Plenarprotokoll 12/58

Deutscher

Stenographischer Bericht

58. Sitzung

Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord Zusatztagesordnungspunkt 8: nung 4839 A Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Gruppe Abweichung von den Richtlinien für die Fra- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zur Lage in gestunde, den Richtlinien für Aktuelle Stun- Jugoslawien (Drucksache 12/1591) den und der Vereinbarung über die Befra- CDU/CSU 4855 A- gung der Bundesregierung in der Sitzungs- woche ab 25. November 1991 4839 B Günter Verheugen SPD 4856 B Ulrich Irmer FDP 4858 A Tagesordnungspunkt 13: Dr. PDS/Linke Liste 4859 A a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 4859 C wurfs eines Gesetzes über die Verminde- Helmut Schäfer, Staatsminister AA 4860 A rung der Personalstärke der Streitkräfte (Personalstärkegesetz) Drucksachen Tagesordnungspunkt 15: 12/1269, 12/1564, 12/1565) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten b) Zweite und dritte Beratung des von der , Hans Gottfried Bernrath, Bundesregierung eingebrachten Ent- Lieselott Blunck, weiterer Abgeordneter wurfs eines Gesetzes zur Anpassung der und der Fraktion der SPD: Soforthilfe- Zahl der Beamten im Geschäftsbereich programm für die Sowjetunion und ihre des Bundesministers der Verteidigung Republiken (Drucksache 12/1321) an die Verringerung der Streitkräfte b) Beratung der Unterrichtung durch das (Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz Europäische Parlament: Entschließung — BwBAnpG) (Drucksachen 12/1281, zur Sowjetunion und zu den baltischen 12/1558, 12/1559) Staaten (Drucksache 12/1250) Johannes Ganz (St. Wendel) CDU/CSU 4839 D in Verbindung mit Heinz-Alfred Steiner SPD 4842 B Zusatztagesordnungspunkt 9: Heinz-Dieter Hackel FDP 4843 D Beratung des Antrags der Fraktionen der PDS/Linke Liste 4844 B CDU/CSU und FDP: Hilfe zur Selbsthilfe Fritz Rudolf Körper SPD 4844 D für die Sowjetunion und ihre Republiken (Drucksache 12/1580) Hans-Werner Müller (Wadern) CDU/CSU 4846 C Gernot Erler SPD 4861 C Günther Friedrich Nolting FDP 4847 C Dr. Rudolf Sprung CDU/CSU 4863 A Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär BMVg 4848 D Gerhard Schüßler FDP 4864 A Brigitte Schulte (Hameln) SPD 4850 D Andrea Lederer PDS/Linke Liste 4865 A CDU/CSU 4852 D CDU/CSU 4866 B

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Gerd Poppe Bündnis 90/GRÜNE 4867 B Anlage 1 Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär Berichtigte Liste der entschuldigten Abge- 4868 C BMWi ordneten für die 57. Sitzung am 14. Novem- Dr. Uwe Jens SPD 4869 C ber 1991 4879* A Ulrich Schmalz CDU/CSU 4871 C Helmut Schäfer, Staatsminister AA 4872 C Anlage 2

Liste der entschuldigten Abgeordneten für Tagesordnungspunkt 14: die 58. Sitzung am 15. November 1991 4879* D Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Unterhaltsvor- schußgesetzes und der Unterhaltssiche- Anlage 3 rungsverordnung (Drucksache 12/1523) Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Roswitha Verhülsdonk, Parl. Staatssekretä nungspunkt 16 (Entwurf eines Gesetzes über rin BMFuS 4873D die Errichtung eines Bundesausfuhramtes) 4880*D Erika Simm SPD 4874 C Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär 4881* C Winfried Fockenberg CDU/CSU 4875D BMWi Uta Würfel FDP 4876 C Peter Kittelmann CDU/CSU 4882* B Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste 4877 C Dr. Uwe Jens SPD 4883* B Dr. Heinrich L. Kolb FDP 4884* A Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregie- Andrea Lederer PDS/Linke Liste 4884* C rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes über die Errichtung eines Bundes- - ausfuhramtes (Drucksache 12/1461) 4878D Anlage 4

Nächste Sitzung 4878 D Amtliche Mitteilungen 4884* C Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4839

58. Sitzung

Bonn, den 15. November 1991

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und b) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Herren, die Sitzung ist eröffnet. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Gesetzes zur Anpassung der Zahl der Beamten Tagesordnung um die Ihnen in der Zusatzpunktliste im Geschäftsbereich des Bundesministers der vorliegenden Punkte zu erweitern: Verteidigung an die Verringerung der Streit- kräfte (Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Gruppe Bündnis 90/DIE GRÜNEN: Zur Lage in — BewBAnpG) Jugoslawien — Drucksache 12/1591 — — Drucksache 12/1281 — 9. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Hilfe zur Selbsthilfe für die Sowjetunion und ihre Re- aa) Beschlußempfehlung und Bericht des In publiken — Drucksache 12/1580 — nenausschusses (4. Ausschuß) Des weiteren sollen die Vorlagen unter Tagesord- — Drucksache 12/1558 — nungspunkt 15 unmittelbar nach der Aussprache zur Berichterstattung: - Lage in Jugoslawien aufgerufen werden. Abgeordnete Meinrad Belle Der Ältestenrat hat sich darauf verständigt, daß in Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast der Sitzungswoche vom 25. November 1991, in der Heinz-Dieter Hackel die Haushaltsberatungen vorgesehen sind, keine Fra- bb) Bericht des Haushaltsausschusses gestunden, keine Aktuellen Stunden und keine Befra- (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäfts- gung der Bundesregierung stattfinden sollen. Sind Sie ordnung damit einverstanden? — Ich sehe keinen Wider- — Drucksache 12/1559 — spruch. Dann ist es so beschlossen. Berichterstattung: Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 13 auf: Abgeordnete a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Rudolf Purps desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verminderung der Perso- (Erste Beratung 48. Sitzung) nalstärke der Streitkräfte (Personalstärkege- Zum Personalstärkegesetz liegen zwei Änderungs- setz — PersStärkeG) anträge der Fraktion der SPD und Entschließungsan- — Drucksache 12/1269 — träge der Fraktionen der CDU/CSU und FDP sowie aa) Beschlußempfehlung und Bericht des der Fraktion der SPD vor. Verteidigungsausschusses (12. Aus- Zum Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz liegt schuß) ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/ — Drucksache 12/1564 — CSU und FDP vor. Berichterstattung: Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Abgeordnete Brigitte Schulte gemeinsame Aussprache anderthalb Stunden vorge- Johannes Ganz (St. Wendel) sehen. — Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Geschäfts- Ich eröffne die Aussprache. Es beginnt der Kollege ordnung Johannes Ganz. — Drucksache 12/1565 — Berichterstattung: Johannes Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Frau Prä- Abgeordnete Hans-Werner Müller (Wa- sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! dern) Obwohl ich in der ersten Lesung zum Personalstärke- Carl-Ludwig Thiele gesetz und zum Bundeswehrbeamtenanpassungsge- Horst Jungmann (Wittmoldt) setz am 11. Oktober von dieser Stelle aus versucht (Erste Beratung 48. Sitzung) habe, deren Notwendigkeit und Inhalt zu erläutern, 4840 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Johannes Ganz (St. Wendel) halten sich Begriffe wie „Goldener Handschlag", „Su- das Prinzip der Freiwilligkeit. Das heißt: Niemand, persozialplan" , „Bundeswehrprivilegien" hartnäckig weder Soldat noch ziviler Mitarbeiter, wird gegen sei- in der öffentlichen Diskussion. nen Willen vorzeitig in den Ruhestand geschickt oder als Zeitsoldat vorzeitig entlassen. (Dr. Willfried Penner [SPD]: „Aktion Abend sonne " auch!) (Dieter Heistermann [SPD]: Bis auf ein paar Generäle, Johannes! Das macht ihr so ab und Ich will deshalb noch einmal grundsätzlich festhal- zu mal!) ten: — Das ist eine andere Sache. Das haben wir bisher Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich immer so gemacht; das ist bisher immer so gemacht in Verträgen völkerrechtlich verpflichtet, den Umfang worden. ihrer Streitkräfte bis zum 31. Dezember 1994 auf 370 000 Soldaten zu reduzieren. Eine adäquate Ver- (Zuruf von der CDU/CSU: Selbst bei der SPD ringerung des zivilen Teils ist folgerichtig. Diese Re- war das so! — Weitere Zurufe) duzierung haben wir alle gewollt. Sie ist ein bedeu- tender Aktivposten in der Bilanz der Friedenspolitik Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Wer redet denn jetzt dieser Bundesregierung und insbesondere des per- hier? sönlichen Einsatzes von Bundeskanzler . (Heiterkeit — Zuruf von der CDU/CSU: Alle!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das ist Ihnen zugefallen, getan haben Sie doch gar Johannes Ganz (St. Wendel) (CDU/CSU): Fünftens. nichts! — Widerspruch bei der CDU/CSU Umgekehrt gibt es nach den Bestimmungen der Ge- und der FDP) setze aber auch keinen Rechtsanspruch darauf, von — Frau Schulte, wenn das in Ihrer Regierungszeit deren Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Keiner gelungen wäre, kann mit einer Genehmigung seines Antrags auf vor- zeitige Zurruhesetzung, auf Umwandlung seines ( [SPD]: Hätten wir es auch Dienstverhältnisses oder auf vorzeitige Entlassung gemacht!) rechnen, wenn er als Soldat weiterhin eine Verwen- so stünden hier auf dem Pult des Bundeskanzlers an dung hat oder wenn er als Beamter in der eigenen jedem Sitzungstag Rosen. Das kann ich Ihnen versi- oder in einer anderen Verwaltung eine Weiterver-- chern. wendung findet. Ich hoffe sehr, meine sehr verehrten Damen und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Herren, daß diese fünf Punkte, wenn man denn wil- Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: lens ist, sie zur Kenntnis zu nehmen, dazu beitragen, Die Glocken würden läuten, jeden Tag! — die Diskussion zu diesem Thema endlich zu versach- Walter Kolbow [SPD]: Wir haben ihm zum lichen. Preis für Staatskunst gratuliert!) Daß die Fürsorgepflicht des Dienstherrn es aber Zweitens. Meine Damen und Herren, da dieses Ziel auch gebietet, bei diesem notwendigen, aber auch bis zu diesem verbindlichen Datum auf dem Wege der schwierigen Vorhaben auf persönliche Schicksale normalen Personalbewegung, d. h. zeitgerechte Zur- Rücksicht zu nehmen, versteht sich für uns von ruhesetzungen, weniger Neueinstellungen, weniger selbst. Grundwehrdienstleistende, nicht zu erreichen ist, sind zusätzliche, darüber hinausgehende Maßnahmen un- Da gibt es beispielsweise einen Beamten der Bun- umgänglich. deswehr: 56 Jahre alt, 35 Jahre treu gedient, hat im- mer lange auf die nächste Beförderung warten müs- Dabei darf es keine Mogelpackung geben. Vor- sen. Sein Standort wird aufgelöst. Der nächste liegt schläge, Soldaten ohne Statusänderung — der gegen 100 km weit entfernt. Seine Zivilgemeinde und sein ihren Willen überhaupt nicht möglich ist — einer an- Landkreis haben keine Verwendung für ihn. Er hat deren — also zivilen — Verwendung zuzuführen, zie- am Standort ein Haus gebaut und vielleicht noch ei- len ins Leere. Denn solange sie auf der Gehaltsliste nen kranken Familienangehörigen zu pflegen. — Wer des BMVg stehen, gelten sie als Soldaten, auch wenn will diesem Mann die Möglichkeit verwehren, unter sie keine Uniform mehr tragen. diesen Umständen einen Antrag auf vorzeitige Zurru- (Günther Friedrich Nolting [FDP]: So ist hesetzung zu stellen, und wer könnte diesen ableh- es!) nen? Drittens. Es gibt nicht den vielzitierten „goldenen Wer wollte einen Soldaten, der fünf Jahre vor seiner Handschlag". Wer dies dennoch behauptet, diffamiert normalen Pensionierung steht, dessen Einheit und die Bundeswehrangehörigen, die alle, auch in schwe- Standort aufgelöst werden, in dessen Verwendungs- ren Zeiten der Bedrohung, treu ihren Dienst geleistet bereich noch zig andere seiner Kameraden nicht mehr haben. angemessen eingesetzt werden können, verpflichten, sich noch einmal für zwei Jahre auf die Schulbank zu (Beifall bei der CDU/CSU) setzen, sich zum Verwaltungsfachwirt ausbilden zu Viertens. Es gibt keine Dienstherrnwillkür, will sa- lassen, um dann zu erfahren, daß es für ihn überhaupt gen: Niemand hat die Absicht, die Bundeswehrange- keine freie Planstelle im öffentlichen Dienst gibt? hörigen wie Leibeigene zu behandeln oder wie Frei- Diese Beispiele, die beileibe nicht an den Haaren wild durch die Republik zu jagen. In den Gesetzen gilt herbeigezogen sind, zeigen, daß es Patentrezepte Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4841

Johannes Ganz (St. Wendel) nicht gibt, weder nach dem Motto „Der Mohr hat seine schließungsanträgen formulierten Auftrag an die Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen" noch nach Bundesregierung, darüber hinaus zu prüfen, inwie- dem Motto „Es ist deine eigene Schuld, dich in den weit durch Änderungen im Status- und Laufbahn- Dienst der Bundeswehr gestellt zu haben, und jetzt, da recht der Beamten und Soldaten Hindernisse abge- wir dich nicht mehr brauchen, schieben wir dich zu baut oder beseitigt bzw. Anreize geschaffen werden einem anderen Dienstherrn" — und das alles noch können, die den Wechsel dieses Personenkreises in ohne Härteausgleich, ohne soziale Flankierung, bar andere Verwaltungsbereiche erleichtern. Unser Ziel jeder Fürsorge; das wäre nicht nur unsozial, das wäre dabei ist, in Zukunft flexibler auf die Erfordernisse der unmenschlich. künftigen Bundeswehr reagieren zu können. Wir kön- nen nicht immer mit einzelgesetzlichen Maßnahmen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte gewährlei- der FDP) sten. Damit ist klar, was wir mit den Gesetzen bewerk- stelligen wollen und müssen: An dieser Stelle aber auch ein Appell an alle ande- ren Verwaltungen des Bundes, der Länder und der Erstens. Wir wollen und müssen die Streitkräfte in Kommunen: Es genügt nicht, von uns, vom Gesetzge- den nächsten drei Jahren auf 370 000 Mann und den ber die Indiensthaltung der Beamten und Soldaten der zivilen Bereich mittelfristig so reduzieren, daß die Bundeswehr zu fordern, aber selber nur dann bereit Bundeswehr nach diesem Schrumpfungsprozeß wei- zu sein, diese aufzunehmen, wenn der Bundesmini- terhin in einer alters- und dienstgradgerechten Perso- ster der Verteidigung sie weiter besoldet. Hier sind nalstruktur ihre Aufgaben erfüllen kann. wir alle in der Pflicht. Zweitens. Wir wollen dazu im Rahmen des gegebe- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, nen Handlungsspielraums eine breite Palette von die Entwürfe in den Ausschußfassungen heute als Möglichkeiten und Maßnahmen anbieten, die prakti- Gesetz anzunehmen und um Zustimmung bei den kabel, sozial verträglich und menschlich zumutbar dazu jeweils vorgelegten Entschließungsanträgen. sind. Wir brauchen die Gesetze, um schon Anfang nächsten Ich danke den Kolleginnen und Kollegen im Vertei- Jahres die Maßnahmen in die Wege leiten zu können, digungsausschuß und in den mitberatenden Aus- die notwendig sind, um das Ziel, zu dem wir uns ver- schüssen traglich und völkerrechtlich verbindlich verpflichtet haben, bis Ende 1994 zu erreichen. (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Vie - len Dank!) (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Erst einmal brauchen wir eine Struktur!) herzlich für die zügige und gründliche Beratung. — Dies gilt unabhängig, verehrte Frau Kollegin (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Schulte, von der noch im einzelnen auszufeilenden der FDP) zukünftigen Personalstruktur. Zusammen haben wir Änderungen dort vorgenom- men, wo sie uns notwendig erschienen. Dort, wo das (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Wann?) Prinzip „Weiterverwendung geht vor Beendigung des Ich gebe zu, der einzelne Soldat bzw. zivile Mitarbei- Dienstverhältnisses" in den Gesetzentwürfen war, ha- ter der Bundeswehr könnte für sich leichter planen ben die Texte eine stringentere Fassung erfahren. und sich auf die in diesen Gesetzen geschaffenen (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das Möglichkeiten einstellen, wenn er wüßte, an welchem war gut so!) Standort, in welcher Funktion und unter welchen Be- dingungen er in Zukunft seinen Dienst verrichten soll. So steht in beiden Gesetzen bei der Prüfung von Dazu bedarf es dringend der soeben angesprochenen Anträgen auf vorzeitige Zurruhesetzung nicht mehr Personalstruktur. das Interesse des Dienstherrn im Vordergrund, son- dern beim Soldaten die Möglichkeit und beim Beam- (Beifall des Abg. Franz Müntefering [SPD] — ten die Zumutbarkeit einer Weiterverwendung im ei- Franz Müntefering [SPD]: Warum klatscht genen oder in einem anderen Bereich des öffentlichen ihr nicht?) Dienstes. Daß diese noch nicht vorliegt, ist nicht das Versäumnis (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) des Bundesministers der Verteidigung, das wissen Sie. Die in dem Entwurf zum Personalstärkegesetz vor- gesehenen Fristen, innerhalb derer ein Berufssoldat (Lachen bei der SPD — Günther Friedrich die Umwandlung seines Dienstverhältnisses in das Nolting [FDP]: Frau Schulte! — Walter Kol eines Zeitsoldaten bzw. der Zeitsoldat die Verkürzung bow [SPD]: Da muß man ein Modell vorle seiner vertraglichen Dienstzeit beantragen kann, ha- gen!) ben wir aufgehoben, um dem Dienstherrn über den Die Beschreibung der Aufgabe der Bundeswehr in der 1. Januar 1995 hinaus eine größere Flexibilität bei der Allianz oder gar im Rahmen von Verbänden innerhalb Gestaltung der Personalstruktur zu ermöglichen. An- der WEU, die Abstimmung zwischen den beteiligten dere Änderungen sind redaktioneller Art oder dienen Ministerien und die Zustimmung des Haushaltsaus- der Klarstellung. schusses sind dazu notwendige Voraussetzungen. Es Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP ver- liegt nicht allein am Bundesminister der Verteidi- binden die Zustimmung zu den Gesetzen in den geän- gung, das wissen Sie ganz genau. Aber Sie haben sich derten Fassungen mit dem in den vorgelegten Ent nun mal den Bundesverteidigungsminister als Sün- 4842 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Johannes Ganz (St. Wendel) denbock herausgeguckt. Dafür habe ich Verständ- orientierten Ausgestaltung beider Gesetzentwürfe nis. mitzuwirken, nicht angenommen. (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Der tut (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: nicht, was er tun soll!) Aber wir haben einen Antrag von Ihnen mit Aber Sie kennen die Zusammenhänge. ins Gesetz eingearbeitet!) (Dieter Heistermann [SPD]: Es gibt eine Zu — Nun hören Sie erst einmal zu; ich verstehe ja Ihre ständigkeit der Bundesregierung!) Aufregung. — Deswegen, verehrter Herr Kollege Heistermann, (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: fordern wir die Bundesregierung auf, die Ziele und die Das haben Sie vor vier Wochen auf geschrie Personalstruktur der Bundeswehr so schnell wie mög- ben! — Zuruf von der FDP: Das ist nicht Ihre lich festzulegen und dem Parlament vorzustellen. Meinung, was Sie da vortragen!) (Dieter Heistermann [SPD]: Endlich! — Wei Dafür haben Sie das Beamtenanpassungsgesetz ohne tere Zurufe von der SPD: Unverzüglich! Beratung, nämlich in einem Schnellverfahren, wel- Ohne schuldhaftes Zögern!) ches die Bezeichnung Beratung nun wirklich nicht Jeder Soldat und jeder zivile Bedienstete der Bun- verdient, im Verteidigungsausschuß ungeprüft pas- deswehr sowie deren Familien — das meine ich sehr sieren lassen. ernst — haben ein Recht darauf, ihre Lebensplanung (Zuruf von der CDU/CSU: Dafür in anderen auf einer soliden und verläßlichen Grundlage vorneh- Ausschüssen um so sorgfältiger!) men zu können. Vermutlich haben Sie diesem oberflächlichen Gesetz- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. entwurf der Bundesregierung deshalb so schnell zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — gestimmt, weil selbst Ihnen der Streit zwischen dem Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Sie sind ein Verteidigungsminister und dem Finanzminister um armer Kerl!) die Verringerungszahlen für die Bundeswehrverwal- tung höchst peinlich war. Sie haben damit aber zuge- lassen, daß dieser Streit weitergeht — und zu Recht weitergeht — und heute ein Gesetz verabschiedet Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich stelle fest: Es wird, dessen Basisdaten nur zu ahnen sind. - geht um 9.15 Uhr schon recht munter zu. (Zustimmung bei der SPD — Johannes Ganz (Heiterkeit — Günther Friedrich Nolting [St. Wendel] [CDU/CSU]: Wie verstehen Sie [FDP]: So ist das im Verteidigungsausschuß denn die Basis, die 370 000?) immer!) Das ist das Ergebnis Ihres Verzichts auf eine eigenver- Als nächster Redner hat der Kollege Heinz-Alfred antwortliche parlamentarische Mitwirkung am Beam- Steiner das Wort. tenanpassungsgesetz im Verteidigungsausschuß. Fa- zit: Sie haben das Gesetz nicht gemacht; Sie haben es machen lassen. (Zuruf von der SPD: So ist es!) Heinz - Alfred Steiner (SPD): Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am 10. Oktober Sie haben auf eine sachgerechte Zusammenarbeit mit habe ich anläßlich der ersten Beratungsrunde über uns verzichtet. das Personalstärkegesetz und über das Beamtenan- (Zuruf von der FDP: Wir sind doch auf weite passungsgesetz sinngemäß folgendes ausgeführt: Die von mir festgestellte Ausgangslage erlaubt es nicht, Teile eingegangen!) Zustimmung zu der beabsichtigten Sonderregelung Deshalb können Sie für das vorliegende Ergebnis, das für Beamte der Bundeswehrverwaltung zu signalisie- ein Problem löst, indem es zwei neue schafft, auch ren, im Gegensatz zum Personalstärkegesetz, wo ich nicht unsere Zustimmung erwarten. der Meinung bin, daß für die Soldaten besondere Re- (Zuruf von der FDP) gelungen getroffen werden müssen, wenn die festlie- gende Umfangzahl von 370 000 bis Ende 1994 ausge- Das Personalstärkegesetz hat dagegen im Verteidi- wogen erreicht werden soll. Ich habe hinzugefügt: Wir gungsausschuß mehr Beachtung gefunden, Frau Kol- werden gespannt abwarten, auf welche Zahlen sich legin. Wir haben gemeinsam darüber beraten, wir der Bundesminister der Verteidigung und der Finanz- haben gemeinsam Positionen, aber auch Mängel fest- minister letztendlich einigen können, und dann auf stellen können, wir haben Unausgewogenes deutlich dieser Basis eine sorgfältige Prüfung vornehmen. Dar- gemacht und sogar einige Verbesserungen einver- auf kam der Zwischenruf des Kollegen Ganz von der nehmlich und damit gemeinsam beschlossen. Fraktion der CDU/CSU: „Wir machen das Gesetz! " Zu Nach diesen einleitenden Sätzen zum Personalstär- diesem Zwischenruf kann ich heute sagen, Herr Kol- kegesetz könnte der Eindruck entstehen, nun sei alles lege Ganz: Sie haben nicht recht behalten! zum besten bestellt, der große Entwurf könne ange- (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: kündigt werden, der Rekord sei nicht mehr zu verhin- Doch! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: dern. Wer macht denn hier Gesetze?) (Zuruf von der FDP: Jawohl, so ist es!) Jetzt kommt auch die Antwort: Sie haben unser ernst Ich wünschte mir im Interesse unserer Soldaten, daß haftes Angebot, an einer sinnvollen und zukunfts das auch wirklich der Fall wäre. Was wir heute in Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, cien 15. November 1991 4843

Heinz-Alfred Steiner zweiter Lesung zu beurteilen und dann in dritter Le- Sozialverträglichkeit darf auch nicht nur für dieje- sung zu verabschieden haben, ist leider nicht der nigen Soldaten gelten, die vorzeitig ausscheiden wol- große Wurf, len. Wir müssen ihnen diese Entscheidung — ange- messen — erleichtern. Dazu dient das Personalstärke- (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: In den Pa gesetz; dazu sehe ich keine vertretbare Alternative. pierkorb!) Wir sollten diesen Vorgang aber für alle Soldaten aller Laufbahnen gerecht gestalten. der es wirklich hätte werden können. Dr. Stoltenberg hätte die große Chance gehabt; er hat sie wieder ein- (Beifall bei der SPD) mal nicht genutzt. Zeit zum Üben hatte er; denn seit Auch dieser gerechten Ausgestaltung haben Sie sich dem Sommer letzten Jahres war bekannt, welche Um- leider in einigen Bereichen, die von meiner Kollegin fangszahl unsere Bundeswehr künftig nach dem er- Frau Schulte noch angesprochen werden, wider- sten großen Abrüstungsschritt haben muß. Die Auf- setzt. gabe war also mit der Umfangszahl 370 000 bereits vor (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: 16 Monaten gestellt. Der politischen Leitung der Da sind wir mal gespannt! — Weiterer Zuruf Hardthöhe mußte doch im Juli letzten Jahres sofort von der CDU/CSU: Nur keine Drohungen klargewesen sein, daß eine so erhebliche Reduzie- hier!) rung nicht nur Überlegungen nach der Art auslösen konnte: Wie werde ich möglichst schnell möglichst Wir wollten eine durchgängige Sozialverträglichkeit viele Soldaten los? Der Zusammenhang zwischen auch für diejenigen Soldaten, die weiter im Dienst neuer Sollstärke, Bundeswehrstruktur und damit Per- verbleiben wollen oder aber verbleiben müssen, weil sonalstruktur war doch offenkundig. Aus diesem Zu- die Entscheidung über Anträge auf vorzeitiges Aus- sammenhang ergab sich dann auch die konkrete Auf- scheiden in Ermessen des Dienstherrn gestellt wer- gabenstellung, und dieser Zusammenhang darf heute den. nicht verwischt und darf auch nicht verleugnet wer- Weil der Ermessensspielraum in Form einer ver- den. bindlichen Personalstruktur noch fehlt, wir dem Mini- ster keinen Freibrief geben dürfen und auch nicht Während der Beratungsrunden im Verteidigungs- geben wollen und weil noch eine gerechtere Ausge- ausschuß gab es darüber jedenfalls keinen Streit. Wir staltung des Gesetzes vonnöten gewesen wäre, die haben den Zusammenhang gemeinsam so gesehen. mit Ihnen nicht zu erreichen war, werden wir uns zum Im Grundsatz waren wir uns darüber einig, daß sinn- Personalstärkegesetz der Stimme enthalten. - volle und sozialverträgliche personelle Reduzie- Vielen Dank. rungsschritte eine gut durchdachte und gut abge- stimmte Personalstruktur voraussetzen. Diese Voraus- (Beifall bei der SPD) setzung fehlt heute immer noch, obwohl wir sie schon in erster Lesung angemahnt haben. Wir haben den Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Minister wiederholt aufgefordert, endlich Zahlen auf der Abgeordnete Heinz-Dieter Hackel. den Beratungstisch zu legen, die im Kabinett abge- stimmt sind und die die genauen Konturen einer Per-

sonalstruktur für die Bundeswehr erkennen lassen. Heinz - Dieter Hackel (FDP): Sehr geehrte Frau Prä- Das ist bis heute nicht geschehen, und daran entzün- sidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine det sich der eigentliche Streit, den wir auch schon im Damen und Herren! Zu dem Thema, das uns heute Verteidigungsausschuß auszutragen hatten. vorliegt, kann man viel, aber auch wenig sagen. Ich gehe am heutigen Tage von dem deutschen Sprich- Ich muß den Kolleginnen und den Kollegen recht wort aus: In der Kürze liegt die Würze. geben, die eine eindeutige Aussage dazu verlangen. (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Aber auch Wir bemühen uns doch um Planungssicherheit, von in der Qualität!) der auch Sie immer sprechen, um eine sozialverträg- liche Reduzierung des Personalumfanges. Das kann — Frau Kollegin, darum werde ich mich bemühen. doch aber nicht nach dem Einbahnstraßenprinzip (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nicht Ihrer konzipiert und beschlossen werden. Planungssicher- Rede, sondern des Gesetzes!) heit darf doch nicht nur für die Hardthöhe gelten; Pla- — Ich habe noch nicht einmal angefangen. Ich nungssicherheit muß es vielmehr auch für unsere Sol- glaube, wenn ich fertig bin, sind Sie mit meinen Aus- daten geben. Wir müssen ihnen doch sagen können — führungen zufrieden. hier meine ich insbesondere die Berufssoldaten und Bei einer auf einen die längerdienenden Soldaten auf Zeit — , wie ihre Verringerung der Streitkräfte Gesamtumfang von 370 000 Soldaten ist es erforder- Berufs- und ihre Lebensplanungen unter den gegen- lich, die Zahl der Beamten im Geschäftsbereich des wärtigen politischen Rahmenbedingungen aussehen Bundesministers der Verteidigung entsprechend an- können. Wir müssen offen und ehrlich mit ihnen um- zupassen. Die Bundesregierung geht insoweit von gehen, um sowohl ihre als auch die gesellschaftliche dem mindestens 4 862 Beamten-Haus- Akzeptanz für die Bundeswehr nicht weiter zu be- Abbau von haltsstellen für das Gebiet der alten Bundesländer bis schädigen. zum 31. Dezember 1997 aus. Der Wehrbeauftragte hat in seinem Jahresbericht Will dabei die Bundesregierung, wie angekündigt, eindringlich auf diesen Zusammenhang hingewiesen. die Vorruhestandsbestimmung als Ausnahmerege- Wir sollten das, was er in seinem Jahresbericht ausge- lung behandeln und in erster Linie die anderweitige sagt hat, wirklich gemeinsam ernst nehmen. Verwendung der Beamten anstreben, so muß sie auch 4844 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Heinz-Dieter Hackel Anreize schaffen, um diesen Personalkreis für einen werden nicht etwa verschrottet, sondern gehen in die Wechsel in einen anderen Verwaltungsbereich zu ge- Türkei und nach Griechenland, die dann ihrerseits winnen. ihre noch älteren Waffen verschrotten. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (Zuruf von der CDU/CSU) CDU/CSU) —Ja, aber dieses Gesetz soll ja einen Punkt der Zwei- Meine Damen und Herren, dazu gehören Umschu- plus-Vier-Verhandlungen erfüllen, wo von Abrüstung lungs- und Fortbildungsmaßnahmen ebenso wie ein die Rede ist. Ausgleich für die besonderen Bedingungen der an- Fakt ist: Wir brauchen überhaupt nicht mehr so derweitigen Tätigkeit sowie reise- und umzugsko- viele Menschen in der Bundesarmee, weil die Technik stenrechtliche Ausgleichsmaßnahmen. Sie werden so effektiv ist. Das kritisiere ich hieran. Ich habe nichts sich logischerweise hieraus ergeben. dagegen, daß Sie Abbau von Streitkräften sozialver- Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann träglich gestalten. Das ist überhaupt nicht mein Pro- auf der anderen Seite Flexibilität von den Betroffenen blem. verlangt werden. (Zuruf von der CDU/CSU) (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das hätte —Nein, aber ich finde, es ist zu kurz gefaßt. Sie gehen ins Gesetz gehört!) nicht daran, tatsächlich abzurüsten. Die Bundesregierung ist da — auch von mir — aufge- Der zweite Punkt betrifft also die Sozialverträglich- rufen, umgehend die erforderlichen Konzepte vorzu- keit. Die SPD hat hier schon einiges dazu gesagt; ich legen. brauche das nicht zu wiederholen. Ich bedauere in (Walter Kolbow [SPD]: Das haben wir von diesem Zusammenhang zutiefst — ich finde das alles Ihnen im Ausschuß verlangt!) ausgesprochen entlarvend — , daß Sie hier nicht den geringsten Versuch machen, z. B. solche Sachen zu — Darüber könnten wir uns einmal unterhalten. Wir liberalisieren, indem Sie eben nicht nur die dienstli- haben sicherlich noch ein wenig Zeit dazu. Wir sind chen Erfordernisse berücksichtigen, sondern auch die zur Aussprache bereit. individuellen Forderungen oder Wünsche von Men- (Walter Kolbow [SPD]: Heute beschließen schen in dieser Armee. Das zeigt genau, worum es wir!) hier eigentlich geht. — Ja. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist aber ein - Danke. neues Anliegen Ihrer Partei!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die andere Sache ist: Ich finde, daß die luxuriöse Ausstattung der Sozialverträglichkeit in einem kras- sen Widerspruch zu dem steht, was in diesem Lande Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht ansonsten üblich ist, wenn es um Sozialverträglichkeit die Abgeordnete Jutta Braband. von Entlassungen, von Warteschleifen usw. geht. Die Menschen im Osten werden das kritisieren. (Zuruf von der CDU/CSU: In Mitteldeutsch Jutta Braband (PDS/Linke Liste): Guten Morgen! land, Frau Kollegin! Ich muß Sie korrigie (Zurufe von der SPD und der CDU/CSU: Gu ren!) ten Morgen!) — Bitte? In Mitteldeutschland? — Ich weiß nicht, was Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich Mitteldeutschland ist. Ich kenne nur Ostdeutschland. werde Ihre und meine Zeit nicht verschwenden. Ich Ich kann auch sagen: die ehemalige DDR. finde, der Gesetzentwurf ist es nicht wert. (Zuruf von der CDU/CSU: So kriegen Sie die (Günter Friedrich Nolting [FDP]: Deswegen Zeit rum!) waren Sie auch nie im Ausschuß, als der be — Nein, ich werde die Zeit nicht rumkriegen. Ich habe raten wurde!) schon gesagt, daß es nicht lohnt, in dieser Weise über Ich habe dazu zwei Dinge zu sagen. Zum einen gibt das Gesetz zu diskutieren. es einen mittelbaren Grund, den ich hier anführen Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Vor- will. Ich finde, daß dieses Gesetz in keiner Weise die mittag. Ansprüche erfüllt, die hier politisch formuliert sind, daß es nämlich um Abrüstung geht. Das Gesetz macht (Zuruf von der CDU/CSU: Dann halten Sie im Zusammenhang mit allen anderen Diskussionen den Betrieb mit solchen Reden auf! — Wei klar: Es geht keineswegs um Abrüstung; es geht um tere Zurufe von der CDU/CSU: kein einziger Umrüstung. Beifall!) (Zuruf von der CDU/CSU: So sehen Sie das, ja?) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht — Ja, so sehe ich das. Das können auch Sie sehr leicht der Abgeordnete Fritz Körper. nachvollziehen. Sie brauchen nur alle anderen Ge- biete zu betrachten, ob es um die Reduzierung von Waffenbeständen oder um die Reduzierung von Per- Fritz Rudolf Körper (SPD): Frau Präsidentin! Meine sonen geht: Das bedeutet immer, was z. B. die Waf- Damen und Herren! Mit dem Entwurf eines Gesetzes fensysteme betrifft, daß sie durch bessere, neue er- über die Verringerung der Personalstärke der Streit- setzt werden, die effektiver sind. Die alten Waffen kräfte soll, wie gesagt, der Gesamtumfang auf 370 000 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4845

