Lizenziatsarbeit der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich

Die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe (Swisscontact) 1956 – 1971 Entwicklungszusammenarbeit der Schweizer Privatwirtschaft

Franziska Diener

April 2012

Prof. Dr. Jakob Tanner Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

INHALTSVERZEICHNIS

I EINLEITUNG ...... 6

1. Untersuchungsgegenstand...... 6 2. Theoretischer Ansatz: Institutionensoziologie...... 10 3. Fragestellung...... 11 4. Forschungsstand...... 12 5. Quellenlage...... 15 6. Methodische Anmerkungen ...... 15 7. Aufbau der Arbeit ...... 16

II GRÜNDUNG DER SCHWEIZERISCHEN STIFTUNG FÜR TECHNISCHE ENTWICKLUNGSHILFE 1956-1959...... 18

1. Erste Initiative zur Gründung der Stiftung 1956...... 18 1.1. Quellenlage und Forschungsstand...... 18 1.2. Entwicklungshilfe aus Solidarität und zur Kommunismusbekämpfung ...... 18 1.3. Die Idee Freymonds einer „nationalen Stiftung für Solidarität“...... 20 1.4. Das umfangreiche Projekt trifft auf Ablehnung und Unverständnis ...... 22 1.5. Die Rolle des Ungarn-Aufstandes für das Scheitern des Projektes...... 23

2. Zweite Initiative zur Gründung der Stiftung 1957-1959 ...... 27 2.1. Wiederaufnahme der Idee Freymonds in redimensionierter Form...... 27 2.2. Eine Stiftung für Entwicklungshilfe von der Schweizer Privatwirtschaft...... 29 2.3. Die bestehenden Kräfte bündeln – Die Stiftung als Koordinationsstelle ...... 32 2.4. Koordination von Projekten anderer – oder auch Durchführung eigener?...... 37 2.5. Das Verhältnis zum SHAG als Streitpunkt...... 43 2.6. Gloors Referat vor der Basler Handelskammer ...... 50 2.7. Der Schritt von der moralischen zur finanziellen Unterstützung ...... 55 2.8. Werbung bei weiteren kantonalen Handelskammern...... 57 2.9. Hans Schindler wird Präsident des Initiativkomitees...... 59 2.10. Die Vorbereitung der Konferenz beim Vorort ...... 64 2.11. Die Präsentation der Idee der Stiftung an der Konferenz beim Vorort ...... 71 2.12. Stellungnahmen von Wirtschaftsvertretern zur geplanten Stiftung...... 78 2.13. Die Gründung der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe...... 83

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III ERSTE PROJEKTE DER STIFTUNG IN DEN 1960ER JAHREN ..89

1. Überblick über die Projekte der 1960er Jahre...... 89

2. Projekt in Indien 1961-1968 ...... 90 2.1. Erste Projektabklärungen in Asien und Wahl Indiens als Partnerland...... 90 2.2. Vertragsabschluss und Suche eines geeigneten Standorts ...... 92 2.3. Eröffnung des „Indo-Swiss Training Center“ in Chandigarh...... 94 2.4. Ausbildung von Präzisionsmechanikern nach schweizerischem Modell...... 95 2.5. Vertragsverlängerung und Erweiterung des Ausbildungszentrums ...... 97 2.6. Konflikt mit dem CSIR über den Zeitpunkt der Übergabe des Projektes an Indien ...... 98 2.7. Gespräche mit dem TATA-Konzern über einen allfälligen Umzug von Chandigarh nach Poona... 102 2.8. Rückzug der Stiftung aus Chandigarh...... 104 2.9. Rückblick der Stiftung auf ihre Tätigkeit in Chandigarh und auf den Konflikt mit dem CSIR...... 107

3. Projekt in Dahomey 1961-1971 ...... 108 3.1. Wahl eines geeigneten Partnerlandes in Afrika ...... 108 3.2. Projektabklärungen und kleinere Tätigkeiten in Nigeria 1961-1965 ...... 109 3.3. Wahl Dahomeys als Partnerland und Suche nach geeignetem Projektpartner...... 111 3.4. Aufbau einer Landwirtschaftsschule in Sékou-Allada, Dahomey...... 113 3.5. Die Suche nach der geeigneten Form der Ausbildung: Traktorführer oder Landwirtschaftslehrer? 115 3.6. Intensivierung der Ausbildung: Schaffung einer zweijährigen Lehre für künftige Bauern...... 117 3.7. Schweizer Kühe für Dahomey: Beginn der Viehzucht ...... 118 3.8. Erweiterung der landwirtschaftlichen Produktion und Vorbereitung der Übergabe des Projektes.. 120 3.9. Aufnahme der vierjährigen Ausbildung von landwirtschaftlichen Betriebsleitern ...... 121

4. Projekt in Tunesien 1964-1971...... 123 4.1. Der Bund beauftragt die Stiftung mit der Durchführung eines Projektes ...... 123 4.2. Errichtung einer tunesisch-schweizerische Berufsschule in Gabès...... 125 4.3. Einjährige Berufsausbildung genügt aus schweizerischer Sicht nicht ...... 126 4.4. Zu wenige Lehrlinge wegen zu strengem Auswahlverfahren? ...... 128 4.5. Gestaffelte Einführung der zweijährigen Berufsausbildung ...... 130 4.6. Übergabe der Berufsschule an Tunesien und Rückblick auf die Tätigkeit in Gabès ...... 132

IV SCHLUSSFOLGERUNGEN UND AUSBLICK ...... 134

1. Die Idee der Stiftung und die damit verbundenen Interessen ...... 134 2. Charakteristika der Projekte in Indien, Dahomey und Tunesien ...... 138 3. Fazit und Ausblick ...... 143

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V BIBLIOGRAPHIE ...... 144

1. Ungedruckte Quellen ...... 144 2. Gedruckte Quellen ...... 144 3. Literatur...... 145

VI ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS...... 149

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DANK

An dieser Stelle möchte ich all jenen Personen danken, welche zum Gelingen dieser Lizenziatsarbeit beigetragen haben. Zuallererst Philipp Hofstetter, dafür dass er mich auf das Potential der Quellen des Swisscontact-Archivs aufmerksam machte, was mich erst auf die Idee dieser Arbeit brachte, für inhaltliche und fachliche Anregungen sowie für das Gegenlesen der Lizenziatsarbeit. Für inhaltliche und fachliche Unterstützung Herrn Prof. Jakob Tanner sowie den Assistentinnen Dorothee Liehr und Rahel Bühler. Für wertvolle inhaltliche Anregungen Lukas Zürcher, Konrad Kuhn sowie den Teilnehmern der Schweizerischen Tage der Afrikaforschung 2010 in Bern und des Forschungskolloquiums „Un seul monde?“ zur Geschichte der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit vom 28. Oktober 2011 an der ETH Zürich. Für das entgegengebrachte Interesse und Vertrauen Swisscontact sowie Herrn Dr. Peter Gloor. Für das sprachliche Korrekturlesen meiner Grossmutter Heidi Diener-Zellweger sowie meinem Vater Andreas Diener. Und nicht zuletzt meiner Familie und meinen Freunden für die moralische Unterstützung.

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I EINLEITUNG

1. Untersuchungsgegenstand

Zu Beginn der Ära der Entwicklungshilfe, in den 1950er und 1960er Jahren war der Glaube an die Möglichkeit einer raschen wirtschaftlichen Entwicklung der Länder der Dritten Welt und der damit verbundenen Hebung des Lebensstandards auf westliches Niveau ungebrochen. Erst Ende der 1960er, anfangs der 1970er Jahre, nach dem ersten Jahrzehnt Entwicklungshilfe, wurde offenbar, dass die Probleme nicht so schnell gelöst werden konnten wie erwartet. Dies innerhalb eines Jahrzehnts (sic!), der sogenannten „ersten Entwicklungsdekade“. 1 Diese erste Phase der Nord-Süd-Beziehungen, welche bis Anfang der 1970er Jahre dauerte, war gekennzeichnet von der Illusion der Überwindung des wirtschaftlichen Abstandes zwischen dem Norden und dem Süden mit einem beschleunigten Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern durch deren Integration in den Weltmarkt. Entwicklungshilfe wurde als ergänzendes Mittel angesehen, um Ungleichgewichte, welche der Markt nicht zu beheben vermochte, auszugleichen. 2 Das Patentrezept der 1960er Jahre, die Integration der Dritte-Welt-Länder in die Weltwirtschaft, hatte damals nicht den erhofften Erfolg, ist aber heute wieder ein Thema. In einem Artikel des Tages-Anzeigers zum „Wahljahr 2011“ in Afrika (in zwanzig afrikanischen Staaten fanden im Jahr 2011 Wahlen statt) 3 war zu lesen, dass dank der Integration in die Weltwirtschaft in Afrika ein Mittelstand entstehe, der auf politische Stabilität und wirtschaftliches Wachstum hoffen lasse: Der Handel zwischen den mittlerweile die Weltwirtschaft tragenden Südnationen – vor allem Chinas Rohstoffhunger – hat in wenigen Jahren mehr erreicht als ein halbes Jahrhundert westlicher Entwicklungshilfe: Afrika ist dabei, sich ins globalisierte Wirtschaften einzuklinken. Langsam, aber stetig wächst auf dem Kontinent, was einst auch in Europa für die Despotendämmerung sorgte: der Mittelstand. 4

1 An der Vollversammlung der UNO vom 19.12.1961 wurden die 1960er Jahre offiziell als die Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen bezeichnet. Ziel war es, dass alle unterentwickelten Länder am Ende der Dekade mindestens ein jährliches Wachstum des Bruttonationaleinkommens von 5 Prozent erreichten. Vgl. den Text der Resolution 1710 vom 19.12.1961, in: United Nations: The United Nations Development Decade. Proposals for action, New York 1962, S. 116-118. 2 Vgl. Jacques Forster: La Suisse et les pays en développement, in: Haug, Hans/Probst, Raymond/Riklin, Alois (Hg.): Neues Handbuch der schweizerischen Aussenpolitik. Bern, Stuttgart, Wien 1992, S. 389-391 und 394. 3 In folgenden afrikanischen Staaten fanden 2011 Parlaments- und/oder Präsidentschaftswahlen statt: Ägypten, Benin, Demokratische Republik Kongo, Djibouti, Gabun, Gambia, Kamerun, Kapverden, Liberia, Madagaskar, Mauretanien, Niger, Nigeria, São Tomé und Príncipe, Sambia, Seychellen, Tschad, Uganda, Zentralafrikanische Republik, Zimbabwe. Vgl. Johannes Dietrich: Vor der Despotendämmerung, in: Tages-Anzeiger, Nr. 19, 24.1.2011, S. 9. 4 Ebd.

