Jutta Wiedmann

Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in

Einleitung

Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (HdG) wurde vor 20 Jahren, am 14. Juni 1994 eröffnet. Vorausgegangen waren zwölf Jahre Diskussion und Planung, die ihren Anfang mit der Regierungserklärung Helmut Kohls vom 13. Oktober 1982 nahm, in der er ankündigte, in der Bundeshauptstadt Bonn eine Sammlung zur deutschen Geschichte seit 1945 entstehen zu lassen (Kohl, 1982, S. 866).

Das Haus der Geschichte ist eines von fünf vom Bund unterhaltenen Museen – die vier anderen sind: das Deutsche Historische Museum1 (DHM), der Martin-Gropius-Bau und das Jüdische Museum in Berlin sowie die Bundeskunsthalle in Bonn.

Die Dauerausstellung des HdG umfasst die Zeit von 1945 bis in die Gegenwart. Sie verläuft chronologisch entlang der politischen Ereignisse, räumt aber auch der Alltagsgeschichte breiten Raum ein (Möller, 1986, S. 58-59; Schäfer, 1993, S.48). Die Ausstellung wurde 1994 eröffnet und 2001 und 2011 erneuert, die Neugestaltungen bezogen sich vor allem auf eine Erweiterung um die Jahre bis in die Gegenwart.

Das HdG verfügt über zwei Außenstellen: das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig (eröffnet 1999), das an politische Unterdrückung, Opposition und Widerstand in der DDR erinnert sowie das Museum in der Kulturbrauerei in Berlin (eröffnet 2013), das die Alltagsgeschichte in der DDR behandelt.

Das HdG ist als selbständige Stiftung mit drei Stiftungsgremien organisiert: dem Kuratorium, das über die Grundzüge der Programmgestaltung und den Haushalt entscheidet, dem wissenschaftlichen Beirat, dem Fachleute angehören und dem Arbeitskreis gesellschaftlicher

1 Ein zeitgleich von initiiertes Projekt, dessen Entstehung von ähnlich kontroversen Diskussionen begleitet wurde. 1

Gruppen, dem z. B. Vertreter der Religionsgemeinschaften und von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden angehören.

Gesellschaftlicher Kontext

Vorgeschichte

Die Idee für ein Museum für die deutsche Geschichte nach 1945 wurde schon Ende der 1970er Jahre im Bundesinnenministerium diskutiert (Kocka, 1985, S. 59; Moller, 1998, S. 81; Schäfer, 1988, S. 27), was für die Befürworter des Projekts als Beleg dafür gilt, dass der Plan für den Museumsbau nicht parteipolitisch zuzuordnen ist (Möller, 1986, S. 57).

Erstmals in einem großen Rahmen formuliert wurde die Idee, die Geschichte der Bundesrepublik nach 1945 ins Museum zu bringen, von Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung nach der Regierungsübernahme am 13. Oktober 1982 (Kohl, 1982):

Unsere Republik, die Bundesrepublik Deutschland, entstand im Schatten der Katastrophe. Sie hat inzwischen ihre eigene Geschichte. Wir wollen darauf hinwirken, daß möglichst bald in der Bundeshauptstadt Bonn eine Sammlung zur deutschen Geschichte seit 1945 entsteht, gewidmet der Geschichte unseres Staates und der geteilten Nation. (S. 866)

Diese Idee wiederholte er in seiner zweiten Regierungserklärung nach der Wahl am 4. Mai 1983 (Kohl, 1983), in der er auch auf Folgendes hinwies:

Wir, die Deutschen, müssen uns unserer Geschichte stellen, mit ihrer Größe und ihrem Elend, nichts wegnehmen, nichts hinzufügen. Wir müssen unsere Geschichte nehmen, wie sie war und ist: ein Kernstück europäischer Existenz in der Mitte des Kontinents. Der jungen Generation muß die deutsche Geschichte in ihren europäischen Bezügen und Bedingungen wieder geistige Heimat werden. (S. 412)

Erinnerungsorte für die deutsche Geschichte nach 1945 gab es zuvor noch nicht, jedoch zwei Initiativen, die sich mit demokratischen Traditionen in der deutschen Geschichte seit dem 19. Jahrhundert befassten: Zu nennen sind die 1974 eröffnete Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt und die anlässlich des 100. Jahrestags der Reichsgründung 1871 im Reichstagsgebäude in Berlin eröffnete Ausstellung „Fragen an die Deutsche Geschichte“ (Boockmann, 1987, S. 156; 1871 – Fragen an die Deutsche Geschichte, 1971).

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Gesellschaftlicher Kontext

Der gesellschaftliche Kontext kann als eher ungünstig bezeichnet werden, wobei zwischen der politischen und der kulturellen Dimension unterschieden werden muss. Politisch herrschten durch den Regierungswechsel 1982 und der damit einhergehenden Propagierung einer „geistig—moralischen Wende“ für ein Museum, mit dessen Hilfe „die deutsche Geschichte wieder geistige Heimat werden soll“ (Kohl, 1983, S. 412), eher günstige Umstände. Der kulturelle Kontext blieb jedoch ungünstig, denn die Idee für ein Haus der Geschichte wurde von Journalisten und Wissenschaftlern kontrovers diskutiert und die Mehrheit von ihnen stand dem Projekt ablehnend gegenüber.

Folgende Ereignisse und Debatten prägten die späten 1970er und die 1980er Jahre und bilden den Hintergrund für die Diskussionen über die Pläne für das Haus der Geschichte:

1979 wurde die US-amerikanische Fernsehserie „Holocaust“ im bundesdeutschen Fernsehen ausgestrahlt, 1985 folgte der französische Dokumentarfilm „Shoah“. Insbesondere „Holocaust“ löste in der Bundesrepublik ein Interesse an den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus aus und leitete eine neue Phase in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus ein (Reichel, 2007, S. 250).

Bundespräsident Richard von Weizsäcker sprach in seiner Rede anlässlich des 40. Jahrestags der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1985 zum ersten Mal vom Kriegsende als Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur und traf damit auf große Zustimmung sowohl in der Bevölkerung als auch unter Publizisten.

Helmut Kohl begann seine Amtszeit mit der Ankündigung einer „geistig-moralischen Wende“, mit der er sich von der sozial-liberalen Vorgängerregierung abgrenzen wollte. Auf die Geschichtspolitik bezogen bedeutete dies, sich auch mit der Geschichte seit 1945 befassen zu wollen. Die Mehrheit der deutschen Historiker war in den 1970er und 1980er Jahren der Meinung, dass der Nationalsozialismus im Mittelpunkt jeglicher Darstellungen von Zeitgeschichte stehen müsse oder zumindest gleichgewichtig neben der Darstellung der Geschichte der Bundesrepublik (Broszat, 1988, S. 259). Eine Darstellung der bundesrepublikanischen Geschichte ohne Berücksichtigung der Situation, aus der sie entstand, wurde abgelehnt (Kocka, 1985, S. 65-66). Mit der Ankündigung, den Schwerpunkt des geplanten Museums auf die Geschichte der Bundesrepublik setzen zu wollen, erregte Kohl den Widerstand dieser Historiker.

