MANNHEIMER Samstag 12 MORGEN REISE 1. AUGUST 2015 Entschleunigung garantiert Es ist kein Wunder, dass Albert Einstein in der schweizerischen Hauptstadt Bern der Relativität der Zeit auf die Schliche kam. Dort hat Lebensqualität Vorrang vor Hektik und Geschäftigkeit. VON CORNELIA LOHS

n Bern regiert der Charme der Tipps und Adressen Langsamkeit. Die Berner spre- chen nicht nur langsamer als Info: Touristeninformation direkt die übrigen Schweizer, sie sind im Bahnhof, Bahnhofplatz 10A, Iauch viel gelassener. Hast und Hek- www.bern.com, außerdem tik begegnen einem in der Schweizer www.bern.ch Hauptstadt nicht. Die Berner genie- Anfahrt: Mit der Bahn ab Mann- ßen ihr Dasein und nehmen sich Zeit heim drei Stunden 20 Minuten (ab für die wirklich wichtigen Dinge des 118 Euro zweiter Klasse, mit Bahn- Lebens. Wo sonst hätte Albert Ein- card 25 ab 88 Euro hin und stein die Vorstellungen von Raum zurück). und Zeit auf den Kopf stellen sollen, wenn nicht im gemächlichen Bern? Übernachten: „Hotel Bern“ (Best Dass in Bern alles einen Tick lang- Western) in der Zeughausgasse samer geht, ist sogar wissenschaft- (nahe Zytgloggeturm). lich bestätigt. Zumindest stellt das Tipp: Bei Übernachtungen inner- der britische Psychologie-Professor halb der Stadt Bern erhält man von Richard Wiseman in seinem Buch allen Hotels das kostenlose Bern- „Quirkology“ fest. Wiseman hat in Ticket, das freie Fahrt auf Bus und einer Studie die durchschnittliche Tram des Libero-Tarifverbunds in Gehgeschwindigkeit in weltweit Bern gewährt inkl. Gurtenbahn, 32 Städten gemessen. Bern landete Marzilibahn und Münsterplatt- auf dem drittletzten Platz, vor Bah- formlift. rain und Malawi. „Berner sind nicht langsam, son- Feiertag: Der 1. August ist in der dern in Bern wird entschleunigt, das Schweiz Nationalfeiertag. Das ist ein Unterschied“, sagt Berns Tou- Detailprogramm in Bern ist unter rismus-Direktor Markus Lergier, www.bern.ch/bundesfeier zu fin- und Verkehrsplaner Hugo Staub be- den. kräftigt: „Wenn man sich die Lang- samkeit leisten kann und dennoch D F rechtzeitig ans Ziel kommt, dann ist Bern AT das doch Lebensqualität pur!“ 12 SCHWEIZ Mythos der Langsamkeit I „Da ist auf jeden Fall etwas Wahres dran“, meint Andy Keller, Chefre- dakteur des in Bern beheimateten WohlenseeWohlensee 1 Globetrotter-Magazins und fügt hin- Bern M zu: „Ich stamme ja ursprünglich aus MM-Grafik 10 M