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Die Einschätzung, dass der Handel mehr bewirkt habe als die gesamte bisherige Entwicklungshilfe, steht der Frage gegenüber, ob die Entwicklungshilfe derweil nichts genützt hatte. Diese Frage wurde und wird immer noch vielfach diskutiert, wobei Kritiker behaupten, Entwicklungshilfe sei sogar schädlich. 5 Der Begriff „Entwicklungshilfe“ bezeichnet die Leistungen eines Industrielandes gegenüber einem Entwicklungsland, welche die – primär wirtschaftliche – Entwicklung des letzteren zum Ziel haben. Je nach Art der Leistungen kann dabei zwischen finanzieller Entwicklungshilfe (Kredite, Zuschüsse) und technischer Entwicklungshilfe (Entsendung von Experten, Warenlieferungen, Projektarbeit) unterschieden werden. 6 Als „Entwicklungsländer“ bezeichnet man Länder, welche wirtschaftlich und sozial unterentwickelt sind (Definition über einen Zustand), oder aber solche, die in der internationalen Arbeitsteilung eine benachteiligte Stellung einnehmen (Definition über die Struktur). 7 Ebenfalls gebräuchlich ist die Bezeichnung „Dritte-Welt-Länder“, wobei der Begriff „Dritte Welt“ umstritten ist, da er eine Homogenität suggeriert, welche so nicht existiert. In den 1950er Jahren wurden nur die Länder der Bewegung der Blockfreien zur Dritten Welt gerechnet – in Abgrenzung zur Ersten Welt (westliche Industrieländer) und Zweiten Welt (sozialistische Länder). In den 1960er Jahren umfasste die Bezeichnung dann alle Entwicklungsländer. 8 In der vorliegenden Forschungsarbeit werden die Begriffe „Entwicklungsländer“ und „Dritte-Welt-Länder“ als synonym verwendet. Die Förderung des Mittelstands in den Entwicklungsländern und das dadurch erhoffte Wirtschaftswachstum war das Ziel der am 6. Mai 1959 gegründeten Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe. Die Organisation wurde 1971 in Swisscontact umbenannt. Bereits 1956 wurde eine erste Initiative zur Gründung einer schweizerischen Stiftung für Entwicklungshilfe, welche von der Privatwirtschaft getragen werden sollte, unternommen. Der Zeitpunkt dieser ersten Initiative erwies sich jedoch als ungünstig, da die Aufmerksamkeit der schweizerischen Öffentlichkeit dem Ungarnaufstand galt und die bestehenden Hilfswerke das Unternehmen als zusätzliche Konkurrenz ablehnten.9 Die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe war nach dem Schweizerischen Hilfswerk für aussereuropäische Gebiete (SHAG, gegründet 1955, ab 1965 Helvetas) die

5 Vgl. Bernhard Thibaut: Stichwort „Entwicklungshilfe“, in: Nohlen, Dieter (Hg.): Lexikon Dritte Welt. Vollständig überarbeitete Neuausgabe, Reinbek bei Hamburg 2002, S. 231-233, hier S. 232. 6 Vgl. Ebd. S. 231. 7 Vgl. Dieter Nohlen: Stichwort „Entwicklungsländer“, in: Ebd. S. 233-235. 8 Vgl. Ders.: Stichwort „Dritte Welt“, in: Ebd. S. 194-195. 9 Ausführlich: Siehe weiter unten in Teil II Kapitel 1.4. und 1.5. Zur Ungarnhilfe der Schweiz vgl. Rita Lanz: Solidarität und Ausgrenzung – die Ungarnhilfe der Schweiz 1956, in: Schweizer Monatshefte 2, 2006, S. 34-37.

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zweite nichtkonfessionelle private Entwicklungshilfsorganisation in der Schweiz. Sie gehört also zu den Pionieren der schweizerischen privaten Entwicklungshilfe und ist anders als das SHAG kaum Gegenstand historischer Untersuchungen. 10 Von der Gründungszeit ausgehend wird die Tätigkeit der Hilfsorganisation im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens erforscht, in den 1960er Jahren, in einer Zeit des Aufbruchs der schweizerischen Entwicklungshilfe. Mit dem Dienst für technische Zusammenarbeit (DftZ) im Eidgenössischen Politischen Departement (EPD, dem heutigen Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA) schaffte der Bund 1960 erstmals eine offizielle Stelle für Entwicklungshilfe. Der DftZ wurde von Hans Keller geleitet, dem 1961 das neu geschaffene Amt des „Delegierten des Bundesrates für technische Zusammenarbeit“ übertragen wurde. Im selben Jahr erhöhte der Bund den Kredit für Entwicklungszusammenarbeit sowie die bilaterale Hilfe massiv. Albert Matzinger bezeichnet die Jahre 1960 und 1961 deshalb als eine „Periodengrenze“ in der Geschichte der schweizerischen Entwicklungshilfe. 11 In den 1950er Jahren stagnierte die staatliche Entwicklungshilfe der Schweiz auf einem sehr geringen Niveau und wurde als vorübergehende Massnahme betrachtet. Mit der Gründung des DftZ änderte sich dieser Politikkurs; die bisherige sporadische multilaterale Hilfe 12 sollte nun durch eigene bilaterale Hilfsprojekte erweitert werden. 13 Richard Gerster betonte die wichtige Rolle, welche die privaten Hilfsorganisationen beim Ausbau der öffentlichen Entwicklungshilfe spielten: „Ohne die Vorreiterrolle der privaten Organisationen wäre dieses wachsende staatliche Engagement nicht denkbar gewesen.“ 14 Auch auf internationaler Ebene können die 1960er Jahre als Phase des Aufbruchs in der Entwicklungshilfe angesehen werden. Die entstehende wirtschaftliche und politische Ordnung der Nachkriegszeit, die

10 Zur Geschichte von Helvetas vgl. Thomas Möckli: 50 Jahre Helvetas. Inspiratorin schweizerischer Entwicklungszusammenarbeit im Spannungsfeld von struktureller Abhängigkeit und entwicklungspolitischer Vision, unveröffentlichte Lizenziatsarbeit der Universität Freiburg (CH), Freiburg (CH) 2004; Kathrin Däniker/Betty Stocker: Das erste Entwicklungshilfswerk – ein Schrumpfprodukt. Die Gründung des Schweizerischen Hilfswerks für aussereuropäische Gebiete 1955 und dessen Einbindung in die Entwicklungshilfekonzeption des Bundes, in: Hug, Peter/Mesmer, Beatrix (Hg.): Von der Entwicklungshilfe zur Entwicklungspolitik. Bern 1993, S. 175- 188 (Studien und Quellen 19). 11 Vgl. Albert Matzinger: Die Anfänge der schweizerischen Entwicklungshilfe. 1948-1961, Bern, Stuttgart 1991, S. 2. 12 Unter „bilateraler Hilfe“ wird die Hilfe von Land zu Land, unter „multilateraler Hilfe“ die Hilfe über eine internationale Organisation wie beispielsweise der UNO verstanden. Vgl. Thibaut, Entwicklungshilfe, S. 231. 13 Vgl. Richard Gerster: Entwicklungszusammenarbeit der privaten Hilfswerke, in: Haug /Probst/Riklin, Handbuch der schweizerischen Aussenpolitik, S. 705-706. 14 Ebd. S. 706.

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Dekolonisation und die Spannungen des Kalten Kriegs lenkten die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft immer mehr auf die Entwicklungsländer. 15 Während private Hilfswerke und auch der Bund in die „erste Entwicklungsdekade“ aufbrachen, war sich die Schweizer Bevölkerung der Probleme der Dritten Welt auch 1966 noch kaum bewusst. Die Debatte um den sich vergrössernden wirtschaftlichen Unterschied zwischen der Ersten und der Dritten Welt und um mögliche Lösungsansätze wurde vor allem in akademischen Kreisen geführt. Dabei nahm die Skepsis gegenüber dem bisherigen „Patentrezept“ der Entwicklungshilfe immer mehr zu.16 Im Bewegungsjahr 1968 setzte mit der Bildung von entwicklungspolitischen Aktionsgruppen, allen voran der Erklärung von Bern, eine neue kontroverse Debatte um die Entwicklungszusammenarbeit ein, welche die breite Öffentlichkeit erreichte. Sie forderten ein politisches anstatt bloss ein karitatives Verständnis von Entwicklungshilfe und kritisierten insbesondere die schweizerische Wirtschaft, welcher Rentabilität wichtiger sei als Solidarität. 17 Im Jahr 1970 wurde die interkonfessionelle Konferenz Schweiz - Dritte Welt durchgeführt und 1969/71 die Arbeitsgemeinschaft Swissaid / Fastenopfer / Brot für Brüder / Helvetas gegründet, welche wie schon die Erklärung von Bern eine Änderung in der Entwicklungspolitik der Schweiz forderten: „Neben mehr Geben trat auch weniger Nehmen in den Vordergrund.“ 18 Parallel dazu nahm der Bund organisatorische und inhaltliche Anpassungen in der Entwicklungspolitik vor. Mit der Gründung von an die Botschaften angegliederten Koordinationsbüros in den Schwerpunktländern der schweizerischen Entwicklungshilfe im Jahr 1968 strebte er eine bessere Planung und Kontrolle bei der Durchführung von Projekten an. 19 1970 wurden handelspolitische Massnahmen zu Gunsten der Entwicklungsländer ergriffen, welche zur Einführung eines Zollpräferenz-Systems 1972 führten. 20 Die Integration der Entwicklungsländer in den Weltmarkt wurde also nicht mehr als die Lösung angesehen, der Liberalismus wurde durch handelspolitische Massnahmen beschnitten – die weiter oben genannte Illusion wurde offensichtlich. Die Umbenennung 1971 deutet darauf hin, dass auch

15 Vgl. Forster, La Suisse et les pays en développement, S. 390-391. 16 Vgl. Franziska Meister/Barbara Welter: „Die Dritte Welt geht uns alle an!“ Der Wandel der schweizerischen Entwicklungspolitik am Beispiel der Kommission für Entwicklungsfragen der Universität Zürich, in: König, Mario/Kreis, Georg/Meister, Franziska et al. (Hg.): Dynamisierung und Umbau. Die Schweiz in den 60er und 70er Jahren, Zürich 1998, S. 127-141 (Die Schweiz 1798-1998: Staat, Gesellschaft, Politik 3 / Allgemeine Geschichtforschende Gesellschaft der Schweiz), hier S. 130. 17 Vgl. René Holenstein: „Es geht auch um die Seele unseres Volkes". Entwicklungshilfe und nationaler Konsens, in: König /Kreis /Meister, Dynamisierung und Umbau, S. 115-125, hier insbesondere S. 123. 18 Gerster, private Hilfswerke, S. 706. 19 Vgl. Jean-François Giovannini: La coopération publique au développement, in: Haug/Probst/Riklin, Handbuch Aussenpolitik, S. 693-703, hier S. 694 und 699. 20 Vgl. Ebd. S. 694.

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die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe von der Umbruchsstimmung erfasst wurde. Das Ziel der Lizenziatsarbeit ist es, die Entstehung der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe (Swisscontact), der ersten institutionalisierten Initiative der Schweizer Privatwirtschaft im Bereich der Entwicklungshilfe, sowie ihre Tätigkeit im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens zu untersuchen. Dabei wird der Untersuchungszeitraum auf die Jahre 1959-1971 eingeschränkt, auf das erste Jahrzehnt der Entwicklungshilfe seitens der Stiftung. Die zeitliche Eingrenzung orientiert sich ferner an den einschneidenden Jahren 1961, dem Beginn der öffentlichen Entwicklungshilfe der Schweiz, und 1971, der Infragestellung der Rolle der Schweiz gegenüber der Dritten Welt. Da die Vorgeschichte und die Motive zur Gründung der Stiftung vom 6. Mai 1959 miteinbezogen werden sollen, setzt die Untersuchung bereits um 1956 an. Mit der Entstehungsgeschichte dieser Organisation wird ein neuer Aspekt der Schweizerischen Entwicklungshilfe der 1960er Jahre erforscht: Ein bisher wenig beachteter Akteur sowie das Spannungsfeld von humanitären, politischen und wirtschaftlichen Interessen, in welchem er sich bewegte. So soll die vorliegende Untersuchung einen Beitrag zum besseren Verständnis des historischen Gesamtbilds der Anfänge der Schweizerischen Entwicklungshilfe leisten.