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In denselben Kontext gehört die am 5. Mai 1985 erfolgte Kranzniederlegung auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg während eines Staatsbesuchs von US-Präsident Ronald Reagan. Was als Versöhnungsgeste geplant war, löste Kontroversen aus, da auf dem Friedhof auch Angehörige der Waffen-SS beerdigt waren. Von Helmut Kohl stammt auch der Begriff von der „Gnade der späten Geburt“, den er im Zusammenhang mit einer Israel-Reise 1983 verwendete und mit dem er betonen wollte, dass die nach 1930 geborenen Deutschen, also auch ihn, keine Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus treffe.

Die 1980er Jahren waren geschichtspolitisch vor allem von dem sog. „Historiker-Streit“ geprägt, der von Ernst Nolte 1986 mit dem Argument ausgelöst wurde, die Ermordung der europäischen Juden sei eine Nachahmung stalinistischer Verbrechen. Jürgen Habermas stellte sich dieser Sichtweise entgegen und nutze seine Kritik an Nolte und dessen (vermeintlichen) Unterstützern auch dafür, ein „neokonservatives Geschichtsverständnis“ der Initiatoren des Hauses der Geschichte und des Deutschen Historischen Museums anzuprangern (Duve, 1986, S. 336; Habermas 1986). Die sich intensivierende Debatte unter Beteiligung zahlreicher namhafter Historiker führte zu

„einer deutlichen Lagerbildung innerhalb des intellektuellen Spektrums der Bundesrepublik der 1980er-Jahre. Auf der einen Seite sammelten sich jene, die den sozialliberalen Zeitgeist des vorangehenden Jahrzehnts in geschichtspolitischer Absicht einer konservativen Revision zu unterziehen versuchten, auf der anderen Seite jene, die den linksliberalen Konsens bekräftigen und das Bekenntnis zur Einzigartigkeit des Holocaust zum Ankerpunkt einer posttraditionalen kollektiven Identität der (West-)Deutschen erheben wollten.“ (Große Kracht, 2010, S. 1)

Die 1980er Jahre sind auch geprägt von einem allgemeinen Interesse an Geschichte und der Erörterung des Begriffs „Geschichtsbewusstsein“ (Weidenfeld, 1987, S. 13-14). Laut Weidenfeld seien die Deutschen deshalb so an Geschichte interessiert, weil sie auf der Suche nach ihrer Identität sind (1988, S. 16-17). Hermann Schäfer, seit 1987 Gründungsdirektor des HdG, erhoffte sich vom Museumsprojekt die Artikulation einer nationalen Identität, die von einen Geschichtsbewusstsein getragen wird, dass den vielen Besonderheiten der bundesdeutschen Identität Rechnung trägt (Schäfer, 1988, S. 34).

Zusammengefasst trafen die Planungen für das Haus der Geschichte auf eine Gesellschaft, die gerade begonnen hatte, sich mit den nationalsozialistischen Verbrechen zu beschäftigen, in

4 der Historiker über die Einzigartigkeit des Holocaust diskutierten und die Politik eine konservative Erneuerung als notwendig erachtete.

Action of Agents

Die Geschichte der kontrovers geführten Diskussion um die Pläne zur Errichtung des Hauses der Geschichte begannen mit Helmut Kohls Regierungserklärung vom 13. Oktober 1982 und endete vorläufig mit der Eröffnung des Hauses am 14. Juni 1994. Da der Bundeskanzler Initiator war und das Bundesinnenministerium (BMI) in seinem Auftrag die Entwicklung des Projekts vorantrieb, handelt es sich um einen top down-Prozess.

Entstehungsgeschichte des HdG

Aufgrund der Regierungserklärung berief das Bundesinnenministerium im Frühjahr 1983 eine Sachverständigenkommission ein, deren Aufgabe es war, eine erste inhaltliche Konzeption für das Haus der Geschichte zu entwickeln (Schäfer, 1988, S. 27). Der Kommission gehörten vier Personen an: die drei Geschichtsprofessoren Lothar Gall (Frankfurt), Klaus Hildebrand (Bonn) und Horst Möller (Erlangen) sowie mit Ulrich Löber, dem Direktor des Landesmuseums Koblenz, ein Fachmann für Museumskunde (Löber, 1984, S. 189; Schäfer, 1988, S. 27). Zumindest Möller galt als konservativ, denn er hatte bei Ernst Nolte, der drei Jahre später durch seine Zweifel an der Singularität des Holocausts den Historikerstreit auslöste, habilitiert. Auch die drei anderen Mitglieder der Kommission wurden von Kritikern des Projekts als „konservativ“ bzw. politisch eindeutig positioniert bezeichnet und die Zusammensetzung der Kommission galt deshalb als einseitig (Habermas, 1986; Mommsen, 1986, S. 15).

Die Kommission legte im November 1983 ein Gutachten unter dem Titel „Überlegungen und Vorschläge zur Errichtung eines „Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ in Bonn“ vor, das an über 100 gesellschaftliche Gruppen, Parteien, Institutionen und Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gesendet wurde (HdG, 1994, S. 3). Im Mai 1984 veranstaltete die SPD-Bundestagsfraktion eine Anhörung zu dem Thema. Eine zweite Fassung des Gutachtens – in die Anmerkungen und Ergänzungswünsche aufgenommen wurden (BMI, 1984, Vorbemerkung: S. 3) wurde schließlich im Juli 1984 veröffentlicht. Erste und zweite Fassung des Gutachtens unterscheiden sich nicht wesentlich voneinander, es gibt lediglich einige Ergänzungen bzw. Präzisierungen im Text, die zumeist nicht länger als ein Satz sind. So soll es beispielsweise im ersten Teil der Ausstellung (1945

5 bis 1949) nicht mehr nur um „das Spannungsverhältnis zwischen der Besatzungspolitik der Alliierten und der Reaktion der deutschen Bevölkerung“ gehen, sondern auch um die „Diskussionen und Auseinandersetzungen über die Gestaltung der künftigen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung“ (BMI, 1984, S. 3). Die meisten Änderungen beziehen sich auf die Wirtschaftsordnung und die Rolle von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, woraus zu schließen ist, dass die SPD und die Gewerkschaften hier Einfluss nehmen konnten. Zudem ist davon auszugehen, dass viele Änderungen auf in der Anhörung der SPD-Fraktion geäußerte Kritik zurückgehen (Duve, 1984, S. 80-91). Im Zusammenhang mit der Einführung der Sozialen Marktwirtschaft wurde die besondere Bedeutung der Tarifpartnerschaft hinzugefügt (ebd., S. 6). Für den Zeitraum 1949-1955 wurden die Interessenverbände nur erwähnt, in der neuen Fassung des Gutachtens wurde ergänzt, dass „ihre Bedeutung für die politische und soziale Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland“ beschrieben werden soll (S. 10). Wenn das „Wirtschaftswunder“ thematisiert sind, sollen in der neuen Fassung auch „der Preis wirtschaftlichen Aufschwungs und manche mit ihm einhergehenden negativen Auswirkungen deutlich werden“ (ebd., S. 12).

Im Juli 1985 billigte das Bundeskabinett das inhaltliche Konzept des Hauses der Geschichte und im November des Jahres wurden die vier Sachverständigen zu Gründungsdirektoren bestellt (HdG, 1994, S. 3). 1986 wurde vorläufig eine nichtselbständige Stiftung errichtet und die Gremien „Kuratorium“ und „Arbeitskreis gesellschaftlicher Gruppen“ nahmen ihre Arbeit auf, außerdem wurden die ersten Mitarbeiter eingestellt. Im Juli 1987 trat Prof. Dr. Hermann Schäfer das Amt des Direktors an (HdG, 1994, S. 4).

