1 SWR2 Tandem
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2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Niemandsjahr Macht und Ohnmacht 1990 Autor: Thilo Schmidt Redaktion: Karin Hutzler Regie: Maria Ohmer Sendung: Montag, 28.09.15 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. Einfacher und kostenlos können Sie die Sendungen im Internet nachhören und als Podcast abonnieren: SWR2 Tandem können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/tandem.xml Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de ___________________________________________________________________ 1 MANUSKRIPT Atmo 01: Berlin-Mitte OT 01 Großkopf: Also meine Frau hat in Berlin studiert und hat die 68er Jahre miterlebt und die wollte unbedingt nach Berlin! Und als dann am 9.11. die Mauer fiel, da war ich einer der ersten meiner Kollegen, die da zu ihrem Chef gelaufen sind – das heißt: Ich war der einzige. Um zu sagen: Ich will da rüber. Und zwar so schnell wie möglich. Damals wurde man noch von den Kollegen für verrückt gehalten. Das war so ungefähr, als wenn man nach Russland geht. Vor allem in der Bonner Gegend. Ist das sowieso Ausland. Das hat gar nicht lange gedauert, als mein damaliger Chef im Bundeskanzleramt aus Berlin anrief, aus dem CDU-Haus, dem roten Haus am Gendarmenmarkt, und sagte: Kommen Sie rüber, wir brauchen Sie … OT 02 Aurich: Ich hab an dem Abend noch – in der ZK-Tagung – hab ich ne Rede gehalten. Das war so gegen halb neun. So, und dann bin ich nach Hause gefahren, und dann wurde ich überrascht in der Nacht, dass es hieß: Die Mauer ist offen. Und da … da hab ich … bin ich am nächsten Morgen wieder auf Arbeit gegangen. Und habe gestaunt, dass die Leute sich alle an der Mauer versammelten. Die Mauer war ja auch das Symbol der Eigenständigkeit der DDR. Und wenn die weg ist, dann war eigentlich klar, dann wird es in irgendeiner Form zur Vereinigung kommen. Da waren ja dann auch noch Konföderationsgedanken und so weiter, spielten alle ne Rolle. Ob die nun realistisch waren, sei mal dahingestellt. Also zu dem Zeitpunkt haben wir noch geglaubt, dass es eine eigenständige DDR noch ne Weile geben kann. Sprecherin: Das Jahr 1990. Bis zum 2. Oktober existiert die DDR noch, aber längst gelten die Gesetze des Westens. In Ost-Berlin werden die Machthaber aus ihren Ämtern gedrängt, wichtige Schaltstellen von Beamten aus dem Westen besetzt. In Bonn bereitet sich Aribert Großkopf, Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt, auf seinen Umzug nach Berlin vor. Atmo 03: Berlin-Mitte OT 03 Großkopf: Meine Frau hatte damals einen Job beim Verlag, hat den gekündigt und war bemüht, so schnell wie möglich nachzukommen. Also wir haben im Dezember schon eine Wohnung in Wannsee bekommen und dort gewohnt. OT 04 Aurich: Insofern war die Zeit auch gar nicht vorhanden, sich darüber einen großen Kopf zu machen. Wir mussten im Herbst 1989 jeden Tag eine neue Entscheidung fällen und das hatte seine eigene Dynamik. Und da muss ich aber sagen, dass ich an dieser Dynamik persönlich nicht mehr so viel Anteil nahm, ich war dann eher bei meiner Abwahl 1989 etwas erleichtert, diese Funktion abgeben zu können. 2 Sprecherin: Eberhard Aurich war erster Sekretär des Zentralrats der FDJ, der Freien Deutschen Jugend, und Mitglied des Zentralkomitees der SED. Aus Volkskammer und Staatsrat wird er im Januar 1990 ausscheiden. Der Runde Tisch hatte bereits Anfang Dezember 89 seine Arbeit aufgenommen. Die alten Machthaber wurden entmachtet. OT 05 Aurich: Wir haben über die eigenen biographischen Aspekte gar nicht nachgedacht zu dem Zeitpunkt. Wenn man es ganz praktisch nimmt: ich bin am 24. November 1989 aus der Funktion ausgeschieden, und am nächsten Tag wusste ich nicht, was ich machen sollte. Es gab auch gar keine Struktur. Es gab kein Arbeitsamt oder so etwas, wo man sich hätte hinwenden können. Ich muss gestehen, ich hab erstmal einen Monat gebraucht, um überhaupt mich zu orientieren. Und hab mich vorsichtig umgeschaut, wo ich vielleicht was Praktisches tun könnte. Sprecherin: Eberhard Aurich, zu diesem Zeitpunkt 42 Jahre alt, hatte noch ein halbes Berufsleben vor sich. „Unwürdig“ sei der Umgang mit den DDR-Biographien gewesen, sagte Aurich einmal. OT 06 Aurich: Das hab ich weniger gemeint im Hinblick jetzt auf solche Funktionen oder Funktionäre wie ich. Die Wende war so drastisch, dass im Grunde genommen wir ja - ich sag’s mal ein bisschen lax – weggejagt wurden. Aber ich meinte das eher auch für diejenigen, die tatsächlich in zivilen Berufen als Lehrer, als Hochschullehrer, als Wissenschaftler irgendwo gearbeitet haben, oder im Medienbereich gearbeitet haben, und plötzlich sozusagen vor der Frage standen: Darf ich das noch machen? Ich