Die Erinnerungsindustrie MEDIEN Historische Themen Boomen
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FOTOS: [MM-MONTAGE], AKG, SPIEGEL TV, KEYSTONE, ROMONO RUHNAU/ZDF/DIE LETZE SCHLACHT, WARNER BROS/TROJA, CINETEXT BROS/TROJA, WARNER SCHLACHT, LETZE RUHNAU/ZDF/DIE ROMONO KEYSTONE, TV, SPIEGEL AKG, [MM-MONTAGE], FOTOS: Die Erinnerungsindustrie MEDIEN Historische Themen boomen. Ob Fernsehsender, Verlage oder Archive: Viele Akteure verdienen am Geschäft mit der Geschichte. auchfahrt in die Vergangenheit. Wibke Bruhns ging in über 100 000 Deutschlands Wirtschaft mag stag- Als der Krieg nach Deutschland Exemplaren über den Ladentisch. Mit nieren – die Erinnerungsindustrie T kam. Hitlers Frauen. Hitlers Hel- fast fünf Millionen Besuchern war boomt. „Das mediale Interesse an histo- fer. Hitlers Generäle. Das Geheimnis „Der Untergang“ der dritterfolgreichste rischen Themen, besonders am Natio- der Templer. Hitlers Manager. Kleo- deutsche Film des Jahres 2004. Allein nalsozialismus, ist in den vergangenen patra – Hure oder Herrscherin? das Online-Versandhaus Amazon hat Jahren exponentiell gestiegen“, sagt der Keine Atempause, Geschichte wird mehr als 100 verschiedene Bücher Freiburger Historiker Ulrich Herbert. gemacht. Und zwar in Massenproduk- des ZDF-Geschichtsprofessors Guido Seit Mitte der 90er Jahre erobert Ge- tion, im Fernsehen und in Büchern, im Knopp im Angebot. Und der Regisseur schichte vor allem im Fernsehen immer Kino und in Zeitschriften. Das vor gut Heinrich Breloer spottete bereits über mehr Platz. Medienwissenschaftler der einem Jahr erschienene Kriegserinne- die allgegenwärtige „Nazi-Olympiade“ Universität Halle unter Leitung von rungsbuch „Meines Vaters Land“ von in den Medien. Edgar Lersch und Reinhold Viehoff 162 managermagazin 5/2005 Hitlers langer Schatten Trends Medien Berichterstattung über zeitgeschichtliche Themen in deutschen Medien (Beiträge pro Thema), 1.1.04 bis 30.3.05 haben in einer noch unveröffentlichten Historiker Herbert. Stattdessen haben Studie historische Sendungen der Jahre die Medien den Nationalsozialismus als NS*: Geschichte allgemein, 676 1995, 1999 und 2003 gezählt: Waren es „Schatztruhe voller dramatischer Ge- Gedenktage 1995 in vier Stichprobenwochen noch schichten“ entdeckt, wie Günther van 222, stieg die Anzahl über 289 (1999) bis Endert sagt, der beim ZDF eine Goeb- Umgang mit der 355 auf 328 Sendungen im Jahr 2003. bels-Dokumentation betreute. Womög- DDR- Den vorläufigen Höhepunkt der Ver- lich sind die wahren Ursachen des Ge- (z.B. Stasi-Akten) gangenheitsversessenheit dürfte der schichtsbooms nicht auf der Nachfrage-, Bundesdeutsche Markt erreichen, wenn sich dieser Tage sondern auf der Angebotsseite zu finden. Geschichte 308 das Ende des Zweiten Weltkriegs in Denn auch optisch hat sich viel getan. (Einzelaspekte) Farbfotos und Farbfilme, die jahrzehn- Zweiter Weltkrieg/ 267 telang unbemerkt in Archiven schlum- Die SS merten, haben in der Berichterstattung über das Dritte Reich die grieseligen DDR: Geschichte Schwarz-Weiß-Bilder ersetzt. Das so ge- allgemein, 186 nannte Reenactment, das Nachspielen Gedenktage historischer Szenen, ist heute in TV- DDR: Opposition, Dokumentationen gängige Praxis. Damit Flucht, Repression 140 lässt