KULTUR

Autobiographien von hinten Rudolf Augstein über die neuaufgelegten Erinnerungen der -Enkelin Friedelind

ayreuth dräut, zum 83. Male, und zeichnungen nicht ausdrücklich, aber er „Onkel Wolf“ tituliert, hielt nichts von ei- wieder sind die Plätze im erfolg- war schwul. ner solchen Dynastie, ihn konnte man Breichsten Theaterbetrieb aller Zei- Der von ihr mehr als geliebte Vater nicht heiraten. „Mei Mudder mecht scho, ten zu knapp. Siegfried scheint Hitler zwiespältig ver- aber der Onkel Wolf mecht halt net“, Natürlich hat dieses traditionsreiche traut zuhaben. Er schrieb an seine Freun- kommentierte Schulmädchen Friede- Familienunternehmen – die Festspiele din Rosa Eidam: „Sollte die deutsche Sa- lind. Zum Reichskanzler aufgestiegen, wurden bis heute nur von Wagners und che wirklich erliegen, dann glaube ich an spendierte Hitler allein im Jahr 1933 dem deren Frauen geleitet – auch eine Schat- Jehova, den Gott der Rache und des Has- Wagner-Unternehmen 364 000 Mark. Er tenseite. Sie wurde 1944 von der Enke- ses.“ Und: „Meine Frau kämpft wie eine besorgte auch den künstlerischen Leiter lin Friedelind Wagner in New York auf- Löwin für Hitler! Großartig.“ , den von Göring protegier- geschrieben und dieses Jahr neu aufge- Als Siegfried 1930 starb, übernahm ten Generalintendanten der Preußischen legt*. Friedelind war keine ganz unpro- Winifred die Leitung der Festspiele. Die Staatstheater. Tietjen wurde Winifreds blematische Person. Mir schien sie oft stattliche Frau in der Blüte ihrer Jahre Liebhaber. genug mittelpunktsüchtig, geradezu ge- brauchte nun dreierlei: einen Liebhaber, In diesem Dreieck bewegte sich von schwätzig zu sein. einen Intendanten und Geld. War Sieg- nun an Friedelind, allgemein „Mausi“ ge- Bis heute gilt Friedelind, die 73jährig fried Wagner kein Judenhasser gewesen, heißen. Winifred und Tietjen hatten eine in Herdecke starb, als das schwarze so fühlte sie sich als Führerbraut. gemeinsame Sorge, nämlichdie, der Füh- Schaf der Familie. Ich erinnere mich Winifred habe die Achse Berlin–Bay- rer und Reichskanzler könnte sich in die noch an eine Begegnung mit dieser reuth dynastisch festigen wollen, sagte Belange Bayreuths einmischen. Schließ- Wagner-Enkelin. Ich hatte für eine Hitlers Halbschwester Angela Raubal lich hatte er schon das Nürnberger Festspiel-Aufführung keine Karten und einmal. Hitler, von der Familie liebevoll Opernhaus umbauen lassen. sollte daher in der Fami- Jener Architekt, der lienloge Platz nehmen. auf Hitlers Wunsch die „Los, komm mit rein“, Nürnberger Oper umge- sagte ich zu Friedelind. baut hatte, Paul Schult- „Das darf ich nicht“, ent- ze-Naumburg, fiel beim gegnete sie zu meiner Führer zeitweise in Un- Überraschung. „Das Be- gnade, angeblich irgend- treten dieser Weihestätte welcher Intrigen halber. ist mir verboten.“ Auch Er blieb aber begeister- Haus „“ durf- ter Nazi und schrieb ein te sie nicht betreten. Buch, in dem ein Kapitel Sie war das zweite den „nordischen Brü- Kind und die erste Toch- sten“ gewidmet war. Te- ter von Siegfried und Wi- nor: In Deutschland wird nifred Wagner. Den Va- eine Frau, deren Brust- ter vergötterte sie ins fast warzen nicht das wahre Olympische, von der nordische Rosa aufwei- Mutter fühlte sie sich sen, keine Zukunft mehr verfolgt. Winifred war in haben. Die dazugestell- England geboren. Nach- ten Fotografien arischer dem ihre Eltern gestor- und nichtarischer Brüste ben waren, wurde sie waren sehr populär. von dem deutschnationa- Als er nach Erschei- len Ehepaar Klindworth nen dieses Buches mit adoptiert. 18 Jahre alt, seiner streng nordischen, heiratete sie den Sohn vierten Ehefrau in Bay- Richard Wagners, den reuth zum Tee war, wur- damals 46jährigen Sieg- de er von Wieland und fried. Das Paar bekam Wolfi (dem heutigen vier Kinder, dann zog Festspielleiter Wolfgang) Siegfried sich in sein frü- gnadenlos verulkt, in- heres Junggesellenleben dem die beiden zum Ent- zurück. Friedelind er- zücken der anderen Gä- wähnt es in ihren Auf- ste Satz auf Satz über die Brustwarzen zitierten. Der Geist Hitlers * Friedelind Wagner: „Nacht über Bayreuth“. Dittrich Verlag, schwebte in Friedelinds Köln; 368 Seiten; 42,80 Mark. , Hitler: „Das ist etwas von eigener Art“ Kindertagen nicht nur

