger wirklich den Raum, nicht nur im extremen Fortissimo alles herauszubrüllen, sondern es ist so instrumentiert, dass man differenzieren kann, obwohl ja das Orchester hier nicht im Graben saß, sondern uns direkt im Genick. Auf einer Bühne würde sich einiges noch besser machen lassen, aber ich finde, es ist so instrumentiert, dass man wirklich Bögen ziehen kann, dass man Farben hereinbringt, Piano singen kann. Wie das ganze Leben, lebt auch die Musik nur von der Spannung, von Spannung und Entspannung, von Piano und Forte, und das steckt in dieser Musik drin. Es ist sehr schön, wenn man das herausholen kann.

Peter P. Pachl: Ksenija Lukic war zur Zeit der Siegfried Wagner in ihrem Mittelpunkt rücken• den Rudolstädter Festspiele in Rudolstadt engagiert und hat sich von kleinen oder mittleren Rollen wie der Lena im Bärenhäuter, dem Mädchen im Schwarzschwa• nenreich, der Herminberga im Wahnopfer, dann immer intensiver mit Siegfried Wagner beschäftigt. Sie hat mit Werner Andreas Albert und dem Bayerischen Lan• desjugendorchester die weibliche Hauptpartie, Agnes, in der Gesamtaufnahme Sternengebot gestaltet und jetzt die Siegrun, eine kleine Partie, eine ganz andere Farbe in der heiligen Linde. Wie war Dein Weg zu Siegfried Wagner und wie ist Dein, jetzt doch langjähriger Weg, der Entwicklung?

Ksenija Luldc: Meine Begegnung mit Siegfried Wagner fing vor zehn Jahren an, in Rudolstadt. Über diese verschiedenen Partien, die Peter schon erwähnt hat, habe ich auch eine Menge Lieder von ihm kennen gelernt und andere kurze, kleine konzertante Szenen aufgeführt. Für mich war das ein Neuland, und ich bin froh, das kennen gelernt zu haben, weil ich denke, das bringt wirklich eine neue sängerische Farbe, und Sieg• fried Wagner stellt andere Herausforderungen an Sänger. Es ist sehr viel Text, der schwer auszusprechen ist für einen Ausländer, und er verwendet sehr ausgefallene Namen. Ich muss aber sagen, diese verschiedenen Farben, die ich kennen gelernt habe, von kleinen Rollen über verschiedene Lieder

385 zu größeren Partien, sie haben auch einen neuen Reichtum in meine sängerische Facette gebracht.

Peler P. Pachl: John Wegner hat vermutlich das erste Mal mit Siegfried Wagner zu tun gehabt, aber mit einer Partie, die es in sich hat, einer Partie, die man beim Lesen des Text• buches vielleicht für eine negative halten könnte. Doch wenn man sie hört, merkt man, mit wie viel Sympathie diese Partie ge• zeichnet ist.

John Wegner: Meine erste Begegnung mit einer Rolle von der Wagner Familie war Tel• ramund. Der muss fast jeden Satz mit Vollkem- und vollblutiger Stimme singen. Dann las ich, ich sollte den Barbarenkönig singen, und das erste Gefühl war, da muss man auch wieder Vollkern, vollblutig. Aber dann habe ich angefangen, die Noten und die Wörter anzuschauen, und diese Vollblutigkeit und Vollkernigkeit war weg geschoben. Ich fand, dass manchmal könnte ich große Stimme geben, aber der König verfügt über Vielseitigkeit. Es war Spaß dann zu spielen. Da man keine Vorgänger hat, weiß man nicht, wie es angenommen wird. Man muss sich einfach darauf einlassen und machen, was man für richtig hält. Es war ein schönes Erlebnis und eine Überraschung, dass diese Musik so geschrieben ist.

Peler P. Pachl: Katalin, für Dich war es sicher auch die erste Begegnung mit Siegfried Wagner. Wenn Du vielleicht ein bisschen berichtest, was Du sonst singst, und noch etwas sagst, wie diese Partie für Dich einzuordnen ist und wie die Begegnung mit dieser Musik auf Dich gewirkt hat.

Kalalin Halmai: Es war wirklich meine allererste Begegnung mit Siegfried Wagner. Es hat mich sehr, sehr überrascht. Es hat mich natürlich ganz mitgenommen, diese Melodien und die wunderschöne Musik. Ich singe vor allem Mozart- und Rossinipartien, aber immer lyrische Partien, und als ich die Noten bekommen habe, habe ich festge• stellt: das ist eine Rolle für mich, das ist eine lyrische, schöne Rolle und gar nicht so fremd. Sie hat vor allem mein Herz berührt, und ich lasse mich immer von mei• nem Herzen beraten. Ich habe das sehr gerne gemacht und es war wirklich, wie John auch gesagt hat, eine Überraschung. Wie schade, dass wir die vergessen, und wie schade, dass wir das so spät entdecken. Das war mein Eindruck von dern Gan• zen, und ich muss dazu sagen, ich habe sehr schöne zwei Wochen hier verbracht mit diesem Stück.

386 Peter P. Pachl: Volker Horn ist ja nun, von CDs her, geradezu das Gegenteil an langjähriger Er• fahrung: der Hans Kraft im Bärenhäuter, der Wittich in Banadietrich, der Helferich in Sternengebot und auch, was Ksenija erwähnte, natürlich eine kleine Szene aus dem Hütchen und anderen Werken. Aber von den großen Rollen her, die Volker Horn auch auf der Bühne gestaltet hat und jetzt zumindest auch gestisch, mimisch gestaltet. Am ersten Abend hat er bei den leeren Taschen, "Löcher, überall Löcher", also auch diese Geste, mit eingebaut!

Volker Horn: Nun hat Ksenija mir Gott sei Dank noch rechtzeitig souffliert, dass das ganze vor zehn Jahren begonnen hat, in Rudolstadt, mit dem Bärenhäuter. Ich kam dazu wirklich, wie die Jungfrau zum Kind. Hier sitzt Herr Günter Lang, der mir damals diese Partie in kürzester Zeit noch eingetrichtert hat, und ich möchte eigentlich mal etwas ganz anderes sagen. Ich bin ja in Bayreuth aufgewachsen. Peter ist ein richti• ger Bayreuther, er ist dort geboren. Ich bin geborener Kärntner, aber dann in Süd• preußen aufgewachsen. Peter war Regensburger Dornspatz, ich auch. Wir haben also ein paar Parallelen, und wir kennen uns schon sehr, sehr lange. Als mich Peter damals in dieser recht schwierigen Situation anrief, habe ich natürlich begeistert ja gesagt. Seit dieser Zeit bin ich mit Siegfried Wagner in näheren Kontakt gekom• men. Ich kannte in Bayreuth, weil es in der Nachbarschaft war, das Siegfried Wag• ner-Haus. Siegfried Wagner war ja auch Architekt. Der konnte nicht nur dirigieren. Er hat also auch ein Haus in Bayreuth gebaut. Ich freue mich, und das ist hier schon so angeklungen, dass diese Musik wiedererweckt wurde, jetzt in diesem wunderschönen Rahmen. Und ich muss hier mal sagen, was ich schon gestern sa• gen wollte, es war nur ein bissehen ungeschickt am Schluss, als dann kam, und ich finde, es ist schön, nach allen Querelen, die es gab, und dass von Seiten der Familie nicht immer alles getan wurde, dieses Werk ein bissehen früher wieder bekannt zu machen. Die Musik hat uns zusammengeführt, und ich fand es einfach nur schön, dass am Mittwoch Verena und gestern Wolfgang Wag• ner da waren, die zwei noch lebenden Kinder von Siegfried. Ein ganz großer Dank gilt einfach hier unserem lieben Peter, Professor Pachl, dass er hier mit dieser auch bayerischen Sturheit immer daran festgehalten hat, seit vielen Jahren, Siegfried Wagner bekannt zu machen. Ich glaube, das war jetzt in diesen Tagen wirklich ein Höhepunkt, und wir bedanken uns hier beim WDR. Es sind ja Mitstreiter wie Herr Höpner, der das auch mit möglich gemacht hat, und Professor Albert, der schon mit dem Bayerischen Landesjugendorchester das Sternengebot ermöglicht hat. Die Arbeit mit ihm war schon so wunderschön, und ich finde wir sind jetzt einen ge• waltigen Schritt weiter. Ich glaube das, und gestern ging die ganze Oper über den Sender. Ich hoffe wirklich sehr, dass es in dieser Richtung weitergeht. Das wäre

387 mein großer Wunsch. Ich bin wirklich verliebt in diese Musik. Siegfried Wagner, ist nicht - wie soll ich es sagen - dieser Gigant, aber er ist immer liebenswürdig, er geht zu Herzen. Mir sind gestern oft fast die Tränen gekommen. Die Musik be• rührt, und ich hoffe auf schöne, weitere Siegfried Wagner-Abende, auch szenische.

Peter P. Pachl: ,,Euch macht Ihr's leicht, mir macht Ihr's schwer", sagt der Vater an dieser Stelle. Ich fand die Stimmung seitens der Sänger so toll, so herzlich, das, was Volker gerade angesprochen hat und was Katalin auch schon gesagt hat: ,,Das Herz in dieser Musik." Wir wollen aber heute über "Siegfried Wagner singen" sprechen. Ich muss mich noch entschuldigen, dass ich hier sitze. Es war ja eigentlich Thomas Voigt angesagt, auch im Hinblick darauf, dass er die große Martha Mödl Biogra• phie geschrieben hat. Er musste aus innerbetrieblichen Gründen absagen. Herr Voigt hatte daher Klaus Leymann vorgeschlagen, der sich im WDR auch stets für Siegfried Wagner eingesetzt hat, aber Leymann ist im Ausland. Dann mussten wir natürlich sparen einerseits und sammeln andererseits, wo wir können. Nachdem auch Professor Eckhart Kröplin, der im Symposium sehr häufig die Diskussions• leitung hatte, als Chefdramaturg in Plauen-Zwickau heute bereits zurück musste, blieb das an mir hängen. Aber ich bin natürlich dankbar, unter Euch, mit Euch sein zu dürfen. Mechthild Georg, ich glaube, dass war auch Deine erste Begegnung mit Siegfried Wagner. Aber was ich auch hochinteressant finde: wir haben vor zwei Tagen hier in diesem Saal auch ein sehr schönes Konzert der die Siegfried Wagner• Woche mitveranstaltenden Hochschule für Musik, Köln, erlebt. Ich möchte auf diesem Wege auch sehr herzlich der Hochschule für Musik für Alles danken, was sie uns ermöglicht hat. Und da hatte Mechthild Georg, die hier als Professorin tätig ist, als Pädagogin auch ihren Anteil daran, jungen Sängern Siegfried Wagner zu vermitteln. Ich denke, dass dieser Zweisprung zur selben Zeit spannend war.

Mechthild Georg: Für den Kammermusikabend, der hier an der Hochschule stattfand, hatte ich mit einer Studentin aus Litauen zu tun, die eine Ballade gesungen hat, das Märchen vom dicken, Jetten PJannekuchen. Da, muss ich gestehen, war unser Hauptproblem, den Text zu bewältigen. Es ist ein langes Stück, und die Musik war eigentlich rela• tiv schnell transparent und singbar, aber es war eben auch zum Teil altes Deutsch mit Ausdrücken, welche die junge Dame nie gehört hatte. Das war im Grunde die Herausforderung an sie, aber sie hat das, glaube ich, sehr gerne gemacht und hat dabei auch viel sprachlich gelernt, denn sie ist noch nicht so lange in Deutschland. Ich war sehr gespannt, als ich die Noten bekam, was ein Sohn von Richard Wagner wohl für Musik schreibt. Nachdem Richard Wagner im Grunde ein Opus hinterlas• sen hat, zu dem man so schnell nichts mehr sagen kann. Ich war sehr neugierig

388 darauf, ob es ein Plagiat des Vaters sein würde oder moderne Musik. Ich kannte Siegfried Wagner nur als historische Figur und als Leiter der Bayreuther Festspiele, und natürlich als Mitglied des Wagner-Clans. Ich muss sagen, was mich sehr be• eindruckt hat und sich bis heute noch verstärkt, ist die Sensibilität dieser Musik und die Vielseitigkeit in der motivischen und kompositorischen Arbeit, die den Sängern eine große Herausforderung bietet, sowohl kammermusikalische als auch dramati• sche Qualitäten zu zeigen. Das ist ein ganz wunderbares Spannungsfeld, in dem man da singen darf.

Peter P. Pachl: Danke für dieses erste Statement. Und nun, wahrscheinlich mit Spannung von vielen erwartet, was hat denn Wolfgang Schmidt mit Siegfried Wagner zu tun? Was hat der für eine Erfahrung?

Wolfgang Schmidt: Ja, ich habe eben beim Sinnieren einen gelinden Schreck bekommen, weil ich nachgerechnet habe, wie lange das her ist. Wenn mich jetzt nicht alles täuscht, dann war es Ende 1982, als wir uns zum ersten Mal begegneten und es um die Oper An Allem ist Hütchen Schuld! ging. Schöner Titel! Es war in Hof, "in Bayern ganz oben" hieß das damals, und natürlich im Einzugsbereich von Bayreuth. Hof ist Städtebundtheater und bespielt heute noch Bayreuth in der Stadthalle. Ich glaube auch, korrigiere mich, wenn ich falsch liege, das waren so ziemlich die Anfänge der Siegfried Wagner-Gesellschaft und die ersten Versuche, komplette Stücke szenisch aufzuführen. Oder ist das so nicht richtig?

Peter P. Pachl: Was wir am Anfang dieses Vormittags gehört haben, bildete tatsächlich den An• fang. Das war Der Friedensengel in London 1976, mit Martha Mödl. Dann kamen 1977 und 1979 Siegfried Wagner-Tage in Wiesbaden mit ebenfalls noch konzer• tanten Aufführungen von Stemengebot und Sonnenflammen. Das erste, was nach dem langen verordneten Schweigen, dem Aufführungsverbot, dann erklingen und auch szenisch realisiert werden sollte, war An Allem ist Hütchen Schuld!.

Wolfgang Schmidt: Wiesbaden hat auch noch einmal Bedeutung, denn Gerd Nienstedt, damals in Hof Intendant, war ja vorher auch in Wiesbaden in leitender Position. Es war meine zweite Partie überhaupt, die ich jemals im Beruf gesungen habe. Ich habe 1982 in Hof angefangen, und die erste Partie war der Herzog in Eine Nacht in Venedig von Johann Strauss, und dann kam dieser Frieder in An Allem ist Hütchen Schuld! Ich habe das in allerbester Erinnerung, weil es ausgesprochen angenehm zu singen war.

389 Ich hatte ja damals noch überhaupt keine richtige Erfahrung als Berufssänger und kann jetzt im Rückblick sagen, dass Siegfried Wagner nicht diese extremen Schwierigkeiten bietet, wie sein Vater die manchmal eingebaut hat, von der Länge ganz zu schweigen. Es war stimmlich doch sehr, sehr positiv und sehr, sehr schön zu singen. Die Arbeit hat auch viel Spaß gemacht, und was mich besonders an der ganzen Sache interessierte, war, dass die Geschichte - oberflächlich betrachtet - ein schönes Märchen war, das man gut erzählen konnte, aber - wie ja bei den Mär• chen so üblich - hatte es einen unglaublich komplexen, psychologischen Hinter• grund. Dieser Hintergrund, den hat Peter damals auch voll ausgearbeitet. Das weiß ich noch. Das hat dann zu gewissen Entwicklungen geführt, die es mit sich brach• ten, dass diese Produktion leider nie öffentlich aufgeführt wurde.

Peter P. Pachl: Das zeigt auch, wie schwierig es Siegfried Wagner immer hatte. Natürlich auch, wie schwierig es ist, sein Werk, dass - wie wir gerade in der zurückliegenden Wo• che im Symposium gelernt haben - als Gesamtkosmos zu verstehen ist und nur in diesen Gesamtkonnexionen völlig seinen Sinn einlöst. Dass es natürlich auch sehr schwierig ist, wenn man sagt: "Wir wollen Siegfried Wagner wieder exakter hörbar machen." Er ist ein Bühnenkomponist, ein Poet der Szene, wieder aufführbar ma• chen. Bei jedem anderen Komponisten, lässt sich sagen: Ja es reicht ja, wenn man ihn wenigstens mit einem Werk, so Humperdinck mit Hänsel und Gretel, oder Kienzl mit Evangelimann - um mal in der Zeit zu bleiben - wieder präsent hat. Aber Siegfried Wagner fordert durch seine ständigen Verweise in seinem Werk geradezu heraus, dass man mehr davon erlebt und sich eigentlich mit seinem Ge• samtwerk beschäftigen muss. Die von Wolfgang Schrnidt angesprochenen Unter• schiede werden uns vielleicht noch ein bisschen beschäftigen. Von Martha Mödl stammt das Wort: "Man muss etwas für Siegfried Wagner tun, denn er hatte das Pech, der Sohn Richard Wagners und der Vater Wieland Wagners zu sein". Das meint, zwischen zwei von der Öffentlichkeit als Genies apostrophierten KÜllstler• persönlichkeiten gewirkt zu haben. John, Du hast ja auch viele andere Partien im Baritonfach verkörpert, worin liegt für Dich die Besonderheit dieser Partie?

John Wegner: Wie Wolfgang gesagt hat, man kommt mit dieser Rolle nicht an stimmliche Be• lastungsgrenzen. Man kann einfach an die Texte denken und singen. Das war eine Sache, die andere war, dass Arbogast in dieser Rolle manchmal einen lyrischen Satz hat, und dann sieht er, dass seine Frau, seine erste Frau und zweite Frau, nicht mitmachen wollen, und er ist sofort einverstanden. Siegfried Wagner gibt Dir nur zwei Sekunden, Deine Emotionen zu wechseln. Viele andere Komponisten geben Dir mehr Zeit, Dich von einer Emotion zu einer anderen vorzuarbeiten, aber er, in

390 meiner Rolle, als Arbogast, musst Du ein Schnelldenker sein. Er ist voller Liebe oder Überzeugungskraft, und dann auf einmal sagt er: ,,Ab, ok, ich sehe das an• ders". Es gibt diesen Emotionswechsel sehr häufig und manches Mal dachte ich: "Vielleicht braucht er noch zwei oder drei Sekunden mehr Zeit, den Emotions• wechsel in den Körper zu bekommen". Aber nein, es ist so geschrieben: mit einer kleinen Pause und dann los, mit einem neuen Thema. Ok. Es gibt solche Leute, die können schnell von einem Thema zu einem anderen Thema emotionell wechseln und das ist in dieser Rolle das Interessante.

Peter P. Pachl: Thorsten, der Fritigern in der heiligen Linde ist ja eine seltsame Partie. Er wird hauptsächlich nicht durch sein Thema definiert, sondern durch ein Leidenschafts• thema, was aus der Oper Der Friedensengel übernommen ist und die Leidenschaft des Ehebrechers zeigt. Das definiert diese Rolle. Darüber hinaus hast Du aus Dei• ner Beschäftigung mit Siegfried Wagner, aber auch aus der Beschäftigung mit der Musikgeschichte überhaupt, allerlei Konnexionen in der Arbeit erkannt und wir haben häufiger darüber reflektiert.

Thorsten Scharnke: Spannend, wie viel in dieser Musik drin steckt! Das hat mich eigentlich die gan• zen vierzehn Tage begleitet, hier etwas wieder zu entdecken und dort irgendwelche kleinen Anspielungen zu finden, irgendwelche Zitate oder Quasi-Zitate, bei denen man denkt: Ja, diese Stelle hätte Dvoi'äk ganz genauso geschrieben und nicht an• ders. Es gibt da eine Stelle im 2. Akt. Oder wenn Siegfried Wagner im 1. Akt einen Satz von Arbogast, der offensichtlich aus einem Siegfried-Motiv hergeleitet ist, also von Richard aus dem Ring, über Mendelssohns Schottische Sinfonie legt. Das ist ganz kurz und ganz knapp gehalten, und bevor man eigentlich weiß, was pas• siert ist, ist es vorbei. Man muss sehr, sehr wach sein oder solche Sachen vielleicht auch mehrfach hören. Einige Kritiker haben geschrieben: Man könnte dem eigent• lich gar nicht so viel folgen. Es sei so furchtbar viel drin, und ob das denn wirklich so toll sei. Ich finde es schon. Ich finde es spannend, eine Musik mehrfach hören zu können und immer wieder neue Dinge zu entdecken. Da hatten wir natürlich eine besondere Position, weil wir eben in dieser Probenarbeit alles sehr, sehr häufig hören und eben auch immer wieder Dinge entdecken konnten.

Peter P. Pachl: Dagmar Schellenberger, Du hast verschiedenste Ausschnitte, wie ja auch Thorsten Scharnke, interpretiert. Du sagtest damals, einiges davon würdest Du nicht auf der Bühne singen, nur auf der Schallplatte. Vielleicht kannst Du zu dieser Bandbreite des Soprans etwas sagen.

391 Dagmar Schellenberger: Ja. Das ist sicher wie bei anderen Komponisten, etwa Mozart, auch. Eine Partie ist fiir den Koloratursopran, eine ist fiir den dramatischen, eine ist fiir den lyrischen usw.

Peter P. Pachl: Koloratur haben wir nicht verlangt.

Dagmar Schellenberger: Doch. In einem Stück schon.

Peter P. Pachl: Beweglichkeit ist immer gefordert bei Siegfried Wagner.

Dagmar Schellenberger: Ja, die sollte man als Sänger generell haben. Auf der CD sind Ausschnitte aus den neun Opern, die eigentlich fiir drei Stimmgattungen geschrieben sind. Es steht ja zum Teil auch in der Partitur, Herr Albert, Sie wissen das, es wird geraten, es von Dreien singen zu lassen. Also das sagt schon einiges aus, was da fiir eine Power gefordert wird. Man darf sich nicht verleugnen. Ich will immer ich selber bleiben und muss es auch bleiben. Ich habe nun mal nur diese beiden Stimmbänder und was mir sonst von der Natur gegeben wurde, und ich muss meinen Weg fin• den, damit klar zu kommen. Mit Siegfried Wagner ist es jetzt eben das Schöne, dass es noch keine Vorbilder gibt. Insofern kann ich wirklich meinen eigenen Weg kreieren. Ich lebe nun auch von den Farben meiner Stimme, dass ich eben die Kontraste suche, die Zwischentöne, vom lyrischen her kommend, und dann bin ich immer sehr dankbar, wenn man auf einen Dirigenten trifft, der einen schön atmen lässt. Wo man dann die Bögen ziehen kann, der auch mal mit dem Tempo anzieht, der mitmacht, der sich nicht stur auf irgendwelche Tempivorstellungen, die er fiir sich hat, beruft, sondern auch zuhört, was der Sänger anbietet, und der den besten Weg findet. Das ist ein tolles Spiel, wenn das so funktioniert, und das sind Stern• stunden, wenn es dann auch wirklich so funktioniert. Vielen Dank an den Dirigen• ten!

Peter P. Pacht: Volker, Du hast mit den gebrochenen Helden, dem Bärenhäuter, dem Wittich, der sehr autobiographischen Figur Helferich, nun doch eine neue Farbe noch bei Siegfried Wagner kennen gelernt mit dem Philo, der taktmäßig gemessen die läng• ste Partie in dieser Oper ist.

392 Volker Horn: Ich habe auch sehr gerne Loge gesungen, und der Philo ist ein wirklich ausge• wachsener Loge, muss man sagen, was mir auch sehr gefällt, und sehr interessant auch diese Figur, auch menschlich. Der Philo ist schon, das drängt sich auf, ein Filou. Wenn Autonoe sagt, "wir belügen ihn ja", ist er richtig getroffen, weil seine Karriere auf Lügen immer aufbaut. ,,Ich bin ein syrischer Sklavensohn und toll. Wie weit habe ich es gebracht?" Es ist unglaublich, diese Facetten darzustellen, und die Wortspiele sind einfach großartig: "Philosophie bringt Philo so viel", und solche Sachen. Es macht viel, viel Freude und es verlangt sängerisch alles ab. Dar• um, finde ich, wäre es also völlig falsch, so eine Partie von einem reinen Buffo• tenor singen zu lassen. Wenn Philo singt: ,,Ja, geh zu Poppäa", und auf einmal kommt dieser ganz andere Tonfall, "sag ihr, dass sie mich entzückt", und wie er da schwärmt. Da ist er der Liebhaber. Ich bin wirklich über diese Erfahrung sehr er• freut.

