Geschlechtsspezifisches Schreiben Im Journalismus

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Geschlechtsspezifisches Schreiben Im Journalismus Geschlechtsspezifisches Schreiben im Journalismus: Wie Reporterinnen und Reporter Wirklichkeit wahrnehmen und darstellen, aufgezeigt am Geschlechterbild in ausgezeichneten Reportagen aus der Zeit von 1977 bis 1999 INAUGURAL-DISSERTATION Zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln Vorgelegt von Petra Zahrt, M.A. aus München Oktober 2001 „Begin at the beginning ... and go on till you come to the end; then stop.“ Lewis Carroll Alice´s Adventures in Wonderland 2 INHALT: 1. Vorwort 6 2. Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit 7 3. Das methodische Vorgehen 13 3.1 Das Textkorpus 14 3.1.1 Reportage als Textsorte 16 3.1.2 Journalistenpreise in Deutschland – der Egon Erwin Kisch-Preis 22 3.1.3 Ausgezeichnete Reportagen – Themen und Preisträger 28 3.1.4 Beispielhaftigkeit des Untersuchungskorpus´ 37 3.2 Gliederung und Aufbau der Analyse 38 3.3 Frau und Mann im Mittelpunkt der Reportagen 40 3.3.1 Geschlechterbild-Diskurse 41 3.3.1.1 Feministische Theorie- und Strategierichtungen 41 3.3.1.1.1 Frauenbildforschung und Frauenliteraturgeschichte: Der Gleichberechtigungs-Ansatz 42 3.3.1.1.2 Konstitution von Subjektivität: Der Differenz-Ansatz 46 3.3.1.1.3 Gender-trouble oder: critically queer 51 3.3.1.2 Patriarchale Geschlechterbilder 54 3.3.2 Geschlechterbild-Diskurse und ihre Bedeutung für diese Untersuchung 55 3.4 Sprache und Struktur 56 3.4.1 Die Reportagesituation 57 4. Das Frauenbild der Reporterin 61 4.1 Die Asymmetrie der Positionen 61 4.2 Die triadische Bestimmung der Frau 68 4.2.1 Der Versuch, eine gute Hausfrau zu sein 70 4.2.2 Der Versuch, eine gute Ehefrau zu sein 73 4.2.3 Der Versuch, eine gute Mutter zu sein 74 4.3 Die Reporterin 77 4.3.1 Stimme für die „andere“: die Sprachrohr-Funktion der Reporterin 78 4.3.2 Die erlebende Ich-Reporterin 86 3 4.3.2.1 Frau auf dem Schauplatz 87 4.3.2.2 Frau hinter den Kulissen 93 4.4 Fazit: Das Frauenbild der Reporterin 100 5. Das Männerbild der Reporterin 104 5.1 Der Mann als patriarchaler Herrscher über die Frau 104 5.1.1 Im Privatleben 105 5.1.2 Im öffentlichen Leben 107 5.1.3 Neue Sphäre: der privat-öffentliche Raum 109 5.2 Die Reporterin als Richterin über den Mann 111 5.2.1 Der stumme Mann 111 5.2.2 Der verhöhnte Mann 113 5.3 Fazit: Das Männerbild der Reporterin 116 6. Das Frauenbild des Reporters 118 6.1 Ikone und Unberührbare 118 6.2 Natur und Lolita 121 6.3 Der Reporter als Lobbyist der Frau 123 6.3.1 Der erlebende Porträtist 123 6.3.2 Der wertende Porträtist 129 6.4 Die nebensächliche Frau oder: Die Frau in männlichen Räumen 134 6.5 Der Reporter als Lobbyist des Mannes 142 6.5.1 Unsympathische oppinio communis 142 6.5.2 Stumme Statistin 143 6.6 Fazit: Das Frauenbild des Reporters 144 7. Das Männerbild des Reporters 146 7.1 Der Mann als verabsolutierte Arbeitskraft 146 7.1.1 Tempo 147 7.1.2 Präzision 152 7.1.3 Geld 155 7.2 Der Reporter als Dokumentator des „anderen“ 157 7.3 Der Mann als Abenteurer und Entdecker 167 7.3.1 In fremden Räumen 168 7.3.2 In fremden Rollen 176 7.3.3 Der Reporter als leid- und lustvoller Entdecker 184 4 7.4 Der Mann als Richter 206 7.4.1 Die Zeugenaussagen 206 7.4.2 Der Richterspruch 213 7.5 Fazit: Das Männerbild des Reporters 222 8. Fazit und Diskussion: Gibt es geschlechtsspezifisches Schreiben? 