Deutscher Bundestag

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Deutscher Bundestag Plenarprotokoll 12/74 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 74. Sitzung Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 Inhalt: Tagesordnungspunkt 13: Tagesordnungspunkt 14: a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulrich Klinkert und der Fraktion der Ulrich Adam, Anneliese Augustin, Diet- CDU/CSU sowie des Abgeordneten Ger- rich Austermann, weiterer Abgeordneter hart Rudolf Baum und der Fraktion der und der Fraktion der CDU/CSU sowie der FDP: Reaktorsicherheit in den Staaten Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Günther Mittel- und Osteuropas (Drucksache Bredehorn, Dr. Olaf Feldmann, weiterer 12/1906) Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Förderung des Fremdenverkehrs in den neuen Ländern (Drucksache 12/1323) b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 6201 C Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Hinrich Kuessner SPD 6202 B Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Vorschlag für eine Richtlinie des Dr. Olaf Feldmann FDP 6204 A Rates zur Änderung der Richtlinie 08/836/EURATOM über die Grundnor- Dr. Barbara Höll PDS/Linke Liste . 6205 B - men für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte ge- Klaus Beckmann, Parl. Staatssekretär gen die Gefahren ionisierender Strah- BMWi 6206 C lungen im Hinblick auf die vorherige Klaus Brähmig CDU/CSU 6208 A Genehmigung der Verbringung radio- aktiver Abfälle (Drucksachen 12/350 Iris Gleicke SPD 6209 C Nr. 12, 12/1752) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger FDP Ulrich Klinkert CDU/CSU 6189B 6211A Carl Ewen SPD 6212 B Klaus Lennartz SPD 6190D Dr. Gerhard Päselt CDU/CSU 6212 C Ulrich Klinkert CDU/CSU 6191 C Dr. Peter Eckhardt SPD 6213 D Gerhart Rudolf Baum FDP 6194 D Werner Dörflinger CDU/CSU 6215D Klaus Lennartz SPD 6196B Simon Wittmann (Tännesberg) CDU/CSU 6216D Dr. Dagmar Enkelmann PDS/Linke Liste 6197A Zusatztagesordnungspunkt: Werner Schulz (Berlin) Bündnis 90/GRÜNE 6198A Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirt Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU . 6198C schaft zu dem Antrag der Abgeordneten II Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 Gernot Erler, Hans Gottfried Bernrath, Dr. Fritz Schumann (Kroppenstedt) PDS/ Lieselott Blunck, weiterer Abgeordneter Linke Liste 6222 C und der Fraktion der SPD: Soforthilfspro- Gernot Erler SPD 6223 B gramm für die Sowjetunion und ihre Dr. Erich Riedl, Parl. Staatssekretär BMWi Republiken 6224 D zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP: Hilfe zur Selbsthilfe für Nächste Sitzung 6227 C die Sowjetunion und ihre Republiken (Drucksachen 12/1321, 12/1580, 12/1975) Anlage 1 Dr. Rudolf Sprung CDU/CSU 6218A Liste der entschuldigten Abgeordneten . 6229* A Dr. Uwe Jens SPD 6219D Anlage 2 Dr. Heinrich L. Kolb FDP 6221 B Amtliche Mitteilungen 6230* A Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 6189 74. Sitzung Bonn, den 24. Januar 1992 Beginn: 9.00 Uhr Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine gibt. Der katastrophale Sicherheitsstandard der Ke rn Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. -kraftwerke in Mitteleuropa, der jeden Tag zu einem neuen Tschernobyl führen kann, gebietet normaler- Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: weise ein sofortiges Abschalten der meisten der Reak- toren. Dies würde allerdings zu einem Zusammen- a) Beratung des Antrags des Abgeordneten Ul rich bruch der Energieversorgung und damit der Wirt- Klinkert und der Fraktion der CDU/CSU sowie schaft dieser L ander führen und eine vollständige des Abgeordneten Gerhart Rudolf Baum und Verelendung des Volkes nach sich ziehen. der Fraktion der FDP Reaktorsicherheit in den Staaten Mittel- und Ohne ausreichende Energie ist der notwendige Osteuropas wirtschaftliche Aufschwung in diesen Ländern nicht machbar. Kraß formuliert, stehen die Regierungen — Drucksache 12/1906 — dieser Länder vor der Entscheidung, das Volk entwe- Überweisungsvorschlag: der erfrieren zu lassen oder der weiteren Gefahr, die Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit von den Reaktoren ausgeht, auszusetzen. (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Die zur Nachrüstung oder zum Ersatz der gefährli- Ausschuß für Forschung, Technologie und Technikfolgenab- chen Reaktoren erforderlichen Finanzmittel sind so schätzung hoch, daß sie derzeit von den betroffenen Ländern b) Beratung und Beschlußempfehlung und des nicht annähernd aufgebracht werden können. Neben- Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- bei bemerkt, würde der vollständige Ausstieg aus der schutz und Reaktorsicherheit (17. Ausschuß) zu Kernenergie in diesen Ländern und deren Ersatz der Unterrichtung durch die Bundesregierung durch Wärmekraftwerke, sofern das technisch über- Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur