SWR2 MANUSKRIPT

SWR2 Musikstunde

Die Bachs - Chronik einer Musikerdynastie (1)

Mit Ulla Zierau

Sendung: Dienstag, 18. April 2017

Redaktion: Ulla Zierau

Produktion: SWR 2017

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SWR2 Musikstunde mit Ulla Zierau, 18.04.2017 Die Bach-Dynastie, Chronik einer Musikerfamilie (1)

Signet

Dazu begrüßt Sie Ulla Zierau und mit mir ein ganzer Clan, die Musikerfamilie Bach, eine weit verzweigte thüringisch-sächsische Dynastie. Über siebzig Bache sollen Musiker gewesen sein. Einer kommt uns gleich in den Sinn, Johann Sebastian, dann vielleicht noch seine Söhne, doch damit nicht genug. Wir wollen in dieser Woche die „vor-Sebastianische“ Zeit erkunden.

Titelmusik

"Nicht Bach, sondern Meer sollte er heißen!" Dieser Ausruf wird Ludwig van Beethoven in den Mund gelegt, ob er ihn wahrhaft geäußert hat, ehrlich gesagt, wir wissen es nicht, ebenso wenig, wen er damit gemeint haben könnte? oder dessen Sohn Carl Philipp Emanuel. Der war zu Beethovens Zeit berühmter als der Vater, den ja erst Mendelssohn mit der Aufführung der Matthäuspassion für die Allgemeinheit wiederentdeckt hat.

Unter Kennern waren Johann Sebastian Bachs Werke hingegen schon zu Beethovens Zeit verbreitet, vor allem seine Kontrapunktik. Beethoven hat Bach verehrt. Als Bachs Werke erstmals bei Breitkopf und Härtel veröffentlicht wurden, hat er, wie er selbst sagte, "überhaupt alles von Partituren" von Bach bestellt und vor allem die Fugen studiert.

„Immer, wenn ich beim Komponieren ins Stocken geriet“, so Beethoven, „nahm ich mir das Wohltemperierte Klavier hervor, und sogleich sprossen mir wieder neue Ideen.“ Die Fuge b-moll aus dem ersten Teil hat Beethoven für Streichquartett arrangiert, Andras Schiff spielt hier das Bach’sche Original.

Musik 1 Johann Sebastian Bach (1685–1750) Fuge b-moll aus dem Wohltemperierten Klavier, Teil BWV 867 Andras Schiff, Klavier M0321353 044, ECM Records, 2270-2271, 2‘49 2

Andras Schiff mit der Fuge b-moll aus dem 1. Teil des Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach. Wir sind von dem vermeintlichen Beethoven-Zitat ausgegangen „Nicht Bach, sondern Meer sollte er heißen!", wobei wir nicht genau wissen, auf welchen Bach sich Beethoven bezogen hat. Man könnte gleich die ganze Musikerfamilie miteinschließen, dann kommt auf jeden Fall ein Meer zusammen. Einen Pferdefuß hat die Sache jedoch, der Familienname Bach hat gar nichts mit dem fließenden Gewässer zu tun, sondern kommt vom Verb „bachen“, vielerorts ein Synonym für „backen“. Ein Bach war also ein Bäcker und damit sind wir beim ursprünglichen Handwerk der Familie, der Bäckerzunft.

Den Familiennamen Bach gibt es quer durch Deutschland bereits im Mittelalter. Die Chronik der Musikerfamilie beginnt mit (1555-1619). Das ist Sebastians Ur- Ur-Großvater. Veit war Bäcker in Preßburg, damals Ungarn, heute Bratislava in der Slowakei. Ob er dort oder im thüringischen Wechmar geboren ist, bleibt offen. Vielleicht ist er als Geselle auf Wanderschaft nach Ungarn gezogen und hat sich dort als Bäcker niedergelassen. Es gibt diverse Aussagen und zudem gleich mehrere Veits mit unterschiedlichen Stammbäumen.

Wir gehen in der SWR2 Musikstunde, wie viele Biographen auch, davon aus, dass der 1619 in Wechmar gestorbene Bäcker, Veit Bach der Stammvater des musikalischen Zweigs der Familie ist. Auf ihn gehen die Erfurter Linie, die Fränkische, die Arnstädter und die Meininger Linie zurück. Unzählige Bache und Bachinnen, die sich wiederum untereinander verbandeln. Und damit ist eines von Anfang an klar, die Verhältnisse der Familie Bach hängen eng zusammen und sind nicht einfach zu entwirren.