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über Bayreuth, auch über der Fa- den Parteigrößen zu schmei- milie. cheln. Onkel Wolf, das wußte Als Mausis Schwester Verena, sie, würde sie schon verste- „Nickel“ geheißen, vor Ablauf hen. der Festspiele nach Dresden zur Eigentlich hätten im Jahre Schule sollte, will Friedelind Hit- 1938 keine Festspiele stattfinden ler selbst als Fürsprecher einge- sollen. Doch waren die Steuern, spannt haben. Von Mausi instru- laut Friedelind, so hoch, daß iert, soll Onkel Wolf sich vor „Mutter die Ausgaben nur noch Winifred aufgebaut und sie im bestreiten konnte, wenn sie je- Volksrednerton angeherrscht des Jahr Spiele veranstaltete“. haben: „Ein für allemal möchte Der Gedanke, daß Winifreds ich hiermit klarstellen, daß es für Freundschaft mit Hitler die Ver- jedes Mitglied der Familie Wag- staatlichung der Festspiele ver- ner heilige Pflicht ist, während hindert hatte, war der Tochter der Festspiele in Bayreuth zuge- nicht fremd. Ihr Bruder Wolf- gen zu sein. Es kommt also über- gang hingegen findet es „seltsam haupt nicht in Frage, daß Nickerl und paradox“, daß seine Mutter, in die Schule zurückgeht.“ „die als geborene Engländerin Seiner gutturalen Sprechweise demokratisch dachte und in kei- folgend, nannte er die Wagner- ner Weise autoritätsgläubig war, Tochter nur „Nickerl“, nie Nik- einem Diktator aufsaß“. Und: kel. Mutter Winifred schluckte, „Winifred Wagner und Adolf

schließlich sagte sie, „eine Terz ULLSTEIN Hitler – das ist etwas von eigener über ihrem natürlichen Ton“: Familie Art.“ „Natürlich, wenn Sie das so auf- Friedelind will damals schon fassen, gewiß.“ Nickel bekam ih- erwogen haben, notfalls illegal re Ferien und Mausi ihre Schelte. die deutsche Grenze zu über- Sieliebte es, den Sündenbock ab- schreiten, sei es in die Tschecho- zugeben. slowakei oder in die Schweiz. Als Als Eduard VIII., späterer geborene Provokateurin hatte Herzog von Windsor, 1936 den sie aus London eine Platte mit englischen Thron bestieg, wollte falschem Label mitgebracht, auf Hitler ihm ernsthaft eine „Lo- der die „Internationale“ zu hö- hengrin“-Aufführung in Covent ren war. Winifred erzählte es Garden zum Geschenk machen. Hitler, der aber war noch voller Alle in Bayreuth rangen die Hän- Eindrücke seines Besuches bei de, nur Winifred machte sich er- Mussolini in Italien und reagierte geben an die ungeliebte Aufga- nicht darauf. be. Es kam aber nicht zur Auf- Hitler erschien in diesem Jahr

führung, weil der König wissen SÜDD. VERLAG wieder einmal zu den Festspie- ließ, nichts langweile ihn mehr Wagner-Enkelinnen, „Onkel Wolf“ in „Wahnfried“* len. Wie immer ließ er an die Be- alsOpern. Soplatzte das Projekt. Wagner-Nachfahren: „Glücklich, ihn zu sehen“ sucher kleine Karten verteilen, Dem neuen englischen König daß er sich Demonstrationen im Georg VI. wurde daraufhin kein „Lohen- mer die Mutter die schlechtere Figur war. Theater verbitte. Seine Loge betrat er grin“ mehr angedient. Nahm die Abneigung der Mutter gegen erst, wenn die Lichter im Festspielhaus Statt dessen kam der berühmte engli- den Dirigenten Wilhelm Furtwängler zu erloschen waren (wie Ludwig II.). sche Dirigent Sir Thomas Beecham nach – der in Bayreuth auf seine berühmten Wie abartig Hitler war, geht aus den Bayreuth, und Friedelind mußte oder turnerischen Übungen verzichtet haben nächtlichen Aufzeichnungen der „Tisch- durfte ihn in den Aufführungspausen un- soll, weil er ja ohnehin vom Publikum gespräche“ vom 28. Februar 1942 her- terhalten. Sicherlich erwartete ihre Mut- nicht gesehen wurde –, gefiel er Friede- vor, als er sich an einen Bayreuth-Be- ter von ihr, daß sie den Nazismus im ro- lind immer mehr. such in den zwanziger Jahren erinnerte: sigsten Licht aufscheinen ließe. Befohlen Friedelind gibt nicht vor, damals schon „Daß dieser Jude Schorr den Wotan ge- aber hat sie es ihr nicht. Sir Thomas hätte gegen die Nazis gewesen zu sein. Sie sungen hat, das hat mich so geärgert! ohnehin nicht zugehört, er wußte, was er schönt ihre eigene Rolle aber doch, denn Für mich war das Rassenschande!“ Er von Hitler zu halten hatte. sie war im BDM und wie ihre Geschwi- scheint seinen Hokuspokus wirklich ge- Friedelind war nun 18 Jahre alt und ster ein Günstling des Regimes. Von Hit- glaubt zu haben. Tietjens Assistentin. Diese Phase scheint lers Unrechtsregime will sie im idylli- Sosehr Winifred damals flehen moch- wohl ihre glücklichste Zeit in Bayreuth schen kleinen Bayreuth nichts gemerkt te – Hitler in den „Tischgesprächen“: gewesen zu sein. Sie hielt Tietjen zu- haben. „Frau Wagner war ganz unglücklich, hat nächst für einen ausgezeichneten Regis- Man glaubt Friedelind aber, wenn sie zwölfmal geschrieben, fünfundzwanzig- seur, auf Dauer aber konnte er den Ver- beteuert, der Antisemitismus habe sich in mal telefoniert“ –, Onkel Wolf ließ sich gleich mit Vater Siegfried nicht bestehen. Bayreuth erst spät und allmählich entfal- auf dem Grünen Hügel jahrelang nicht Die Tochter stellte schließlich fest, daß tet. So fand Mutter Winifred nichts da- mehr blicken. Tietjen „vom Geiste der Werke“ abwei- bei, jüdische Geschäfte aufzusuchen und Winifred trug ihm nichts nach. Selbst che. Sie fühlte sich als Erbin ihres Vaters ihre jüdische Schneiderin zu behalten. 1975 sagte sie vor Syberbergs Kamera: und suchte dessen Bedeutung als Kom- Als Führerbraut hatte sie es nicht nötig, „Wenn er zur Tür hereinkäme, ich wäre ponist hochzuspielen. genauso fröhlich und glücklich, ihn zu Mutter und Tochter standen nach wie * Verena („Nickel“, l.), Friedelind („Mausi“, r.) sehen, als wie immer.“ vor auf schlechtem Fuß, wobei nicht im- Wagner. reiste noch 1945 zu Hitler, um ihn von