2. Theoretischer Ansatz: Institutionensoziologie

Die Arbeit orientiert sich an der Institutionensoziologie, welche sich mit der Entstehung, der Bedeutung und dem Wandel von Institutionen beschäftigt. Hartmut Esser versteht unter einer Institution eine „ Erwartung über die Einhaltung bestimmter Regeln , die verbindliche Geltung beanspruchen“. 21 Zentral sind demnach die Erwartungen der Akteure und die damit verbundenen Interessen und Ideen. Institutionen entstehen (evolutionär oder planmässig), da sie für die Menschen drei Funktionen erfüllen: Orientierung, Ordnung und Sinnstiftung. Institutionen reduzieren als Regeln mit Geltungsanspruch bestehende Unsicherheiten und ermöglichen dem Menschen „interessante, aber riskante Transaktionen“. 22 Die Legitimität einer Institution hängt von der Einbindung der Interessen der Akteure ab. Widersprechen sich die Interessen der Akteure und die institutionellen Regeln, so führt dies zu einem Konflikt und damit meist zu einem institutionellen Wandel. 23 In anderen Worten

21 Hartmut Esser: Institutionen. Frankfurt/Main 2000 (Soziologie: Spezielle Grundlagen 5), S. 2. 22 Ebd. S. 33-34. 23 Vgl. Ebd. S. 42.

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gefasst: Der Nutzen, den eine Institution für die beteiligten Menschen erbringt, muss in einem angemessenen Verhältnis zum Aufwand stehen, der für die Institution geleistet wird. 24 Die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe ist eine Institution, genauer noch: Eine Organisation. Worin besteht der Unterschied? Eine Organisation ist eine spezifische Form einer Institution. Sie ist komplexer als eine Institution, wie Esser verdeutlicht: „Institutionen sind Regeln des Handelns, Organisationen sind dagegen ganze soziale Gebilde bzw. soziale Systeme , die – auch! – solche Regeln enthalten.“ 25 Organisationen sind nach Renate Mayntz „soziale[…] Gebilde […], in denen eine Mehrzahl von Menschen zu einem spezifischen Zweck bewusst zusammenwirken“. 26 Esser erweitert diese Definition um die Formel „unter dem Dach einer expliziten institutionellen Regel und ‚Verfassung’“. 27 Diese institutionelle „Verfassung“ entspricht dem Organigramm oder den Statuten einer Organisation; sie regelt die Bedingungen der Mitgliedschaft, die zu leistenden Beiträge, die Aufgaben sowie die Arbeitsteilung der Organisation. 28 Genauso bedeutend wie die institutionelle „Verfassung“ sind jedoch die Akteure, welche innerhalb dieses Rahmens handeln, ihre Interessen und Ideen, sowie der Zweck, den sie mit der Organisation verfolgen. In dieser Forschungsarbeit werden die Entstehung und Tätigkeit einer Organisation, der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe, untersucht, sowie die Ideen und Interessen der beteiligten Akteure.

3. Fragestellung

Ausgehend von der Organisations-Theorie der Institutionensoziologie wird die grundlegende Fragestellung untersucht, wie und warum die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe gegründet wurde und wie die Tätigkeit der Stiftung in den 1960er Jahren aussah. Ein erster Fragenkomplex dreht sich rund um die Gründung der Stiftung im Jahr 1959. Es wird untersucht, weshalb diese Stiftung gegründet wurde, welche Ideen hinter der Gründung standen und welche Ziele mit der Stiftung angestrebt wurden. Um dies zu ermitteln, muss erst geklärt werden, welche Akteure an der Gründung dieser Organisation beteiligt waren und welche Interessen und Ziele diese Akteure verfolgten. Ebenfalls untersucht werden die Fragen, wie diese Gründung zu Stande kam und wie die Gründungsmitglieder handelten, um

24 So die Sichtweise der Ökonomie, wie auch der Neuen Institutionenökonomie. Vgl. Ebd. S. 33-34. 25 Ebd. S. 237. 26 Renate Mayntz: Organisation, in: Wilhelm Bernsdorf (Hg.): Wörterbuch der Soziologie. Zweite, neubearbeitete und erweiterte Ausgabe, Stuttgart 1969, S. 761-764, hier S. 762. 27 Esser, Institutionen, S. 238. 28 Vgl. Ebd. S. 238-240.

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das Ziel der Gründung einer Stiftung, die möglichst ihren Vorstellungen entsprechen würde, zu erreichen. Das Spezielle an dieser Stiftung war, dass sie von der Privatwirtschaft unterstützt wurde, welche sich zuvor kaum für die technische Entwicklungshilfe eingesetzt hatte. Deshalb wird in der vorliegenden Arbeit auch erforscht, warum die Privatwirtschaft die Stiftung unterstützte, sowie welche Ziele und Interessen sie dabei verfolgte. Was versprach sich die Privatwirtschaft von diesem sozialen Engagement? Etwa Exportförderung, Spill- over-Effekt, Public Relations? Ein zweiter Fragenkomplex beschäftigt sich mit der Tätigkeit der Stiftung in den 1960er Jahren. Hier stehen die Fragen im Zentrum, wie die Entwicklungszusammenarbeit der Stiftung in den ersten Jahren ihres Bestehens konkret aussah, welche Projekte sie in dieser Zeit durchführte und welche Ziele sie damit anstrebte. Es geht darum, einen Einblick in die damalige Projektarbeit zu bekommen, zu sehen, welche Probleme es zu lösen galt, und zu verstehen, welche Prinzipien und Ideen der Entwicklungshilfe der Stiftung zu Grunde lagen. Untersucht man die Projekttätigkeit der Stiftung in den 1960er Jahren, so stellt sich auch die Frage, wie die Auswahl der Projekte vonstatten ging. Hatte die Stiftung ein Konzept mit inhaltlichen und geographischen Schwerpunkten, oder beruhte die Wahl von Land und Projekt eher auf Zufällen und persönlichen Kontakten? Interessant ist hier, welchen Einfluss der Kalte Krieg auf die Wahl und die Durchführung der Projekte hatte. Es wird erforscht, ob die Bekämpfung des Kommunismus als Argument angeführt wurde und welche Bedeutung dies für die Projekttätigkeit hatte. Im Rahmen der Projekttätigkeit soll auch untersucht werden, wie die Stiftung mit anderen nationalen (Bund, Kantone/Gemeinden, Hilfsorganisationen, Wirtschaft, Bevölkerung) und internationalen Akteuren (Vereinte Nationen (UNO), Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen [Food and Agriculture Organization, FAO], Hilfsaktionen anderer Staaten) zusammenarbeitete und von wem sie unterstützt wurde.

4. Forschungsstand

Die Geschichte der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit in den 1960er Jahren ist ein überschaubares Forschungsgebiet: Es existiert nur eine kleine Zahl Standardwerke zum Thema, welche bereits älteren Datums sind. Die Geschichte der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe im Speziellen wurde bisher nicht umfassend erforscht. Die Dissertation Die Anfänge der schweizerischen Entwicklungshilfe 1948-1961 von Albert Matzinger (1991) behandelt die öffentliche und private Entwicklungshilfe der Schweiz in ihrer Entstehungszeit ausführlich. Im Kapitel zur privaten Entwicklungshilfe untersucht

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Matzinger unter anderem auch die Entstehung der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe bis 1960 und ihr Verhältnis zum SHAG. Es ist dies eine fundierte, knappe aber wertvolle Analyse. 29 Jean-Jacques de Dardel untersucht in seinem umfassenden Werk La Coopération au développement – Certitudes et interrogations (1981) die schweizerische Entwicklungspolitik von 1950 bis 1981, wobei er vor allem die offizielle Politik analysiert. In Kapitel 6 zur Privatwirtschaft erforscht de Dardel die Haltung der Privatwirtschaft gegenüber der Dritten Welt, die Kritik von linken Kreisen an der Entwicklungshilfe-Tätigkeit der Privatwirtschaft und deren Reaktion auf die Kritik. Die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe wird mehrmals erwähnt, speziell im Kapitel zur Privatwirtschaft. 30 Ein weiteres Standardwerk ist Schweizerische Entwicklungspolitik in der direkten Demokratie von Dieter von Schrötter (1981). Es ist für das Verständnis des Kontextes der Schweizer Entwicklungspolitik in den 1960er Jahren ausgezeichnet, legt aber den Schwerpunkt auf die politische Debatte und behandelt die Entwicklungshilfe der Privatwirtschaft nur am Rande. 31 Ka Schuppisser (1993) widmet der Geschichte der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklunghilfe einen eigenen Aufsatz. 32 Sie untersucht die Gründung der Stiftung im Zeitraum 1956-1959 anhand von Originaldokumenten der Stiftung aus dem Privatbestand von Anne-Marie Im Hof-Piguet, einer Mitbegründerin der Stiftung, sowie Dokumenten des Bunds. Schuppisser geht der Frage nach, weshalb die Stiftung so viel Erfolg hatte mit ihrer Bitte um finanzielle Unterstützung bei der Privatwirtschaft, wobei sie diesen Erfolg als Teil eines Paradigmenwandels sieht: „De[m] Wandel vom Konzept einer Entwicklungshilfe aus Solidarität zum Konzept der Entwicklungshilfe als Mittel der Exportförderung.“ 33 Inwiefern Entwicklungshilfe als Mittel der Exportförderung angesehen wurde und ob Exportförderung ein Ziel der Stiftung war oder nicht, wird in den folgenden Kapiteln zu untersuchen sein. Die Autorin zweifelt jedoch an der These des Paradigmenwechsels und vermutet, dass die Entwicklung eher in umgekehrter Richtung lief. Bereits in den 1950er Jahren wurde Entwicklungshilfe als Mittel der Exportförderung angesehen, erst Ende der

29 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 163-170. 30 Vgl. Jean-Jacques de Dardel: La coopération au développement. Certitudes et interrogations, Genève 1981. Insbesondere Kapitel 6 „L’économie privée“, S. 325-348. 31 Vgl. Dieter Freiherr von Schrötter: Schweizerische Entwicklungspolitik in der direkten Demokratie. München, Köln, London 1981 (Materialien zu Entwicklung und Politik 20). 32 Vgl. Ka Schuppisser: Das Engagement der Privatwirtschaft in der Entwicklungshilfe. Die Gründung der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe 1956-1959 und ihre Konflikte mit dem Monopolanspruch des Schweizerischen Hilfswerks für aussereuropäische Gebiete (SHAG), in: Hug/Mesmer, Entwicklungspolitik, S. 189-200. 33 Ebd. S. 189.