Peter P. Pachl: Es ist wohl eine Eigenart von Siegfried Wagner, dass bei ihm extrem viel Text in wenig Zeit untergebracht wird. Deshalb kann man auch als Rezipient nicht im• mer alles verfolgen. Es gibt die Stelle, das Königspaar kann sich erst wieder treffen zwischen Clusium und Aretium.

Volker Horn: Clusium und Aretium. Also Clusium, geschlossene Anstalt, und Aretium, arre• tiert im Arrest. Also: ihr könnt euch nur im Gefängnis sehen.

Peter P. Pachl: Solche Wortwitze gibt es viele. Volker Horn hat gerade den Einsatz der Autonoe angesprochen. Gestern, im Symposium, wurde die Frage diskutiert, was sie da singt. ,,zur Harfe", wie es szenisch heißt, obwohl man die Harfe in dem Moment als Farbe kaum wahrnimmt. Ist das emotional? Ist das einstudiert oder ist das ehr• lich? Ist sie so raffiniert und wie geht man damit als Sänger um?

Katalin Halmai: Autonoe ist eine Kurtisane. Ich muss dazu sagen, ich hatte echt Angst vor Philo, weil er mich dazu gezwungen hat, dies zu tun. Ich glaube nicht, dass Autonoe falsch ist. Ich glaube, dass sie wirklich ungeliebt ist. Dass sie nur dazu gezwungen wird, diesen Weg zu wählen. Von einer Fischertochter zur Königin zu werden, das ist ein ganz langer Weg, und das hat sie teilweise sehr unwillig gemacht. Aber als sie singt: ,,Ich bin so einsam und ich sehne mich nach den Wäldern und dem Vogelgesang", meint sie dies ganz ehrlich. Das fehlt ihr, und die Liebe fehlt ihr auch. Ich glaube nicht, dass sie spielt.

393 Peter P. Pachl: Das ist eine direkte Antwort auf die Diskussion von gestern. Mit Sicherheit ist sie sehr positiv gezeichnet, d. h. ihre Musik geht bereits im Vorspiel zu Herzen, auch das hast Du gesagt. Es gibt, wie Dagmar Schellenberger gesagt hat, keine Schwarzweißmalerei, auch das war ein Ergebnis der Referenten im Symposium, Siegfried Wagners Ambivalenz. Im Eröffnungsvortrag von Professor Kröplin wur• den verschiedene Termini einer speziellen Siegfried Wagner-Dramaturgie geprägt und besonders häufig aufgegriffen wurde dann im Symposium der Begriff der Ummäntelung, den Siegfried Wagner betreibt: Ummäntelung, sich in mehrfacher Schale zu bergen, in der Musik etwas anderes auszusagen, als im Text steht. Dieser Zug, der auch natürlich im Leben Siegfried Wagners eine Rolle gespielt hat, und der im Extremfall als Persönlichkeitsspaltung bezeichnet wurde, ist nachvollzieh• bar in Siegfried Wagners Erinnerungen. Das käme natürlich sehr viel deutlicher heraus in einer szenischen Arbeit.

Mechthild Georg: Wir haben jetzt hauptsächlich über die Musik gesprochen und wie wir uns als Sänger fühlen, wenn wir das darstellen, singen und uns erarbeiten. Es wäre jetzt sehr interessant, und es käme auf einen Versuch an, der Geschichte und damit auch den einzelnen Charakteren noch genauer nachzugehen und sie auch stärker noch darzustellen, wenn man es einmal szenisch versuchte. Einer dramatischen Musik, die man nicht wenigstens versucht, in die Szene umzusetzen, tut man immer un• recht. Man kann, wie gesagt, darüber spekulieren, wie das wirkt und ob es funktio• niert und was die Geschichte überhaupt hergibt, aber wir wissen ja, das man so etwas auch sehr abstrakt machen und auf die menschlichen Beziehungen reduzieren kann. Das kann sehr, sehr spannend und auch noch sehr erhellend werden. Dann kann man auch die zu den Personen passenden Motive und Musik noch viel besser verstehen und nachvollziehen. Das ist es, was ich mir wirklich wünsche. Es tut mir leid, dass ich bisher die musikwissenschaftlichen Erörterungen nicht mitvollziehen konnte, weil ich einfach keine Zeit hatte dazu, da ich auch unterrichten muss und das Semester läuft. Das hätte mich sehr interessiert, auch die Textvorlagen der ein• zelnen Werke Siegfried Wagners, die mir unbekannt sind. Er hat selbst geschrie• ben, aber was sind seine Motive und Quellen? Wo hat er recherchiert? Was suchte er? Das würde mich interessieren.

Peter P. Pachl: Siegfried Wagner hatte den Stempel des Märchenopernkomponisten, weil seine erste Oper eine Märchenoper war und einen unglaublichen Erfolg hatte. Es war die meistgespielte Oper um die Jahrhundertwende überhaupt, mehr als Verdi, mehr als Mozart, mehr als Richard Wagner, und dann hatte er den Stempel weg. Er hatte

394 versucht den Stempel wegzukriegen, erst einmal, indem er etwas anderes gemacht hat, und schließlich, indem er gesagt hat: "Gut, wenn ich eine Märchenoper schrei• be, An Allem ist Hütchen Schuld!, dann sollt ihr was erleben." Dann hat er nämlich über 40 Märchen-Elemente collagiert und auf den Kopf gestellt. Neben Motiven aus Sage und Märchen gibt es historisch genau lokalisierte Opern, dazu gehört auch Die heilige Linde. Es gibt natürlich Allusionen zu Zeitstücken, aber keine explizite Vorlage.

Dagmar Schellenberger: Die Musik ruft nach der Szene. Du saßest ja im Konzert in der ersten Reihe, so zwei Meter vor mir, Peter, und es war schön, zu beobachten, wie das in Deinen Augen sprühte. Ich hatte ja auch ein bisschen Zeit, um ein bisschen zu gucken, wenn man nicht singen muss, während man sonst, wenn auf der Bühne gespielt wird, in der Garderobe sitzt. Hier darf man vorne sitzen und das alles mit ansehen. Ja, das ruft so richtig nach Szene. Man möchte am liebsten mitmachen. Ich finde, es ist sehr theatralisch geschrieben, und es sollte mich wundem, wenn das nicht funktionieren sollte auf der Bühne. Man müsste es einfach tun. Tu es, Peter!

Peter P. Pachl: Es bedarf immer der Möglichkeiten. Für den WDR war es eine große und dan• kenswerte Tat, dies realisiert zu haben. Wie gesagt, das Werk war ja vordem nicht veröffentlicht, es ist erstmals von dem Faksimile in Partitur erstellt worden in Au• stralien von Graeme Y oung. Das Material ist jetzt beim WDR, und natürlich be• stünde die Möglichkeit, die Oper szenisch zu realisieren.

Thorsten Schamke: Das wäre sicherlich sehr interessant, wobei ich mich frage, ob der Text, der manchmal doch ein wenig eigenwillig ist, dem nicht im Wege steht. Wie ich vorhin schon sagte, die Musik ist gut, es ist ein gutes Stück und es wäre sicherlich sehr interessant und sehr spannend.

Peter P. Pachl: Leider ist Roman Trekel nicht bei uns. Er wollte ursprünglich auch bei uns sein, er hat heute schon wieder eine CD-Aufnahme, der hätte sicherlich auch diesen An• satz gehabt. Es gab ein Stück auf seiner CD, das er eigentlich gar nicht singen wollte, nämlich aus Herzog Wildfang die Szene "Von Reinhards junger Liebe", weil er mit dem Text zunächst Probleme hatte; als er es gesungen hatte, meinte er: "Oh, ist das schön." Durch die Musik löst sich der jugendstilhafte Wortklang plötzlich ein und gesungen klingt es gut. Auch dies war ein Thema beim Symposi• um. Siegfried Wagner hat seine Opern als sein eigener Dichter zunächst als

395 veröffentlicht, als Dichtungen in Reimfonn. Bei der Komposition hat er ihnen ein viel besseres sprachliches Gewand gegeben, indem er die Reime häufig durch Veränderungen und Umstellungen weggenommen hat.

Thorsten Scharnke: Manchmal denke ich, er hätte vielleicht noch ein bisschen mehr von den Reimen wegnehmen sollen. Also Dosis auf Gnosis zu reimen, finde ich schwierig, und ich weiß auch nicht, ob das gewollt oder unfreiwillig komisch ist bzw. ob ich das wirklich so komisch finde.

Volker Horn: Das haben wir noch diskutiert. Dosis und Gnosis oder Dossis und Gnossis? Wir haben dann diesen berühmten Mittelweg gewählt. Ich glaube, man hat den Witz des gezwungenen Reims schon verstanden.

Peter P. Pachl: Ksenija, vielleicht Dein unterschiedlicher Eindruck von den Rollen, gerade Agnes und Siegrun.

Ksenija Lukic: Ja, das ist natürlich ein himmelweiter Unterschied. Für mich ist die Rolle der Siegrun wie eine kleine Skizze. Sie erscheint im Stück, wird von zwei Männern abgelehnt, verschwindet irgendwo und alle fragen sich: Was ist eigentlich mit der los? Ich wollte noch etwas zu diesem schnellen Wechsel sagen, den John schon erwähnt hat. Ich habe mich auch schon gefragt, was ist das für ein Mensch, der Arbogast, der kaum eine Frau verloren hat, nimmt er die nächste? Oder was ist das für eine HeIdin, die Hildegard, die ihren Mann in den Tod schickt, und kaum hat sie erfahren, dass er tot ist, schon schwört sie dem anderen die Liebe und sagt: "Ich werde Dich dann nehmen". In der Musik liegt sehr viel Charakterisierung. Ich glaube, dass es sich auf jeden Fall lohnen würde, so eine Oper auch szenisch aufzu• führen, denn die Szene eröffnet neue Dimensionen. Wir haben damals einiges von Siegfried Wagner Openair gemacht. Es ist ein absolut tolles Gefühl, für die Zu• schauer wie für die Sänger und Darsteller.

Dagmar Schellenberger: Ich muss kurz die Hildegard etwas rehabilitieren. Ich meine, sie wurde durch Intrigen von dem liebenswerten Herrn Philo irgendwo in die Walachei geschickt, und mit dem Kind bleibt sie ihrem Arbogast treu. Sie weiß nicht, was passiert ist, und sie hätte sich ja vielleicht auch schon in der Zeit anderweitig umgucken kön• nen. Es ist ja viel Zeit vergangen seit der liebe Arbogast mit der Nebenbuhlerin

396 verheiratet ist. Sie bleibt ihm treu, aber es war eine Ehe, die aus Vernunft und aus Hierarchiegründen geschlossen wurde. Das war keine Liebesheirat. Das soll es ja geben. Als Fritigern auftaucht, entdeckt sie in sich plötzlich auch dieses Beben, dass es mehr gibt, als nur Ehefrau zu sein, sondern dass es auch noch die Möglich• keit gäbe, eine Geliebte zu sein. Dies entdeckt sie als junge Frau das erste Mal in dem Blickwechsel mit Fritigern, und als Arbogast sie dann wieder findet, mit dem Kind, dann sagt sie: "Werde meiner und des Kindes wert, indem Du in den Kampf ziehst." Das entspricht jener Zeit, die diese Ehre, dieses Hoheitsvolle verkörpert. Dass er nun fällt ist Schicksal. Schicksal. Sie sagt ihm dann ja nicht: "Wunderbar er ist tot, dann nehme ich Dich." Sie sagt: ,,Lass uns Zeit. Erst einmal die Wunden heilen, und dann stehe ich auch zu meiner Liebe, die ich durchaus für Dich habe." Das nur zur Rehabilitierung der Hildegard.

John Wegner: Zum Thema Arbogast: Ich liebe die Schauspielerei. Meine erste Liebe ist die Schauspielerei, dann kommt die Musik und dann kommt die Stimme und alles, das ganze Paket. Meine Lebenssache ist, dass ich etwas ausdrücken und dem Publikum etwas geben möchte. Den Charakter Arbogasts gut verarbeiten. Er ist ein Mann, der will. Er ist ein Vordenker, er will sein Land vom alten Wege auf neue Wege, auf römische Wege fiihren. Er erinnert mich an einen Premierminister in Australien in der Vietnamkriegszeit, als Präsident Johnson nach Australien kam und sagte: ,,zieh mit uns in den Vietnamkrieg." Der Premierminister hat gesagt: ,,All away with Lyndon B. Johnson. Wir gehen alle Wege mit Lyndon B. Johnson." Er war so überzeugt, dass man das tun sollte. Arbogast sieht, dass sein Volk und seine Frau nicht sehr zufrieden mit diesem Wechsel zu neuen Zeiten sind, aber er denkt: ,,Ab, das größere Gut ist, dass wir uns mit den Römern verbünden". Leider traut er zu viel und traut er Philo alles. Er hat gar nichts gegen seine Frau, er liebt sie. Aber sie meckert ein bisschen und er sagt: "Ok. Sie muss nur Zeit haben. Sie wird auch ler• nen, irgendwann die römische Tracht anzuziehen." Dann, wenn seine V erzweife• lung kommt: ,,Hat sie mich wirklich verlassen? Ist das wahr? Männer sind offen, sehen nicht diese sanfte Seite vom Leben. Wie bei geschiedenen Partnern kommt dann sehr schnell eine Reaktion von Liebe. Er ist offen für eine andere Frau. Ja, als ein Drama für meinen Charakter ist das sehr passend. Ich dachte, nein, er hat das in psychischer Hinsicht sehr gut geschrieben.

Peter P. Pach!: Wir haben beim Symposium natürlich auch sehr heftig über verschiedene Punkte diskutiert, über die es kontroverse Meinungen gab. Über das Weltbild, über die Religion - hier werden ja verschiedene Religionen miteinander konfrontiert - über die Politik, über dieses Stück - in welcher Zeit das stand -, diese Forderung

397 an Siegfried Wagner, eine Nationaloper zu schreiben, wie er sie scheinbar erfüllt und unterlaufen hat. Auf ganz große Probleme bei den Rezipienten im Kreis des Symposiums ist insbesondere der Schluss der Oper gestoßen. Darauf wollte ich Euch nur gefasst machen, wenn wir jetzt die Diskussion für den Rest der Zeit fürs Publikum öffnen, da waren nämlich gerade schon emotionalisierte Wortmeldungen von Roland Dippel. Bitte, ja, wenn Sie alle immer ans Mikro gehen und auch we• gen Rundfunkaufzeichnungen Ihren Namen dazu sagen.

Roland Dippel: Ich wollte eine Frage an Frau Schellenberger, alias Hildegard, stellen. Sie haben ja in Ihrer Interpretation, bei aller Wortverständlichkeit, mehr die lyrischen Werte betont. Mir ist aufgefallen bei der Rolle der Hildegard, dass sie eigentlich die kon• servativ legitimierende ist, bis in den 3. Akt. Als sie aber die junge heilige Linde pflanzt, findet das ja an einem anderen Ort statt, nämlich bei ihrer Hütte, d. h. sie reetabliert einen Kult unter vollkommen neuen Bedingungen. Es ist etwas anderes, also da wird ein tradiertes Wertsystem verpflanzt auf neue Umstände, die eigent• lich mit dem alten Wertesystem nichts mehr zu tun haben. Sind Ihnen für diesen Bruch der Hildegard - der sich ja auch in dem rauschhaft und bewusst groß aufge• bauten Finale manifestiert, wo durch eine Vergrößerung das heilige-Linde-Motiv, zertrümmert wird ins Apotheotische - im Verlauf der Gestaltung ihrer Rolle in der Komposition des Gesangsparts Brüche aufgefallen, die auf diesen dramaturgischen Konflikt Hildegards verweisen? Oder sind Ihnen Fragwürdigkeiten aufgefallen? Sie sagten ja selbst, Siegfried Wagner male nicht weißschwarz, aber vor allem bei dem ersten Angucken, bei den ersten Klavierproben, gäbe es da Phrasierungen, die Ihnen psychologisch nicht plausibel erschienen oder Stellen, die sich mit den Er• fahrungen im Fach des jungendlich-dramatischen Soprans - z. B. im Vergleich mit der Myrtokle oder der Gänsemagd, also Klangtopoi der Entstehungszeit - über• haupt reiben oder sich nicht erklären lassen?

Dagmar Schellenberger: Generell habe ich diesen Bruch nicht empfunden. Sie hat für einen Sopran sehr viel Tiefe, und das wechselt dann auch ganz schnell wieder in die Höhe. Also man muss immer sehen, dass man vom Stimmtechnischen mit hinterherkommt, aber einen Bruch direkt habe ich persönlich nicht empfunden, überhaupt nicht. Für mich setzt sich an sich die Linie vom Anfang bis zum Ende durch. Gut, man kann strei• ten, ob das kleine, frisch gepflanzte Lindenbäumchen diesen fulminanten Schluss in dieser hymnischen Wucht erträgt.

Peter P. Pachl: Gut.

398 Dagmar Schellenberger: Ja? War das jetzt gut gesagt? Ich musste gerade an Frau Mödl denken, wo die Bäume abgehauen wurden. "Das brachte uns nicht Glück und Heil", singt die Hil• degard, dass der Lindenbaum, nur weil er die Aussicht von dem holden Gatten störte, abgeholzt wurde. Jetzt, wie Frau Mödl da umziehen musste, als die Bäume abgesägt wurden, was ihr anscheinend auch kein Glück und Heil gebracht hat. Ich bin ja nicht sehr mystisch veranlagt, aber irgendwo hat sich mir dieser Bogen jetzt aufgedrängt. Ich bin auch persönlich sehr mit Bäumen verbunden, liebe die Natur sehr, deswegen kann ich es gut nachvollziehen. Ich weiß auch, wie man ein kleines Bäumchen einsetzt, wie man es hegt und pflegt. Dass es einfach die Hoffnung weiterführt. Sowohl im Szenischen, wie auch in der Musik gibt es für mich keinen Bruch. Den müsste man auch mal von unten hören. Es ist sehr, sehr wulstig, der Schluss. Ich habe dann auch ein bisschen Angst um mein Bäumchen gehabt, muss ich gestehen, aber das wächst, es übersteht auch diesen Sturm und wächst weiter.

Volker Horn: Wenn Siegfried Wagner dieses junge Christentum hier einmal in diese Szene hineinbringt, finde ich es so schön gesagt. Es sind tolle Texte, und er hat sicher auch nicht umsonst das Wort "Schlachten" dort eingeführt. Es ist unglaublich. Er vertieft es dann ja nicht weiter. Aber dieses Christentum kommt noch einmal in der Schlussszene zum Tragen. Siegfried Wagner kannte ja auch Italien und die Idee der Verbindung des Nordens mit dem Süden, hat ihn bestimmt bewegt. Die Verbin• dung dieser Kulturen hat für ihn bestimmt eine große Rolle gespielt, und er sieht es ganz positiv. Die Götter, die da alle vorkommen: er nimmt keinen römischen Gott und er nimmt keinen germanischen Gott, er nimmt den griechischen Göttervater Zeus. Das ist alles so unglaublich, es ist fantastisch. Ich glaube, gestern herrschte dieses Gefühl für uns alle, auch im Publikum, dass wir uns einfach gefreut haben an dieser positiven Musik, und nicht so viel Politik hineingeheimnissen wollten.

Sven Friedrich: Ich denke, Herr Horn, Sie haben Recht. Ich muss das in einer gewissen Selbst• kritik als Wissenschaftler vielleicht einräumen. Unsereiner neigt ja vielleicht man• gels eigenkreativen Vermögens dazu, die Sachen intellektuell zu problematisieren, was vielleicht nicht schlecht ist, da es hin und wieder auch einen Erkenntnisgewinn bringt. Wenn man sich aber auch die Produktionsbedingungen vergegenwärtigt, unter denen Siegfried Wagner z. B. dieses Libretto in verhältnismäßig kurzer Zeit geschrieben hat, dann mag auch die Frage berechtigt sein, ob diese dreifach, vier• fach kapriolenhafte Reflektionsebene vorhanden ist. Das ist spannend und das ist aufregend, aber er macht es uns eben nicht einfach. Also zum Beispiel: Wenn das losgeht zwischen Hildegard und Arbogast. Ich kannte das Werk nicht, ich kannte

399 das Libretto, aber das sagt ja nichts über die Gestaltung dieser Figur, die da ent• steht. Da habe ich erst einmal gedacht: Klar, EIsa, die wird etwas aushalten müs• sen, und das ist der Böse. Dann habe ich gedacht: Es stimmt nicht. Und dann habe ich wieder gedacht: Es stimmt doch. Das liegt, glaube ich, daran, wir hatten gestern im Symposium auch schon darüber gesprochen, dass die Sympathielenkung immer genau an den Stellen, wo man sich sicher zu sein glaubt, umgebogen wird. Also Hildegard, die zunächst einmal als die Antiaufklärerin dasteht, die möchte, dass dieses Opfer vollzogen wird. Da sagt man erst: Ja, der Arbogast ist ja eigentlich der Vernünftige, der Aufklärer, der nicht möchte, dass da Menschen umgebracht wer• den. Klar, das ist der Humanist, aber dann fällt einem auf, dass eben Hildegard diejenige ist, die eigentlich die Staatsraison vertritt, die eigentlich Arbogast vertre• ten müsste. Also macht sie sozusagen seinen Job, und das macht sie aus kluger Überlegung, weil sie weiß, wenn das jetzt nicht passiert, wenn die Staatsraison ge• fährdet wird, dann kommt das ganze ins Rutschen und ins Wanken, und deswegen ist sie am Ende sowohl HeIdin als auch tragische Erscheinung. Das ist bei allen Figuren eigentlich so. Jetzt ist natürlich immer die Frage, wie weit treibt man das? Wie weit treibt man das dialektische Spiel? Wie weit ist das Gesagte jetzt das Ge• meinte? Oder ist hinter dem Gemeinten noch etwas anderes, und wie viele Meta• ebenen gibt es eigentlich? Diese Deklamation kann man vermutlich bis ad absur• dum treiben, und das ist das Interessante bei den Figuren und bei der Dramaturgie, aber vielleicht auch das Schwierige. Also wie gesagt: bei aller Selbstkritik viel• leicht die Sachen ein bisschen tiefer hängen. Zwei Fragen, die sich mir beim Anhö• ren aufgedrängt haben - vielleicht an alle Protagonistinnen und Protagonisten. Er• stens: Hätten Sie nicht manchmal doch, von den zwei Ausnahmen, Hildegard und Autonoe, vielleicht abgesehen, noch eine etwas schönere geschlossene Arie an der einen oder anderen Stelle wünscht, die Siegfried Wagner im großen Rezitativ wei• testgehend vermeidet? Die zweite Frau auch zu dem Finale: Frau Schellenberger hatte vorhin gesagt, sie hatten das Orchester im Nacken, ja, man spürte das auch. Zu diesem Finale, das wir im Symposium sehr kontrovers diskutiert haben, wieder die Frage der Dialektik. Will er jetzt groß sein? Meint er die Größe? Oder will er sozusagen durch diesen Bombast eigentlich das Bombastische desavouieren? Das ist die Frage, um die wir gekämpft haben. Ich habe mich da auf etwas verlorenem Posten gefunden, weil ich das Finale immer verteidigt habe, aber gut, Richard• Wagnerianer, da hat man es ja gerne etwas dicker. Mich würde aber interessieren, wie hat es auf Sie gewirkt, auch noch mit der Psychologie dieser Figur im Leibe, wenn dann von hinten die große Walze kommt? Ist das erhebend im Schillerschen Sinne? Ist das jetzt wirklich ein großes Opernfinale? Zumindest scheint es beim Publikum so angekommen zu sein.

400 Dagmar Schellenberger: Ja. Das ist das wichtigste.

Sven Friedrich: Das kam mir nämlich auch so vor, und dann hat sich fiir mich persönlich die Frage fast erledigt gehabt, aber ich wollte das gerne referieren, weil das wirklich ein Punkt war, den wir im Symposium sehr kontrovers diskutiert haben.

