Mitteilungen Aus Dem Brenner-Archiv Nr. 31/2012

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Mitteilungen Aus Dem Brenner-Archiv Nr. 31/2012 Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv Nr. 31/2012 innsbruck university press Johann Holzner, Anton Unterkircher: Brenner-Archiv, Universität Innsbruck Gedruckt mit Unterstützung des Dekanats der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck, des Amtes der Tiroler Landesregierung (Kulturabteilung) und des Kulturamts der Stadt Innsbruck ISSN 1027-5649 Eigentümer: Brenner-Forum und Forschungsinstitut Brenner-Archiv Innsbruck 2012 Bestellungen sind zu richten an: Forschungsinstitut Brenner-Archiv Universität Innsbruck (Tel. +43 512 507-4501) A-6020 Innsbruck, Josef-Hirn-Str. 5 brenner-archiv.uibk.ac.at Druck: Steigerdruck, 6094 Axams, Lindenweg 37 Satz: Barbara Halder und Christoph Wild Layout und Design: Christoph Wild Nachdruck oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Herausgeber gestattet. © innsbruck university press, 2012 Universität Innsbruck 1. Auflage Alle Rechte vorbehalten. Inhalt Editorial 5 Texte Anna Rottensteiner: Lithops 7 Michael Sallinger: Die Schiffsschraube: oder der Anker im Buchstaben Erinnerungen eines Fossils an seine österreichische Literatur in einem Absatz 19 Aufsätze Klaus Müller-Salget: Ein verdächtiges Subjekt? Der Dichter Heinrich von Kleist 27 Hans Weichselbaum: „Eine bleiche Maske mit drei Löchern“ Zu Georg Trakls Selbstporträt 37 Csilla Mihály: Fremdheit als ausgeblendete Identität Bemerkungen zu Kafkas ‚In der Strafkolonie‘ 45 Sabine Eschgfäller: Karikaturen von Eng? Anmerkungen zu neu entdeckten Zeichnungen aus der Olmützer Villa Müller 69 Eleonore De Felip: Interieurs unter freiem Himmel. Die poetische Integration von Innen und Außen bei Friederike Mayröcker, Barbara Hundegger und Daniela Hättich 85 Aus dem Archiv Eberhard Sauermann: Angelika v. Hörmann, eine deutschnationale (Kriegs-)Lyrikerin aus Tirol 97 Christine Riccabona: Anmerkungen zu zwei Briefen im Nachlass Ludwig von Fickers und zu deren Verfasserin Marie Holzer 127 Ulrich Lobis und Alfred Schmidt: Erster Brief Ludwig Wittgensteins in der Österreichischen Nationalbibliothek Zum Briefwechsel der Familie Wittgenstein mit Johann Victor Krämer 137 Joseph Wang: Graphentheoretische Modelle zu Wittgensteins ‚Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychoanalyse und religiösen Glauben‘ 147 Ingrid Fürhapter, mit Ergänzungen von Iris Kathan: „Exls Tiroler Bühne ist die Beste!“ Eine Befundanalyse der Sammlung „Rezensionen und Selbstzeugnisse“ im Nachlass Exl-Bühne 169 Gabriele Wild: 30 Jahre Theater für das „Volk“?! Die Tiroler Volksschauspiele Telfs im Spiegel der Medien und eine Suche nach dem Begriff des Volksschauspiels 201 Nachruf Alan Janik: Stig Nystrand (1929 Österbotten, Finnland – 2012 Ystad, Schweden) 219 Rezensionen und Buchzugänge 221 Bericht des Institutsleiters 247 Neuerscheinungen 251 Editorial Zum Kreis der Mitarbeiter/innen des Brenner-Archivs und der Vorstandsmitglieder des Brenner-Forums gehörten immer schon und zählen nach wie vor Autorinnen und Autoren, die nicht nur wissenschaftliche, sondern auch literarische Texte verfasst und veröffentlicht haben. Dieser Kreis hat sich wieder einmal erweitert: Anna Rottensteiner, seit 2003 