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1960er Jahre wurde diese Konzeption von linken Kreisen vermehrt kritisiert. 34 Peter Hug legt in seinem Aufsatz zur Aussenpolitik der Schweiz in den 1960er Jahren dar, dass die Bemühungen der Schweiz zur Förderung des Exports in die Dritte Welt wenig fruchtbar waren und deshalb in den 1960er Jahren neue Motive zur Legitimation der Entwicklungshilfe nötig waren: Sollte die Entwicklungshilfe angesichts ihrer in wirtschaftspolitischer Hinsicht bisher höchst ernüchternden Ergebnisse fortgeführt werden, so musste sie neu begründet werden. Die bisher in der Verwaltung dominierende Legitimation – Kalter Krieg und Exportförderung [sic!] – hatte an faktischem Gehalt eingebüsst. Statt dessen wurden ab Anfang der 60er Jahre immer mehr die ideellen Motive betont. 35 Hug geht also anders als Schuppisser von einem Wandel von wirtschaftlich-politischen Motiven hin zu ideellen Motiven – wie etwa Solidarität – aus und nicht etwa umgekehrt. Ob die Stiftung wirklich Erfolg hatte bei der Privatwirtschaft mit ihrer Bitte um finanzielle Unterstützung und welche Gründe dazu führten, soll in dieser Arbeit eingehender erforscht werden. Ferner untersucht Schuppisser den Konflikt der Stiftung mit dem „Monopolanspruch“ des SHAG, welches durch die neu gegründete Stiftung erstmals Konkurrenz auf dem Gebiet der technischen Entwicklungshilfe in Übersee bekam. Das SHAG habe, so Schuppisser, die Rolle der „Geburtshelferin“ der Stiftung gespielt und habe gehofft, über das „Geldsammelorgan“ Beiträge der Privatwirtschaft für ihre eigenen Projekte zu gewinnen. So sei anfänglich geplant gewesen, dass die Stiftung keine eigenen Projekte durchführe und das Sekretariat mit dem SHAG teile. Die Wirtschaft habe jedoch kein Interesse an einer solchen Stiftung gehabt und habe eine vom SHAG unabhängige Organisation gefordert. Es sei die Loslösung der Stiftung vom SHAG und eine Regelung über die Abgrenzung ihrer Tätigkeiten gefolgt.36 Die vorliegende Forschungsarbeit kann einen neuen Aspekt, die ursprüngliche Konzeption der Stiftung als Koordinationsstelle der gesamten schweizerischen Entwicklungshilfe, aufzeigen. Dies rückt den Konflikt zwischen dem SHAG und der Stiftung in ein neues Licht. 37 Die Lizenziatsarbeit setzt sich zum Ziel, die Geschichte der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens ausführlich zu untersuchen. Nicht zuletzt da hier Quellenmaterial berücksichtigt wird, welches Matzinger und Schuppisser nicht zur Verfügung stand, kann die Gründung der Stiftung und ihre Tätigkeit in den 1960er Jahren erstmals umfassend untersucht werden.

34 Vgl. dazu Holenstein, Seele unseres Volkes, S. 117 und 122-123. 35 Peter Hug,: Der gebremste Aufbruch. Zur Aussenpolitik der Schweiz in den 60er Jahren, in: König/Kreis/Meister, Dynamisierung und Umbau, S. 95-114, hier S. 105. 36 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 196-199. 37 Vgl. Teil II, Kapitel 2.3.-2.5.

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5. Quellenlage

Das Archiv von Swisscontact umfasst 40 Laufmeter Papierakten (1958-2010). Im Jahr 2009 hat sich Swisscontact anlässlich des 50-jährigen Jubiläums überlegt, was mit den Archivakten geschehen soll und wie sie allenfalls der Forschung zur Verfügung gestellt werden können. Swisscontact entschied sich dafür, die Akten erst einmal vor Ort zu belassen und von einem Gemeindearchivar ordnen zu lassen. Die Akten sind nun nach einem Registraturplan geordnet und in einem Archivverzeichnis aufgeführt. Die Quellenarbeit für die vorliegende Forschungsarbeit wurde im Herbst 2010 bei Swisscontact durchgeführt, welche das Projekt begrüsste. Im Mai 2011 wurde der historische Bestand (Akten bis ca. Jahr 2010) dem Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich (AfZ) geschenkt. Da der Bestand noch in Erschliessung ist und die Akten somit noch keine definitive Signatur haben, werden die verwendeten Quellen nicht über Signaturen ausgewiesen, sondern über eindeutige Bezeichnungen. Zentral sind zu allererst die Stiftungsakten; sie bilden den Kern des Bestands. Sie bestehen aus den Gründungsakten (Korrespondenz, Entwürfe, Statuten, Stiftungsurkunde, Statutenänderungen), den Akten des Stiftungsrats (Protokolle, Korrespondenz, Mitgliederlisten, Handnotizen), den Akten des Geschäftsführenden Ausschusses (Protokolle, Korrespondenz, Tätigkeitsberichte, Projektberichte, Abkommen) sowie Akten zur Zusammenarbeit mit anderen Institutionen und Gremien (DftZ, Kommission für technische Zusammenarbeit des Bunds, andere Entwicklungshilfe-Organisationen etc.). Für den Zeitraum von 1958-1971 sind dies 0,5 Laufmeter Akten. Neben den Stiftungsakten sind die Akten zu den Projekten von Bedeutung. Sie machen mit 25 Laufmeter Akten den grössten Teil des Bestands aus, wobei nur ein Bruchteil den Untersuchungszeitraum betrifft. Erhalten sind Verträge, Berichte, Korrespondenz, Broschüren und teilweise auch Fotos, geordnet nach Ländern und Projekten. Schliesslich sind die Jahresberichte zu erwähnen, welche seit der Gründung komplett erhalten sind. Sie ergeben einen Überblick über die Tätigkeiten der Stiftung und sind zudem wertvoll als Quelle zur Öffentlichkeitsarbeit und zum Selbstbild der Organisation.

6. Methodische Anmerkungen

Um die Forschungsfragen zu beantworten, werden die Quellen, insbesondere die Jahresberichte, die Sitzungsprotokolle des geschäftsführenden Ausschusses und diejenigen des Stiftungsrats, sowie die Korrespondenz des Initiativkomitees systematisch ausgewertet. Eine Schwierigkeit dabei ist, dass der Bestand noch nicht erschlossen ist und die Akten also

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nur grob geordnet sind. Es kann daher sein, dass gewisse Dokumente, welche scheinbar nicht vorhanden sind, im Zuge der Erschliessung noch zum Vorschein kommen. Wenn also hier davon gesprochen wird, dass ein Dokument nicht vorhanden ist, bezieht sich dies auf den aktuellen Wissensstand. Die Sekundärliteratur dient hier vor allem zur Einbettung in den historischen Kontext, zur Bezugnahme auf die bestehenden Forschungsergebnisse sowie zur Wahrung eines kritischen Abstands zu den Quellen.

7. Aufbau der Arbeit

In einem ersten Teil wird die Gründung der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe untersucht. Dieser Teil gliedert sich in zwei Kapitel analog zu den zwei Anläufen, die nötig waren zur Gründung der Stiftung. Eine erste Initiative wurde 1956 von Jacques Freymond und Anne-Marie Im Hof-Piguet ergriffen. In diesem Kapitel werden die Ideen und Interessen der beteiligten Akteure untersucht, das Konzept einer „nationalen Stiftung für Solidarität“ erläutert und die Gründe für das Scheitern dieses Projektes analysiert. Eine zweite Initiative wurde 1957 ergriffen, wobei das ursprüngliche Konzept abgeändert wurde, um die nötige Unterstützung zu erlangen. Die Idee, die Privatwirtschaft als Trägerin der Stiftung zu gewinnen, lag der neuen Konzeption ebenso zu Grunde, wie die Vorstellung, die Stiftung könnte alle nationalen Entwicklungshilfebestrebungen unter einem Dach vereinen. Diesen zwei Komponenten der neuen Idee wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Bis die Stiftung gegründet werden konnte, mussten jedoch noch einige Fragen geklärt werden. Das Verhältnis der Stiftung zu den bestehenden Hilfswerken musste geregelt werden. Die Initianten mussten sich über die Form und Tätigkeit der Stiftung einig werden. Und schliesslich musste die Privatwirtschaft überzeugt werden, die Stiftung zu unterstützen. Diese Aspekte der zweiten Initiative zur Gründung der Stiftung werden im zweiten Kapitel erforscht. In einem zweiten Teil werden drei Projekte der Stiftung in Indien, Dahomey und Tunesien eingehend untersucht, um ein Bild zu erhalten, wie die Entwicklungshilfe der Stiftung in den 1960er Jahren aussah, was darunter verstanden wurde und welche Schwierigkeiten es zu überwinden galt. Die Frage, welche Prinzipien und Ziele die Stiftung mit ihrer Entwicklungshilfe verfolgte, kann anhand der Umsetzung der Projekte beantwortet werden. Ein Beispiel eines Prinzips, das von Beginn weg angewandt wurde, ist die Hilfe zur Selbsthilfe mit dem Ziel der Nachhaltigkeit. Interessant sind auch die Gründe für die Wahl der Länder, in welchen die Stiftung ein Projekt aufnahm. Hier werden die Bedeutung von politischen Überlegungen (wie zum Beispiel die Bekämpfung des Kommunismus) sowie der

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wirtschaftlichen und politischen Situation des Landes untersucht. Die verschiedenen Projekte zeigen auch unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit mit anderen nationalen und internationalen Akteuren auf. Interessant ist hier insbesondere das Verhältnis zum Bund, welches anfänglich eher distanziert war, mit der Zeit aber enger wurde. Auch die Finanzierung der einzelnen Projekte war unterschiedlich; während die Stiftung das Projekt in Indien alleine finanzierte, wurde dasjenige in Tunesien zu einem grossen Teil vom Bund getragen. Im Schlusswort werden die gewonnenen Ergebnisse nochmals zusammengefasst, reflektiert und in den historischen Kontext gesetzt.

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II GRÜNDUNG DER SCHWEIZERISCHEN STIFTUNG FÜR TECHNISCHE ENTWICKLUNGSHILFE 1956-1959

1. Erste Initiative zur Gründung der Stiftung 1956

1.1. Quellenlage und Forschungsstand

Eine erste Initiative zur Gründung der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe wurde bereits im Jahr 1956 ergriffen, wenn auch das damalige Projekt noch nicht diesen Namen trug und sich von der späteren Stiftung wesentlich unterschied. Dieser erste Gründungsversuch wurde von Albert Matzinger (1991) erforscht, wobei er sich auf persönliche Gespräche mit Anne-Marie Im Hof-Piguet und Unterlagen aus ihrem Privatbestand stützte. 38 Ka Schuppisser (1993) untersuchte ebenfalls diese frühe Gründungsphase der Stiftung, jedoch verwendete sie dieselben Quellen wie Matzinger und erlangte keine substanziell neuen Erkenntnisse. 39 Da das Swisscontact Archiv erst Akten ab März 1958 enthält, standen der Autorin keine neuen Quellen zur Verfügung. Ein persönliches Gespräch mit Frau Im Hof-Piguet war leider nicht mehr möglich, doch ihre Erinnerungen Die Akademie. Unterwegs zu einer Akademie der Menschenrechte (2005) , geben Aufschluss über ihre Sicht der Ereignisse. 40 Da die frühe Gründungsphase von 1956-1958 für das Verständnis der weiteren Ereignisse zentral ist, weil sie die Wurzeln der Idee der Stiftung birgt, wird sie hier anhand der erwähnten Literatur dargestellt.