Zürich und kann gut vergleichen. - G Aare r a

Zürich, das ist Weltoffenheit, Inter- f 12 i 6 k nationalität, Tempo, Geschäftigkeit Die Altstadt von Bern liegt auf einer Halbinsel inmitten der Aare, und vom Wasser aus kann man bequem den Blick auf die Hauptstadt der Schweiz genießen. BILD: LOHS etc. Bern ist eher behäbig, viel ruhi- ger als Zürich, ländlicher, kleiner. Der Berner Dialekt hat auch zum einem Hammer an die große Glocke Stadt der Schweiz genannt. Seit 1983 Gründer Berns, Herzog Berchtold V. Einstein in den Jahren 1903 bis 1905 ren Einblick in sein Leben und seine Mythos der Langsamkeit beigetra- schlägt. Als der letzte Glockenschlag gehört sie zum Unesco-Welterbe. von Zähringen, erinnert. Der Legen- wohnte. Damals war er Beamter wissenschaftliche Arbeit gewährt gen. Hier spricht man viel langsamer verstummt, kräht der Hahn zum Das historische Zentrum beginnt an de nach wollte der Herzog die Stadt beim Schweizer Patentamt. Er selbst das Historische Museum am Helve- als in Zürich. Die Berner sind insge- dritten Mal und verkündet die neue der Heiliggeistkirche am Bahnhof- nach dem ersten von ihm erlegten nannte seine Stelle „technischer Ex- tiaplatz. samt einfach gemütlicher und wohl Stunde. platz mit der Spitalgasse, einer der Tier benennen. Es war ein Bär. Aus perte dritter Klasse“. In einem Brief Die Kramgasse und ihre Verlän- auch gelassener“. längsten Einkaufspromenaden Eu- Bär wurde erst Bärn, dann Bern. an einen Freund schrieb er: „Ich bin gerung, die Gerechtigkeitsgasse, Nicht so der Hahn am Zytglogge- Panoramablick vom Turm ropas. Auf sechs Kilometern stehen eidgenössischer Tintenscheißer mit dienten im Mittelalter als Marktplatz turm. Er hat es eilig. Flügelschlagend Während einer Stadtführung hat Häuser und Paläste mit Arkaden, un- Erinnerung an Albert Einstein ordentlichem Gehalt. Daneben reite und Gerichtsort. Im Zentrum der kräht er bereits vier Minuten vor der man Gelegenheit, in den Turm hin- ter denen sich Läden, Restaurants Der originellste Berner Brunnen ist ich auf meinem alten mathema- Straße steht der Gerechtigkeitsbrun- vollen Stunde, woraufhin sich ein aufzusteigen und sich den Mecha- und Cafés befinden. Hier geht es ge- indes der Kindlifresserbrunnen am tisch-physikalischen Steckenpferd nen, auf dessen Säule Justitia steht. Zug grimmig aussehender Bären in nismus des Monumentaluhrwerks schäftig zu, jedoch ohne eine Spur Kornhausplatz. Die Figur des Kindli- und fege auf der Geige – beides in en- Die Gasse führt zur Nydeggbrücke Bewegung setzt und seine Runde aus dem 16. Jahrhundert aus der von Hektik. Keiner hastet, keiner fressers ist von acht gefangenen Kin- gen Grenzen, welche mir mein zwei- und hinunter zum Aare-Ufer, Lieb- dreht. Ein rot gekleideter Narr schellt Nähe anzusehen. Vom Turm aus drängelt. Die Gelassenheit der Ber- dern umgeben. Einige hängen an ei- jähriger Bubi für derlei überflüssige lingsplatz der Berner im Sommer. Im an zwei Glocken. Der Hahn kräht ein bietet sich ein spektakulärer Panora- ner scheint auf die Touristen abzu- nem Riemen, andere stecken in ei- Dinge gesteckt hat“. erfrischenden Nass der Aare kann zweites Mal, als die Bären im Turm mablick über die Altstadt. Ist der färben. Man schaltet automatisch ei- nem Sack, eines stopft er sich gerade In diesen „engen Grenzen“ ver- man sich von der Strömung mit und verschwinden. Chronos dreht seine Himmel klar, gibt er einen Blick auf nen Gang herunter und bewegt sich in seinen Schlund. „Wenn unsere fasste Einstein die erste Abhandlung ohne Gummiboot oder Luftmatrat- Sanduhr und hebt das Zepter zum die Berner Alpen mit Eiger, Mönch viel langsamer vorwärts als sonst. Kinder nicht brav sind, drohen wir über die Relativitätstheorie. Heute ze treiben lassen und dabei den Blick Kommando des Stundenschlags. und Jungfrau frei. Die Spitalgasse führt in die Markt- ihnen mit dem Kindlifresser“, sagt befindet sich in der Wohnung ein auf die Kulisse der Altstadt genießen. Das ist das Zeichen für den goldenen Die Altstadt liegt auf einer Halbin- gasse, die am Zytgloggeturm endet. eine Bernerin zu einem Touristen. kleines Museum, das Bilder, Doku- Ritter Hans von Thann, der nun zum sel in der Aare. Johann Wolfgang Dort beginnt die Kramgasse mit dem In der Kramgasse 49 befindet sich mente und Möbel aus Einsteins Ber- Fotostrecke unter Takt des schwingenden Zepters mit Goethe hat sie einst die schönste Zähringerbrunnen, der an den das Einstein-Haus, in dem Albert ner Zeit zeigt. Einen umfangreiche- w morgenweb.de/reise

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