Mechthild Georg: Ich denke, da sind zwei Dinge, mindestens zwei Dinge, auf einen Nenner ge• bracht worden, nämlich das Bestreben des Komponisten, auch aus seiner Zeit und seiner Geschichte heraus, ein positives, strahlendes, ja fast auch heldisches Ende musikalischer Form zu setzen, die fiir die Mitwirkenden, die Musizierenden, aber auch fiir das Publikum ein erhebendes Gefühl evozieren soll, was ja auch, ich muss es von meiner Erfahrung her sagen, wirklich gelungen ist. Der zweite Aspekt ist die positive Vision auf eine produktive Zukunft dieser Gesellschaft, die da beschrieben wird und durchgesetzt werden soll, so empfinde ich das. Ich denke, dass die kleine Linde, das junge Bäumchen, jetzt wirklich symbolischen Charakter hat und damit auch nicht mehr niedergetreten wird. Die Pflanzung des jungen Lebens· soll ein symbolischer Akt sein an den Glauben, an die positive und friedliche Zukunft.

Peter P. Pachl: Auf dass Wolfgang Schmidt mal wieder zu Wort kommt, die Frage der Nicht• Arien, der Verteilung. Gerade Frieder geht ja nun durch Himmel und Hölle sozusa• gen zu Tod und Teufel. Wie hast Du das in Erinnerung?

Wolfgang Schmidt: Also ich habe derlei nicht vermisst, wobei man das bei seinem Vater auch be• mängeln könnte in manchen Partien, dass da wenig Ariosi drin sind. Ich denke aber, in der durchkomponierten Form sind immer noch so viele wunderbare Stellen zum Singen da. Auf die Spitze getrieben würde ich sagen: lieber zehn wunderbare Stellen als eine schlechte Arie.

Thorsten Scharnke: Fritigem hat so viel Schönes zu singen und hat geschlossene Szenen, die man durchaus auch als Arien bezeichnen könnte. Nicht im exakt musikwissenschaftli• ehern Sinne, sicherlich nicht, aber es sind eigentlich zwei abgeschlossene Szenen, wo verflixt viel schöne Musik drin ist. Zum Lindenbaum: Ich denke, es ist wesent• lich, dass dieser Baum gepflanzt wird. Der Ort ist gar nicht wichtig. Der muss nicht da gepflanzt werden, wo der alte Baum stand. Es kommt nicht auf den Ort an, son-

401 dem auf die Tatsache an sich, auf das Ding, auf den Baum, der eventuell beseelt ist, und natürlich auch der Baum, der dann in dem Moment auch für den alten steht. Ich denke, das ist vielleicht auch eine Vorstellung, die aus dem frühen Mittelalter oder noch aus der Antike weiter wirkt, wo Heiligenbilder deshalb wundertätig sind, weil sie mit einem Original in Verbindung standen, weil es da eine Beziehung gibt. Und ich denke, das ist hier ganz ähnlich gedacht.

Dagmar Schellenberger: Ich muss mal eine Gegenfrage stellen. Ich meine wir sind die Ausführenden, wir sind dann immer sehr involviert, und man denkt an alles Mögliche. Ich habe in der Runde im Publikum so viele Leute gesehen, die die Augen geschlossen haben, die in der Musik auch den Kopf mitgewiegt haben, und ich muss mal fragen: Wie hat die Musik auf Sie gewirkt? Ich finde, sie stahlt unheimlich viel gute Laune aus. Ich muss das wirklich mal zurückfragen, wie das von unten aufgenommen wurde. Das interessiert mich.

Andreas Bimmermann: Ich war auch vom Finale gerührt, muss ich sagen. Es kam ja erst das Volkslied von der Linde und dann stimmten alle mit ein, die Soli, der Chor und das ganze große Orchester, und da dachte ich mir, immer wenn es am schönsten ist, ist es zu Ende. Ich bin ja auch ein verhinderter Komponist und kenne auch andere Berliner Komponisten, und mir kam irgendwie eine Parallele zum Schluss von Turandot und da dachte ich mir, wenn Siegfried Wagner genauso Effekthascherei wie Pucci• ni betrieben hätte, dann hätte er das Volkslied von der Linde an den Anfang des 3. Aktes gesetzt, damit alle sagen, was für ein schönes Volkslied, und am Ende erklingt es noch einmal.

Thorsten Schamke: Sie wissen, dass der Schluss nicht von Puccini ist?

Andreas Bimmermann: Ja, das weiß ich, von Alfano. Aber ich denke mir, es ist aus einem Guss. Als ich das erste Mal, da war ich 19 Jahre alt, Siegfried Wagner gehört habe, so knapp als Abiturient, das war die sinfonische Dichtung Glück, die hat ja auch herrliche Auf• schwünge, musikalisch. Da dachte ich mir, das ist der Gegensatz zu anderen Kom• ponisten wie Puccini, aber auch zu Richard Wagner. Er hat wunderbare Stellen, aber er verwendet sie sehr sparsam. Warum tut er das? Warum verzichtet er auf eine gewisse Effekthascherei, die das Publikum vielleicht berührt, anrührt und vielleicht noch mehr begeistert hätte? Ich weiß es nicht.

402 Peter P. Pachl: Professor Ion Zottos aus Athen, der über Clement Harris und die Familie Wag• ner referiert hat, sagte mir in der Pause, er hat in dieser Kampfmusik, und das ist dann doch auch wieder eine wichtige Herme, eine Paraphrase auf Clement Harris' Komposition "Paradise lost" erkannt.

Günter Lang: Ich war eigentlich Dirigent im Sinfonieorchester Saalfeld; es wurde dann auf• gelöst und so kam ich nach Rudolstadt. Da hatte ich den Auftrag und habe mich bereit erklärt, den Studienleiter zu machen. Natürlich fing ich dann mit den Sieg• fried Wagner-Opern an. Wir haben Bärenhäuter und Schwarzschwanenreich und das Wahnopfer und Banadietrich produziert. Ich war der erste, der diese Musik praktisch unter die Finger kriegte. Ich habe gemerkt, es lässt sich wunderschön spielen. Dann habe ich versucht, den Sängern Siegfried Wagner näher zu bringen, obwohl ich selber keine Ahnung hatte. Ich komme von Richard Wagner her, aber ich habe dann festgestellt und versucht, den Sängern weiterzugeben, dass es keinen einzigen Fall gibt, wo der Text nicht die Musik bestimmt, wo also kein achtel Auftakt oder ein sechzehntel Auftakt nicht genau auf den Text geschrieben ist. Ich habe gesagt: "Bitteschön. Es ist doch eigentlich so komponiert. Du brauchst doch eigentlich gar nichts zu machen. Du brauchst nur den Text zu servieren." Dass si• cherlich darin auch wunderschöne Melodien stecken, das war ja selbstverständlich, aber mich hat dabei meistens mehr die andere Seite interessiert. Ich meine Beth Johanning, die Hulda im Schwarzschwanenreich verkörpert und wunderschön ge• sungen hat, die schönen Teile, die die Ksenija Lukic gesungen hat. Die Bösewichte aber waren eigentlich für mich viel interessanter, schon deswegen, weil ich mehr Arbeit mit ihnen hatte. Ich musste versuchen, diese vertrackten Dinge zu vermit• teln, wie auch beim Kurzbold, denn ich habe auch noch das Stemengebot mit vor• bereitet, das dann leider szenisch nicht verwirklicht werden konnte. Mit diesen Partien hatte ich sehr viel zu tun. Mich hat eigentlich nur Eines gestört bei Sieg• fried Wagner, nämlich das er nicht jedem Sänger so einen Art Schlusspunkt gege• ben hat. Also ich dachte immer so, dass man zum Schluss noch einmal alle auf die Bühne bringt und alle noch etwas zu singen haben. Das geht natürlich dramatur• gisch schon nicht und dadurch kam es vor, dass ein Sänger mittendrin aufgehört hat und hatte nichts mehr zu tun für den Rest der Oper. Da werden Sie mir bestätigen, dass das öfters der Fall war auch beim Banadietrich und beim Schwarzschwanen• reich, auch der Bariton hört mittendrin auf mit einer wunderbaren Arie. Das war das eine, was mich interessiert hat. Ich habe auch Herrn Pachls Inszenierung von An Allem ist Hütchen Schuld! gesehen und ich habe festgestellt, dass eigentlich Siegfried Wagner ohne die Bühne nichts ist. Schade, dass man jetzt konzertant auf• fuhren muss. Erst wenn man eine Inszenierung hat, sieht man, das Wort, die Musik,

403 das Bühnenbild und die Inszenierung sind Eines. Wenn ich mich an solche Höhe• punkte erinnere wie Frau Lauterbachs Inszenierung Schwarzschwanenreich oder von Herrn Pachl inszeniert der wunderbare Banadietrich und vor allem seine In• szenierung vom Hütchen, da sieht man, das ergibt dann endlich ein Gesamtkunst• werk. Peter wird da wahrscheinlich noch weiter gehen und wird sagen, sämtliche Opern Siegfried Wagners im Zusammenhang gesehen, ergeben noch ein größeres Gesamtkunstwerk. Aber die Inszenierung, die hat mir gestern gefehlt. Das ist ganz logisch. Ich hatte mir gestern vorgenommen, nichts kennen zu lernen, außer dem Inhalt des Stückes, und wirklich mal das Stück wirken zu lassen. Es ist so: jedes Mal, wenn Siegfried Wagner im Rundfunk auftaucht, da läuft es einem doch irgendwo kalt über den Rücken. Die Musik nimmt einen sofort gefangen, von der Ouvertüre an, und so hat sich das den ganzen Abend fortgesetzt. Ich muss dabei das große Kompliment machen, dass ich jedes Wort verstanden habe, was nicht immer selbstverständlich ist, und dass wir einen Dirigenten hatten, der wirklich dramaturgisch gearbeitet hat. Da gab es keinen Bruch in dem Stück, wie es bei manchen Aufführungen der Fall war, wo man gesagt hätte: Naja, das könnte ein bisschen schneller sein, hier könnte man den Sprung machen usw. Beim Bären• häuter hatten wir blöde Sprünge. Man sah überhaupt nicht mehr durch, wie über• haupt die Handlung richtig läuft, bzw. es war nichts mehr da, was das zusammen• gehalten hat. Hier hatte man die vollständige Aufführung und einen solchen ge• schlossenen Eindruck, dass ich wirklich durch die ganze Aufführung beglückt wur• de. Meine Schwester, die überhaupt keine Ahnung hat von Siegfried Wagner, hat sich begeistert darüber geäußert: "Das ist ja endlich mal eine Musik für mich." Das ist, glaube ich, das Wesentliche dabei, die elitäre Musik Richard Wagners und hier die für jeden Menschen sehr gut verständliche Handlung und Musik. Alles zusam• men ergibt ein Kunstwerk. Es wäre sehr schade, wenn das nicht weiter gepflegt würde.

Thorsten Scharnke: Trotzdem muss ich doch jetzt mal eine Lanze für Richard brechen. Ich finde die Musik überhaupt nicht elitär. Sie ist zugänglich, und selbst da, wo man vielleicht denken würde, sie ist schwierig, geht sie unmittelbar zu Herzen. Ich habe das erlebt mit meiner kleinen Tochter. Als die vier oder fünf war und ich meinen ersten sang, hörte ich irgendeine uralte Aufnahme von Karl Muck, 3. Akt, der dirigierte. Das Vorspiel zum 3. Akt Parsifal ist ja nun nicht unbedingt etwas volks• liedartiges, möchte ich mal sagen, und dieses kleine Mädchen sagte zu mir, ich wusste gar nicht, dass diese Musik so schön ist. Wenn das elitär ist, dann weiß ich es nicht.

404 Peter P. Pachl: Du weist noch auf etwas anderes, ganz Wichtiges hin: Die Heranführung der Ju• gend. Deshalb fand ich auch die jungen Stimmen in Siegfried Wagners Jugend• kompositionen so schön und wichtig. Es kamen sogar zwei Kompositionen hier zur Uraufführung: Die allererste Komposition, die von Siegfried Wagner erhalten ist, die Fuga, und ein Adagio. Das ist kulturpolitisch so wichtig, wenn wir hier ein Fo• rum haben, mit Rundfunk usw., dies noch einmal zu sagen, wie schlimm es ist, dass der Musikunterricht abgeschafft wird und dass wir diese Kultur, die uns mal ausgezeichnet hat, auch noch aufzugeben drohen. Äußerlich abzulesen ist dies an der Schließung von Theatern, an der Schließung von Orchestern etc. Das ist des• halb so schlimm, weil, wie das Beispiel von Thorsten sagt, eben gerade die Kinder offen sind für Kultur. Als meine Tochter drei war, war sie vom Fernsehen bei "" nicht wegzubringen.

Thorsten Schamke: Diese kleinen Kinder, die sind alle zuerst einmal neugierig, und das sollte man nutzen.

VolkerHom: Als wir mit Professor Albert das Sternengebot erarbeitet haben mit dem Bayeri• schen Landesjugendorchester, spielten diese jungen Menschen, die ja alle praktisch noch im Studium sind, aber alles Profis werden, mit Begeisterung diese Musik. Und auch hier, dieses Orchester, hat uns mit einer großen Begeisterung, mit viel Freude hier begleitet. Zu den szenischen Aufführungen muss ich noch loswerden, was auch passieren kann, im Freien: Wir haben in Rudolstadt den berühmten Bärenhäuter gespielt auf dem Schlosshof der Heidecksburg, und da gibt es diesen berühmten Pfingstspaziergang. In Rudolstadt hatten wir auch einen Pfingstochsen, das war allerdings eine als Pfingstochse hergerichtete und geschmückte Kuh. Der Bürgermeister geht mit seinen Töchtern voran und für diesen Pfingstochsen war der technische Direktor zuständig. Als diese Szene dann vorbei war, ging er mit dem Vieh ab, und kurze Zeit später, ich war gerade im schönsten Liebesduett mit Beth Johanning, zeigte sich die Kuh so begeistert von der Musik, dass sie wieder zurück auf die Szene kam. Was da los war, das können Sie sich nicht vorstellen!

Mechthild Georg: Musikalische Kuh!

Dagmar Schellenberger: Tiere und kleine Kinder auf der Bühne ...

405 Mark Gruppe: Ich bin von Haus aus Theaterwissenschaftler und beschäftige mich in meiner Promotion im Moment sehr stark mit Figuren, Psychoanalyse mit Figurenanalyse, mit figurendramaturgischen Fragestellungen. Ich muss sagen, mich hat am Mitt• woch sehr beeindruckt, dass es wirklich jedes mal schade war, wenn man ins Pro• grammheft schauen musste, um doch noch einmal kurz in die Handlung zu gucken und den Blick von Ihnen als Interpreten abzuwenden, weil sie wirklich Unglaubli• ches, auch mimisch und mit sehr sparsamen, sehr geschmackvollen Gesten, gelei• stet haben für diese Figuren. Deswegen möchte ich da eine Frage an die singenden Damen loswerden. Wie sehen Sie die Umsetzung von Religionen in dem Stück? Vom Libretto her und auch musikalisch? Ich würde sagen, ich sehe da so drei Gruppen. Es wäre vielleicht die Sigrun und die Gundelind, die in dieser germani• schen Sphäre da verharren. Sehr interessant finde ich - Frau Schellenberger, Sie haben das wunderbar rübergebracht - die Hildegard und die Berührung mit dem Christentum, auch wenn sie vielleicht sehr in der Sphäre der beiden anderen er• wähnten Damen verharrt. Wie schaut denn ihre Religion am Schluss der Oper aus, nach den Begegnungen, die sie über die Rettung in der Zirkusszene mit dem Chris• tentum gehabt haben? Und natürlich die Frage an Frau Halmai. Wie sieht das aus mit diesem römischen Isis-Kult? Was passiert da musikalisch? Was passiert in die• sen Figuren? Wie haben Sie das erlebt? Denn man hat sehr deutlich gesehen, dass Sie sich sehr intensiv mit diesen Figuren beschäftigt haben, nicht nur musikalisch, sondern auch szenisch. Das war wunderbar. Also noch einmal ein ganz großes Lob! Das habe ich selten so intensiv erlebt bei einer konzertanten Auffiihrung.

Katalin Halmai: Also für ein Fischermädchen, Fischertochter aus Milet, ist das ein ganz langer Weg, und sie fühlt sich irgendwie gereinigt von ihren Schulden. Im zweiten Akt• finale schon, habe ich das Gefiihl gehabt, nimmt sie diese Stimmung auf. Sie wird aufgenommen von Arbogast und versucht dann, sich so zu verhalten, dass sie auch wert ist, ein ganz normales Leben mit dem König zu führen. Ich glaube das ist so etwas wie eine seelische und moralische Reinigung für sie. Sie versucht sich damit zu identifizieren.

Peter P. Pach!: Beim Symposium haben wir jeden Tag heftig gearbeitet von 9.30 Uhr bis 17.30 Uhr, mit einer ganz kleinen Mittagspause nur, oder sogar noch länger. Und die Religion - ich hoffe ja es wird ein Tag kommen, wo sie das auch nachlesen können - war unter anderem der Diskussionen. Gestern war, dass Autonoe sogar Elemente hat von der Maria Magdalena und dann auch der Bezug zu Milet, weil das ja auch in der Mission eine Rolle spielt, wie der Fischer, wie doch wieder eine christliche Herme hineinfließt.

406 Dagmar Schellenberger: ,,Kann ein Gott getötet werden?", fragt die Hildegard und "Was ist eine Christin?" Sie geht sehr naiv, sehr unverbaut, sehr unverbildet, nicht dogmatisch an die Sache heran. Sie nimmt ganz naiv das auf, was Fritigern ihr erzählt. Für sie ist völlig unverständlich, dass Menschen geopfert werden, nur weil sie einer ande• ren Religion zugehören. Das ist vielleicht auch ein Grund, warum sie sich in Friti• gern auch verliebt, weil er die Christin rettet. Aber ich weiß nicht, inwieweit die Religion fiir Hildegard bis zum Schluss eine Rolle spielt. Ich glaube, sie bleibt in ihrer recht unbefangenen und schlichten naturgennanischen Religion, aber irgend• wo unverbaut, unverblendet von irgendwelchen anderen Dingen, offen für alles, denke ich.

Thorsten Schamke: Ich finde gerade die Geschichte mit der Religion und den verschiedenen Göt• tern, die genannt werden, sehr interessant. Kann ein Gott getötet werden? Selbst• verständlich. Ein Blick in die germanische Mythologie zeigt, dass sowohl Asen als auch Wanen häufiger starben. Die waren ganz normal sterblich, konnten getötet werden, und nur die goldenen Äpfel, nicht Freias, sondern Idunas, ermöglichten den Göttern, also den Asen, die eben darauf Zugriff hatten, eine VeJjüngung und dadurch ein potentiell ewiges Leben. Hier in der heiligen Linde ist es doch auch so, dass man manchmal fast den Eindruck hat, Siegfried Wagner nennt alle möglichen Götter eigentlich, ohne da wirklich ein System zu haben. Es ist Isis, es ist Christen• tum, es ist Nerthus, die vorkommt, es ist Zeus, der genannt wird anstelle von Jupi• ter, es ist in der Schlussapotheose nicht etwa, wie es sein müsste, Qdin und Thor, sondern Wotan und Thor - auch wieder interessant. Ist es nun tatsächlich nur ein Konglomerat oder wirklich etwas ganz genial Durchdachtes - wir trennen Religion nicht, sondern wir fügen Religion zusammen - das vermag ich so ohne weiteres nicht zu sagen.

Peter P. Pachl: Ich hätte noch einmal am Ende an jeden die Frage: Was nehme ich mit aus die• ser Erfahrung, bzw. was will ich dafür tun oder was empfehle ich uns allen?

Wolfgang Schmidt: Ja, das kommt jetzt ein bisschen überraschend, aber ich kann ganz konkret sa• gen, was ich gerne tun würde, wäre mal wieder Siegfried Wagner singen. Ich habe vor ein paar Tagen mit einem Orchesterintendanten, bei dem ich jetzt sowieso et• was mache, geredet, auch hier über dieses Symposium, und mit ihm eigentlich vor• genommen, mal wieder etwas Konzertantes zu machen, weil ich es sehr, sehr scha• de finde, dass die langjährigen Bemühungen nicht jenen Erfolg haben, den man

407 sich wünschen würde, weil die Musik es wirklich wert ist, wie auch der dramati• sche Inhalt der Stücke. Man sollte also nicht locker lassen, und Du bist ja nun der Vorkämpfer an allererster Stelle. Es ist wirklich bewundernswert, dass Du das machst, und ich wünsche mir, dass sich das mehr durchsetzt und wir in Zukunft mehr von dieser wirklich qualitativ sehr, sehr hoch stehenden Musik hören werden.

Mechthild Georg: Ich würde mich in jedem Punkt ihm anschließen und sage Dir persönlich, als Initiator der Sache: Ich wünsche Dir, dass es Dir mit Hilfe von Rundfunkanstalten, Geldgebern, Theatern, Musikwissenschaftlern weiter gelingt, diese Musik unter das Volk zu bringen, bekannt zu machen. Und was empfehle ich? Ich empfehle, diese Musik in Szene zu setzen!

Volker Horn: Also dem gibt es absolut nichts mehr hinzuzufügen.

Katalin Halmai: Ganz meinerseits. Wenn auf mich noch ein Siegfried Wagner-Stück zukommen sollte, würde ich das sehr, sehr gerne machen, auch szenisch, und ich lasse mich auch weiterhin sehr begeistern von dieser Musik.

Dagmar Schellenberger: Dem schließe ich mich an. Mein Wunsch ist, dass die CD, die wir jetzt im No• vember noch ganz fertig stellen werden, richtig gut wird, weil auch das ein Mittel ist, um wirklich viele Leute zu erreichen und zu begeistern für die Musik Siegfried Wagners, in die ich mich wirklich auch verliebt habe, das muss ich sagen. Man kann sie schön singen, und ich hoffe auch, wir können das in der Runde hier ma• chen, szenisch. Wir müssen bloß jemanden finden, der es produziert.

Thorsten Scharnke: Ich kann mich kurz fassen. Um ein Wort von Richard Wagner abzuwandeln: Kinder hört Neues! Seid neugierig! Es gibt viel Musik, die es sicherlich lohnt, aus• gegraben zu werden.

Ksenija Lukic: Also ich kann nur dazu sagen, da ich mich jetzt schon zehn Jahre mit dieser Musik befasse, betrachte ich uns hier als Boten der Siegfried Wagner-Musik. Wir sollten in der Lage sein, sie auch bei Leuten zu verbreiten, die diese Musik nicht so gut kennen.

408 John Wegner: Jeder Regisseur probiert in seiner neuen Inszenierung etwas herauszuarbeiten, jedes Stück ein bisschen anders zu gestalten. Ich glaube, dieses Stück hat genug Inhalt, dass viele Regisseure verschiedene Facetten herausarbeiten können. Es wird interessant sein zu sehen, ob es sich auf der Bühne behaupten kann. Ich glaube, es hat genug Inhalt und könnte es.

Peter P. Pachl: Ich danke der Runde sehr herzlich für Ihr Engagement. Erst einmal für Euer künstlerisches Engagement für das Werk. Das haben wir alle gehört, das haben wir alle erlebt. Ich danke für diesen Morgen, an dem sie das auch noch mit eigenen Worten und eigenen Ideen so schön verbalisiert haben. Wir danken dem WDR, dass diese Uraufführung möglich war. Wir danken der Hochschule für Musik, dass sie uns diesen Raum heute zur Verfügung gestellt und zur Siegfried-Wagner• Woche ein eigenes Konzert beigetragen hat. Wir danken Herrn Prof. Werner An• dreas Albert, dass er nicht nur die musikalische Vorbereitung und Realisierung, sondern auch die Grundlagen hierzu, nämlich das Material herzustellen durch eine persönliche Verbindung, ermöglicht hat. Wir danken verschiedenen Kleinsponso• ren, wir danken Ihnen allen und wir danken uns.