1.2. Entwicklungshilfe aus Solidarität und zur Kommunismusbekämpfung Die erste Initiative zur Gründung einer schweizerischen Stiftung für Entwicklungshilfe, welche von der Privatwirtschaft mitfinanziert würde, ergriff Anne-Marie Im Hof-Piguet (1916-2010) im Februar 1956. 41 Im Hof-Piguet war 1942-1944 für das Kinderhilfswerk des Schweizerischen Roten Kreuzes tätig und verhalf jüdischen Kindern zur Flucht in die Schweiz. 42 Sie war eine engagierte Kämpferin für die Menschenrechte und wollte einen

38 Vgl. Matzinger, Anfänge, Abschnitt „Privatwirtschaft: Koordinierte Aktionen“, S. 163-170. 39 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, Abschnitt „Die zwei Anläufe zur Gründung der Stiftung“, S. 190-194. 40 Vgl. Anne Marie ImHof-Piguet: Die Akademie. Unterwegs zu einer Akademie der Menschenrechte. Ein Lebensbericht. Basel 2005. 41 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 190. 42 Vgl. Lucienne Hubler: Artikel „Im Hof [-Piguet], Anne-Marie“, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS). Online im Internet: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D32119.php [Stand: 30.4.2012]

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Beitrag zu einer besseren Welt leisten, wie sie in ihren Erinnerungen schrieb. 43 Zwar war Im Hof-Piguet bei der Gründung des SHAG dabei und wurde Mitglied dieses ersten Hilfswerks für Entwicklungshilfe, jedoch war sie damit nicht zufrieden: „Warum wieder ein Hilfswerk? Ich bin sicher, dass das Problem viel grössere Ausmasse hat, dass es gigantisch ist. In der Schweiz müsste man die Regierungen, die Wirtschaftskreise, die vom Export leben, kurz die ganze Nation mobilisieren.“ 44 Insbesondere die schweizerische Privatwirtschaft, welche über die nötigen Mittel und das technische Wissen verfügte, wollte Im Hof-Piguet für die Entwicklungshilfe gewinnen. Sie war der Ansicht, „die traditionell exportorientierte schweizerische Privatwirtschaft, die von den Geschäften mit den Entwicklungsländern lebe, habe die soziale Verpflichtung, sich durch die Entwicklungshilfe um das Schicksal dieser Länder zu kümmern“, wie sie in einem Gespräch mit Schuppisser darlegte. 45 Im Hof-Piguets Interessen und Werte waren sozialer, humanitärer Art. Ihr Ziel war die Intensivierung der schweizerischen Entwicklungshilfe. Neben humanitären spielten aber auch politische Interessen eine Rolle für Im Hof-Piguet. Sie vertrat die Linie von Bundesrat , der die Entwicklungshilfe als Teil einer aktiven Aussenpolitik auffasste, um eine weitere Isolation der Schweiz auf internationaler Ebene zu verhindern. So schrieb Im Hof-Piguet in einem Brief von 1959 an Hans Schindler, Delegierter des Verwaltungsrats der Maschinenfabrik Oerlikon (Zürich) und designierter Präsident der geplanten Stiftung: L’Europe doit savoir garder des amis et des partenaires si elle veut survivre, et la Suisse, non entâchée de colonialisme ayant le troisième niveau de vie du monde, aurait un rôle tout spécial à jouer, si elle savait le comprendre. Il s’agit d’une ligne politique nouvelle que la Suisse doit choisir. N’est-ce pas un des seuls domaines, où nous pouvons, au lieu d’attendre ou de freiner, participer à une politique active et constructive? 46 Sie war der Meinung, dass die Schweiz auf Grund ihres Wohlstandes und als Land ohne koloniale Vergangenheit, auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe eine wichtige Rolle übernehmen könne und müsse. Die Ansicht, dass die Schweiz besonders geeignet sei, Entwicklungshilfe zu leisten, weil sie keine Kolonialmacht gewesen war, war damals weit verbreitet. In der Tat schätzten viele Länder der Dritten Welt die unpolitische Entwicklungshilfe der neutralen Schweiz, wie sich der ehemalige Botschafter August R. Lindt in einem Interview erinnerte: Zahlreiche Dritte-Welt-Länder wünschten sich in der Zeit der Blöcke eine neutrale Schweiz. Sie genoss gerade aufgrund ihrer Neutralität das Vertrauen vieler Staaten – die Schweiz war nie eine Kolonialmacht gewesen, sie verhielt sich unparteiisch, ihre Entwicklungshilfe war nicht politisch

43 Vgl. ImHof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 28. 44 Ebd. S. 30. 45 Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 190 (Fussnote 4). 46 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 21.1.1959 von Im Hof-Piguet an Schindler, S. 2.

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begründet. […] Unsere Hilfe durfte nicht von politischen Bedingungen abhängig gemacht werden, weil dies der Neutralität widersprochen hätte. 47 Im Hof-Piguet sah die Entwicklungshilfe zudem als Mittel zur Bekämpfung des Kommunismus, um dessen Einfluss in den jungen Staaten der Dritten Welt zu mindern, wie ein Auszug aus einem Brief von 1958 deutlich macht: „Peut-être que cette concurrence pacifique entre tous les pays de l’ouest permettra de compenser quelque peu l’influence angoissante que le communisme prend dans ces régions du monde.“ 48 Durch die Entwicklungshilfe, so die Annahme, könnte der Westen seinen Einfluss in den Entwicklungsländern ausbauen und diese vor dem Kommunismus bewahren. Die „friedliche Konkurrenz“ unter den westlichen Geberländern könne dabei nur fruchtbar sein, da dadurch die Entwicklungshilfe intensiviert und damit auch die westliche Präsenz gestärkt würde.

1.3. Die Idee Freymonds einer „nationalen Stiftung für Solidarität“

In ihrem ehemaligen Studienkollegen Jacques Freymond, Direktor des Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales (IUHEI) in Genf, fand Im Hof-Piguet einen Gleichgesinnten. 49 Der Historiker Freymond war Mitglied und zeitweise auch Vizepräsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Professor am IUHEI sowie Oberst im Generalstab der Schweizer Armee. 50 Am 14. Januar 1956 hielt er ein Referat in Lausanne vor den Delegierten der Liberalen Partei Schweiz und stellte seine Idee einer nationalen Stiftung für Entwicklungshilfe vor, an der sich auch die Privatwirtschaft beteiligen würde. 51 Warum setzte sich Freymond für die Gründung einer solchen Stiftung ein? Welche Interessen und Werte bewegten ihn? Gemäss Schuppisser bezweckte Freymond mit dieser Stiftung eine wirtschaftliche Landesverteidigung und eine Stärkung des nationalen Zusammenhalts. 52 Im Hof-Piguet gibt Freymonds Plädoyer für eine nationale Stiftung, welches sie begeisterte, in ihren Erinnerungen folgendermassen wieder: „Unsere militärische Verteidigung genügt in der heutigen Zeit nicht; eine grossformatige internationale Solidarität muss die Präsenz eines kleinen neutralen Landes bewusst machen. Die Schweiz muss sich mit Entschiedenheit auf diesem Gebiet engagieren.“ 53 Freymond hielt es also für notwendig, dass sich die neutrale Schweiz in der Zeit des Kalten Kriegs nicht weiter isolierte, sondern durch Entwicklungshilfe

47 René Holenstein: Was kümmert uns die Dritte Welt. Zur Geschichte der internationalen Solidarität in der Schweiz, Zürich 1998, S. 80. 48 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 29.11.1958 von Im Hof-Piguet an Muggli, S. 1. 49 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 190-191. 50 Vgl. Jean de Senarclens: Artikel „Freymond, Jacques“, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS). Online im Internet: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D44558.php [Stand: 30.4.2012] 51 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 190. 52 Vgl. Ebd. 53 Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 30.

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international Präsenz zeigte und so auch Wohlwollen erlangte. Mit dieser Haltung bewegte sich Freymond ebenfalls auf der Linie von Bundesrat Petitpierre, der eine Isolierung der Schweiz durch eine aktive solidarische Aussenpolitik verhindern wollte. 54 Freymonds Interessen waren politischer Art; seine Idee der nationalen Stiftung für Entwicklungshilfe entsprang also nicht rein sozialen Werten, obwohl anzunehmen ist, dass diese auch mitspielten, zumal er immerhin im IKRK tätig war. Zur Überzeugung von liberalen Wirtschaftskreisen dienten politische Argumente aber sicher besser als soziale. Die an der Tagung anwesenden Liberalen – vor allem Westschweizer Wirtschaftsleute – begrüssten die Idee Freymonds. 55 Im Hof-Piguet ergriff darauf die Initiative und vereinbarte ein Treffen mit Freymond, um seine Idee einer nationalen Stiftung für Entwicklungshilfe zu besprechen und umzusetzen versuchen. Zusammen entwarfen sie das Projekt der „Fondation nationale de la Solidarité“. 56 Diese Stiftung sollte – ähnlich wie einst die Schweizer Spende 57 – von Bund, Kantonen, Gemeinden, Privatwirtschaft, Industrie und Privatpersonen gemeinsam finanziert werden, wodurch eine halbe Milliarde Schweizerfranken pro Jahr zusammenkommen sollte, „einer Summe, die zu jenem Zeitpunkt verrückt ersch[ien]“, wie Im Hof-Piguet sich erinnert.58 Wozu soviel Geld? „Dieses Geld würde dreigeteilt: ein Teil für die unterentwickelten Gegenden der Schweiz (die Bergbauern), ein Teil für die armen Regionen Europas (Süditalien, Griechenland, Portugal) und ein Teil für die Überseeländer.“ 59 Nach dieser Idee sollte nur ein Teil – zwei Drittel – des Geldes in die Entwicklungsländer fliessen, zu denen damals auch europäische Länder gezählt wurden (Spanien, Griechenland, Türkei, Jugoslawien, Zypern, Malta und Gibraltar). 60 Schliesslich war es keine Stiftung alleine zum Zweck der Entwicklungshilfe, sondern eine nationale Solidaritätsstiftung.

54 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 163. 55 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 190-191. 56 Vgl. Ebd. S. 191. Im Gegensatz zu Schuppisser sprach Im Hof-Piguet von dem Plan Freymonds und nicht von einem gemeinsam entworfenen Projekt. Vgl. Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 30. Da Schuppisser sich auf Unterlagen aus dem Privatbestand von Im Hof-Piguet stützte und mit ihr auch persönliche Gespräche führte, diese aber ihre Erinnerungen im hohen Alter verfasste und zur Bescheidenheit neigte, geht die Autorin von der Richtigkeit der Variante Schuppisser aus. Wahrscheinlich wollte Im Hof-Piguet einfach betonen, dass das Projekt ursprünglich Freymonds Idee war. Matzinger erwähnte das Treffen von Im Hof-Piguet und Freymond nicht. 57 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 164. 58 Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 31. 59 Ebd. 60 Diese Länder rechnete die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (Organisation for European Economic Co-operation, OEEC) um 1956-1959 zu den europäischen Entwicklungsländern. Vgl. Organisation for European Economic Co-operation: The flow of financial resources to countries in course of economic development 1956-1959. Paris 1961, S. 135.

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1.4. Das umfangreiche Projekt trifft auf Ablehnung und Unverständnis

Der liberale Neuenburger Ständerat Sidney de Coulon, den Freymonds Referat überzeugte, war der Dritte im Bunde der Initianten. Als Direktor der Ebauches SA (Neuchâtel), einer Holdinggesellschaft zur Herstellung von Uhrenrohwerken (heutige ETA SA), genoss er Ansehen in Wirtschaftskreisen und war somit die geeignete Persönlichkeit, um das Patronat für den nächsten Schritt in Richtung Gründung der Stiftung zu übernehmen: Einer Zusammenkunft mit Parlamentariern, Vertretern von Bergbauernverbänden, der Schweizerischen Europahilfe (SEH, ab1956 Schweizerische Auslandhilfe SAH) und des SHAG, welche am 12. Juni 1956 in Bern stattfand. 61 Dieses Treffen war auf die Zeit der Parlaments-Session gelegt, wohl um die Anwesenheit möglichst vieler Parlamentarier zu erreichen, und sollte der geplanten Stiftung ein breiteres Fundament liefern. 62 Der Zeitpunkt dieser Initiative zu einem so umfangreichen Projekt war aus verschiedenen Gründen ungünstig. Zunächst war er für alle anwesenden Parteien unvorteilhaft. Die Parlamentarier, die sich noch kaum mit dem Thema Entwicklungshilfe befasst hatten, blieben stumm auf ihren Stühlen sitzen. Eine Woche später hätten sie vielleicht bereits mehr Verständnis gehabt, da dann zwei parlamentarische Vorstösse von Walther Bringolf und Olivier Reverdin zum Thema Entwicklungshilfe behandelt worden waren. Für die SEH kam eine Aktion diesen Ausmasses ebenfalls im falschen Moment, da sie sich gerade in Verhandlungen über eine Zusammenarbeit mit dem SHAG befand und fürchtete, ihre Rolle als Dienstleistungsorganisation für die schweizerischen Hilfswerke abtreten zu müssen. 63 Ähnliche Befürchtungen hegte das frisch gegründete SHAG: Die geplante Stiftung erschien ihr als eine gefährliche Konkurrenz, welche ihr das Gebiet Entwicklungshilfe streitig machen und ihr den finanziellen Boden abgraben würde. Die Vertreter der Bergbauernverbände schliesslich waren aus dem simplen Grund dem Projekt abgeneigt, dass sie nicht zusammen mit den wirtschaftlich unterentwickelten Ländern Afrikas und Asiens in denselben Topf geworfen werden wollten. 64 Im Hof-Piguet war enttäuscht von den Reaktionen der anwesenden Hilfswerke, welche die neue Stiftung aus Existenzangst ablehnten: „Die Verantwortlichen der Organisationen protestieren: ‚Um Himmels Willen, stören Sie unsere