Musik 2 Samuel Scheidt Courant XXXII Les Sacqueboutierts M0399493 002, SAS AM 9996, 1‘55

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Courant XXXII aus Ludi musici von Samuel Scheidt, Musik aus der Zeit von Johann Sebastian Bachs Ur-Ur-Großvater, gespielt von Les Sacqueboutierts.

Der junge Veit Bach arbeitet als Bäcker in Preßburg. Er betreibt eine eigene Mühle und eine Bäckerei. Warum er eines Tages aufbricht, alles hinter sich lässt und nach Thüringen zieht, können wir nur vermuten: wegen der Pest, aus wirtschaftlichen oder religiösen Gründen. Die Bachs sind Protestanten, eine Minderheit, die in Ungarn in Zeiten der Gegenreformation verfolgt wird. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen hingegen können nach dem Beschluss des Augsburger Religionsfriedens alle Christen ungehindert frei nach ihrer Religion leben.

Ist Veit Bach also ein Religions-Flüchtling? So erklärt es Johann Sebastian Bach in seiner Chronik, die er mit Anfang 50 schreibt und die er „Ursprung der musicalisch- Bachischen Familie“ nennt. Und wenn ich in dieser Woche weiter von Johann Sebastian Bach rede, nenne ich ihn kurz beim eindeutigen Vornamen, Sebastian. Sebastian betreibt Familienforschung, woher er die Informationen hat, ob aus Erzählungen oder Familienbüchern wissen wir nicht. Er nummeriert die musikalischen Bache durch und beginnt mit Veit. Von einer deutschen Herkunft seines Ur-Ur-Großvaters schreibt Sebastian nichts. Im Ursprung steht:

„No.1.Vitus Bach, ein Weißbäcker in Ungarn, hat im 16. Seculo der lutherischen Religion halben aus Ungarn entweichen müssen (…) und da er in Thüringen genugsame Sicherheit vor die lutherische Religion gefunden, hat er sich in Wechmar, nahe bei Gotha niedergelassen und seine Beckers Profession fortgetrieben.“

Musik 3 Dietrich Buxtehude Ein feste Burg ist unser Gott, Orgelchoral C-Dur, BuxWV 184 Ton Koopman, Orgel von Wilde/Schnitger in der Jacobi Kirche Lüdingworth, M0081882 002, A-Records, CC 72243, 3‘50

Ton Koopman an der Wilde Schnitger-Orgel in der Jacobi Kirche Lüdingworth mit dem Lutherischen Choral „Ein feste Burg ist unser Gott“ von Dietrich Buxtehude.

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Die Reformation hat nicht nur den Glauben neu ausgerichtet, sondern auch das Musikleben verändert. Martin Luther, selbst ein guter Sänger, Chorist, Lautenist und Flötist war einer der leidenschaftlichsten Liederdichter der Wittenberger Bewegung.

Zurück zu Veit Bach. In jungen Jahren kommt er aus dem damaligen Ungarn ins thüringische Wechmar, unweit von Gotha. Hier darf er ungehindert als „rechter, freier Christenmensch“ leben. Außerdem kann er weiterhin seinen Beruf ausüben. Veit kauft eine Bäckerei samt Mühle. Unter den wenigen Habseligkeiten, die er aus Preßburg mitbringt, ist eine Zister, ein Zupfinstrument mit vier Doppelsaiten.

Sebastian versäumt es nicht, auf die Musikalität seines Ur-Ur-Großvaters einzugehen und notiert: „Er hat sein meistes Vergnügen an einem Cytringen (einer kleinen Zitter) gehabt, welches er auch mit in die Mühle genommen und unter währendem Mahlen darauf gespielt. Und dieses ist gleichsam der Anfang zur Music bei seinen Nachkommen gewesen“. So Sebastian

Musik 4 Bernhard Schmid, Der Jüngere Galliarde des Admirals aus Frankreich Karlsruher Consort M0040792 001, 1975 Studio Karlsruhe, 0‘55

Eine Gaillarde von Bernhard Schmid, dem Jüngeren, gespielt vom Karlsruher Consort. Da war neben Flöte, Laute und Tambourin eine Zister mit dabei. Vielleicht musizierten in der Mühle von Veit Bach auch mal mehrere Musiker gemeinsam.