Im Dezember 1989 verabschiedete der schließlich ein Gesetz über die Errichtung einer selbständigen Stiftung, das im März 1990 in Kraft trat (HdG, 1994: S. 4-5). Die Stiftung besteht aus drei Gremien: Aufsichtführendes Organ ist das Kuratorium, das über den Haushalt und die Grundzüge der Programmgestaltung entscheidet und sich zusammensetzt aus Vertretern der Bundestagsfraktionen, der Bundesregierung und der Repräsentanten der Bundesländer. Der wissenschaftliche Beirat unter Vorsitz von Lothar Gall, einem der Gründungsdirektoren, steht dem Präsidenten und dem Kuratorium bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Dauerausstellung und der Wechselausstellungen beratend zur Seite. Er setzt sich zusammen aus bis zu 25 wissenschaftlichen Sachverständigen, die vom Kuratorium berufen werden. Das dritte Gremium, der Arbeitskreis gesellschaftlicher Gruppen, besteht aus bis zu 21 Vertretern gesellschaftlicher Gruppen (z.B. Religionsgemeinschaften, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen); das Kuratorium legt fest, welche Gruppen Vertreter in den

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Arbeitskreis entsenden dürfen. Der Arbeitskreis berät das Kuratorium und den Direktor (Deutscher Bundestag, 1988, S. 3-4).

Von den Gremien ist somit das Kuratorium das einflussreichste. Durch die Zusammensetzung des Kuratoriums mit je sechs Vertretern der Bundesregierung, sechs des Bundestags und sechs des Bundesrats ist gewährleistet, dass das Kuratorium immer die jeweils aktuellen politischen Kräfteverhältnisse widerspiegelt. Die von den Regierungsparteien entsandten Mitglieder verfügen in der Regel über eine Stimmenmehrheit.

In den Jahren bis 1993 wurde das Museumsgebäude gebaut und die Ausstellungspläne wurden vorangetrieben. 1991 standen dabei insbesondere die Auswirkungen der deutschen Einheit auf die Konzeption der Dauerausstellung im Mittelpunkt (HdG, 1994, S. 6). Das Haus der Geschichte wurde dann am 14. Juni 1994 von Bundeskanzler Kohl eröffnet.

Die aktuelle Dauerausstellung, die sich in ihren wesentlichen Zügen (trotz Erneuerung 2001 und 2011) nicht geändert hat, ist in sechs Zeitabschnitte aufgeteilt: 1945-1949: Last der Vergangenheit und Teilung Deutschlands; 1949-1955: Jahre des Aufbaus in West und Ost; 1955-1963: Kalter Krieg und Vertiefung der Teilung; 1963-1974: Kontinuität und Wandel; 1974-1989: Neue Herausforderungen; 1989 bis heute: Deutsche Einheit und globale Herausforderungen (HdG, 2012, S. 4-5). Über die Ausstellungsabschnitte verteilt befinden sich fünf schwarze begehbare Elemente (Kubus genannt), in denen die jeweilige Etappe der Vergangenheitsbewältigung thematisiert wird, für z. B. 1963-1974 sind das die Frankfurter Auschwitz-Prozesse und der Prozess gegen Adolf Eichmann, für 1974-1989 die Rede Richard von Weizsäckers anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes.

Die voranschreitende Zeit verursacht Platzprobleme, so dass vor der nächsten Erneuerung der Dauerausstellung grundsätzliche Überlegungen darüber angestellt werden müssen, inwieweit die Entwicklungen der Gegenwart überhaupt noch dargestellt werden sollen (Brait, 2011, S. 289-290).

Das HdG verfügte 2012 über ein Budget von über 20,3 Millionen Euro, 2011 waren es 22,6 Millionen Euro. Das der Stiftung Haus der Geschichte zur Verfügung stehende Jahresbudget bewegt sich seit 2005 im Bereich zwischen 18 und 22 Millionen Euro.

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Debatte über die Museumspläne

Wie bereits Helmut Kohl in seiner zweiten Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 („Der jungen Generation muss die deutsche Geschichte in ihren europäischen Bezügen und Bedingungen wieder geistige Heimat werden“) betont auch Michael Stürmer (1985), einer der Befürworter des Museumsprojekts, die Bedeutung der Bildung einer deutschen Identität:

„Das Gespräch mit uns selbst ist notwendig. Nirgendwo im Westen ist, wenn man Langzeituntersuchungen glauben kann, der Dialog zwischen den Generationen so gestört wie in dem Land zwischen Aachen und Eschwege. Dazu kommt: Kriegs- und Nachkriegszerstörungen haben das Land bis zur Unkenntlichkeit entstellt. In den Hauptstädten des Westens gibt es historische Museen. Hierzulande entspricht der gemordeten Stadt die verdrängte, vergessene, ja verhasste Geschichte. Das aber führt zu Mangel an Persönlichkeit, an Identität, und, in die Politik übersetzt, an Berechenbarkeit und Zielklarheit, aber auch an politischer Kultur und Konfliktfähigkeit.“ (S. 38)

Als Befürworter des Projekts galten viele Wissenschaftler, die aus verschiedenen Gründen dem konservativen Lager zugeordnet werden können. Neben den Mitgliedern der Sachverständigenkommission zählten dazu der Historiker und Journalist Michael Stürmer, in den 1980er Jahren Berater von Helmut Kohl, der Kölner Historiker Andreas Hillgruber, der Bonner Historiker und Politikwissenschaftler Karl Dietrich Bracher, sowie die Adenauer- Kenner Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz. Den Genannten wurde eine erste Version des Gutachtens zum HdG vorgelegt, dessen Inhalt sie grundsätzlich zustimmten (BMI, 1983, S. 3). Ein weiterer Befürworter war der Historiker Hartmut Boockmann.

Als Gegner des Projekts galten die Angehörigen der oppositionellen Parteien in Bundestag, der SPD und der Grünen sowie links-liberal orientierte Wissenschaftler. Die Kritiker betrachteten die Pläne für HdG und DHM der Bundesregierung als „Teil einer konservativen Tendenzwende“ (Kocka, 2006, S. 299).

Die Bundestagsfraktion der grünen Partei veröffentlichte 1986 einen Sammelband, in dem sich zahlreiche Politiker aus dem grünen Umfeld, sowie Publizisten und Wissenschaftler vehement gegen die Pläne für das Haus der Geschichte und das Deutsche Historische Museum aussprachen:

„Es gibt keinen Weg der Erinnerung zurück in die deutsche Geschichte vorbei an den 12 Jahren der Nazidiktatur“ schreibt Asendorf (1986, S. 23); der Besiegte müsse gewisse

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Konsequenzen nun mal tragen, so Sichtermann (1986, S. 40), alle Versuche traditionelle deutsche Kontinuität herzustellen, endeten an der Zumutung, das große Schlachten entweder zu bejahen, zu leugnen oder zu „bewältigen“ (ebd.). „Beabsichtigt ist die Identifikation mit einer Geschichte, aus der man die bedingungslose Kapitulation und das Ende der Geschichte Deutschlands am 8. Mai 1945 verdrängen möchte.“ (Ströbele, 1986, S. 3).