Fritz Rudolf Körper Soldaten reduziert werden. Diese Reduzierung erfor- nert, als die Unterbringung der nach Art. 131 des dert auch eine angemessene Verringerung der Zahl Grundgesetzes Betroffenen erfolgte. Mit Sicherheit des Zivilpersonals im Geschäftsbereich des Bundes- wäre die Übernahme überzähliger Bundesbeamter für ministers der Verteidigung. die Länder und Kommunen mit Hilfe von Personalko- stenzuschüssen leichter möglich und, wie bereits er- Dabei stellt sich aber die Frage, in welcher Form wähnt, für den Bund sicherlich nicht teurer als die und insbesondere mit welchen Maßnahmen Soldaten- Zahlung voller Versorgungsbezüge. und Beamtenstellen entsprechend reduziert werden sollen. (Beifall bei der SPD — Zuruf von der CDU/ CSU: Eine Milchmädchenrechnung!) Bei diesem Prozeß ist wohl zuerst erforderlich, das anzustrebende Ziel klar zu formulieren und darüber Häufig werden bei der Diskussion um eine ander- hinaus zu sagen, mit welchen Maßnahmen man dieses weitige Verwendung dienstrechtliche Argumente Ziel umsetzen möchte. Daß ein Abbau, eine Reduzie- herangezogen, die eine solche Verwendung behin- rung des Personals notwendig ist, ist ebenso unum- derten. Hier muß man — das ist meine Meinung — stritten. notfalls Ausnahmeregelungen schaffen, die auf die Da ich mich in meinem Redebeitrag in erster Linie besondere Situation abzielen. mit dem Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz be- Ebenfalls wird häufig entgegnet, daß es unzweck- schäftigen möchte, lege ich vorab auf die Feststellung mäßig sei, Berufssoldaten oder Beamte mit über Wert, daß eine vorzeitige Zurruhesetzung überzähli- 55 Jahren in anderen Bereichen als in denen, für die ger Beamter nur als allerletzte Möglichkeit in Betracht sie ausgebildet sind, einzusetzen. Hier stellt sich für kommen kann. mich die einfache Frage, ob es nicht besser ist, einem Betroffenen auch mit 55 Jahren eine neue Aufgabe zu (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: geben, als ihm mit der Frühpensionierung das Gefühl Das ist richtig!) des Nicht-mehr-gebraucht-Werdens allzu deutlich zu — Sehr gut. Vorrang muß eindeutig der Grundsatz vermitteln. haben. Meines einer anderweitigen Verwendung Motivationsprobleme, die hier und da befürchtet Wissens hat der Bundesinnenminister in seinem Zwi- werden, sehe ich nicht. Deshalb ist es richtig — wie „Berlin—Bonn" die- schenbericht der Arbeitsgruppe auch im Gesetz festgehalten —, nur dann das Instru- sen Grundsatz auch anerkannt. Deshalb kann meiner ment der Frühpensionierung zu gebrauchen, wenn Auffassung nach nichts anderes für den Abbau bei- alle anderen Möglichkeiten erfolglos blieben. Bei sol-- spielsweise in der Wehrverwaltung gelten. chen Frühpensionierungen kommt es für den Bund zu Allerdings darf dieser Grundsatz nicht nur in Form Einsparungen, allerdings nur, wenn man die Arbeits- einer Absichtserklärung erfolgen. Es kommt darauf leistung des einzelnen finanziell nicht bewertet und an, durch konkrete Formulierungs- und Finanzie- ausschließlich die Kosten betrachtet. rungsmodelle eine anderweitige Verwendung auf Ich fasse zusammen: Der Regierungsentwurf ist für breitester Front zu ermöglichen. Die im Innenaus- uns nicht akzeptabel. Die im Innenausschuß beschlos- schuß beschlossenen Änderungen gehen wohl in die sene Änderung, mit der die Vorruhestandsregelung richtige Richtung. Die aus meiner Sicht kritischen eingeschränkt wird, geht, wie bereits von mir er- Punkte werde ich noch erwähnen. wähnt, dagegen in die richtige Richtung, vermag aber Was die anderweitige Verwendung anbelangt, so die grundsätzlichen Bedenken nicht völlig auszuräu- ist festzuhalten, daß es an Aufgaben im öffentlichen men. Bereich wahrhaft nicht mangelt. Darüber hinaus fehlt bisher jegliches sozial gestal- (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: tetes Konzept für den Personalabbau. Da ein Gesamt- Das ist wahr!) konzept fehlt, bleibt offen, wie die Praxis auf der Grundlage der vorgesehenen gesetzlichen Regelun- Erinnert sei nur an die gesamte Asylproblematik. Wir gen aussehen wird. haben derzeit sehr lange Verfahrenszeiten zu regi- strieren. Die Ursachen liegen vielfach in der mangeln- Ich will dies an einem Beispiel verdeutlichen: Nach den Personalsituation bei den zuständigen Behörden der jetzt vorgesehenen gesetzlichen Regelung kann und Einrichtungen. Hier wäre meines Erachtens wohl ein Beamter, der das 55. Lebensjahr vollendet hat, auf ein großes Einsatz- und Verwendungsgebiet, zumal Antrag in den Ruhestand versetzt werden, wenn eine es auch im zivilen Bereich der Bundeswehr viele qua- anderweitige Verwendung nicht möglich ist oder lifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gibt. nach allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht zumutbar ist. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP) (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Was stört Sie daran?) Allerdings müßte der Grundsatz der anderweitigen Verwendung auch mit konkreten Finanzierungsmo- Es liegt auf der Hand, daß die Möglichkeiten der an- dellen versehen werden. Diese Verwendung von derweitigen Verwendung entscheidend z. B. von Bundesbeamten außerhalb des Bundesbereiches Fortbildung, Umschulung und Weiterbildung abhän- könnte unter Mithilfe von Personalkostenzuschüssen gen. Dazu liegen aber bisher keine konkreten Aussa- ermöglicht werden, die dem Bund keine zusätzlichen gen der Bundesregierung vor, was auch der Kollege Kosten verursachen würden. Hackel hier vorhin wohl eingeräumt hat. Mit einer rei- nen Aufforderung ist es hier nicht getan. In diesem Zusammenhang sei an die schon etwas länger zurückliegende vergleichbare Situation erin (Beifall bei der SPD) 4846 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Fritz Rudolf Körper Diese anderweitige Verwendung könnte auch mit Fritz Rudolf Körper (SPD): Nein, ich komme näm- Hilfe von Personalkostenzuschüssen erleichtert wer- lich zum Schluß. den, wie bereits von mir erwähnt. Aber auch darauf Da wir den Personalabbau auch bei dem Zivilperso- geht die Bundesregierung nicht ein. nal der Bundeswehr für notwendig halten, wollen wir Schließlich bleibt für mich offen, wann die ander- ungeachtet unserer Bedenken dem Gesetz keine weitige Verwendung zumutbar ist. Erforderlich wäre Steine in den Weg legen. Deshalb enthalten wir uns es doch, den Begriff der Zumutbarkeit näher zu defi- bei den Abstimmungen über die beiden vorliegenden nieren. Das bedeutet, auch nach der vom Innenaus- Gesetzentwürfe sowie die Entschließungsanträge der schuß beschlossenen Fassung wird der Bundesregie- CDU/CSU und der FDP. rung immer noch ein viel zu großes Ermessen einge- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. räumt, das ihr weitgehend freie Hand bei der Art und (Beifall bei der SPD) Weise des Personalabbaus läßt. (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Sie wollen jeden Härtefall zulassen!) der Kollege Hans-Werner Müller. Die gesetzliche Regelung gibt wenig Auskunft über die künftige Praxis. Abgesehen davon halten wir es - (Wadern) (CDU/CSU): Frau grundsätzlich für notwendig, daß bei der Art und Hans Werner Müller Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Her- Weise des Personalabbaus nicht nur die Interessen ren! Die beiden Gesetze, wie wir heute in zweiter und des Dienstherren ins Gewicht fallen dürfen. Warum dritter Lesung beraten, haben wir — wenn ich von also sieht dieser Gesetzentwurf keine konkreten Vor- „wir" spreche, meine ich die Ausschüsse und die Ar- aussetzungen vor, unter denen aus sozialen Gründen beitsgruppe — in der Zeit von der ersten Lesung bis ein Rechtsanspruch auf vorzeitigen Ruhestand be- zur zweiten Lesung im Hinblick auf eine Konkretisie- steht? rung materiell geändert. Dem Ganzen haben wir dann (Dieter Heistermann [SPD]: Dann fragen wir noch zwei Entschließungsanträge vorangestellt mit einmal die Regierung hier!) klaren Aufträgen an die Bundesregierung. Darüber hinaus möchte ich eine ganz wichtige (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Wo, bitte? Frage in den Raum stellen: In welcher Weise sollen die — Heinz-Alfred Steiner [SPD]: Vorsichtig zu Personalräte unterrichtet und informiert sowie in die prüfen, nicht?) - Planungen über den Personalabbau einbezogen wer- Ich hoffe, daß diese Entschließungsanträge angenom- den? Hier gibt es schlichtweg nur offene Fragen. men werden. (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Die politische Diskussion vollzieht sich vor dem Das sagt das Personalvertretungsgesetz, wie Hintergrund, daß neue Behörden aufgebaut und vor- das zu handhaben ist! Da brauchen Sie gar handene Behörden ausgeweitet werden müssen mit nicht zu fragen!) Auswirkungen auf Tausende von Stellen und Bedien- Offenbar sieht selbst die Koalition aus CDU/CSU stete. Ich sage das als jemand, der in den letzten Ta- und FDP ein, daß die vorgesehenen Regelungen in gen und Wochen die Beratungen im Haushaltsaus- den Gesetzesentwürfen mangelhaft, zumindest un- schuß zu den einzelnen Personaltiteln, die wir gerade vollständig sind; abgeschlossen haben, mitgestaltet hat. Wir mußten Tausende von Stellen genehmigen, was uns nicht (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Der daran hindert, weiter kritische Fragen zu stellen. Lehrer verteilt Zensuren!) Die Zahlen sind schon einmal genannt worden. Wir denn sie hat gleichzeitig einen Entschließungsantrag brauchen 750 neue Beamte für den Aufbau der Ver- vorgelegt, mit dem die Bundesregierung aufgefordert mögensverwaltung in den neuen Bundesländern. Wir wird, bisher nicht erledigte Hausaufgaben zu ma- brauchen 2 700 neue Stellen für die sogenannte chen. Gauck-Behörde. Wir brauchen 4 000 neue Stellen für (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: BAFL, d. h. für die Dienststelle, die sich mit den Asy- Genauso ist es! — Günther Friedrich Nolting lantenproblemen zu befassen hat. Man hat den Ein- [FDP]: Was haben Sie eigentlich für eine Auf druck, daß Herr Parkinson regelrecht eingeladen fassung vom Parlament?) wird, fröhliche Urstände zu feiern. Parkinson hat ein- — Herr Nolting, ich sage es gleich. — Wir sind aller- mal gesagt: „Bürokratie ist die Vervielfältigung von dings der Auffassung, daß ein solcher Entschließungs- Problemen durch Einstellung weiterer Beamter." antrag sehr unbefriedigend ist. Das Parlament sollte (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und doch eigentlich erwarten können, daß die Bundesre- der FDP) gierung bei einem solch wichtigen Gesetz, von dem Auf der anderen Seite müssen Stellen abgebaut Tausende von Menschen betroffen sind, schon in den werden: die Stellen von ca. 1 200 Zollbeamten wegen parlamentarischen Beratungen die notwendige Klar- des Wegfalls der innerdeutschen Grenze und der Ein- heit schafft. führung des europäischen Binnenmarktes, von 6 800 (Beifall bei der SPD) Soldaten zur Realisierung der Kaukasus-Beschlüsse, von 5 000 Beamten der Bundeswehr, von 8 000 Ange- stellten der Bundeswehr, 16 000 Arbeitern der Bun- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Körper, gestat- deswehr. ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster So schwierig dies aus juristischer Sicht auch sein (Mainz)? mag, die kritische Öffentlichkeit und der Steuerzahler Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4847

Hans-Werner Müller (Wadern) erwarten, daß sich der Gesetzgeber bemüht, das vor- ten „zumutbar", an einem anderen Ort anderweitig zeitige Ausscheiden einerseits und den Aufbau in der Beschäftigung im öffentlichen Dienst anzunehmen. von mir soeben geschilderten Größenordnung ande- Wir sind darauf gespannt, was uns die Bundesregie- rerseits miteinander in Einklang zu bringen. rung Ende Februar vorlegen wird. Ich bin davon über- (Zustimmung bei der CDU/CSU) zeugt: Dies sind wir dem Steuerzahler schuldig. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich will den öffentlichen Dienst nicht verunglimpfen. Wir alle erleben ja derzeit in den neuen Bundeslän- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dern, wie überaus wichtig eine gut funktionierende Verwaltung ist, um den Aufschwung Ost zu gewähr- leisten. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht der Abgeordnete Günther Nolting. Insofern ist völlig richtig, wenn der Bundesrat for- muliert: „Solange nicht alle vertretbaren Möglichkei- ten einer anderweitigen Verwendung bei Bund und Günther Friedrich Nolting (FDP): Frau Präsidentin! Ländern ausgeschöpft sind, sollte die vorgesehene Meine Damen und Herren! Der Kollege Hackel hat gesetzliche Regelung einer Frühpensionierung unter- bereits zum Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz bleiben. " gesprochen. (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Das scheint aber (Walter Kolbow [SPD]: Umfassend!) notwendig zu sein!) Ich will mich deswegen dem Personalstärkegesetz zu- Ich will durchaus klar und unmißverständlich in wenden. Richtung Bundesregierung zum Ausdruck bringen, Wir alle wissen, daß die Bundeswehr bis Ende 1994 daß in den in der ersten Lesung ursprünglich vorge- auf 370 000 Mann reduziert werden muß. Damit set- legten Entwürfen recht wenige Gedanken in diesem zen wir unsere Vorschläge zum Zwei-plus-Vier-Ver- Sinne aufgenommen worden sind. trag um. Ich will an dieser Stelle sagen: Sie sind das Ergebnis unserer erfolgreichen Außen- und Sicher- (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: heitspolitik, auf die wir über Jahrzehnte hinweg ohne Auch das ist richtig!) Bruch zurückblicken können. An diesem Erfolg sind Ich hatte verschiedene Ministerien um Anregungen auch unsere Soldaten maßgeblich beteiligt gewe- zur Lösung der Auf- und Abbauproblematik gebeten. sen. - Da schreibt mir z. B. der Finanzminister: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Die Motivation für die Bediensteten bei einer frei- Zur Verringerung der Bundeswehr wird das Perso- willigen Versetzung kann nur dadurch geschaf- nalstärkegesetz einen Beitrag leisten. Frau Kollegin fen werden, daß die finanziellen Leistungen bei Braband, ich will dazu sagen: Wir reduzieren Bundes- vorzeitiger Zurruhesetzung möglichst gering ge- wehr und — das müssen wir fairerweise einbezie- halten werden, so daß die Suche nach einer hen — die ehemalige NVA um ca. 40 %. Das ist eine neuen Tätigkeit attraktiv bleibt. einseitige Vorleistung. Ich will auf Ihren Redebeitrag nicht weiter eingehen, will aber festhalten, daß Sie an So schreibt der Finanzminister. Ein bißchen weiter den Beratungen im Verteidigungsausschuß nicht ein heißt es: einziges Mal teilgenommen haben. Dagegen empfiehlt es sich nicht, zusätzliche An- (Dr. Willfried Penner [SPD]: Beteiligung am reize zur Weiterbeschäftigung zu schaffen, denn Unterricht unzulänglich!) dies hätte wiederum eine Besserbehandlung der Wenn die Bundeswehr nach 1994 eine sinnvolle versetzten Bediensteten gegenüber den ver- Alters- und Dienstpostenstruktur haben soll, müssen gleichbar Bediensteten in den neuen Dienststel- auch Zeit- und Berufssoldaten ausscheiden. Insge- len zur Folge. samt sieht das Personalstärkegesetz vier Möglichkei- Wenn ich das richtig verstehe, heißt das, daß wir am ten vor: erstens die Senkung der besonderen Alters- besten gar nichts machen sollen. grenze um ein Jahr, zweitens die Möglichkeit der frei- willigen vorzeitigen Zurruhesetzung, drittens die Aber wir haben etwas unternommen. Die Gesetze Möglichkeit der Umwandlung des Dienstverhältnis- wurden, wie gesagt, materiell geändert. Weiterhin ist ses eines Berufssoldaten in das eines Soldaten auf Zeit die Bundesregierung durch die bereits erwähnten bei- und schließlich viertens die Möglichkeit der Verkür- den Entschließungsanträge bis Ende Februar aufge- zung von Verpflichtungszeiten von Zeitsoldaten. fordert, die betroffenen Beamten für einen Wechsel in andere Verwaltungsbereiche zu gewinnen bzw. den Das Personalstärkegesetz, das besser Personalver- betroffenen Soldaten Tätigkeiten im Bereich des öf- minderungsgesetz heißen sollte, soll ferner zusätzli- fentlichen Dienstes zu erleichtern. che Anreize schaffen, die für den einzelnen Soldaten diese Optionen interessant machen. Stichwortartig (Walter Kolbow [SPD]: Das mußten wir Ihnen will ich festhalten: erstens keine Nachteile bei der auch nahebringen!) Höhe der Pension, zweitens Ausgleichszahlungen, Konkret kann man sich eine Menge vorstellen. Ich wobei der Betrag 4 000 DM nicht überschreiten darf, will nicht darauf eingehen; denn das wird in unserem und drittens monatliche statt der halbjährlichen Aus- Entschließungsantrag klar formuliert. Bei den Beam- scheidetermine. ten ist die Situation zugegebenermaßen einfacher. Ist In den zurückliegenden Ausschußberatungen ha- Sozialverträglichkeit gegeben, so ist es für den Beam ben wir außerdem eine neue Bestimmung eingefügt, 4848 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Günther Friedrich Nolting nach der im Fall der vorzeitigen Zurruhesetzung zu- Die SPD hat heute einen Entschließungsantrag vor- nächst geprüft werden soll, ob eine andere angemes- gelegt, dem wir nicht zustimmen können. sene Verwendung möglich ist. Herr Kollege Müller, (Walter Kolbow [SPD]: Alles andere wäre ein ich will einen zusätzlichen Grund anfügen: Wir haben Wunder!) das auch deshalb gemacht, weil der Staat nicht leicht- fertig auf die Arbeitskraft, auf das Wissen und auf die Die Senkung der besonderen Altersgrenze um ein Erfahrungen der betroffenen Soldaten verzichten Jahr wollen wir weder in das Belieben der Betroffenen sollte. noch des Dienstherrn stellen, da es sonst nicht vorher- sehbar wäre, ob wir die angestrebte Reduzierung der (Beifall bei der CDU/CSU) Bundeswehr überhaupt zum entscheidenden Stichtag erreichen. Außerdem ist es unmöglich, unverzüglich Lassen Sie mich aber auch darauf hinweisen, daß ein detalliertes Personalstrukturmodell vorzulegen, Offiziere nicht ohne weiteres in die Zivilverwaltung solange man nicht weiß, wie viele Soldaten von den versetzt werden können. Das wäre im Moment nur auf Möglichkeiten des Personalstärkegesetzes Gebrauch freiwilliger Basis möglich, da es sich um einen Status- machen werden. wechsel handeln würde. Soldaten befinden sich nach Herr Kollege Steiner, wir sind ja im Verteidigungs- der Überreichung der Entlassungsverfügung in Pen- ausschuß weitgehend auf Ihre Vorstellungen einge- sion. Für eine freiwillige Übernahme in ein ziviles gangen, Beamten- oder Angestelltenverhältnis müßten die be- amten- und laufbahnrechtlichen Voraussetzungen (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein!) geschaffen werden. Entsprechende Angebote müssen bis hin zu Prüfungsaufträgen an die Bundesregierung, gemacht werden, Herr Staatssekretär. die wir von Ihnen übernommen haben. Die Koalitionsfraktionen haben dazu einen Ent- (Walter Kolbow [SPD]: Bis hin zur Über schließungsantrag vorgelegt — der Kollege Müller ist nahme ins Gesetz — das wäre es gewe darauf eingegangen — , in dem der Bundesregierung sen!) Anregungen für die erforderlichen Anreize gegeben Sie haben im Verteidigungsausschuß allen Ände- werden. Dazu zählen die Anhebung der Hinzuver- rungsanträgen, die die Koalition gestellt hat, zuge- dienstgrenze auf etwa 130 %, reise- und umzugsko- stimmt, weil sie Ihren Vorschlägen entsprachen. Des- stenrechtliche Ausgleichsmaßnahmen sowie Um- wegen verstehe ich hier und heute Ihre Kritik über- schulungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Auch die haupt nicht. Ich bedauere, daß Sie nicht zustimmen erwähnten laufbahnrechtlichen Änderungen sind in wollen; vielleicht können Sie auch nicht zustimmen.- unserem Entschließungsantrag angesprochen. (Beifall bei der CDU/CSU) Herr Kollege Körper, das sind genau die Forderun- Ich will es noch etwas schärfer fassen: Vielleicht dür- gen, die Sie in Ihrem Redebeitrag vorgetragen haben. fen Sie auch nicht zustimmen, obwohl der eine oder Warum also Ihre Ablehnung? andere bei Ihnen dazu bestimmt gerne bereit wäre. (Fritz Rudolf Körper [SPD]: Ich denke, daß (Widerspruch bei der SPD) ich es deutlich gemacht habe!) Meine Damen und Herren, die vorliegenden Ge- setzentwürfe eines Personalstärkegesetzes und eines Dieselbe Frage stelle ich auch dem Kollegen Steiner. Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetzes stellen den Herr Kollege Körper, vielleicht hätte die SPD-Fraktion richtigen Ansatzpunkt dar, um einer Bundeswehr und heute einen anderen Kollegen aus dem Innenaus- ihrer Zivilverwaltung mit alters- und dienstgerechte- schuß sprechen lassen sollen. Ich habe mir gerade rer Struktur näher zu kommen. Die FDP-Fraktion wird sagen lassen, daß Sie, Herr Körper, die Möglichkeit beiden Gesetzen und dem Entschließungsantrag der zur Mitberatung im Innenausschuß überhaupt nicht in Koalitionsfraktionen zustimmen. Anspruch genommen haben. Vielen Dank. (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! — Fritz (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rudolf Körper [SPD]: Weil ich leider krank war!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt Bereits bei der ersten Lesung dieses Gesetzes vor der Parlamentarische Staatssekretär Willy Wimmer. fünf Wochen habe ich an dieser Stelle darauf hinge- wiesen, daß dieses Gesetz nur Wege zum Ziel defi- niert, daß wir uns aber außerdem um die Frage des Willy Wimmer, Parl. Staatssekretär beim Bundesmi- Stellenabbaus bis 1994 kümmern müssen. Die Beför- nister der Verteidigung: Frau Präsidentin! Meine sehr derungsmöglichkeiten dürfen nicht durch übereilte geehrten Damen und Herren! Wir beschäftigen uns Stellenstreichungen eingeschränkt werden. Dies heute morgen — und da gibt es eigentlich einen über- würde die Akzeptanz der gesamten Regelung bei der greifenden Konsens — mit den Auswirkungen eines Truppe erheblich verringern. Wir müssen deshalb be- Erfolges. reit sein, das angestrebte Personalmodell 370 gegebe- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es richtig!) nenfalls auch erst nach 1994 in allen Details zu ver- wirklichen, damit wir unseren heutigen und den künf- Man sollte sich dann auch einmal den Ruck geben, tigen Soldaten überhaupt eine Perspektive bieten nicht rumzudeuteln und rumzukritisieren, wo es nicht können. Diese Thematik werden wir in den Personal- nötig ist, haushalten der kommenden Jahre beachten müs- (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Personal sen. struktur!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4849

Parl. Staatssekretär Willy Wimmer sondern den weiteren Weg nach dem Erfolg auch ge- Um auf den vertragsgemäßen Bestand von 370 000 meinsam gehen. Soldaten zu kommen, müssen wir uns mit den Fakten auseinandersetzen. Ich will sie in diesem Zusammen- (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: War hang der guten Ordnung halber noch einmal anfüh- ein Rechtsruck gemeint oder wie?) ren; denn sie gehören dazu. — Ob das ein Rechtsruck ist, weiß ich nicht. Es sollte Wenn wir bei der heutigen Personalplanung blie- auch kein Linksruck sein. Es sollte nur der verbindli- ben, würden Anfang 1995 etwa 87 000 Offiziere und che Weg im Interesse der Menschen sein, um die es Berufsunteroffiziere dienen. Im Hinblick auf die künf- geht; denn wir können uns hier einiges nicht erlau- tige Bundeswehrstruktur sind dies 8 100 Berufssolda- ben. ten zuviel. (Walter Kolbow [SPD]: Es wäre gut, wenn Mit den geltenden Rechtsvorschriften — das wissen sich die Regierung endlich einen Ruck wir alle — kann eine termin- und strukturgerechte gäbe!) Personalreduzierung nicht erreicht werden. Es gibt — — Wir können uns z. B. nicht erlauben, Herr Kollege das muß festgehalten werden — keine hinreichende Kolbow, daß bei uns im Lande nach diesem Erfolg der Handhabe, länger dienende Soldaten von Amts we- Eindruck entsteht: Der Mohr hat seine Schuldigkeit gen oder auf Antrag vor Ablauf der festgesetzten getan, er kann gehen. Dienstzeiten zu entlassen oder in den Ruhestand zu versetzen. Erst das Personalstärkegesetz schafft die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — erforderlichen Rechtsgrundlagen. Walter Kolbow [SPD]: Sie müssen eine Struk tur finden, die dem Mohren hilft!) Es besteht die Absicht, auf jeden Fall von den 6 800 Berufssoldaten die meisten auf eigenen Antrag aus- Wenn man sich mit den Auswirkungen dieses Erfol- scheiden zu lassen. Von diesen gesetzlichen Möglich- ges sachgerecht beschäftigt, dann kommt man an ver- keiten werden — diese Dimension muß hier festgehal- schiedenen Eckdaten wahrhaftig nicht vorbei. Auch ten werden — etwa 22 300 Soldaten der Geburtsjahr- die sind merkwürdigerweise heute morgen im Sinne gänge 1933 bis 1946 erfaßt. Darin ist allerdings ledig- eines übergreifenden Konsenses festgehalten wor- lich ein Überhang von 7 300 Soldaten enthalten. Aus den. dieser Gruppe sollen die Zurruhesetzungen erfol- (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Nein!) gen. Deswegen verstehe ich nicht, warum man es bei einer Zurruhesetzungen nach der herabgesetzten beson-- Enthaltung belassen will. deren Altersgrenze sollen 1993 nur zur sozial verträg- lichen Realisierung von Organisationsmaßnahmen (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das erzäh und zur Verwirklichung des vorgesehenen Personal- len wir Ihnen gleich!) stellenabbaus vorgesehen werden. Im übrigen soll Es wäre sinnvoll zuzustimmen, allein deshalb, weil von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden, man nach diesem Erfolg nur so der Verpflichtung ge- wenn die vorzeitigen Zurruhesetzungen auf Antrag genüber den Menschen gerecht werden kann. nicht den Umfang annehmen, der erforderlich ist, um diese Zielgröße zeitgerecht zu erreichen. (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das Die herabgesetzte besondere Altersgrenze erfaßt ist Ausdruck von Kraftlosigkeit!) theoretisch etwa 19 000 Soldaten der Geburtsjahr- Sie haben aus dem Beratungsgang gesehen, daß wir gänge 1935 bis 1946. Der für die Reduzierung wirk- in der Tat im Bundesrat und in den Ausschüssen des samste Schritt wird im Jahr 1994 möglich; denn dann Deutschen Bundestages sachgerechte Argumente könnten bis zu 3 490 Berufssoldaten vorzeitig zur nicht nur gewendet, sondern im Interesse einer weite- Ruhe gesetzt werden. ren sachgerechten Fortführung dieses Prozesses auch Die Maßnahmen der Umwandlung des Status von beachtet haben. Wir werden sie auch weiter beachten. Berufssoldaten in Zeitsoldaten sowie die Verkürzung Deswegen sind wir auch dankbar, daß die Koalitions- der Dienstzeit von Zeitsoldaten können nur in gerin- fraktionen Entschließungsanträge vorgelegt haben, gem Umfang zum Abbau der strukturellen Überhänge die uns auf einem vernünftigen Weg weiterbringen beitragen, weil von ihnen nur die jüngeren Jahrgänge werden, und zwar im Interesse derjenigen, deren Pro- erreicht werden. Diese beiden gesetzlichen Regelun- bleme — und das sind auch unsere Probleme — gelöst gen sollen auf Antrag besonders dann zur Anwen- werden müssen. dung kommen, wenn Aufgaben entfallen und eine Ich glaube, wir müssen einige Daten im Sinn des Versetzung für eine geringe Restdienstzeit oder eine Konsenses festhalten. Wir sollten auch nicht die ge- Umschulung nicht mehr gerechtfertigt sind. Sie sind waltigen Leistungen unter den Tisch fallen lassen, die somit in erster Linie zur sozialen Abfederung von Här- darin bestehen, daß wir — einfach schon deshalb müs- ten im Rahmen der Umgliederung gedacht. sen sie erwähnt werden — seit dem vergangenen Sep- Das Personalstärkegesetz enthält zudem Versor- tember den Personalbestand der Bundeswehr von da- gungsregelungen, damit für die Betroffenen sowohl mals etwa Soldaten auf nun 452 000 reduziert 560 000 rechtlich unbedenkliche als auch annehmbare Bedin- haben. Davon sind Menschen betroffen. Es ist eine gungen geschaffen werden. Das Personalstärkegesetz Leistung, das sachgerecht durchzuführen. ist deshalb — das ist die Folge — praktikabel und (Dr. Walter Franz Altherr [CDU/CSU]: Re rechtlich einwandfrei. Insbesondere dürfen die Solda- spekt! Das ist eine Leistung, Herr Staatsse ten auf Grund ihres Rechtsstatus nicht in den öffentli- kretär!) chen Verwaltungen, z. B. der neuen Länder, verwen- 4850 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Parl. Staatssekretär Willy Wimmer det werden. Das stößt an die Schranken des Grundge- eine Versetzung noch zumutbar ist. Es ist darauf hin- setzes. Im übrigen würden die so eingesetzten Solda- zuweisen, daß der größte Teil des von der Reduzie- ten — darauf ist aufmerksam gemacht worden — nicht rung betroffenen Zivilpersonals Beamte des mittleren unseren rüstungskontrollpolitischen Schritten ent- und des einfachen Dienstes und vergleichbare Ange- sprechen. stellte und Arbeiter sind. Wegen der Höhe ihres Ein- kommens wird ihnen — das ist uns allen bewußt — Nach ihrem Ausscheiden können ehemalige Solda- eine Umstellung sehr schwer fallen. Die Zahl solcher ten nur auf freiwilliger Basis in Behörden und Ver- waltungen arbeiten. Zwangsverpflichtungen erlaubt Härtefälle wird sich nicht genau angeben lassen, zu- unsere Verfassung nicht. Der Bundesminister der Ver- mal erst auf Grund von Anträgen ein Einblick in die teidigung ist allerdings bemüht, entsprechend der Ge- individuelle Lage der Beamten möglich sein wird. Sie genäußerung der Bundesregierung zur Stellung- darf aber nicht unterschätzt werden. nahme des Bundesrats und den während der Beratun- Bei ihren Überlegungen zum Gesetz ging die Bun- gen in den Ausschüssen des Bundestags gegebenen desregierung davon aus, daß bei einer sich minde- Anregungen sowie der Änderung des Regierungsent- stens bis Ende 1997 hinziehenden Verminderung der wurfes zu § 2 interessierte und geeignete Soldaten zu Zahl der jetzt vorhandenen rund 30 900 Beamten die vermitteln. Kontakte zu den Staatskanzleien der Bun- Fluktuation ausgenutzt werden kann, um den größten desländer sind schon aufgenommen worden, um be- Teil der nicht mehr benötigten Beamtenstellen abzu- darfsgerechte Vermittlungen zu fördern. bauen. Das Gesetz muß am 1. Januar 1992 in Kraft treten, Der Gesetzentwurf entspricht weitgehend dem be- weil sonst der vom Haushalt vorgegebene und auf reits in Kraft getretenen Gesetz im Zusammenhang Organisationsmaßnahmen abgestimmte stufenweise mit der Bundeszollverwaltung. Dieses Gesetz sieht Personalabbau verzögert würde. Dies könnte — das vor, Beamte auf Antrag ab dem 55. Lebensjahr vorzei- wissen wir alle — nachteilige Auswirkungen auf das tig zur Ruhe zu setzen, wenn die anderweitige Ver- zum 31. Dezember 1994 gesetzte Reduzierungsziel wendung des unmittelbar betroffenen Beamten in den haben. Ich bitte Sie deshalb, verehrte Kollegen von eigenen oder in anderen Verwaltungen nicht möglich der SPD, geben Sie sich heute einen Ruck; stimmen oder nach allgemeinen beamtenrechtlichen Grund- Sie zu und enthalten Sie sich nicht nur. sätzen nicht zumutbar ist. Die im Gesetz vorgesehenen Verbesserungen der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Rechtsstellung der ausscheidenden Beamten sind so Eine Reduzierung der Streitkräfte auf einen Perso- begrenzt, daß eine Kritik, diese Beamten würden un-- nalumfang von 370 000 Soldaten führt — das wissen gerechtfertigt begünstigt, nun wahrlich nicht berech- wir alle — zwangsläufig zu einer Verminderung des tigt ist. Ich darf deshalb auf den Vorrang der ander- Zivilpersonals. Deshalb ist es notwendig, daß die weitigen Verwendungen zurückkommen und dazu Bundesregierung außer dem Personalstärkegesetz auch anmerken, daß die Bundesregierung alle Mög- auch ein Gesetz einbringt, mit dem eine Verminde- lichkeiten einer Weiterverwendung im öffentlichen rung der Zahl der Beamten im Geschäftsbereich des Dienst ausschöpfen wird, bevor eine vorzeitige Ver- Bundesministers der Verteidigung in sozial verträgli- setzung in den Ruhestand zugelassen wird. Sie hat cher Weise gefördert wird: das Bundeswehrbeamten- daher nach zusätzlichen Maßnahmen zur Förderung anpassungsgesetz. des Vorranges der anderweitigen Verwendung ge- Dabei darf nicht übersehen werden — und das tun sucht. Hierzu werden wir — auch in Übereinstim- wir nicht — daß die Zahl der vom Wegfall der Aufga- mung mit den Entschließungsanträgen — im Rahmen ben betroffenen Angestellten und Arbeiter die der unserer Verantwortung das Nötige tun. Beamten erheblich übersteigt. Die Tarifvertragspar- Ich bedanke mich zunächst einmal dafür, daß man teien haben bereits Verhandlungen aufgenommen, diesen Gesetzentwurf passieren lassen will, ohne da- um im Rahmen ihrer Autonomie angemessene Maß- gegen zu stimmen. Aber, Kolleginnen und Kollegen nahmen zu vereinbaren. von der SPD, geben Sie sich einen Ruck Dem Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetz kommt (Zuruf von der CDU/CSU: Noch einen für die tarifrechtliche Ausgestaltung des Reduzie- Ruck?) rungsprozesses im Arbeitnehmerbereich eine wich- und gehen Sie mit uns den Weg des Erfolgs. tige Signalfunktion zu. Im Zuge des erforderlichen Ich bedanke mich. Abbaus von Beamtenplanstellen unter Beachtung der zeitlichen Vorgaben reicht es deshalb nicht aus, allein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die normale Fluktuation zu nutzen. Auch eine Aus- schöpfung aller Möglichkeiten für eine anderweitige Unterbringung der bei den Bundeswehrverwaltungen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht nicht mehr benötigten Beamten, sei es im eigenen unsere Kollegin Brigitte Schulte. Geschäftsbereich, sei es bei anderen Verwaltungen, genügt deshalb nicht; vielmehr müssen wir uns mit dem Problem auseinandersetzen, daß Härtefälle blei- Brigitte Schulte (Hameln) (SPD): Frau Präsidentin! ben, in denen eine vorzeitige Zurruhesetzung die al- Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es hat mir lein angemessene Lösung für die betroffenen Beam- wohlgetan, den Kollegen Müller zu hören. ten darstellt. (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: Auch das Einkommen der Beamten wird eine er- Dann muß ich etwas falsch gemacht ha hebliche Rolle spielen, wenn man beurteilen will, ob ben!) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4851