61 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 164. 62 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 191. 63 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 164. Das SHAG trat noch im Jahr 1956 der SEH bei. Gleichzeitig erfolgte die Umbenennung der SEH in Schweizerische Auslandhilfe SAH, wobei sie jedoch bis 1959 den Doppelnamen SEH/SAH führte. Die Beziehung zwischen der SAH und dem SHAG war von Beginn weg von Kompetenzstreitigkeiten überschattet, sodass das SHAG 1965 wieder aus der SAH austrat. Vgl. dazu Caroline Bühler: Die Mobilisierung der Öffentlichkeit. Die nationalen Kampagnen der Schweizerischen Auslandhilfe (SAH) 1956-1964, in: Hug/Mesmer, Entwicklungspolitik, S. 510-524. 64 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 164-165.

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heiligen Strukturen, unsere Sekretariate nicht!’ Der Prophet [Jacques Freymond, F.D.] predigt in der Wüste.“ 65

1.5. Die Rolle des Ungarn-Aufstandes für das Scheitern des Projektes

Der Zeitpunkt für die Lancierung einer solch grossformatigen Solidaritätsaktion war auch aus der Sicht der Ereignisse in Ungarn ungünstig: Der Ungarn-Aufstand, der im Spätherbst desselben Jahres durch die sowjetischen Truppen blutig niedergeschlagen wurde, „nahm den Blick eines jeden gefangen, der über die Landesgrenzen hinausschaute“, sodass „den Initianten […] keine Gelegenheit mehr [blieb], um andernorts für ihre Idee zu werben.“ 66 Matzinger beurteilte den Ungarn-Aufstand als den „entscheidenden Faktor“ für das Scheitern des Projekts. Das SHAG, das bereits auf eigenen Beinen stand und schon Projekte am Laufen hatte, konnte dieser „Interessensmonopolisierung“ standhalten. Doch für das Projekt einer nationalen Solidaritätsstiftung, das erst auf dem Papier bestand, fehlte nun die nötige Aufmerksamkeit für eine Umsetzung – die Idee blieb jedoch bestehen. 67 Bereits Francine Hubert-de Perrot (1964) und Jean-Jacques de Dardel (1981) wiesen darauf hin, dass der Ungarnaufstand und die Suezkrise die Aufmerksamkeit von der Entwicklungshilfe ablenkten und neben der ablehnenden Haltung der erwähnten Kreise zum Scheitern des Projektes beitrugen. 68 Dagegen mass Schuppisser den Ereignissen in Ungarn offenbar keine grosse Bedeutung zu – sie erwähnte sie mit keinem Wort. Im Hof-Piguet hielt den Ungarn-Aufstand jedoch ebenfalls für einen wichtigen Faktor, da er die Aufmerksamkeit der Schweizer Bevölkerung vollumfänglich beanspruchte. Sie schilderte die damalige Stimmung eindrücklich: Ein ganz anderer Sturm zeigt sich am Horizont, um uns daran zu erinnern, dass wir in Europa sind, einem armen, geschlagenen Europa, und dass die Russen nicht weit weg sind: die Panzer dringen in Ungarn ein, und ein grosser Flüchtlingsstrom ergiesst sich in die Schweiz. Bern ist im Alarmzustand, und Angst und Hass erheben sich im Volk. ‚Use mit de Russe!’ heisst es; der Rest der Welt ist vergessen. 69 Auch im Exposé „Intensivierte Schweizerische Entwicklungshilfe“, das Peter Gloor, Präsident des SHAG und Mitglied des Initiativkomitees der Stifung, und Im Hof-Piguet im

65 Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 31. 66 Matzinger, Anfänge, S. 165. 67 Vgl. Ebd. 68 Francine Hubert-de Perrot: La suisse et la coopération avec les pays en voie de développement. Genf 1964, S. 20: „En outre, les événements extérieurs (Hongrie, Suez) détournèrent l’attention du problème des pays en voie de développement et d’une intensification de l’aide à leur apporter.“ ; Dardel, Certitudes et interrogations, S. 26: „Enfin, la crise de Suez, les événements de Hongrie survenus à la fin de l’année, détourèrent l’attention de nombreux cercles.“ 69 Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 31. Dass der Ungarnaufstand in der Schweiz nicht nur Solidarität mit den Flüchtlingen, sondern auch Ausgrenzung von allem Russischen auslöste, darauf weist Rita Lanz hin. Vgl. Lanz, Solidarität und Ausgrenzung, S. 36.

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Januar 1959 für die zu gründende Stiftung verfassten, wurde der Ungarn-Aufstand als hinderlicher Umstand erwähnt: Der Gedanke einer Stiftung zu Gunsten der benachteiligten Länder ist nicht neu. In einer Sitzung vom 12. Juni 1956 […] hat Professor J. Freymond […] diese Idee erstmals dargelegt. Infolge der Ereignisse in Ungarn ist dieses Problem etwas in den Hintergrund gedrängt worden. Der Gedanke ist aber im Januar 1958 wieder aufgenommen worden. 70 Elisabeth Feller, Mitglied des Stiftungsrats und ab 1963 auch des geschäftsführenden Ausschusses der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe sowie Präsidentin des Verwaltungsrats der Adolf Feller AG (Horgen), schrieb 1965 in einem Artikel über die Entwicklungshilfe der Schweizer Wirtschaft: „Durch die ungarische Revolution blieb das Projekt etwas liegen und wurde ein paar Jahre später wieder aufgenommen.“ 71 Auch sie sah also den Ungarn-Aufstand als einen Grund für das Scheitern des ersten Gründungsversuches der Stiftung. Die Beurteilung der Bedeutung des Ungarn-Aufstandes für das Scheitern des Projektes ist insofern schwierig, als dass alle diese Darstellungen auf ein und dieselbe Quelle zurückgehen: Anne-Marie Im Hof-Piguet – oder aber dass die Quelle nicht auszumachen ist, wie bei den älteren Darstellungen von Dardel und Hubert-de Perrot, welche dazu keine Nachweise lieferten. Matzinger bezog sich auf persönliche Angaben und Unterlagen von Im Hof-Piguet, ohne ein bestimmtes Dokument zu erwähnen. 72 Feller stützte sich in ihrer Darstellung der Gründung der Stiftung vermutlich auf das Exposé vom Januar 1959, von welchem sie Kenntnis hatte, denn sie war 1956 noch nicht im Initiativkreis mit dabei, und ihre Formulierung gleicht derjenigen im Exposé. Dieses Exposé, welches Im Hof-Piguet zusammen mit Gloor verfasste (wobei nicht rekonstruiert werden kann, welchen Teil Gloor beisteuerte), sowie ihre niedergeschriebenen Erinnerungen sind die einzigen schriftlichen Quellen. Die Beurteilung, dass der Ungarn-Aufstand für das Scheitern des Projektes entscheidend war, beruht also einzig und allein auf der persönlichen Einschätzung von Im Hof-Piguet. Kann dieser Einschätzung Vertrauen geschenkt werden, oder handelt es sich vielmehr um eine individuelle Wahrnehmung Im Hof-Piguets? Genau genommen handelt es sich nicht um eine, sondern um drei Einschätzungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Kontexten.

70 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Exposé vom Januar 1959, „Intensivierte Schweizerische Entwicklungshilfe“, S. 10-11. 71 Elisabeth Feller: Die technische Entwicklungshilfe schweizerischer Unternehmen, in: Ostschweiz- Westschweiz-Eidgenossenschaft. Denkschrift für Fritz Hummler, Zürich 1965, S. 65-70, hier S. 67. 72 Vgl. Die Angaben in Fussnote 194 in Matzinger, Anfänge, S. 288.

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Die erste Einschätzung im Exposé vom Januar 1959 ist eher vorsichtig formuliert: Der Ungarn-Aufstand habe das Projekt „etwas in den Hintergrund gedrängt“. 73 Dies ist das vergleichsweise unmittelbarste Zeugnis nach den Ereignissen in Ungarn im Herbst 1956. Das Exposé wurde jedoch für den Zweck verfasst, den Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (Vorort) über die zu gründende Stiftung zu informieren, da dieser eine Konferenz einberufen wollte, an der das Initiativkomitee für ihre Sache werben konnte. Es handelt sich also um einen informativen Bericht, der jedoch auch den Charakter einer Werbeschrift trägt, da das Initiativkomitee den Vorort überzeugen wollte. Die Schilderung des ersten Gründungsversuchs ist in diesem Exposé sehr kurz gehalten und diente wohl dazu, den Kontext kurz aufzuzeigen und die Initianten, Jacques Freymond und Sydney de Coulon, dazumal bekannte Namen, zu erwähnen. Der Ungarn-Aufstand und dessen Bedeutung für das Scheitern des ersten Projektes standen also nicht im Vordergrund dieses Exposés und sollten wohl als ungünstige Faktoren nicht allzu stark hervorgehoben werden. Die zweite Einschätzung der Bedeutung des Ungarn-Aufstandes für das Scheitern des Projektes machte Im Hof-Piguet wohl in einem persönlichen Gespräch mit Matzinger, das vor dessen Dissertation um 1990 stattgefunden haben muss. Der zeitliche Abstand zu den Ereignissen ist hier um ein Vielfaches grösser und somit auch die Irrtums- oder Verzerrungsgefahr. Inwieweit Im Hof-Piguet im Gespräch mit Matzinger die Lage um 1956 realistisch beurteilte, ist ohne weitere Kenntnisse über das Gespräch schwer zu überprüfen. Matzinger schenkte der Darstellung von Im Hof-Piguet aber offenbar Glauben; er zweifelte mit keinem Wort an ihrer Einschätzung und hielt den Ungarn-Aufstand für den ausschlaggebenden Faktor für das Scheitern des Projektes. 74 Die dritte Einschätzung findet sich in Im Hof-Piguets Erinnerungen, welche 2005 veröffentlicht wurden, als diese schon im hohen Alter von 89 Jahren stand. Damals wiederholte sie die Einschätzung, welche sie bereits Matzinger gegenüber gemacht hatte, dass der Ungarn-Aufstand die Aufmerksamkeit der Schweizer Bevölkerung vollumfänglich beansprucht und so massgeblich zum Scheitern des Projektes beigetragen habe.75 Die emotionale Wortwahl findet sich im gesamten Werk wieder und gibt deshalb keinen Hinweis darauf, ob die Schilderung der Realität entsprach. Unumstritten ist, dass der Ungarn-Aufstand und die damit verbundenen Flüchtlingsströme in der Schweiz viel Aufmerksamkeit und Sympathie erregten. Rund vierzehntausend ungarische

73 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Exposé Januar 1959, S. 10. 74 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 165. 75 Vgl. Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 31.