Das „Ende der Geschichte Deutschlands“ wie hier der 8. Mai 1945 bemerkenswerterweise genannt wird, bringt die Argumentation dieser Museumsgegner auf den Punkt: Wo keine Geschichte mehr ist, sind jegliche Museumspläne überflüssig.

Andere Gegner richteten ihre Kritik weniger gegen die Absicht ein Museum zu gründen, sondern eher gegen die Art und Weise, wie dieses entstehen sollte. Hier wurde insbesondere die Vorgehensweise der Ernennung von vier Sachverständigen durch die Regierung, sowie die unzureichende Beteiligung aller im Bundestag vertretenen Parteien kritisiert.

Freimut Duve, SPD-Bundestagsabgeordneter und Organisator der Anhörung der SPD- Bundestagsfraktion zum Haus der Geschichte im Mai 1984 konstatierte im Zusammenhang mit der Errichtung von HdG und DHM „einen neuartigen Geschichts- und Museumsfeudalismus, in dem Eliten bestimmen, wer mitreden darf“ (Duve, 1986, S. 334). Die SPD-Fraktion forderte den Innenminister im Februar 1984 auf, an Planung und Ausführung des Museums Persönlichkeiten aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens zu beteiligen (Duve, 1984, S. 17).

Für Mommsen (1986, S. 15) „…sollte eine öffentliche Präsentation der Geschichte der Bundesrepublik - … - von vornherein im Konsens der verschiedenen politischen Richtungen vorgenommen werden.“ Dazu sei eine Miteinbeziehung aller im Bundestag vertretenen Parteien und weiterer demokratischer Organisationen schon im Planungsstadium unerläßlich (ebd.: S. 16). Ähnlich argumentiert Broszat (1988, S. 256).

Horst Möller, einer der vier von der Bundesregierung ernannten Sachverständigen, äußerte sich zur Kritik der drohenden Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen dahingehend, dass er betonte, dieses Museum habe die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zum Thema (1986: S. 60). Die NS-Diktatur werde thematisiert, soweit sie in der Bundesrepublik Thema gewesen sei, etwa das allmähliche Bekanntwerden der NS- Verbrechen oder ihre Ahndung durch die Besatzungsmächte. Das Ausmaß der Verbrechen

9 und der Charakter der NS-Diktatur sollten zum Ausdruck kommen, ohne den Anspruch auf umfassende Dokumentation des Dritten Reiches zu erheben (ebd.).

Schäfer unterstrich, dass das geplante Museum ein offenes Geschichtsbild vertrete, dass auf Pluralität und Perspektivität hin ausgerichtet sei (1988, S. 31). Das Haus der Geschichte wolle von Anfang an ein lebendiges Diskussionsklima schaffen und dieses durch besondere Veranstaltungen … zusätzlich fördern (ebd., S. 32).

Während sich die Kritik oppositioneller Politiker vor allem an den aus ihrer Sicht mangelnden Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung des Museums entzündete, kritisierten Wissenschaftler das Projekt inhaltlich. Für Habermas (1986) hat Geschichtsschreibung vor allem einen aufklärenden Effekt und diesen sah er durch die Wiederbelebung eines Nationalbewusstseins durch die Präsentation eines bestimmten Geschichtsbilds gefährdet. In den vorgelegten Gutachten (HdG und DHM) konnte er keinen echten Pluralismus, sondern nur ein pluralistisches Gesicht erkennen (ebd.). Broszat (1988, S. 258) bezweifelte, dass sich über die Vermittlung eines einheitlichen Geschichtsbilds mehr politisch-nationale Identifikation mit den bestehenden politischen Verhältnissen erreichen lasse. Ähnlich argumentierte Mommsen, der fürchteet, dass „durch ein „verordnetes“ Geschichtsbild die Verdrossenheit gegenüber der Beschäftigung mit zentralen Hypotheken unserer Geschichte vermehrt wird“ (Mommsen, 1986, S. 23).

Die Argumente der Museumsgegner kann man folgendermaßen zusammenfassen. Auf der politischen Ebene wurde konstatiert, dass der Entstehungsprozess nicht pluralistisch sei, sondern der Opposition, gesellschaftlichen Gruppen und der Öffentlichkeit nur ein eingeschränktes Mitspracherecht zur Verfügung stehe. Auf der inhaltlichen Ebene wurde kritisiert, dass durch die Schwerpunktsetzung auf die Geschichte nach 1945 eine Relativierung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen drohe und dass sich durch die Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur eine erneute positive deutsche Identitätsbildung per se verbiete. Außerdem wurde die Möglichkeit einer Identitätsbildung überhaupt angezweifelt.

Ziele

Im Gutachten aus dem Jahr 1984 formulierten die vier Sachverständigen die Zielsetzung des geplanten Museums so: „ Hier sollen Kenntnisse über die jüngere Geschichte unseres Landes vermittelt und damit das Geschichtsbewusstsein der Bürger gefördert und gefestigt werden.“

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(BMI 1984,Vorbemerkung: S. 1). Diese Zielsetzung ist auch heute noch aktuell, denn im Begleitbuch zur neuesten, seit 2011 gezeigten Version der Dauerausstellung heißt es:

„Zeithistorische Kenntnisse einem breiten Zielpublikum zu vermitteln und das Bewusstsein für geschichtliche Zusammenhänge zu fördern, gehört zu den Kernaufgaben der Stiftung. Mit ihren besucherorientierten und lebendigen Ausstellungen, ihren Veranstaltungen und Publikationen will sie zum Verständnis der Vergangenheit beitragen, demokratische Prozesse verständlich machen und zu ihrer Mitgestaltung anregen. So will die Ausstellung „Unsere Geschichte“ einen Beitrag zur Demokratieerziehung und letztlich zur Selbstvergewisserung leisten (HdG, 2012, S. 13).

In dem Gesetz zur Errichtung der Stiftung (1988, S. 6) ist auch davon die Rede, dass das Haus der Geschichte „das Geschichtsbewußtsein der Bürger, ihr Verständnis für das politische, gesellschaftliche und kulturelle Leben in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Bindung an das Gemeinwesen fördern soll“ (vgl. auch Schneider, 1995, S. 231 und Möller, 1986, S. 58).

Zielgruppe des HdG sind die Besucher der Stadt Bonn, sowie insbesondere junge Menschen (Deutscher Bundestag, 1988, S. 6; Kohl, 1994; Schäfer, 1994).

Identitäten

Mit den Formulierungen der Ziele wurde impliziert auch die Gruppe genannt, die präsentiert werden soll, nämlich die Deutschen ab 1945. Dadurch, dass für die Mehrheit der 1984 im westlichen Teil Deutschlands lebenden Menschen die Bundesrepublik „die erlebte Vergangenheit schlechthin“ darstelle, sei diese Geschichte zur Basis des historischen Selbstverständnisses dieser Menschen geworden. Jenes historische Selbstverständnis soll mit dem geplanten Haus der Geschichte gefestigt werden (BMI, 1984, S. 1).