Die Mühle als Metronom, mitten drin ein musikliebender Bäcker, ein Protestant, ein freier Christenmensch, der in sich die Gene für eine ganze Musikerdynastie trägt. Veit Bach, der mit symbolischer Kraft Religion, Luthertum und Musik in sich vereint. Es ist sicher kein Zufall, dass Sebastian gerade dieses Bild an den Anfang seiner 17- seitigen Familienchronik stellt.

Sebastian schreibt über 53 Bache aus sechs Generation und drei Jahrhunderten. Zu jedem Vorfahren und Verwandten, ein bis zwei Sätze. Er beginnt mit Veit als Nummer eins, setzt sich selbst an Nummer 24 und endet mit Johann Heinrich Bach, Nummer 53, Sohn eines Cousins, zu dem er bemerkt: „Ist ein guter Clavieriste“.

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Mit Johann Heinrich Bach endet Sebastians Aufzeichnung, aber noch lange nicht die Bach-Dynastie. Der vermutlich letzte namhafte musikalische direkte Bach-Nachfahre ist Wilhelm Friedrich Ernst, ein Sohn des Bückeburger Bachs, also ein Enkel Sebastians, der erst neun Jahre nach dessen Tod geboren wird.

Sebastian geht es in seiner Chronik nicht um die Vollständigkeit eines Stammbaumes, sondern um die Stellung der Familie Bach im gesellschaftlichen und musikalischen Leben und um die eigene Positionierung.

Alle nicht musikalischen Bache lässt er außen vor und bedauerlicher Weise auch die Frauen. Die sind sicher nicht alle unmusikalisch, spielen aber im öffentlichen Leben kaum eine Rolle. Und so wird es in dieser SWR2 Musikstundewoche eines der schwierigsten Unterfangen sein, die Frauen der Familie Bach zu entdecken.

Die Bachs, eine weitverzweigte Familie und was die Sache nicht einfacher macht, weit über die Hälfte heißt mit Erstnamen Johann und Johann Christophs gibt es gleich mehrere zur selben Zeit. Wie behauptet ein Forscher, „die Bach Genealogie ist nicht kompliziert. Die Bach Genealogie ist sehr kompliziert.“

Es fällt nicht leicht, Licht ins Dunkle der Vor-Sebastianischen-Familie zu werfen. Kirchenbücher und Archive liefern oft nicht mehr als Zahlen und Ortsangaben.

Wir wollen es dennoch versuchen. Dreh- und Angelpunkt bleibt der bis heute berühmteste aller Bache, Sebastian, den wir nicht nur an seinem Vornamen, sondern vor allem an seiner Musik erkennen.

Musik 5: Johann Sebastian Bach (1685–1750) Suite C-Dur, BWV 1066, Bourrée 1 und 2 Café Zimmermann M0417102 023, Alpha 811, 2‘21

Das Ensemble Café Zimmermann mit Bourrée 1 und 2 aus der Orchestersuite C-dur BWV 1066. Wenn wir heute von Bach reden, meinen wir ihn, Sebastian. Er wird wie ein Komet durch die Musikstunden streifen und sie musikalisch begleiten.

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Sebastians Ur-Ur-Großvater Veit hat mindestens zwei Söhne, Caspar (um 1580- 1644) und Hans (1581-1626), der Ur-Großvater von Sebastian. Er ist zwar auch noch Bäcker, aber zugleich der erste Bach mit einer musikalischen Ausbildung. Wenn der Vater Zister spielt, packt der Sohn die Flöte aus. Hans verdient sein Geld als Spielmann, mal hier, mal dort, in ganz Thüringen zwischen Gotha, Eisenach und Arnstadt. Später übernimmt er die Mühle seines Vaters, die Liebe zur Musik bleibt.

Sebastian notiert in seiner Chronik über seinen Urgroßvater Hans:

„Weilen er aber eine sonderliche Zuneigung zur Music gehabt so hat ihn der Stadt- Pfeiffer in Gotha zu sich in die Lehre genommen.( …) und da auch mittelst der Zeit sein Vater Veit gestorben, hat er sich nach Wechmar gesetzt allda Jfr. Anna Schmiedin, eines Gastwirths Tochter aus Wechmar, geheirathet und des Vaters Güter in Besitz genommen. Seit seinem Hierseyn ist er öfters nach Gotha, Arnstadt, Erfurth, Eisenach, Schmalkalden und , um denen dasigen StadtMusicis zu helfen, verschrieben worden. Starb 1626“.