226 9. Exkurs: Frauen, Journalismus, Perspektiven 243 10. Richtlinien für die Vergabe des Egon Erwin Kisch-Preises 258 11. Übersicht: Die Preisträger 1977-1999 262 12. Quellen 266 13. Darstellungen 271 14. Erklärung 283 5 1. Vorwort Die Idee für die vorliegende Arbeit ist vor dem Hintergrund meiner eigenen journalistischen Arbeit und der Fortführung und Vertiefung meines Magisterthemas1 entstanden. „Danke“ sage ich allen, die mich dabei mit Informationen, Diskussionen, wertvollen Ratschlägen und nicht zuletzt ihrer kostbaren Zeit unterstützt haben. Stellvertretend möchte ich an dieser Stelle Prof. Dr. Walter Pape nennen. Zeit und Geduld hat diese Arbeit besonders auch jene gekostet, die ähnlich unmittelbar wie ich in dieses Projekt eingebunden waren. Motivation und Kraft bedurfte es – dass ich von beidem mehr bekommen habe, als ich erwarten konnte, gehört neben allem anderen wohl zur wichtigsten und schönsten Erfahrung in dieser Zeit. Ein großes „Danke“ daher an die Menschen, die mich von Beginn an begleitet und immer wieder bestärkt haben. Dank vor allem meiner Familie und Thomas ganz besonders. Petra Zahrt München, im Oktober 2001 1 Thema meiner Magisterarbeit waren ausgewählte Reportagen der Schweizerin Annemarie Schwarzenbach (1908-1942). Der Titel lautete: Frauen unterwegs: Die Schriftstellerin und Journalistin Annemarie Schwarzenbach (ausgewählte Reportagen). 6 2. Gegenstand und Zielsetzung der Arbeit Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, Frauen- und Männerbilder in zeitgenössischen journalistischen Reportagen zu definieren und zu analysieren sowie darüber hinaus eine sprachliche Ordnung zwischen Wahrgenommenem und Wahrnehmendem aufzuzeigen. Sowohl inhaltliche als auch strukturelle Stereotype, so die grundlegende These, sind Indizien für ein geschlechtsspezifisches Schreiben, wobei nicht das biologische Geschlecht für diese oder jene Form des Schreibens verantwortlich gemacht wird. Wenn von „Geschlechtsspezifik“ die Rede ist, so wird „Geschlecht“ als soziale („gender“), nicht als biologische („sex“) Kategorie verstanden.2 Die Erkenntnisinteressen dieser Arbeit heißen somit: 1. Gibt es stereotype Geschlechterbilder in zeitgenössischen journalistischen Reportagen und wenn ja, wie sehen sie aus? 2. Wie werden diese Bilder sprachlich vermittelt und gibt es ebenfalls stereotype Formen der Vermittlung? 3. Welche Aussagen lassen sich aufgrund der Analyse-Ergebnisse hinsichtlich der Aktualität der unterschiedlichen Diskurse zu Geschlecht und Gesellschaft generell treffen, und welches Fazit ist besonders im Hinblick auf geschlechtsspezifisches Schreiben möglich? 3 Damit baut diese Untersuchung auf den maßgeblichen Konzepten der feministischen Literatur- und der Genderwissenschaft auf, die den Ansatz zu Lektüre und Analyse der Reportagen unter den Gesichtspunkten der Geschlechterwahrnehmung, –darstellung und -vermittlung geliefert haben: Frauenbildforschung; geschlechtsspezifisches, d.h. weibliches Schreiben; soziale Interpretation der Kategorie „Geschlecht“. Alle Perspektiven werden berücksichtigt, d.h. die Frau ist einerseits Wahrnehmende von Frauen und Männern und zugleich die von ihnen Wahrgenommene; umgekehrt steht auch der Mann als Wahrnehmender und 2 Vgl. hierzu auch die weiteren Ausführungen auf S. 10-11. 