haupt machbar ist, zu einem erheblichen Ansteigen Änderung der Richtlinie 08/836/EURATOM der CO2-Konzentration in der Atmosphäre führen. über die Grundnormen für den Gesundheits- Der hier zu beratende Antrag enthält daher fol- schutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gende Forderungen an die Bundesregierung: gegen die Gefahren ionisierender Strahlun- gen im Hinblick auf die vorherige Genehmi- Erstens ist es notwendig, sich zunächst einmal aktiv gung der Verbringung radioaktiver Abfälle an der Entwicklung multilateraler Hilfsaktionen für die Staaten Mittel- und Osteuropas zu beteiligen und — Drucksachen 12/350 Nr. 12, 12/1752 — so weit wie möglich durch bilaterale Unterstützungs- Berichterstattung: maßnahmen zu flankieren. Dies gilt insbesondere für Abgeordnete Klaus Har ries die Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Reinhard Weis (Stendal) Gerhart Rudolf Baum Die zweite Forderung lautet, auf eine bessere Koor- dinierung und schnellere Realisierung von internatio- Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Debattenzeit von nalen Unterstützungsprogrammen hinzuarbeiten und einer Stunde vor. Ich gehe davon aus, das Haus ist dabei die Beteiligung von internationalen Institutio- damit einverstanden. — Das scheint der Fall zu sein. nen wie der EG, der Weltbank und der Europäischen Dann haben wir dies beschlossen und können mit der Bank für Wiederaufbau anzustreben. Debatte beginnen. Zunächst erteile ich dem Abgeord- neten Klinkert das Wort. Als dritte Forderung haben wir formuliert, bei der Erarbeitung der Europäischen Energiecharta den Rahmen dafür zu schaffen, daß nicht nur die Versor- (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine Ulrich Klinkert gungssicherheit erhöht wird, sondern in gleichem sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen vorlie- Maße auch Umweltschutz und Anlagensicherheit ver- gende Antrag der Koalitionsfraktionen zur Reaktorsi- bessert werden. cherheit in den Staaten Mittel - und Osteuropas regelt ein Spannungsfeld, das sich aus mehreren, den Staa- Kernkraftwerke wurden in den ehemaligen RGW- ten Osteuropas innewohnenden Widersprüchen er- Staaten seit 1950 errichtet. In der Zwischenzeit ergibt 6190 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 74. Sitzung. Bonn, Freitag, den 24. Januar 1992 Ulrich Klinkert sich folgender Stand der Versorgung dieser Staaten Umrüstung liegen im Moment nicht vor und sollten durch Kernenergie: in Bulgarien 35 %, in der ehema- von vornherein nicht ins Kalkül gezogen werden. ligen Sowjetunion 23 %, in der CSFR 28 % und in Dann gibt es die sogenannten WWER-Reaktoren, Ungarn gar 50 %. die in verschiedenen Generationen gebaut wurden. Die Reaktoren der ersten Generation werden mit (Klaus Lennartz [SPD]: Was heißt das?) einem Nachrüstbedarf von 80 Millionen DM pro Block Bei fast allen diesen Kraftwerken sind Schutz- und für einen befristeten Weiterbetrieb von ca. fünf Jahren Vorsorgemaßnahmen, die erst in ihrem Zusammen- für möglich gehalten. Der Importbedarf für diese wirken eine ausreichende Sicherheit ergeben wür- Nachrüstung betrüge ca. 30 Millionen DM pro Block. den, durch Mängel und Defizite behaftet, Defizite vor Bei der zweiten Generation wären umfangreiche allen Dingen bei der sicherheitstechnischen Ausle- Nachrüstmaßnahmen in einer Größenordnung von gung von Systemen und Komponenten. Hier ist es so, 300 Millionen DM pro Block erforderlich. Auch hier daß kein Kernkraftwerk westdeutschem Sicherheits- müßten Importe in einer Größenordnung von etwa standard entsprechen würde. Es gibt Abweichungen 100 Millionen DM pro Block getätigt werden; so viel vom auslegungsgemäßen Zustand. Die Dokumenta- ist jedenfalls veranschlagt. tion und Sicherheitsnachweise sind unvollständig. Die Die dritte Generation, die mit einer Leistung von Qualitätssicherung ist unzulänglich. Defizite bei War- 1 000 MW ausgelegt war, könnte in etwa auf westli- tung, Reparatur und Instandhaltung führen zu einer ches Sicherheitsniveau ertüchtigt werden. Allerdings zusätzlichen Erhöhung des Risikos. betrügen die Kosten hier 200 Millionen DM pro Block; der Importanteil betrüge 60 Millionen DM. Gefährdungen für die Reaktorsicherheit ergeben sich aber nicht nur aus unzureichender Technik, Auch Nachrüstmaßnahmen würden zu einem sondern durchaus auch aus der im Moment nicht recht erheblichen Mittel- und Devisenbedarf führen, der zu kalkulierenden politischen Entwicklung. auf Grund der wirtschaftlichen und technischen Mög- lichkeiten von den betroffenen Ländern nicht aufge- Dabei ist die Situation im Energiebereich dieser bracht werden kann. Ohne Berücksichtigung nationa- Staaten insgesamt gekennzeichnet durch eine ge- ler Leistungen, von Stillegungskosten sowie Still- ringe Effizienz beim Energieeinsatz und einen ver- standszeiten usw. ergäbe sich ein Devisenbedarf für gleichsweise hohen Energieverbrauch.
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