Musik 6 Johann Hermann Schein Canzon Corollarium Ensemble InAlto M0395564, Ramée RAM 1401, 1’38

Canzon Corollarium, Stadtpfeifermusik von Johann Hermann Schein, entstanden um 1615, gespielt vom Ensemble InAlto.

Der erste Berufsmusiker der Familie ist der Stadtpfeifer Hans Bach, der Urgroßvater Sebastians. In schweren Zeiten waltet er seines Amtes, zuerst in Gotha und nach Ausbruch des 30-jährigen Krieges in Arnstadt. Als Türmer oder Haustaube, wie der Posten genannt wird, muss er, so heißt es: „die Stunden abblasen, die Bewegung auf den zur Stadt führenden Straßen beobachten und berichten, wenn er mehr als zwei Reiter herannahen oder den Rauch eines Feuers aufsteigen sah“.

Der Stadtpfeifer als Wachposten, als Musiker bei offiziellen Feiern, Bürgermeister- wahlen, Ratsessen oder Grundsteinlegungen, bei Hochzeiten, Taufen und Begräbnissen.

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Hans und Caspar Bach haben mehrere Söhne, die ebenfalls Musiker werden. Also schon in den ersten Generationen ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Musik neben der Bäckerei als Tradition an erster Stelle steht. In Sebastians Ursprung steht:

„Caspar (…) hat 3 Söhne gehabt so die Music erlernet und welche der damahligst regierende Graf zu Schwartzburg Arnstadt auf seine Unkosten nach Italien hat reisen lassen, um die Music besser zu excoliren (zu verfeinern).“

Die ersten Bache werden nach Italien geschickt, dort sollen sie Musik studieren und als gelehrte Italiener in die Heimat zurückkehren. Während des 30-jährigen Krieges, während Hungersnot und Pest den Alltag bestimmen, suchen die Enkel von Veit Bach den Weg als Musiker. Sie werden Organisten und Leiter von Stadtkapellen in Arnstadt und . Davon zu leben, ist hart, zu überleben noch härter. Kinder sterben, Eltern sterben, Männer kehren nicht aus dem Krieg zurück, doch die Familie muss weiter versorgt werden.

Wer zum geringen Lohn eine Menge Getreide und Brennholz verdient oder gar die Genehmigung zum Bierbrauen erhält, steht auf der besseren Seite. Frei nach dem Motto „hilf dir selbst, so hilft dir Gott“, müssen sich die Bachs mit Ackerbau und Handwerk selbst versorgen.

Sie erlernen den Instrumentenbau und heiraten mit Bedacht Töchter von Stadt- pfeifern aus Nachbarstädten, das vergrößert den musikalischen Wirkungskreis. Musik ist ihre Berufung, ihr Lebensinhalt und Broterwerb. Und es werden immer mehr Bache, die von den Türmen pfeifen, bei Festen zum Tanz spielen. Wird irgendwo eine Stelle frei, wird sie innerhalb der weitverzweigten Familie wieder besetzt, Ämter werden weitergegeben und vererbt, so entsteht eine Musiker-Dynastie.

Musik 7 Bartholomäus Hess: Tanz Nachtanz Capella de la Torre / Leitung: Katharina Bäumel M0114062 006, Coviello Classics, COV 20804, 2‘21

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Die Capella de la Torre unter der Leitung von Katharina Bäumel mit einem Nachttanz von Bartholomäus Hess.

Caspars Söhne auf Bildungsreise in Italien und auch die Söhne von Hans Bach, Johann (1604-1673), Christoph (1613-1661) und Heinrich (1615-1692) treten in die Fußstapfen des Vaters. Johann hat die älteste erhaltene Komposition aus dem Hause Bach hinterlassen, eine Trauermotette: „Unser Leben ist ein Schatten“.

Eindringlich beginnt die Motette mit der Wiederholung „Unser Leben“ und dann der erste Satz „Unser Leben ist ein Schatten auf Erden“, Worte aus dem Buch Hiob und der Schatten verflüchtigt sich in den Höhen des Soprans, er tanzt, schwebt vermutlich ins Jenseits. Von dort singen die Toten, von ihnen lernen die Lebenden. „meinen Jesum lass ich nicht!“ und die Erkenntnis lautet: „Ach wie nichtig, ach wie flüchtig / ist der Menschen Leben / Wie ein Nebel bald entstehet / und bald wiederum vergehet, / so ist unser Leben sehet.“

Musik 8 Johann Bach (Hans III) (1604-1673) „Unser Leben ist ein Schatten“ Cantus Cölln / Leitung: Konrad Junghänel 1222108 004, HMC 901783.84, 6‘50

Johann Bach, ein Enkel Veits, der erste nachgewiesene Komponist der Bach- Familie. Seine Motette: „Unser Leben ist ein Schatten“ mit Cantus Cölln unter der Leitung von Konrad Junghänel, eine der ältesten Kompositionen aus dem „Altbachischen Archiv“. Das ist die Sammlung von Kompositionen der Vorfahren Sebastians. Wir werden in dieser Woche noch mehrfach darauf zurückgreifen.