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Flüchtlinge wurden in der Schweiz innert weniger Wochen aufgenommen; mehr als siebzehn Millionen Schweizerfranken spendeten die Schweizer dem Roten Kreuz für die Ungarnhilfe. Mit dieser grosszügigen Hilfe „übertraf die Schweiz 1956 im Verhältnis zu ihrer Grösse alle anderen Länder“76 . Die Solidarität mit den Aufständischen war gepaart mit Ablehnung und Wut gegenüber der Sowjetunion und dem Kommunismus. Diese Abneigung gegenüber allem Russischen führte sogar zur Ausgrenzung von und Sabotage gegenüber Mitgliedern der Partei der Arbeit (PdA).77 Die Schweizer Bevölkerung wurde regelrecht von einer antikommunistischen Welle erfasst, wie Claude Altermatt schrieb.78 Der Bundesrat bemühte sich 1956 um Neutralität und Frieden: „Unter dem Eindruck der Suez- und Ungarnkrise [lud er] die Regierungen Grossbritanniens, Frankreichs, Indiens, der Sowjetunion und der USA nach Genf ein, um an einer internationalen Friedenskonferenz die Gefahr eines von ihm befürchteten dritten Weltkrieges zu bannen.“ 79 Zwar bewirkte der Bundesrat mit dieser Konferenz nicht viel, doch zeigt dieses Zitat die Bedeutung, welche dem Ungarn-Aufstand und der Suezkrise zugemessen wurde. Die Schweizer Bevölkerung befürchtete angesichts der Doppelkrise einen neuen Weltkrieg und richtete ihre Aufmerksamkeit nun auf den Ost-West-Konflikt und nicht mehr auf die Probleme der entfernten Dritten Welt: En effet, une certaine réaction antiarabe déjà amorcée par les troubles naissants en Algérie s’est vue confirmée par la nationalisation du Canal de Suez. A travers cela, c’était un rejet général des pays en voie de développement qui se profilait. Puis l’invasion de la Hongrie, en créant un début de panique en Suisse où l’on repensait au spectre d’une guerre mondiale, détourna tout le poids de l’opinion publique sur le conflit Est-Ouest. 80 Dardel spricht hier gar von einer generellen Zurückweisung der Entwicklungsländer, welche sich im Laufe der politischen Ereignisse aus einer anti-arabischen Stimmung herausgebildet habe. Ein anderes Beispiel sind die Kerzenaktionen, welche die Zürcher Studentenschaft 1956 bis 1961 zu Gunsten der ungarischen Flüchtlinge in der Schweiz veranstaltete. Ab 1961 liess allerdings die Aufmerksamkeit für das Thema ungarische Flüchtlinge nach, sodass die Kerzenaktion 1962 erstmals der Entwicklungshilfe gewidmet wurde.81 Dies heisst aber umgekehrt auch, dass das Thema Flüchtlinge des Ungarn-Aufstandes bei der Zürcher Studentenschaft über Jahre hinweg aktuell war.

76 Lanz, Solidarität und Ausgrenzung, S. 34. 77 Vgl. Ebd. S. 36-37. 78 Vgl. Claude Altermatt: La politique étrangère de la Suisse pendant la guerre froide. Lausanne 2003 (Le savoir Suisse 5), S. 25-26. 79 Hug, Der gebremste Aufbruch, S. 100. 80 Dardel, Certitudes et interrogations, S. 26. 81 Vgl. Meister/Welter, Kommission für Entwicklungsfragen, S. 127-128.

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Zusammengefasst kann gesagt werden, dass der Ungarn-Aufstand zum Scheitern des Projektes einer nationalen Stiftung für Solidarität beitrug, wobei nicht abschliessend gesagt werden kann, wie bedeutend dieser Faktor war. Folgt man den späteren Einschätzungen Im Hof-Piguets, wie es auch Matzinger tat, so war dies der entscheidende Faktor. Der grosse Widerhall, den der Ungarn-Aufstand in der Schweizer Bevölkerung fand, stützt die These von der mangelnden Aufmerksamkeit gegenüber dem Projekt ebenfalls.

2. Zweite Initiative zur Gründung der Stiftung 1957-1959

2.1. Wiederaufnahme der Idee Freymonds in redimensionierter Form

Die Idee einer nationalen Stiftung für Solidarität wurde im Juni 1957 wieder aufgegriffen, wobei nicht ganz klar ist, von wem die Initiative ausging. Laut Matzinger war es Im Hof- Piguet, welche dem Projekt „neues Leben einhauchen“ wollte und die übrigen Initianten zu einer Sitzung einberief. 82 Folgt man Schuppisser, so ging die Initiative von Im Hof-Piguet, Freymond und de Coulon gemeinsam aus. 83 Jedenfalls fand im Juni 1957 ein Treffen zwischen Im Hof-Piguet, Freymond und de Coulon statt, an dem nach Matzinger auch Jean de Preux (IKRK-Mitglied) teilnahm. 84 Freymond hatte de Preux als Mitglied der Jeune Société Economique de Genève beauftragt, eine Studie zur Umsetzung seiner Idee einer nationalen Stiftung für Solidarität zu verfassen. Diese Studie bestätigte 1957, dass eine so grossangelegte Aktion ohne unmittelbaren äusseren Anlass (wie etwa dem Ungarn-Aufstand) nicht auf die erhoffte Resonanz stossen würde, und wies auf die Probleme der Koppelung von Entwicklungshilfe und Hilfe für die Schweizer Bergbauern sowie der Konkurrenzierung der übrigen Hilfswerke hin. 85 Die Initianten zogen die Konsequenzen aus dem Misserfolg des ersten Projektes, indem sie ein neues Projekt in einer konkreteren, redimensionierten Form entwarfen. Man wollte sich auf die technische Hilfe für Entwicklungsländer beschränken – die Hilfe für Schweizer Bergbauern wurde ausgeklammert. Laut Schuppisser beinhaltete das neue Konzept der Initianten auch eine Einschränkung auf die Gebiete in Übersee.86 Diese Einschränkung hätte den Vorteil gebracht, dass man so auch die Konkurrenzierung der SAH, die damals nur in

82 Matzinger, Anfänge, S. 165. 83 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 192. 84 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 165. Falls de Preux sich hier engagierte, dann war dieses Engagement nur von kurzer Dauer, denn dem Initiativkomitee, das 1958 konstituiert wurde, gehörte de Preux nicht mehr an. 85 Vgl. Hubert-de Perrot, La suisse et la coopération, S. 20. 86 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 192.

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Europa tätig war, hätte vermeiden können. 87 Die Quellen des Swisscontact-Archivs geben jedoch keinen Hinweis darauf, dass sich die Initianten 1957 auf die technische Hilfe für Überseegebiete einschränkten. Im Gegenteil lassen sie eher vermuten, dass diese Einschränkung so nicht stattfand. Es war immer nur von der Hilfe an Entwicklungsländer die Rede, nicht speziell von der Hilfe an Länder in Übersee. Zwar trug die geplante Stiftung im Vorentwurf der Stiftungsurkunde vom März 1958 den Namen „Stiftung der schweizerischen Wirtschaft für Arbeit in aussereuropäischen Gebieten“ 88 , jedoch wurde dieser Name bald wieder verworfen. Vielleicht wegen der zu grossen Ähnlichkeit des Namens zum SHAG, vielleicht auch, weil man sich nicht auf Überseegebiete festlegen wollte. An der Sitzung des Initiativkomitees vom 11. Dezember 1958 ist von der Umsetzung von Projekten in Europa und Übersee die Rede: „Les projets en Europe; […] les projets d’outre-mer.“ 89 Auch im Exposé „Intensivierte Schweizerische Entwicklungshilfe“ vom Januar 1959 wird von der „Durchführung der konkreten Projekte […] in Europa und […] ausserhalb Europa“ ausgegangen. 90 Auch wenn die Stiftung später primär Projekte in Überseeländern verwirklichte, so beschränkte sie sich doch nicht explizit auf diese Gebiete. Vom geographischen Schwerpunkt her stand die geplante Stiftung also immer noch in Konkurrenz mit der SAH und dem SHAG. Was die finanzielle Basis anging, so schränkten sich die Initianten 1957 noch nicht ein: Bund, Privatwirtschaft und Bevölkerung sollten ihren Beitrag leisten. 91 Schuppisser betonte an dieser Stelle, dass die Trägerschaft der Stiftung auf einen engen, elitären Kreis beschränkt worden sei: „Die Trägerschaft der Stiftung wurde aber auf die Kader des SHAG, der liberalen Partei und der noch zu animierenden Privatwirtschaft reduziert. Zu diesen drei Elitengruppen hatten die InitiantInnen die nötigen persönlichen Kontakte, um für das Konzept erfolgreich zu werben“. 92 Es trifft zwar zu, dass die Initianten sich an diese Kreise wandten, um Unterstützung für die geplante Stiftung zu erlangen, jedoch war dies nur natürlich, da sie in diesen Kreisen die nötigen Kontakte hatten. Diese Wahl der Trägerschaft ist ein Anzeichen

87 Die SAH führte erst ab 1960 eigene Projekte ausserhalb von Europa durch. Bis dahin legte sie ihren Schwerpunkt nach wie vor auf die Flüchtlingshilfe in Europa und nicht auf Entwicklungshilfe in Übersee. Vgl. Bühler, Schweizer Auslandhilfe, S. 511-515. 88 AfZ, IB-Swisscontact-Archiv, Vorentwurf Stiftungsurkunde vom März 1958, S. 1. 89 AfZ, IB-Swisscontact-Archiv, Protokoll Initiativkomitee vom 11.12.1958, S. 3. 90 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Exposé Januar 1959, S. 10. 91 Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 192. 92 Ebd. Schuppisser bezog sich bei dieser Aussage auf ein Exposé von Im Hof-Piguet vom September 1957 aus dem Privatbestand Im Hof-Piguets, welches mir nicht zugänglich war. Es befindet sich weder im Swisscontact- Archiv noch im Nachlass von Im Hof-Piguet.

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für die Fokussierung auf die Privatwirtschaft als personelle und finanzielle Trägerin der Stiftung, welche im nächsten Kapitel behandelt wird. Sobald einmal beschlossen war, dass die finanziellen Mittel der geplanten Stiftung primär von der Schweizer Privatwirtschaft kommen sollten und nicht gleichermassen von Bund, Bevölkerung und Privatwirtschaft, blieb noch die Frage nach der Grössenordnung der zu sammelnden Gelder offen. Auch in dieser Hinsicht wurde die ambitiöse Idee Freymonds redimensioniert, der 1956 noch eine halbe Milliarde Schweizerfranken für eine nationale Solidaritätsstiftung forderte. Die Initianten wollten von der Schweizer Privatwirtschaft eine Million Schweizerfranken pro Jahr verlangen, welche die Stiftung für die Entwicklungshilfe zur Verfügung hätte. 93 Diese Summe hielt das Initiativkomitee für notwendig, um die vorgesehenen Projekte finanzieren zu können. 94

2.2. Eine Stiftung für Entwicklungshilfe von der Schweizer Privatwirtschaft Wann die Initianten beschlossen, eine Stiftung zu errichten, welche vor allem von der Schweizer Privatwirtschaft und Industrie getragen würde, kann nicht genau ermittelt werden, da weder Matzinger noch Schuppisser einen genauen Zeitpunkt angaben; dennoch soll hier eine zeitliche Eingrenzung versucht werden. Folgt man der Schilderung Schuppissers, so erfolgte die Ausrichtung auf die Privatwirtschaft erst in einem zweiten Schritt, in einem „neuen Konzept“ 95 , welches das erste vom September 1957 ablöste. Sie bezog sich bei ihrer Darstellung dieser Neuausrichtung auf das Protokoll der Sitzung des Initiativkomitees vom 11. Dezember 1958. Zu diesem Zeitpunkt war bereits beschlossen, dass die Mittel der Stiftung vor allem von der Privatwirtschaft kommen mussten: „Les moyens dont dispose la fondation proviennent avant tout de l’industrie et de l’économie suisse.“ 96 Demnach müsste die konzeptionelle Neuausrichtung in der Zeit zwischen September 1957 und Dezember 1958 erfolgt sein. Nach der Darstellung Matzingers stand die Idee, die Privatwirtschaft als Trägerin für die geplante Stiftung zu gewinnen, am Anfang der zweiten Gründungsinitiative: Im Juni 1957 versammelten sich auf Anregung von Frau Im Hof diejenigen Initianten, die nach wie vor Interesse zeigten (so Prof.Freymond, Ständerat de Coulon und IKRK-Mitglied de Preux). Mit der Idee, die schweizerische Privatwirtschaft als Basis eines konzeptionell konzentrierten Projekts

93 Vgl. Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 32. 94 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 17.4.1958 von Groschupf an das Initiativkomitee, S.2. sowie AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Bericht des Initiativkomitees über die Zusammenkunft vom 26.9.1958, S. 3. 95 So nennt Schuppisser die Neuausrichtung der geplanten Stiftung auf die Privatwirtschaft. Ein eigentliches Konzept-Papier erwähnte sie nicht. Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 192-193. 96 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Initiativkomitee vom 11.12.1958, S. 3.