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der Notwendigkeit einer Neuausgabe des Wagner-Werkes zu überzeugen. Vergebens bemühte sich Winifred während des Krieges, ihre ungezogene Tochter Friedelind noch einmal nach Berlin zu schaffen, damit sie dort zu- sammen im Hotel Bristol gesehen wür- den. Friedelind fiel auf diese gefährliche Posse nicht herein, denn sie hatte sich inzwischen mit Toscanini angefreundet und war ihm nach Argentinien gefolgt. Von dort aus emigrierte sie in die USA. Erst 1953 kehrte sie nach Bayreuth zu- rück. In ihrem Exil hatte sie gehofft, hun- dert Aufführungen des „Tristan“ produ- zieren zu können. Kritischer Kommen- tar ihres Bruders Wolfgang, nachzule- sen in der rechtzeitig zu den diesjährigen Festspielen erscheinenden Autobiogra- phie des Bayreuther Hausvaters: „Wie so oft, früher und auch später noch, zeigte sich hierbei leider einmal wieder ihr Unvermögen, zwischen einer Utopie und den realen Möglichkeiten exakt zu unterscheiden.“* scheint auch sonst nicht viel von den Lebenserinnerungen seiner Schwester zu halten. „Sie irrt“, sagt er wie Hans Sachs über Beckmes- ser, „wie dort, so hier. Seien es im Buch beschriebene Sachverhalte oder auch später zum Beispiel öffentlich über mich gemachte unflätige Äußerungen.“ Wie mein Kollege Joachim Kaiser von der Süddeutschen Zeitung bin auch ich der Meinung, daß Wagners Werke auf- geführt werden können, ohne dessen Antisemitismus anklingen zu lassen. In Richard Wagners Schriften natürlich ist dieser nicht zu übersehen. „Es ist viel Hitler in Wagner“, meinte 1991 bei- spielsweise der Journalist Bernhard Wördehoff. Friedelind gab ihre Schwärmerei für den Vater nicht auf. Zur britischen Erst- aufführung seiner Oper „Der Friedens- engel“ lud sie ihre Familie 1975 nach London ein. Fotos der glücklich wieder- vereinten Mutter und Tochter gingen um die Welt. Mit Wieland stand Friedelind sich besser als mit Wolfgang. Aber die bei- den Brüder hatten sich auf dem Grünen Hügel in die Hand versprochen, dort niemals mehr eine Frau an die Werke ihres Großvaters heranzulassen. Daß es den beiden gelungen ist, „Neu-Bay- reuth“ zu schaffen, so erklärt es Wolf- gang Wagner in seinen Aufzeichnungen, „beruhte auf der Einsicht der Notwen- digkeit, die gesamte Wagnersche Hin- terlassenschaft und Bayreuth keines- wegs wie lästigen Ballast abzuschütteln, sondern im weitesten und gründlichsten Sinne zu bewältigen“. Und: „Wir sind nicht gescheitert, wir hatten Erfolg.“ Y

* Wolfgang Wagner: „Lebens-Akte“. Albrecht Knaus Verlag, München; 512 Seiten; 58 Mark.

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