In Sebastians Familienchronik kommt der komponierende Großonkel Johann Bach an vierter Stelle, er ist als Stadtpfeifer in Suhl zur Lehre gegangen:

„daselbst 5 Jahr als Lehr Knabe und 2 Jahr als Geselle aufgehalten. Von Suhl hat er sich nach Schweinfurth gewendet allwo er Organist worden. Anno 1635 ist er nach Erffurth als Director derer Raths-Musicanten berufen worden (…)und nach etlichen Jahren hat er auch den Organisten-Dienst ad Praedicat: zugleich mitbekommen. Starb 1673“.

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Auch Johanns Bruder, Christoph Bach, Sebastians Großvater wird zunächst Stadtmusikant in Wechmar und geht dann auf Wanderschaft nach Weimar, Erfurt und Arnstadt. Dort wird er Organist und gräflicher Hof- und Stadtmusikus. Von den niederen Diensten befreit, darf er auf sämtlichen Hochzeiten und Taufen spielen.

Musiker gibt es in der Bach-Familie viele, Stadtpfeifer, Ratsmusiker, Organisten und Kantoren. Komponieren ist meist eine Nebenbeschäftigung, aber nicht der eigent- liche Beruf. Dennoch gibt es sie schon früh, die komponierenden Bache. Vor Sebastian sind es sechs oder sieben.

Ein weiterer Sohn von Hans, Heinrich Bach, 1615 in Wechmar geboren. Er ist 11 als der Vater stirbt und fortan wird er von seinem älteren Bruder Johann erzogen und im Orgelspiel unterrichtet.

Außerdem nimmt Johann den Jüngeren in die Erfurter Ratsmusikanten-Compagnie auf. Sechs Jahre bleibt Heinrich Ratsmusikant in Erfurt, dann wird er Organist an der Arnstädter Liebfrauen- und Oberkirche, für wenig Gulden im Jahr. Das Geld reicht kaum für die junge Familie, der älteste Sohn Johann Christoph ist zwei, das nächste Kind ist unterwegs. Wenn Heinrich an der Orgel sitzt, vergisst er vermutlich die Sorgen und spielt auch eigene Werke.

Musik 9 Heinrich Bach (1615-1692) Erbarm‘ dich mein, oh Herre Gott Horst Gehann, Studio-Orgel des Südwestfunks (1977) M0462614, 2‘13

„Erbarm‘ dich mein, oh Herre Gott“, Choralvorspiel von Heinrich Bach. Horst Gehann an der Studio-Orgel des Südwestfunks, (eine Aufnahme aus dem Jahr 1977).

Über 50 Jahre bleibt Heinrich Bach Organist in Arnstadt am Fuße des Thüringer Waldes, wo schon sein Großonkel Caspar als Stadtpfeifer vom Schlossturm geblasen hat. Als in Arnstadt eine Stelle als Hofmusikant frei wird, denkt Heinrich gleich an seinen Bruder Christoph, den Stadtmusiker in Erfurt. Christoph bewirbt sich, bekommt die Stelle und zieht mit der ganzen Familie nach Arnstadt.

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Täglich muss er mittags und abends vom Schlossturm blasen, an Feiertagen auch früh morgens, jedes Mal 162 Treppen erklimmen und das ist noch längst nicht alles. Im Vertrag steht, er wird „allhier in der Kirchen, bei der Music und auf dem Chor, wie auch zu Hof, so oft wir es begehren und ihn erfordern lassen, nebst seinem Adjuvanten sowohl mit Violen als blasenden Instrumenten, wie es die Kunst mit sich bringet, fleißig und unverdrossen aufwarten (…) und bei solchem allen keinen Mangel verspüren lassen, sondern sich damit allenthalben, wie einem ehrliebende Musicanten zustehet, verhalten solle.“

Mit anderen Worten, Christoph muss alles tun, was von ihm erwartet wird, ohne Murren und in höchster Vollendung.