409 Achim Bahr Siegfried Wagner Chronologie 1869 - 1930: Gleichzeitiges und Ungleichzeitiges

1869 Als drittes gemeinsames Kind von Richard Wagner und Cosima von Bülow kommt Siegfried am 6. Juni in TribschenILuzern zur Welt, Friedrich Nietzsche ist zu Besuch. Am 15. d. M. bittet Cosima Hans von Bülow um Scheidung, dieser willigt zwei Tage später ein. Am 22. 9. wird gegen Wagners Willen in München uraufgeführt. Auf dem Eisenacher Kongress gründen August Bebel und Wilhelm Liebknecht die marxistische Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). In Rom findet das 1. Vatikanische Konzil statt; am 17. 11. wird der Suezkanal eröffnet. * Andre Gide, Hans Pfitzner, Else Lasker-Schüler, Henri Matisse, Albert Roussel, Franz Stassen, Frank Lloyd Wright + Hector Berlioz

1870 Am 26. 6. wird in München Die Walküre uraufgeführt. Die Emser Depesche führt am 13. 7. zum Abbruch der Verhandlungen Wilhelms I. mit Frankreich über die spanische Thronkandidatur; am darauf folgenden Tag lässt Bismarck den Wortlaut der Depesche gekürzt veröffentlichen und beschwört damit den deutsch• französischen Krieg herauf. Am 18. 7. definiert das Vatikanische Konzil die päpstliche Unfehlbarkeit, die Ehe von Cosima und Hans von Bülow wird geschie• den; tags darauf erfolgt Frankreichs Kriegserklärung an Preußen, Sprecher ist Cosimas Schwager Emile Ollivier. Cosima und Richard Wagner werden am 25. 8. in Luzern getraut. Die Schlacht bei Sedan und die Gefangennahme Napoleons ill. führen am 4.9. zum Sturz des fran• zösischen Kaisertums und zur Proklamation der 3. Republik in Frankreich, am sel• ben Tag findet die Taufe auf den Namen Siegfried Helferich Richard statt. Am 25. 12., dem Geburtstag Cosima Wagners, wird das Siegfried-Idyll in Tribschen uraufgeführt. * Ernst Barlach, Franz Lehär, Wladimir Iljitsch Lenin, Rosa Luxemburg, Oscar Straus

1871 Am 18. 1. wird die Gründung des Deutschen Reiches, die Krönung König Wil• helms I. zum Deutschen Kaiser in Versailles und die Ernennung Fürst Otto von Bismarcks zum Reichskanzler verkündet. Nach der Kapitulation von Paris am

410 28. 1. fällt Elsaß-Lothringen an Deutschland, Frankreich wird zu erheblichen Repa• rationszahlungen verpflichtet. Richard Wagner beginnt schon im Januar mit der Komposition des Kaisermarsches und beendet sie am 15. 3.; im April reist er mit Cosima zum ersten Mal nach Bay• reuth, wo er den Entschluss fasst, sich dort niederzulassen, ein Festspielhaus zu errichten und die Aufführung des Ring des Nibelungen voranzutreiben. Im Mai wird die Kommune in Paris blutig niedergeschlagen. Heinrich Schliemann beginnt mit Ausgrabungen in Troja. * Giacomo Balla, Leo Blech, Friedrich Ebert, Arthur Griffith, Clement Harris, Karl Liebknecht, Heinrich Mann, Orville Wright + Daniel Franyois Auber Giuseppe Verdi: Aida Charles Darwin: Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zucht• wahl Lewis Carroll: Alice hinter den Spiegeln

1872 Wagner erwirbt am 1. 2. das Grundstück für Wahnfried am Hofgarten in Bay• reuth; ein Verwaltungsrat für die Festspiele wird gegründet, und am 22.5., Wag• ners 59. Geburtstag, wird der Grundstein für das Bayreuther Festspielhaus gelegt. Cosima konvertiert am 31. 10. zum Protestantismus. * Roald Amundsen, Sergei Diaghilew, Piet Mondrian, Alexander Skrjabin + Ludwig Feuerbach Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik

1873 Das Drei-Kaiser-Abkommen zwischen Russland, Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich wird geschlossen und die Deutsche Flotte gegründet; der Wiener Börsenkrach steht am Beginn der großen Depression. Am 2. 8. ist Richtfest am Festspielhaus mit Volksfest und Feuerwerk. * Howard Carter, Sergeij Rachmaninow, Max Reger, Max Reinhardt Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen. Erstes Stück.

1874 Das Münchner Hofsekretariat lehnt am 6. 1. fmanzielle Garantien für das Fest• spielunternehmen ab, das dadurch unmittelbar vor dem Ruin steht. Als König Ludwig 11. Bürgschaften übernimmt, wird dem Verwaltungsrat ein Kredit gewährt; die Bürgschaftssurnme von 216.l52,42 Mark zahlen die Erben Wagners vollständig

411 zurück. Am 28. 4. zieht die Familie in Wahnfried ein, wo Richard Wagner am 21. 11. die Partitur der Götterdämmerung vollendet. Claude Monets Gemälde Impression, soleil levant verleiht einer ganzen Stilrich• tung ihren Namen: Impressionismus. * Hugo von Hofmannsthai, Karl Kraus, Arnold Schönberg + Peter Comelius Modest Mussorgsky: Boris Godunov Johann Strauß: Die Fledermaus Giuseppe Verdi:

1875 Auf dem Gothaer Kongress schließen sich der 1863 von Ferdinand Lassalle ge• gründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) und die SDAP zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) zusammen. Beginn der Ori• entkrise. Am 1. 7. beginnen die Vorproben der ersten Festspiele, die Bauarbeiten am Festspielhaus werden am 1. 8. abgeschlossen. * Carl Froelich, Hans Grimm, Carl Gustav Jung, Thomas Mann, Maurice Ravel, Rainer Maria Rilke, Albert Schweitzer + Georges Bizet, Eduard Mörike Georges Bizet: Carmen Karl Goldmark: Die Königin von Saba Adolfvon Menzel: Eisenwalzwerk Hans Makart: Atelier

1876 Richard Wagner nimmt den Auftrag zur Komposition des Großen Festmarschs zur Feier des lOOjährigen Jubiläums der amerikanischen Selbständigkeit an. Am 5. 6. stirbt Siegfrieds Großmutter, Marie d'Agoult. König Ludwig TI. besucht die vier Generalproben zum Ring des Nibelungen, kurz darauf trifft Kaiser Wilhelm I. in Bayreuth ein, um an den Festspielen teilzunehmen, die am 13. 8. eröffnet werden; am 16. 8. wird Siegfried, am 17. 8. Götterdämmerung uraufgeführt. Die Festspiele enden am 30. 8. mit großem Defizit. Mitte September reist die Familie über Mün• chen, Verona, Venedig und Bologna nach Neapel und Sorrent, wo sich Wagner und Nietzsche zum letzten Mal begegnen; kurz vor Weihnachten kehrt sie wieder nach Bayreuth zurück. Die Deutschkonservative Partei (DKP) und die Reichsbank werden gegründet, Alexander Graham Bell erfindet den elektromagnetischen Fernsprecher, Heinrich Schliemann beginnt mit Ausgrabungen in Mykene.

412 * Konrad Adenauer, Constantin Brancusi, Manuel de Falla, Bruno Walter, Jakob Wassermann, Ermanno Wolf-Ferrari + August Röckel, George Sand Johannes Brahms: 1. Sinfonie Peter Tschaikowsky: Schwanensee Henrik Ibsen: Peer Gynt Leo Tolstoi: Anna Karenina Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen. Viertes Stück. Richard Wagner in Bayreuth

1877 Im März schreibt Wagner das Textbuch des Parsifal nieder und bricht im April mit Cosima nach London auf, um zum Ausgleich des FestspieldefIZits Konzerte zu dirigieren; am 17. 5. werden sie in Windsor von Königin Viktoria empfangen und reisen am 4. 6. nach Bad Ems, wo sie mit der Familie zusammentreffen. Dort über• reicht der achtjährige Siegfried Kaiser Wilhelm I. auf der Promenade einen Blu• menstrauß. Im September beginnt Wagner in Bayreuth mit der Komposition des Parsifal. Am 22. 12. führt Thomas Alva Edison im New Yorker Gebäude des Scientific American erstmals den Walzen-Phonographen vor. * Hermann Hesse Johannes Brahrns: 2. Sirifonie Anton Bruckner: 3. Sirifonie Camille Saint-Saens: Samson et Dalila Henrik Ibsen: Stützen der Gesellschaft

1878 Im Februar erscheinen die Bayreuther Blätter zum ersten Mal. Nach zwei Atten• tatsversuchen auf Wilhelm I. erlässt Bismarck am 21. 10. das sog. Sozialisten• gesetz "gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", das die Unterdrückung der Presse- und Vereinigungs freiheit ermöglicht. Siemens & Halske entwickelt in Berlin den Elektromotor. Anlässlich Cosimas Geburtstag erfolgt am 25. 12. die Uraufführung des Parsifal• Vorspiels (mit Konzertschluss) durch das Meininger Hoforchester im Saal von Wahnfried. * Alfred Döblin, Walter Kollo, Kasimir Malewitsch, Franz Schreker, Carl Stern• heim, Gustav Stresemann Anton Bruckner: 5. Sirifonie

413 1879 Deutsches Reich und Österreich-Ungarn schließen mit dem Zweibund ein gehei• mes VerteidigungsbÜDdnis ab, in Leipzig wird das Reichsgericht zur Gewährlei• stung einheitlicher Rechtsprechung eingerichtet. Thomas Alva Edison erfindet die Glühlampe. wird zum Kaß(mikus von Albano ernannt und trägt fortan eine pur• pume Sutane. Heinrich von Stein kommt als Hauslehrer Siegfrieds nach Wahn• fried; am 31. 12. reist die Familie nach Italien ab. * Albert Einstein, Iossif Wissarionowitsch Stalin, Lew Dawidowitsch Trotzki Peter Tschaikowsky: Eugen Onegin Henrik Ibsen: Nora Fjodor Michailowitsch Dostojewskij: Die Brüder Karamasow

1880 Familie Wagner kommt am 4. 1. in Neapel an, bald darauf finden sich Paul von Joukowsky und Engelbert Humperdinck ein. Anfang August reist die Familie von Neapel nach Rom, dann nach San Marcello, Pistoja und Florenz weiter und trifft am 24. 8. in Siena ein; im September kommt Franz Liszt für ein paar Tage hinzu. Den Oktober verbringen sie in Venedig und reisen am 30. 10. nach München, wo es am 12. 11. zur letzten Begegnung mit König Ludwig 11. kommt. Am 17. 11. keh• ren sie nach Bayreuth zurück, kurz daraufkündigt Wagner die nächsten Festspiele für 1882 an. Während dieses Italienaufenthaltes hält Siegfried Wagner bereits architektonische Eindrücke in seinen Skizzenbüchern fest. In Deutschland wird ein erster Fernsprechverkehr eröffnet und der Kölner Dom fertig gestellt. * Franz Marc, Robert Musil, Oswald Spengler, Robert Stolz + Jacques Offenbach Anton Bruckner: 4. Sinfonie Gustav Mahler: Das klagende Lied Max Liebermann: Konservenmacherinnen

1881 Engelbert Humperdinck kommt nach Bayreuth; am 11. 5. trifft Josef Arthur Graf von Gobineau für ca. 4 Wochen in Bayreuth ein. Hans von Bülow veranstaltet Konzerte zugunsten der Bayreuther Festspiele, Cosima regelt mit ihm die Adopti• on der gemeinsamen Kinder. Franz Liszt erleidet in Weimar einen Schlaganfall; in Begleitung Danielas reist er nach Rom.

414 Vom 22.9. bis 9. 10. ist Franz Liszt zu Besuch in Wahnfried, am 1. 11. bricht die Familie über München, Bozen und Verona nach Neapel und Palermo auf. • Bela Bart6k, Kemal Atatürk, Alexander Fleming, Fernand Leger, Wilhelm Lehmbruck, Pablo Picasso, Igor Strawinsky, Stefan Zweig + Fjodor Michailowitsch Dostojewskij, Modest Mussorgsky Anton Bruckner: 4. Sinfonie Jacques Offenbach: Hoffmanns Erzählungen Friedrich Nietzsche: Morgenröte Henrik Ibsen: Gespenster Emile Zola: Le naturalisme au theatre Wilhelm Leibi: Drei Frauen in der Kirche Max Liebermann: Schusterwerkstatt.

1882 Am 13. 1. vollendet Wagner in Palermo die Parsifal-Partitur, Auguste Renoir fer• tigt Porträtskizzen von ihm an. Am 15. 4. triffi die Familie in Venedig ein und kehrt Ende April über München und Nürnberg nach Bayreuth zurück; dort wird am 28. 5. die Bayreuther Stipendien stiftung gegründet. Am 2. 7. ist Probenbeginn, Liszt kommt am 15. 7. zu den Festspielen nach Bay• reuth, die am 26. 7. mit der Uraufführung des Parsifal eröffnet werden, und kehrt im August nochmals zurück, um der Trauung seiner Enkelin Blandine mit Biagio Graf Gravina in Wahnfried beizuwohnen. Am 14. 9. reist die Familie über Verona nach Venedig und quartiert sich zunächst im Hotel Europa ein, zieht aber am 18. 9. in den Palazzo Vendramin am Canal Grande um. Wagner klagt häufig über Herzanfälle; am 18. 11. teilt er König Lud• wig n. mit, er wolle alle seine Werke in Bayreuth mustergültig aufführen. Liszt triffi am 19. 11. in Venedig ein. Am 24. 12. leitet Wagner die Aufführung seiner Sinfonie in C im Theatro la Fenice mit einem Schülerorchester. Das Berliner Philharmonische Orchester wird gegründet, Angelo Neumann eta• bliert sein wanderndes Wagner-Theater. Deutsches Reich, Österreich-Ungarn und Italien schließen sich zum Dreibund zusammen; Großbritannien besetzt Ägypten. Robert Koch entdeckt den Tuberkelbazillus. • Umberto Boccioni, Georges Braque, James Joyce, Emmerich Kälmän, Zoltän Kodäly, Igor Strawinsky + Josef Arthur Graf von Gobineau

1883 Liszt reist am 13. 1. aus Venedig ab, Wagner beginnt am 11. 2. die Arbeit Über das Weibliche im Menschlichen; er stirbt tags darauf gegen 15:30 Uhr. Sein Leichnam

415 wird am 16. 2. nach Bayreuth überführt und am 18. 2. im Garten Wahnfrieds bei• gesetzt. Im Juli veranstaltet Cosima - wie vorgesehen - die 3. Bayreuther Fest• spiele. Am 15. 6. wird das Gesetz über die Krankenversicherung für Arbeiter verab• schiedet, Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach erfinden den Benzinmotor. • Walter Gropius, Franz Kafka, Benito Mussolini, Joachim Ringelnatz, Anton Webern + Friedrich von Flotow, Karl Marx Johannes Brahms: 3. Sinfonie Anton Bruckner: 7. Sinfonie Robert Louis Stevenson: Die Schatzinsel August Bebei: Die Frau und der Sozialismus Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra Amold Böcklin: Die Toteninsel

1884 Am 6. 7. wird das UnfaUversicherungsgesetz verabschiedet, in Berlin tagt die Kongokonferenz; in Bayreuth werden zum 4. Mal Festspiele veranstaltet. Sieg• fried Wagner leidet an einer mysteriösen Krankheit, die ihn für längere Zeit vom Schulbesuch abhält. • Max Beckmann, Lion Feuchtwanger, Theodor Heuss, Daniel Henry Kahnweiler + Hans Makart, Friedrich Smetana Anton Bruckner: 7. Sinfonie

1885 Gründung deutscher Schutzgebiete in Südwestafrika, Kamerun, Togo und Ostafri• ka u. a.; Carl Benz konstruiert ein dreirädriges Automobil mit Viertaktmotor und elektrischer Zündung. Siegfried Wagners Neigung zur Architektur spiegelt sich deutlich in zahlreichen Skizzen, die er während einer Italienreise mit Mutter und Schwestern anfertigt; sein Großvater Franz Liszt tritt in Rom zum letzten Mal öffentlich auf. • Alban Berg, Otto Klemperer, Eduard Künneke, Erich von Stroheim, Wladimir Jewgrafowitsch Tatlin

Johannes Brahms: 4. Sinfonie Henrik Ibsen: Die Wildente

416 1886 Im Juni heiratet Siegfried Wagners Halbschwester Daniela den Kunsthistoriker Heinrich Thode; am 13. d. M. stirbt König Ludwig 11., Siegfried Wagners Taufpa• te, unter ungeklärten Umständen. Während der Festspiele, für die Cosima erstmals Tristan und Isolde inszeniert, stirbt am 31. 7. auch Franz Liszt. Siegfried entwirft eine Kapelle im Stil der italienischen Frührenaissance für seine Grabstätte auf dem Bayreuther Stadtfriedhof, die aber nicht realisiert wird. * Wilhe1m Furtwängler, Oskar Kokoschka, Ludwig Mies van der Rohe Robert Louis Stevenson: Der seltsame Fall des Doktor Jekyll und des Herrn Hyde

1887 Deutschland und Russland schließen am 18. 6. ein Neutralitätsabkommen. * Alexander Archipenko, Marc Chagall, Le Corbusier, Marcel Duchamp, Ewald Matare, Kurt Schwitters + Alexander Borodin, Heinrich von Stein

1888 Kurz nacheinander sterben Wilhelm I. und sein Nachfolger, Friedrich III.; am 15. 6. besteigt Wilhelm 11. den Thron. Das Festspielhaus wird mit einer elektri• schen Beleuchtungsanlage ausgerüstet, Cosima Wagner inszeniert für die 6. Fest• spiele erstmals Die Meistersinger von Nürnberg. Siegfried reist mit dem Kunst• wissenschaftier Franz Wickhoffnach Italien. * Giorgio de Chirico, Thomas Stearns Eliot, Friedrich Wilhelm Murnau, Oskar Schlemmer, Friedrich Wolf + Theodor Storm Gustav Mahler: 1. Sinfonie Theodor Fontane: Irrungen, Wirrungen Henrik Ibsen: Die Frau vom Meer Theodor Storm: Der Schimmelreiter

1889 Auf dem Antisemitentag in Bochum kommt es zur Gründung der Antisemiti• schen Deutschsozialen Partei; das Invaliden- und Altersversicherungsgesetz wird verabschiedet. In Worpswede formiert sich die Künstlerkolonie, in Paris wird der Eiffelturm errichtet. Siegfried Wagner besteht die Abiturprüfungen am Bayreuther Gymnasium, fährt anschließend mit seinem Schwager Henry Thode nach Paris und beginnt seine mu• sikalische Ausbildung bei Engelbert Humperdinck. Er komponiert u. a. ein Adagio

417 für Klavier, eine Fuga, ein Stabat Mater für vierstimmigen Chor und einen Quar• tettsatz mit Variationen nach dem Choral 0 Haupt voll Blut und Wunden von Johann Sebastian Bach. In Frankfurt lernt er element Harris kennen, der am Hoch'schen Konservatorium studiert. * Charlie Chaplin, Jean Cocteau, Abel Gance, Martin Heidegger, Adolf Hitler, Edwin Powell Hubble Richard Strauss: Don Juan Gerhart Hauptmann: Vor Sonnenaufgang

1890 Sachliche und persönliche Differenzen mit Wilhelm 11. führen zur Entlassung Bis• marcks; das Sozialistengesetz wird aufgehoben, die Arbeiterschutzgesetzgebung sieht u. a. ein Verbot von Kinderarbeit und die Begrenzung der Arbeitszeiten für Jugendliche und Frauen vor. In London wird die elektrische Untergrundbahn ein• geweiht, Otto Lilienthal unternimmt erste Gleitßugversuche in Lichterfelde. Am 28. 7. tritt Siegfried Wagner ins Berliner Polytechnikum ein und besucht zahlreiche Theater- und Opernauffiihrungen sowie Konzerte, die von Hans von Bülow geleitet werden. Er bearbeitet die Komposition Ekloge seines Großvaters Franz Liszt für Orchester, vertont das Gedicht Abend auf dem Meere von Henry Thode für hohe Singstimme und Klavier sowie die Gedichte Frühlingsglaube von Ludwig Uhland und Frühlingsblick von Nikolaus Lenau und verfasst eine Sieg be• titelte dramatische Szene. * Fritz Busch, Naum Gabo, EI Lissitzky, Fritz Lang, Man Ray, Egon Schiele, + Cesar Franck, Gottfried Keller, Heinrich Schliemann Hans Pfitzner: 1. Cellosonate Richard Strauss: Tod und Verklärung Peter Tschaikowsky: Pique Dame

1891 Im April kommt es zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Verbandes (später: Alldeutscher Verband) zur Förderung vaterländischen Bewusstseins und deutsch• nationaler Bestrebungen im In- und Ausland. Bei den Festspielen steht erstmals Tannhäuser auf dem Programm. Siegfried Wagner setzt seine musikalische Ausbildung bei Felix Mottl fort, vertont Frühlings Tod von Nikolaus Lenau und bearbeitet Franz Liszts Heroides etegiaques für Or• chester. * Otto Dix, Max Ernst, Sergej Prokofjew Oscar Wilde: The Pieture ofDorian Gray

418 1892 Siegfried Wagner entwirft u. a. mehrere Dramen bzw. Szenarien, zu denen er Teile auch komponiert, verfasst eine Novelle Die Sühnende und bearbeitet Die junge Nonne von Franz Schubert für Singstimme und kleines Orchester. Von Januar bis Juli begibt er sich mit Clement Harris per Schiff auf eine große Ostasien-Reise, während der er ein ausführliches Tagebuch führt, Zeichnungen und Aquarelle anfertigt - die teilweise von postum 1937 als Privatdruck veröffentlicht werden - und den Entschluss fasst, Musiker zu werden; zu Beginn der Reise lernt er Oscar Wilde kennen. Rechtzeitig zu den Festspielen zurückgekehrt, erhält er praktische Unterweisung von Julius Kniese, dem er bei den Proben assistiert. • Arthur Honegger, Ernst Lubitsch, Darius Milhaud Ruggiero Leoncavallo: Der Bajazzo Giuseppe Verdi: Falstaff

1893 Mit Ausschnitten u. a. aus Der Freischütz und Rienzi gibt Siegfried Wagner sein Dirigentendebut im Bayreuther Markgräßichen Opernhaus und setzt seine Stu• dien bei Julius Kniese fort. Rudolf Diesel entwickelt den nach ihm benannten Motor; in Deutschland gewinnt der Verismo an Verbreitung. * George Grosz, Wladimir Wladimirowitsch Majakowski, Erwin Piscator + Charles Gounod, Peter Tschaikowsky Antonin Dvorak: 9. Sinfonie Engelbert Humperdinck: Hänsel und Gretel Giacomo Puccini: Manon Lescaut Peter Tschaikowsky: 6. Sinfonie Gerhart Hauptmann: Die Weber Henrik Ibsen: Baumeister Solness Claude Monet: Die Kathedrale von Rouen Georg Simmel: Einleitung in die Moralwissenschaft

1894 Siegfried Wagner beendet die Symphonische Dichtung Sehnsucht nach , in der bereits mehrere Motive enthalten sind, die er in seinen Opern wie• der verwendet. Bei den Festspielen wird erstmals aufgeführt; im 3. Aufzug springt Siegfried Wagner für Felix Mottl ein. Die Bauarbeiten für das Siegfried-Wagner-Haus neben Wahnfried werden aufgenommen.

419 Frankreich wird von der Dreyfusaffäre erschüttert, die sich bis 1906 hinzieht. Die Hofloge am Deutschen Theater Berlin wird wegen der Auffiihrung von Gerhart Hauptmanns Die Weber gekündigt; Richard Strauss wird Leiter der Berliner Phil• harmoniker. * Paul Dessau, John Boynton Priestley, Josefvon Sternberg + Hans von Bülow, Robert Louis Stevenson Claude Debussy: L 'Apres-midi d'unfaune Richard Strauss: Guntram

1895 Siegfried Wagner leitet an seinem 26. Geburtstag die Urauffiihrung seiner Sym• phonischen Dichtung Sehnsucht in der Londoner Queen's HaU. Am 21. 6. wird der Nord-Ostsee-Kanal eröffnet. Wilhelm Conrad Röntgen ent• deckt die nach ihm benannten Strahlen. Max Skladanowsky erhält am 1. 11. ein Patent für seine Entwicklung des Bioscops, eines "Projektionsapparats für lebende Bilder", am 28. 12. fUhren die Brüder Lumiere in Paris ihren Kinematographen vor. Oscar Wilde wird zu 2 Jahren Zuchthaus mit Zwangsarbeit verurteilt. * Paul Hindemith, Ernst Jünger, Carl Orff + Alexandre Dumas, Friedrich Engels, Franz von Suppe Wilhelm Kienzl: Der Evangelimann Gustav Mahler: 2. Sinfonie Hans Pfitzner: Der arme Heinrich Richard Strauss: Tm Eulenspiegels lustige Streiche

1896 Siegfried Wagner dirigiert im Rahmen der Festspiele die Hauptprobe und den 4. Zyklus des Ring des Nibelungen, der erstmals seit 1876 wieder in Bayreuth auf• gefiihrt wird; auch an der Inszenierung arbeitet er mit.