3 Schließlich gibt es auch „geschechtsspezifisches Kommunikationsverhalten“: Gisela Schoenthal: Geschlecht und Sprache, In: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch 1991. Darmstadt 1992, S. 90-110: „‘Hat die Sprache ein Geschlecht?‘ Die Frage läßt sich mit Nein und mit Ja beantworten. Nein, denn es gibt nach unserem bisherigen Wissen keine geschlechtstypische Sprache. Aber auch: Ja, denn es gibt geschlechtstypisches Kommunikationsverhalten und Elemente geschlechtstypischer Gesprächsstile, deren situative, soziale und kulturelle Variationen allerdings noch nicht ausreichend erforscht sind.“ S. 103. Vgl. hierzu z.B. auch: Senta Trömel-Plötz: Frauensprache: Sprache der Veränderung. Frankfurt: Fischer 1982. Dies.: Frauensprache: Sprache der Verständigung. Frankfurt: Fischer 1996. 7 Wahrgenommener beider Geschlechter im Zentrum der Untersuchung. Das Analysekorpus umfasst diejenigen Reportagen aus der Zeit von 1977 bis 1999, die mit dem Egon Ewin Kisch-Preis für die besten Reportagen eines Jahres ausgezeichnet wurden.4 Als „eine Form männlicher Wunsch- und Ideologieproduktion in literarischen Texten“5 definiert Inge Stephan den Begriff „Frauenbild“. Im Rahmen dieser Arbeit wird der Untersuchungsgegenstand erweitert, denn nicht nur männliche Ideologieproduktionen werden analysiert. Es geht um Bilder, die Reporterinnen und Reporter von Frauen und Männern entwerfen und die durch ihre mediale Reproduktion, im speziellen Fall die Reproduktion in auflagenstarken Tageszeitungen, in Publikums- und Nachrichtenmagazinen, zur Verbreitung und Demokratisierung von Klischees beitragen. Darüber hinaus soll dargelegt werden, wie sehr Sprache nicht nur Realität wiederspiegelt, sondern sie auch konstruiert.6 Prämisse für dieses Programm ist die These von einem geschlechtsspezifischen Schreiben, das sich außer in schematischen inhaltlichen besonders in gleichförmigen strukturellen Formen niederschlägt – jeweils spezifisch für eine Verfasserin bzw. einen Verfasser. Inhalte und Schreibweisen sollen aufgrund bestimmter Spezifika einer Reporterin oder einem Reporter zugeordnet werden, womit diese Eigenschaften phänotypisch zwar an das biologische Geschlecht des Verfassers geknüpft, aber nicht als deren „natürliche“ Konsequenz verstanden werden sollen, wie etwa Vertreterinnen der feministischen Differenztheorie als Quelle weiblichen Schreibens das biologische Geschlecht der Frau und die damit verbundenen körperlichen Erfahrungen anerkennen.7 Die Ursachen für ein geschlechtsspezifisches Schreiben sind, so die Grundannahme dieser Arbeit, vielmehr in den kulturspezifischen Erfahrungen von Frauen und Männern zu finden, oder, um mit Christa Wolf zu sprechen: Weibliches Schreiben gibt es, „insoweit Frauen aus historischen und biologischen Gründen eine andere Wirklichkeit erleben als Männer. Wirklichkeit 4 Initiiert wurde der Preis von Stern-Herausgeber Henri Nannen. Seit 1977 wird der Preis jährlich vom „Stern“ verliehen. Vgl. hierzu Kap. 2.1.2, „Der Egon Erwin Kisch-Preis“, S. 22-28. 5 Inge Stephan: „Bilder und immer wieder Bilder...“
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