sich selbst eine Sendung über die (z.B. Stasi) Eisenwirtschaft der Hallstatt-Kultur zum packenden Doku-Drama aufpeppen. BRD: 1945 bis 123 „Die neue Aufbereitung von Ge- 1989 schichtsthemen wirkte wie eine Produkt- innovation“, analysiert Markus Klose, NS: 122 Geschäftsführer bei Hoffmann und Widerstand Campe. „Die historischen Reportagen ohne bildungsbürgerlichen Impetus be- NS: Unterdrückung 103 friedigen eine latent vorhandene Nach- und Verfolgung frage, der bis vor einigen Jahren kein adäquates Angebot gegenüberstand.“ DDR: Wirtschaft, 86 Hoffmann und Campe hat von diesem Arbeit und Soziales Trend profitiert, mit Erfolgstiteln wie Auswertung von 2714 zeitgeschichtlichen Beiträgen in 9 TV- „Das Bernsteinzimmer“, Begleitbuch zur Nachrichtensendungen, 10 TV-Magazinen, 9 Wochenmedien Die Historie als Bestseller: gleichnamigen ZDF-Produktion. und 5 Tageszeitungen; *NS = Nationalsozialismus Geschichtstitel in einer Buchhandlung Von der Geschichtswissenschaft zur Quelle: Medientenor Eventkultur: Verlage, Filmproduktions- Europa zum 60. Mal jährt. So kommt im firmen, Archive und Sender bilden in- Dank seines Credos („Wir müssen das Mai Breloers Doku-Drama „Speer und zwischen einen historisch-industriellen Publikum schlicht und ergreifend inte- er“ auf den Schirm; derzeit läuft eine Komplex, der Vergangenheit vermarktet ressieren“) erreichen Knopps Doku- Goebbels-Dokumentation von Michael wie Disney das Bambi-Reh. Branchen- mentationen regelmäßig zweistellige Kloft und Lutz Hachmeister im Kino. insider schätzen das deutsche Markt- Quoten – gegen die starke Konkurrenz Deutschland ist verliebt in die Ver- volumen auf gut 100 Millionen Euro. von Krimis und Familienserien. „Auf- gangenheit. Doch warum? Hat die junge klärung braucht Reichweite“, sagt Knopp. Generation, wie Feuilletonisten raunen, Das System Knopp Seine Bilanz nach 20 Jahren: 33 Doku- ein neues, unverkrampftes Interesse an Der Mann, mit dem die neue Art der mentarreihen, 728 „Damals“-Sendun- der Geschichte entwickelt? Ist es eine Geschichtenvermittlung begann, sieht gen, über 100 „History“-Termine, 52 Rückbesinnung auf die eigenen Wur- so gar nicht nach einem Revolutionär Sondersendungen und 30 Fernseh- zeln, mit der die Menschen auf die Um- aus. Eher gleicht er mit seiner sonoren preise. Nach ZDF und ARD kommt auf brüche der Globalisierung reagieren? Stimme dem Klischee eines englischen dem Doku-Markt ziemlich lange nichts; Die schönen Thesen sind nur ein Teil Lords. nur SPIEGEL TV kann noch erfolgreich der Wahrheit. Der andere Teil ist sehr Guido Knopp, der Mitte der 80er Jahre historische Dokumentationen bei Pri- viel profaner: In den vergangenen Jah- mit der ZDF-Redaktion „Zeitgeschichte“ vatsendern platzieren. ren hat sich in deutschen Medien eine startete, ist der Mannschaftsführer, um Knopp ist es gelungen, seine Redak- neue und vor allem lukrative Art der den sich die anderen Spieler im Histo- tion zu einer beeindruckenden Ver- POPKES CHRISTIAN FOTO: Geschichtsvermittlung durchgesetzt. Es rienmarkt scharen. Inzwischen ist der marktungsmaschine auszubauen. Für werden keine trockenen Forschungs- Doku-Großmeister so bekannt, dass er eine 43-Minuten-Dokumentation zahlt fragen mehr erörtert oder Schuld-und- selbst zum Gegenstand