Antoine Henri Becquerel entdeckt die radioaktive Strahlung des Urans. * Andre Breton, Buster Keaton, Carl Zuckmayer + Anton Bruckner, Otto Lilienthai, Clara Schumann Gustav Mahler: 3. Sinfonie Giacomo Puccini: La Boheme Oscar Wilde: Salome

420 1897 Im Frühjahr unternimmt Siegfried Wagner eine Reise nach Rom. Er komponiert das Lied Schäfer und Schäferin für Singstimme und Klavier, das 1903 in der Berli• ner ,,Die Woche" veröffentlicht wird. In Hastings, England, wird am 23. 6. Wini• fred Marjorie Williams, Siegfried Wagners spätere Frau, geboren. Am 31. 3. wird Admiral von Tirpitz zum Staatssekretär ins Reichsmarineamt beru• fen; in Basel findet der 1. Zionistische Kongress statt. Gustav Mahler wird Direktor der Wiener Hofoper. * William Faulkner, Thornton Wilder + Johannes Brahms, Jacob Burckhardt, Clement Harris Engelbert Humperdinck: Königskinder Hugo Wolf: Michelangelo-Lieder George Bernard Shaw: Candida

1898 Emile Zola veröffentlicht seinen offenen Brief J'accuse ••• ! zur Dreyfus-Affäre am 13. 1. in der Tageszeitung L'Aurore. Am 10. 4. wird das 1. Flottengesetz ver• abschiedet; Admiral von Tirpitz betreibt den langfristigen Ausbau der Kriegsflotte. Siegfried Wagner vollendet am 6. 6. seine erste Oper Der Bärenhäuter. wird Chefdirigent der Mailänder Scala. * Bertold Brecht, Sergeij Eisenstein, George Gershwin, Rene Magritte, Erich Maria Remarque + Otto von Bismarck, Lewis Carroll, Theodor Fontane, Conrad Ferdinand Meyer

1899 Am 22. 1. kommt Der Bärenhäuter am Königlichen Hof- und Nationaltheater München zur Uraufführung. Das Werk wird alsbald von vielen weiteren Bühnen im In- und Ausland übernommen und avanciert mit mehr als 177 Aufführungen an ca. 35 Theatern in den Jahren 1899/1900 zur meistgespielten Oper überhaupt. Sieg• fried Wagner unternimmt Reisen nach Rom und Paris. Auf der Friedenskonferenz in Haag wird die Haager Landkriegsordnung verab• schiedet. Die Antisemitische Deutschsoziale Partei hält in Hamburg ihren Partei• tag ab und fordert eine "Endlösung der Judenfrage". Alfred Dreyfus wird am 19. 9. begnadigt. In Südafrika beginnt der Burenkrieg, der bis 1902 dauert. Die Künstlerkolonie Mathildenhöhe gründet sich in Darmstadt. * Federico Garcia Lorca, Lotte Reininger + Karl Millöcker, Johann Strauß

421 Paul Lincke: Frau Luna Arnold Schönberg: Verklärte Nacht Jean Sibelius: 1. Sinfonie Arthur Schnitzler: Der Reigen Houston Stewart Chamberlain: Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts

1900 Siegfried Wagner vollendet am 24. 10. in Montreux seine zweite Oper Herzog Wildfang; seine Schwester Isolde heiratet den Dirigenten Franz Beidler. Die Verabschiedung des 2. Flottengesetzes am 14. 6. hat die Verstärkung der Flotte zur Folge; das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) tritt in Kraft. Nach der Er• mordung des deutschen Gesandten am 20. 6. in Peking während des Boxerauf• stands hält Kaiser Wilhelm 11. am 27. 7. seine berüchtigte Hunnenrede und ent• sendet deutsche Truppen nach China. In England formiert sich aus der Arbeiterbe• wegung eine Wahl- und Parteiorganisation, die sich ab 1906 Labour Party nennt. Bruno Walter wird Dirigent der Berliner Hofoper; in Friedrichshafen startet am 2. 7. das erste lenkbare Luftschiff. * George Antheil, Arno Breker, Luis Bufiuel, Ernst Krenek, Kurt Weill + Gottlieb Daimler, Wilhelm Leibi, Wilhelm Liebknecht, Friedrich Nietzsehe, Os• carWilde Eugen d' Albert: Kain Ruggiero Leoncavallo: Zaza Gustav Mahler: 4. Sinfonie Giacomo Puccini: Tosca August Strindberg: Totentanz Paul Cezanne: Stil/eben mit Zwiebeln Ferdinand Hodler: Der Tag Edward Munch: Tanz des Lebens Henri Bergson Le rire (Das Lachen) Sigmund Freud: Traumdeutung Georg Simmel: Philosophie des Geldes

1901 Die Uraufführung von Herzog Wildfang am 23. 3. im Königlichen Hof- und Natio• naltheater München endet in Tumult und Skandal. Der am 9. 6. von Marie Aign, der Frau des Bayreuther Pfarrers Karl Wilhelm Aign, geborene Sohn Walter be• zeichnet sich später als außereheliches Kind Siegfried Wagners und arbeitet u. a. bei den Festspielen mit. Bei der Bayreuther Erstaufführung des Fliegenden Holländer setzt Siegfried Wagner Schleier-Prospekte und impressionistische Beleuchtungseffekte wie auf Gemälden von William Turner ein.

422 Zwischen England und Neufundland wird die erste überseeische Funkverbindung in Betrieb genommen. Ernst von Wolzogen eröffnet das "Überbrettl" (mit Oscar Straus, später mit Amold Schönberg als Kapellmeister); Pablo Picasso malt die Bilder seiner Blauen Periode. • Werner Egk, Werner Heisenberg, Ödön von Horvath + Amold Böcklin, Henri de Toulouse-Lautrec, Königin Viktoria, Giuseppe Verdi Gustav Mahler: 4. Sinfonie Hans Pfitzner: Die Rose vom Liebesgarten Richard Strauss: Feuersnot Sergej Wassiljewitsch Rachmaninow: 2. Klavierkonzert Thomas Mann: Die Buddenbrooks August Strindberg: Ein Traumspiel Anton Tschechow: Drei Schwestern Sigmund Freud: Zur Psychologie des Alltagslebens Edmund Husserl: Logische Untersuchungen Ferdinand Hodler: Der Frühling Gustav Klimt: Judith mit dem Haupt des Holofernes Claude Monet: Vetheuil bei Sonnenuntergang

1902 Bei den Festspielen dirigiert Siegfried Wagner mindestens einen der beiden Ring• Zyklen vollständig und verbringt den Herbst in Luzern und Venedig; im November ist er zu Konzerten in Wien. Italien und Frankreich schließen ein Abkommen, das die Neutralität Italiens im Falle eines deutsch-französischen Krieges vorsieht. • Charles Lindbergh + RudolfVirchow, Emile Zola Claude Debussy: Pelleas et Melisande Gustav Mahler: 5. Sinfonie Giacomo Puccini: Tosca Paul Gauguin: Contes Barbares Max Liebermann: Samson und Dalila Maxim Gorki: Die Kleinbürger Andre Gide: Der Immoralist

1903 Siegfried Wagner ist häufig auf Reisen und schließt am 21. 5. in Florenz die Arbeit an Der Kobold ab. Die Aufführung von Parsifal an der Metropolitan New York wird als Gralsraub empfunden.

423 Panama wird Republik; die USA erhalten die Rechte zu Bau, Betrieb und Schutz eines Kanals. Den Brüdern Wilbur und Orville Wright gelingt ein erster - kurzer - gesteuerter Flug mit einem Doppeldecker; Henry Ford gründet die Ford Motor Company in Detroit. Max Reinhardt wird Direktor des Berliner Neuen Theaters. + Hugo Wolf, Paul Gauguin, Carnille Pissaro Eugen d' Albert: Tiefland Anton Bruckner: 9. Sinfonie Eric Satie: Drei Klavierstücke in Form einer Birne Amold Schönberg: Gurre-Lieder Alexander Sktjabin: 4. Sonate Ermanno Wolf-Ferrari: Die neugierigen Frauen Leo Blech: Alpenkönig und Menschenfeind Maxim Gorki: Nachtasyl Hugo von Hofmannsthai: Elektra Heinrich Mann: Die Jagd nach Liebe Thomas Mann: Tristan Otto Weininger: Geschlecht und Charakter Wassily Kandinsky: Der blaue Reiter

1904 Der Kobold wird am 29. 1. am Stadttheater Hamburg uraufgeführt. Siegfried Wag• ner unternimmt mehrere Konzertreisen und führt Regie bei Tannhäuser; die Choreographie obliegt Isadora Duncan, die selbst die 1. Grazie tanzt. Am 8. 4. schließen sich Großbritannien und Frankreich zur Entente cordiale zu• sammen, Marokko wird unter französischen, Ägypten unter britischen Einfluss gestellt. Beginn des japanisch-russischen Krieges um die Mandschurei und Korea. In Großbritannien treten Suffragetten für die politische Gleichberechtigung der Frauen ein. Friedrich Stolz stellt erstmals Adrenalin synthetisch her. ... Salvador Dali + Antonin Dvofäk, Eduard Hanslick, Anton Tschechow LeosJanacek:Jenufa Gustav Mahler: 6. Sinfonie Giacomo Puccini: Madame Butterfly Anton Tschechow: Der Kirschgarten Frank Wedekind: Die Büchse der Pandora James Matthew Barrie: Peter Pan Karl May: Und Friede aufErden Paul Cezanne: Montagne Sainte-Victoire Claude Monet: Das Parlament in London Pablo Picasso: Das kärgliche Mahl

424 1905 Siegfried Wagner vollendet im Mai in Rom mit Bruder Lustig seine vierte Oper, die am 13. 10. am Stadttheater Hamburg uraufgeführt wird. Im Deutschen Reich wird mit dem Bau von Großkampfschiffen begonnen. Papst Pius X lehnt demokratische Ideen ab, in Frankreich wird die Trennung von Kir• che und Staat vollzogen. Arthur Griffith gründet die nationalistische irische Partei Sinn Fein. Nach der Niederlage Russlands im japanisch-russischen Krieg kommt es zu revo• lutionären Auseinandersetzungen sowie zur ersten Bildung von Räten (Sowjets) und Arbeiterdeputierten; der Zar gewährt daraufhin eine gewählte Repräsentativ• versammlung (Duma) mit begrenzten Funktionen. Albert Einstein stellt die Spezielle Relativitätstheorie auf. Max Reinhardt eröffnet das Deutsche Theater Berlin. Pablo Picasso geht zur Rosa Periode über; die Künstlergemeinschaft Brücke formiert sich. • Jean-Paul Sartre + Julius Kniese, Adolph von Menzel Leo Blech: Aschenbrödel Claude Debussy: La mer Engelbert Humperdinck: Die Heirat wider Willen Franz Lehar: Die lustige Witwe Gustav Mahler 7. Sinfonie Richard Strauss: Salome Arthur Conan Doyle: Der Hund von Baskerville Hermann Hesse: Unterm Rad Heinrich Mann: Professor Unrat Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch Oscar Wilde: De profundis Paul Cezanne: Die großen Badenden Edward Munch: Die Mädchen aufder Brücke

1906 Nach mehreren Konzertreisen führt Siegfried Wagner bei den Festspielen den Rundhorizont ein und probiert Beleuchtungseffekte aus; am 9. 10. vollendet er Sternengebot in Venedig und reist nach Florenz. Cosima Wagner erleidet am 9. 12. einen leichten Schlaganfall und zieht sich daraufhin von der Leitung der Festspiele zurück. Carl Friedrich Glasenapp publiziert die kleine monographische Schrift Siegfried Wagner. Am 12. 7. werden alle früheren Urteile gegen Dreyfus aufgehoben, dieser selbst wird vollständig rehabilitiert. Zwischen dem Deutschen Reich und Großbritannien entwickelt sich ein Wettrüsten.

425 * Josephine Baker, Samuel Beckett, Dimitri Schostakowitsch + Henrik Ibsen, Paul Cezanne Ferruccio Busoni: Klavierkonzert mit Schlusschor Gustav Mahler: 8. Sinfonie Hans Pfitzner: Das Christ-Eljlein Arnold Schönberg: Kammersinfonie Ferruccio Busoni: Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst Frank Wedekind: Frühlings Erwachen Robert Musil: Die Verwirrung des Zöglings Törleß Henri Matisse: Lebensfreude Pablo Picasso: Bildnis Gertrude Stein

1907 Auf der 2. Haager Friedenskonferenz vom 15. 6. bis 18. 10. wird der Haager Schiedsgerichtshof zur Beilegung internationaler Streitigkeiten eingerichtet. Die britisch-russische Konvention zur Abgrenzung der Interessensphären fUhrt zur Er• weiterung der Entente cordiale ("Tripleentente"). Die früh verwaiste Winifred Williams kommt in die Obhut von Karl Klindworth und seiner Frau, die sie Senta nennen. Pablo Picasso leitet mit dem Schlüsselwerk Les Demoiselles d'Avignon den Kubismus ein; Hermann Muthesius und Peter Behrens gründen den Deutschen Werkbund als Vereinigung von Architekten, Handwerkern, Industriellen, Pädago• gen und Publizisten. + Edward Grieg, Paula Modersohn-Becker Frederick Delius: Romeo und Julia aufdem Dorfe Max Reger: Hiller-Variationen Nikolai Rimski-Korsakow: Die Legende von der unsichtbaren Stadt Kitesch und der Jungfrau Fewronia Oskar Kokoschka: Mörder, Hoffnung der Frauen August Strindberg: Ein Traumspiel

1908 Am 21. 1. wird Sternengebot am Stadttheater Hamburg uraufgefUhrt. Siegfried Wagner übernimmt nun alleinverantwortlich die Leitung der Festspiele. Eva Wagner heiratet am 26. 12. Houston Stewart Chamberlain. Der Fund der ca. 20.000 Jahre alten Venus von WiUendorf erregt Aufsehen; Her• mann Minkowski erläutert seine Theorie der Zeit als vierte Dimension; August Fuhrmann macht in Berlin mit dem Kaiserpanorama Furore. * Olivier Messiaen

426 + Antoine Henri Becquerel, Nikolai Rimsky-Korsakoff Bela Bart6k: Vierzehn Bagatellen für Klavier Oscar Straus: Der tapfere Soldat Richard Strauss: Elektra August Strindberg: Schwanenweiß Selma Lagerlöf: Wunderbare Reise des kleinen Ni/s Holgersson mit den Wild• gänsen Jakob Wassermann: Caspar Hauser oder Die Tragödie des Herzens Georges Braque: Stil/eben mit Kaffeekanne Wassily Kandinsky: Vor der Stadt Gustav Klimt: Der Kuß Henri Rousseau: Ballspieler Karl Goldmark: Ein Wintermärchen Ludwig Thoma: Moral Frank Wedekind: Musik. Sittengemälde in vier Bildern

1909 Siegfried Wagner vollendet am 25. 1. Banadietrich, unternimmt wieder Konzert• reisen und leitet die Festspiele. Erste Pfadfindergruppen werden gegründet und die erste Jugendherberge in Burg Altona eingerichtet. Gustav Mahler beendet seine 9. Sinfonie und Arnold Schönberg stellt mit den Kla• vierstücken und George-Liedem erste atonale Werke vor. Im Figaro erscheint am 20. 2. Filippo Tommaso Marinettis Futuristisches Manifest, Pablo Picasso reali• siert mit dem Frauenkopf die erste kubistische Bronzeplastik. Richard Strauss: Elektra Andre Gide: Die enge Pforte Thomas Mann: Königliche Hoheit Karl May: Aristan und Dschinnistan Alexander Archipenko: Schwarzer Torso Henri Matisse: La Serpentine

1910 Am 23. I. kommt Banadietrich am Großherzoglichen Hoftheater in Karlsruhe zur Uraufführung. Siegfried Wagner begibt sich wiederum nach Italien, wo er - in Santa Margherita - am 10. 4. Schwarzschwanenreich vollendet; Anfang Oktober bricht er erneut zu Konzertreisen auf, u. a. nach Sankt Petersburg und Moskau, dann Berlin, Prag und Paris. * Jean Anouilh, Jean Genet + Robert Koch, Henri Rousseau, Lew Nikolajewitsch Toistoi

427 Gustav Mahler: 8. Sinfonie Giacomo Puccini: La fanciulla deI west Igor Strawinsky: Feuervogel Georges Braque: Stilleben mit Violine und Krug Wassily Kandinsky: Erstes abstraktes Aquarell Henri Matisse: Der Tanz Alfred Döblin: Die Ermordung einer Butterblume Rainer Maria Rilke: Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge Rudolf Steiner: Die Geheimwissenschaft im Umriß

1911 Siegfried Wagners Neuinszenierung der Meistersinger von Nürnberg wartet mit einer ausgefeilten Bewegungsregie auf, die von Max Reinhardt beeinflusst ist. Seine Neuerungen beim Ring schlagen sich in zahlreichen Beleuchtungsproben nieder, bei Parsifal kommt ein neuer Zaubergarten nach seinen Entwürfen zum Einsatz. Zu Konzerten anlässlich Franz Liszts 100. Geburtstag reist er nach Prag. Carl Friedrich Glasenapp veröffentlicht Siegfried Wagner und seine Kunst. Elsaß-Lothringen erhält eine Verfassung; Delhi wird anstelle Kalkuttas Hauptstadt von Britisch-Indien; in China wird die Mandschu-Dynastie gestürzt. Roald Amundsen erreicht mit seiner Expedition kurz vor Robert Scott als erster den Südpol. * MaxFrisch + Gustav Mahler, Felix Mottl Bela Bart6k: Allegro barbaro Edward Elgar: 2. Sinfonie Gustav Mahler: Lied von der Erde Maurice Ravel: L 'heure espagnole Jean Sibelius: 4. Sinfonie Richard Strauss: Der Rosenkavalier Igor Strawinsky: Petruschka Gerhart Hauptmann: Die Ratten Hugo von Hofmannsthal: Jedermann Umberto Boccioni: Der Lärm der Straße dringt in das Haus

1912 Am 26. 3. vollendet Siegfried Wagner - wieder in Santa Margherita - Sonnen• flammen und dirigiert Konzerte - das sog. Familienprogramm mit Kompositionen von Liszt, Wagner und ihm selbst - in Rom, Lübeck, Hamburg, Berlin und Lon• don. In Bayreuth werden nach seinen Entwürfen Teile von Das Rheingold und Die

428 Walküre neu gestaltet sowie Veränderungen an der Fassade Wahnfrieds vorge• nommen. Die deutsch-britischen Verhandlungen wegen des deutschen Flottenautbaus schei• tern; die SPD wird stärkste Fraktion im Reichstag; eine französisch-russische Ma• rinekonvention regelt die Zusammenarbeit ihrer Seestreitkräfte. Nach vorausge• gangener Revolution wird China Republik und Sun Yat-sen, der die Nationale Volkspartei (Kuomintang) gründet, ihr Präsident. Beginn der Balkankriege. Alfred Wegner stellt seine Theorie der Kontinentalverschiebung vor. Die Tita• nic versinkt nach der Kollision mit einem Eisberg. Sigmund Freud bringt seine Zeitschrift Imago heraus. Die Stuttgarter Korsettfabrik Lindauer & Co. entwickelt den ersten Büstenhalter. In Berlin findet die Ausstellung Der blaue Reiter statt, Wassily Kandinsky veröffentlicht Über das Geistige in der Kunst. * Eugene Ionesco + Jules Massenet, Karl May, August Strindberg, Wilbur Wright Maurice Ravel: Daphnis et ehloe Amold Schönberg: Pierrot lunaire Franz Schreker: Der feme Klang Richard Strauss: Ariadne aufNaxos (1. Fassung) Marcel Duchamp: Akt, eine Treppe herabsteigend Fernand Leger: Frau in Blau Franz Marc: Die gelben Pferde

1913 Mit Beginn des Jahres 1913 läuft die Schutzfrist für Parsifal aus. Siegfried Wag• ner wird anlässlich des 100. Geburtstags seines Vaters am 22.5. Ehrenbürger von Bayreuth. Am 15. 6. vollendet er Der Heidenkönig; außerdem komponiert er das Konzertstück for Flöte und kleines Orchester und Das Märchen vom dicken fetten Pfannenkuchen für Alt- oder Baritonsolo mit Orchesterbegleitung. Er entwirft ein Lustspiel in drei Akten und eine Operndichtung Erlösung oder Der Schatten. Diri• gate führen ihn nach Regensburg, Bonn, Breslau, Dresden und Berlin. Carl Friedrich Glasenapp veröffentlicht Siegfried Wagner und seine Kunst, Neue Folge I Albert Schweitzer gründet das Tropenhospital Lambarene; Oskar Barnack kon• struiert in Wetzlar den Prototyp der Kleinbildkameras; Niels Bohr entwickelt sein Atom-Modell; die Künstlergruppe Brücke löst sich wieder auf. In Hagenbecks Tierpark in Hamburg werden Samoanerinnen öffentlich ausgestellt. * Benjamin Britten, Albert Camus + August BebeI, RudolfDiesel, Emile Ollivier Igor Strawinsky: Le Sacre du printemps George Bernard Shaw: Pygmalion

429 Franz Katka: Das Urteil Thomas Mann: Der Tod in Venedig Giacomo Balla: Geschwindigkeit eines Autos und Licht und Ton Constantin Brancusi: Porträt Mlle. Pogany Georges Braque: Stilleben mit Spielkarten Marc Chagall: Der Geiger Giorgio de Chirico: Piazza d'Italia Kasimir Malewitsch: Schwarze Quadrate auf weißem Grund Piet Mondrian: Komposition mit Bäumen Nr. 3

1914 Im Großen Saal der Musikhalle Hamburg werden am 3. 2. das Konzertstück für Flöte und kleines Orchester sowie Das Märchen vom dicken fetten Pfannenkuchen uraufgeführt; am 7. 4. vollendet Siegfried Wagner Der Friedensengel und fährt zu Konzerten nach Dresden und Danzig. In dem von Isolde gegen ihre Mutter ange• strengten Prozess um Anerkennung als leibliche Tochter Richard Wagners sagt Cosima zu ihren Ungunsten aus; die Ehe von Daniela und Henry Thode wird ge• schieden. Das Attentat von Sarajevo - die Ermordung des österreichischen Thronfolgers, Erzherzog Franz Ferdinands, und dessen Frau durch den 19jährigen Gymnasiasten und großserbischen Nationalisten Gavrilo Princip am 28. 6. - führt vier Wochen später zum Beginn des 1. Weltkriegs. Da die Festspiele mit Kriegsbeginn abgebrochen und die Eintrittskarten erstattet werden, kommt es zu einem Denzit von rund 400.000 Mark. Siegfried Wagner komponiert Der Fahnenschwur nach einem Gedicht von Ernst Moritz Amdt für Männerchor und großes Orchester, der am 24. 10. in der Berliner Philharmonie uraufgeführt wird. Nach einem Konzert in Nürnberg erleidet er einen Zusammen• bruch. Am 14. 8. wird der Panama-Kanal eröffnet; Marcel Duchamp erregt mit dem er• sten ready made, einem Flaschentrockner, beträchtliches Aufsehen. * Tennessee Williarns Heinrich Mann: Der Untertan Thomas Mann: Gedanken im Kriege

1915 Im Frühjahr dirigiert Siegfried Wagner mehrere Konzerte zugunsten des Roten Kreuzes; er vollendet am 26. 8. An Allem ist Hütchen Schuld! und wird am 22. 9. im Saal von Wahnfried mit Winifred Williams-K1indworth getraut. Er kompo• niert das Konzert für Violine mit Begleitung des Orchesters, das am 6. 12. im Herkules-Saal in Nürnberg zur Uraufführung kommt.