Der Lohn ist gering, aber es gibt einen Mietzuschuss, zehn Maß Korn und die Genehmigung zum Bierbrauen. Außerdem darf er auswärts musizieren und zu allen Festivitäten der Stadt, was extra bezahlt wird.

Heinrich ist glücklich, dass sein Bruder Christoph nun ganz in der Nähe ist. Dreizehn Bache wohnen inzwischen in Arnstadt, eine lebhafte Familie. Heinrich hat fünf Kinder, Christoph vier, darunter die Zwillinge Johann Christoph und Johann Ambrosius, der Vater von Sebastian. Die jungen Bache schauen ihren Vätern und Onkeln über die Schulter, beim Orgeln, Improvisieren, beim Blasen oder Geigen.

Für die ganze Familie komponiert Heinrich Bach eine Sonate in C, seine Neffen, die elf-jährigen Zwillinge geigen, ihr älterer Bruder spielt Cembalo, Vater Christoph Violone und den Rest übernehmen Heinrich und seine Kinder. Ob die Jugend die Kunst des Diminiuierens, den Umgang mit Ornamenten und Verzierungen schon beherrscht hat, wissen wir nicht.

Musik 10 Heinrich Bach (1615-1692) Sonata I 'a cinque' in C-Dur für zwei Violinen, zwei Violen und Basso continuo The Parley of Instruments Baroque Orchestra M0023134 008, Hyperion CDA 67079, 3'35"

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Sonata Nr.1 a cinque von Heinrich Bach – gespielt von The Parley of Instruments Baroque Orchestra. Heinrich hat es für die Familie komponiert und die war groß genug für Aufführungen in wechselnden Besetzungen.

Dreizehn Bache leben in Arnstadt mehr oder weniger sorgenfrei beisammen, bis erneut eine Epidemie übers Land zieht. Innerhalb weniger Wochen sterben Sebastians Großeltern, Christoph und Maria Magdalena Bach. Zurück bleiben vier Waisen. Die 16-jährigen Zwillinge Christoph (1645-1693) und Ambrosius (1645- 1695). Gerade sind sie noch beim Vater in die Lehre gegangen, jetzt werden sie zu ihrem Onkel Johann (1640-1682) nach Erfurt geschickt, der ihr Vormund wird. Doch in Erfurt ist der Teufel los.

Der Friedensvertrag von Osnabrück hat der Stadt nicht den erhofften Frieden gebracht. Unter den Bürgern herrscht Unruhe. Sie rebellieren gegen den Kurfürsten von Mainz. Die lutherischen Geistlichen verweigern das Gebet für den katholischen Landesherrn. In Erfurt wird als Zeichen der Ächtung die Reichsacht verhängt, die Stadt wird von kurmainzischen und französischen Truppen besetzt und zu Gehorsam gezwungen.

Die Bache halten Stand und bleiben in Erfurt. Christoph und Ambrosius werden Stadtmusiker, der Cousin Christian wird Ensembleleiter. Alle wichtigen Ämter sind von der Familie Bach besetzt und es ist nicht mehr von den Stadtmusikanten, sondern von den „Stadt-Bachen“ die Rede.

Das Zwillingspärchen Christoph und Ambrosius werden wir morgen in der SWR2 Musikstunde weiter begleiten.

Heute kehren wir noch einmal zu Heinrich Bach zurück, dem Organisten in Arnstadt, der ein großes Oeuvre hinterlassen hat: Choräle und Choralbearbeitungen, Motetten und Vokalkonzerte, von denen mindestens eines erhalten ist, „Ich danke dir Gott“ für 5 Stimmen und Instrumentalensemble.

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Musik 11 Heinrich Bach (1615-1692) Ich danke dir, Gott. Kantate zum 17. Sonntag nach Trinitatis für Soli, Chor, Streicher und Basso continuo Maria Zedelius, Sopran , Ulla Groenewold, Alt, David Cordier, Altus, Paul Elliott, Tenor Michael Schopper, Bass, Rheinische Kantorei Ensemble, Musica antiqua Köln, Leitung: Reinhard Goebel M0054877 013, 5’50 (1’02 zu Beginn instrumental)

Absage

Literatur: John Eliot Gardiner, Bach, Musik für die Himmelburg, München 2016, Hanser Volker Hagedorn, Bachs Welt, Hamburg 2016, Rowohlt Klaus Rüdiger Mai, Die Bachs, Berlin 2014, List

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