Andere Gruppen, die laut der Planungen aus dem Gutachten präsentiert werden sollen, sind

- die Alliierten bzw. Siegermächte, deren Besatzungspolitik Spannungen mit der deutschen Bevölkerung auslöst (BMI, 1984, S. 3). Es soll dargestellt werden, dass „die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reichs ein Ergebnis der totalen Herausforderung Europas und der Welt durch die NS-Diktatur gewesen ist“ (BMI, 1984, S. 4),

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- die Opfer des Nationalsozialismus, indem „auf die materielle Wiedergutmachung für Opfer der NS-Diktatur, insbesondere gegenüber dem Staat Israel, hingewiesen wird“ (BMI, 1984, S. 7).

Werte

Angelehnt an die Annahmen von Habermas´ Theorie des kommunikativen Handelns werden die Ziele des Hauses der Geschichte dahingehend untersucht, ob sie die Geltungsansprüche an Wahrheit, Richtigkeit und Authentizität erfüllen (Bednarz-Łuczewska, Łuczewski, & Maślanka, 2013). Dafür werden folgende Fragen erörtert:

Sind die Ziele des HdG „wahr“ (Soll die Vergangenheit historisch korrekt dargestellt werden?), „richtig“ (Inwieweit werden in der Gesellschaft und im öffentlichen Diskurs vorherrschende Ideale berücksichtigt?) und „authentisch“ (Inwieweit spiegelt die Darstellung eine vorhandene Identität wider oder will eine schaffen?)?

Wahrheit: Es kann davon ausgegangen werden, dass die historischen Fakten wahrheitsgemäß dargestellt werden. Die vier vom Bundesinnenministerium ernannten Sachverständigen und Autoren des Gutachtens sind anerkannte Wissenschaftler, kritisiert wird die einseitige Berufung konservativer Historiker, nicht aber deren fachliche Eignung. „Die fachwissenschaftliche Qualifikation der Beteiligten steht außer Frage“ bescheinigt ihnen Mommsen (1986, S. 15), einer der Kritiker des Museumsprojekts.

Richtigkeit: Mit dem Konzept, die Geschichte der Deutschen nach 1945 darstellen zu wollen und auf die Verbrechen des Nationalsozialismus nur in Rückblenden eingehen zu wollen, stellen sich die Initiatoren des Museums gegen den bis dahin unter Historikern geltenden Konsens, dass die Zeit zwischen 1933 und 1945 Ausgangspunkt jeglicher Darstellung von Geschichte sein müsse.

Authentizität: Die Ausstellung des HdG hat die Absicht, die nach 1945 lebenden Deutschen als Gruppe zu präsentieren, mit denen sich die Deutschen identifizieren können. Ob es zur Zeit der Entstehung des HdG eine solche Identität gibt, ist umstritten. Die Gegner des Museumsprojekts bestreiten die Existenz einer deutschen Identität, während die Befürworter davon ausgehen, dass sie existiert und in der Ausstellung des Museums sichtbar gemacht werden kann.

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Fazit: Laut Habermas müssen die drei Geltungsansprüche erfüllt sein, damit die sich auf die Vergangenheit beziehenden Kommunikationshandlungen (hier die Darstellung historischer Ereignisse im Museum) störungsfrei verlaufen (Bednarz-Łuczewska et al., 2013, S. 335 u. S. 339). Die Darstellung ist „wahr“, denn die Ereignisse werden historisch korrekt dargestellt, sie ist aber nicht „richtig“, denn die Darstellung entspricht nicht dem in den 1980er Jahren vorherrschenden Ideal, wie mit der Geschichte des Nationalsozialismus umzugehen ist. Es ist darüber hinaus umstritten, ob die Darstellung „authentisch“ ist, denn ob die präsentierte Identität zum Zeitpunkt der Entstehung des HdG bereits vorhanden ist oder dadurch erst geschaffen wird, bleibt unklar.

WUNC

Laut dem Gutachten soll der Schwerpunkt der Ausstellung auf der Politikgeschichte liegen (BMI, 1984, S. 2). Aus dieser Fokussierung auf politische Ereignisse folgt, dass das Gutachten nur wenige Hinweise darauf gibt, ob und wie die Deutschen - analog zu dem von Charles Tilly entworfenen Kriterienkatalog zur Charakterisierung gesellschaftlicher Bewegungen - als WUNC dargestellt werden sollen.

Es finden sich lediglich einige Verweise darauf, dass die Deutschen als engagiert dargestellt werden sollen. So ist geplant, neben der alliierten Politik auch herauszustellen, mit welchen Aktivitäten die Deutschen in Westdeutschland die Demokratie mit aufbauen (BMI, 1984, S. 4). Im Zusammenhang mit den Umwälzungen der 1970er Jahre wird außerdem gefordert, das „Verlangen nach verstärkter Partizipation im politischen und gesellschaftlichen Bereich“ darzustellen (BMI, 1984, S. 24).

Identitäten

Die Deutschen seit 1945

Die im HdG präsentierte Gruppe sind die Deutschen in der Zeit von 1945 bis in die Gegenwart. Diese Identität ist nur teilweise ableitbar aus dem Namen des Museums: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Laut der Bezeichnung müsste die Ausstellung im Gründungsjahr der Bundesrepublik, 1949 beginnen und die Geschichte der DDR nicht umfassen. Der Begriff „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ taucht zum ersten Mal in der ersten Version des im Juli 1983 veröffentlichten Gutachtens der Sachverständigenkommission als Arbeitstitel auf. Jedoch ist auch in diesem Gutachten schon davon die Rede, dass „Besatzungszeit und Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“

13 dargestellt werden sollen (BMI, 1983, S. 5), so dass der geplante Name des Museums von Anfang an den die Ausstellung umfassenden Zeitraum nicht korrekt abbildet, worauf auch Ellwein in der Anhörung der SPD-Bundestagsfraktion hinweist (Duve, 1984, S. 24-25). Die Frage, wann die Geschichte der Bundesrepublik beginnt, inwieweit die Vorgeschichte zu berücksichtigen ist und wie schließlich das Museum zu bezeichnen ist, wurde in dieser Anhörung mehrfach aufgegriffen (ebd., S. 33, S. 53 ff., S. 73-74). Der Name kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass dem Initiator des Museumsprojekts, Helmut Kohl, die Geschichte der Bundesrepublik und nicht die Vorgeschichte 1945-1949 am wichtigsten ist (ebd., S 25).

Das Museum repräsentiert die Deutschen in Ost und West, ursprünglich war an eine Präsentation der Deutschen der alten Bundesrepublik (1949-1990) gedacht gewesen, aufgrund der Wiedervereinigung, die in die Planungsphase des Museums fiel, wurde die Identität um die Ostdeutschen erweitert. In der Ausstellung sind etwa 40 Prozent der Fläche der DDR- Geschichte gewidmet.

Die Deutschen werden allerdings in den Ausstellungstexten eher selten als solche bezeichnet. Es ist oft die Rede von „der Bevölkerung“, „den Menschen“, „den Bürgern und „der Öffentlichkeit“. Auffällig ist, dass der Begriff „Bürger“ vor der Wiedervereinigung nur für die Westdeutschen verwendet wird (und das erst ab 1962, wo der Begriff zum ersten Mal im Zusammenhang mit der Spiegel-Affäre auftaucht, siehe Texttafel2 „Bewährung“). Westdeutsche werden neben „Bürger“ auch „Bundesbürger“ genannt, während für Ostdeutsche die Bezeichnungen „die ostdeutsche Bevölkerung“, „Menschen in der DDR“ und „Menschen im Osten“ verwendet werden, aber niemals „Bürger“ oder „DDR-Bürger“.