Brigitte Schulte (Hameln) Ich habe auch empfunden, wieviel Zweifel und Skep- die zivile Führungscrew der Hardthöhe auffordern sis in den Koalitionsparteien zu diesen Gesetzentwür- müssen, in wenigen Monaten Pläne für eine moderne fen vorhanden ist. Wir haben hier vor fünf Wochen und zugleich flexible Bundeswehrstruktur vorzule- gesagt: Wir werden mit Ihnen noch darüber reden, ob gen, die mit dem Finanzminister hätten abgestimmt wir wenigstens dem Gesetz über die Verminderung sein müssen. Regierung und Parlament hätten nach der Personalstärke der Streitkräfte zustimmen kön- der Bundestagswahl gemeinsam darüber beraten nen. können, um in einem breiten Konsens zwischen Re- gierung und Opposition zum Ziel zu gelangen. Geben Sie es doch zu: Sie selbst haben gehofft, daß Bundesverteidigungsminister Stoltenberg das Parla- (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Dazu sind ment und die Öffentlichkeit überraschen würde. War- Sie doch gar nicht bereit!) tet nur, so haben Sie gehofft, der wird uns noch zei- — Sie sind ein großer Schwätzer. Entschuldigung. gen, wie die künftige Struktur der Bundeswehr aus- sieht! (Zustimmung bei der SPD — Günther Fried rich Nolting [FDP]: Darauf kommen wir noch (Hans-Werner Müller [Wadern] [CDU/CSU]: zurück! — Zuruf von der CDU/CSU: Uner Das kommt doch alles noch!) hört!) Deshalb habe ich davon gesprochen, daß er zwar kein -Sie wissen besser als alle anderen, wie oft die SPD Akrobat, kein Jongleur, aber vielleicht ein Zauber- Fraktion Ihnen angeboten hat, über ein Personalstruk- künstler sein wolle, der jetzt mit seinem Zauberstab turgesetz zu reden. Sie wissen sehr genau — das wer- aus einem Tresor die verborgenen Pläne für eine den wir draußen auch erzählen — , daß uns bewußt 370 000 Mann umfassende moderne Verteidigungs- war, daß dazu unpopuläre Maßnahmen notwendig armee hervorziehen könnte. sind und daß diese unpopulären Maßnahmen, wenn (Zuruf von der SPD: Sehr gut!) wir deren Notwendigkeit einsahen, von uns auch mit- getragen würden. Nun ist es soweit, und es ist nichts Vernünftiges da. (Zuruf von der CDU/CSU: Da liegt doch das entscheidende Problem!) (Dr. Harmut Soell [SPD]: Nebelschwaden!) — Ja, sicherlich; ganz bestimmt. Aber, meine Damen und Herren, die Bühne ist nicht Der entscheidende Punkt ist: Im Entwurf von Herrn leer, denn auf der Bühne sitzt ein Kaninchen. In ein Stoltenberg fehlt die moderne Bundeswehrstruktur,- solches ist nämlich Herr Stoltenberg verwandelt wor- mit der man so etwas überhaupt durchführen kann. den. Es starrt hypnotisiert auf eine Schlange, die die Andernfalls kann man Maßnahmen wie die Herabset- Züge des Bundesfinanzministers trägt. zung der besonderen Altersgrenze der Berufssoldaten Ich habe zu Hause nachgeschlagen, welche Eigen- im Zeitraum 1993 bis 1995 um ein Jahr, wie die vor- schaften Hasen, zu denen Kaninchen ja auch gehören, zeitige Zurruhesetzung von Berufssoldaten auf frei- haben. Ich will das heute morgen einmal zur Erheite- williger Basis ab 1. Januar 1992, also in wenigen Wo- rung vortragen. Man kann dabei immer den Namen chen, wie die Umwandlung des Dienstverhältnisses Stoltenberg einsetzen. So einsam und allein, wie der eines Berufssoldaten in das eines Zeitsoldaten und die Feldhase — oder Herr Stoltenberg — durch die ihm Kürzung der Dienstzeit eines Soldaten auf Zeit auf vertraute Flur hoppelt, so vereinzelt steht Herr Stol- freiwilliger Basis gar nicht verantworten. Nach wel- tenberg heute in der Regierung, chen Kriterien werden Sie dann am 1. Januar 1992 die Leute entlassen, wenn Sie gar nicht wissen, wie die (Bernd Wilz [CDU/CSU]: Richtig niedlich!) Struktur endgültig aussieht? denn er ist eigenbrötlerisch und zweifellos ein eigen- (Zuruf von der CDU/CSU: Sicher wissen wir williger Geselle. Aber er ist auch anpassungsfähig, das!) zäh, ausdauernd und natürlich überhaupt nicht krea- tiv. Meine Damen und Herren, wir sind nicht bereit, der Regierung einen Freibrief auszustellen. Wir hätten ei- (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Damit nem Gesetz, das unsere Wünsche und unsere Vor- kann man die Redezeit auch füllen! — Bernd schläge aufgenommen hätte, selbstverständlich zu- Wilz [CDU/CSU]: Sie beschäftigt sich Tag stimmen können. und Nacht mit Herrn Stoltenberg! — Zurufe von der SPD: Die Treibjagd ist eröffnet! — (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Das Halali wird bald geblasen! — Die Schon Dann hätten wir 20 andere Gesetze ändern zeit ist um!) müssen! — Günther Friedrich Nolting [FDP]: Sie haben doch allen Änderungsanträgen Meine Damen und Herren, kann denn folgendes zugestimmt!) — so frage ich mit vollem Ernst — wirklich wahr sein: Im Juli 1990 hatte Präsident Gorbatschow mit dem — Ich sage dies, und das haben wir auch damals gesagt. Hören Sie doch einmal zu; tun Sie mir den Bundeskanzler vereinbart, daß eine gesamtdeutsche Gefallen, auch wenn Sie es nicht verstehen. Bundeswehr ab 1. Januar 1995 370 000 Soldaten um- fassen sollte. Das war vor 16 Monaten. Der Verteidi- Wir haben ausdrücklich gesagt: Wir wollen, daß die gungsminister hätte wie kein anderer seiner Vorgän- ausscheidenden Soldaten wenigstens einen Rechts- ger die Chance gehabt, sich als d e r Abrüstungsmini- anspruch auf die Herabsetzung der besonderen Al- ster in der Geschichte zu bewähren. Aber er hätte tersgrenze um ein Jahr haben. Den haben sie jetzt dazu natürlich den Führungsstab der Streitkräfte und nicht. Wir wollen, daß die Berufssoldaten des militär- 4852 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Brigitte Schulte (Hameln) fachlichen Dienstes die Möglichkeit erhalten, ihr — Ach Gott, mein lieber Johannes, so schlimm kann es Dienstverhältnis in das eines Zeitsoldaten umzuwan- doch nicht sein. Wir tragen — das sagen wir auch deln. Diese Möglichkeit haben sie nicht. draußen — unpopuläre Maßnahmen mit, wenn sie (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: nicht zu vermeiden sind. Das wird gemacht!) (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Aber Sie — Das tun Sie nicht. Sie haben einen Prüfungsauftrag doch nicht!) gegeben; dazu komme ich gleich. Aber wir sind nicht bereit, ohne diese moderne, fle- Wir wollen, daß Berufssoldaten, die länger als xible Bundeswehrstruktur ein drohendes Drucheinan- 20 Jahre aktiv gewesen sind, ebenfalls noch die der mitzutragen. Das verantworten Sie bitte allein. Chance erhalten, als Zeitsoldaten auszuscheiden. (Bernd Wilz [CDU/CSU]: Das Durcheinander Auch das wollen Sie nicht. macht ihr!) (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Ich danke Ihnen. Das geht nicht!) (Beifall bei der SPD) Es ist doch lachhaft, wenn man draußen erzählt: Als Berufssoldat mit 20jähriger Dienstzeit darfst du ge- hen, mit 22 Jahren aber nicht. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kollegin (Johannes Ganz [St. Wendel] [CDU/CSU]: Schulte, Sie haben den Kollegen Gerster so liebevoll Dann müssen Sie umgekehrt auch einen angesprochen. SaZ 25 zulassen!) (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das Dies sagen wir nicht etwa, lieber Herr Kollege Nol- sollte sie immer machen!) ting, weil wir Sozialdemokraten damit Schwierigkei- Ich denke, wir wollen uns als Parlamentarier nicht mit ten hätten. All dies zeigt vielmehr, daß Sie Ihre Schul- unfreundlichen Bezeichnungen versehen, die dann arbeiten nicht gemacht haben, daß die Struktur nicht auf uns wieder zurückfallen können. Bleiben Sie auch vorhanden ist, daß Sie im Nebel herumstochern. in anderen Fällen charmant! Dazu muß ich Ihnen sagen: Besonders ärgerlich war es, daß Sie unsere Anträge — Sie könnten ihnen heute (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das liegt noch zustimmen — nur als Prüfaufträge übernommen immer an der Person!) haben. Sie sind schon so lange im Parlament, daß Sie Als nächster spricht der Abgeordnete Meinrad- wissen, was mit Prüfaufträgen auf der Hardthöhe ge- Belle. schieht. (Zuruf von der SPD: So ist es!) Meine Damen und Herren, ich will abschließen. Der Meinrad Belle (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine Verteidigungsminister, der in der Zeit, in der er die Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Vorbe- Struktur hätte verändern sollen, seinen beamteten merkungen. Liebe Frau Kollegin Schulte, wir führen Staatssekretär, der dafür verantwortlich war, nach ja heute keine Bundeswehrstrukturdebatte. Aber die Hause geschickt und der den Generalinspekteur und kommt noch, und da erwarten wir dann Ihren Bei- die Inspekteure aller drei Teilstreitkräfte ausge- trag. tauscht hat, der kann auch nichts vorlegen und der (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) kann von uns auch keinen Freibrief bekommen. Nur deshalb, weil wir wissen, daß sich die Soldaten drau- Lieber Herr Kollege Körper, ich hätte natürlich sehr ßen nichts sehnlicher wünschen als einen breiteren gerne mit Ihnen im Innenausschuß über die verschie- Konsens zwischen Regierung und Opposition in be- denen Möglichkeiten der anderweitigen Verwen- zug auf ihre Anliegen dung diskutiert. Ich weiß aber, daß es Ihnen infolge Ihrer Krankheit nicht möglich war. Ich freue mich, daß (Bernd Wilz [CDU/CSU]: Dann stimmt doch es Ihnen heute wieder so gut geht, daß Sie an dieser zu! Dann ist das Ding doch geregelt! — Gün Debatte teilnehmen können. Aber wir können die De- ther Friedrich Nolting [FDP]: Dann machen batte, die es im Innenausschuß gegeben hat, hier im Sie doch mit!) Plenarsaal natürlich nicht fortführen oder gar zu Ende — aber doch nicht bei einem so schlampigen Gesetz —, bringen; das schaffen wir nicht. werden wir ihr Gesetz, was eigentlich richtig wäre, Eine letzte Vorbemerkung, meine Damen und Her- nicht ablehnen, obwohl es doch so schlecht gemacht ren von der SPD: Am Mittwoch im Innenausschuß ist, ging Ihnen unser Änderungsantrag, gingen Ihnen un- (Johannes Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Wir sere Vorschläge nicht weit genug. Heute lese ich nun sind untröstlich! Das ganze Wochenende ist in Ihrem Entschließungsantrag, daß die armen Solda- kaputt! — Bernd Wilz [CDU/CSU]: Halbher ten nicht zur „Spiel- und Verschiebemasse" des Ver- zigkeit!) teidigungsministers werden sollen. Also, irgendwie sondern uns im Interesse der Soldaten der Stimme ent müssen Sie sich schon entscheiden, was dann nun halten. Wir werden draußen ausdrücklich sagen — — werden soll, so oder so. (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Auch wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) werden das draußen erzählen! — Johannes Nun aber zum eigentlichen Gegenstand dieser De- Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Das ist ja batte: Dank der veränderten weltpolitischen Lage, schrecklich! Brigitte, ganz kraftlos!) dank unserer konstruktiven Sicherheitspolitik und auf Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4853

Meinrad Belle Grund der weitgehenden Beseitigung des Ost-West Eine Versetzung in den Ruhestand kann jetzt nur noch Konflikts können wir — Gott sei Dank — unsere dann erfolgen, wenn für den Beamten eine anderwei- Streitkräfte auf einen Gesamtumfang von 370 000 tige Tätigkeit oder für den Soldaten eine andere Soldaten verringern. Zwangsläufig muß damit auch — angemessene — Verwendung im öffentlichen die Zahl der Unteroffiziere und Offiziere sowie der Dienst nicht möglich ist. Bundeswehrbeamten den veränderten Verhältnissen angepaßt und reduziert werden. Nach dem Beamtenrecht wäre eine Versetzung der Bundeswehrbeamten an andere Bundesdienststellen Gleichzeitig registrieren wir allerdings in weiten denkbar. Diesen Weg wollen wir jedoch nicht ge- Bereichen des öffentlichen Dienstes erhebliche Pro- hen. bleme, die vorhandenen Stellen mit qualifzierten Mit- (Walter Kolbow [SPD]: Aha!) arbeitern zu besetzen. Auf die besonderen Probleme im Nachwuchsbereich sei nur am Rande verwiesen. Gerade bei der Gauck-Behörde und im Asylverfahren Diese allgemein schwierige Personalsituation hat sind hochmotivierte, entscheidungs- und durchset- sich in den letzten Monaten durch den Verwaltungs- zungsfähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unver- aufbau in den neuen Bundesländern noch erheblich zichtbar. Diese Eigenschaften, meine Damen und verschärft. Aus dem vorhandenen Bestand heraus Herren, werden durch Zwangsversetzungen sicher- mußten qualifzierte Beamte und Angestellte in die lich nicht gerade gefördert. Im übrigen wäre eine Ver- neuen Länder abgeordnet bzw. versetzt werden. Wir setzung bei den Offizieren und Unteroffizieren wegen bilden hier grundsätzlich nur entsprechend dem Be- des Soldatenstatus gar nicht möglich. Wir wollen des- darf aus. Deshalb entstehen auf diese Weise schmerz- halb geeignete Kräfte durch Motivation für die neuen hafte Lücken im Personalbestand. So sind in den alten Tätigkeiten gewinnen. Bundesländern 12 000 Beamte als Rechtspfleger, die wir zum Aufbau des Grundbuchwesens in der ehema- Wir haben daher sowohl zu dem Entwurf eines Per- ligen DDR dringend benötigen, beschäftigt. Für das sonalstärkegesetzes als auch zu dem Entwurf eines Beitrittsgebiet haben Fachleute einen Bedarf von Bundeswehrbeamtenanpassungsgesetzes Entschlie- 3 500 Rechtspflegern errechnet. Dieser erhebliche ßungsanträge eingebracht. Darin wird die Bundesre- Neubedarf müßte aus der Zahl der vorhandenen gierung um Überprüfung dazu Bebten, welche An- Rechtspfleger gedeckt werden, was so natürlich nicht reize geschaffen werden können, um die Beamten für machbar ist. einen Wechsel in einen anderen Verwaltungsbereich zu gewinnen, oder wie die Tätigkeit des Soldaten in- Neue, erweiterte Aufgaben erfordern zusätzliches anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes erleich- Personal. Die Sonderbehörde Gauck soll bis Ende tert werden kann. 1992 1 800 weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen. Für die laufend steigende Zahl der Asylbe- (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) werber werden qualifzierte Sachbearbeiter und Ent- scheider gesucht. Rund 2 500 Bedienstete zusätzlich Leiten ließen wir uns dabei auch von den positiven sind bis Mitte 1992 unbedingt notwendig. Erfahrungen mit dem Maßnahmenpaket der Bundes- Meine Damen und Herren, in dieser besonderen regierung zum Aufbau der öffentlichen Verwaltung Zeit können wir es uns wirklich nicht erlauben — ja, und der Justiz in den neuen Bundesländern. es wäre geradezu widersinnig — , Offiziere und Unter- offiziere mit 48 Jahren und Bundeswehrbeamte mit Nicht nur Motivationsüberlegungen wurden ange- 55 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken. stellt; soziale Gesichtspunkte dürfen ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben. Der überwiegende Anteil (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Bundeswehrbeamten ist im mittleren bzw. in den Aus diesen Reihen wird im übrigen signalisiert, daß unteren Besoldungsgruppen des gehobenen Dienstes ein großes Interesse an der Versetzung in den vorzei- beschäftigt. Familiäre Probleme, Wohnungsprobleme tigen Ruhestand keineswegs gegeben ist. Die Beam- sind zu bedenken. Eine wohnortnahe Beschäftigung ten und Soldaten wollen also weiterarbeiten. ist nicht immer möglich. Der Mehraufwand muß aus- geglichen werden. (Zuruf von der SPD: Das ist auch gut so!) Wir Innenpolitiker, insbesondere unser Arbeits- Wir erwarten die Vorschläge der Bundesregierung gruppenvorsitzender Johannes Gerster, haben die ur- allerspätestens bis Ende Februar 1992. Sie sollen so sprüngliche Vorlage daher geändert und erheblich bald wie möglich umgesetzt werden. Der Personalauf- verbessert. bau bei der Gauck-Behörde wie auch beim Bundes- amt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge muß forciert und umgehend abgeschlossen werden. ordneten der FDP — Dieter Heistermann [SPD]: War die FDP daran nicht beteiligt?) Deshalb appellieren wir an alle beteiligten Dienst- stellen, die Entschließungen zügig umzusetzen und — „Wir Innenpolitiker" habe ich gesagt, natürlich konstruktiv am Vollzug der heute zu verabschieden- auch die Kollegen von der FDP, die daran ganz ent- den Gesetze zu arbeiten. schieden und entscheidend mitgearbeitet haben. — (Günther Friedrich Nolting [FDP] zu Abg. (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Sie waren Dieter Heistermann [SPD] gewandt: Dieter, doch lange genug im öffentlichen Dienst und danke, daß du darauf aufmerksam gemacht wissen, was Entschließungen des Parlaments hast!) bedeuten!) 4854 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Meinrad Belle — Ich habe bisher ganz gute Erfahrungen mit der Ent- 12/1581? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — schließung zum Aufbau der Verwaltung und der Ju- Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt. stiz in den neuen Bundesländern gemacht. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksa- (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, das wollen Sie che 12/1582? Wer stimmt dagegen? — Auch dieser nicht wahrhaben!) Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition Das hat sich sehr gut bewährt. abgelehnt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP Wir stimmen jetzt über den Gesetzentwurf der Bun- — Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Auch desregierung in der Ausschußfassung ab. — Ich bitte wenn Sie klatschen, stimmt das nicht!) diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei- — Frau Kollegin Schulte, ich stelle fest, daß Sie heute chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — nacht offenbar nicht ganz gut geschlafen haben. Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Enthaltung der SPD und gegen die Stimmen von PDS/ (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/ Linke Liste und Bündnis 90/GRÜNE angenommen. CSU) Wir kommen zur Ich wünsche Ihnen in den Nächten vor den nächsten Plenardebatten eine bessere Nachtruhe. dritten Beratung (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Ich kann und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- hervorragend schlafen!) stimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, zum Schluß erlaube ich Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit dem glei- mir eine nicht ganz ernst gemeinte Bemerkung. chen Stimmenverhältnis wie in zweiter Beratung an- genommen. (Walter Kolbow [SPD]: Das war die vorherge hende auch! — Dr. Hartmut Soell [SPD]: Für Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- sorglich!) ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der — Selbstverständlich; fürsorglich, wie ich bin. — FDP auf Drucksache 12/1566. Wer stimmt für diesen Grund für die zusätzlichen Aktivitäten der Innenpoli- Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltun- tiker war nicht der Neid auf die spazierengehen- gen? — Der Entschließungsantrag ist bei Enthaltung den vorzeitigen Ruheständler. Der kleine Reim von der SPD und gegen die Stimmen der PDS und des Wilhelm Busch „Wir mögen keinem gerne gönnen, Bündnisses 90/GRÜNE angenommen. - daß er was kann, was wir nicht können" läßt uns zwar Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- schmunzeln, aber nicht handeln; denn, meine Damen tion der SPD auf Drucksache 12/1567? — Gegen- und Herren: probe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag Erstens. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers im ist abgelehnt. öffentlichen Dienst gebietet die Verwendung geeig- Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag neter Beamter und Soldaten in anderen Verwaltungs- der Fraktion der SPD auf Drucksache 12/1583 ab. Wer bereichen vor der Versetzung in den Ruhestand. stimmt für diesen Entschließungsantrag? — Gegen- Zweitens. Der Steuerzahler könnte zu Recht nicht probe! — Enthaltungen? — Der Entschließungsantrag verstehen, wenn er auf der einen Seite vorzeitigen ist bei zwei Enthaltungen ebenfalls abgelehnt. Ruhestand und Nichtstun mit 75 % Ruhegehalt finan- zieren müßte und wir andererseits für neue Aufgaben Wir stimmen jetzt über den von der Bundesregie- zusätzliches Personal einstellten. rung eingebrachten Entwurf eines Bundeswehrbeam- tenanpassungsgesetzes in der Ausschußfassung auf (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr richtig!) den Drucksachen 12/1281 und 12/1558 ab. Ich bitte Ich verweise in diesem Zusammenhang auch auf das diejenigen, die zustimmen wollen, um das Handzei- gestern vorgestellte Sachverständigengutachten. chen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Meine Damen und Herren, ich bitte sie um Zustim- Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung bei Enthaltung der SPD und gegen die Stimmen der PDS mung zu den Gesetzentwürfen sowie zu den Ent- schließungsanträgen. und des Bündnisses 90/GRÜNE angenommen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Wir kommen damit zur (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dritten Beratung und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- stimmen wollen, sich zu erheben. — Gegenstimmen? Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich schließe die — Enthaltungen? — Damit ist der Gesetzentwurf mit Aussprache. dem gleichen Stimmenverhältnis wie in zweiter Bera- Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung, tung angenommen. und zwar zunächst über den von der Bundesregierung Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- eingebrachten Entwurf eines Personalstärkegesetzes ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der auf Drucksache 12/1269 und die Ausschußempfeh- FDP auf Drucksache 12/1568. Wer stimmt für diesen lung auf Drucksache 12/1564. Entschließungsantrag? — Gegenprobe! — Enthaltun- Dazu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion gen? — Der Entschließungsantrag ist bei Enthaltung der SPD vor, über die wir zuerst abstimmen. Wer der SPD und gegen die Stimmen der PDS und des stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache Bündnisses 90/GRÜNE angenommen. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4855

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 8 auf: Frage, ob Jugoslawien noch zu retten sei, dauerten Beratung des Antrages der Fraktionen der Monate. Immerhin noch im April 1991 hat es eine CDU/CSU, SPD, FDP und der Gruppe Bündnis Adresse der Gemeinschaft an Jugoslawien gegeben, 90/DIE GRÜNEN die Assoziierungsverhandlungen zu befördern, wenn der Staat erhalten bleibt. Wir haben jetzt wieder eini- Zur Lage in Jugoslawien ges über die Frage der Abstimmung gehört: ob denn — Drucksache 12/1591 — in den Gebieten, wo es in Kroatien serbische Mehrhei- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für ten gibt, über den Status dieser Gebiete Volksabstim- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Sind mungen stattfinden sollten. Das alles sind Unklarhei- Sie damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen ten. Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Aber ich denke, wir wissen gemeinsam, daß Jugo- Ich erteile dem Abgeordneten Heinrich Lummer slawien, so wie es war, nicht mehr zu retten ist. Des- das Wort. halb ist die Anerkennung der Republiken, die es wol- len, und die die notwendigen demokratischen Vor- Heinrich Lummer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! aussetzungen dafür geschaffen haben, überfällig. Meine Damen und Herren! Die gemeinsame Resolu- Meine Damen und Herren, wir sollten im Hinblick auf tion, die wir heute verabschieden, ist geboten, und ich die Formen künftiger Kooperation dieser Republiken denke, sie ist notwendig. Sie soll unsere Entschlossen- nicht gar zu hoffnungslos sein. Dennoch bleibt der heit unterstreichen und einige Dinge klarstellen, die Satz richtig: Vor dem freiwilligen Verzicht auf Souve- zeitweise unklar waren. Wir wollen klarstellen — und ränität muß zunächst einmal die Akzeptanz und Aner- ich denke, das sollten wir mit Bestimmtheit tun —: kennung der Souveränität erfolgen; denn wer will Diejenigen, die Gewalt anwenden, müssen begreifen, schon unfreiwillig, zwangsweise davon etwas abge- daß sie keine Verbündeten haben. ben? Hier ist, so glaube ich, nach wie vor ein Stück Hoffnung vorhanden, weil die Sachzwänge groß sein (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD werden. und dem Bündnis 90/GRÜNE) Sie müssen begreifen, daß Gewaltanwendung keinen Es gibt in Deutschland ein Sprichwort, das sagt: Wer Erfolg haben wird. Wir wollen klarstellen, daß eine schnell gibt, gibt doppelt. — Wir hätten es tun sollen Politik vollendeter Tatsachen durch Europa nicht ak- bei der Frage der Anerkennung. zeptiert wird. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Deshalb darf auch eine Friedenstruppe, die gut ist der FDP) und die wir alle wünschen — wir möchten, daß sie zustande kommt — , nicht zu einem Instrument degra- Die Anerkennung Sloweniens und Kroatiens ist über- diert werden, das gewaltsame Annexionen oder Ver- fällig. Richtig ist natürlich, daß keine Alleingänge er- änderungen, gewissermaßen Kriegsgewinne, sank- wünscht sind. Richtig ist aber auch, daß nicht einer tionieren soll. Das wäre nicht der Sinn der Sache. allein möglicherweise durch ein Veto alles bremsen darf. Meine Damen und Herren, wir haben manchmal in den zurückliegenden Monaten Ohnmacht und Hilflo- Da gibt es eine Erklärung — Herr Staatsminister, ich sigkeit gespürt. Wir sahen auch ein Stück Handlungs- zeigte sie Ihnen heute — , die irritierend ist, wenn sich unfähigkeit der Europäischen Gemeinschaft. Manch- darin etwa das Ergebnis der heutigen Gespräche hier mal mochte man gar verzweifeln, und — wenn ich das in Bonn findet, daß alle gleichzeitig und gemeinsam Wort von vorhin aufgreife — da wäre schon Grund anerkennen müssen. Dies kann auch nicht Sinn der genug, um den Schlaf gebracht zu werden. Aber auf Sache sein. der anderen Seite sind wir auch immer wieder geneigt zu hoffen und wollen dies nicht aufgeben. Jedenfalls (Zuruf von der SPD: Möglichst alle!) soll klar sein: Am Ende darf das zynische Kalkül der Ich meine, es ist auch deshalb notwendig, dies zu tun, Serben nicht aufgehen, daß die Welt in Untätigkeit weil manche Sanktionen, über die lange diskutiert und Handlungsunfähigkeit dem Geschehen dort zu- worden ist, ihre Wirksamkeit erst dann voll entfalten schaut. können, wenn eine Anerkennung vorausgegangen Aber in der Tat, die Adressaten unserer Resolution ist. sind nicht nur die jugoslawischen Republiken, son- dern auch wir selbst, die Europäische Gemeinschaft. Meine Damen und Herren, ich denke, wir müssen Man muß sich wirklich die Frage vorlegen: Was ist aber auch zu einem Denken, das da oder dort vorhan- diese Gemeinschaft, wenn sie bei derartigen Heraus- den ist, ein Wort sagen. Es betrifft auch einige Ver- forderungen, die nicht nur menschliches Leben zer- bündete. Es heißt: Historische Allianzen, alte Vorur- stören, sondern auch unwiederbringliche Kulturgüter teile und Neigungen dürfen nicht mehr zum Maßstab vernichten, nicht in der Lage ist, auf angemessene heutigen Handelns gemacht werden. Weise zu einer Lösung beizutragen? Die Feststellung Wenn wir auf eine einseitige Anerkennung verzich- ist doch die: Ohne die Fähigkeit zu einer gemeinsa- tet haben, dann auch deshalb, weil wir sagen wollen: men Politik — auch im Bereich der Verteidigung — Was 1941 war, ist endgültig vorbei; damit haben wir bleiben dieser Gemeinschaft essentielle Mängel an- nichts zu tun. Uns geht es nicht um Einflüsse oder das haften. Parteiergreifen für die eine oder andere Republik, Einige Male war diese Gemeinschaft in der Situa- sondern — wie es in diesem Antrag heißt — wir ergrei- tion, sich lächerlich zu machen und zum Gegenstande fen Partei für Freiheit, Demokratie, Selbstbestim- des Gespöttes zu werden. Die Eiertänze über die mung, Minderheitenschutz und friedliche Konfliktlö- 4856 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Heinrich Lummer sung. Das ist der Sachverhalt, um den es wirklich ber. Sie sind die Opfer einer verantwortungslosen, geht. Verderben bringenden Politik vieler ihrer Führer, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) um ihrer Machterhaltung willen eine nationalistische, Meine Damen und Herren, nur wer dies mit uns tut, ja chauvinistische Orgie entfesselt haben. hat in der Zukunft in der Europäischen Gemeinschaft (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einen Platz. Nur wenn die Republiken in Jugoslawien der CDU/CSU) mit dem Problem der Minderheiten fertigwerden, wenn sie den guten Willen dazu haben, dann werden Die Machthaber, vor allem in Serbien, aber beileibe sie auch in Europa eine Chance haben können; dies ist nicht nur dort, haben sich in kalt berechnender Weise eine Conditio sine qua non. zunutze gemacht, daß die Menschen leicht verführbar Die Lage ist schwierig. Von Tag zu Tag befinden wir sind. Sie haben Haß gesät, und es sind die Völker, die uns in einem Wechselbad zwischen Hoffnung und jetzt das Leid ernten müssen. erheblichem Zweifel. Nun sind es wieder Hoffnungen, Jeder, meine Damen und Herren, wird seine Mei- die dominieren; und wir hoffen in der Tat, daß es zum nung haben, wie Schuld und Verantwortung in der Gewaltverzicht, zu einer friedlichen Regelung Jugoslawien-Krise verteilt sind. Aber wir haben An- kommt. laß, deutlich zu sagen, daß pauschale Verurteilungen Denn eines sollten alle begreifen, und dies will ich fast immer falsch und ungerecht sind. Das gilt auch für abschließend mit einem Zitat deutlich machen, Frau Serbien, das von Teilen der deutschen Publizistik mit Präsidentin, das von Karl Kraus stammt; er ist ein geradezu jesuitischem Eifer gebrandmarkt wird. Zyniker, er spricht bittere Worte, aber eben auch bit- tere Wahrheiten aus. Er hat einmal gesagt: Es ist nicht immer ein kluger Kopf, der hinter dem steckt, was über Jugoslawien geschrieben wird. Krieg ist zuerst die Hoffnung, daß es einem bes- sergehen wird, hierauf die Erwartung, daß es dem Das serbische Volk ist Teil Europas und wird es blei- anderen schlechtergehen wird, dann die Genug- ben. Mit der Gleichsetzung von Serbien und Irak so- tuung, daß es dem anderen auch nicht besser wie Kroatien und Kuwait macht es sich mancher dann geht, und hernach die Überraschung, daß es bei- doch etwas zu einfach. den schlechtergeht. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Diese Erfahrung sollte man nicht allzuoft machen, der CDU/CSU) sondern auch an dieser Stelle den friedlichen Weg - gehen. Auch das serbische Volk bleibt unser Partner bei allem Mangel an Verantwortung, den Teile seiner (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD Führung offenbart haben. und dem Bündnis 90/GRÜNE) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Jetzt spricht der Ab- geordnete Günter Verheugen. Deutschland und Serbien, das war schon einmal ein schreckliches historisches Schauspiel, das wir auf gar keinen Fall noch einmal auf dem europäischen Spiel- Günter Verheugen (SPD): Frau Präsidentin! Meine plan sehen möchten. Hüten wir uns also vor Vereinfa- sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit Unver- chungen und vorschnellen Verurteilungen. Ich ständnis und Zorn verfolgen die Menschen in Europa, stimme dem Kollegen Lummer zu: Wir ergreifen nicht wie mitten unter ihnen die so mühsam und unter Partei für oder gegen ein bestimmtes Volk in Jugosla- schweren Opfern errungenen Regeln des friedlichen wien, sondern wir ergreifen Partei für alle Völker Ju- Zusammenlebens der Völker zertreten und zerschos- goslawiens. sen werden. Die jugoslawische Tragödie betrifft nicht nur Jugo- Aber es ist nun einmal die Wahrheit und muß fest- slawien; sie betrifft uns alle, weil Krieg in diesem Teil gehalten werden, daß das Unheil mit der massenhaf- Europas Gefahr für ganz Europa bedeutet. Die friedli- ten Verletzung von Menschenrechten in Kosovo und che Lösung der Konflikte in Jugoslawien ist für uns in der Wojwodina durch die serbische Führung be- alle wichtig, weil wir nicht dulden dürfen, daß die gonnen hat. Im nachhinein müssen wir uns die selbst- Rückkehr zum Faustrecht in Europa Schule macht. kritische Frage stellen, ob wir in dieser Situation nicht mehr hätten tun müssen, als Proteste nach Belgrad zu In dem zusammengebrochenen Staatenblock, der senden. früher der kommunistische Teil Europas war, erken- (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) nen wir die Keime zu einer Vielzahl von Nationalitä- tenkonflikten, deren gewaltsamer Ausbruch uns in Wir sollten daraus lernen: Wer einmal mit der Un- eine Phase von Unsicherheit und Instabilität führen terdrückung von Minderheiten und der Mißachtung würde. von Menschenrechten anfängt, der macht so schnell Es zeigt sich, daß in den Jahrzehnten der kommu- nicht halt, auch vor einem Krieg nicht. nistischen Herrschaft keine tragfähigen nationalen Wir haben dann das Aufpeitschen der Stimmungen Identitäten gestiftet wurden, sondern daß die Ruhe und das Aufheizen von Emotionen auch in anderen eine durch Terror und Unterdrückung erzwungene Teilen Jugoslawiens erlebt. Schlimme, nicht ent- Friedhofsruhe war. schuldbare Exzesse, z. B. gegen die serbische Minder- Am dringlichsten ist die Beendigung des jugoslawi- heit in Kroatien, waren die Folge. So kam der Teufels- schen Dramas für die Menschen in Jugoslawien sel kreis in Gang, den die Europäische Gemeinschaft und Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4857