430 Gegen den Rat Admiral von Tirpitz' wird der U-Boot-Krieg verschärft und unter• schiedslos kriegführende wie neutrale Schiffe ohne Vorwarnung in den zum Kriegsgebiet erklärten Gewässern um England torpediert; nach der Versenkung des britischen Passagierschiffes Lusitania drohen die USA mit Kriegseintritt. An der Westfront wird erstmals Chlorgas eingesetzt. Albert Einstein legt seine Allgemei• ne Relativitätstheorie vor. * Arthur Miller + Karl Goldmark, Alexander Sktjabin Emmerich KaIman: Die Csardasjürstin Max Reger: Mozart-Variationen Max von Schillings: Mona Lisa Franz Kafka: Die Verwandlung Alexander Archipenko: Badende Egon Schiele: Tod und Mädchen

1916 Siegfried Wagner verfasst die Operndichtung Das Liebesopfer, für die er aber kei• ne Musik komponiert; 1928 greift er das Thema noch einmal auf. Ende Juli findet in Wahnfried eine Gedächtnisfeier zu Franz Liszts 30. Todestag statt. Admiral von Tirpitz wird entlassen, der uneingeschränkte U-Boot-Krieg vor• übergehend zurückgenommen. Eine Friedensdeklaration der deutschen Reichslei• tung nach dem Tod Kaiser Franz Josefs I. wird von der Entente abgelehnt. Aus der Gründung des Cabaret Voltaire geht der Dadaismus hervor; Kasimir Malewitsch gelangt mit geometrischen Abstraktionen zum Suprematismus. + Umberto Boccioni, Franz Mare, Max Reger, Hans Richter Giorgio de Chirico: Die beunruhigenden Musen Naum Gabo: Frauenkopf Wilhelm Lehmbruck: Gestürzter

1917 Am 5. 1. wird Wieland Wagner geboren; An Allem ist Hütchen Schuld! kommt am 6. 12. am Königlichen Hoftheater in Stuttgart zur Uraufführung. Die Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges führt zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und den USA, die am 6. 4. in den Krieg eintreten. In Russland kommt es im März (nach russischem Kalender: 27. 2.) zum Arbeiter• und Soldatenaufstand der Februarrevolution, zur Abdankung des Zaren und zur Bildung einer provisorischen Regierung, die bald darauf von Arbeiter- und Solda-

431 tenräten abgelöst wird. Die Oktoberrevolution (7. 11.) führt schließlich zur Machtübernahme der Bolschewiken in Sankt Petersburg unter Lenin und Trotzki, die nach Russland zurückgekehrt sind, und zum Waffenstillstand mit dem Deut• schen Reich. Eine Friedensnote Papst Benedikt XV. bleibt wirkungslos. Nach der britischen Offensive in Palästina und der Räumung Jerusalems durch die Türken stellt der britische Außenrninister Arthur James Balfour den Juden am 2. 11. ein national horne in Aussicht. In Leiden formiert sich die Künstlergruppe De Stijl. Guillaume Apollinaire ver• wendet im Programmheft zum Ballet Parade von Jean Cocteau, Pablo Picasso und Eric Satie erstmals den Begriff Surrealismus. Im Dezember wird die Universum Film AG (Ufa) zu nationalen propagandistischen Zwecken gegründet. Marcel Duchamp gelingt mit Fountain nochmals ein ähnlicher Skandal wie anlässlich des Flaschentrockners. + 8. 3. Ferdinand Grafvon Zeppelin Ferruccio Busoni: Turandot Hans Pfitzner: Oskar Kokoschka: Hiob, Der brennende Dornbusch, Mörder, Hoffnung der Frauen Knut Hamsun: Segen der Erde Hans Pfitzner: Futuristengejahr

1918 Der Präsident der USA, Woodrow Wilson, erläutert in einer Rede am 8. 1. seine Richtlinien f"ür den Weltfrieden. Zwischen Sowjet-Russland und dem Deutschen Reich kommt am 3. 3. in Brest-Litowsk ein Friedensvertrag zustande; Zar Nikolaus 11. und seine Familie werden am 16. 7. erschossen. Nach der Rückverlagerung der deutschen Front im Westen in die Siegfriedstellung und Abwehrschlachten folgt schließlich Waffenstillstand, bei dem die Generäle Ludendorffund Hindenburg die militärische Niederlage eingestehen. Friedelind Wagner kommt am 29. 3. zur Welt. Siegfried Wagner komponiert die Friedenshymne für gemischten Chor, Sopran-Solo und Orchester auf einen von ihm selbst verfassten Text; Wer liebt uns? für Männerchor mit Bläserbegleitung und das Wahnfried-Idyll für Singstimme und Klavier. Am 30. 10. wird Sonnenflammen am Großherzoglichen Hoftheater in Darmstadt und am 5. 11. Schwarzschwanenreich am Großherzoglichen Hoftheater in Karlsruhe uraufgeführt. Am 9. 11. kommt es zur November-Revolution in Berlin und zur Räterepublik in Bayern. Wilhelm 11. dankt ab und begibt sich ins niederländische Exil. Philipp Scheidemann ruft die Republik aus, Friedrich Ebert übernimmt die Regierungsge• schäfte. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gründen die Kommunistische Par• tei Deutschlands (KPD).

432 • Gottfried von Einem, Bernd Alois Zimmennann + Guillaume Apollinaire, Claude Debussy, Ferdinand Hodler, Gustav Klimt, Egon Schiele, Georg Simmel, Frank Wedekind Bela Bart6k: Herzog Blaubarts Burg Giacomo Puccini: Schwester Angelica Franz Schreker: Die Gezeichneten Igor Strawinsky: Die Geschichte vom Soldaten Thomas Mann: Betrachtungen eines Unpolitischen Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes (1. Band)

1919 Am 18. 1. beginnt die Pariser Friedenskonferenz. Der Spartakusaufstand wird von Freikorps blutig niedergeschlagen, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Kurt Eisner in der Folge ennordet. Isolde Beidler, geb. Wagner, stirbt am 7. 2., Wolfgang Wagner wird am 30. 8. ge• boren. Zur Hochzeit des Autors vertont Siegfried Wagner das Gedicht Nacht am Narocz von Günter Holstein für Tenor und Klavier. An seinem 50. Geburtstag überreicht ihm Carl Friedrich Glasenapp Siegfried Wagner und seine Kunst, Neue Folge II, die erst postum veröffentlicht wird. Paul Pretzsch publiziert Die Kunst Siegfried Wagners. Ein Führer durch seine Werke. Am 28. 4. wird der Völkerbund gegründet. Das Deutsche Reich erhält die Weimarer Verfassung, Friedrich Ebert wird erster Reichs-, Philipp Scheidemann Ministerpräsident; bis 1933 lösen sich in der Weimarer Republik nacheinander 20 Kabinette mit 12 Reichkanzlern ab. Der französische Ministerpräsident Georges Benjamin Clemenceau fordert harte Friedensbedingungen, doch der Versailler Vertrag vom 28.6. trägt zur Stärkung nationalistischer Kräfte bei, nicht zuletzt auch zur Gründung der Deutschen Arbeiterpartei (DAP), der späteren NSDAP. Schauspieler gründen in Hollywood die United Artists. In Weimar erscheint das Bauhaus-Manifest, in dem der Künstler als Steigerung des Handwerkers definiert wird. Mit finanziellen Mitteln der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria wird in Stutt• gart die erste Waldorfschule nach pädagogischen Grundsätzen Rudolf Steiners errichtet. + Ernst Haeckel, Wilhelm Lehmbruck, Ruggiero Leoncavallo Jean Sibelius: 5. Sinfonie Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten Ernst Barlach: Der tote Tag Carl Sternheim: Tabula rasa Hennann Hesse: Demian Franz Kafka: In der Strafkolonie Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit

433 Max Beckmann: Die Nacht EI Lissitzky: Proun 1D

1920 Siegfried Wagner vollendet am 18. 2. Der Schmied von Marienburg; in Dresden inszeniert er Sonnenjlammen mit Bühnenbildern von Franz Stassen und Richard Tauber als Fridolin. Am 5. 12. wird Verena Wagner geboren. Von Juli bis August findet in Moskau der Kongress der Kommunistischen Inter• nationale (Komintern) statt. Die Berliner Dada-Messe löst heftige Proteste aus und zieht 1921 einen Prozess wegen Beleidigung der Armee nach sich. Max Rein• hardt tritt von der Direktion der drei von ihm geleiteten Berliner Theater zurück und eröffnet die Salzburger Festspiele mit Jedermann. Erwin Piscator gründet das Proletarische Theater als ,,Bühne der revolutionären Arbeiter Groß-Berlins". Knut Hamsun erhält den Nobelpreis für seinen Roman Segen der Erde, Igor Strawinskys Pulcinella wird in der Ausstattung von Pablo Picasso uraufgeführt, Wladimir Tatlin stellt sein Modell für das Monument der IIf. Internationale vor. + Max Bruch, Ludwig Ganghofer Erich Wolfgang Korngold: Die tote Stadt Franz Schreker: Der Schatzgräber Giacomo Puccini: Il trittico Eric Satie: Musique d'ameublement Daniel-Henry Kahnweiler: Der Weg zum Kubismus Wladimir Iljitsch Lenin: Über proletarische Kultur Carl Gustav Jung: Psychologische Typen Ernst Jünger: In Stahlgewittern Franz Kafka: Ein Landarzt Otto Dix: Kartenspielende Kriegskrüppel Pablo Picasso: Drei badende Frauen, Zwei sitzende Frauen Carl Froelich: Die Brüder Karamasow Ernst Lubitsch: Kohlhiesels Töchter

1921 Siegfried Wagner unternimmt Konzertreisen nach Berlin, Stockholm, Bergen, Kopenhagen, Coburg und Turin; in Bayreuth wird die Deutsche Festspiel-Stiftung gegründet. Aus der Bauchspeicheldrüse eines Hundes wird erstmals Insulin gewonnen. Über Picasso erscheint eine erste Monographie; Man Ray erfindet die Rayographie. Die ,,Automobilverkehrs- und Übungsstraße" (Avus) in Berlin wird eröffnet. Piscators proletarisches Theater wird geschlossen. Paul Hindemiths Mörder, Hoffnung der

434 Frauen und Das Nusch-Nuschi werden in Bühnenbildern von Oskar Schlemmer uraufgeführt. • Joseph Beuys, Friedrich DÜITenmatt + Enrico Caruso, Engelbert Humperdinck, Camille Saint-Saens, Ludwig Thoma, Bela Bart6k: 1. Violinsonate Arthur Honegger: Le Roi David Sergej Prokofjew: Die Liebe zu den drei Orangen Max Beckmann: Selbstbildnis als Clown George Grosz: Das Gesicht der herrschenden Klasse Piet Mondrian Bild I Claude Monet: Seerosen Charlie Chaplin: The Kid Fritz Lang: Der müde Tod Lotte Reininger: Der fliegende Koffer Hugo von Hofmannsthai: Der Schwierige Wladimir Majakowski: Mysterium Buffo Luigi Pirandello: Sechs Personen suchen einen Autor

1922 Siegfried Wagner unternimmt wiederum zahlreiche Konzertreisen - u. a. erstmals auch nach Basel- und bereitet die Amerika-Tournee vor; auf Veranlassung eines amerikanischen Verlages beginnt er mit der Niederschrift seiner Erinnerungen. Am 2. 8. vollendet er Rainulf und Adelasia; außerdem komponiert er das Scherzo Und wenn die Welt voll Teufel wär, aus gegebenem Anlass das Hochzeitslied sowie die Hildisch-Hymne, beide für Singstimme und Klavier. Walter Rathenau wird ermordet. Benito Mussolinis Marsch auf Rom am 27./ 28. 10. ist der Auftakt zum Staatsstreich in Italien, in dessen Folge Mussolini von König Viktor Emanuel m. zum Ministerpräsidenten ernannt wird. Darius Milhaud importiert den Jazz nach Europa. Howard Carter findet das unver• sehrte Grab Tutanchamuns. Fritz Busch wird Dirigent an der Staatsoper Dresden, Furtwängler der Berliner Philharmoniker, Bruno Walter bricht zu Gastspielen in die USA auf. • Marcel Proust + Alexander Graham Bell, Arthur Griffith Bertold Brecht: Trommeln in der Nacht James Joyce: Ulysses Le Corbusier: Ausblick auf eine Architektur Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes (2. Band) Max Ernst: Rendezvous der Freunde Oskar Schlemmer: Triadisches Ballet

435 Friedrich Wilhelm Murnau: Nosferatu, Symphonie des Grauens Erich von Stroheim: Närrische Frauen

1923 Siegfried Wagner publiziert seine Erinnerungen; am 10. 5. vollendet er die sym• phonische Dichtung Glück, deren Uraufführung im Dezember unter seiner Leitung in München stattfindet. Am 1. 10. besucht Adolf Hitler erstmals Wahnfried. Der Schmied von Marienburg wird am 16. 12. am Stadttheater Rostock zur Urauffüh• rung gebracht. Aufgrund eines geringfiigigen Rückstands bei den Reparationsleistungen kommt es zur Ruhrbesetzung durch Frankreich. Auf dem Höhepunkt der Inflation wird am 17. 11. die Reichsmark eingeführt. Der TonfIlm wird erfunden und der öffentliche Rundfunk nimmt seine Arbeit auf. Arnold Schönberg stellt mit Fünf Klavier• stücken und der Serenade die Zwölftontechnik vor. Kemal Atatürk wird Präsident der Türkei. Mit dem Marsch zur FeldherrenhaUe in München unternehmen Hitler und Ludendorff am 8./9. 11. einen Putschver• such, der niedergeschlagen wird; Hitler schreibt während seiner anschließenden Inhaftierung das Pamphlet Mein Kampf + Wilhelm Conrad Röntgen Bela Bart6k: Tanz-Suite Jean Sibelius: 6. Sinfonie Joachim Ringelnatz: Kuttel Daddeldu Rainer Maria Rilke: Duineser Elegien, Sonette an Orpheus Martin Buber: Ich und Du Sigmund Freud: Das Ich und das Es Marcel Duchamp: Das Große Glas (Die Braut, von ihren Junggesellen nackt ent• blößt, sogar) Kurt Schwitters: MERZ-Bau (1. Version)

1924 Siegfried Wagner komponiert das Scherzo Hans im Glück, das er später im 3. Satz seiner Symphonie verwendet, und geht mit Winifred von Ende Januar bis Ende März auf Konzertreise durch die USA, um Geld fiir die Bayreuther Festspiele zu sammeln; obwohl nur ca. 8000 Dollar zusammenkommen, werden die Festspiele nach IOjähriger Unterbrechung am 22. 7. mit der überarbeiteten Meistersinger• Inszenierung von 1911 eröffnet. Nach der Schlussansprache des Hans Sachs erhebt sich das Publikum, um das Deutschlandlied zu singen; Siegfried Wagner ist ent• setzt über diesen Vorfall und untersagt im nächsten Festspieljahr derartige Darbie• tungen - ,,Hier gilt's der Kunst!"

436 Die deutschen Reparationszahlungen werden neu geregelt. Edwin Hubble erkennt im Andromeda-Nebel eine zweite Milchstraße. Knochenreste des Australopithe• cus werden in Südafrika entdeckt. In Berlin wird die KroD-Oper als Spielstätte zeitgenössischer Werke eröffnet, Max Reinhardt startet das Boulevard-Theater Komödie. * 29. 1. Luigi Nono + Feruccio Busoni, Franz Katka, Wladimir Iljitsch Lenin, Giacomo Puccini George Antheil: Ballet mecanique fiir 16 mechanische Klaviere George Gershwin: Rhapsody in Blue Arthur Honegger: Pacific 231 Leos Janacek: Das schlaue Füchslein Darius Milhaud: Le train bleu Richard Strauss: Intermezzo Andre Gide: Corydon Thomas Mann: Der Zauberberg Andre Breton: Surrealistisches Manifest Fritz Lang: Die Nibelungen

1925 Im April erfolgt die Uraufführung des Scherzos Und wenn die Welt voll Teufel wär in Hamburg; nach mehreren Konzertreisen vollendet Siegfried Wagner am 6. 10. die Symphonie in C-dur, deren 2. Satz aus dem Vorspiel zu Der Friedensengel be• steht. Bei den Festspielen werden die Parsifal-Bühnenbilder einer noch größeren Stilisierung unterzogen. Nach dem Tod Friedrich Eberts wird Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg Reichspräsident. Adolf Hitler wird aus der Haft entlassen. In Italien werden die individuellen Grundrechte und die Pressefreiheit aufgehoben; Benito Mussolini erhält als Duce dei Fascismo unbeschränkte Vollmacht. * Giselher Klebe + Eric Satie, Rudolf Steiner Alban Berg: Wozzeck Feruccio Busoni: Doktor Faust Paul Hindemith: Konzertfir Orchester Hans Pfitzner: Streichquartett Jean Sibelius: Tapiola Lion Feuchtwanger: Jud Süß Franz Katka: Der Prozeß Max Beckmann: Fastnacht Charlie Chaplin: Goldrausch Sergeij Eisenstein: Panzerkreuzer Potemkin

437 1926 Am 4. 3. wird Der Friedensengel am Badischen Landestheater in Karlsruhe urauf• geführt. Im Juli findet in Weimar eine Deutsche Festspielwoche und Siegfried• Wagner-Festspielwoche statt, in deren Rahmen u. a. Der Bärenhäuter und Sternengebot zur Aufführung kommen. Stresemann und Briand erhalten gemeinsam den Friedensnobelpreis; Deutschland wird in den Völkerbund aufgenommen. In Berlin wird der Funkturm eingeweiht, das Bauhaus zieht nach Dessau um. Nach Entwürfen von Mies van der Rohe wird auf dem Berliner Friedhof Friedrichsfelde ein Denkmal für die Gefallenen des Spartakusaufstandes errichtet. Der Charleston wird zum Modetanz, Josephine Baker macht den "Bananentanz" populär. Die Lufthansa AG wird gegründet. * l. 7. + Claude Monet, Rainer Maria Rilke, Rudolpho Valentino Bela Bart6k: Der wunderbare Mandarin Alban Berg: Lyrische Suite Paul Hindemith: Cardillac Giacomo Puccini: Turandot Ernst Barlach: Der blaue Boll Jean Cocteau: Orphee Hans Grimm: Volk ohne Raum Franz Katka: Das Schloß George Grosz: Stützen der Gesellschaft Friedrich Wilhelm Mumau: Faust. Eine deutsche Volkssage Fred Niblo: Ben Hur

1927 Anfang Januar stirbt Houston Stewart Chamberlain. Siegfried Wagner vollendet am 23. 3. Die heilige Linde und komponiert einen neuen 2. Satz seiner Symphonie in C-dur; kurz darauf reist er zu einem Konzert in der Royal Albert Hall nach London, wo er auch Tonaufnahmen für Electrola dirigiert. Im Herbst beendet er den 1. Akt von Wahnopfer. Zudem komponiert er Das Dryadenlied und Weihnacht, nach einem süddeutschen Gedicht des 17. Jahrhunderts, beide für Singstimme und Klavier. Bei den Festspielen lässt Siegfried Wagner die Fluten des Rheins im Rheingold auf Schleier projizieren und arbeitet eine ausgefeilte Lichtregie für die WaIdweben• Szene aus. Außerdem wird der 2. Aufzug Parsifal erneuert, während die Tristan• Inszenierung vor allem durch wechselnde farbige Beleuchtung gekennzeichnet ist. Cosima Wagners 90. Geburtstag am 25. 12. wird dieser verheimlicht, um ihr Auf• regungen zu ersparen; der erste Band von Marie d'Agoults Memoiren erscheint mit einem Vorwort von Siegfried Wagner.

438 Stalin wird unumschränkter Diktator der Sowjetunion. Charles Lindbergh über• quert den Atlantik im Nonstop-Flug. Fritz Pfleumer erfindet das Magnettonband. Werner Heisenberg stellt das Unschärfeprinzip auf, das Albert Einstein zu der kritischen Äußerung veranlasst: "Gott würfelt nicht". Unter der Gesamtleitung von Mies van der Rohe entsteht die Weißenhof-Siedlung in Stuttgart. Walter Gropius und Erwin Piscator entwerfen ein TotaItheater. Die Comedian Harmonists grün• den sich, Otto Klemperer wird Leiter der Kroll-Oper, später Staatsoper Berlin. Alan Croslands Der Jazzsänger markiert den Beginn des Tonfilmzeitalters. * Günter Grass, Martin Walser Ernst Krenek: Jonny spielt auf Darius Milhaud: Der arme Matrose Ermanno Wolf-Ferrari: Sly Bela Bart6k: 3. Streichquartett Amold Schönberg: 3. Streichquartett Dimitri Schostakowitsch: 1. Sinfonie Igor Strawinsky: Oedipus Rex Bertold Brecht: Hauspostille Hermann Hesse: Der Steppenwolf Martin Heidegger: Sein und Zeit Rene Magritte: La decouverte Abel Gance: Napoleon Buster Keaton: Der General

1928 Im Frühjahr unternimmt Siegfried Wagner zahlreiche Reisen mit dem Auto, das Winifred steuert. Für die Festspiele befreit er die Dekorationen der Walküre - nach eigenen Worten - von früherem Firlefanz. In der Nornenszene der Götterdämme• rung ist eine stilisierte Tanne zu sehen. Von seiner 16. Oper, Wahnopfer, beendet er die Dichtung vollständig, die Partitur zur Hälfte; die Dichtung Wernhart, eine Umarbeitung von Liebesopfer, bleibt dagegen unvertont. Der Briand-Kellog-Pakt beinhaltet die Ächtung des Krieges als Mittel zur Lösung zwischenstaatlicher Streitigkeiten. Chiang Kai-shek übernimmt die Nationalregierung in China. Walter Gropius gibt die Leitung des Bauhauses ab, nachdem ihn seine Frau Alma, um Franz Werfel zu heiraten, verlassen hat. Alexander Fleming entdeckt in London das Penicillin. In den USA kommt der erste Fernsehempfänger auf den Markt, in Deutschland werden die ersten Fernschreiber eingesetzt. * Pavel Kohout, Karlheinz Stockhausen + Roald Amundsen, Leos Janacek

439 Bela Bart6k: 4. Streichquartett George Gershwin: An American in Paris Darius Milhaud: Christoph Colomb Maurice Ravel: Bolero Richard Strauss: Die ägyptische Helena Igor Strawinsky: ApolIon musagete Kurt Weill: Die Dreigroschenoper Franz Werfel: Der Abituriententag Stefan Zweig: Sternstunden der Menschheit Ernst Barlach: Der Geisteskämpfer Andre Breton: Nadja Charles Chaplin: Zirkus Salvador Dali & Luis Bufiuel: Un chien andalou Sergej Eisenstein: Olajabr

1929 Siegfried Wagner vollendet Dichtung und Particell von Walamund sowie Das Flüchlein, das Jeder mitbekam, "ein Spiel aus unserer Märchenwelt", von dem er außer dem Vorspiel ebenfalls nur Dichtung und Particell fertig stellt. Dem befreun• deten Fabrikantenehepaar Bales widmet er die Komposition Das Bales-Tänzchen. Zu seinem 60. Geburtstag erhält er von Freunden Bayreuths eine Spende von über 100.000 Reichsmark für seine geplante Neuinszenierung des Tannhäuser im nächsten Jahr, für den er - gegen zahlreiche Widerstände - mit Arturo Toscanini erstmals einen Ausländer nach Bayreuth verpflichtet. Am 11. 2. erfolgt in Italien die Gründung des souveränen Staates Vatikanstadt; die Lateranverträge regeln die Souveränität des Papstes über die Cittil dei Vatica• no, der Katholizismus wird Staatsreligion. Dramatische Kursstürze an der New Yorker Börse am 25. 10. (Schwarzer Frei• tag) führen am 29. 10. zu deren totalen Zusammenbruch. In Dornach wird das (zweite) Goetheanum, in New York das Museum of Modern Art fertig gestellt. Edwin Hubble findet heraus, dass sich das Universum mit hoher Geschwindigkeit ausdehnt. Das Luftschiff Zeppelin fliegt um die Erde. Thomas Mann erhält den Nobelpreis für Die Buddenbrooks. * John Osbome + Georges Benjamin Clemenceau, Hugo von Hofmannsthai, Wilhelm Maybach, Gustav Stresemann Franz Lehm-: Land des Lächelns Friedrich Wolf: Cyankali Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues Erwin Piscator: Das politische Theater