Oft wird auch eine direkte Bezeichnung vermieden, indem Satzkonstruktionen ohne Subjekt gebildet werden, z. B.: „Die Union wird mit knappem Vorsprung stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag“ (Tafel „Demokratischer Aufbruch“ zur Bundestagswahl 1949).

In der aktuellen Wechselausstellung („Is(s) was! Essen und Trinken in Deutschland“, März bis Oktober 2014) ist dagegen oft von „den Deutschen“ die Rede und es gibt in den Texten häufig die Formulierung „wir“, was in der Dauerausstellung nie vorkommt (z. B. „Wie wir in

2 Ab dieser Stelle werden Texte aus der Dauerausstellung zitiert, die sich zumeist auf Texttafeln zwischen den Exponaten befinden. 14 der Regel essen, hängt stark von unserem Arbeitsleben ab“, erste Texttafel, Eingang zur Wechselausstellung).

Die Dauerausstellung trägt seit der Erneuerung 2011 den Titel „Unsere Geschichte“.

Auch in der öffentlichen Begleitung durch die Ausstellung (Teilnahme an der öffentlichen Begleitung am 9.7.2014) verwendete der Begleiter die Formulierung „wir“ oder „uns“ (dann, wenn es um die Geschichte der Bundesrepublik ging): „Später halfen uns Care-Pakete“, „Unsere Verfassung erhielt den Namen Grundgesetz“, „Konrad Adenauer, unser erster Bundeskanzler“, „…dass wir elf Monate später wiedervereinigt sind“.

Darstellung als WUNC in der Dauerausstellung

Analog zu dem von Charles Tilly entworfenen Kriterienkatalog zur Charakterisierung gesellschaftlicher Bewegungen soll hier im Weiteren erörtert werden, wie die Deutschen im Haus der Geschichte präsentiert werden. Die Kriterien – von Tilly abgekürzt als WUNC displays – lauten: anerkennungswürdig (worthy), vereinigt (united), zahlreich (numerous) und engagiert (committed) (Bednarz-Łuczewska, Łuczewski, 2011, S. 21)

Demnach werden die Deutschen dargestellt als: worthy (anerkennungswürdig): Die Deutschen der unmittelbaren Nachkriegszeit werden als von den Folgen des Krieges Gezeichnete dargestellt: „Kriegsgefangene und Verschleppte kehren heim“ (Texttafel „Heimkehr“), der Suchdienst des Roten Kreuzes zur Auffindung vermisster Angehöriger wird ausführlich dargestellt, u. a. mit Hilfe von Original- Filmaufnahmen von Kindern, die ihre Eltern suchen. Die Last, die auf den Frauen liegt, wird betont: „Unzählige Kriegsgefangene und Verschleppte – darunter zehntausende Frauen – kehren in den ersten Nachkriegsjahren heim (Texttafel „Heimkehr“). Eine „Trümmerstein- Putzmaschine“ dokumentiert den Einsatz von Frauen bei der Trümmerbeseitigung in den ersten Nachkriegsjahren.

Als Zeitzeuge der unmittelbaren Nachkriegszeit wird neben weiteren Personen auch der bekannte Schauspieler Mario Adorf befragt, der in einer Filmaufnahme berichtet, wie er als 15-Jähriger das Kriegsende erlebte.

Die Deutschen der ersten Nachkriegsjahre werden vor allem als Opfer charakterisiert, die versuchen, mit widrigen Umständen zurechtzukommen. Sie werden als rechtschaffen

15 dargestellt, wie z. B. auf der Texttafel „Schwarzmarkt“: „Gegen Schieber – Nutznießer der Not – richtet sich die Empörung der Bevölkerung“.

Diese Charakterisierung setzt sich fort in den Teilen der Ausstellung, in denen die innerdeutsche Grenze thematisiert sind, wie z. B. die Texttafel mit dem Titel „Abgeriegelt“ zeigt: „Über Nacht sind Familien und Freunde getrennt, der Weg über die Grenze ist mit Gewalt versperrt.“

Später in Bundesrepublik und DDR werden die Deutschen als fleißig präsentiert: „Die Deutschen arbeiten hart.“ (Tafel „Ausbruch aus dem Alltag“) oder „Vor allem Jugendliche geburtenstarker Jahrgänge und Frauen drängen verstärkt auf den Arbeitsmarkt.“ (Tafel „Arbeitslosigkeit“). Erwerbstätige Frauen in der DDR werden besonders erwähnt.

Fazit: Die Deutschen werden als „worthy“ dargestellt, mit den von Tilly vorgeschlagenen Mitteln: Frauen und Kinder werden besonders erwähnt, Prominente werden herangezogen, die Gruppe wird – zumindest teilweise – als Opfer dargestellt, darüber hinaus als fleißig.

United (vereinigt): Um zu erörtern, inwieweit die Deutschen als vereinigt dargestellt werden, muss man unterscheiden zwischen Ost- und Westdeutschen und der Gruppe aller Deutschen zusammen. Die Dauerausstellung arbeitet, um die Geschichte beider deutscher Staaten darzustellen, mit folgenden Mitteln: DDR-Geschichte wird immer vor rotem Hintergrund dargestellt (mit Ausnahme der Aktivitäten der Opposition in den 1980er Jahren); zwischen der Darstellung der zeitgleich in West- und Ostdeutschland stattfindenden Entwicklungen befindet sich meist ein eisernes Gitterelement, das die Teilung symbolisiert.

Die Westdeutschen werden als nicht vereinigt dargestellt, denn es wird betont, dass sie über die zentralen Fragen der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik streiten. Das zeigt sich an der Präsentation folgender Themen: Westintegration versus Wiedervereinigung, Gründung der Bundeswehr, Haltung zur außerparlamentarischen Opposition, Haltung zu Willy Brandts Ostpolitik und seinem Kniefall in Warschau, NATO- Doppelbeschluss sowie soziale Marktwirtschaft. Beispielhaft sei hier die Texttafel „Adenauers Kurs“ zitiert: „Findet Adenauers Westintegration Zustimmung? Sollen Deutsche wieder Waffen tragen? Wie kann die Wiedervereinigung erlangt werden? Ist der Weg der Sozialen Marktwirtschaft richtig?“

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Eine Darstellung der Ostdeutschen als „vereinigt“ oder „nicht vereinigt“ ist nicht möglich, da diese in einer Diktatur leben, und somit nicht die Möglichkeit haben, über politische und wirtschaftliche Fragen zu streiten.

Die West- und die Ostdeutschen zusammen werden anhand verschiedener Ereignisse und Entwicklungen als vereinigt dargestellt. Diese Darstellungen ziehen sich durch die gesamte Ausstellung. So formuliert die Texttafel „Ohnmacht und Trauer“ über den Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953: „Der 17. Juni 1953 gilt in der Bundesrepublik als Zeichen für den Freiheits- und Einheitswillens großer Teile der Bevölkerung in der DDR“ und suggeriert damit, dass sich Ost- und Westdeutsche in ihren Zielen einig sind.

Zur Fußball-Weltmeisterschaft 1954 heißt es im Text des durch die Ausstellung führenden Audioguides, dass das Endspiel in Ost und West verfolgt wird und dass den Bundestrainer Sepp Herberger nach dem Spiel auch Glückwunschtelegramme aus der DDR erreichen.