Günter Verheugen die KSZE trotz aller Bemühungen bisher nicht haben unserer Verfassung nicht, aber auch als Konsequenz durchbrechen können. aus der gemeinsamen Geschichte Deutschlands und Jugoslawiens nicht. Aber man muß auch sagen: Noch sind nicht alle politischen Mittel ausgeschöpft, die Konfliktparteien Es geht nicht an, daß sich in dieser Situation Mit- zur Beendigung der Feindseligkeiten zu bewegen. glieder der Bundesregierung öffentlich für die Beteili- Wer immer noch obstruieren will, dem sagt der Deut- gung der Bundeswehr an einem militärischen Einsatz sche Bundestag mit der hier vorgelegten Entschlie- in Jugoslawien aussprechen. ßung sehr deutlich, muß wissen, daß es noch wesent- lich härtere Sanktionen als die von der EG bisher (Walter Kolbow [SPD]: So ist es!) beschlossenen gibt. Notfalls wird man bis zur totalen Ich fordere den Bundeskanzler nachdrücklich auf, Einstellung jedweden Austausches von Gütern, für Ordnung in seiner Regierung zu sorgen. Ich denke, Dienstleistungen und Kenntnissen gehen müssen. es sind nicht nur wir Sozialdemokratinnen und Sozial- Nun gibt es seit gestern wieder neue Hoffnung. demokraten in diesem Bundestag, sondern es ist ganz Aber wir sind schon zu oft enttäuscht, zu oft auch Europa, das einen Anspruch hat, zu wissen, was in getäuscht und belogen worden, um jetzt schon an den dieser Regierung gilt. Frieden glauben zu können. Ich meine allerdings, daß die Chance entschlossen genutzt werden muß, die (Beifall bei der SPD) sich aus der Bereitschaft aller Konfliktparteien zur Gilt das, was der Außenminister von diesem Pult aus Stationierung von Friedenstruppen auf Grund eines und im Auswärtigen Ausschuß gesagt hat, Mandates der Vereinten Nationen ergibt. (Ulrich Irmer [FDP] : Ja! Das gilt immer!) Es ist daher angebracht, an die UNO, besonders an den Weltsicherheitsrat, zu appellieren, schnell zu han- nämlich daß eine deutsche Beteiligung nicht in Frage deln und sich nicht länger mit dem Argument vor der kommt? Oder gilt das, was uns die Minister Schäuble Verantwortung zu drücken, die UNO dürfe sich nicht und Blüm in diesen Tagen haben wissen lassen, wobei in die inneren Angelegenheiten eines Mitgliedslan- ich hinzufügen möchte, daß ich gerade von Herrn des einmischen. Bundesminister Schäuble als dem für die Verfassung verantwortlichen Minister unseres Landes etwas mehr Wenn am East River in New York immer noch die Respekt vor den Bestimmungen des Grundgesetzes Fahne Jugoslawiens weht, so symbolisiert diese erwartet hätte. Fahne nicht mehr den Staat, der einmal in die UNO eingetreten ist und eine Zeitlang als Sprecher der (Beifall bei der SPD und dem Bündnis 90/ Blockfreien eine wichtige internationale Rolle gespielt GRÜNE) hat. Dieser Staat hat aufgehört zu existieren. Er ist tot. Meine Damen und Herren, es hat sich in diesen Tagen ein breiter Konsens dahin gehend entwickelt, Wer die verzweifelten Hilferufe der letzten Tage daß in nicht allzu ferner Zeit die nach Selbständigkeit aus Dubrovnik noch im Ohr hat, wird der Forderung strebenden jugoslawischen Republiken anerkannt zustimmen, daß die Entsendung von Friedenstruppen werden sollten, wenn sie uns die Gewähr dafür bieten, nicht eine Sache von Wochen oder gar Monaten sein daß sie die Prinzipien des Europarates und der KSZE sollte, sondern am besten eine Sache von Tagen. Vor befolgen, die Menschenrechte achten und die Min- der Entsendung von Blauhelmen muß ganz deutlich derheiten schützen werden. Voraussetzung für die festgehalten werden, daß es nicht die Aufgabe von Anerkennung muß auch die Bereitschaft der Republi- Friedenstruppen der Vereinten Nationen sein kann, ken zu Formen sinnvoller wirtschaftlicher Koopera- gewaltsam erobertes Gebiet für den Eroberer zu si- tion untereinander und mit dem übrigen Europa chern. Wir werden keinen Meter einer gewaltsam ver- sein. änderten Grenze anerkennen. Mit Recht hat der Bundeskanzler in der Sitzung des Ein endgültiger Grenzverlauf kann nur das Ergeb- Auswärtigen Ausschusses am Mittwoch dieser Woche nis eines friedlichen Verhandlungsprozesses sein. Er- darauf hingewiesen, daß wir uns auch die Frage stel- oberte Gebiete sind daher zu räumen; die alten Gren- len müssen, was am Tage nach der Anerkennung zen müssen als Demarkationslinie von Friedenstrup- geschehen soll. Es bleibt dringend zu wünschen, daß pen gesichert werden. Danach erst sind friedliche Kor- der von uns gedanklich bereits vollzogene Schritt der rekturen entsprechend den KSZE-Vereinbarungen Anerkennung in der Praxis von allen, jedenfalls aber möglich. von möglichst vielen Mitgliedsländern der EG gleich- Es stellt sich als ein Vorteil heraus, daß es Mitglieds- zeitig unternommen wird. länder der Vereinten Nationen gibt — ich nenne vor Die deutsche Jugoslawienpolitik ist manchen Miß- allen Dingen Schweden und Kanada — , die in dan- deutungen ausgesetzt gewesen. Sie war nicht immer kenswerter Weise Teile ihrer Streitkräfte in ständiger schuldlos daran. Ich stelle deshalb noch einmal fest: Einsatzbereitschaft als Friedenstruppen für die Ver- Wir streben keine Einpflußsphären in Zentral-, Ost- einten Nationen halten, so daß der Zugriff schnell er- oder Südosteuropa an. Es geht uns nicht um die Siche- folgen kann und die benötigten Friedenstruppen rung künftiger Märkte. Aber wir handeln dennoch schnell zur Verfügung stehen. nicht ohne eigenes Interesse, weil wir wissen, daß Ich muß hier aber auch noch einmal deutlich sagen, auch wir nicht in Frieden leben können, wenn Europa daß eine deutsche Beteiligung an Friedenstruppen in an vielen Orten in Flammen stünde. Ich denke, es ist Jugoslawien nicht in Betracht kommt, aus Respekt vor allemal besser, zu verhindern, daß Städte zu Schutt 4858 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Günter Verheugen und Asche zerbombt werden, als hinterher die Trüm- wien geschieht. Das ist richtig; dabei bleiben wir. mer zu beseitigen. Aber wir verurteilen nicht das serbische Volk. Das ser- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP bische Volk wird unter den Fehlern seiner jetzigen und dem Bündnis 90/GRÜNE) Führung auf Dauer noch sehr zu leiden haben. Meine Damen und Herren, die breite Gemeinsam- ( [CDU/CSU]: Auch heute keit, die der Deutsche Bundestag bei der Vorlage die- schon!) ses gemeinsamen Antrags gezeigt hat, soll ein Signal Wir sollten auch dem serbischen Volk auf Dauer die für die Menschen in Jugoslawien sein, daß uns ihr Hand entgegenstrecken und es nicht verteufeln. Schicksal nicht gleichgültig läßt und daß wir alles tun wollen, was in unseren Kräften steht, um dem sinnlo- Ich möchte an diese Stelle einen Dank an unsere sen Morden ein Ende zu bereiten und einen dauerhaf- jugoslawischen Mitbürger hier in Deutschland rich- ten Frieden für die Völker Jugoslawiens zu schaf- ten. Es zeigt sich, daß der Haß die Völker zumindest fen. nicht insgesamt ergriffen hat. Ich freue mich darüber. Ich glaube, wir müssen dankbar sein, daß sich unsere Ich bitte Sie, dem gemeinsamen Antrag zuzustim- jugoslawischen Mitbürger hier so besonnen verhal- men. ten, sich nicht von Haß anstacheln lassen und ruhig (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP geblieben sind. und dem Bündnis 90/GRÜNE) (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem Bündnis 90/GRÜNE) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der Auch das ist ein gutes Zeichen für den Grad der be- Abgeordnete Ulrich Irmer. reits erfolgten Integration. Es ist gesagt worden — ich unterstreiche das — , die Ulrich Irmer (FDP): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- UN-Friedenstruppen, die möglicherweise dort hinge- gen! Es ist in der Jugoslawienkrise üblich geworden, schickt werden, dürften erst dann zum Einsatz kom- Schuldige zu suchen und den Finger aus Hilflosigkeit men, wenn der Waffenstillstand beschlossen ist und auf jemanden zu richten, obwohl vielleicht gar nicht auch eingehalten wird. Es geht nicht an, daß wir UN- mehr hätte getan werden können. Friedenstruppen irgendwo hinschicken, wo sie gege- benenfalls kämpfen müssen. Sie dürfen nicht zur Ab- Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich Lord Car- sicherung einer gewaltsam verschobenen Grenzlinie- rington für seine Bemühungen danken. Ich möchte mißbraucht werden. Die Grenzkorrekturen, die dort auch dem Bundesaußenminister dafür danken, daß er gewaltsam vorgenommen werden, müssen wieder zu- unermüdlich den Versuch gemacht hat, die Partner in rückgenommen werden. Später kann man verhan- der EG in dieser Frage auf eine vernünftige Linie zu deln. bringen. Aber wir müssen anerkennen — Herr Lummer hat Es ist üblich geworden, in der Anerkennung der das angesprochen — : Die EG hat den Eindruck der einzelnen Republiken das Allheilmittel zu sehen. Hilflosigkeit gemacht. Aber ich frage dagegen: Was Selbstverständlich sollten wir die Anerkennung an- hätte sie denn tun können? streben, aber dabei sind drei Punkte zu beachten. (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Früher ein Erstens. Wir sollten nicht im Alleingang vorgehen; Handelsembargo beschließen!) Herr Lummer und Herr Verheugen haben das er- wähnt. Es darf kein zweites 1941 geben. Es geht aber Wir müssen eine Folgerung daraus ziehen: Wir müs- auch nicht, daß wir auf den letzten im Geleitzug war- sen die EG in der Zukunft mit den Entscheidungsin- ten. Wenn die bedeutenden Länder der Europäischen strumenten ausstatten, die sie braucht, um in solchen Gemeinschaft und die Mehrzahl der Länder bereit Krisen besser, geschlossener, einheitlicher und ver- sind, die Anerkennung zu vollziehen, dann sollten wir nünftiger auftreten zu können. uns nicht dem Veto eines einzelnen oder zweier beu- (Beifall- des Abg. Günther Friedrich Nolting gen. [FDP]) Als zweiter Gesichtspunkt ist zu beachten: Es dür- Ich sage dies hier und heute, weil wir kurz vor dem fen an den Vollzug der Anerkennung keine zu hohen Maastrichter Gipfel stehen. Dort müssen die Konse- Erwartungen gerichtet werden. Die Anerkennung als quenzen aus der Situation gezogen werden. Wir se- solche wird das Problem nicht lösen. Vielmehr liegt hen, daß unsere EG im derzeitigen Zustand nicht in die Problemlösung ausschließlich darin, daß die der Lage ist, so aufzutreten, wie wir es uns alle wün- Rechte der Minderheiten gewahrt werden und daß schen. Daraus muß die Konsequenz gezogen werden: die Völker bereit sind, friedlich miteinander umzuge- Die EG muß endlich zur Europäischen Politischen hen. Die Republiken, die die Anerkennung wollen, Union werden und mit dem entsprechenden Hand- müssen jetzt schon eine Regelung der Minderheiten- lungsspielraum und den entsprechenden Handlungs- rechte treffen. kompetenzen ausgestattet werden. Schließlich darf niemand von anderen etwas erwar- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ten, was er nicht selber zu geben bereit ist. Herr Verheugen hat zu Recht erwähnt, daß es Mode (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der geworden ist, die Serben zu verteufeln. Ich möchte SPD) hier ganz klar feststellen: In unserer Resolution steht, daß wir die derzeitige serbische Führung für die Es ist völlig ausgeschlossen, daß Serbien für seine Hauptverantwortlichen für das halten, was in Jugosla Minderheit in Kroatien einen besseren Status ver- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4859

Ulrich Irmer langt, als es selber den Albanern im Kosovo und den Die jüngste Entwicklung bietet der Bundesrepublik Ungarn in der Wojwodina zu geben bereit ist. noch einmal die Chance, die verhängnisvolle einsei- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der tige Parteinahme aufzugeben, die Fähigkeit zur Ver- SPD) mittlung wiederzugewinnen und zu einer friedensstif- tenden Politik zu finden. Wer will, daß der irrsinnige Ich appelliere an Serbien: Stellen Sie schleunigst, nationale Haß in Jugoslawien nicht noch weitere und auch um Ihren guten Willen zu beweisen, die Autono- größere Opfer fordert, darf diese Chance nicht leicht- mie im Kosovo und in der Wojwodina wieder her. fertig vertun. Ohne diese wird es in Jugoslawien keinen Frieden geben. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) Ich danke Ihnen. Ich erteile jetzt un- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Vizepräsident Helmuth Becker: serem Kollegen Gerd Poppe das Wort. und dem Bündnis 90/GRÜNE)

Gerd Poppe (Bündnis 90/GRÜNE): Herr Präsident! Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt Meine Damen und Herren! Wenn die kriegführenden der Abgeordnete Dr. Dietmar Keller. Parteien im vormaligen Jugoslawien seit gestern glei- chermaßen ihre Bereitschaft bekunden, UN-Friedens- truppen ins Land zu lassen, so bedeutet dies vor allem, Dr. Dietmar Keller (PDS/Linke Liste): Frau Präsi- daß sie kriegsmüde sind. Trotzdem sind Zweifel an dentin! Meine Damen und Herren! Noch immer hält einer baldigen friedlichen Einigung berechtigt. das entsetzliche Blutvergießen in Jugoslawien an. Zu- Erstens wurde jeder bisher vereinbarte Waffenstill- gleich keimt mit dem Vorschlag, nach der Waffenruhe stand gebrochen. Die serbische Armee, fälschlich UN-Friedenstruppen zu entsenden, eine neue Hoff- noch immer jugoslawische Bundesarmee genannt, hat nung. noch jedesmal die Zusagen des serbischen Präsiden- Der Streit entzündet sich jetzt bei einigen schon ten Milošević ignoriert, oder soll ich sagen: ignorieren wieder an der Frage, an welcher Linie die Blauhelme sollen? stationiert werden sollen. Wer in dieser Frage erneut Zweitens gehen die Vorstellungen Kroatiens und voreilig und einseitig Partei ergreift, zeigt ein kurzes Serbiens über Stationierungsgebiete der Friedens- - Gedächtnis und wenig Sinn für Realitäten. Wer gar in truppen weit auseinander: Kroatien wünscht die Auf- deutschen Landen von Beteiligung der Bundeswehr stellung entlang seiner Grenze; Serbiens Interesse an UN-Truppen spricht, handelt gegen das Grundge- hingegen ist es, die von ihm beanspruchten Teile Kro- setz und gegen deutsche Interessen. atiens durch die Stationierung der Friedenstruppen Uns allen sind die Entstehung des Konfliktes und entlag deren Grenzen zum übrigen Kroatien markie- die Tatsache gut in Erinnerung, daß die 600 000 Ser- ren zu lassen. ben in Kroatien, fast 15 % der Bevölkerung, bereits Welche Aussichten der jüngste Friedensplan der lange vor der einseitigen Unabhängigkeitserklärung EG hat, bleibt also abzuwarten. Selbstverständlich ist Zagrebs in einer Volksbefragung erklärt hatten, daß jeder Vermittlungsversuch zur Erzielung einer friedli- sie unter keinen Umständen den Weg aus Jugosla- chen Lösung zu unterstützen. Die bisher erfolglose wien in ein separates Kroatien mitgehen und wie bis- Vermittlung aber dadurch befördern zu wollen, daß her mit den anderen Angehörigen ihres Volkes in man einer der beiden Seiten mit Ausschluß droht, einem einheitlichen Staat leben wollen. könnte man als Schildbürgerstreich bezeichnen, Die darauffolgenden tragischen Ereignisse, die es- wenn eine solche Drohung nicht Ausdruck der Ver- kalierenden bewaffneten Auseinandersetzungen, die zweiflung wäre. Nur, eine einseitige Konferenz wäre Grausamkeiten des Bürgerkrieges, das Vorgehen der keine Friedenskonferenz mehr. kroatischen sogenannten HSO-Einheiten, die in der (Ulrich Irmer [FDP]: Die schließen sich doch Tradition der faschistischen Ustascha-Verbände ste- selber aus!) hen, haben die trennenden Klüfte nur noch vertieft. Drittens wäre es Augenwischerei, anzunehmen, Für alle Seiten ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, daß mit einer eventuellen Beilegung des serbisch-kro- die außerordentlich komplizierte Lage nüchtern ein- atischen Konflikts — unter welchen Bedingungen zuschätzen und daraus eine realistische Politik abzu- auch immer — im ehemaligen Jugoslawien Frieden leiten, die den Kriegshandlungen ohne Zeitverlust ein einzöge. Das Konfliktgebiet Bosnien—Herzegowina Ende setzt. ist schon programmiert. Ebenso gefährlich ist der ser- bische Anspruch auf das Kosovo. Die dortige Mehrheit Das gilt auch für die Bundesregierung. Ihr anfäng- der Albaner wird von Serbien in einer Weise unter- licher Schlingerkurs und die darauffolgende Vorrei- drückt, die der Demokratie und den Menschenrech- terrolle für eine Politik der einseitigen Parteinahme ten Hohn spricht. Dies ist bekannt — auch hier im haben den Konflikt nicht entschärft und schlimmen Bundestag — , wird aber mitunter doch vergessen. Argwohn gegenüber den Absichten des vereinigten Deutschlands geweckt. Inzwischen fordern die zwei Millionen Albaner im Kosovo ihre Anerkennung als gleichberechtigtes (Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Sie sind Volk mit Anspruch auf eine eigene Republik. Dies ist doch schon wieder auf der Seite von vorge das Resultat ihrer Erfahrungen mit Serbien und dem stern!) Desinteresse der politischen Öffentlichkeit in Europa (V o r sitz : Vizepräsident Helmuth Becker) an ihrer Situation. 4860 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Gerd Poppe Die Anerkennung der Realität im ehemaligen Ju- dung darüber müssen die Republiken frei und ohne goslawien, wie sie in dem vorliegenden interfraktio- Zwang treffen können. nellen Antrag weitgehend zum Ausdruck kommt, darf Am 8. November 1991 hat die Europäische Gemein- nicht bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen schaft in Rom die Verhängung von Sanktionen gegen zu Slowenien und Kroatien enden. Wer an der Beile- die Verhandlungsstörer und gegen den Hauptverant- gung und Eindämmung der Konflikte interessiert ist wortlichen für die Verletzungen der Waffenstill- — das muß jeder in Europa sein —, kann nur fordern, standsvereinbarungen beschlossen. Die Sanktionen daß die Regierungen schneller und konsequenter als werden von positiven, noch endgültig zu beschließen- bisher alle politischen und wirtschaftlichen Mittel zur den Kompensationsmaßnahmen zugunsten der frie- Austrocknung der Gewaltpotentiale ausschöpfen. densbereiten, kooperationswilligen Republiken be- (Beifall im ganzen Hause) gleitet werden. Die Europäische Gemeinschaft hat sich erneut an Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt dem den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewandt, Herrn Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut um ein Ölembargo der gesamten Völkergemeinschaft Schäfer, das Wort. gegen Jugoslawien durchzusetzen. Es zielt auf die jugoslawische Volksarmee, denn es ist vor allem diese sogenannte „Volksarmee", die für die massive Eska- Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen lation der Gewalt in Kroatien verantwortlich ist. Was Amt: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sie tut und was sie getan hat, steht in keinem Verhält- Bundesregierung begrüßt den Entschließungsentwurf nis zu dem, was auch die kroatische Seite zu verant- zu Jugoslawien nachdrücklich. Sie sieht darin eine worten hat. Unterstützung ihrer Politik. Von Anfang an war es Serbien hat mit seinen kaum verhüllten Territorial- Auffassung der Bundesregierung, daß die Völker Ju- ansprüchen den Haager Verhandlungsprozeß immer goslawiens allein über die Zukunft des Landes zu ent- wieder auf unzumutbare Weise aufgehalten. Diese scheiden haben. Diesen Grundsatz hat der Außenmi- Politik darf nicht hingenommen werden. Am 10. Ok- nisterrat der KSZE am 19. Juni 1991 in Berlin festge- tober ist in Den Haag ein Zeitrahmen von höchstens legt. Diesem Prinzip ist auch die Bundesregierung zwei Monaten für den Abschluß der Verhandlungen verpflichtet. vereinbart worden mit der Perspektive der Anerken- Gemeinsam mit ihren Partnern in der Europäischen nung der Republiken, die dies wünschen, und mit- Gemeinschaft tut die Bundesregierung alles in ihrer dem gleichzeitigen vollständigen Abzug der jugosla- Macht Stehende, um den Konflikt friedlich und auf wischen Volksarmee aus Kroatien. Er muß eingehal- dem Verhandlungsweg beizulegen. Dabei gilt es, im ten werden. Daher müssen die Verhandlungen, wenn Einklang mit den Prinzipien der Schlußakte von Hel- nicht anders möglich, auch ohne Serbien zügig fortge- sinki und der Pariser „Charta für ein Neues Europa" setzt werden. Serbien bleibt aber aufgefordert, jeder- eine Regelung zu finden, die zugleich die Ausübung zeit an den Verhandlungstisch zurückzukehren, muß des Selbstbestimmungsrechts, die Achtung der Men- aber endlich mit einer konstruktiven Haltung zur Lö- schenrechte und einen umfassenden Schutz der Min- sung der Krise beitragen. gewährleistet. Keines dieser Postulate kann derheiten Auf Vorschlag von Bundesaußenminister Genscher absolut gesetzt werden; sie stehen vielmehr in einem hatten die Außenminister der Europäischen Gemein- engen untrennbaren Zusammenhang. Der Kampf um schaft am Dienstag in dieser Woche in Noordwijk be- Grenzen hat nur Leid und Unglück über Europa ge- schlossen, Lord Carrington nach Jugoslawien zu ent- bracht. Er muß endlich aufhören. Für die Stabilität in senden — was inzwischen bereits geschehen ist —, Europa ist die Einhaltung des im Völkerrecht und in um dort zu erkunden, ob nunmehr der Einsatz einer den KSZE-Verpflichtungen verankerten Prinzips der VN-Friedenstruppe in den Krisengebieten in Frage Unverletzlichkeit der Grenzen unverzichtbar. kommt. Dies fordern inzwischen alle Konfliktparteien (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) in Jugoslawien. Eine solche Truppe kann jedoch nur Daher wird die Europäische Gemeinschaft gewaltsa- entsandt werden, wenn zuvor ein wirksamer Waffen- men Gebietserwerb oder einseitige Verschiebungen stillstand hergestellt ist. Sie müßte so zwischen den der inneren oder äußeren Grenzen Jugoslawiens nicht Parteien stationiert sein, daß sie Grenzänderungen in anerkennen. keinerlei Weise präjudiziert. Bundeskanzler Kohl hat die Präsidenten von Slowenien und Kroatien zu einem Auf Vorschlag von Frankreich und Deutschland hat baldigen Besuch nach Bonn eingeladen. Wir werden die Europäische Gemeinschaft die Konferenz über mit ihnen darüber sprechen, unter welchen Modalitä- Jugoslawien einberufen. Seit dem 7. September 1991 ten ihr Anspruch auf Unabhängigkeit zu verwirkli- wird unter dem Vorsitz von Lord Carrington in Den chen ist. Haag verhandelt. Der Vertragsentwurf von Lord Car- rington für die Neugestaltung Jugoslawiens trägt den Von allen Republiken, die unabhängig werden wol- berechtigten Anliegen aller Republiken und aller na- len, wird — zu Recht und möglichst unverzüglich — tionalen Gemeinschaften und ethnischen Gruppen in der umfassende, verfassungsrechtlich abgesicherte Jugoslawien Rechnung. Dies erlaubt den Republiken, und internationaler Kontrolle unterliegende Schutz die es wünschen, den Weg in die Unabhängigkeit. Sie der Minderheiten, so wie es Lord Carrington in sei- bietet ihnen aber auch die Möglichkeit, künftig in lok- nem Vertragsentwurf vorschlägt, erwartet. Dies ist um kerer Assoziierung oder in engeren Formen der Zu- so wichtiger, als festeht, daß keine der Republiken sammengehörigkeit, insbesondere im wirtschaftli- eine ethnisch homogene Bevölkerung haben wird. In chen Bereich, zusammenzuarbeiten. Die Entschei allen Republiken muß für alle nationalen Gemein- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4861

Staatsminister Helmut Schäfer schaften und Minderheiten der gleiche Rechtsstan- EG-Ausschuß dard gelten, also nicht etwa nur für die Serben in Kro- Haushaltsausschuß atien, sondern — wie das hier mehrfach heute schon Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für ausgeführt worden ist — z. B. auch für die Albaner im die gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Kosovo und für die ungarische Minderheit in der Woj- Ich höre und sehe keinen Widerspruch. vodina. Die am 22. Oktober in Prag beschlossene Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem KSZE-Menschenrechtsmission wird bei der Prüfung unserem Kollegen Gernot Erler das Wort. der Menschenrechtslage eine wichtige Rolle spie- len. Die Menschen in Jugoslawien, meine Damen und Herren, denen wir in Freundschaft verbunden sind, Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen haben genug gelitten und unbeschreibliche Opfer ge- und Herren! Wovon reden wir? Nicht von Dingen, die bracht. Was wir in dieser bedrückenden Situation an man aus Geberlaune tut oder auch läßt, nicht vom humanitärer Hilfe leisten können, tun wir. Die EG- Wohlwollen gegenüber einem Nachbarn, dem wir uns Außenminister haben zudem auf Frankreichs Vor- verpflichtet fühlen, sondern davon, ob in einem Sech- schlag vor drei Tagen beschlossen, die UNICEF mit stel der Erde auch nach diesem Winter der Weg zu dem Ziel einzuschalten, Kinder aus Dubrovnik und Demokratie und ökonomischem Aufbau noch weiter- anderen bedrohten Städten in Kroatien zu evaku- gehen wird oder ob dort die Fahnen der Anarchie ieren. wehen werden oder gar das Chaos des sogenannten Die Zeit der Zerstörung muß enden. Die Völker Ju- „bunt", des Volksaufstands, ausbrechen wird, davon, goslawiens verdienen Frieden und eine gedeihliche was eine aus Not außer Kontrolle geratene Entwick- Zukunft. Dazu wollen wir mit allen unseren Kräften lung in einem Nachbarland bedeutet, das immer noch beitragen. Der Deutsche Bundestag geht heute mit vollgestopft ist mit gefährlichsten Waffen, auch sol- seiner gemeinsamen Entschließung einen weiteren chen mit atomarer Vernichtungskraft, und schließlich Schritt in diese Richtung. davon, was eine solche Worst-case-Entwicklung die Vielen Dank. Weltgesellschaft kosten würde. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Mit anderen Worten: Wir sprechen von existentiel- und dem Bündnis 90/GRÜNE) len westlichen, deutschen Interessen und von der Frage: Tun wir genug für diese Interessen, kommen wir unserer Verantwortung ausreichend nach, abge- lenkt wie wir sind durch die Herausforderungen der Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, ich schließe die Aussprache. wirtschaftlichen und sozialen Integration des größe- ren Deutschland? Wir stimmen ab über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP sowie der Gruppe Bünd- Es wäre gefährlich, wenn das Bewußtsein des We- nis 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 12/1591. Wer stens beim 21. August 1991 stehenbliebe. Damals gab stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltun- es etwas zu feiern: den Sieg der Heldenfigur Jelzin gen? — Damit ist dieser Antrag einstimmig angenom- über einen dilettantischen Putsch der Reaktionäre men. und danach das Beiseiteschieben jener Blockierungs- macht aus KGB, Apparat und KP, die den Reformkräf- ten immer wieder in den Arm fielen. Diese Blockie- Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 15 und rungskräfte haben im August ihre institutionelle den Zusatzpunkt 9 der Tagesordnung auf: Macht verloren, endlich. Ihre Vertreter überleben im Dickicht der Schattenwirtschaft oder mit Techniken 15. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ger- chamäleonartiger Anpassung. not Erler, Hans Gottfried Bernrath, Lieselott Blunck, weiterer Abgeordneter und der Frak- Aber Siege kann man nicht . In Rußland und tion der SPD den anderen Republiken des bisherigen Sowjetrei- Soforthilfeprogramm für die Sowjetunion und ches breitet sich Hunger aus. Jelzin schätzt, daß ihre Republiken 80 Millionen der 142 Millionen Einwohner seiner Rie- — Drucksache 12/1321 — senrepublik arm sind und Not leiden. Das sind fast 60 % der Menschen in dieser Republik — und in den b) Beratung der Unterrichtung durch das Europäi- anderen ist die Lage noch schlechter. sche Parlament Entschließung zur Sowjetunion und zu den Heute, zwölf Wochen nach dem Putsch, ist es baltischen Staaten schwieriger geworden, die Krisensituation konserva- — Drucksache 12/1250 — tiven Sündenböcken anzulasten. Was jetzt nicht bes- ser wird, geht auf die Kappe der Demokraten, der Sie- ZP 9 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ ger der August-Tage. Wehe den Völkern der Sowjet- CSU und FDP Hilfe zur Selbsthilfe für die So- union, wehe uns, wenn sie scheitern! Andere politi- wjetunion und ihre Republiken sche Kräfte stehen bereit, sie zu ersetzen. Was dann — — Drucksache 12/1580 staatliche Gewalt und damit auch Kontrolle über Überweisungsvorschlag: Großtechnik und Waffen noch vermögen werden, läßt Ausschuß für Wirtschaft sich nur ahnen. Auf jeden Fall steckt im Scheitern Auswärtiger Ausschuß derer, die nach dem Putsch Verantwortung übernom- Finanzausschuß Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten men haben, ein unabsehbares Risiko für Deutschland Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit und für Europa. 4862 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Gernot Erler Die aktuellen Nachrichten aus Moskau und den sem Jahr investiert werden — ein Betrag, der übrigens Republiken erschrecken uns. Die Bevölkerung wird im Haushalt für 1992 wenigstens auf 6 Millionen er- mit einer Verachtfachung der Preise für Brot und höht werden soll? Das ist nicht genug, um Kenntnisse Zucker konfrontiert; der Preis anderer Grundnah- und Erfahrungen einer der stärksten Industrienatio- rungsmittel steigt um das Sechsfache. Schon zeichnet nen der Welt an zwölf im Umbruch und Aufbau be- sich ab, daß die Energievorräte nicht ausreichen wer- findliche Republiken weiterzugeben. den, um alle Zimmer über den Winter, der bereits Sie rufen außerdem die deutsche Wirtschaft auf, angefangen hat, zu heizen. Selbst Wasser soll knapp sich in den sowjetischen Republiken zu engagieren, werden. gestehen aber im selben Satz ein, daß die Vorausset- Es ist gut, daß zwischen Regierung und Opposition zungen dafür nicht zureichend sind. Wissen Sie ei- Einigkeit darüber herrscht, daß jetzt gehandelt wer- gentlich, daß die deutsche Industrie dort — niemand den muß. Wir begrüßen es, daß nach Vorlage unseres wird ihr das übelnehmen können — im Jahr 1990 ganze Antrags „Soforthilfeprogramm für die Sowjetunion 24 Millionen DM und im Jahr 1991 bisher 13 Millio- und ihre Republiken" am 16. Oktober jetzt die CDU/ nen DM investiert hat? Wenn man sich diese Zahlen CSU und die FDP vor zwei Tagen einen Antrag unter anschaut und sich ein bißchen darüber informiert, in dem Titel „Hilfe zur Selbsthilfe für die Sowjetunion welch aktueller Not sogar die deutsch-sowjetischen und ihre Republiken" vorgelegt haben. Gemeinschaftsunternehmen, die Pionierleistungen erbracht haben, jetzt geraten sind, dann kann man nur Es gibt mehrere Punkte, in denen diese Anträge in sagen: Ihr Aufruf geht schlicht an den Realitäten vor- dieselbe Richtung gehen. Als einen davon möchte ich bei. Er hat vielleicht in drei bis vier Jahren einen hervorheben, daß bei Nahrungsmittellieferungen Sinn. einmütig erwartet wird, daß diese durch Ankauf und Lieferung von Agrarüberschüssen aus den mittel- Nein, meine Damen und Herren, wir müssen über und osteuropäischen Ländern, den traditionellen Lie- die 2 Milliarden ECU Gesamthilfe der Europäischen feranten für die Republiken der Sowjetunion, reali- Gemeinschaft, von denen die Bundesrepublik siert werden sollen. Das ist eine gute Botschaft nach 560 Millionen ECU übernehmen wird, hinauskom- Warschau, Budapest, Sofia und anderswohin. men und jetzt mehrere konkrete Hilfsprojekte parallel vorbereiten. Aber es gibt auch Unterschiede. Vielleicht hängen sie damit zusammen, daß die Kollegen von den Regie- Der Antrag der SPD nennt sie: Es sind Lieferungen rungsparteien die Situation als noch nicht so drama- von Hilfsgütern in die sowjetischen Republiken im tisch einschätzen. In ihrem Antrag ist von „Störungen Umfang von etwa 10 Milliarden DM durch die Indu-- im Wirtschaftsprozeß" beim Übergang zur Marktwirt- strienationen vorzubereiten. Dabei müssen wenig- schaft und von der Gefahr die Rede, daß die Men- stens vorübergehend die traditionellen Lieferbezie- schen dort diese womöglich als ein „Abgleiten in wirt- hungen unserer osteuropäischen Nachbarn in die So- schaftliche Unsicherheit oder gar Hunger und Not" wjetunion wiederbelebt werden. Das Lieferprogramm empfinden könnten. Aus meiner Sicht ist das eine zu ist in intelligenter Weise mit einem Anschub für die romantisierende Verharmlosung des schon heute er- überfälligen Wirtschaftsreformen — in diesem Fall mit reichten Zustands, verbunden mit einem Verzicht dar- der Agrarreform — in der Sowjetunion zu verbinden. auf, die soeben angesprochenen politischen Folge- Spezielle Maßnahmen zur Beseitigung der logisti- möglichkeiten zu berücksichtigen. schen Engpässe für die Lieferung und Verteilung von Hilfsgütern sind sofort in Ang riff zu nehmen. Der Tenor des Antrags der Regierungsparteien läßt sich mit einem Satz beschreiben: Jetzt sind erst die Bei den deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehun- anderen dran. Richtig ist, daß kein Land in den letzten gen ist eine strikte Konzentration auf Einzelprojekte Monaten mehr Hilfe für die Republiken der Sowjet- notwendig, die durch einen deutsch-sowjetischen union geleistet hat als Deutschland. Das rechtfertigt Projektförderrat zu leisten ist. Jede Förderung nach aber nicht, in dieser Situation jetzt allein auf die Lei- der Gießkannenmethode ist sinnlos. Einige der stungen der EG zu verweisen und einen erwartungs- deutsch-sowjetischen Joint-ventures brauchen drin- vollen Blick auf die anderen großen Industrienationen gend eine Überbrückungshilfe. Und schließlich: Die der Welt zu richten. Beratungshilfe insgesamt und dabei auch die Abstim- mung und Beratung auf der Ebene der Parlamente Wir müssen weiter vorangehen. Dazu reicht das muß umgehend intensiviert werden. nicht, was Sie hier unter dem Titel „Hilfe zur Selbst- Meine Damen und Herren, wir hoffen, daß wir uns hilfe" aufgeschrieben haben. in den Fachausschüssen mit Ihnen über diese Vor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) schläge verständigen können. Dies wird eine Diskus- Sie verweisen z. B. auf die Möglichkeiten der Bera- sion über den richtigen Weg zu einem Ziel sein, über tung beim Aufbau neuer politischer und ökonomi- dessen Bedeutung wir uns einig sind; und das ist gut scher Strukturen, ohne eine Erweiterung der bisheri- so. gen Programme zu fordern. Ich danke Ihnen. Wissen Sie eigentlich, daß die Bundesregierung im (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Jahr 1991 ganze 11 Millionen DM für die Aus- und FDP) Weiterbildung von Fach- und Führungskräften der Sowjetwirtschaft ausgibt, daß aus Mitteln des BMWi für Beratungs- und Seminarveranstaltungen weitere Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und 400 000 DM zur Verfügung stehen und für Unterneh- Herren, ich erteile jetzt das Wort unserem Kollegen mens-Consulting nicht mehr als 3,5 Millionen in die Dr. Rudolf Sprung. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4863