440 Pablo Picasso: Frauenbüste mit Selbstbildnis Piel Jutzi: Mutter Krausens Fahrt ins Glück

1930 Durch die Revision des Dawes-Plans im Januar sollen die deutschen Reparati• onsleistungen erleichtert werden. Reichskanzler Brüning erlässt Notverordnun• gen. In Berlin wird das Pergamon-Museum, in Dresden das Hygiene-Museum eröffnet; Mies van der Rohe erhält die Leitung des Bauhauses. Siegfried Wagner reist im Februar mit Winifred zu einem Großen Konzert vor 4.500 Zuhörern nach Bristol und gibt anschließend ein weiteres in Boumemouth; anschließend fahren sie nach Mailand, wo Siegfried Wagner Regie und Dirigat des Ring des Nibelungen übernimmt. Während ihrer Abwesenheit stirbt am 1. 4. Cosima Wagner in Bayreuth. Nach den Trauerfeierlichkeiten bricht Siegfried Wagner zu weiteren Konzertreisen nach Hannover und Bologna auf. Am 15. 6. beginnen die Proben der diesjährigen Festspiele; zwei Tage später, in der Probe zum 2. Aufzug von Götterdämmerung, erleidet Siegfried Wagner einen Herzinfarkt und wird ins Krankenhaus gebracht. Mit Tannhäuser unter der musikalischen Leitung von Arturo Toscanini werden am 22. 7. die Festspiele eröffnet. Am 4. 8. um 17:30 Uhr stirbt Siegfried Wagner und wird am 6. 8. unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Bayreuther Stadtfriedhof beigesetzt. * 10. 10 Harold Pinter + Arthur James Balfour, Arthur Conan Doyle, Alfred von Tirpitz Ralph Bernatzky: Im weißen Rößl Igor Strawinsky: Symphonie des psaumes Kurt Wei11: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny Thomas Mann: Deutsche Ansprache Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften (1. Band) Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur Ewald Matare: Liegende Kuh Piet Mondrian: Komposition mit Rot, Blau und Gelb Josefvon Sternberg: Der blaue Engel

441 Register

Abbates, Carolyn 98 Beck, Hans-Georg 110,249,250, Abendroth, Hermann 79 251, 256, 335 Adenauer, Konrad 413 Beckett, Samuel 426 Aign, Karl Wilhelm 422 Beckmann, Max 416,434,435,437 Aign, Marie 87, 422 Becquerel, Antoine Henri 420, 427 Albert, Werner Andreas 6, 8, 344, Beidler, Franz 422 35~ 35~ 35~38~409 Beidler, Isolde 433 Albinoni, Tomaso Giovanni 246 Bekker, Paul 269 Alfano, Franco 402 Bell, Alexander Graham 412,435 Amann, Gotifried 157 Bella, Jan Levoslav 27 Amundsen, Roald 411, 428, 439 Bel/ini, Vincenzo 158, 162 Andersen, Hans Christian 24,201, Benz, Carl 416 204,214 Berg, Alban 112,416,437,438 Anouilh, Jean 427 Bergman,Erik 154 Antheil, George 422, 437 Bergson, Henri 422 Apollinaire, Guillaume 432, 433 Berlioz, Hector 22,23,112,224,410 Appia, Adolphe 267, 270, 286 Bernatzky, Ralph 441 Archipenko, Alexander 417,427,431 Bernstein, Leonard 347 Arndt, Ernst Moritz 430 Beuys, Joseph 435 Atatürk, Kemal 415,436 Bischof!, Johannes 242 Auber, Daniel Fram;ois 411 Bittner, Julius 238 Bach, Johann Sebastian 28, 58, 80, Bizet, Georges 276,412 112,218,232,311,326,418 Björnsson, Björnstjerne 105 Bach, Konrad 6, 8, 344, 348, 356, Blech, Leo 411, 424, 425 362 Boccioni, Umberto 415,428,431 Bahr, Achim 6, 8, 410 Bock, Claus Victor 202,203,217, Baker, Josephine 426, 438 219,232 Bakunin, Michail 81 Böcklin, Arnold 17,20,272,362, Balfour, Arthur James 432, 441 416,423 Balla, Giacomo 411, 430 Boehe, Ernst 106,107 Ba/ling, Michael 238 Böhm, Karl 301 Bantock, Granville 232 Bohr, Niels 429 Barlach, Ernst 410,433,438,440 Boito, Arrigo 23, 172 Barnack, Oskar 429 Borngraeber, Otto 303 Barrie, James Matthew 204, 424 Borodin, Alexander 417 Bart6k, Bela 16,415,427,428,435, Borwick, Leonard 218 436, 438, 439, 440 Boulez, Pierre 285 Herzog Blaubarts Burg 16,433 Brahm,Otto 267 Baum, Vicki 245 Brahms, Johannes 107,129,218, Bebei, August 410,416,429 222, 223, 224, 230, 231, 350, 351, Bechstein, Ludwig 24 353,413,416,421

443 Brancusi, Constantin 413, 430 Courbet, Gustave 272 Brandt, Karl 235 Courvoisier, Walter 106 Braque, Georges 415, 427, 428, 430 Craig, Edward Gordon 267 Braune, Isolde 5,8, 168, 180, 181 Croslands, Alan 439 Brecht, Bertold 421, 435, 439 d'Agoult, Marie 412, 438 Breker, Arno 422 d'Albert, Eugen 303,422,424 Breton, Andre 420,437,440 d'Annunzio, Gabriele 250 Briand, Astride 438, 439 d 'Indy, Vincent 154 Brilten, Benjamin 114, 429 Dahlhaus, Carl 20,93,94,98,108, Brockhaus, Max 102, 107, 305, 306, 110,115,116 333 Daimler, Gottlieb 416,422 Bruch, Max 12, 434 Dali, Salvador 424,440 Bruckner, Anton 313, 351, 413, 414, Dammann, Christian 5, 143, 152, 415,416,420,424 153 Brückne~Max 27~ 271, 274 Dante, Alighieri 78, 98, 99, 105, 111, Brüning, Heinrich 441 211 Buber, Martin 436 Danuser, Hermann 98 Büchner, Georg 239 Dargomyshski, Alexander 25 Buiiuel, Luis 422, 440 Darwin, Charles 411 Burckhardt, Jacob 249, 421 Daube,Otto 14,16,95,96,246,248, Busch,Fri~ 41~ 435 331 Busch, Sabine 5,8, 167, 183, 196, de Chirico, Franz 417 197, 198, 199,342 de Chirico, Giorgio 430,431 Busoni, Ferruccio 23, 426, 432, 437 de Falla, Manuel 413 Calderon de la Barca, Pedro 98, 105 de Jouvenot, Francis 16 Camus, Albert 429 de Nuovina, Marguerite 339 Carroll, Lewis 204,411,421 de Toulouse-Lautrec, Henri 423 Carter, Howard 411, 435 Debussy, Claude 12, 14, 16, 20, 114, Caruso, Enrico 435 126,218,420,423,425,433 Cezanne, Paul 422, 424, 425, 426 Images pour orchestre 16 Chagall, Marc 417,430 La mer 16,425 Pelleas et Me/isande 16, 423 Chamberlain, Houston Stewart 36, Delius, Frederick 426 242, 261, 262, 266, 272, 278, 281, Demmerling, Christoph 331,334 422, 426, 438 Dessau, Paul 420 Chapiro, Joseph 279 Diaghilew, Sergei 411 Chaplin, Charles 418,435,437,440 Diesel, Rudolf 419, 429 Chevalley, Heinrich 268 Dingelstedt, Franz 99 Chopin, Frederik 218 Dippel, Roland 6, 8, 79, 91, 114, Clemenceau, Georges Benjamin 433, 141, 166, 198, 330, 339, 340, 341, 440 342, 343, 398 Cocteau, Jean 173,178,418,432, Dix,Olto 418,434 438 Döb/in, Alfred 413, 428, 440 Cordes, Nevil 232 Donizetti, Gaetano 246, 302 Cornelius, Peter 412

444 Dostojewskij, Fjodor Michailowitsch Freud, Sigmund 17, 18, 22, 422, 423, 414,415 429, 436, 441 Doyle, Arthur Conan 425,441 Freytag, Gustav 81 Draeseke, Felix 98 Friedrich IIf. 417 Dreyfus, Alfred 421,425 Friedrich, Sven 6, 7, 127, 140, 152, Duchamp, Marcel 417, 429, 430, 179, 180, 181, 183,244,264,284, 432,436 285, 286, 325, 326, 339, 340, 368, Dukas, Paul 80 399,401 Dumas, Alexandre 420 Frisch, Max 428 Duncan, Isadora 270,424 Froelich, Carl 412,434 Dürer, Albrecht 271 Fuhrmann, August 426 Dü"enmatt, Friedrich 435 Furtwängler, Wilhelm 417,435 Dvoftik, Antonin 25,391,424 Gabo, Naum 418,431 Ebert, Friedrich 278, 411, 432, 433, Gabrieli, Giovanni 346 437 Gance, Abel 418,439 Eckart, Ludwig 99 Ganghofer, Ludwig 434 Edison, Thomas Alva 413,414 Gardiner, Henry Balfour 230 Eger, Paul 238, 239 Gasparini, Francesco 246 Egk, Werner 23, 423 Gauguin, Paul 17, 423, 424 Eidam, Rosa 127, 279, 285, 286 Gay, Peter 338 Einstein, Albert 414, 425, 431, 439 Genet, Jean 427 Eisenstein, Sergeij 421, 437, 440 Georg, Mechthild 6, 8, 383, 384, Eisner, Kurt 280,433 38~ 39~ 401, 40~ 408 Elgar, Edward 232, 356, 428 George, Stefan 181,217,220,221, Eliot, Thomas Stearns 417 223,225,231 Elschner, Walter 242 Georgiades, Thrasybulos 173, 178, Engels, Friedrich 420 179 Ernst, Max 418,435 Gernsheim, Friedrich 107 Euripides 98 Gershwin, George 421, 437, 440 Ewers, Hans Heinz 334 Gibbon, Edward 222, 249, 250, 251, Falk, Peter 345 256, 257, 261, 262 Faulkner, William 421 Gide, Andre 207,410,423,427,437 Feuchtwanger, Lion 416,437 Giessel, Carl 95, 107,306 Feuerbach, Ludwig 411 Glasenapp, Carl-Friedrich 15, 95, Fleischer, Gunther 6, 8, 303, 325, 168, 169, 178, 180, 248, 249, 259, 327, 328, 341 425,428,429,433 Fleming, Alexander 415,439 Gluck, Christoph Willibald 154 Fokin, Mikhail 26 Goebbels, Josef 37,38, 79,92 Fontane, Theodor 417,421 Goldmark, Karl 78, 412, 427, 431 Ford, Henry 424 Gorki, Maxim 423, 424 Fortuny, Mariano 268,271 Göt~Hermann 35~355 Franck, Cesar 418 Gounod, Charles 23,419 Frankel, Benjamin 356 Graener, Paul 27 Graf du Moulin Eckart, Richard 229

445 GrafGravina, Biagio 415 Heidegger, Martin 418,439 Grafvon Gobineau, JosefArthur Heine, Heinrich 249 414,415 Heinz, Dieter 187, 196 Grafvon Zeppelin, Ferdinand 432 Heisenberg, Werner 423, 439 Gräfin Gravina, Blandine 415 Henze, Hans Werner 25, 438 Grainger, Percy 230 Hesse, Hermann 413, 425, 433, 439 Grass, Günter 439 Heuss, Theodor 416 Grieg, Edward 426 Heyse, Paul 110 Griffith, Arthur 411, 425, 435 Hiller, Johann Adam 108 Grillparzer, Franz 22, 98, 108 Hindemith, Paul 350, 352, 356, 420, Grimm, Hans 412,438 434, 437, 438 Grimm, Jakob und Wilhelm 15, 24, Hitler, Adolf 37,87,88,89,90, 92, 31,32,37, 184, 186, 305, 320, 324, 126,127,128,278,279,281,282, 330 285,286,325,331,339,372,418, Gropius, Walter 416,439 436,437 Großmann-Vendrey 272,277,281 Hodler, Ferdinand 422, 423, 433 Grosz, George 419,435,438 HojJmann, Ernst Theodor Amadeus Gruber, Gernot 93, 96 22,25, 108, 163, 181,201,221, Gunter-Kornagel, Luise 246, 247, 231 250, 253, 254, 256, 257, 305 Holbein, Wolfgang 271 Habermas, Jürgen 9, 304 Hölderlin, Friedrich 106 Haeckel, Ernst 433 Holstein, Günter 433 Halmai, Katalin 6, 8, 383, 384, 386, Homer 175 393, 406, 408 Honegger, Arthur 419, 435, 437 Hamann, Brigitte 282 Höpner, Hans-Martin 6, 7, 8, 344, Hamsun, Knut 432, 434 348, 353, 354, 355 Händel, Georg Friedrich 246 Horaz 221 Hanslick, Eduard 424 Horn, Volker 6, 8, 383, 384, 387, Harborough Sherard, Robert 202 39~39~39~ 40~ 408 Harris, Clement Hugh Gilbert 5, 30, Hörner, Stephan 5, 7, 115, 126, 128 118, 127, 179,201,202,203,204, Hubble, Edwin Powell 418,437,440 205,206,208,210,214,217,218, Humperdinck, Engelbert 12, 29, 78, 21~ 22~221,22~223,22~22~ 103,116,157,167,170,222,224, 226, 227, 229, 230, 231, 232, 233, 225,239,345,390,414,417,419, 237, 247, 256, 257, 262, 311, 403, 421, 425, 435 411,418,419,421 Husserl, Edmund 423 Harris, Frederick William 217 Ibsen, Henrik 105, 107,220,413, Harris, Walter Burton 220 414,415,416,417,419,426 Hauptmann, Gerhart 17,23,418, Imboden, Berner Walter 219 419,420,428 Jahnn, Hans Henny 368 Haushofer, Max 105 Janacek, Leos 23, 303, 424, 437, 439 Haydn, Joseph 134 Jessner, Leopold 267 Head, Leslie 6, 8, 301 Johanning, Beth 359,364,365,366, Hebbel, Christian Friedrich 34, 107 403,405

446 Johnson, Lionel 220 Koch, Robert 415,427 Johnson, Lyndon B. 397 Kodaly, Zoltan 415 Jonsson, Peter 242 Köhler, Joachim 126 Joyce, James 415,435 Kohout, Pavel 439 Jung, Carl Gustav 131,412,434 Kokoschka, Oskar 239, 417, 426, Jünger, Ernst 420, 434 432 Jungheinrich, Hans-Klaus 151,262 Kollo, Walter 413 Jutzi, Piel 441 Korngold, Erich Wolfgang 93,151, Kajka, Franz 416,430,431,433, 185, 239, 333, 434 434,437,438 Korngold, Julius 185, 330 Kahnweiler, Daniel-Henry 416,434 Kranich, Friedrich 274 Kaiser, Joachim 155, 158 Krätzer, Adolf 239, 242 Kaiser, StefJen 362,379 Kraus, Karl 412,433 Kai-shek, Chiang 439 Krenek, Ernst 303, 422, 439 Kalmim, Emmerich 415,431 Kreutzer, Konradin 25 Kandinsky, Wassily 20,424,427, Kröplin, Eckart 5, 7, 14, 78, 79, 90, 428, 429 91,111, 113, 140, 180, 199,230, Kant, Immanuel 220,331 243, 286, 357, 359, 360, 361, 363, Karbaum, Michael 127, 273, 278, 364, 365, 367, 370, 371, 373 281 Kufferath, Antonia 224 Karpath, Ludwig 92, 95, 96, 225 Kuhse, Hanne Lore 301 Keaton, Buster 420, 439 Künneke, Eduard 416 Keller, Gott/ried 180, 418 Lachenmann, Helmut 368 Keller, Walter 5, 7,8, 78, 111, 128, LafJerentz, Amelie 265 154,165,166,167,180,199,263, LafJerentz-Wagner, Verena 265 284, 328, 341, 371, 373 Lagerlöj, Selma 427 Kempin, Kurt 235, 237, 243 Lang, Fritz 418,435,437 Kienzl, Wilhelm 304, 390, 420 Lasker-Schüler, Else 410 Kiesel, Markus 95,96,97,104,115, Lassalle, Ferdinand 412 118,120,126,127 Lauterbach, Konstanze 6, 8, 357, Kietz, Ernst Benedikt 19 358, 359, 360, 361, 364, 366, 367, Kirchhoff, Hermann 323 368, 369, 373, 377 Kitajenko, Dmitrij 355 Le Corbusier, (Jeanneret, Charles) Klebe, Giselher 437 417,435 Kleiber, Erich 238 Lege~Fernand 41~ 429 Kleinmichel, Richard 154 Leha~Franz 41~42~ 440 Klemperer,Otto 238,416,439 Lehmbruck, Wilhelm 415,431,433 Kliche, Dieter 171, 178 Leibi, Wilhelm 415,422 Klimt, Gustav 20, 423, 427, 433 Lenau,JVikolaus 221,418 Klindworth, Karl 426 Lenin, Wladimir Iljitsch 410,432, Klinger, Max 17, 20, 23 434,437 Knappertsbusch, Hans 301 Leoncavallo, Ruggiero 100, 419, Kniese, Julius 116,419,425 422, 433 Knittel, Alfred 275 Lessing, Gotthold Ephraim 108

447 Leymann, Klaus 388 Mann, Thomas 18, 23, 82, 85, 87, Liebermann, Max 414,415,423 276,412,423,424,427,430,433, Liebknecht, Karl 411, 432, 433 437, 440, 441 Liebknecht, Wilhelm 410,422 Mannhardt, Wilhelm Emmanuel Lilienthai, Otto 418,420 Johann 37 Lincke, Paul 422 Marbach, Oswald 99 Lindbergh, Charles 423, 439 Mare, Franz 414,429,431 Lissitzky, Eliezer Markovich (EI) Marinetti, Filippo Tommaso 427 418,434 Martini, Fritz 171, 178 Liszt, Franz 7,94, 103, 107, 108, Marx, Karl 416 109,110,111,114,115,116,117, Massenet, Jules 114, 429 118, 121, 128, 140,204,218,223, Matare, Ewald 417,441 224,309,311,315,316,414,415, Matisse, Henri 410, 426, 427, 428 416,417,418,428,431 Mavilis, Lorenzos 231, 232 Lorca, Garcia 357,368,421 May, Karl 424, 427, 429 Lord Byron 203, 221 Maybach, Wilhelm 416,440 Lord Douglas, Alfred 207, 220 McCredie, Andrew 5, 7, 112, 113, Lortzing, Albert 25 11~ 12~ 14~ 16~ 19~23~232 Lotti, Antonio 246 Mendelssohn-Bartholdy, Felix 116, Lubitsch, Ernst 419,434 391 Ludendorff, Erich 234, 278, 279, Messiaen, Olivier 426 280, 281, 432, 436 Meyer, Conrad Ferdinand 175,178, Ludwig 11. 26,411,412,414,415, 421 417 Meyerbeer, Giacomo 82 Ludwig, Ernst 235, 236, 237, 238 Micard 16 Lukic, Ksenija 6, 8 Milhaud, Darius 419, 435, 437, 439, Lully, Jean Baptiste 112 440 Luther, Martin 314,335 Miller, Arthur 431 Luxemburg, Rosa 410,432,433 Millöcker, Karl 421 Maeterlinck, Maurice 17 Milton, John 118, 229 Magritte, Rene 421, 439 Minkowski, Hermann 426 Mahafly, John Pentland 203 Modersohn-Becker, Paula 426 Mahler, Gustav 12,14,93,98,115, Mödl, Martha 301, 371, 383, 388, 166,258,347,348,350,351,370, 389, 390, 399 414,417,420,421,422,423,424, Mondrian, Piet 411, 430, 435, 441 425, 426, 427, 428 Monet, Claude 412,419,423,424, Majakowski, Wladimir 435, 438 Wladimirowitsch 419,435 Monteverdi, Claudio 111, 112 Makart, Hans 17, 412, 416 Mörike, Eduard 412 Malewitsch, Kasimir 413,430,431 Mosse, George L. 336 Mann, Heinrich 411, 424, 425, 430 Mottl, Felix 116,226,229,418,419, Der Untertan 276,430 428 Mozart, Wolfgang Amadeus 40, 111, 11~ 113,21~ 38~ 392, 394

448 Muck, Karl 266 395, 396, 397, 398, 401, 403, 404, Müller, Wilhelm 34 405, 406, 407, 409 Munch, Edvard 17, 20, 23, 26, 422, Paderewski,lgnacyJan 219 425 Paul, Jean 179,180,181 Mundt, Theodor 110 Pepping, Ernst 350 Murnau, Friedrich Wilhelm 417, Pjitzner, Hans 15,16,94,152,248, 436,438 274,355,371, 410, 418, 420, 423, Musil, Robert 414,426,441 426,432,437 Mussolini, Benito 37,278,416,435, Der arme Heinrich 16 437 Die Rose vom Liebesgarten 16, 423 Mussorgsky, Modest 412,415 Picasso, Pablo 415,423,424,425, Navarra, Francesco 246 426,427,432,434,441 Neumann, Angelo 270,415 Pietzsch, Peter 364 Niblo, Fred 438 Pinter, Harold 441 Nienstedt, Gerd 389 Pirandello, Luigi 435 Nietzsche, Friedrich 82, 85, 93, 97, Piscator, Erwin 419,434,439,440 107, 111, 247, 248, 258, 262, 263, Pissaro, Camille 424 325,326,327,410,411,412,413, Pitz, Wilhelm 301 415,416,422 Pleitgen, Fritz 5, 9 Nikisch, Arthur 237 Poe, Edgar Allan 221 Nono, Luigi 437 Polani, Raffaele 301 Offenbach, Jacques 114,414,415 Pottgiesser, Karl 107 Ollivier, Emile 410,429 Poulenc, Francis 304 OrjJ, Carl 420 Praz, Mario 249, 250, 257 15,28,38,41,95,96, Osborn~John 440 Pretzsch, Paul Ottenheimer, Paul 235,238 97, 98, 99, 100, 103, 104, 177, 178, Pachl, Peter P. 1,5,6, 7,14,15,16, 179,180,246,247,259,331,433 28, 75, 78, 79, 82, 85, 87, 88, 89, Priestley, John Boynton 420 92,94,95,98, 100, 102, 107, 111, Princip, Gavrilo 430 113,116,122,126,127,128,132, ProkoJ7ew,Sergej 35~ 41~ 435 136,139,140,141,142,146,151, Proudhon, Pierre Joseph 81 153,165,166,167,170,178,179, Proust, Marcel 17,435 180, 181, 187, 195, 197, 198, 199, Puccini, Giacomo 276,304,330, 202,205,207,210,216,225,230, 333,345,348,402,419,420,422, 231, 232, 244, 247, 248, 257, 258, 423, 424, 428, 433, 434, 437, 438 Tosca 301,30~42~423 259, 262, 263, 282, 285, 286, 302, Turandot 330, 333, 402, 438 309,311,312,317,319,321,324, Püringer, August 278 326, 327, 328, 331, 339, 340, 341, Quantz, JohannJoachim 107,108 342, 344, 346, 348, 350, 353, 354, Rachmaninow, Sergej Wassiljewitsch 355, 356, 357, 359, 360, 361, 362, 411,423 363, 364, 367, 369, 370, 371, 372, Raff, Joseph Joachim 350 375, 381, 383, 384, 385, 386, 387, Raffeiner, Walter 359,365 388,389,390,391,392,393,394, Rameau, Jean-Philippe 112