Auch im Kultur- und Freizeitbereich werden West- und Ostdeutsche als vereinigt präsentiert: Die Texttafel mit dem Titel „Politisches Theater“ konstatiert, dass in den 1960er Jahren einige Theaterstücke im Westen wie im Osten Deutschlands heftige Diskussionen auslösen. Die Tafel mit dem Titel „Ausbruch aus dem Alltag“ hält fest, dass in Ost und West Campingurlaube beliebt sind. Auf der Tafel „Kulturaustausch“ ist zu lesen: „Auf beiden Seiten herrscht reges Interesse an der Kultur des anderen Deutschland.“

Die Tafel „Opfer und Gedenken“ informiert über die Fluchtversuche aus der DDR und hält fest, dass Westberliner Kreuze und Gedenksteine errichten, um die bei der Flucht zu Tode Gekommenen zu erinnern. Die Tafel „Entkommen“ informiert über die Unterstützung von Westdeutschen bei Fluchtversuchen.

Fazit: Westdeutsche werden nicht als „vereinigt“ dargestellt, sondern als eine Gruppe, die über die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der jeweiligen Epoche streitet. Die Ostdeutschen können sich als Gruppe nicht artikulieren, da sie in einer Diktatur leben. Die Deutschen (Ost- und Westdeutsche zusammen) werden als „vereinigt“ präsentiert, sie teilen dieselbe Kultur, identifizieren sich mit denselben Sportereignissen und die Westdeutschen nehmen teil am Schicksal der Ostdeutschen, die versuchen, aus der DDR zu fliehen.

Numerous (zahlreich): Aufgrund der Tatsache, dass die Westdeutschen nicht als „vereinigt“ dargestellt werden, gibt es nur wenige Beispiele von Ereignissen, bei denen die

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Westdeutschen als „zahlreich“ präsentiert werden. Diese Beispiele betreffen im weiteren Sinne die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. So heißt es auf der Tafel „Neuer Rechtsextremismus“, die das Wiedererstarken rechtsextremen Gedankenguts in den 1960er Jahren thematisiert: „Mit der Wahl demokratischer Parteien, auch mit Protestaktionen und Demonstrationen wehrt sich die Mehrheit der Deutschen dagegen.“ Mit „Die große Mehrheit der Deutschen ist empört“ wird die Reaktion der Deutschen auf die Überfälle auf Ausländer Anfang der 1990er Jahre beschrieben (Tafel: „Last der Vergangenheit“).

Für die DDR wird im Zusammenhang mit dem Aufstand am 17. Juni 1953 betont, dass die Teilnehmer zahlreich sind: Es gibt „Streiks und Demonstrationen in der ganzen DDR.“

Engagiert (Committed): Die Deutschen werden als engagiert dargestellt, diese Darstellung beginnt bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Tafel „Wirtschaft“ weiß: „Mit Notbehelfen – oft ehemaliges Kriegsgerät – bewältigen sie den Alltag.“ Eine Vitrine zeigt passend dazu selbstgenähte Kleidung, Schuhe und aus Kriegsgerät hergestellte Kochtöpfe.

Den Ostdeutschen sind „Selbstbestimmung und Wiedervereinigung“ wichtig (Tafel: „Ohnmacht und Trauer“), weshalb sie ihr Leben bei dem Aufstand am 17. Juni 1953 riskieren. Gleiches gilt für die Tafel „Flucht vor 1961“: „Bis 1961 fliehen fast drei Millionen Menschen, darunter viele Fachkräfte, Bauern und Jugendliche.“ Die Tafel „Entkommen“ vermerkt, dass „Helfer aus dem Westen die Flucht ganzer Gruppen durch Tunnel unterstützen“.

In Westdeutschland werden Gewerkschaften und Arbeitgeber als um Mitbestimmung und Teilhabe am Aufschwung kämpfend dargestellt (Tafel „Soziale Marktwirtschaft“). Im Zusammenhang mit der Affäre um die Zeitschrift „Der Spiegel“ fordern Bürger „nachdrücklich und erfolgreich Pressefreiheit und politische Konsequenzen“ (Tafel „Bewährung“) und „Junge Menschen verbinden in Wohngemeinschaften kollektives Leben mit politischer Arbeit“ (Tafel: „Weg mit alten Vorbildern“).

Für die DDR konstatiert die Ausstellung, dass sich „unter dem Dach der evangelischen Kirche viele Oppositionsgruppen der DDR treffen. In einigen Gemeinden dürfen sie lange Zeit unterdrückte Friedens- und Umweltfragen, Bürger- und Menschenrechte diskutieren.“

Fazit: Die Deutschen werden als „engagiert“ dargestellt. Sie nehmen einiges auf sich, um demokratische Werte zu verteidigen, am wirtschaftlichen Aufschwung teilzunehmen (Westdeutschland) und riskieren teilweise sogar ihr Leben (Flucht aus der DDR).

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Andere Identitäten und die Beziehungen der Deutschen zu ihnen

Neben den Deutschen werden in der Dauerausstellung auch folgende andere Identitäten berücksichtigt:

Opfer des Nationalsozialismus: „Politisch und rassisch Verfolgte, vor allem Juden, Menschen aus der Sowjetunion und Polen, Sinti und Roma, Homosexuelle, psychisch Kranke“ (Tafel „Todesmühlen“). Das Schicksal der Opfer des nationalsozialistischen Regimes wird im ersten Teil der Ausstellung, in dem es um den Zeitraum 1945-1949 geht, präsentiert. Ihre Geschichten stehen hier neben den Geschichten über das Schicksal der Deutschen. Eine Beziehung zwischen beiden Identitäten wird nicht aufgebaut.

Westmächte: Die westlichen Alliierten (Amerikaner, Briten, Franzosen) werden als die „Westmächte“ bezeichnet. Sie werden dargestellt als Schutzmacht über Westdeutschland (Tafel „Berlin-Blockade“: „Die Westmächte stellen über eine Luftbrücke die Versorgung West-Berlins sicher“), die den westdeutschen Teilstaat 1955 in die Unabhängigkeit entlassen (Tafel „Am Ziel“: „Die Bindung an den Westen ist besiegelt“) und an den sich die Bundesrepublik dann bindet.

Sowjetunion: Auch bezeichnet als UdSSR, außerdem wird „Stalin“ synonym verwendet. Die DDR wird als Objekt der Sowjetunion dargestellt (Tafel: „Stalin-Kult“: „Die DDR ist ein Produkt des sowjetischen Herrschers, die SED-Führung von Stalin völlig abhängig“).

NS-Täter: Unter dem Titel „Entnazifizierung“ kommen auch NS-Verbrecher in der Erzählung im Zusammenhang mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen vor. Sie werden in einer Beziehung zu den Alliierten dargestellt, nicht aber zu den Deutschen. Später wird diese Beziehung aufgebaut: Im Zusammenhang mit der Debatte im Bundestag um Verjährung von Mordstraftaten fordern Demonstranten in West-Berlin die Bestrafung aller NS-Täter (Tafel „Juristische Fragen“). Der Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem und die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt sorgen dafür, dass sich die deutsche Öffentlichkeit mit dem Völkermord an den europäischen Juden befasst.