Dr. Rudolf Sprung (CDU/CSU): Herr Präsident! Republiken und innerhalb der Staaten des ehemali- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Nach- gen RGW. Sie stellen ein für die zukünftige Entwick- richten, die uns aus dem ehemaligen sowjetischen lung unverzichtbares und auch wertvolles Kapital dar, Imperium tagtäglich erreichen, zeugen von einer sich das unbedingt genutzt werden sollte. dramatisch zuspitzenden Lage, die es dringend erfor- Meine Damen und Herren, ebenso wichtig wie das derlich erscheinen läßt, daß sich die westlichen Indu- Ob von Hilfsmaßnahmen ist, wie die für Investitionen strienationen umgehend auf ein gemeinsames umfas- zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt werden. sendes Hilfsprogramm einigen. In Anbetracht der hier Die Erfahrungen, die wir in Deutschland bis heute noch bestehenden Differenzen begrüße ich es für die beim wirtschaftlichen Umbau in den neuen Bundes- CDU/CSU-Fraktion sehr — und ich stimme insoweit ländern sammeln konnten, geben dafür wichtige mit Herrn Erler voll und ganz überein — , daß im Deut- Orientierungspunkte. schen Bundestag eine weitgehende Übereinstim- mung über die Notwendigkeit rascher und durchgrei- Erstens. Die politische Ungewißheit um den zukünf- fender Hilfen — auch über Einzelheiten, wie Sie tigen Gang der Reformen muß schnellstmöglich besei- gleich noch sehen werden — besteht. tigt werden. Klare politische Zielvorgaben für die Ich glaube, ich kann im Namen aller Kolleginnen Schaffung der Voraussetzungen für eine funktionie- und Kollegen sprechen, wenn ich an dieser Stelle rende Marktwirtschaft sind für einen schnellen und auch der Bundesregierung für ihre intensiven Bemü- erfolgreichen Wandel unverzichtbar. Wir selbst konn- hungen danke, auf internationaler Ebene eine Eini- ten in den letzten Monaten erfahren, welche Schwie- gung in dieser Sache voranzubringen. rigkeiten bei der Schaffung marktwirtschaftlicher Strukturen in einem ehemals sozialistischen System (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie zu bewältigen sind. Unsere Erfahrungen sollten wir im bei Abgeordneten der SPD) Rahmen von Politikberatung weitergeben. — Auch Zugleich ist zu hoffen, daß diese Bemühungen bald hier besteht Übereinstimmung mit Ihnen, Herr Er- von Erfolg gekrönt sein werden. ler. Meine Damen und Herren, Hauptziel der wirt- Zweitens. Bis die Rahmenbedingungen fixiert sind, schaftlichen Hilfsmaßnahmen muß es sein, mit Hilfe sollte die internationale Förderung nur für im voraus zur Selbsthilfe die Sowjetunion und ihre Republiken bestimmte Projekte mit dem Ziel eingesetzt werden, in die Lage zu versetzen, so schnell wie möglich wirt- direkt und möglichst unmittelbar zur Stärkung der schaftlich gesunde Strukturen zu entwickeln, interna- wirtschaftlichen Leistungskraft beizutragen. Forde- tionale Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen und insbe- rungen anderer westlicher Staaten, die in diese Rich- sondere ihre natürlichen Ressourcen, allem voran die tung gehen und vor einem Faß ohne Boden warnen, Erdöl- und Erdgasförderung, deren Produkte ja direkt sind nicht aus der Luft gegriffen. weltmarktfähig sind, effizient und umweltgerecht zu nutzen. Darüber hinaus muß mit konkreter Management- der planmäßige und effiziente Von herausragender Bedeutung für den wirtschaft- unterstützung vor Ort Einsatz der Mittel gesteuert werden. Es könnte auch lichen Aufschwung der Länder in Osteuropa ist dar- über hinaus die Möglichkeit, für eigene Produkte Ab- daran gedacht werden — ich möchte das hier aus- satzmärkte zu finden, nicht nur im eigenen Land, son- drücklich anregen —, eine Art bilaterale Projektbe- dern auch außerhalb. Dies kann nur dann gelingen, treuungsgesellschaften zu gründen, die einzelne In- vestitionsprojekte über ihren gesamten Weg hinweg, wenn wir zum einen für Produkte aus diesen Ländern unsere Märkte öffnen und ihnen zugleich dabei hel- d. h. von der Planung über die Entscheidung, die Fi- fen, möglichst schnell Waren zu produzieren, die auf nanzierung und die Realisierung bis hin zur Markt- unseren Märkten wettbewerbsfähig sind; denn der reife, begleiten. Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft, die der Be- Drittens. Managerexport allein, meine Damen und völkerung eine ausreichende Lebensgrundlage bie- Herren, genügt auf lange Sicht jedoch nicht. Was die tet, ist ohne eine Integration dieser Länder in die ar- Länder Osteuropas zur Bewältigung der Umstellung beitsteilige Weltwirtschaft nicht möglich. Deshalb ihrer Volkswirtschaften auf eine marktwirtschaftliche sollte auch möglichst bald nicht nur ein Beitritt zum Ordnung benötigen, sind vor allem anderen eigene IWF und zur Weltbank, sondern auch zum GATT er- Manager. Dafür bedarf es normalerweise, um es mit folgen. Auch die Schuldendienstfähigkeit hängt ganz den Worten eines ehemaligen Bundeskanzlers zu sa- entscheidend von der Steigerung der Exporte ab. Nur gen, einer Nacht, einer Zeitspanne von neun Monaten durch sie können die dafür nötigen Devisen erwirt- und 40 Jahren Erfahrung. Aber so lange können wir schaftet werden. Ein neuer Handelsprotektionismus nicht warten. Deshalb müssen umfangreiche Know- auf seiten der westlichen Industrienationen wäre der how-Transferprogramme zur Vermittlung des erfor- falscheste Weg. Die Bundesregierung muß daher al- derlichen Managementwissens hinzukommen. Es len solchen Tendenzen mit Entschiedenheit entge- gilt, die Führungskräfte schnellstens für die Markt- gentreten. wirtschaft fit zu machen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Umgestaltungsprozeß in den Republiken der Dennoch, meine Damen und Herren, möchte ich vor Sowjetunion benötigt unsere Hilfe. Alle westlichen einer einseitigen Ausrichtung der Produktionsstruk- Industrienationen sind aufgerufen, im Rahmen ihrer turen und des Handels auf die westlichen Industriena- finanziellen Leistungsfähigkeit zu gemeinsamen An- tionen warnen. Ich stimme da mit Ihnen überein, Herr strengungen beizutragen, die den Übergang zu De- Erler. Wichtig ist auch der Erhalt der traditionellen mokratie und Marktwirtschaft in diesen Ländern zum Wirtschafts-, Kontakt- und Absatzwege zwischen den Ziel haben. Deutschland leistet bereits jetzt im Rah- 4864 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Dr. Rudolf Sprung men der Verwirklichung der deutschen Einheit, aber sten massive Finanzhilfe an die Sowjetunion leisten auch darüber hinaus einen wesentlichen Beitrag zur muß. Unterstützung des Reformprozesses. In diesem Zusammenhang muß aber auch in der Wir werden auch in Zukunft zu unserer internatio- Sowjetunion darauf hingewirkt werden, daß Investi- nalen Verantwortung stehen, verlangen aber auch tionen schwerpunktmäßig in produktiven Bereichen von den anderen Industrienationen, sich nicht länger erfolgen, da nur sie eine tragfähige Grundlage für mit verbalen Solidaritätsbekundungen zu begnü- eine Wende zum Besseren sein können. gen. Meine Damen und Herren, es darf auch nicht über- Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren. sehen werden, daß das Defizit im sowjetischen Staats- (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD haushalt bis Ende dieses Jahres etwa 210 Milliarden und dem Bündnis 90/GRÜNE) DM betragen wird; das geht aus einem Bericht des Finanzausschusses des Obersten Sowjet hevor. Es wird außerdem auf eine dramatische Verschlechte- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und rung der Außenhandelsbilanz seit Anfang dieses Jah- Herren, nächster Redner ist unser Kollege Gerhard res hingewiesen. Bei Finanztransfers in die Sowjet- Schüßler. union ist also äußerste Vorsicht geboten. Neben wirtschaftlichen Risiken gibt es erhebliche Zweifel an der politischen Stabilität in der Sowjet- Gerhard Schüßler (FPD) : Herr Präsident! Meine union. Auch daraus resultiert manches nur zaghafte sehr verehrten Damen und Herren! Die dramatische Engagement. Man kommt um die Feststellung nicht Beschleunigung des Umgestaltungsprozesses in der herum, daß die Leistungsbereitschaft des Westens, die Sowjetunion läßt viele Fragen unbeantwortet. Un- Bundesrepublik ausgenommen, bisher sehr gering zweifelhaft sind neue Anstrengungen unsererseits war. notwendig. Täglich hört und sieht man neue Forde- (Zuruf von der FDP: Das ist leider wahr!) rungskataloge sowie Aufhol- und Prognoseszenarien. Sie sind sehr oft von unrealistischen Annahmen über Bundesaußenminister Genscher hat davon gespro- die zukünftige Wirtschaftsentwicklung in der Sowjet- chen, daß sich das CARE-Programm durchaus be- union geprägt und meines Erachtens oft viel zu opti- währt habe, daß es aber nicht hinzunehmen sei, daß mistisch. die Bundesrepublik rund 40 % der Hilfen an die So- wjetunion aufbringe. Dem ist sicher nichts hinzuzufü- Wenn in den vorliegenden Anträgen die Rede da- - gen. von ist, daß die unbestritten notwendige Hilfe anders zu strukturieren ist als bisher, muß man beim Nach- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) denken darüber auch sagen, daß die wachstumshem- Unsere Hilfe für die Sowjetunion soll sicher nicht ver- menden Friktionen, die die Transformation der Plan- kleinert werden. wirtschaft in die Marktwirtschaft begleiten, ganz er- heblich unterschätzt werden. Niemand in diesem Hause wird bezweifeln, daß der Erfolg des Demokratisierungsprozesses in der Sowjet- (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Sehr rich union die entscheidende Voraussetzung für die wirt- tig!) schaftliche und politische Stabilität Gesamteuropas Die immer wieder genannten Zeithorizonte für den ist. Aufholprozeß sind an vielen Punkten nach meiner Überzeugung viel zu kurz angesetzt. (Beifall bei der FDP) Darüber hinaus ist es fraglich, ob finanzielle Mittel Die Sowjetunion und ihre Republiken müssen aber in den vorgesehenen Größenordnungen überhaupt auch selbst bessere Voraussetzungen für einen effi- effizient investiert werden können. Die Zielvorgaben zienten Einsatz des Auslandskapitals und aller Hilfen sind weitestgehend noch äußerst ambitiös. schaffen. Dazu wollen wir einen wesentlichen Beitrag leisten. Wir wissen, wir haben es mit einem dramatischen Zusammenbruch der wirtschaftlichen Strukturen in Erstens. Wir dürfen die Sowjetunion und ihre Repu- der Sowjetunion zu tun. Es kann überhaupt nicht in bliken nicht in Chaos und Hunger versinken lassen. Abrede gestellt werden, daß sich die alten, planwirt- Zweitens. Unsere Hilfe darf nicht zu einer auf Dauer schaftlich orientierten Strukturen nur sehr langsam angelegten Alimentierung der Sowjetunion führen. umstellen lassen. Verständlicherweise kann natürlich Sie muß immer Hilfe zur Selbsthilfe sein. eine öffentliche Diskussion über die Zahlungsfähig- keit oder die Kreditwürdigkeit der Sowjetunion nicht (Zustimmung bei der FDP) gerade sehr hilfreich sein. Dennoch ist klar — darauf Ungebundene Finanzhilfen sollten nicht erfolgen, da möchte ich ausdrücklich hinweisen — , daß die Ver- sie gegenwärtig gar nicht sinnvoll verwandt werden schuldungssituation der Sowjetunion auch Grenzen können. Wir müssen vorrangig immaterielle Hilfe lei- für zukünftige Kreditaufnahmen setzt. In der notwen- sten. digen Diskussion darüber darf das nicht mißachtet (Zustimmung bei der CDU/CSU) werden. Der Putschversuch im August dieses Jahres hat die Sie muß so angelegt sein, daß sie Wachstumsprozesse fördert und in Gang bringt. Gefährdungen des Reformprozesses in der Sowjet- union sehr deutlich gemacht. Inzwischen wächst auch Dringend erforderlich ist Hilfe bei der Privatisie- in den OECD-Ländern die Überzeugung, daß der We- rung der Landwirtschaft, Hilfe bei Transportwesen, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4865

Gerhard Schüßler Infrastruktur und Konversion und Hilfe bei der Mo- Müßten es deshalb nicht die Scham angesichts der dernisierung der Förderanlagen von Öl und Gas und deutschen Verbrechen — hören Sie zu — und die nicht zuletzt bei der Verbesserung der Sicherheit der Achtung vor der Würde der sowjetischen Völker ge- Kernkraftanlagen; das ist sicher ganz besonders in bieten, die UdSSR nicht nur in beträchtlichem Umfang unserem Interesse. zu unterstützen, sondern diese Hilfe auch als das zu Meine Damen und Herren, die Menschen in der benennen, was sie der Sachlage nach sein sollte, näm- Sowjetunion sind auf Marktwirtschaft und Demokra- lich nicht ein mehr oder weniger hohes Almosen, ge- tie nicht vorbereitet; sie bringen auch keine Voraus- währt aus humanitärem oder außenpolitischem setzungen dafür mit. Auch diese Feststellung ist ein Kalkül, sondern die Tilgung von Schulden und das Hinweis darauf, wo Hilfen dringend notwendig sind, Abtragen von Schuld? Müßte sich die Bundesregie- und macht die Dimension der Aufgaben deutlich, die rung daher nicht eigentlich zu der Verpflichtung be- wir zu bewältigen haben. kennen, Leistungen in noch zu vereinbarender Höhe aus diesem Grund zu erbringen? Müßte sie nicht offi- Es gibt auf sehr, sehr viele Fragen noch zuwenig ziell erklären, daß sie den seinerzeitigen Verzicht der Antworten. Wer wollte das leugnen? Die vorliegenden sowjetischen Regierung auf weitere Reparationen als Anträge implizieren vieles von dem, was aktuell not- großzügige und versöhnliche Geste zu würdigen wendig ist. Wir sollten sie gemeinsam in den Aus- weiß, schüssen sorgfältig beraten. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist ja Danke schön. nicht zu fassen!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) daß sie aber die Regierung der Sowjetunion und die Regierungen der Republiken einlädt, in Verhandlun- gen über die konkreten Inhalte eines solchen Vertra- ges einzutreten? Ich meine, das wäre der politische Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Rahmen, in dem die notwendige, umfassende Unter- Herren, nächste Rednerin ist die Frau Kollegin Andrea stützung in die richtigen historischen Koordinaten Lederer. einzubetten wäre. Dennoch: Die sowjetischen Völker bedürfen zwei- felsohne der umfassenden und sofortigen Unterstüt- Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! zung. Der Antrag der Koalitionsparteien bringt der Meine Damen und Herren! Die Besorgnis über die Sowjetunion außer warmen Worten und Absichtser-- tiefe politische, ökonomische und ökologische Krise klärungen nichts. Unterstützungsleistungen werden in der Sowjetunion und ihren Republiken ist allge- auf EG und Weltbank abgeschoben. mein; auch wir teilen sie. Allerdings gibt es auch Er- klärungen — wenn auch nicht heute — , die den Tri- (Manfred Richter [Bremerhaven] [FDP]: Wir umph über den Niedergang der realsozialistischen leisten nun doch wirklich viel! Das ist doch Weltmacht kaum verbergen können. Das ist beschä- nicht richtig, was Sie da sagen! — Heribert mend angesichts der leidvollen Geschichte, die die Scharrenbroich [CDU/CSU]: Sie lesen bei Sowjetunion und die Bundesrepublik verbindet. den Milliarden nur die Nullen!) — Herr Präsident, ich bin nicht bereit, mir weiterhin Ich möchte deshalb zunächst etwas zum politischen derartige Zurufe anzuhören. Rahmen von Unterstützungsleistungen sagen. (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP — Die Sowjetunion hat durch die deutsche Aggres- Manfred Richter [Bremerhaven] [FDP]: Das sion, deren Beginn sich am 22. Juni dieses Jahres zum müssen Sie wohl, wir sind hier nicht in der fünfzigsten Mal jährte, neben ungeheuren Verlusten Volkskammer! — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/ an Menschenleben auch materielle Schäden in über- CSU] : Wenn die Zurufe Sie stören, können haupt nicht zu beziffernder Höhe erlitten. Hierfür hat Sie sich ja setzen!) die Bundesrepublik bekanntlich niemals Reparations- leistungen erbracht. ( [CDU/CSU]: Aber die Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin, wir DDR!) sind hier in einem Parlament; Zurufe gehören dazu. Wenn sie überhand nehmen, schreite ich ein. — Sie — In der Tat, die DDR hat Reparationsleistungen er- bracht. haben das Wort. (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Ganz saftige ha ben die gezahlt!) Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Das wäre diese — Wären Sie vielleicht in der Lage, jetzt einmal zuzu- Woche schon mehrfach nötig gewesen. hören und mich nicht ununterbrochen durch Zurufe (Manfred Richter [Bremerhaven] [FDP]: Oh, zu unterbrechen? Ich wäre Ihnen sehr dankbar. was ist denn das für eine Art? — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ein Mimöschen! — (Gunnar Uldall [CDU/CSU]: Das war mein Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der erster Zuruf!) FDP) — Ich rechne die Zurufe Ihrer Kollegen in dieser Wo- Ausgerechnet unter dem Titel „Hilfe zur Selbst- che hinzu. Deswegen bitte ich Sie, jetzt zuzuhören. — hilfe" wird eine sogenannte Politikberatung vorge- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Gut, aber schlagen, die den Eindruck erweckt, als ginge es man muß die Wahrheit sagen!) darum, die sowjetische Wirtschaft und Gesellschaft 4866 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Andrea Lederer zum bloßen Abziehbild der hiesigen Verhältnisse zu In diesem Zusammenhang begrüße ich die beruhi- machen. genden Worte des Dresdner-Bank-Chefs Röller und Dem Antrag der SPD werden wir zustimmen. Die die klare Aussage des russischen Präsidenten Jelzin, Verwirklichung des Vorschlags zur Bildung eines so- gesamtschuldnerisch für die Verpflichtungen der So- wjetischen Projektförderrates ist ein überfälliger wjetunion einzustehen. Schritt. So wäre z. B. die Wiederbelebung der Bezie- (Zuruf von der SPD: Ist das Ihre einzige hungen zwischen den östlichen Bundesländern und Sorge?) den sowjetischen Republiken eine vorrangige Auf- gabe. Wir schlagen daher vor, die Treuhand zu beauf- — Das ist nicht meine einzige Sorge. Ich komme tragen, unverzüglich ein umfassendes Programm zur gleich dazu. Dann werden wir sehen, was uns hier Sanierung und Förderung solcher ostdeutscher Be- verbindet. — Ich fand übrigens Ihre Aussagen sehr triebe vorzulegen, die im Handel und in der Wirt- beachtlich. schaftskooperation mit der Sowjetunion über Erfah- (Zuruf von der SPD: Danke schön!) rungen verfügen. Dies wäre für beide Seiten von Nut- zen. Abgesehen davon würde die Treuhand ihrem Das bringt endlich wieder die nötige Ruhe und Si- Namen dann vielleicht endlich einmal gerecht wer- cherheit. Die brauchen wir ; denn das ist lebensnot- den. wendig für die Kreditwürdigkeit eines Landes. Geld ist bekanntlich so flüchtig wie ein scheues Reh. Man Darüber hinaus sind erste Initiativen zur Umschu- kann eine Krise auch herbeireden — das kennen wir lung von Angehörigen der Westgruppe der sowjeti- ja aus der Vergangenheit — , und dann verliert ein schen Streitkräfte in qualifizierte zivile Berufe aufzu- Partner seine Bonität. greifen, gerade in den Bereichen der Wirtschaft und des Finanzwesens. Hierbei ist natürlich festzuhalten, daß die Deutsche Bank, weitere Bankinstitute in der Bundesrepublik Wenn die Hilfe wirksam sein soll, dann darf sie nicht und natürlich auch der Bund ein nicht unerhebliches in Siegerpose erfolgen. Wer es mit der Förderung der Risiko tragen; denn sie leisten mehr als die Hälfte aller sowjetischen Wirtschaft ernst meint, müßte dann al- Hilfen für die Republiken der Sowjetunion. lerdings auch Bedingungen schaffen, unter denen sich das Land von der Last der Rüstungsausgaben Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine ganz persön- befreien kann. Der Kurs der NATO hingegen, die liche Bemerkung. Ich bin über dieses Engagement Fortsetzung des qualitativen Rüstungswettlaufs und froh. Ich bin froh darüber, daß gerade wir Deutschen der hochtechnologischen Modernisierung der Streit- diese herausragende Rolle spielen; denn wir haben- kräfte, die Betrachtung der Sowjetunion als Risiko- hier noch eine Bringschuld abzutragen. zone, der es potentiell auch militärisch zu begegnen (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der gelte, läuft dem allerdings zuwider. SPD) Ich danke. In diesem Zusammenhang dürfen natürlich auch (Beifall bei der PDS/Linke Liste — Manfred nicht die vielen Hilfsmaßnahmen der Organisationen Richter [Bremerhaven] [FDP]: Die Rede und einzelner Bürger vergessen werden, die einen wurde, obwohl von Zurufen nicht unterbro maßgeblichen Beitrag zur Überwindung des Versor- chen, nicht besser!) gungsengpasses im vergangenen Winter geleistet ha- ben und in diesem Winter wahrscheinlich wieder ver- stärkt leisten müssen. Vizepräsident Helmuth Becker: Als nächster hat un- ser Kollege Wolfgang Schulhoff das Wort. (Siegfried Vergin [SPD]: Wir sind schon da bei!)

Wolfgang Schulhoff (CDU/CSU): Herr Präsident! — Und zum Glück sind wir schon dabei. — Der damit Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kata- zum Ausdruck gekommene Solidaritätsbeweis, spon- strophenmeldungen über eine drohende Zahlungsun- tan, von Mensch zu Mensch, über alle Grenzen hin- fähigkeit der Sowjetunion durch den Vorstandsspre- weg, ohne Ressentiments und Vorurteile zu helfen, cher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, geben die- war ein Symbol und ein Zeichen des friedlichen Mit- ser Debatte eine ganz besondere Note und Aktualität. einander in Europa, viel beispielhafter vielleicht als Ich frage mich: Was veranlaßt einen so erfahrenen das, was die Regierungen tun. Es war ein Zeichen Mann, derartiges zu tun? Er hat doch schon während praktizierter Versöhnung. der Weltwährungskonferenz feststellen müssen, wel- Jetzt, meine sehr verehrten Damen und Herren, che Irritationen seine Aussagen hinsichtlich des deut- müssen wir auch verstärkt der sowjetischen Bevölke- schen Kreditrisikos gegenüber den sowjetischen Re- rung in der schwierigen Phase des Übergangs von der publiken auslösten. Dies geschieht ausgerechnet in Planwirtschaft zur Marktwirtschaft helfen. einer Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, in der international das Vertrauen in die D-Mark, wie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie wir sehen konnten, wieder erkennbar gewachsen ist. bei Abgeordneten der SPD) Alle Skeptiker haben zwischenzeitlich nämlich be- Gerade der Übergangsprozeß mit den zwangsläufig griffen, daß wir uns mit unserem Engagement für die auftretenden Friktionen - wir sehen es doch in unse- fünf neuen Bundesländer nicht übernehmen werden, rem eigenen Land — bei dem Nichtvorhandensein weil wir unsere Konsolidierungspolitik konsequent marktwirtschaftlicher Strukturen muß abgefedert weiterbetreiben werden. werden, wobei uns allen klar sein muß, daß es „ein (Beifall bei der CDU/CSU) bißchen Marktwirtschaft" nicht gibt. Es muß vielmehr Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4867

Wolfgang Schulhoff eine Wirtschaftsordnung sein, die auf Freiheit und die hoffentlich so schnell wie möglich aufgenommen Eigentum an den Produktionsmitteln beruht, werden. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dabei sollten wir von Anbeginn an berücksichtigen, ein in sich schlüssiges und stimmiges ordnungspoliti- daß es traditionelle Ängste in Polen und in anderen sches Konzept. Der Ruf nach Sozialer Marktwirtschaft Nachbarländern gibt, daß die Unterstützung dieser allein genügt nicht; sonst wird Planwirtschaft nur Länder wegen der Probleme in den Sowjetrepubliken durch Anarchie ersetzt, weil man nichts tut und alles vernachlässigt werden könnte und sich deutsch-russi- dem Zufall überläßt. Dann ist mir eine Zentralverwal- sche Vorzugsbedingungen entwickeln könnten. Un- tungswirtschaft bzw. Planwirtschaft lieber, weil sie bedingt notwendig ist es also, die Hilfe für die ehema- zumindest die Grundversorgung weitgehend sichern lige Sowjetunion konzeptionell in ein Entwicklungs- kann. programm für ganz Osteuropa einzubinden. Das kann natürlich nicht von der Bundesrepublik allein Sie sehen, Herr Kollege Erler: Das ist keine Ver- bewältigt werden. Jeder weiß, daß die Mittel nicht harmlosung, sondern das ist ganz bitterer Ernst, der unbegrenzt zur Verfügung stehen. Alle reichen Län- uns hier erwartet, und da folge ich auch Ihren Ausfüh- rungen. Es darf nicht dazu kommen, daß man wieder der des Westens sind gefordert. nach dem starken Mann ruft. Es darf nicht dazu kom- (Beifall bei der FDP) men, daß die Menschen über ihren Hunger den Wert der errungenen Freiheit vergessen. Es bleibt aber dabei, daß sich die Bundesrepublik auf ganz besondere Weise verpflichtet fühlen und die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Initiative ergreifen sollte. Deshalb brauchen die Republiken der Sowjetunion Aus den vorliegenden Anträgen wird noch nicht jetzt auch verstärkt internationale Hilfe aller Indu- ganz klar, wer eigentlich die Adressaten westlicher strieländer. Wir allein würden uns damit maßlos über- Hilfeleistungen sein sollen. Die fruchtlose Geldver- nehmen; denn wir dürfen nicht wieder in eine Phase gabe an die alte Sowjetunion, die entweder versan- deutscher Politik geraten, in der man die Belastbarkeit dete oder sogar half, die alten Strukturen an der der Wirtschaft und der Bürger zum Gegenstand eines Macht zu halten, darf jetzt nicht auf der Ebene der politischen Disputs mit dem Ergebnis von Minus- Republiken wiederholt werden. wachstum und Inflation macht; Begriffe, meine sehr verehrten Damen und Herren, die wir zum Glück (Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) durch unsere Politik vergessen konnten. In dem Antrag wird positiv auf die Hilfsaktion des In dem Zusammenhang erinnere ich an die mah- letzten Winters bezug genommen. Ich denke auch, nenden Worte des Gutachtens der Fünf Weisen, das daß z. T. sinnvolle Hilfe geleistet wurde und daß es uns gestern auf den Tisch gelegt wurde. Wir dürfen sehr eindrucksvoll war, wie sich viele Deutsche daran uns bei allem, was wir tun, nicht übernehmen; denn beteiligten. wir haben ja noch eine Verpflichtung gerade unseren fünf neuen Ländern gegenüber: die Lebensverhält- Andererseits kennen wir aber auch die Berichte nisse so schnell wie möglich anzugleichen. darüber, daß Päckchen in Armeebeständen gelagert wurden oder vom KGB oder von Mafia-Gruppen ent- Ich will damit nicht abschwächen, sondern die gegengenommen wurden, daß sich einzelne berei- Grenzen aufzeigen, in denen wir den Republiken der cherten und daß mitunter auch unsinnige Lieferungen Sowjetunion — wie auch immer sie in Zukunft heißen kamen. Bei der großen Vielfalt von Hilferufen, die uns mögen — und natürlich auch den anderen nach Hilfe alle erreichen, sollten unsere Erwägungen vor allem rufenden osteuropäischen Nachbarstaaten, die wir dahin gehen, zum einen die wirklich Bedürftigen auf nicht vergessen dürfen, helfen können und auch hel- ganz direkte Weise zu unterstützen und zum anderen fen müssen. Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten; ein Begriff, den der Deshalb begrüße ich die vorliegenden Anträge, die Bundeskanzler gern benutzt, der dadurch aber nicht wir intensiv und schnell beraten müssen, damit die weniger richtig wird. Hilfe nicht zu spät kommt. (Lachen bei der FDP — Zurufe von der FDP: Ich danke Ihnen. Was für eine Logik!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Die Hilfe sollte vor allem für ganz konkrete Projekte bei Abgeordneten der SPD) und Initiativen gegeben werden, und die Empfänger sollten in die Lage versetzt werden, die Resultate un- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und mittelbar und ganz persönlich zu erleben. Herren, nächster Redner ist unser Kollege Gerd Lassen Sie mich je zwei Beispiele nennen: Hilfe für Poppe. in besonderem Maße Bedürftige könnte an das Mins- ker Komitee „Kinder von Tschernobyl" oder über Gruppen von „Memorial" oder über andere Organisa- (Bündnis 90/GRÜNE) : Herr Präsident! Gerd Poppe tionen an notleidende Opfer des NS-Regimes und des Meine Damen und Herren! Auf Grund der dramati- Stalinismus geleistet werden. schen Situation in der ehemaligen Sowjetunion ist die schnelle und unbürokratische Hilfeleistung ganz Neulich wurde mir berichtet, daß eine größere An- sicher ein äußerst dringliches Thema für den Deut- zahl ehemaliger KZ-Häftlinge und anderer NS-Opfer schen Bundestag. Die Kürze der Zeit, die uns dafür in Moldawien, die vor allem in der Zeit leiden mußten, heute zur Verfügung steht, erlaubt allerdings nur, ei- als sich Rumänien mit dem NS-Regime verbündete, in nige Anstöße für die Ausschußberatungen zu geben, entsetzlicher Not leben und sich aus Deutschland ein 4868 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Gerd Poppe oder zwei Lkw voller Kartoffeln für diesen Winter beim Bundesminister für Wirtschaft, Klaus Beck- wünschen. Das klingt wie eine Lappalie, ist aber bit- mann. terer Ernst. Nun zwei Beispiele für Hilfe zur Selbsthilfe: Das könnte u. a. eine Demokratisierungshilfe sein, die die- sen Namen verdient. Bisher war das ja eher ein nebu- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär beim Bun- löser Begriff im Rahmen der Ausstattungshilfe. Er desminister für Wirtschaft: Herr Präsident! Meine sehr könnte z. B. in den neuen Parlamenten zum Leben verehrten Damen! Meine Herren! Ich denke, es ist gut, daß ein breiter Konsens in der Frage der erweckt werden. Da wäre auch ein sehr direkter Be- Hilfelei- stung zug zum Bundestag herstellbar. der Bundesrepublik Deutschland und ihrer westlichen Partner für die Sowjetunion beziehungs- Zweitens geht es um ein Hilfeersuchen, das von den weise für ihre Republiken besteht. Dabei geht es ne- kleinen Völkern des Nordens kommt. Das sind 26 uns ben der Finanzhilfe im wesentlichen um zwei Katego- bisher kaum dem Namen nach bekannte Völker, die rien der Unterstützung, nämlich die kurzfristige Hilfe in ihrer Existenz oder sogar vom Aussterben bedroht zur Behebung des akuten Versorgungsnotstandes der sind, z. B. die Kewongun, die zum Volk der Niwchi Bevölkerung und die längerfristig wirkende Hilfe zur gehören. Sie konnten jetzt, im Herbst 1991, 30 Jahre Selbsthilfe. nach ihrer Zwangsumsiedlung, in ihre Heimat auf Im Bereich der Sachalin zurückkehren. Nun brauchen sie Holzhäu- kurzfristigen Versorgungshilfe ste- ser, eine Anlage zum Salzen und Räuchern von Fi- hen nach den bilateralen Hilfsaktionen des vergange- schen, eine kleine Fischkonservenlinie, ein Fang- nen Winters für uns jetzt die Programme der Europäi- schiff, Fangnetze und Reusen, Boote, Außenbordmo- schen Gemeinschaft im Vordergrund die seit Ende toren, eine Kühlanlage, Schneefahrzeuge, Lkw und 1990 auf den Weg gebracht wurden und mittlerweile anderes mehr. Sie sind unglaublich motiviert und rund 4 Milliarden DM umfassen. Hier hat sich gezeigt, stecken voller Ideen. Sie könnten sich Hilfe in Form daß die Abwicklung Schwierigkeiten bereitet. Die eines Joint-venture-Abkommens oder auch in Form Bundesregierung hat sich deshalb bereit erklärt, das längerfristiger Kredite vorstellen. Sie wollen also nicht bei uns vorhandene Know-how — vor allem im Be- unbedingt etwas geschenkt erhalten. Der Präsident reich der Transport- und Verteilungslogistik — anzu- der Vereinigung der sowjetischen Völker des Nor- bieten und die Dienststellen der Europäischen Ge- dens, Vladimir Sanghi, hat mich gebeten, den Deut- meinschaft aktiv zu unterstützen. Die Nahrungsmit- schen Bundestag um Unterstützung zu ersuchen, was telhilfe kommt im übrigen indirekt auch anderen mit- ich hiermit tue. tel- und osteuropäischen Staaten zugute, da die So- wjetunion einen erheblichen Teil der ihr zur Verfü- Ich könnte mir gut vorstellen, daß wir uns in den gung gestellten Gelder — bis zu 50 % — für Nah- Ausschüssen und Unterausschüssen intensiv solchen rungs- und Medikamentenkäufe in diesen Ländern Projekten widmen, beispielsweise auch in Anhörun- verwenden kann. gen, an denen neben Hilfsorganisationen auch die Vertreter derartiger Initiativen teilnehmen und denen Neben diesen kurzfristigen Hilfsmaßnahmen, die auch Empfehlungen an die Bundesregierung folgen nur vorübergehend zur Behebung akuter Notlagen könnten. ergriffen werden, ist die längerfristige Hilfe zur Selbsthilfe in Form der sogenannten technischen Abschließend noch eine Bemerkung: Geld ist sicher Hilfe von vorrangiger Bedeutung. ein gutes Hilfsmittel, wenigstens dann, wenn es an die richtige Adresse kommt. Aber Geld regelt nicht al- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) les. Technische Hilfe bedeutet in diesem Zusammenhang (Zuruf von der FDP: Sehr wahr!) vor allen Dingen die Übertragung von marktwirt- schaftlichem Know-how, und zwar einmal auf makro- Mehr Geld ist nicht automatisch gleichbedeutend mit ökonomischer Ebene, insbesondere durch wirt- mehr Hilfe. schaftspolitische und wirtschaftsrechtliche Beratung, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und zum anderen auf mikroökonomischer Ebene, ins- der FDP) besondere durch betriebsbezogene Fördermaßnah- men. Den Hilfsbedürftigen in allen Regionen und auf allen Ebenen wäre auch damit sehr gedient, daß Menschen Ziel dieser Maßnahmen ist es, einerseits ein investi- aus dem Westen zu ihnen kommen und sich vor Ort tionsfreundliches legislatives und administratives mit ihren Problemen beschäftigen, eigene Erfahrun- Umfeld zu schaffen und andererseits die Betriebe zu gen und das nötige Know-how vermitteln. wettbewerbsfähigen und effizienten Produktionsein- Ich hatte in meinen Gesprächen den Eindruck, daß heiten umzugestalten. sich viele Menschen in der früheren Sowjetunion sol- Dabei stehen die Privatisierung der Staatsunterneh- che Besuche aus Deutschland sehr wünschen, und ich men, die Dekonzentration der unternehmerischen hoffe auf die Bereitschaft dazu im ganzen Hause. Entscheidung und der Aufbau eines aktiven Mittel- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP stands im Produktions- und Dienstleistungsbereich im und der PDS/Linke Liste) Vordergrund. Die Bundesregierung hat die Notwen- digkeit dieser Art der technischen Hilfe frühzeitig er- kannt und eine Reihe von einschlägigen bilateralen Programmen aufgelegt, u. a. im Bereich der Ausbil- Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt das dung von Managern und der Beratung von Unterneh- Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär men. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4869