mit der Programmleitung des Literaturhauses betraut, wird 2013 in der edition laurin ihren ersten Roman präsentieren; einen Auszug daraus finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, schon in dieser Nummer unserer Mitteilungen. Das Kleist-Jahr 2011 ist auch im Brenner-Archiv gewürdigt worden; Klaus Müller- Salget, Vorstandsmitglied der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft, hat in seinem Vortrag, den wir hier publizieren dürfen, ebenso konzis wie souverän zusammengefasst, was das Werk Kleists auszeichnet und seine phänomenale Wirkungsgeschichte begründet. Gedenkjahre sollten ja nie dazu verleiten, dass Feiern veranstaltet werden, die „im Dithyrambischen stecken bleiben“ (wie Hermann Broch das seinerzeit schon formuliert hat, in seiner Rede zum 50. Geburtstag von James Joyce, 1932 in Wien); sie können aber andererseits doch auch Anlässe bieten, an kanonisierte ebenso wie an vergessene, verschüttete, unterdrückte Dokumente des kulturellen Lebens zu erinnern, und sie verleiten im besten Fall auch zu einem Nachdenken dort, wo „der Strom der Geschichte die Geschichten der Individuen fortschwemmt“ (Karlheinz Roßbacher). In diesem Sinn haben der Verein heimat Brixen Bressanone Persenon und das Brenner-Archiv anlässlich des 25. Todestages von Maria Veronika Rubatscher am 1. September 2012 zu einem Symposium in die Cusanus Akademie in Brixen geladen, um das nicht unumstrittene literarische und ideologische Erbe einer Autorin zur Diskussion zu stellen, deren Arbeiten in der Heimatkunst-Bewegung und im Kontext des katholischen Erbauungsschrifttums ihrer Zeit zunächst einiges Ansehen errungen haben, aber schließlich auch wieder verschwunden sind. Mehr dazu und zu anderen Veranstaltungen des Instituts in diesem Heft. Neben neuen Aufsätzen über Franz Kafka und Peter Engelmann bringen wir außerdem Erträge von Forschungsarbeiten, die im Brenner-Archiv durchgeführt worden sind, sowie eine Studie zu dem sonderbaren Selbstbildnis Trakls: Hans Weichselbaum, der Leiter der Georg-Trakl-Forschungs- & Gedenkstätte in Salzburg (die das Selbstporträt als zentrales Ausstellungsstück beherbergt), hat das Bild einer gründlichen Untersuchung unterzogen und kommt zu dem Schluss, dass es, anders als bisher angenommen, nie übermalt worden ist; eine Farbtafel mit einschlägigen Aufnahmen, die im Zuge der strahlendiagnostischen Analysen ausgewertet worden sind, ist ins Heft eingelegt. 5 nna Rottensteiner ALithops Im Inneren bleibt man immer das Kind, als das man auf die Welt gekommen ist. Jenes Kind, das nach draußen will, ausgreifend und ausladend in die Welt hinein, sich in ihr einigeln will, sie einfangen, auskosten, liebkosen, umarmen. Ewige Ahnung von Glücklichsein. Das Kind verbirgt und versteckt sich, weicht zurück über lange Zeit. Wird zu einem Schrumpfwesen, kauert sich zusammen und wartet darauf, dass jemand es wachsen lässt. Wenn man einen Menschen trifft, der dieses Kind in einem erkennt, der einen erkennt im eigenen Kindsein, dann erst kann man ganz werden. 