kenne jemand, der hat ne Kindersendung im Fernsehen gemacht. Und stand plötzlich vor der Frage, ob künftig mein Tun noch gebraucht wird. Und bei der Familie war’s dann so: Die Frau durfte weiter machen, und der Mann wurde beim Fernsehen rausgeworfen. Und mit teilweise absurden Begründungen – und das, mein ich, das war dann schon unwürdig. Sprecherin: Bis zum 24. November 1989 verlief Aurichs Biographie ohne Brüche: In seiner Heimat Karl-Marx-Stadt mit elf Jahren Gruppenratsvorsitzender der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, mit 18 Mitglied der FDJ-Leitung der Oberschule. Später Besuch der Pädagogischen Hochschule, Ausbildung zum Lehrer für Deutsch und Staatsbürgerkunde. Seit 1969 hauptberuflich tätig in der FDJ - bis sich 1989 in wenigen Wochen alles veränderte. OT 07 Aurich: Es ist eben ne totale Umkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das heißt, es ist auch ein totaler Bruch im eigenen Leben. Wofür man bisher gestritten hatte, das wurde sinnlos. Es war also nicht mehr gefragt, damit konnte man keine Achtung mehr erringen. Man konnte nur noch Achtung erringen, indem man sich auf seine persönliche Weise den neuen Verhältnissen anpasste. 3 Sprecherin: Aurichs „persönliche Weise“ war die blanke ökonomische Notwendigkeit, sich und seine Familie zu ernähren. Andere systemtreue Kader wurden über Nacht zu Bürgerrechtlern. Auf ihre persönliche Weise. Der Begriff „Wendehals“ gehörte schon bald zum Repertoire des Einheitsgeschehens. OT 08 Aurich: Es gab ja welche, die wussten von einem Tag auf den anderen, was sie jetzt zu denken haben, zu denen glaube ich nicht zu gehören. Ich hab dann auch längere Zeit gebraucht um nachzudenken, warum es so gekommen ist und wie es gekommen ist, und das dauert ja auch bis heute noch an. Da hab ich also nicht allzu großes Verständnis für, für diese Art Wendigkeit. Ja? Also dass jeder einen neuen Job gesucht hat, eine neue Arbeit oder auch ein politisches Engagement, dafür hab ich volles Verständnis, das ist völlig in Ordnung. Aber heute nicht mehr dazu zu stehen, was man noch vor vier Wochen für richtig gehalten hat, das ist natürlich etwas fragwürdig. Sprecherin: Eberhard Aurich ist noch für ein Jahr in der SED-Nachfolgepartei PDS geblieben, bis er der Politik den Rücken kehrte. OT 09 Aurich: Ich hab ja viele Jahre mich öffentlich gar nicht geäußert. Das hatte eigentlich einen ganz wesentlichen Grund: Dass man nicht von einem Tag auf den anderen nun die Erkenntnisse hat, warum man selber ja politisch gescheitert ist. Selbst wenn man die schon hätte, ist es ja wenig glaubwürdig, dass man innerhalb von 24 Stunden die Fahnen wechseln kann. Das heißt, da muss man sich schon ein bisschen Büßerzeit auferlegen. Atmo 05: Berlin-Mitte Sprecherin: Nach den ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990 trat Aribert Großkopf seine neue Funktion an. OT10 Großkopf: Lothar de Maiziere hatte gerade die Wahl gewonnen, und dann hab ich mich da als … als Sozi … im CDU-Haus gemeldet, und hab die Leute kennengelernt. Für die zukünftige Zusammenarbeit. Das war ein ziemliches Aufkommen und Kommen und Gehen. Von Staatssekretären und Ministern, die alle berufen wurden, mit denen geredet wurde. Es war eine sehr turbulente Zeit, und ich hatte dort ein Büro, aber nicht lange – weil dann Modrow offiziell die Schlüssel an Lothar de Maiziere übergeben wollte. Und dann sind wir also in das Haus des Ministerrats, also das jetzige Graue Rathaus, hinter dem Roten Rathaus, und haben die Schlüssel übernommen. Sprecherin: Großkopf sollte dem zukünftigen Ministerpräsident Lothar de Maiziere zur Seite stehen. 4 OT 11 Großkopf: So ganz klar war mir die Aufgabe nicht. Ich sollte eigentlich, das war der Auftrag, das Amt des Ministerpräsidenten so quasi zu ner Art Bundeskanzleramt machen. Das heißt also zu versuchen, da die Verhältnisse einzuführen in vielen Bereichen der Infrastruktur, die auch in Bonn waren. Das ist natürlich ne Aufgabe, die eigentlich viel zu groß ist … Sprecherin: Wir stehen dort, wo bis vor wenigen Jahren noch der Palast der Republik war. Er wurde von 2006 bis 2008 abgerissen, um das Berliner Stadtschloss, das zuvor an gleicher Stelle stand, wieder aufzubauen. Ein Symbol des alten Preußen und der Kaiserzeit, im Herzen des neuen Berlin. Das Schloss brannte im Februar 1945 nach einem Luftangriff aus. Auf Beschluss des III. Parteitags der SED wurde es Ende 1950 gesprengt. 1989 sorgte Aribert Großkopf dafür, dass der Palast der Republik eine gute Telefonleitung bekam – ins Bundeskanzleramt nach Bonn. OT 12 Großkopf: … die sagten mir, dass eine Glasfaserleitung bis in den Palast der Republik schon gelegt wäre. Die existierte da, war aber nicht angeschlossen an das DDR-Netz.