Parl. Staatssekretär Klaus Beckmann Das Interesse der sowjetischen Seite an diesen Pro- begonnenen Dialog fortzusetzen und weitere Maß- grammen ist so groß, daß die Nachfrage auf Grund der nahmen zur Unterstützung des Reformprozesses zu begrenzten Haushaltsmittel bei weitem nicht befrie- konkretisieren. digt werden kann. Als gastgebendes Land ist Deutschland in besonde- Auch die Europäische Gemeinschaft hat — nicht rer Weise gefordert, an der im globalen westlichen zuletzt auf unser Drängen hin — ein umfangreiches Interesse liegenden Stabilisierung der Sowjetunion technisches Hilfsprogramm aufgelegt; dies Pro- und ihrer Republiken mitzuwirken. Die Bundesregie- gramm, das allein für 1991 mit rd. 800 Millionen DM rung ist daher bestrebt, in Abstimmung mit ihren ausgestattet ist, stößt bei deutschen Unternehmen und westlichen Partnern Vorschläge vorzulegen, wie die Institutionen auf größtes Interesse. krisenhafte Entwicklung in der Sowjetunion als Folge der politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen in Die offene Informationspolitik der Bundesregierung erster Linie durch langfristig wirkende wirtschaftliche in einem frühen Stadium der Programmplanung hat Förderungsmaßnahmen überwunden werden kann. dazu beigetragen, daß der größte Teil der Projektvor- schläge für die Vergabe der Haushaltsmittel 1991 von Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemein- deutschen Unternehmen eingereicht wurde. sam daran arbeiten. Vielen Dank. Es liegt nun auf der Hand, daß bilaterale und auch EG-Programme an die sich rasch verändernden politi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) schen und wirtschaftlichen Bedingungen in der So- wjetunion angepaßt werden müssen. Es ist insbeson- Meine Damen und dere auch der Tatsache Rechnung zu tragen, daß die Vizepräsident Helmuth Becker: Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Dr. Uwe Republiken in Zukunft eine weit stärkere Rolle spie- Jens das Wort. len werden als bisher. Deshalb müssen, meine Damen und Herren, neue Strukturen der Zusammenarbeit geschaffen werden, die der Regionalisierung der Ent- Dr. Uwe Jens (SPD): Herr Präsident! Meine sehr scheidungsprozesse Rechnung tragen. Auch insoweit verehrten Damen und Herren! Ich fand es schon be- hat die Bundesregierung bereits Maßnahmen in die merkenswert, daß bei den verschiedenen Reden — Wege geleitet; z. B. hat der Bundeswirtschaftsminister das kommt ja nicht alle Tage vor — auf beiden Seiten mit der Regierung der Russischen Föderation verein- Beifall gespendet wird. Das ist ein gutes Zeichen. bart, ein permanentes Beratungsgremium — also ei- nen runden Tisch — zur Begleitung des wirtschaftli- (Gerlinde Hämmerle [SPD]: Freitags immer - chen Umstrukturierungsprozesses in Rußland einzu- so!) richten. — Freitags immer so? — Vielleicht liegt es auch am Thema. Zusätzlich hat sich die Bundesregierung bereit er- klärt, der Russischen Föderation kurzfristig Experten (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Und an zur Verfügung zu stellen, die sie bei der Reform der den Rednern!) Wirtschaftsgesetzgebung beraten. Ich wollte meinem Kollegen Gernot Erler Dank sa- gen; denn er hat diesen Antrag in der SPD-Fraktion Ebenfalls neu ist eine Expertengruppe „Öl und initiiert und ihn wohl relativ schnell durch die Fraktion Gas" mit Vertretern der deutschen Wirtschaft, der gebracht. Wenn ich das richtig sehe, Herr Sprung, Union sowie der Republiken. Ihr Schwerpunkt liegt läge Ihr Antrag heute nicht vor, wenn der Antrag der bei der Schaffung der erforderlichen tatsächlichen SPD-Fraktion nicht schon auf dem Tisch gelegen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die Berei- hätte. che Exploration, Förderung und Transport von Öl und Gas sowie für die Erarbeitung konkreter Projekte. Be- (Heribert Scharrenbroich [CDU/CSU]: Dafür kanntlich, meine Damen und Herren, ist dieser Sektor gibt es keinen Beifall! — Heiterkeit) für die Sowjetunion von ganz besonderer Bedeutung, — Nein, nein, natürlich nicht. weil sie hier kurzfristig die Möglichkeit hat, ihre Devi- Ich habe sogar davon gehört, daß Sie intensiv über- sensituation durch eine Steigerung der Exporte zu legt haben, ob Sie — das wäre eine große Leistung verbessern. gewesen — nicht doch einmal unserem Antrag hätten Darüber hinaus wird das bestehende Handelsförde- zustimmen können. rungsinstrumentarium durch die Einrichtung von Bü- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Nach ge ros von Delegierten der deutschen Wirtschaft erwei- nauer Überprüfung war das doch nicht mög tert. In Kürze wird in St. Petersburg ein Büro eröffnet. lich!) Die Eröffnung von Büros in Kiew, Moskau und Minsk Aber das klappte dann wohl doch nicht. Sie mußten befindet sich in der Planung. Diese Büros können zu den eigenen machen, der nun auf dem Tisch liegt. einem späteren Zeitpunkt in bilaterale Außenhan- delskammern umgewandelt werden. Aber es ist schön, daß wir wenigstens in den Grund- ansätzen weitgehend Konsens haben. Mir kommt Meine Damen und Herren, neben diesen bilatera- aber unwillkürlich das Wort in den Kopf: Der Worte len Maßnahmen wird die Bundesregierung ihre kon- sind eigentlich genug gewechselt; nun laßt uns end- zeptionelle und finanzielle Zusammenarbeit mit den lich Taten sehen. G-7-Partnern weiterführen. Auf dem Weltwirtschafts- gipfel 1992 in München wird die Zusammenarbeit mit (Beifall bei der SPD) der Sowjetunion ein besonderer Schwerpunkt sein. Es Nach den lautstarken Ankündigungen auch von wird darum gehen, den auf dem Gipfel in London Präsident Bush — der kommt ja in seinem eigenen 4870 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Dr. Uwe Jens Land nicht zurecht — , aber auch von Bundeskanzler Dazu gehören — zumindest aus meiner Sicht — drei Kohl, Bundesminister Genscher und Herrn Wissmann, große wichtige Bereiche: den ich hier vermisse, muß jetzt endlich wirklich ge- Erstens. Die UdSSR braucht eine solide Währung. handelt werden. Lassen Sie uns dafür sorgen, daß Das Geld muß wieder Wertmaßstab und Tauschmittel möglichst bald etwas zustande kommt, daß mehr ge- werden. Die Notenpresse in der UdSSR muß sofort macht wird als bisher. eingestellt werden. Man muß für Geld Waren kaufen Geben wir uns keinen Illusionen hin. Ich behaupte: können. Man muß nicht etwa auf Grund von Bezugs- Der Transformationsprozeß in der ehemaligen UdSSR scheinen, sondern mit Geld Waren kaufen können. führt nicht von alleine zur Demokratie und auch nicht Zweitens. Der Aufbau der dezentralen Institutionen zur Marktwirtschaft. Richtig ist nur, daß ein kommu- verlangt nach klaren Verantwortungs- und Eigen- nistisches System abgelöst wird. Aber was daraus tumsverhältnissen. Ich bin nicht der Meinung, daß wird, ist, so glaube ich, noch völlig offen. das immer unbedingt Privateigentum sein muß. Es Ein Zweites: Aus freien Wahlen hervorgegangene kann auch genossenschaftliches Eigentum sei. Es gibt politische Führer in der ehemaligen UdSSR sind zwar verschiedene andere Formen von Eigentum. Aber die mit Sicherheit antikommunistisch, aber sie sind noch Verhältnisse müssen klar sein. Jeder muß wissen, wo- keineswegs gute Demokraten. rüber er zu entscheiden hat. Das ist ganz wichtig. Die Verantwortung für die Lösung wichtiger gesamtwirt- Die Kernaussagen der beiden Anträge von SPD und schaftlicher Probleme muß ebenfalls dezentral sein CDU/CSU und FDP müssen, wie ich das eben schon und auf neue Entscheidungsträger übertragen wer- andeutete, schnellstens und ohne Verzögerung in die den, wie bei uns z. B. auf die Tarifvertragsparteien. Realität umgesetzt werden. Das hat sich bewährt. Ich wiederhole, was schon gesagt worden ist: Die Drittens. Schließlich geht es um die Umgestaltung Deutschen als direkte Nachbarn haben ein unmittel- der realwirtschaftlichen Verhältnisse en détail. Die bares Interesse daran, daß sich dort Demokratien mit großen Konzerne sind in kleine, überschaubare Wirt- dezentraler Wirtschaftsordnung entwickeln. Auf schaftseinheiten zu überführen. Die Infrastruktur im deutschem Boden stehen noch immer Hunderttau- weitesten Sinne muß erheblich verbessert werden. sende sowjetischer Soldaten. Aber nachdem wir jah- Die Umschulung und Qualifizierung von Arbeitneh- relang Milliarden DM für Rüstung ausgegeben haben, mern und Management für eine marktwirtschaftliche können wir jetzt endlich, wenn wir helfen, in friedens- Ordnung wird aber Jahre — ich sage sogar: Jahr- fähige Strukturen investieren. Das ist so unwahr- zehnte — dauern. Herr Schulhoff hat das angespro- scheinlich wichtig. chen. (Zustimmung bei der SPD) Aber auch Panikmache über die Kreditfähigkeit der Schließlich: Wenn es gelingt, den Menschen im UdSSR ist aus meiner Sicht völlig unangebracht. Osten bald gewisse Hoffnungen zumindest auf eine (Zustimmung bei der CDU/CSU) Besserung ihrer wirtschaftlichen Situation zu geben, Ich muß Herrn Röller wegen seiner beruhigenden wird der Ansturm auf die Bundesrepublik Deutsch- Worte sehr loben und habe Herrn Kopper solche un- land nicht beginnen. qualifizierten Aussagen eigentlich nicht zugetraut. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Das ist (Wolfgang Schulhoff [CDU/CSU]: Ich auch wahr!) nicht!) Wenn wir nicht wirksam helfen, steht aber die Auf- Aber ich bin zuversichtlich, meine Damen und Her- nahme von Millionen Flüchtlingen unmittelbar bevor. ren — da müssen Sie mithelfen —, daß die G-7- Das Problem, was wir dann zu bewältigen haben, wird Gruppe, die sich am 17. November in Moskau trifft, unvergleichlich viel größer als das Problem sein, was die Situation real einschätzt. Wenn sie helfen muß, wir jetzt mit den Asylbewerbern haben. muß sie auch helfen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Manfred Richter [Bremerhaven] [FDP]: Das der CDU/CSU — Gunnar Uldall [CDU/CSU]: ist richtig!) Sehr richtig! — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/ Was mir Sorgen macht, ist folgendes. Wir Deutschen CSU]: Sehr realistisch! Deshalb sollten wir sind in der Tat — das läßt sich nicht leugnen; das kann auch den Art. 16 weiterentwickeln!) man leicht nachweisen — der große Geldgeber. Wer Bei allen guten Absichten dürfen wir selbstver- wollte das bezweifeln? Aber wir sind, Herr Staatsmi- ständlich keine falschen Hoffnungen wecken. Das ha- nister, leider nur ein ganz, ganz kleiner Ratgeber. ben wir heute auch nicht getan. Die Bundesrepublik Wenn ich erlebe, wie Herr Geoffrey Sachs in Polen und alle großen Industrienationen zusammen können und in der UdSSR herumsaust, dann weiß ich nicht, ob Demokratie und Marktwirtschaft in der ehemaligen er den Betroffenen immer die guten und die richtigen UdSSR nicht einführen, sage ich. Wir können nur Hilfe Ratschläge gibt, die sie eigentlich brauchen. Ich leisten. Das Schlagwort Hilfe zur Selbsthilfe ist schon glaube, auf Grund unserer Erfahrungen könnten wir genug gebraucht worden; ich wiederhole es gerne. ihnen manchmal bessere Ratschläge erteilen. Wir müssen helfen. Dabei sind wir verpflichtet, auf Was wir kurzfristig für notwendig halten, fasse ich die wichtigsten Maßnahmen hinzuweisen und den zusammen. Ich glaube, wir brauchen zwar verschie- Weg zur Transformation einer zentralen Verwaltungs- dene Maßnahmen; aber wir brauchen auch mehr Ko- wirtschaft in eine dezentrale, ökologisch orientierte operation, eine Zentralisierung. Wir brauchen klare Marktwirtschaft aufzuzeigen. Anlaufstellen. Man muß drüben wissen, wohin man Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4871

Dr. Uwe Jens sich wenden kann. Das scheint mir furchtbar wichtig festgestellt. Das ist der genaue Grund, weshalb wir zu sein. In unserem Antrag sind solche Anregungen ja heute die Bundesregierung erneut drängen. Sie soll enthalten. Aber ich meine, auch der Vorschlag von einen Teil dieses Drängens auch auf andere große Herrn Liebahn, Deutsche Bank, ist nicht so ohne wei- Industrienationen, wie die USA und Japan, weiterlei- teres vom Tisch zu wischen: ein deutsch-sowjetisches ten. Aber lassen Sie uns gemeinsam, vielleicht auch Expertenteam, gewissermaßen ein gesamtwirtschaft- mit Hilfe einer kleinen parteiübergreifenden Arbeits- liches Kooperationsbüro; nicht etwa in Düsseldorf gruppe, an die Arbeit gehen, um konkrete Maßnah- — das ist ja grotesk — , sondern wenn, dann, bitte men für die UdSSR zustande zu bringen. sehr, in Moskau. Schönen Dank. Wir brauchen einen Förderrat, wie es in unserem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Antrag steht, für einzelwirtschaftliche Projekte, der der CDU/CSU und der FDP) sich insbesondere um Joint-ventures kümmert, aber auch um die Umstrukturierung der sowjetischen Be- triebe bemüht. Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und Herren, ich erteile jetzt unserem Kollegen Ulrich Wir brauchen vor allem Ausbildungshilfe für junge Schmalz das Wort. Leute, für junge Wirtschaftler und für jene, die von den Universitäten kommen, die Marktwirtschaft ler- nen müssen. Ulrich Schmalz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ironische Zitat Ich halte es nicht für gut, daß diese Hilfen sowohl von Kurt Tucholsky: „Wir tun so, als ob wir etwas auf das Auswärtige Amt als auch auf das Bundesmi- täten" ist auf die Osteuropahilfe der Bundesrepublik nisterium für Wirtschaft verteilt und damit — das Deutschland nicht anwendbar. Deutschland hat sage ich einmal — zersplittert sind. Es wäre viel sinn- — dies ist bereits ausführlich dargestellt worden — voller, wenn wir die Hilfen im Bundesministerium für schnell, umfassend und wirksam seine historische Wirtschaft — das ist nun einmal, Herr Staatsminister, Rolle im politischen und ökonomischen Verände- das zuständige Ministerium für Marktwirtschaft — rungsprozeß in Osteuropa und in der Sowjetunion konzentrierten. Lassen Sie uns das machen! Das war wahrgenommen. Dies war eine politische Bringschuld schon unser Vorschlag im Wirtschaftsausschuß des und bleibt eine Aufgabe deutscher Politik; denn die Deutschen Bundestages. Es darf da keine Zersplitte- Schaffung ordnungspolitischer Rahmenbedingungen rung geben. zur Herbeiführung marktwirtschaftlicher Strukturen hat auch eine friedenstiftende Wirkung in Osteu- Ansonsten können meinetwegen die GTZ, die Carl- ropa. Duisberg-Gesellschaft oder die Universitäten helfen. Aber die Institutionen Förderrat und Kooperationsrat (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) müssen darüber Bescheid wissen. Sie müssen die Der Antrag der Koalition ist überschrieben: „Hilfe Kontakte mit der UdSSR oder den Republiken aufneh- zur Selbsthilfe für die Sowjetunion und ihre Republi- men, um wirksam zu helfen, damit nicht gegeneinan- ken". Das heißt, unsere Überlegungen gehen davon der, sondern konzentriert für die eine Sache gearbei- aus, daß die geldliche Hilfe eine Sache ist, daß aber tet wird. Alle diese Beratungshilfen wären kostenlos viel wichtiger für das Gelingen dieses gigantischen und längerfristig — nicht etwa nur für ein Jahr — zur Veränderungsprozesses ist, den politischen Demo- Verfügung zu stellen. kratisierungsprozeß zu fördern, Zu dem, was wir bereits machen können, Herr (Beifall bei der CDU/CSU) Sprung, gehört eine völlige Öffnung der Märkte für den Aufbau von Selbstverwaltungskörperschaften zu sowjetische Produkte, so daß man es den Sowjets begünstigen, die Entflechtung großbetrieblicher ermöglicht, Devisen zu erwirtschaften, technische Strukturen, die Privatisierung bisheriger Staatsbe- Hilfe, aber auch Hilfe bei der Rohstofförderung zur triebe zu unterstützen und das Entstehen neuer mit- Steigerung der Produktivität und damit zur Steige- telständischer Unternehmen durch den Einsatz vor- rung der Devisenerlöse. Diese Maßnahmen sind drin- handenen Know-hows bei der Beratung zu fördern. gend erforderlich. Der Übergang von der Kommandowirtschaft zu Die Bundesregierung muß international verstärkt westlich orientierten marktwirtschaftlichen Struktu- darauf drängen, die Restriktionen gegenüber der ren ist, wie wir aus eigener Erfahrung und Anschau- UdSSR auf Grund der COCOM-Liste endgültig und ung wissen, nicht nur mit der Anleitung aus Lehrbü- völlig abzuschaffen — was ergibt es noch für einen chern zu vollziehen. Hinzu kommt die wahrscheinli- Sinn, daß die Sowjets von uns keine Glasfasertechnik che Unterschätzung der Probleme des Übergangs zur bekommen? — und ferner die UdSSR bald in den In- Marktwirtschaft. Keiner der Politiker in den Nachfol- ternationalen Währungsfonds, die Weltbank und das gestaaten der Sowjetunion, die sich sämtlich verbal Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen aufzuneh- zur Marktwirtschaft bekennen, spricht aus persönli- men. cher Erfahrung. Dazu kommt die Ungeduld einer des- orientierten Bevölkerung, die sich mit dem neuen Aber konkrete Hilfe muß in Zukunft verstärkt auch Phänomen z. B. mangelnder Wettbewerbsfähigkeit für Lebensmittel und für Beratung zur Verfügung ge- und daraus resultierender Arbeitslosigkeit auch psy- stellt werden, wie das in unserem Antrag zum Aus- chologisch erst noch vertraut machen muß: druck kommt. Das ist sinnvoll und notwendig. Gute Hilfe ist die, die schnell gegeben wird. In ins- Lieber heute in Hilfe investieren, als morgen die gesamt zehn Einzelplänen des Bundeshaushaltes Grenzen zumachen, hatte vor kurzem Björn Engholm 1992 sind Ansätze zur Unterstützung des Reformpro- 4872 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Ulrich Schmalz zesses enthalten. Es bedarf allerdings einer sinnvollen Helmut Schäfer, Staatsminister im Auswärtigen Abstimmung. Ressortegoismus ist dabei wenig hilf- Amt: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist reich. heute zum Ausdruck gekommen, wie ernst wir die Wenn wir die vorhandene Kreativität der Menschen Situation in der Sowjetunion beurteilen. Es ist heute in der Sowjetunion, wenn wir ihren guten Ausbil- auch gesagt worden, wie wichtig es ist, daß die Ein- dungsstand, wenn wir ihren Mut und wenn wir ihre gliederung der Sowjetunion und ihrer Republiken in Erwartungen an die Zukunft sinnvoll unterstützen die Weltwirtschaft gelingt, und wie schwierig das sein wollen, können wir uns unsererseits auf vorhandene wird. Wir haben immer wieder zum Ausdruck ge- Instrumente stützen. Beispielsweise enthält der Ein- bracht, daß es nicht angehen kann, daß die Unüber- zelplan 23, der Haushalt des Bundesministers für wirt- sichtlichkeit der heutigen Lage in der Sowjetunion als schaftliche Zusammenarbeit, bewährte sektorüber- Vorwand für Nichtstun gilt. Die Entwicklung in der greifende Institutionen. Ich nenne stellvertretend die Sowjetunion birgt viele Risiken in sich, aber wir wis- GTZ, die Gesellschaft für Technische Zusammenar- sen, sie eröffnet auch Chancen. beit, oder die Deutsche Stiftung für Internationale Ich meine, es ist notwendig, daß wir unsere Bevöl- Entwicklung in Berlin. kerung auch in der Diskussion in unserem Lande dar- Damit ich nicht mißverstanden werde: Es geht nicht auf hinweisen, daß eine Hilfe für die Sowjetunion und darum, ein künstliches Entwicklungsländersyndrom für die Zukunft der Sowjetunion nicht bedeuten kann, in den neuen Republiken zu schaffen. Aber auch an- daß wir wieder einmal zur Kasse gebeten werden, dere Länder, z. B. die Vereinigten Staaten oder sondern daß wir verhindern, meine Damen und Her- Schweden, haben ihre bilaterale Hilfe entsprechend ren, daß eine Entwicklung eintritt, auf Grund der wir ihrer normalen Entwicklungshilfe für Osteuropa orga- in Zukunft allerdings sehr viel mehr zur Kasse gebe- nisiert. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, ten würden, als das jetzt der Fall ist. Ich glaube, das diese Instrumente der Technischen Zusammenarbeit sollten wir in aller Deutlichkeit sagen. verstärkt einzusetzen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Gerade das durch den Wegfall der alten Autoritäten und dem Bündnis 90/GRÜNE) bedingte Vakuum muß schnell durch neue Strukturen aufgefüllt werden. Dazu gehören im Wege der Poli- Meine Damen und Herren, ich glaube auch, daß tikberatung die Schaffung kommunaler Selbstverwal- man durchaus ein materialistisches Argument ge- tungsorgane, Beratung bei der Gesetzgebung, der brauchen darf — es war in manchen anderen Fällen Aufbau einer leistungsfähigen Finanzverwaltung, die schon sehr hilfreich, unsere Landsleute gelegentlich Gestaltung von Selbstverwaltungsvorgängen, Selbst- mit solchen Argumenten für eine sinnvolle Politik zu verwaltungsorganen und Verbänden für die Wirt- gewinnen — , indem man deutlich macht — es ist ge- schaft. sagt worden — , daß beispielsweise die Gefahr be- Wir haben gerade in den neuen Ländern erlebt, wie steht, daß durch den wirtschaftlichen Zusammen- schwierig der wirtschaftliche Umgestaltungsprozeß bruch der Sowjetunion eine zusätzliche massenhafte ist, wenn es an einer funktionierenden Verwaltung Flucht von Ost nach West erfolgen könnte, die — ma- fehlt. chen wir uns hier keine Illusionen! — die Bundesre- publik natürlich erneut betreffen würde. Es liegt im In unserem Antrag, im Antrag der Koalitionsfraktio- Interesse unserer Menschen, zu verhindern, daß eine nen, sind in den Abschnitten Beratung und Koopera- solche Entwicklung einsetzt. tionen die einzelnen Verfahrensschritte beschrieben. Wir plädieren für eine sektorübergreifende Vorge- Man darf vielleicht weiter materialistisch argumen- hensweise und hoffen, daß die Staaten der Europäi- tieren und sagen: Die Sowjetunion bietet uns in Zu- schen Gemeinschaft im Wege einer partnerschaftli- kunft große Marktchancen; denn sie ist doch ein Land, chen Lastenteilung diese Anstrengungen mitgestal- das an Naturschätzen und an Energiequellen reich ist ten. wie kein anderes Land in Europa. Nur bedarf es der Meine Damen und Herren, es macht Sinn, darüber Ausbeutung dieser Naturschätze. Dazu bedarf es nachzudenken, ob nicht einzelne Mitgliedsländer den auch der Mitwirkung der Bundesregierung, des gan- Sowjetrepubliken paten- und partnerschaftlich ihre zen Westens, indem man den Transfer von Wissen besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung ge- vermittelt, Aus- und Fortbildung ermöglicht und na- währen sollten. Wir hoffen, daß diese große Anstren- türlich unsere Wirtschaft zu Privatinvestitionen veran- gung dazu beiträgt, am 1. Januar 1993 nicht nur den laßt. Beginn eines neuen europäischen Zeitalters feiern zu Daß das alles nicht so schnell geht und daß natürlich können, sondern auch daß die Sowjetunion und die auch unsere Wirtschaft daran interessiert ist, einen ihr angehörenden Republiken mit unserer Hilfe ihre sicheren Plafond vorzufinden und nicht in eine Situa- erste Feuerprobe auf dem Wege in eine prosperie- tion hineinzugeraten, in der sie den Auseinanderset- rende Zukunft bestanden haben. zungen zwischen den Republiken und den Unsicher- Vielen Dank. heiten der Zukunft ausgesetzt ist, ist zu verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU, der FDP, der SPD Aber wenn wir uns die russischen Wünsche genauer und dem Bündnis 90/GRÜNE) ansehen, so darf ich hier einmal den Satz einer russi- schen Publizistin zitieren, die gesagt hat: Geben Sie uns um Gottes willen keine Fische, sondern geben Sie Vizepräsident Helmuth Becker: Ich erteile jetzt dem uns bitte Angelruten! Das macht deutlich, in welche Herrn Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Richtung unsere Unterstützung eigentlich gehen Schäfer, das Wort. muß. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4873