9 1 Zu Beginn waren es kleine Steine, die Dora von unseren Streifzügen durch die Wälder mit nach Hause nahm, wenn wir Beeren oder Kräuter sammelten. Leicht nach vorne gebückt, mit den Augen am Boden umherstreifend, ging sie durch den Wald, löste den einen oder anderen Stein vorsichtig aus dem Erdboden, darauf bedacht, ihn nicht mit allzu großer Gewalt aus seiner Lage zu lösen. Behutsam streifte sie das Erdreich und die Krabbeltierchen ab, um den Stein dann fest in beide Hände zu nehmen und ihn abzutasten. Ich spüre seine Wärme, sagte sie zu mir, komm, fühl auch du. In den ersten Frühsommertagen schlief Dora unruhig. Als hätte sie eine Vorfreude gepackt auf die zuerst länger, dann unendlich lang werdenden Tage. Ich wachte auf, wenn sie mit ihren Füßen nach den meinen tastete, ihre Beine um die meinen schlang und mit der Sohle die Unterschenkel entlangfuhr, langsam, im Halbschlaf versunken. Ich wandte mich dann zum Fenster hin um zu schauen, ob die Sonne bereits aufgegangen war. Wir verdunkelten das Schlafzimmer nicht, wie es die meisten hier taten. Und so hatten wir über die Jahrzehnte unseren Tagesrhythmus dem Lauf der Sonne angepasst. Um halb fünf begannen die Möwen auf der Insel ihre Schreie auszustoßen, schrill und rau, ein paar wenige Laute zuerst, die dann zu einem Dickicht an Stimmen anwuchsen. Ein Stakkato von Schrei und Gegenschrei, undurchdringlich im Auf- und Abschwellen. Eine Beschwörung erschien es uns, jeden Tag, der aufgehenden und der untergehenden Sonne. Anfangs verstand ich nicht, was Dora schon so früh am Morgen hinaus drängte. Kaum hatten wir unseren Tee getrunken und das Brot gegessen, trieb sie mich an, um ja bald zu jenem Ort zu gelangen, an dem die Felsen, stromlinienförmig und flach wie gestrandete Buckelwale, eine Bucht bildeten. Die Stämme der einzelnen Birken, die zwischen ihnen wuchsen, hoben sich gegen das Grau des Gesteins ab, leuchteten sanft rosafarben im Licht des Morgens; der Schilfgürtel bewegte sich sachte im leichten Wind. Es waren Momente der Ruhe, die Sonne hatte die gesamte Kraft ihres Lichts noch nicht entfaltet, alles harrte des Kommenden. Die langen Tage des Winters schienen vergessen, eine ferne Erinnerung, aufgehoben wie die Gletscherschrammen im Granit, die sich quer zur Druckrichtung ins Gesteinsgefüge eingegraben hatten. Jeder Stein war anders, entlockte ihr Ausrufe der Verwunderung und Begeisterung wegen seiner Form, der Einmaligkeit seiner Färbung, seiner Grob- oder Feinkörnigkeit, der Regelmäßigkeit der runden oder ovalen Einsprengungen in einer anderen Farbe. Es waren vor allem Granite und Gneis hier, Gestein, das schon da war, als es uns lange noch nicht gab. Metamorphes Gestein. Die Steine, die wir aus den Wäldern mit nach Hause nahmen, wurden größer und schwerer, der Rucksack schließlich zu klein. Dora begann, sie hinter unserem Haus nebeneinander aufzureihen, ohne sie zu sortieren. Rötlicher Granit mit dunklen Einsprenglingen fand sich neben schattig getöntem, bräunlichem mit hellen regelmäßigen Farbeinschlüssen, hellgrauer Fels, weiß und grün 11 gefleckt. Jeder schien perfekt in seiner Form, glatt und rund, doch wenn man ihn in die Hände nahm, spürte man die feinen Kerben, Ritzen und Einbuchtungen, die, schaute man den einzelnen Stein nur an, nicht wahrnehmbar waren. Kantig und kerbig der Gneis, wie mit Steinhobel und Hacke bearbeitet; Platten, die sich, wenn man sie aufhob, erst in ihrer Dreidimensionalität erschlossen, gewetzt und geschliffen von Jahrtausenden, splittrig und brüchig
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