449 Rathenau, Walter 435 Schellenberger, Dagmar 6, 8, 383, Ravel, Maurice 126,412,428,429, 384, 385, 391, 392, 394, 395, 396, 440 398, 399, 401, 402, 405, 407, 408 Ray,Man 41~ 434 Scheurlin, Georg 157 Reger, Max 12,98,106,107,355, Schiele, Egon 418,431,433 411, 426, 431 Schiller, Friedrich 23, 29, 98, 105, Reimann, Aribert 25 107,116,117,118,119,152,153, Reinhardt, Max 267,271,286,411, 20~221,22~ 36~ 373, 419 42~ 42~42~ 43~ 437 Schlegel, August Wilhelm 110 Reininger, Lotte 421, 435 Schlemmer,Oskar 417,435 Remarque, Erich Maria 421, 440 Schliemann, Heinrich 411,412,418 Renckhoff, Dorothea 5,8,90,91, Schmidt, Wolfgang 6, 8, 383, 384, 152,201,216,232,245,372 389, 390, 401, 407 Renoir, Auguste 415 Schneeweiß, Tina 5, 7, 130, 139, Reppel, Carmen 302 140, 141, 142,313 Reuss, August 105, 106 Schneider, Friedrich 26 Reutter, Otto 23 Schneider, Herbert 98 Rilke, Rainer Maria 412,425,428, Schneider, Norbert Jürgen 130 436,438 Schneider, Sascha 342 Rimsky-Korsakow, Nikolai 26,426, Schnittke, Alfred 114 427 Schnitzler, Arthur 17, 422 Ringelnatz, Joachim 416,436 Schönberg, Amold 7, 12, 14, 16, 20, Ritter, Alexander 103, 114 22, 94, 110, 111, 303, 412, 422, Röckel, August 413 423, 424, 426, 427, 429, 436, 439 Röder, Hans-Gerd 342 Erwarmng 1~ 1~22,44 Röntgen, Wilhelm Conrad 420,436 Gurre-Lieder 14,16,424 14, 422 Rosenberg, Alfred 332, 336 Verklärte Nacht Schongauer, Martin 271 Rossini, Giacomo 24 Schopenhauer, Arthur 22,220,326 Rousseau, Henri 427 Schostakowitsch, Dimitri 426, 439 Roussel, Albert 410 Schreiber, Ulrich 338 Rüdel, Hugo 270 Schreker, Franz 20,93,94,148,149, Saint-Saens, Camille 26, 413, 435 150,151,182,260,262,348,413, Sand, George 413 429,434 Sandberger, Adolf 105,106 Die Gezeichneten 148,149,150,151, Sartre, Jean-Paul 425 153,433 Satie, Eric 424,432,434,437 Schubert, Franz 110,419 Scarlatti, Alessandro 246 Schultze, Norbert 184 Schadewaldt, Wolfgang 326 Schumann, Clara 218,219,224,226, Schamke, Thorsten 6, 8, 383, 384, 420 391,395,396,401,402,404,405, Schumann, Robert 116, 220, 223, 407,408 224,230 Scheibe, Johann Adolph 107, 108 Schünemann, Hemd 5, 7,8,81,90 Scheidemann, Philipp 432, 433 Schweitzer, Albert 412,429

450 Schwitters, Kurt 417, 436 Stolz, Robert 414 Scott, Cyril 219 Storm, Theodor 417 Scott, Robert 428 Straus, Oscar 410, 423, 427 Seibert, Paul 160 Suauß,Johann 41~421 Seidel, Siegfried 126,249 Suauss, Richard 12, 14, 16, 20, 80, Shakespeare, William 20, 82, 98, 115,116,117,119,121,125,129, 105,107,112,360 154,166,222,224,230,231,238, Shaw, George Bernard 421, 429 239, 270, 303, 339, 345, 348, 372, Sherard, Robertllarborough 202 389,418,420,423,425,427,428, Sibelius, Jean 12, 26, 27, 422, 428, 429, 437, 440 433, 436, 437 Daphne 154, 372 Simmel, Georg 419, 422, 433 Der Rosenkavallier 32, 263, 347, 428 Die Frau ohne Schatten 339, 433 Singer, Kurt 280, 281 Elektra 16, 424, 427 Skladanowsky, Max 420 Salome 16,203,230,231, 237, 238, 239, Skrjabin, Alexander 12, 14, 16, 20, 303, 420, 425 411, 424, 431 Suawinsky, Igor 14,16,415,428, Smetana, Friedrich 416 42~ 43~43~43~ 44~441 Söhnlein, Kurt 194, 195,244,271, Suesemann, Gustav 372,413,438, 274, 281, 282, 370 440 Sophokles 98, 105, 106 Suickrodt, lleinrich 238 Spengler,Oswald 251, 252, 253, 261, Suickrodt, Kurt 235 262,414,433,435 Suindberg, August 22, 23, 26, 27, Speyer, Antonia 225 422, 423, 426, 427, 429 Speyer, Eduard 203,218,219,222, Suobel, Gertrud 127 223,22~225,22~ 22~22~ 232 Sudermann, llermann 220 Spielmann, Julius 258 Tatlin, Wladimir Jewgrafowitsch Spinelli, Niccola 99 416,434 Spitteler, Kar! 106, 111 Taube~Richard 434 Spohr, Louis 23 Taylor, Alfred 207 Spring, Alexander 37, 79 Thode, Daniela 222, 223, 225, 228, Stalin, IossijWissarionowitsch 414, 230,242,271,274 439 Thod~llen~ 22~22~ 23~26~ Stassen, Franz 25, 169, 178,234, 270,417,418,430 23~242,24~24~34~ 41~434 Thoma, llans 222, 227 Steinbeck, Wolfram 5, 7, 11, 350 Thoma, Ludwig 427, 435 Steiner, Rudolf 428, 433, 437 Thuille, Ludwig 29, 114, 116 Stephan, Rudi 303 Tieck, Ludwig 108 Stern, Adolf 99 Tietjen, lleinz 274 Sternheim, Carl 413,433 Tippet, Michael 356 Stevenson, Robert Louis 201,204, Tolstoi, Lew Nikolajewitsch 413, 427 416,417,420 Toscanini, Arturo 275, 421, 440, 441 Stifter, Adalbert 249 Trotzki, Lew Dawidowitsch 414,432 Stockhausen, Karlheinz 439 Tschaikowsky, Peter 25, 207, 208, Stolz, Friedrich 424 367,413,414,418,419

451 Tschechow, Anton 423, 424 von Kraft, Zdenko 92, 202, 214, 248, Turner, William 270,422 330,331 Uhland, Ludwig 418 von Laban, Rudolf 275 Valentino, Rudolpho 438 von Menzel, Adolph 412,425 van Beethoven, Ludwig 97, 99, 117, von Meysenbug, Malwida 168,214 130,131,132,133,134,140,153, von Pidde, Ernst 83 218,220,351 von Poschinger, Heinrich 171, 178 van der Rohe, Ludwig Mies 417, von Preußen, Prinz August Wilhelm 438, 439, 441 280 van Gogh, Vincent 17 von Schillings, Max 34, 105, 106, Verdi, Giuiseppe 82, 114, 172, 174, 114,116,156,164,166,239,431 27~33~ 39~ 411,41~ 41~ 423 Moloch 34,164,166 Requiem 412 MonaLisa 239,431 Vernaleken, Theodor 17 von Stein, Heinrich 94,414,417 Virchow, Rudolf 423 von Sternberg, Jose! 420,441 Vischer, Friedrich Theodor 110 von Stroheim, Erich 416,436 Voigt, Thomas 388 von Suppe, Franz 420 von Bausznern, Dietrich 12 von Tirpitz, Alfred 441 von Bingen, Hildegard 33 von Weingartner, Felix 235, 237, von Bismarck, Otto 410,413,418, 238 421 von Westerman, Gerhart 172,178 von Blotzheim, Urs Glutz 156 von Wolzogen, Ernst 423 von Bodenstedt, Friedrich Theodor von Wolzogen, Hans 266 99 von Zemlinsky, Alexander 22, 93, von Bülow, Hans 103, 229, 410, 414, 238,347 418,420 Der Traumgörge 22 von Einem, Gottfried 433 Wagner, Cosima 19, 20, 24, 25, 26, von Flotow, Friedrich 416 29,36, 75,92,112,118,181,223, von Franckenstein, Clemens 230, 224, 225, 226, 229, 236, 265, 266, 231,239 270,283,368,410,411,413,414, von Goethe, Johann Wolfgang 23, 416,417,425,430,438,441 32,108,112,173,178,220,229, Wagner, Eva 426 249, 250, 263, 324 Wagner, Friedelind 184,282,286, von Hartmann, Eduard 325 301, 30~ 30~31~432 von Hindenburg, Paul 437 Wagner, Gottfried 285 von Hoffmann, Ludwig 271 Wagner, Heinrich Leopold 23 von Hofmannsthai, Hugo 17, 98, Wagner, Richard 7, 20, 22, 25, 35, 106, 166, 181, 412, 424, 428, 435, 81,104,114,117,118,133,136, 440 137,141,154,155,156,157,158, von Horvath, Ödön 423 163,164,171,180,181,185,192, von Joukowsky, Paul 414 222, 223, 225, 226, 230, 232, 247, von Kleist, Heinrich 98, 105, 106, 259, 272, 273, 284, 303, 306, 309, 107,221 311, 314, 325, 326, 330, 340, 356,

452 368, 370, 384, 388, 394, 402, 403, Das Flüchlein, das Jeder mitbekam 81, 408,410,411,412,413 87,88,90,91,92,100,102,103,104, 109,143,159,162,183,184,194,286, Das Rheingold 35,115,141,185,271, 328, 372, 440 27~ 29~32~ 41~42~438 Das Liebesopfer 81, 172, 193, 339, 431, Der fliegende Holländer 18, 112, 158, 267, 270, 291, 292, 365, 366, 422 439 Das Märchen vom dickenfetten 11, 35, 80, 81, 83,107,157,158,160,162,270,273, l1annekuchen 42~430 Der Bärenhäuter 15,16,45, 79,80,81, 274,340,370,391,411, 412, 420, 423, 96,100,103,108,146,159,160,161, 428,441 162,165, 178, 183, 184, 192, 194, 235, Die Meistersinger von Nümberg 89, 103, 243, 249, 260, 305, 320, 361, 375, 385, 115,155,157,161,185,192,267,271, 387, 392, 403, 404, 405, 421, 438 273, 274, 280, 284, 288, 289, 290, 291, Der Fahnenschwur 430 340, 345, 417, 428, 436 Der Friedensengel 45,51,81,96,100, Die Walküre 33,155,156,157,271,295, 103,106, 109, 128, 129, 140, 141, 146, 296, 300, 301, 410, 429, 439 159, 165, 172, 184, 193,207,211,216, Götterdämmerung 35,133,141,160, 301,302,306,307,308,311,312,313, 244, 253, 267, 274, 275, 300, 306, 412, 314,315,316,317,319,322,389,391, 439,441 430, 437, 438 Kaisermarsch 156,411 Der Heidenkönig 37, 81, 95, 100, 103, Lohengrin 21,24,137,156,161,260, 109,129, 159, 162, 163, 184, 186, 193, 270, 276, 282, 287, 288, 419 197,207,306,307,308,309,312,313, Parsifal 20,24,86,158,167,236,268, 314,315,317,319,322,323,429 271, 272, 273, 296, 303, 325, 404, 413, Der Kobold 28, 32, 41, 75, 81, 86, 87, 41~ 42~ 42~42~ 43~438 100,102,109,126,141,144,159,161, Rienzi 81, 419 169, 170, 179, 184, 192,242,302,305, Siegfried-Idyll 285, 410 306,308,313,316,339,423,424 Tannhäuser 1~2Z91, llZ 13~ 15~ Der Schmied von Marienburg 15, 30, 79, 162,179,226,260,267,270,271,274, 143, 159, 162, 193, 275,276,286,297,298,299,368,418, 81,100,101, 109, 306,307,308,310,313,314,315,316, 424, 440, 441 317, 320, 321, 384, 434, 436 Tristan und Isolde 18, 22, 32, 119, 135, 7,9, 28, 29, 136,138,141,155,161,184,185,192, Die heilige Linde 10, 30, 31, 34, 35, 36, 37, 38, 49, 79, 81, 219, 226, 267, 274, 275, 293, 294, 342, 100, 109, 113, 114, 130, 131, 132, 134, 137, 138, 356, 369, 371, 417, 438 140,141,152,153,154,159,162,164, Wagner, Siegfried 165,166, 167, 172, 179, 186, 187, 188, An Allem ist Hütchen Schuld! 43, 46, 55, 189, 190, 191, 192, 193, 198, 246, 248, 67,81,100,102,103,109,159,162, 306,307,308,309,311,312,314,319, 183, 184, 193,207,320,364,381,387, 322, 323, 324, 327, 330, 331, 332, 333, 38~ 39~40~ 40~43~431 334, 335, 336, 337, 338, 339, 340, 341, Banadietrich 15,16,17,18,19,21,23, 344,348,352,383,384,385,391,395, 24,67,81,83,86,100,109,159,162, 407,438 178,184,193,201,207,211,212,213, Die Sühnende 419 249, 260, 305, 306, 320, 362, 363, 367, Dryadenlied 438 370, 372, 375, 387, 403, 404, 427 Erinnerungen 15,92,113,152,168,173, Bruder Lustig 36, 81, 83, 84, 85, 90, 91, 178,179,187,204,208,213,214,215, 96,100,101,109,144,146,159,161, 226, 394, 435, 436 165, 184, 185, 186, 191, 192, 194, 198, Friedenshymne 241, 432 207,209,210,212,260,305,306,307, Glück 115,126,127,129,231,279,402, 308,313,314,316,317,320,322,349, 436 364,425 Hans im Glück 43, 436 Das Bales-Tänzchen 440

453 Herzog Wildfang 29,41,44,49,81,96, H'agner, H'inifred 36,37, 79,87,88, lOO, lO9, 159, 161, 168, 184, 192, 2lO, 89,92,127,128,166,170,205, 249, 345, 395, 422 Hildisch-Hymne 435 264, 265, 275, 281, 282, 286, 330, Hochzeitslied 45, 136, 435 331,339,419,421,426,430,436, KonzertjUr Violine mit Begleitung 430 439,441 KonzertstückjUr Flöte 430 H'agner, H'olfgang 85, 276, 387, 433 KonzertstückjUr Flöte und kleines H'alcott, Derek 173, 178 Orchester 429 Nacht am Narocz 433 H'allberg, Heinz 345 Rainulfund Adelasia 28, 81, 100, lOl, H'alser, Martin 439 lO9, 143, 159, 160, 163, 184, 193,246, H'alter, Bruno 280, 413, 422, 435 262,306,308,312,319,320,321, 322, H'assennann,Jakob 413,427 354, 355, 435 H'ebem, Anton 20,416 Schäfer und Schäferin 421 Schwarzschwanenreich 16,21,22,23, H'edekind, Frank 239, 424, 426, 427, 24, 81, 87, 100, lO9, 144, 145, 146, 433 147,148,149, 150, 153, 159, 162, 172, H'egner, Alfred 429 173, 178, 179, 193, 207, 211, 239, 244, H'egner, John 6, 8, 383, 384, 386, 262, 305, 306, 312, 313, 314, 317, 320, 390, 397, 409 327, 349, 357, 358, 359, 360, 361, 364, 366, 367, 369, 377, 385, 403, 404, 427, H'eill, Kurt 422,440,441 432 H'eingartner, Felix 303 Sehnsucht 5, lO4, 115, 116, 118, 123, H'eininger, Otto 424 124, 125, 126, 206, 356, 419, 420 H'eismann, Julius 27 Sonnenjlammen 5, 29, 30, 81, 87, lOO, H'erfel, Franz 17,418,439,440 l~lAAßLß~1~ln1mnL 192, 193,207, 2lO, 211, 231, 234, 237, H'emer, Gerda Jo 35 238, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 246, H'emer, Richard M 35 247, 248, 249, 250, 251, 252, 254, 255, H'emer, Zacharias 163 256, 258, 259, 260, 261, 262, 306, 3lO, H'etz, Richard 106,352 311,313,314,315,389,428,432,434 H'ickhoff, Franz 417 Sternengebot 29, 70,81, lOO, 109, 144, H'ilde, Constanze 202 l~lU1M1~ln1U1mn~ 194,305,307,308,314,317,324,327, H'ilde, Oscar 5,201,202,203,204, 328, 385, 387, 389, 403, 405, 425, 426, 205,206,207,208,209,211,213, 438 214,215,216,220,237,418,419, Symphonie in C-dur 437 420, 422, 425 Und wenn die Welt voll Teufel wär 104, 435,437 H'ilder, Thomton 421 Wahnfried-Idyll 432 H'ilhelm1. 156,410,412,413,417 Wahnopfer 81, 100, 102, 104, 172, 193, H'ilhelm 11. 417,418,422,432 306,308,314,315,319,321,349,362, H'illiams, Ralph Vaughan 356 379, 385, 403, 438, 439 H'illiams, Tennessee 430 Walamund 81, 194, 440 Weihnacht 438 H'illiamson, John 5, 7, 246, 262, 263 Wer liebt uns? 432 H'ilson, H'oodrow 432 Wemhart 193, 439 H'inckelmann, Johann Joachim 250 H'agne~ Verena 434 H'indgassen, H'olfgang 371 H'agner, H'ieland 369,371,384,390, H'iskott, Max 275 431 H'olf, Bodo 107 H'olf, Friedrich 417,440

454 Wolf, Hugo 88,89,92,164,166, Young, Graeme 395 421, 424 Ziegler, Ralph Philip 234 Wolf-Ferrari, Ermanno 413, 424, Ziegler, Ralph Philipp 5, 7,237 439 Zimmermann, Bemd Alois 114, 433 Wolfrum, Philipp 222, 232 Zinsstag, Adolf 177, 179 Woyrsch, Felix 99,105 Zola, Emile 205,415,421,423 Wright, Frank Lloyd 410 Zottos, Ion 5, 7, 217, 231, 232, 237, Wright,Orville 411,424 403 Wright, Wilbur 429 Zuber, Barbara 340 Wühler, Else 242 Zuckmayer, earl 420 y Soler, Vicente Martin 154 Zweig, Stefan 17, 415, 440 Yeatv, William Butler 249

455 BUCHTIPPS

Gabriele Busch-Salmen / (Hg.) Frauenstimmen, Frauenrollen in der Oper und Frauen-Selbstzeugnisse Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Musik, Band 1, 2000, 358 + XVI Seiten, Abb., ISBN 3-8255-0279-1, 30,58 e

Mit diesem Band sollen neue Perspektiven und Einblicke in die Frauen- und geschlechter• forschung in der Musik vermittelt werden. In 22 Beiträgen zu den diskutierten Themen• schwerpunkten "Frauenstimmen, Frauenrollen in der Oper und Frauenselbstzeugnisse" geht es um ein weites Themenspektrum, das von den Konstruktionen von Stimme, Iden• tität und Geschlecht, Jazzimprovisationen von Frauen, Methoden der Autobiographienfor• schung, Weiblichkeits-, Männlichkeitsbilder und Rollenprofile in der Oper bis zu den Chan• sonetten und Soubretten reicht. Es soll ein Perspektivwechsel angezeigt werden, der es möglich macht, die historische Festlegung der Geschlechterrollen als anthropologische Konstanten neu zu beleuchten.

Corinna Herr Medeas Zorn. Eine ,starke Frau' in Opern des 17. und 18. Jahrhunderts Beiträge zur Kultur- und SoZialgeschichte der Musik, Band 2, 2000, 260 Seiten, ISBN 3-8255-0299-6, 30,17 e

Medea wird als die Verkörperung der sich "feministisch empörenden Frau" gesehen. Der Mythos dieser Zauberin, die im Zorn ihre eigenen Kinder ermordet, ist geradezu ein Para• digma für den Diskurs der Geschlechterbeziehungen. Da sich gerade im 17. und 18. Jahr• hundert der Weiblichkeitsdiskurs entscheidend entwickelt, sind auch die Veränderungen eines so extremen Weiblichkeitsbildes zeitsymptomatisch. Die Studie zeigt, daß die ,starke', aktive Seite von Medeas Selbst auch in Zeiten erscheint, in denen der herrschende Weiblichkeitsdiskurs die ,schwache', passive Frau einforderte. Mit welchen - auch musikalischen - Mitteln Medeas Zorn präsentiert wird, und ob dies geschlechterspezifisch geschieht, ist eine Grundfrage der Untersuchung. Die musikalische Analyse wird mit Hilfe der barocken Affektenlehre durchgeführt. Die Studie behandelt ein Problem der musikologischen Frauen- und Geschlechterforschung, ist aber zugleich im Rahmen der fächerübergreifenden Kulturwissenschaften interdisziplinär angelegt.

Rebecca Grotjahn / Freia Hoffmann (Hrsg.) Geschlechterpolaritäten in der Musikgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts Beiträge zur Kultur- und SoZialgeschichte der Musik, Band 3, 2002, 294 Seiten, Abb., ISBN 3-8255-0330-5, 25,90 e

Welchen Einfluss Geschlechterpolaritäten auf Musik, Musikästhetik und Kulturgeschichte hatten, ist erst vereinzelt untersucht worden. Mit einer im Jahre 2000 in aiden burg veran• stalteten Tagung wurde die Diskussion über diese Frage neu belebt. Die in diesem

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Band präsentierten Ergebnisse beweisen, dass der Geschlechterdiskurs zahlreiche Ansatz• punkte für musikwissenschaftliche Fragestellungen bietet. Ein Teil der Beiträge untersucht seine Auswirkungen mit Blick auf verschiedene musikalische Gattungen: Männer- und Frauenchor, Oper/Musiktheater, Sinfonik und Lied. Weiterhin wird anhand einzelner Per• sönlichkeiten exemplarisch demonstriert, wie sich die Vorstellung von den einander ent• gegengesetzten "Geschlechtscharakteren" im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr ver• festigt. Einige Aufsätze zum Musildeben des 20. Jahrhundert belegen schließlich den Fort• bestand dieser Vorstellungen. Geschlechterpolaritäten prägen bis heute die Konstruktion und Rezeption von Musik und Musikerinnen in allen Bereichen - in der Musikästhetik wie in der Musikpädagogik, im Bereich der "Kunstmusik" wie im Jazz und in der Popmusik.

Sigrid Nieberle frauenMusikLiteratur. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im 19. Jahrhundert Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Musik, Band 4, 2., verbesserte Auflage 2002, 274 Seiten, ISBN 3-8255-0371-2, 25,40 €

Das Buch geht der Frage nach dem Zusammenhang von Musik und Geschlechterdifferenz in Texten von deutschsprachigen Autorinnen nach, die sich an den musikästhetischen, -didaktischen und -literarischen Diskursen der Zeit beteiligt haben. Der gender-orientierte Blickwinkel der Studie fokussiert hauptsächlich Lehrbriefe, (Brief-)Romane und Erzählun• gen. Im Mittelpunkt stehen ausgewählte Texte von heute zum Teil vergessenen ebenso wie sehr bekannten Autorinnen, u.a. von Nina d'Aubigny von Engelbrunner, Dorothea Schlegel, caroline Auguste Fischer, Bettine von Arnim, Annette von Droste-Hülshoff, Fanny Lewald, Johanna Kinkei, Elise Polko und Marie von Ebner-Eschenbach. Deren fundierte musikalische Ausbildung führte meist nicht zu einer professionellen Musikausübung, son• dern mündete in eine literarische Produktivität, die hier unter interdisziplinären literatur• und musikwissenschaftlichen Aspekten erstmals systematisch untersucht wird.

Kahrin Beyer / Annette Kreuziger-Herr / Hochschule für Musik Hannover (Hg.) Musik.frau.Sprache. Gender Studies an der Hochschule für Musik und Theater Hannover Ned~ Beiträge zur Kultur- und SoZialgeschichte der Musik, Band 5, 2003, ca. 300 Seiten, Abb., ISBN 3-8255-0403-2, ca. 30,- €

Monika Woitas Im Zeichen des Tanzes. Zum Diskurs der darstellenden Künste zwischen 1760 und 1830 Ned~ Beiträge zur Kultur- und Sozialgeschichte der Musik, Band 6, 2003, ca. 460 Seiten, Abb., ISBN 3-8255-0421-2, ca. 32,- €

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