Gastarbeiter/Einwanderer: „Gastarbeiter“ werden dargestellt als zunächst Fremde, die sich dann in die westdeutsche Gesellschaft integrieren.

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Repertoire

Das HdG ist ein typisches Beispiel für ein narrative museum (Pieper, 2006, S. 29): Durch die chronologisch gegliederte Ausstellung gibt es nur einen möglichen Weg, durch storytelling sollen Empathie geweckt und Identifikationsangebote gemacht werden (ebd.). Die Objekte stehen nicht für sich, sondern illustrieren das Narrativ.

Neben der bereits zwei Mal seit der Eröffnung 1994 erneuerten Dauerausstellung (2001 und 2011), präsentiert das Museum im Durchschnitt vier Wechselausstellungen im Jahr. Zum Bonner Museum gehören auch drei authentische Orte: der ehemalige Wohnsitz der Bundeskanzler (Kanzlerbungalow), die Bonner Residenz der Bundeskanzlerin () sowie der Bundesratssaal. Einige der Wechselausstellungen werden als Wanderausstellungen an verschiedenen Orten Deutschlands gezeigt.

Im Museumsgebäude befindet sich das Informationszentrum, eine frei zugängliche Bibliothek zur deutschen Zeitgeschichte.

Das Museum organisiert Begleitveranstaltungen zu den jeweils aktuellen Wechselausstellungen, sowie Buchvorstellungen und Filmvorführungen. Die Veranstaltungen finden normalerweise im Foyer des Ausstellungsgebäudes oder in einem der Konferenzräume statt. Für Kinder wird ein Ferienprogramm angeboten.

Für Schüler jeden Alters gibt es pädagogische Angebote, außerdem wird ein Studientag für Lehrer angeboten, an dem diesen das Konzept der Ausstellung vorgestellt wird.

Die Internetseite bietet verschiedene Informationen zur Dauerausstellung, allerdings keinen virtuellen Rundgang durch die gesamte Ausstellung. Man kann in der Rubrik „Sammlungen“ gezielt nach einzelnen Exponaten suchen, außerdem im Online-Katalog des Informationszentrums nach Literatur zur deutschen Zeitgeschichte recherchieren. Die Website bietet darüber hinaus einen kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Museums, allgemeine Informationen für Besucher, den Online-Museumsshop sowie Zugang zu allen Pressemitteilungen seit 1995.

Mit „Lemo – Lebendiges Museum online“ bietet das HdG in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Historischen Museum einen virtuellen Gang durch die deutsche Geschichte von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart an. „Lemo“ wird im Moment überarbeitet und soll in Zukunft auch über die Dauerausstellungen an den drei Standorten des Hauses der

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Geschichte informieren (HdG, 2012, S. 73). Daneben gibt es weitere virtuelle Angebote: z. B. ein Internetkreuzworträtsel zur Entstehung der beiden deutschen Staaten und den „Weg der Demokratie“, einen virtuellen Rundgang durch das ehemalige Regierungsviertel in Bonn sowie das Internetportal „Orte der Repression“, eine virtuelle Landkarte der Orte repressiver Herrschaftsausübung in der DDR.

Eine App zur Dauerausstellung existiert seit 2013. Hier stellen Schüler ihre Lieblingsobjekte vor, außerdem gibt es die Hörführung, die auch auf den Audioguides im Museum vorhanden ist.

Das HdG hat seit Herbst 2011 einen Facebook-Auftritt (5800 Fans im Juli 2014) und ist seit Juni 2014 auch bei Twitter vertreten.

Das Museum ist nicht forschend tätig, die vom HdG erstellten Publikationen beziehen sich auf die Dauerausstellung, die Wechselausstellungen und auf die Veranstaltungen.

Die Architektur des Museumsgebäudes ist modern, das Gebäude wurde in den Jahren 1989- 1993 eigens für das Haus der Geschichte errichtet. Die Räume auf den vier Ebenen, über die sich die Dauerausstellung erstreckt, sind offen gestaltet, wodurch Ausblicke, Rückblicke und Überblicke möglich sind.

In die Dauerausstellung sind O-Töne von Zeitzeugen integriert, es gibt insgesamt 15 Stationen, an denen man Interviews mit prominenten und nicht prominenten Zeitgenossen anschauen kann. Die Themen sind unterschiedlich, unter den Zeitzeugen befinden sich z. B. Opfer des Nationalsozialismus, Flüchtlinge aus der DDR, ehemalige Gastarbeiter oder auch Zeitzeugen der Wiedervereinigung. Viele Exponate in der Dauerausstellung sind interaktiv, z. B. kann man sich an einen der Original-Bundestagsstühle niederlassen und per Knopfdruck „abstimmen“ welche historische Debatte aus dem Bundestag als nächstes auf der Leinwand gezeigt wird.

Ausstellungsbesucher haben die Möglichkeit, im Museum eine „Besucherkarte“ auszufüllen, wenn Sie eine Frage zur Ausstellung haben. Diese Karte wird dann von den Museumsmitarbeitern bearbeitet und die Antwort den Besuchern zugeleitet. Das HdG führt außerdem regelmäßig Besucherbefragungen durch (zuletzt 2007/2008), um herauszufinden, wie die Dauerausstellung aufgenommen wird. Die Ergebnisse werden bei Überarbeitungen der Dauerausstellung berücksichtigt (Brait, 2011, S. 290).

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Wirkungen

Die Zahl der Bonn-Besucher, der Hauptzielgruppe der Gründer des Museums, wurde zu Beginn der Planungsphase des Museums auf ca. 350 000 im Jahr geschätzt (Löber, 1984, S. 189).

Seit der Eröffnung des Museums im Juni 1994 wurden knapp elf Millionen Besucher gezählt (Althoff, 2014), was einer jährlichen Besucherzahl von ca. 550 000 entspricht. Die zehnmillionste Besucherin der Dauerausstellung wurde im April 2012 in der Dauerausstellung begrüßt (HdG, 2012, S. 12). Damit sind die Schätzungen der Museumsinitiatoren übertroffen worden.

Das HdG wurde kurz nach der Gründung im Jahr 1995 mit dem Museumspreis des Europarats ausgezeichnet. 1996 veröffentlichte der Europarat eine Empfehlung, in der den Mitgliedsstaaten empfohlen wurde, nationale Geschichtsmuseen nach dem Vorbild des Hauses der Geschichte zu errichten (Schäfer, 2005, S. 241-242). Das HdG gilt außerdem als Vorbild für das für 2015 in Brüssel geplante Haus der Europäischen Geschichte. Das Konzept für dieses Museumsprojekt entstand unter der Leitung von Hans Walter Hütter, dem gegenwärtigen Präsidenten der Stiftung Haus der Geschichte.

Das HdG ist auch Vorbild für das 2002 neu gebaute Haus der Geschichte Baden- Württemberg.

Das HdG kann nicht als kommerzialisiert bezeichnet werden, denn es kostet keinen Eintritt. Der Museumshop verkauft Publikationen und Souvenirs rund um die deutsche Zeitgeschichte, jedoch übersteigt das Angebot nicht das normale Maß in anderen vergleichbaren Museen. Da in den Räumlichkeiten des Museums auch Vorträge stattfinden, kann man davon sprechen, dass öffentlicher Raum (public sphere) geschaffen wird.

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