wissenschaftli- sie freien Produzenten 200 000 bis Sühne-Debatten geführt. „Die Zeit der cher Arbeiten und medialer Bericht- 300 000 Euro. Das eigentliche Geschäft Betroffenheitssemantik ist vorbei“, sagt erstattung geworden ist. aber beginnt bei der Zweitverwertung 164 managermagazin 5/2005 mit Büchern, DVDs und lukrativen Aus- dafür aber kommen Bestseller wie „Bil- meister deshalb an einen Pool freier landsrechten, die allein bis zu einer der des Jahrhunderts“ locker über die Produktionsfirmen ausgelagert. Kenner halben Million Euro bringen. 100 000er-Marke. „Der Buchhinweis der Branche schätzen, dass in Deutsch- Abnehmer wie der amerikanische nach der jeweiligen Sendung im ZDF land 20 bis 30 Produzenten von histori- History Channel bieten um die 80 000 ist aus der Marketingperspektive natür- schen Dokumentationen leben können. Dollar für eine Dokumentation wie lich unbezahlbar“, sagt Hoffmann-und- Wer ordentlich im Geschäft ist, schafft „Hitlers Helfer“. Der deutsche Ableger Campe-Manager Klose. in guten Jahren drei bis fünf Millionen von History Channel, der im November Der Anteil von ZDF Enterprises an 2004 an den Start ging und mit Filmen den Begleitbüchern wiederum fließt wie „Der Fluch des Tutanchamun“ vom zurück an die Redaktion Zeitgeschich- Geschichtsinteresse profitieren will, be- te – für neue Dokumentationen. Knopp zieht ein Fünftel seines Programms vom selbst bekommt sein ZDF-Gehalt als Re- ZDF. Neun Euro im Monat kostet das daktionsleiter – und verdient ansonsten Paket bei Kabel Deutschland, in dem nur an den Begleitbüchern mit. Das auch der Geschichtskanal enthalten ist. allerdings nicht schlecht. Bei bis zu vier Derzeit zählt Channel-Manager Jochen Büchern pro Jahr und – wie Branchen- Kröhne 80 000 Abonnenten – der Break- insider schätzen – Vorschüssen zwi- even liegt bei 1,5 Millionen. „Bis Ende schen 100 000 und 250 000 Euro pro 2007 wollen wir möglichst so weit sein“, Buch kommt einiges zusammen. sagt Kröhne. Die Vermarktung an Partner wie Die Produzenten History Channel übernimmt die ZDF- Längst übersteigt Knopps Filmausstoß Tochter ZDF Enterprises. Sie hält meist die Kapazitäten seiner Abteilung. Einen auch die Rechte an Videos und DVDs – Großteil der Arbeit hat der Doku-Groß- und bekommt vom Erlös aus dem Ver- kauf der Begleitbücher einen Anteil zwi- schen 5 und 15 Prozent. Zwar verkaufen Erfolgsautor: Guido Knopp liest sich von manchen Büchern wie „Hitlers aus dem Begleitbuch zur Manager“ nur gut 10 000 Exemplare; TV-Dokumentation „Die große Flucht“ 166 managermagazin 5/2005 Euro Umsatz. Am besten gelingt das de- mentation holt Broadview meist durch „dem Guido“ nach eigener Aussage nen, die einen Platz an den Futtertrögen die Erstausstrahlung bei Stammkunden prima versteht. Und inzwischen fast ge- der öffentlich-rechtlichen Sender ergat- wie dem ZDF wieder herein; der Rest nauso erfolgreich ist. tert haben. Das verleiht der Szene eine wird durch Auslandsverkäufe und ei- Sein Dreiteiler „Offiziere gegen Hit- familiäre Atmosphäre: Auffallend viele gene Mittel finanziert. ler“ war ebenso ein Quotenhit wie Doku-Filmer, die jetzt für ARD oder Dehnhardts bislang größter Erfolg: „Mythos Rommel“ (beides für die ARD). ZDF drehen, haben sich, wie Guido die Dokumentation