Staatsminister Helmut Schäfer Meine Damen und Herren, der gesellschaftliche, besser sein, als immer nur auf den Bundestag zu deu- der wirtschaftliche, der politische Wandlungsprozeß ten und zusätzliche Forderungen an uns zu stellen. in der Sowjetunion setzt ein neues Beziehungsge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten flecht unter den Republiken voraus, das sich nur ganz der CDU/CSU) allmählich ergeben wird und dessen Entwicklung, wie wir wissen, sehr schmerzhaft und sehr kompliziert Lassen Sie uns gerade an der Basis diesen Gedanken verläuft. Aber wir sind an einer Erhaltung des Wirt- verwirklichen! Die Bereitschaft der Deutschen zu hel- schaftsraumes Sowjetunion interessiert. Wir sind fen ist groß, aber sie ist gößer, wenn sie wissen, wohin auch daran interessiert — ich sage das ausdrück- die Hilfe geht und wen ich persönlich erreichen kann, lich — , daß der Wirtschaftsraum der Völker in der meine Damen und Herren. Sowjetunion am Ende seinen Platz findet in einem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie gesamteuropäischen Wirtschaftsraum und nicht vor des Abg. Dr. Uwe Jens [SPD]) den Türen Europas verbleiben darf. Ich möchte zum Schluß noch sagen: Wir begrüßen die Entschließung des Europäischen Parlaments aus- Ich glaube, daß bis dahin die Sowjetunion dringend drücklich. Wir werden die Entschließung prüfen, und unserer Unterstützung bei der Modernisierung ihres wir sind uns mit Ihnen gemeinsam bewußt, daß wir bedeutenden Rohstoff- und Energiesektors bedarf, jetzt in eine Phase kommen, in der Hilfe schnell und damit es gelingen wird, durch den Verkauf von Ener- sinnvoll gegeben werden kann. gie- und Rohstoffreserven in den Besitz von Devisen zu kommen, um damit auch Privatinvestitionen zu er- Und, Herr Kollege Jens, ein klein bißchen lassen Sie möglichen. Auch das ist sehr wichtig. dem Auswärtigen Amt auch eine Chance, mitzuwir- ken zumindest in der ausländischen Kulturpolitik, und Meine Damen und Herren, es bedarf vieler westli- nicht alles dem Wirtschaftsministe rium, das bereits in cher Unterstützung in vielen Bereichen. Wir drängen Gestalt meines Freundes Beckmann gierig auf uns auf eine faire Lastenverteilung. Wenn ich mir immer schaut, zu geben! wieder so anhöre, was hier — die Kollegin ist schon Vielend Dank. entschwunden, sie war vielleicht über die vielen Zwi- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem schenrufe zu sehr verärgert — so festgestellt wird, wie Bündnis 90/GRÜNE sowie bei Abgeordne uns jetzt schon wieder mit dem Blick auf unsere Ge- ten der SPD) schichte gesagt wird, wir hätten eine ganz besondere Verantwortung und müßten besonders viel leisten, - wenn Sie alles mal summieren, was mit dieser Prä- Vizepräsident Helmuth Becker: Meine Damen und misse uns im Augenblick zugemutet wird, Herren, ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen (Beifall des Abg. Dr. [CDU/ auf den Drucksachen 12/1321, 12/1250 und 12/1580 CSU]) an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? — Ich meine Damen und Herren, dann, muß ich Ihnen sa- höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Über- gen, überschätzt man unsere Möglichkeiten, das alles weisung so beschlossen. zu leisten, überschätzt man die materiellen Möglich- keiten, die diesem Land gegeben sind. Ich glaube, alle unsere Freunde sollten es langsam verstehen: Wir Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 14 können es gar nicht allein in diesem Umfang, wir auf: brauchen dazu die Unterstützung aller anderen west- Erste Beratung des von der Bundesregierung lichen Partner. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Unterhaltsvorschußgesetzes (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und der Unterhaltssicherungsverordnung — Drucksache 12/1523 — Ich meine, wir sollten heute, meine Damen und Her- Überweisungsvorschlag: ren, besonders die Unterstützung über diesen Winter Ausschuß für Familie und Senioren (federführend) hinweg betonen und die Versorgungsschwierigkeiten Rechtsausschuß sehen, die es dort geben wird. Aber wir sollten nicht Ausschuß für Frauen und Jugend Hungersnöte an die Wand malen, sondern — wie von Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Herrn Jens völlig zu Recht gefordert worden ist — wir Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die sollten alles tun, damit gerade im Hinblick auf die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. — Ich Nahrungsmittelhilfe schnell gehandelt wird. Das ist höre und sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so bereits der Fall, die Europäische Gemeinschaft hat so beschlossen. beschlossen. Die Lieferungen werden erfolgen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort unserer Kollegin Frau Parlamentarischer Staats- Vielleicht noch ein Gedanke zum Schluß. Ich halte sekretärin Roswitha Verhülsdonk aus dem Bundesmi- es doch auch für notwendig, daß nicht immer nur der nisterium für Familie und Senioren. Staat, auch nicht nur die privaten Investoren ange- sprochen werden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn auch von Gemeinde zu Gemeinde, von Stadt zu Stadt Roswitha Verhülsdonk, Parl. Staatssekretärin bei und von Region zu Region — es wird ja soviel von dem der Bundesministerin für Familie und Senioren: Herr Europa der Regionen gesprochen — Hilfe auf partner- Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem schaftliche Weise geleistet würde. Das wird sehr viel Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Unterhalts- 4874 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Parl. Staatssekretärin Roswitha Verhülsdonk vorschußgesetzes und der Unterhaltssicherungsver- Die Neuregelung hat noch eine weitere positive ordnung schlägt die Bundesregierung zwei wichtige Wirkung: Die vorgeschlagene Erhöhung der Alters- Maßnahmen auf dem Gebiet der staatlichen Unter- grenze von sechs Jahren auf zwölf Jahre wird hoffent- haltssicherung für Kinder vor. lich auch dazu beitragen, daß der zur Zeit verhältnis- mäßig hohe Anteil von Sozialhilfeempfängern bei Das Unterhaltsvorschußgesetz kommt den Kindern den Alleinerziehenden, die Unterhaltsvorschuß erhal- zugute, die mit einem Elternteil zusammenleben und ten, zurückgeht. Mit zunehmendem Alter des Kindes von dem anderen Elternteil keinen Unterhalt bekom- wird es ja leichter, eine Betreuung zu organisieren, men. Hier verbessern wir die Anspruchsvorausset - und damit verbessert sich auch die Möglichkeit, einer zungen sowohl hinsichtlich des Lebensalters des Kin- Erwerbstätigkeit nachzugehen und sich so wirtschaft- des wie auch hinsichtlich der Bezugsdauer. Vom lich unabhängig zu machen. 1. Januar 1993 an erhalten Kinder nicht nur bis sechs Ich wünsche mir, daß wir schnell mit den Beratun- Jahre, sondern bis zwölf Jahre einen Unterhaltsvor- gen zu Ende kommen, weil ja der Termin 1. Januar schuß. Auch die Dauer der Zahlung wird verdoppelt, 1992 drängt. Wir möchten das Gesetz gerne bis zum von zur Zeit noch längstens 36 Monaten auf 72 Mo- Jahresende in Kraft gesetzt haben. nate. Vielen Dank. Zum zweiten dehnen wir das Unterhaltsvorschuß- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gesetz zum 1. Januar 1992 auf die neuen Länder aus und lösen die dort noch geltende Unterhaltssiche- rungsverordnung ab. Vizepräsident Helmuth Becker: Frau Kollegin Erika Simm, Sie sind die nächste Rednerin. Bitte sehr. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bun- destag diskutiert zur Zeit über eine Neuregelung des Gesetzes zum Schutz des ungeborenen Lebens. Bei Erika Simm (SPD): Herr Präsident! Meine sehr ge- allen Meinungsverschiedenheiten über strafrechtli- ehrten Damen und Herren! Im Jahr 1979 wurde mit che Fragen besteht doch in allen Fraktionen Überein- der Verabschiedung des Unterhaltsvorschußgesetzes stimmung darüber, daß Müttern, die in einem ein wichtiger Programmpunkt sozialdemokratischer Schwangerschaftskonflikt stehen, alle notwendigen Familienpolitik verwirklicht. Trotz einiger Geburts- Hilfen angeboten werden müssen, die sie ermutigen wehen — der Vermittlungsausschuß mußte seinerzeit können, sich für ihr Kind zu entscheiden. Dazu gehört bemüht werden, weil die Länder u. a. mit der vorge- auch, daß eine Frau, die sich — vielleicht gegen den sehenen Kostenverteilung nicht einverstanden wa- Willen des Vaters oder Partners — für ihr Kind ent- ren — fand der Gesetzentwurf damals Zustimmung scheidet, die Gewißheit haben muß, daß der Unterhalt bei allen Fraktionen. des Kindes auf jeden Fall gesichert ist. Darauf stellt Ein bisserl hatte seinerzeit die Kollegin Karwatzki das Unterhaltsvorschußgesetz ab. von der CDU zwar gemäkelt, ein eigenes Gesetz bräuchte es nicht. Sie sprach von einem „Eintagsflie- Mutter und Kind müssen bei Ausbleiben der Unter- gengesetz", meinte das aber wohl nicht allzu ernst; haltszahlungen nicht auf den ihnen zustehenden Un- denn in der Sache war man sich einig, daß dieses terhalt verzichten — und dies ohne Rücksicht auf die Gesetz für alleinerziehende Elternteile in ihrer be- Einkommenslage der Mutter. Diese Sicherheit war kanntermaßen schwierigen Lebens- und Einkom- bei der Unterhaltssicherungsverordnung der ehemali- menssituation eine große Hilfe sein würde. gen DDR nicht gegeben. Voraussetzung für Leistun- Das hat die Praxis erwiesen. Das Unterhaltsvor- gen nach dieser Verordnung war nämlich ein voll- schußgesetz in der gegenwärtigen Fassung sichert für streckbarer Unterhaltstitel. Der war aber in Fällen, wo Kinder bis zum vollendeten 6. Lebensjahr, die bei ei- der Aufenthaltsort des Vaters unbekannt war, nicht zu nem Elternteil allein leben, den Unterhalt für die erhalten. Dauer von drei Jahren, und zwar in Höhe des gesetz- Allerdings — das muß man einräumen — wirkte die lichen Regelunterhalts, der für nichteheliche Kinder Verordnung bis zum vollendeten 18. Lebensjahr des zu zahlen ist. Er erspart den alleinstehenden Müttern Kindes. Angesichts dieses Unterschiedes und weil die — ganz überwiegend sind es ja Frauen, die die Lei- Verbesserungen, die wir einführen, erst 1993 in Kraft stungen des Gesetzes in Anspruch nehmen — auf treten, war bei der Überleitung des Unterhaltsvor- Grund einer im Jahr 1990 vorgenommenen Änderung schußgesetzes in die neuen Bundesländer eine Rege- — die Frau Staatssekretärin hat sie erwähnt — nun lung zur Besitzstandswahrung notwendig. Deshalb auch die Last, Unterhaltsansprüche für ihre Kinder gelten die Bestimmungen der Unterhaltssicherungs- selber einklagen und beitreiben zu müssen. Wir wis- verordnung für laufende Fälle im Jahre 1992 noch sen, wie langwierig, mühsam und ärgerlich Unter- fort. haltsprozesse sein können. Das Gesetz stellt den Un- terhalt für Kinder auch dann sicher, wenn ein Unter- Meine Damen und Herren, die vorgeschlagene Lö- haltsanspruch gegen den anderen Elternteil oder ein sung bedeutet also eine Zusammenführung wesentli- Anspruch auf Waisenrente nicht besteht. cher Elemente des Unterhaltsvorschußgesetzes und Eine Nachfrage beim Jugendamt meines Wahlkrei- der Unterhaltssicherungsverordnung auf einer mittle- ses hat mir bestätigt, daß sich das Gesetz in der Praxis ren Ebene, also einen ausgewogenen Kompromiß. gut bewährt hat. Die Zahl der Anträge ist in den letz- Der Bundeshaushalt übernimmt damit eine zusätz- ten Jahren stetig gestiegen. Insbesondere durch den liche Belastung, die ab 1993 mit jährlich etwa 165 Mil- Verzicht auf das Vorliegen eines vollstreckbaren Un- lionen DM zu veranschlagen ist. Ich denke, damit terhaltstitels sind die Leistungen des Unterhaltsvor- kann sich der Bund als Mitfinancier sehen lassen. schußgesetzes zu einer wichtigen Überbrückungs- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4875

Erika Simm hilfe für Frauen und deren Kinder in der ersten Zeit krafttreten der Neuregelung insbesondere die Kinder, nach einer Trennung geworden. welche 1993 älter als zwölf Jahre sein werden. Die nun vorgesehenen Verbesserungen der Lei- Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß sie mit stungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz, also die der einjährigen Übergangsfrist ihrer sozialpolitischen Heraufsetzung des Kindesalters auf zwölf Jahre und Verpflichtung zur Besitzstandswahrung für die Allein- die Verlängerung der Leistungsdauer auf 72 Monate erziehenden und deren Kinder in den neuen Bundes- ab dem 1. Januar 1993, wird die SPD-Fraktion jeden- ländern hinreichend Rechnung trage. Seitens des falls in der Tendenz mittragen. Daß derartige Lei- Bundesrates wurden diesbezüglich bereits Bedenken stungsverbesserungen wünschens- und erstrebens- angemeldet und eine Übergangsfrist bis 31. Dezem- wert seien, haben alle Parteien schon 1979 zum Aus- ber 1997 vorgeschlagen. Ich teile diese Bedenken. Mit druck gebracht. der Frage einer angemessenen Übergangsregelung für die neuen Bundesländer werden wir uns, meine Wir haben in unserem Gesetzentwurf zur Regelung ich, in den anstehenden Ausschußberatungen einge- des Schwangerschaftsabbruchs bei den sozialpoliti- hend auseinandersetzen müssen. schen Begleitmaßnahmen gleichartige Verbesserun- gen des Unterhaltsvorschußgesetzes vorgesehen. Al- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Uta lerdings enthält unser Vorschlag die Heraufsetzung Würfel [FDP] und der Abg. Dr. Barbara Höll des Kindesalters auf 14 Jahre bei einer Leistungs- [PDS/Linke Liste]) dauer von 60 Monaten. Hinsichtlich der Kosten dürf- Ich hoffe, daß wir auch da eine Lösung finden, die der ten sich diesbezüglich keine nennenswerten Unter- gegenwärtig ja noch um einiges schwierigeren Le- schiede ergeben. Deswegen gehe ich davon aus, daß benssituation Alleinerziehender und ihrer Kinder in bei den Beratungen in den Ausschüssen, wenn wir den neuen Bundesländern ausreichend Rechnung uns an den sachlichen Erfordernissen orientieren, eine trägt. Schließlich haben wir alle gemeinsam die Ver- Einigung möglich sein müßte. pflichtung, dafür Sorge zu tragen, daß nicht gerade die Schwächsten in unserer Gesellschaft nachträglich ( Vor s i t z : Vizepräsident Dieter-Julius Cro zu Verlierern der Einheit werden. nenberg) Ich danke Ihnen. Neben der Leistungsverbesserung verfolgt der Ge- (Beifall bei der SPD der FDP und der PDS/ setzentwurf das Ziel, die Rechtslage bezüglich der Linke Liste) Unterhaltssicherung von Kindern Alleinerziehender in den alten und den neuen Bundesländern zu verein- - heitlichen. Im sogenannten Beitrittsgebiet gilt die Un- Vizepräsident Helmuth Becker: Das Wort hat der terhaltssicherungsverordnung vom 19. Mai 1988 in Abgeordnete Fockenberg. der Fassung vom 31. August 1990 fort. Das Ziel dieser Rechtsvorschrift entspricht dem des Unterhaltsvor- schußgesetzes im wesentlichen. Jedoch bestehen hin- Winfried Fockenberg (CDU/CSU): Herr Präsident! sichtlich der Anspruchsvoraussetzungen und des Lei- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Unter- stungsumfangs erhebliche Unterschiede: haltsleistungen sind eine wirklich wichtige und hilf- reiche Maßnahme für Alleinerziehende. Wir von der So besteht nach der Unterhaltssicherungsverord- CDU/CSU-Fraktion sehen die Verpflichtung, gerade nung ein Anspruch auf Unterhaltsvorauszahlung ge- diesen Familien, die es besonders schwer haben, ihre nerell für minderjährige Kinder, also bis zur Vollen- Aufgaben zu erfüllen, so weit wie eben möglich zu dung des 18. Lebensjahres, in Höhe des tatsächlichen helfen. Deshalb ist die Gesetzesvorlage im Rahmen Anspruchs, höchstens jedoch 165 DM monatlich; dies der für diese Legislaturperiode vorgesehenen fami- jedoch nur, wenn ein vollstreckbarer Unterhaltstitel lienpolitischen Maßnahmen von besonderem Ge- vorliegt. Fehlt es an diesem, so wird lediglich eine wicht. staatliche „Beihilfe" zum Unterhalt gewährt, die sich Das Unterhaltsvorschußgesetz ist im Rahmen des auf nur 60 DM beläuft und damit weit hinter den Lei- Einigungsvertrages nicht auf das Beitrittsgebiet über- stungen des Unterhaltsvorschußgesetzes zurück- geleitet worden. Dort gilt, wie schon erwähnt worden bleibt, nach dem ja in solchen Fällen Unterhaltsersatz ist, die Unterhaltssicherungsverordnung der ehema- in Höhe des gesetzlichen Regelunterhalts — gegen- ligen DDR weiter. Das in den alten Bundesländern wärtig bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres monat- geltende Unterhaltsvorschußgesetz sichert aus öffent- lich 251 DM — zu leisten ist. lichen Mitteln — zu 50 % aus Mitteln des Bundes, zu Mit dem Gesetzentwurf beabsichtigt die Bundesre- 50 % aus Mitteln der Länder — den Mindestunterhalt gierung die Vereinheitlichung der Rechtslage in den von Kindern unter sechs Jahren für längstens 36 Mo- alten und den neuen Bundesländern dergestalt her- nate. Zum 1. Januar 1992 wird dieses Recht nun auf beizuführen, daß ab dem 1. Januar 1992 auch im soge- die neuen Bundesländer übertragen. Nach der im Bei- nannten Beitrittsgebiet das Unterhaltsvorschußgesetz trittsgebiet geltenden Unterhaltssicherungsverord- gelten soll. Leistungen nach der Unterhaltssiche- nung wird eine Unterhaltsvorauszahlung nur dann rungsverordnung sollen nur noch in den Fällen ge- geleistet, wenn das Kind einen vollstreckbaren Unter- zahlt werden, in denen die Anspruchsvoraussetzun- haltstitel hat. Bei Fehlen eines solchen Titels wird dem gen bereits für den Monat Dezember 1991 erfüllt wa- Kind nur eine sehr geringe staatliche Beihilfe ge- ren und kein Anspruch nach dem Unterhaltsvorschuß- währt. gesetz gegeben ist, und dies auch nur für eine Über- Der Gesetzentwurf zur Änderung des Unterhalts- gangsfrist von einem Jahr, längstens also bis zum vorschußgesetzes und der Unterhaltssicherungsver- 31. Dezember 1992. Betroffen hiervon sind nach In ordnung zielt vor allem auf die Herstellung der 4876 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Winfried Fockenberg

Rechtseinheit auf dem Gebiet des Unterhaltsvor- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Nun er- schußrechtes ab. Darüber hinaus ist zum 1. Januar teile ich der Abgeordneten Frau Uta Würfel das 1993 eine Verbesserung der Ansprüche durch Erhö- Wort. hung der Altersgrenze auf das 12. Lebensjahr und durch Verlängerung der Leistungsdauer auf sechs Jahre vorgesehen. Besitzstandsverluste, die sich bei Uta Würfel (FDP) : Herr Präsident! Liebe Kollegin- Ablösung der Unterhaltssicherungsverordnung durch nen und Kollegen! Was verbirgt sich hinter diesen bei- das Unterhaltsvorschußgesetz für über sechs Jahre den trockenen Vokabeln „Unterhaltsvorschußgesetz" alte Berechtigte ab dem 1. Januar 1992 ergeben kön- und „Unterhaltssicherungsregelung"? Nach den letz- nen, sollen nach Art. 2 des Gesetzes für längstens ein ten verfügbaren Zahlen hatten 1989 insgesamt Jahr vermieden werden. 116 300 Personen Anspruch auf diese Leistung. Sie hatten den Anspruch deshalb, weil sich ein Elternteil Nun fordert der Bundesrat — und das ist von Ihnen, den Unterhaltspflichten für seine Kinder im Alter un- Frau Kollegin, nocheinmal unterstrichen worden — ter sieben Jahren entzogen hat. In der überwiegenden die Besitzstandswahrung für die Berechtigten der Mehrzahl sind es Familienväter, die sich aus dem ehemaligen DDR nicht nur bis zum 31. Dezember Staub machen und nicht mehr für ihre Kinder sor- 1992, sondern bis zum 31. Dezember 1997 bei gleich- gen. zeitiger Abschaffung des Titelerfordernisses. Dieses Verhalten zeigt uns, daß in einer Gesell- schaft die sich kinder- und frauenfreundlichere Bedin- Die Nichtüberleitung des Unterhaltsvorschußgeset- gungen schaffen will, die Väter offensichtlich stärker zes im Rahmen des Einigungsvertrags kann zwar so in die Pflicht genommen werden müssen. Es gilt, die interpretiert werden, daß ein Kompromiß zwischen Bewußtseinsbildung zu verstärken, damit sich diese den Leistungsvoraussetzungen im Unterhaltsvor- Väter nicht weiterhin so leicht aus ihrer Verantwor- schußgesetz und denen der Unterhaltssicherungsver- tung stehlen. ordnung des Beitrittsgebietes angestrebt werden sollte. Nie aber war davon die Rede, daß — wie es in (Beifall bei der FDP und der SPD) der Begründung des Bundesrats heißt — „der in der Für viele Frauen, die mit ihren kleinen Kindern von Unterhaltssicherungsverordnung der ehemaligen einem Tag auf den anderen alleingelassen werden, DDR festgelegte Zeitraum bis zum 18. Lebensjahr bei- meine Damen und Herren, bricht oft eine Welt zusam- behalten werden sollte". men. Sie sind mit einer höchst ungesicherten finanzi- ellen Lage konfrontiert. Sie haben kein eigenes Ein- Die Regelung für den Unterhaltsvorschuß muß viel- kommen, weil sie sich ganz der Kindererziehung ge- mehr, denke ich, in ihrer Gesamtheit gesehen werden. widmet haben, ohne eine Berufstätigkeit auszuüben. Die staatliche Gesamtleistung der neuen Bundeslän- In vielen Fällen droht in dieser Situation das Abgleiten der beläuft sich auf ca. 20 Millionen DM, die der alten in die Sozialhilfe. dagegen auf ca. 232 Millionen DM. Der Leistungsum- fang der Unterhaltssicherungsverordnung bei knapp Neben dem seelischen Leid ist eine Mutter in dieser einem Drittel der Bevölkerungsdichte der alten Bun- Situation nun auch noch gezwungen, ihren finanziel- desländer ist demnach trotz der hohen Altersgrenze len Lebensrahmen in den Griff zu bekommen. Dies von 18 Jahren und der uneingeschränkten Leistungs- geht ohne Unterhaltsvorschuß nicht; denn die Geld- dauer geringer als der des Unterhaltsvorschußgeset- sorgen belasten das Familienklima natürlich in dieser zes. Situation zusätzlich. Wir müssen uns vor Augen hal- ten, daß die Erziehungs- und Betreuungsleistung, die Im Ergebnis wird deutlich: Das Unterhaltsvorschuß- sich die Ehepartner früher aufgeteilt haben, in diesem gesetz der Bundesrepublik hat für die Gesamtheit der Fall in der Regel allein auf der Mutter lastet. Alleine auf Unterhaltsvorschuß angewiesenen Alleinerzie- muß sie nun ihre Entscheidungen abwägen und fäl- henden einen erheblich größeren Leistungsumfang len, die das tägliche Leben der Familien betreffen. Sie als die Unterhaltssicherungsverordnung der ehemali- können sich vorstellen, daß die Kinder in dieser für sie gen DDR. neuen Lebenssituation verändert reagieren. Sie ver- missen ihren Vater. Natürlich ändert sich auch ihr Im übrigen kann ein Weg, wie er aus der Stellung- Verhalten. nahme des Bundesrats zur Regierungsvorlage zumin- Außer den geschiedenen oder dauernd getrennt le- dest durchschimmert, nicht der richtige Weg für eine benden Elternteilen erhalten die Unterhaltsvorschuß- Familienpolitik im vereinten Deutschland sein. Wir zahlungen zum größten Teil unehelich geborene Kin- können nicht einzelne, für die Familien in den neuen der. Ihre Zahl belief sich 1989 auf 45 500; das ist über Bundesländern günstigere Voraussetzungen beibe- die Hälfte der Anspruchsberechtigten. Sie sind es vor halten und gleichzeitig alles, was in den alten Bundes- allen Dingen, denen bereits die Gesetzesänderung ländern besser geregelt ist, überleiten. Damit würden von 1990 zugute kam; denn seitdem besteht bei uns die Familien in den neuen Bundesländern besserge- hier im Westen ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuß stellt als die in den alten Ländern. Eine solche „Rosi- auch ohne den Nachweis eines Unterhaltstitels. Da- nentheorie", wie ich es einmal nennen darf, schafft mit entfallen die oft mühsamen Prozeduren, bis einem Ungleichheiten und damit Ungerechtigkeiten inner- nicht zahlungswilligen Vater die Vaterschaft durch halb der Familienpolitik. Das ist nicht der Weg, den ein gerichtliches Verfahren nachgewiesen werden wir uns vorstellen. kann. Dieses Verfahren ist nun seit 1990 unbürokrati- Herzlichen Dank. scher geworden. Jede Mutter mit Kindern im Alter bis zu sieben Jahren, die alleine lebt, verwitwet oder ge- (Beifall bei der CDU/CSU) schieden ist oder nur unregelmäßig Unterhalt erhält, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4877

Uta Würfel hat einen Anspruch auf die Leistung von 226 DM pro Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste): Herr Präsident! Kind und Monat. Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Ge- setzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Unterhaltsvorschuß ist somit eine finanzielle Unter- Unterhaltsvorschußgesetzes und der Unterhaltssiche- stützung, um die allergrößten Härten abzumildern. rungsverordnung ist für mich ein erneuter Beweis für Die Zahlungen garantieren jetzt über sechs Jahre ein die übereilte Angliederung der DDR an die Bundes- sicheres und regelmäßiges Einkommenselement; republik Deutschland. denn von mehr kann man bei dem Betrag von 226 DM im Monat ja wohl nicht sprechen. ( [CDU/CSU]: Ach du liebe Neune! Diese alte Platte!) (Dr. Barbara Höll [PDS/Linke Liste]: Sehr richtig!) Im überhastet zusammengeschusterten Einigungs- Oft sind es ja gerade junge Frauen, meine Damen vertrag wurden vielleicht nicht zufällig, von der Warte und Herren, die sich trotz einer ungewollten Schwan- der großen Politik aus betrachtet, scheinbar neben- gerschaft für das Kind entschieden haben und in die- sächliche Bereiche, insbesondere soziale Regelme- ser Situation in Kauf nehmen müssen, daß sie auf chanismen, die jedoch für die betroffenen Menschen ihren Partner nicht zählen können. Natürlich mindern von existentieller Bedeutung sind, schlicht und ergrei- die Leistungen der Unterhaltsvorschußkasse auch den fend vergessen. Die Vereinigung zweier komplizier- psychischen Streß zur Beschaffung des notwendigen ter, gewachsener Systeme des sozialen Zusammenle- Geldes, das die Mutter und auch das Kind zum Leben bens ist eben nicht in einer Hauruckaktion zu bewäl- und Gedeihen benötigen. Deshalb ist die Reform des tigen. Unterhaltsvorschußgesetzes ein wichtiger Bestandteil Erwachsene Menschen können jedoch versuchen, des sozialen Maßnahmenkatalogs unseres Schwange- gegen solche Ungerechtigkeiten zu streiten. Kinder renhilfegesetzes. sind dazu nicht in der Lage. Der vorliegende Gesetz- Natürlich ist die Unterhaltsvorschußregelung auch entwurf befaßt sich mit einer Gruppe von Kindern, die eine wichtige flankierende Maßnahme für Alleiner- bereits durch ihre individuelle Biographie in besonde- ziehende in den neuen Bundesländern. Meine Da- rem Maße benachteiligt sind. Die zu regulierenden men und Herren, Sie werden es vielleicht nicht glau- Unterhaltsvorschußleistungen betreffen ja Kinder, die ben; aber 21 700 Männer haben die Öffnung der in nicht mehr intakten Familienverhältnissen leben, Grenzen vor über zwei Jahren genutzt, um sich ihren in denen sich sogar ein Elternteil nicht mehr in der Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Frauen und Lage sieht — oder es nicht will — , weiterhin einen Kindern zu entziehen. Die Situation dieser alleinge- materiellen Zuschuß zum Gedeihen seines Kindes zu lassenen Familien ist nun noch unsicherer. Denn in leisten. den neuen Bundesländern — Sie haben es bereits von Gerade diesen doppelt betroffenen Kindern zu hel- meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gehört — ist fen sollte zuvörderst Aufgabe des Staates sein. Der nach der alten Gesetzgebung ein Unterhaltstitel nötig, vorliegende Gesetzentwurf erfüllt diesen Anspruch um 165 DM monatliche Unterstützung für ein Kind bis meiner Meinung nach nicht. Mit dem gestrigen, vom zu sechs Jahren zu erhalten. Sie können sich vorstel- Parlament einmütig verabschiedeten Gesetz über die len, daß das Bestehen von zweierlei Recht inzwischen Rechte des Kindes und der damit eingeleiteten Ratifi- zu einer Rechtsunsicherheit in den neuen Bundeslän- zierung der UNO-Kinderkonvention durch die Bun- dern geführt hat und daß die Gerichte auf eine bun- desrepublik Deutschland sind wir verpflichtet, alles deseinheitliche Regelung warten. für das Wohl der Kinder zu tun. Dies beinhaltet meines Ich denke, wir sollten schon, wie es meine Kollegin Erachtens zwingend, daß eine Verschlechterung der von der Opposition gesagt hat, den Vorschlag des Lage von Kindern durch staatliche Gesetze Geist und Bundesrates in dem dafür vorgesehenen Ausschuß Buchstaben der UNO-Kinderkonvention wider- eingehend erörtern. spricht. Da von dem, was der Bund ausgibt, nur ein Viertel, Der vorgelegte Gesetzentwurf beinhaltet erstens nämlich etwa 30 Millionen DM, von den „familien- die Angleichung der rechtlichen Vorschriften der frü- flüchtigen" Vätern wieder zurückgeholt werden heren DDR auf dem Gebiet der Unterhaltsvorschuß- kann, müssen wir auch überlegen, ob wir die Nach- leistungen an die gesetzlichen Regelungen der BRD forschungen nach diesen Vätern nicht intensivieren und zweitens eine Verbesserung der Unterhaltsvor- können oder ob wir die gerichtlichen Schritte gegen schußleistungen von seiten des Staates ab 1. Januar diese Rabenväter nicht verschärfen müssen, um ihnen 1993. Die Heraufsetzung der Altersgrenze von sechs auf die Sprünge zu helfen. Denn, meine Damen und auf zwölf Jahre mit der Möglichkeit der Verlängerung Herren, diese Verantwortungslosigkeit der Väter ge- des Bezugs von Unterhaltsvorschußleistungen auf genüber ihren Familien ist natürlich letztendlich auch 72 Monate ist eine eindeutige Verbesserung der ge- eine Verantwortungslosigkeit gegenüber der Ge- setzlichen Regelung für Anspruchsberechtigte in den samtgesellschaft. alten Bundesländern. Sie ist im Interesse von Kindern und alleinerziehenden Eltern nur zu unterstützen. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD Warum jedoch die Heraufsetzung der Altersgrenze und der PDS/Linke Liste) auf zwölf Jahre beschränkt bleibt, ist für mich nicht nachvollziehbar! Für die Kinder in den neuen Bundesländern sieht

Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Das Wort die gesetzliche Neuregelung der Angleichung jedoch hat die Abgeordnete Frau Dr. Höll. nicht so gut aus. Auf ihre Kosten sollen 1992 6 Millio- 4878 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Dr. Barbara Höll nen DM und 1993 14 Millionen DM eingespart wer- Um zu verhindern, daß Kinder durch Ablauf der den. Diese — ich zitiere — Altersbegrenzung und des limitierten Zahlungs- ... Rechtsverschlechterung muß im Interesse der zeitraums in Notlagen und in die Sozialhilfe getrieben Rechtseinheit und unter Berücksichtigung der werden, fordert die PDS/Linke Liste die Zahlung Tatsache, daß die angespannte Lage der Haus- von Unterhaltsvorschuß für alle Anspruchsberechtig halte von Bund und Ländern keine weitgehende ten — Verbesserung der Leistungen nach dem Unter- haltsvorschußgesetz zuläßt, den Betroffenen zu- gemutet werden. Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Frau Kol- legin Dr. Höll, ich wäre dankbar, wenn meine zarten Das heißt: Im Interesse der Rechtseinheit muß den Hinweise auf die abgelaufende Redezeit Ihre wohl- Betroffenen — und das sind Kinder — eine Ver- wollende Beachtung finden würden. schlechterung zugemutet werden. (Heiterkeit) Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Was legi- timiert die Bundesregierung, ausgerechnet Kinder für die von der Politik zu verantwortende Art und Weise Dr. Barbara Höll (PDS/Linke Liste) : — im gesamten des Prozesses der Vereinigung beider deutscher Staa- Bundesgebiet und ohne Zahlungsdauerbegrenzung ten zahlen zu lassen? Ist es nicht beschämend, auf bis zum 18. Lebensjahr. Kosten der Kinder, die unabhängig von ihrem Willen Ich danke Ihnen. in den neuen Bundesländern geboren sind, die in schlechten sozialen Verhältnissen, in vielfach zerstör- (Beifall bei der PDS/Linke Liste) ten Familienbeziehungen leben, 20 Millionen DM einsparen zu wollen? Das ist vielleicht der Preis für überflüssige Bewaffnung, für den überflüssigen Jä- Vizepräsident Dieter - Julius Cronenberg: Danke ger 90. Einer kostet 135 Millionen DM. schön. — Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende der Debatte. Ich bin mir durchaus bewußt, daß es mit der vorge- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf sehenen gesetzlichen Regelung zu einer Verbesse- Drucksache 12/1523 an die in der Tagesordnung auf- rung der Lage eines Teils der Kinder auch in der frü- geführten Ausschüsse vorgeschlagen. — Widerspruch heren DDR kommt. Dies darf aber nicht als Begrün- erhebt sich nicht. Dann kann ich das als beschlossen dung dafür dienen, die Lage für eine ganze Reihe von feststellen. - Kindern mit der getroffenen Regelung real zu ver- schlechtern. Es grenzt für mich schon an Zynismus, wenn ich in der Begründung lese, daß die mit der Nun kommen wir zu Tagesordnungspunkt 16: Ablösung der Unterhaltsvorschußverordnung verbun- Erste Beratung des von der Bundesregierung denen generellen Rechtsverbesserungen und gene- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über rellen Rechtsverschlechterungen in einem ausgewo- die genen Verhältnis zueinander stehen. Wie ein betrof- Errichtung eines Bundesausfuhramtes fenes Kind das kapieren soll, ist mir unklar. — Drucksache 12/1461 Für Ostkinder sinkt die Altersgrenze von 18 auf —Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Wirtschaft (federführend) 12 Jahre und die Zahlungsdauer von maximal Auswärtiger Ausschuß 216 Monaten auf 72 Monate. Innenausschuß Für den Fall, daß der alleinsorgeberechtigte Eltern- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO teil eine Ehe eingeht, entfällt jeglicher Anspruch auf Ich habe Ihnen die erfreuliche Mitteilung zu ma- Unterhaltsvorschuß, obwohl der neue Ehepartner ge- chen, daß sich die beteiligten Damen und Herren und genüber dem Kind nicht sorgeverpflichtet ist. die Geschäftsführer darauf verständigt haben — Ihre Zustimmung vorausgesetzt — , die Reden zu Protokoll Auf Grund unterschiedlicher Regelunterhaltssätze zu geben. — Da sich kein Widerspruch erhebt, darf ich in den alten und in den neuen Bundesländern machen auch dies als beschlossen feststellen. die Anspruchsberechtigten in den neuen Bundeslän- dern auch unter diesem Gesichtspunkt Verlust. Wäh- Außerdem darf ich feststellen, daß die Überweisung rend ein Kind der Altersgruppe 0 bis 6 Jahre im We- der Vorlage auf Drucksache 12/1461 an die in der sten zur Zeit 251 DM bekommt, erhält ein Ostkind nur Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse beschlossen 165 DM. worden ist; auch kein Widerspruch. Dann bleibt mir nur noch übrig, die Sitzung zu Da es sich bei dem Unterhaltsvorschuß in keiner schließen, Ihnen ein angenehmes Wochenende zu Weise um staatliche Geschenke, sondern um rück- wünschen und die nächste Sitzung auf Dienstag, den klagbare Vorableistungen des Staates im Interesse 26. November 1991, 9 Uhr einzuberufen. von Kindern handelt, sollte sich der Staat als Sozial- staat erweisen und die soziale Existenz der An- Die Sitzung ist geschlossen. spruchsberechtigten kreditieren. (Schluß der Sitzung 12.51 Uhr) Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4879*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordneter) einschließlich Berichtigte Liste der entschuldigten Abgeordneten Schaich-Walch, Gudrun SPD 14. 11. 91 für die 57. Sitzung am 14. November 1991 **) Graf von CDU/CSU 14. 11. 91 Schönburg-Glauchau, entschuldigt bis Joachim Abgeordneter) einschließlich Schütz, Dietmar SPD 14. 11. 91 Adam, Ulrich CDU/CSU 14. 11. 91 Dr. Soell, Hartmut SPD 14. 11. 91 Dr. Altherr, Walter CDU/CSU 14. 11. 91 Dr. Stavenhagen, Lutz G. CDU/CSU 14. 11. 91 Antretter, Robert SPD 14. 11. 91* Vogel (Ennepetal), CDU/CSU 14. 11. 91* Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 14. 11. 91 Friedrich Berger, Johann Anton SPD 14. 11. 91 Voigt (Frankfurt), SPD 14. 11. 91 Bindig, Rudolf SPD 14. 11. 91* Karsten D. Dr. Brecht, Eberhard SPD 14. 11. 91 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 14. 11. 91 Bühler (Bruchsal), Klaus CDU/CSU 14. 11. 91* Vosen, Josef SPD 14. 11. 91 Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 14. 11. 91 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 14. 11. 91 Peter Harry Welt, Jochen SPD 14. 11. 91 Clemens, Joachim CDU/CSU 14. 11. 91 Wollenberger, Vera Bündnis 14. 11. 91 Doppmeier, Hubert CDU/CSU 14. 11. 91 90/GRÜNE Duve, Freimut SPD 14. 11. 91 Zierer, Benno CDU/CSU 14. 11. 91* CDU/CSU 14. 11. 91 Ehrbar, Udo * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Dr. Feige, Klaus-Dieter Bündnis 14. 11. 91 lung des Europarates 90/GRÜNE ** Die im Stenographischen Bericht der 57. Sitzung abgedruckte Li ste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) ist ungültig. Fischer SPD 14. 11.91 (Gräfenhainichen), - Evelin Friedhoff, Paul FDP 14. 11. 91 Ganschow, Jörg FDP 14. 11. 91 Anlage 2 Gattermann, Hans H. FDP 14. 11. 91 Dr. Glotz, Peter SPD 14. 11. 91 Liste der entschuldigten Abgeordneten Göttsching, Martin CDU/CSU 14. 11. 91 für die 58. Sitzung am 15. November 1991 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 14. 11. 91 entschuldigt bis Dr. Hauchler, Ingomar SPD 14. 11. 91 Abgeordneter) einschließlich Henn, Bernd fraktionslos 14. 11. 91 Janovsky, Georg CDU/CSU 14. 11. 91 Antretter, Robert SPD 15. 11. 91* Koltzsch, Rolf SPD 14. 11. 91 Austermann, Dietrich CDU/CSU 15. 11. 91 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 14. 11. 91 Bargfrede, Heinz-Günter CDU/CSU 15. 11. 91 Kretkowski, Volkmar SPD 14. 11. 91 Baumeister, Brigitte CDU/CSU 15. 11. 91 Mascher, Ulrike SPD 14. 11. 91 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 15. 11. 91 Dr. Menzel, Bruno FDP 14. 11. 91 Brähmig, Klaus CDU/CSU 15. 11. 91 Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 14. 11. 91* Dr. Brecht, Eberhard SPD 15. 11. 91 Reinhard Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 15. 11. 91 Dr. Modrow, Hans PDS 14. 11. 91 Peter Harry Molnar, Thomas CDU/CSU 14. 11. 91 Clemens, Joachim CDU/CSU 15. 11. 91 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 14. 11. 91* Conradi, Peter SPD 15. 11. 91 Nolte, Claudia CDU/CSU 14. 11. 91 Dr. Däubler-Gmelin, SPD 15. 11. 91 Paintner, Johann FDP 14. 11. 91 Herta Dr. Pfaff, Martin SPD 14. 11. 91 Daubertshäuser, Klaus SPD 15. 11. 91 Pfuhl, Albert SPD 14. 11. 91* Doppmeier, Hubert CDU/CSU 15. 11. 91 Rauen, Peter Harald CDU/CSU 14. 11. 91 Doss, Hansjürgen CDU/CSU 15. 11. 91 Reimann, Manfred SPD 14. 11. 91* Duve, Freimut SPD 15. 11. 91 Rempe, Walter SPD 14. 11. 91 Ehrbar, Udo CDU/CSU 15. 11. 91 Reuter, Bernd SPD 14. 11. 91 Eimer (Fürth), Norbert FDP 15. 11. 91 Dr. Riege, Gerhard PDS 14. 11. 91 Dr. Faltlhauser, Kurt CDU/CSU 15. 11. 91 Roth, Wolfgang SPD 14. 11. 91 Dr. Feige, Klaus-Dieter Bündnis 15. 11. 91 Sauer (Salzgitter), Helmut CDU/CSU 14. 11. 91 90/GRÜNE 4880* Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordneter) Abgeordnete(r) einschließlich einschließlich Fischer SPD 15. 11.91 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 15. 11. 91 (Gräfenhainichen), Hannelore Evelin Roth, Wolfgang SPD 15. 11. 91 Ganschow, Jörg FDP 15. 11. 91 Sauer (Salzgitter), Helmut CDU/CSU 15. 11. 91 Gansel, Norbert SPD 15. 11. 91 Schaich-Walch, Gudrun SPD 15. 11. 91 Gattermann, Hans H. FDP 15. 11. 91 Schmalz-Jacobsen, FDP 15. 11. 91 Dr. Gautier, Fritz SPD 15. 11. 91 Cornelia Dr. Glotz, Peter SPD 15. 11. 91 Schmidbauer (Nürnberg), SPD 15. 11. 91 Göttsching, Martin CDU/CSU 15. 11. 91 Horst Graf, Günter SPD 15. 11. 91 Schmidt-Zadel, Regina SPD 15. 11. 91 Gröbl, Wolfgang CDU/CSU 15. 11. 91 Schröter, Karl-Heinz SPD 15. 11. 91 Haungs, Rainer CDU/CSU 15. 11. 91 Schütz, Dietmar SPD 15. 11. 91 Dr. Haussmann, Helmut FDP 15. 11. 91 Seehofer, Horst CDU/CSU 15. 11. 91 Henn, Bernd fraktionslos 15. 11. 91 Seidenthal, Bodo SPD 15. 11. 91 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 15. 11. 91 Singer, Johannes SPD 15. 11. 91 Huonker, Gunter SPD 15. 11. 91 Dr. Stavenhagen, Lutz G. CDU/CSU 15. 11. 91 Jeltsch, Karin CDU/CSU 15. 11. 91 Stübgen, Michael CDU/CSU 15. 11. 91 Kalb, Bartholomäus CDU/CSU 15. 11. 91 Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter CDU/CSU 15. 11. 91 15. 11. 91 Kauder, Volker CDU/CSU 15. 11. 91 Voigt (Frankfurt), SPD Karsten D. Klein (München), Hans CDU/CSU 15. 11. 91 Dr. Vondran, Ruprecht CDU/CSU 15. 11. 91 Koltzsch, Rolf SPD 15. 11. 91 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 15. 11. 91 Kors, Eva-Maria CDU/CSU 15. 11. 91 Welt, Jochen SPD 15. 11. 91 Kraus, Rudolf CDU/CSU 15. 11. 91 Wissmann, Matthias CDU/CSU 15. 11. 91 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 15. 11. 91 Wohlleben, SPD 15. 11.91 Günther Verena Ingeburg Kretkowski, Volkmar SPD 15. 11. 91 - Wollenberger, Vera Bündnis 15. 11. 91 Dr.-Ing. Krüger, Paul CDU/CSU 15. 11. 91 90/GRÜNE Kubicki, Wolfgang FDP 15. 11. 91 Würzbach, Peter Kurt CDU/CSU 15. 11. 91 Kuessner, Hinrich SPD 15. 11. 91 Zeitlmann, Wolfgang CDU/CSU 15. 11. 91 Lamp, Helmut Johannes CDU/CSU 15. 11. 91 Zierer, Benno CDU/CSU 15. 11. 91 * Leidinger, Robert SPD 15. 11. 91 für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- Meckel, Markus SPD 15. 11. 91 lung des Europarates Dr. Mertens (Bottrop), SPD 15. 11. 91 Franz-Josef Dr. Meyer (Ulm), Jürgen SPD 15. 11. 91 Anlage 3 Michels, Meinolf CDU/CSU Dr. Modrow, Hans PDS 15. 11. 91 Zu Protokoll gegebene Reden Dr. Möller, Franz CDU/CSU 15. 11. 91 zu Tagesordnungspunkt 16 Dr. Müller, Günther CDU/CSU 15. 11. 91 * (Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundesausfuhramtes) Dr. Neuling, Christian CDU/CSU 15. 11. 91 Neumann (Bramsche), SPD 15. 11. 91 Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär beim Bundes Volker minister für Wirtschaft: Der Außenhandelsverkehr mit Niggemeier, Horst SPD 15. 11. 91 sensitiven Waren, Unterlagen, Technologien sowie Nolte, Claudia CDU/CSU 15. 11. 91 Dienstleistungen hat in der nationalen und internatio- Oostergetelo, Jan SPD 15. 11. 91 nalen Politik einen neuen, erheblich gesteigerten Paintner, Johann FDP 15. 11. 91 Stellenwert erhalten. Die Notwendigkeit einer ra- Peters, Lisa FDP 15. 11. 91 schen und wirksamen Verbesserung der Exportkon- Dr. Pfaff, Martin SPD 15. 11. 91 trollen bedarf angesichts der Ereignisse im Irak-Krieg keiner weiteren Begründung. Pfuhl, Albert SPD 15. 11. 91 * Poß, Joachim SPD 15. 11. 91 Das Bundeskabinett hatte deshalb im Februar 1991 -auf Initiative von Bundesminister Möllemann ein 10 Rauen, Peter Harald CDU/CSU 15. 11. 91 Punkte-Programm zur Verschärfung der Ausfuhrkon- Reimann, Manfred SPD 15. 11. 91 trollen beschlossen. Als Folge davon hat die Bundes- Rempe, Walter SPD 15. 11. 91 regierung u. a. ein Gesetz zur Errichtung des Bundes- Repnik, Hans-Peter CDU/CSU 15. 11. 91 ausfuhramtes vorbereitet, das Ihnen jetzt als Gesetz- Reschke, Otto SPD 15. 11. 91 entwurf vorliegt. Reuschenbach, Peter W. SPD 15. 11. 91 Zur Stärkung der Exportkontrollen hält die Bundes- Reuter, Bernd SPD 15. 11. 91 regierung die Bildung eines selbständigen Bundes- Dr. Riege, Gerhard PDS 15. 11. 91 ausfuhramtes durch Ausgliederung der Exportkon- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4881* trollabteilung aus dem Bundesamt für Wirtschaft für Peter Kittelmann (CDU/CSU): Wir sind jetzt endlich dringend erforderlich. Mit dem vorliegenden Gesetz- soweit, daß die neuen Regelungen zu einer effektiven entwurf wird hierfür die gesetzliche Grundlage ge- Rüstungskontrolle auf den Weg gebracht werden. schaffen. Der Bundesrat hat bereits über den Gesetz- Nun geht es um Fragen der praktischen Umsetzung entwurf beraten. Lassen Sie mich zu zwei Fragen nä- und um das Schaffen von Strukturen, die Handlungs- her Stellung nehmen. fähigkeiten garantieren. Erstens: Besoldungsregelung. Eine wesentliche Wir haben an dieser Stelle mehrfach über restriktive Voraussetzung für die mit der Errichtung des Bundes- Regelungen im Rüstungsexport, um illegale Ausfuh- ausfuhramtes angestrebte Verstärkung der Effizienz ren zu unterbinden, gesprochen und kontrovers dis- der Exportkontrollen sind die in Art. 6 des Gesetzent- kutiert. Wiederholt haben die Christdemokraten ri- wurfes enthaltenen Besoldungsregelungen. Sie sehen gide Strafen bei Verstößen gegen das Außenwirt- eine Stellenzulage für die Bediensteten des BAA, die schaftsgesetz eingefordert. In gleichem Maße haben Einstufung seines Präsidenten in die Besoldungs- wir immer wieder daran erinnert, daß die strukturel- gruppe B 7 sowie eine Stellenzulage für den ersten len Voraussetzungen dafür geschaffen werden müs- Präsidenten vor, der die besondere Verantwortung für sen, daß die Eingriffsmöglichkeiten im präventiven den Aufbau dieses politisch bedeutsamen Amtes Bereich ebenso gewährleistet sind wie die reibungslo- trägt. sen Genehmigungsverfahren und effektiven Ausfuhr- Die vom Bundesausfuhramt durchzuführende Aus- kontrollen. fuhrkontrolle ist wegen der großen politischen Bedeu- Eine solche intensive und am Ende effektive Aus- tung und Komplexität des Außenwirtschaftsverkehrs fuhrkontrolle ist von besonderer Wichtigkeit. Die ver- eine besonders verantwortungsvolle und schwierige gangenen Monate zeigen, daß der Export sensitiver Aufgabe. Ihre wirksame Erfüllung berührt wesentli- Waren, Technologien und Dienstleistungen im natio- che außen- und wirtschaftspolitische Interessen der nalen und internationalen Bereich in der Öffentlich- Bundesrepublik Deutschland. Die Kontrolle des keit mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird. Zu Außenhandelsverkehrs mit sensitiven Waren, Unter- Recht. Tatsächlich hat der Außenhandelsverkehr in lagen, Technologien und Dienstleistungen dient der diesen Fragen einen nicht unerheblichen Stellenwert Gewährleistung der Sicherheit der Bundesrepublik erhalten. Deutschland, der Verhütung von Störungen des fried- lichen Zusammenlebens der Völker sowie der Verhü- Dem trägt die Bundesregierung nun insofern Rech- tung von Störungen der auswärtigen Beziehungen der nung, als sie mit einer Reihe von Regelungen die Aus- Bundesrepublik Deutschland. Es gilt zu verhindern, fuhrkontrollen effizienter gestalten will, um auch der daß deutsche Unternehmen sich an Rüstungspro- besonderen sachlichen Komplexität der Thematik ge- grammen in Fabriken zur Herstellung chemischer, recht zu werden. In Anpassung an diesen Prozeß ist biologischer und nuklearer Waffen im Ausland betei- das Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn in den ver- ligen. Derartige Geschäftspraktiken sind dem Völker- gangenen Jahren bereits entsprechend erweitert wor- frieden und dem internationalen Ansehen der Bun- den. Die besondere Wichtigkeit einer starken Aus- desrepublik Deutschland abträglich. Gleichzeitig soll fuhrkontrolle aber macht die Einrichtung einer eigen- jedoch der legale Außenwirtschaftsverkehr sowenig ständigen Bundesbehörde unabdingbar. Nur so kön- wie möglich behindert werden. Daher ist ein beson- nen die anstehenden Fragen und Aufgaben im Aus- ders sorgfältiges, aber auch rasches Prüfen der Ge- fuhrbereich überzeugend angegangen und gelöst nehmigungsanträge erforderlich. Eine zügige Geneh- werden. migungserteilung dient auch den Interessen der Ex- Für das einzurichtende Bundesausfuhramt (BAA) portwirtschaft, die berechtigterweise über noch zu ergibt sich im Rahmen des Außenwirtschaftsrechts ein lange Genehmigungsverfahren klagt. umfangreiches Aufgabengebiet: erstens die Prüfung Diese besonders anspruchs- und verantwortungs- und Entscheidung über Anträge auf Erteilung von vollen Aufgaben des neuen Amtes können in der er- Genehmigungen im Außenwirtschaftsverkehr. Dar- forderlichen hohen Qualität nur mit hochqualifizier- unter fallen beispielsweise die üblichen Ausfuhrge- ten und hochmotivierten Mitarbeitern erfüllt werden. nehmigungen ebenso wie Genehmigungen für sensi- Als Präsident des Bundesausfuhramtes muß eine qua- tive Dienstleistungen im Ausland. lifizierte Persönlichkeit gewonnen werden, die den hohen Anforderungen der übertragenen hoheitlichen Zweitens die Prüfung und anschließende Entschei- Aufgaben und der damit verbundenen Verantwor- dung über Anträge auf Erteilung von Bescheinigun- tung gerecht wird. Hierfür sind die im Gesetzentwurf gen. enthaltenen Besoldungsregelungen unbedingt erfor- Drittens eine Reihe von darüber hinausgehenden derlich. Aufgaben im Rahmen des Außenwirtschaftsverkehrs. Zweitens: zur Sitzfrage. Der Sitz des Bundesaus- Hier sind beispielsweise fachlich qualifizierte Stel- fuhramtes ist im Gesetzentwurf nicht geregelt. Über lungnahmen zu Prüfungsberichten der Zollverwal- den Sitz des Bundesausfuhramtes soll nach Auffas- tung zu nennen; ebenso die wichtigen Zuverlässig- sung der Bundesregierung erst entschieden werden, keitsprüfungen von Exporteuren von Kriegswaffen wenn die Konzepte für die künftige räumliche Behör- und rüstungsrelevanten Gütern. denverteilung auf Grund des Beschlusses des Deut- Viertens die Überwachungsaufgaben im Rahmen schen Bundestages vom 20. Juni 1991 vorliegen. des Kriegswaffenkontrollgesetzes, wo es etwa um Be- Ich bitte Sie alle um Ihre Unterstützung zu dem triebsbesichtigungen oder die Überprüfung betriebli- Gesetzentwurf der Bundesregierung. cher Unterlagen geht. 4882* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

Fünftens die Prüfung und Entscheidung über solche — um im Bild zu bleiben — sie jetzt der Jagdgesell- Anträge, mit denen atomrechtliche Ein- und Ausfuhr- schaft vorneweg galoppieren will. genehmigungen erlangt werden sollen. In etwas mehr als einem Jahr hat die Bundesregie- Sechstens schließlich die Mitwirkung in unter- rung viermal grundsätzliche Änderungen im Rü- schiedlichen internationalen Gremien, etwa CO- stungsexportrecht vornehmen müssen. Sie hat durch COM. unser kräftiges Drängen und durch die Arbeit des Vermittlungsausschusses das Kriegswaffenkontroll- Meine Damen und Herren, Sie sehen, hier tut sich gesetz verbessert, sie hat Ausfuhrverantwortliche bei ein breites und verantwortungsvolles Betätigungsfeld der Industrie geschaffen, sie hat die Dual-use-Proble- auf. Ein so großes Aufgabengebiet, das besonders ge- matik angefaßt und eine Strafverschärfung in der wissenhaft bearbeitet sein will, braucht besonders en- neuen Novelle vorgelegt. Das sind ungewöhnlich gagierte und qualifizierte Mitarbeiter. Aus dem bishe- viele Aktivitäten in einer kurzen Zeit, in einem Be- rigen Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn soll die reich, bei dem die Bundesregierung in den letzten entsprechende Abteilung VI ausgegliedert werden. 7 Jahren nicht zu Reformen zu bewegen war. Damit wird die Rekrutierung der neuen Bundesbe- hörde primär aus dem Personal des Bundesamtes für Diese positiv anmutende Bilanz kann aber nicht Wirtschaft erfolgen. darüber hinwegzutäuschen, daß sich im wesentlich- sten Feld der Rüstungsexportkontrolle überhaupt Besondere Besoldungsregeln bzw. eine allgemeine nichts getan hat. Ich spreche von der Genehmigungs- Stellenzulage sind zu befürworten, wenn wir für diese praxis der Bundesregierung für Rüstungsexporte. All Aufgaben nicht nur entsprechend qualifizierte, son- ihre Aktivitäten in den letzten 12 Monaten waren dern auch motivierte Kräfte gewinnen wollen. Sollte durchaus mit unserer Zustimmung auf den illegalen ein entsprechender finanzieller Anreiz ausbleiben, und kriminellen Bereich der Rüstungsexporteure ge- werden auch die fähigen Mitarbeiter ausbleiben, die richtet. Gleichzeitig leistet sich die Bundesregierung sich dann vor allem in der Wirtschaft ansiedeln wer- einen legalen Störfall nach dem anderen. Der „größte den. anzunehmende Unfall" wird im Augenblick im Bun- Auch die exponierte Position des Leiters für das dessicherheitsrat vorbereitet: Ich spreche von dem neue Amt verdient vor allem wegen der erheblichen 20 Milliarden-Auftrag für Kriegsschiffe nach Tai- politischen Verantwortung eine entsprechende Besol- wan. dung. Die besten Behörden und Gesetzentwürfe nutzen überhaupt nichts, solange die Genehmigungspraxis Der Hintergrund der anhaltenden Diskussion um der Bundesregierung so bleibt, wie sie ist. Rüstungsexporte und die immer wieder geäußerten, größtenteils unbestätigten Vermutungen, daß einige Als Sie, Herr Minister Möllemann, am 29. Januar deutsche Firmen möglicherweise an Rüstungsproduk- 1991 der staunenden Öffentlichkeit verkündeten, es tionen oder der Herstellung chemischer Waffen vor werde ein Exportkontrollamt errichtet, haben wir die- allem durch Zulieferungen im Ausland Anteil hatten, ses für einen positiven, unterstützenswerten Ansatz machen eines überaus deutlich: Bei dem neu zu grün- gehalten. Zehn Monate später legen Sie einen dürren denden Bundesausfuhramt geht es nicht einfach um Gesetzentwurf vor, dessen Inhalt sich darauf be- die Einrichtung einer neuen x-beliebigen Behörde. schränkt, überall im Gesetz, wo bislang „Bundesamt Auf dem Bundesausfuhramt wird besondere Verant- für Wirtschaft" stand, zukünftig „Bundesausfuhramt" wortung und erheblicher Erwartungsdruck der Öf- zu sagen. Dieses hätten Sie auch im Januar schon vor- fentlichkeit lasten. Tatsächlich geht es ja vor allem um legen können. die Garantie besonders schützenswerter Rechtsgüter: Wir fordern ein Exportkontrollamt, das sowohl für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, das die Genehmigung von Ausfuhranträgen als auch für friedliche Zusammenleben der Völker sowie die aus- die Verhinderung illegaler Exporte zuständig ist. Das wärtigen Beziehungen der Bundesrepublik. von Ihnen vorgeschlagene Bundesausfuhramt hat die Wenn wir dafür Sorge tragen wollen, daß diese Medien bislang nur in einem Punkt beschäftigt: Wird Rechtsgüter geschützt werden, illegaler Rüstungsex- dieses Amt in Bonn oder in Berlin etabliert? port unterbunden und gleichzeitig eine zügige Prü- Die personelle Aufstockung und Ausgliederung der fung von Genehmigungsanträgen garantiert sein sol- Abteilung 6 des Bundesamtes für Wirtschaft in das len, müssen wir die entsprechenden strukturellen Bundesausfuhramt reicht nicht, um den illegalen Rü- Voraussetzungen schaffen. Die Einrichtung eines stungshändlern das Handwerk zu legen. Wir begrü- Bundesausfuhramtes und seine Bestellung mit hoch- ßen die personelle Aufstockung von nunmehr schon qualifizierten und engagierten Mitarbeitern ist dafür 200 auf dann insgesamt 430 Mitarbeiter im Ausfuh- Bedingung und muß darum von uns unbedingt unter- ramt. Wenn aber die Effektivität dieses Amtes gestei- stützt werden. gert werden soll, dann reicht es nicht aus, mehr Be- amte hinzusetzen. Diese führen zwar zu einer verbes- serten Genehmigungspraxis, also zu geringeren War- Uwe Jens (SPD): Lassen Sie mich zunächst ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dem Sachverhalt tezeiten, aber nicht zu einer Verhinderung illegaler Exporte. machen, den wir heute diskutieren. Die letzten 12 Mo- nate sind von einem beeindruckenden Meinungswan- Bei unserem gemeinsamen Ziel, den illegalen Rü- del der Bundesregierung geprägt. Während wir früher stungsexporteuren das Handwerk zu legen und die den Eindruck hatten, die Bundesregierung zur Jagd Schwarzen Schafe aus der Industrie auszusortieren, tragen zu müssen, haben wir nun den Eindruck, daß brauchen wir zwischen Genehmingung und Kontrolle Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991 4883* eine enge Zusammenarbeit. Diese enge Zusammen- Deutschen Bundestages ausdrücklich bejaht — , aber arbeit ist nur dann gegeben, wenn sie in einem Haus ebenso besteht Einigkeit: Exportkontrollen dürfen organisiert werden kann. Eine Aufteilung zwischen nicht zur Exportbehinderung oder gar zur De-facto- Genehmigung im Ausfuhramt und Kontrolle mit einer Exportverhinderung werden, weil der deutsche An- rechtsstaatlich umstrittenen Abhörbefugnis im Zoll- bieter für die Erlangung der Exportgenehmigung ein kriminalinstitut führt zu unkoordinierten Informa- mehrfaches der Normallieferzeit seines Produktes tions- und Handlungsabläufen. braucht. Dabei haben Sie diese notwendige Zusammenar- Verzögerungen traten bisher in der Praxis vor allem beit selbst so beschlossen. Ich zitiere den Kabinetts- dann auf, wenn Rückfragen in Bonn erforderlich wur- beschluß vom 6. Februar 1991: „Neben den gesetzli- den, weil die Kompetenz des Eschborner Bundesam- chen Maßnahmen steht gleichwertig die Verbesse- tes für Wirtschaft (BAW) überschritten war. Vor die- rung der administrativen Überwachung des Außen- sem Hintergrund erscheint die Ausgliederung der Ab- wirtschaftsverkehrs. Durch Ausgliederung aus dem teilung VI zu einem Bundesausfuhramt als selbständi- Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn wird ein selb- ger Bundesoberbehörde bei gleichzeitiger Kompe- ständiges Ausfuhramt geschaffen. " Und weiter: „Das tenzerweiterung folgerichtig. Durch die Ausgliede- Zollkriminalinstitut ist die für diesen Zweck (gemeint rung wird es möglich auf das Kernproblem zu reagie- ist die Telefonabhörbefugnis) effizienteste Behörde, ren: Exportkontrolle heute braucht qualifizierte Mitar- da sie sowohl den Außenwirtschaftsverkehr über- beiter zur Bewertung komplexer technischer Sachver- wacht, als auch bei Verstößen gegen die Vorschriften halte. die Ermittlungen koordiniert. " Die Einführung einer Stellenzulage bedeutet daher Wir meinen, Sie haben das, was Sie selber beschlos- nicht nur Verbesserung der Motivation der in der Ab- sen haben, nicht bis zu Ende gedacht. Nur dann, wenn teilung VI des BAW bereits vorhandenen Mitarbeiter, eine Behörde auf diesen beiden Ebenen Informatio- die ja übernommen werden sollen. Dies ist auch Vor- nen sammeln und koordinieren kann, kann sie auch aussetzung für die weitere planmäßige Aufstockung effektiv sein. Oder meinen Sie etwa, daß das Zollkri- des Personalbestandes auf hohem qualitativen Ni- minalinstitut auch das Ausfuhramt überwachen soll? veau. Aber: Im Vorfeld unserer Beratungen sind be- Manche Hinweise auf Ungereimtheiten in der Ver- reits Schwierigkeiten deutlich geworden. Die ur- gangenheit geben hierzu durchaus Anlaß. sprünglich in Erwägung gezogene weitergehende po- litische Verantwortlichkeit des Amtsleiters ist mit der Überhaupt nicht zustimmen können wir Ihrer Auf- jetzt vorgesehenen Besoldung nach B 7 nicht zu errei- fassung, das Bundesausfuhramt könne nur dann chen. Der Bundesrat hat überdies in seiner Stellung- hochqualifizierte und motivierte Mitarbeiter beschäf- nahme vom 27. September 1991 für die Streichung der tigen, wenn es für diese Mitarbeiter einen kräftigen in Art. 6 der Gesetzesvorlage vorgesehenen Stellen- Gehaltszuschlag gibt. Dieses liest sich in Ihrem Ent- zulagen für alle Beamten dieser Behörde votiert. Ich wurf so, als würden in den anderen Bundesbehörden will daher an dieser Stelle deutlich sagen: Die Besol- nicht hochqualifizierte und motivierte Mitarbeiter tä- dungsregeln sind ein essentieller Bestandteil der Aus- tig sein. Das soll damit zu tun haben, daß man diesen gliederung. Fallen Sie weg, macht die Ausgliederung Beamten zu wenig Geld bezahlt. Mit dieser Ohrfeige wenig Sinn. bringen Sie mit einem Schlag unsere Verwaltungseli- ten in Mißkredit und fördern die Staatsverdrossenheit Was wir Liberale hier nicht wollen, das ist weitere bei der Bevölkerung. Bürokratisierung. Der Aufbau des Bundesausfuhram- tes muß hart an der Sache, hart an der Zielsetzung Ich gehe davon aus, daß die Beamten und Ange- einer effektiven und effizienten Exportkontrolle erfol- stellten in den Behörden für ihre Tätigkeit qualifiziert gen. Das heißt: Hinreichend breite Kontrollen bei sind und motiviert ihre Arbeit machen. möglichst geringer Verzögerung der genehmigungs- Das heute in der ersten Lesung anstehende Funda- fähigen Exporte. ment des Bundesausfuhramtes entspricht zwar nicht Falls das durch ein Bundesausfuhramt nicht erreicht unserem Exportkontrollamt, ist aber auch nicht weiter werden kann, sind wir eher bereit, auf Ausgliederung schädlich. Ich befürchte nur, hilfreich für die Verhin- zu verzichten. Diese Zielorientierung muß daher in derung illegaler Exporte kann es wegen der Konstruk- den anstehenden Ausschußberatungen in das Gesetz tionsmängel auch nicht sein. Ihre Absicht, die Mitar- erkennbar eingearbeitet werden. Bloße Absichtser- beiter dieses Amtes den anderen Beamten gegenüber klärungen genügen hier nicht. zu bevorzugen, ist aber ein Skandal. In diesem Zusammenhang: Es gibt in der Wirtschaft ein Informationsproblem, eine Unsicherheit, was die Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Gute Politik erkennt Abwicklung von Exporten anbelangt. Wir haben in man auch daran, daß Ankündigungen Taten folgen. den Anhörungen erfahren, daß Unternehmen in vie- Ich begrüße daher für die FDP-Fraktion die heute zu len Fällen — um ganz sicher zu gehen — Genehmi- beratende Gesetzesvorlage, da damit ein weiterer gungen beantragen, obwohl dies eigentlich nicht er- Punkt des vom Kabinett beschlossenen 10-Punkte- forderlich wäre. Es muß selbstverständlich sein, daß Programms zur wirksamen Verhinderung illegaler die Neuorganisation auf dieses Informationsverlan- Exporte abgearbeitet wird. Denn dieses ist klar: Es gen eingeht. Die Wirtschaft muß in Exportfragen je- besteht zwar ein breiter Konsens, daß Kontrollen der derzeit einen kompetenten Ansprechpartner finden. Exportwirtschaft unumgänglich sind — auch die Ver- Der Griff zum Telefon darf für den Exportverantwort- treter der Industrie haben dies bei der unlängst statt- lichen eines Unternehmens nicht zur Verbindung mit gefundenen Anhörung im Wirtschaftsausschuß des einem Anrufbeantworter führen. Diejenigen Unter- 4884* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. November 1991

nehmen, die in Übereinstimmung mit Recht und Ge- Anlage 4 setz die hohe Exportleistung unserer Volkswirtschaft Amtliche Mitteilungen erbringen, dürfen nicht Bittsteller sein, sondern haben Anspruch auf unverzügliche Behandlung ihrer Anlie- gen. Der Bundesrat hat in seiner 636. Sitzung am 8. November 1991 Die Zielorientierung gilt auch für die Frage des beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen, bzw. einen Standortes. Daher ist klar: Der Aufbau des Bundes- Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: ausfuhramtes, wenn er beschlossen wird, muß in Eschborn erfolgen, nicht nur weil hier eine schnelle Gesetz zu dem Vertrag vom 14. November 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Ausgründung auf technisch kleinstem Nennner in Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze vorhandenen Räumlichkeiten möglich ist, sondern weil sonst auch die dringende Gefahr des Verlustes Gesetz zu dem Vertrag vom 17. Juni 1991 zwischen der Bun- eingearbeiteter Mitarbeiter besteht. Auf Dauer muß desrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute der Sitz dort sein, wo die Kontrolle im Sinne des oben Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit Gesagten mit — aus der Sicht der betroffenen Export- wirtschaft — möglichst geringen Reibungs- und das Gesetz zu dem Abkommen vom 29. Mai 1990 zwischen der heißt Zeitverlusten erfolgen kann. Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Bangla- desch zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen Andrea Lederer (PDS/Linke Liste): Eine neue Be hörde wird geboren — zu einem guten Zweck, Gesetz zu dem Abkommen vom 30. Oktober 1990 zwischen der schenkt man den Ausführungen der Bundesregierung Bundesrepublik Deutschland und der Republik Indonesien zur Glauben; denn sie soll künftig die Überwachung und Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steu- Kontrolle bei Ausfuhren sensitiver Waren, Unterla- ern vom Einkommen und vom Vermögen gen, Technologien und Dienstleistungen besser ge- währleisten, als dies bisher seitens des Bundesamtes für Wirtschaft der Fall war. Aber das Amt heißt nicht Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer etwa Rüstungskontrollbehörde, sondern Bundesaus- Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: fuhramt. Das hat schon seinen guten Grund. Denn nicht zu Beschränkungen des Rüstungsexportes wird Auswärtiger Ausschuß dieses Amt beitragen, sondern lediglich die bisherige - Praxis unter neuen Namen fortsetzen. Kosmetische Drucksache 12/225 Korrekturen und Beschwichtigung der Öffentlichkeit Drucksache 12/955 sind die Antwort, die die Bundesregierung auf all die Drucksache 12/1017 in den letzten Monaten bekannt gewordenen Skan- dale parat hat. Die Waffen- und Technologieausfuhr Haushaltsausschuß aber geht weiter, business as usual. Drucksache 12/894 Die Beamten, die in der neuen Behörde beschäftigt werden, übernommen aus dem bisherigen Bundesamt für Wirtschaft, sollen freilich hochmotiviert und be- Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit sonders qualifiziert sein. Das soll ihnen nicht in Ab- Drucksachen 11/7352, 11/7627 rede gestellt werden, aber in dieser brisanten Frage macht eben die Politik die Musik. Eine Bundesregie- Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß rung, die sich der Fortsetzung und der Verfeinerung der Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis des Rüstungsexports verschreibt, bestimmt natürlich genommen bzw. von einer Beratung abgesehen hat: auch das Ergebnis eines Einsatzes hochqualifizierter Beamter. Ob die vorgesehene Besoldungshöherstu- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit fung zu einer besseren Kontrolle des Rüstungsexports Drucksache 12/152 Nr. 69 führen wird, darf also herzlich bezweifelt werden. Drucksache 12/210 Nr. 201 Dazu fehlt es eben, wie schon so oft beklagt, am poli- tischen Willen, tatsächlich Rüstungsexport drastisch Drucksache 12/210 Nr. 204 einzuschränken und langfristig abzuschaffen. Drucksache 12/269 Nr. 2.33 U-Boot-Blaupausen nach Südafrika, Giftgas an den Drucksache 12/458 Nr. 2.16 Irak, NVA-Waffen in die Welt, der BND als sensitive Drucksache 12/557 Nr. 3.11 Drehscheibe für sensitiven Waffenhandel im Staats- auftrag, das sind die charakteristischen Merkmale der Drucksache 12/1122 Nr. 3.17 Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung. Eine neue Bundsoberbehörde soll und wird hieran nichts Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ändern, wir lehnen diesen Antrag daher ab. Drucksache 12/1174 Nr. 2.25