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heranzuziehen, begaben sich die Initianten auf einen erfolgsversprechenden Weg, wie sich bald zeigen sollte. 97 Auch er nannte jedoch kein konkretes Datum, wann diese Idee entstanden war. Man könnte ihn so verstehen, dass die Idee am Treffen vom Juni 1957 geboren wurde, oder aber kurz danach. Aber das Konzept vom September 1957 erwähnte Matzinger nicht. Die Angaben Im Hof-Piguets in ihren Erinnerungen sind noch ungenauer, sie nannte kein Datum. Wohl aber scheint der Gedanke einer von der Schweizer Privatwirtschaft getragenen Stiftung bereits während den ersten Sitzungen der Initianten aufgekommen zu sein: „Ein oder zwei Treffen genügen, um die Richtlinien des Unternehmens festzulegen. Wir wollen eine Stiftung gründen. Was fordern wir von der schweizerischen Wirtschaft und Industrie? Jemand nennt eine realistische und vorsichtige Summe: ‚Eine Million pro Jahr.’“ 98 Das erste Treffen fand im Juni 1957, ein weiteres am 30. Januar 1958 statt, diesmal in einem grösseren Kreis. 99 Dazwischen könnten noch weitere Treffen stattgefunden haben, welche nicht dokumentiert sind. Die Angaben Im Hof-Piguets lassen aber doch vermuten, dass die Ausrichtung auf die Privatwirtschaft bereits früh, noch im Jahr 1957 erfolgte. Diese These wird durch die Quellen des Swisscontact-Archivs, welche ab März 1958 überliefert sind, gestützt. So trug die geplante Stiftung im Vorentwurf der Stiftungsurkunde vom März 1958 bereits den Namen „Stiftung der schweizerischen Wirtschaft für Arbeit in aussereuropäischen Gebieten“. 100 Unter Punkt drei „Betriebsmittel“ hiess es dann: „Die Stiftung arbeitet mit den Zinsen des Stiftungskapitals und mit den ihr zufliessenden regelmässigen oder einmaligen Beiträgen und Zuwendungen des Bundes, der Wirtschaftsverbände und der schweizerischen Unternehmungen.“ 101 Ferner enthielt der Entwurf die Bestimmung, dass Bund und Wirtschaft im Stiftungsrat eine „angemessene Vertretung“ zukomme.102 Der Entwurf wurde von Rechtsanwalt Gerhart Schürch ausgearbeitet, der schon früh dem Initiativkreis angehörte. Die Ausrichtung der geplanten Stiftung auf die Privatwirtschaft kommt hier klar zur Geltung, auch wenn Beiträge des Bunds nicht ausgeschlossen wurden. Der Name war Programm. Wenn im März 1958 die Ausrichtung auf die Privatwirtschaft beschlossene Sache war, dann kann davon ausgegangen

97 Matzinger, Anfänge S. 165. 98 Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 32. 99 Vom Treffen am 30.1.1958 ist leider kein Protokoll überliefert. Es wird lediglich im Brief vom 24.3.1958 von Groschupf an die übrigen Initianten erwähnt. Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 24.3.1958 von Groschupf an das Initiativkomitee, S. 1. Auf die personelle Zusammensetzung des Initiativkomitees wird weiter unten eingegangen. 100 AfZ, IB-Swisscontact-Archiv, Vorentwurf Stiftungsurkunde vom März 1958, S. 1. 101 Ebd. S. 2. 102 Ebd. S. 3.

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werden, dass dem eine intensive Diskussion voranging und dass die Idee schon länger bestand. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das „neue Konzept“ einer Stiftung, welche vor allem von der Privatwirtschaft getragen würde, vermutlich bereits im Jahr 1957 entstand, sicher aber zwischen Juni 1957 und März 1958. Nachdem der Zeitpunkt der Fokussierung auf die Privatwirtschaft als Trägerschaft der geplanten Stiftung geklärt ist, stellt sich die Frage nach den Motiven und Interessen, welche hinter dieser Ausrichtung standen. Ein Motiv war die Abgrenzung gegenüber den bestehenden Hilfswerken. Hierbei handelte es sich um strategische Interessen. Das Scheitern der ersten Initiative um 1956 hatte gezeigt, dass eine Konkurrenzierung der bestehenden Hilfswerke nach Möglichkeit vermieden werden sollte. Durch die sachliche Einschränkung auf technische Entwicklungshilfe machte die Stiftung vor allem einem Hilfswerk Konkurrenz: Dem SHAG. Denn die anderen schweizerischen Hilfswerke, die SAH, das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS), die Caritas (das Hilfswerk der katholischen Kirchen) und das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAHW) widmeten sich Ende der 1950er Jahre noch immer hauptsächlich der Wiederaufbau- und Flüchtlingshilfe in Europa. Erst Anfang der 1960er Jahre wurden sie vermehrt in der Entwicklungshilfe tätig. 103 Nach Matzinger war es Freymond, der eine von der Schweizer Privatwirtschaft getragene Stiftung vorschlug, um sich so auf der Ebene der Trägerschaft, auf finanzieller und nicht auf inhaltlicher oder geographischer Ebene, gegenüber den anderen Hilfswerken abzugrenzen. 104 Dies war die einzige Ebene, auf der eine Distanzierung zum SHAG möglich war, da die Stiftung ansonsten ähnliche Ziele anstrebte. Schuppisser schrieb, dass durch eine von der Privatwirtschaft getragene Stiftung „eine Konkurrenzierung anderer privater Hilfswerke beim Sammeln von Geldern für die Entwicklungshilfe vermieden werden konnte“. 105 Auch sie sah in der Wahl der Privatwirtschaft als Trägerschaft der Stiftung eine Möglichkeit der Abgrenzung auf finanzieller Ebene gegenüber den bestehenden Hilfswerken. Ein weiteres Motiv für die Fokussierung auf die Privatwirtschaft war die Mobilisierung der Mittel der Privatwirtschaft für die Entwicklungshilfe. Hier handelte es sich um ideelle und materielle Interessen. Es war ein Mittel, um das Ziel der Intensivierung der schweizerischen Entwicklungshilfe zu erreichen – eine Intensivierung der finanziellen Leistungen, aber auch eine verstärkte Anstrengung zur Erfüllung der „sozialen Verpflichtung“ 106 gegenüber der

103 Vgl. Bühler, Schweizerische Auslandhilfe, S. 510-511 und 515-516; Gerster, private Hilfswerke, S. 706. 104 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 165. 105 Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 193. 106 So die Wortwahl Im Hof-Piguets im Gespräch mit Schuppisser, wie weiter oben schon erwähnt. Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 190 (Fussnote 4).

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Dritten Welt. Ob die Initianten tatsächlich alle dieses Ziel anstrebten, oder ob verschiedene Ziele verfolgt wurden, wird später genauer untersucht. An der konstituierenden Sitzung des Initiativkomitees vom 11. Dezember 1958 legte Freymond dar, wie es zur Idee einer Stiftung für Entwicklungshilfe kam, welche von der Privatwirtschaft getragen würde: Mais l’expérience démontre qu’il sera difficile à l’ASRE d’avoir l’autorité nécessaire pour engager l’industrie à verser régulièrement les grosses sommes nécessaires, en vue d’intensifier l’assistance technique de la part de la Suisse. La plupart des cotisations des membres sont modestes. La conviction que notre industrie et notre économie se doivent d’apporter une contribution typiquement suisse au problème des pays en voie de développement a fait reprendre l’idée de la fondation: une telle institution aurait le poids nécessaire et offrirait des garanties suffisantes. 107 Demnach war das Ziel der Intensivierung der schweizerischen Entwicklungshilfe für die Dritte Welt nur über die Mobilisierung der Mittel der zahlungskräftigen Schweizer Privatwirtschaft zu erreichen. Weil das SHAG (französisch: Association suisse d’aide aux régions extra-européennes, ASRE) die Privatwirtschaft nicht für die Sache gewinnen konnte, wollte man eine neue Stiftung gründen, welche dazu in der Lage wäre. Folgt man dieser Darstellung, dann war die Mobilisierung der Mittel der Privatwirtschaft das Ziel der Initianten und der Anlass der Wiederaufnahme des Projektes im Juni 1957. Das würde bedeuten, dass die Initianten von Beginn weg die Privatwirtschaft als Trägerin der Stiftung vorsahen.

2.3. Die bestehenden Kräfte bündeln – Die Stiftung als Koordinationsstelle Die Initianten strebten mit der Gründung einer Stiftung für Entwicklungshilfe die Intensivierung der schweizerischen Entwicklungshilfe an. Doch welche Aufgaben sollte die Stiftung übernehmen? Warum eine neue Organisation gründen, welchen Zweck sollte diese erfüllen? Ein Zweck wurde bereits erwähnt: Die Mittelbeschaffung. Durch die Stiftung erhoffte man, die zahlungskräftige Privatwirtschaft, welche sich bisher für Entwicklungshilfe wenig interessiert hatte, zu Spenden zu bewegen. Die Initianten wollten mit der Stiftung aber einen weiteren Zweck erfüllen: Die Koordination der schweizerischen Entwicklungshilfe insgesamt. Über diesen Zweck schweigt die Literatur – wohl deshalb, weil die Quellen, welche darüber berichten, bisher von der Forschung nicht untersucht worden sind. In Kenntnis dieses ursprünglichen Zwecks der Stiftung muss der Konflikt um die Zusammenarbeit zwischen der Stiftung und dem SHAG neu beurteilt werden. 108 Im Vorentwurf der Stiftungsurkunde, den Gerhart Schürch im März 1958 erstellte, hiess es unter Punkt eins „Zweck“:

107 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Initiativkomitee vom 11.12.1958, S. 2-3. 108 Ausführlich: Siehe die folgenden Kapitel 2.4.-2.5. Vgl. auch die Darstellung des Konflikts um die Zusammenarbeit zwischen der Stiftung und dem SHAG bei Matzinger, Anfänge, S. 167-169, sowie bei Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 196-199.

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Die Stiftung fördert die schweizerische Arbeit (in aussereuropäischen Gebieten), insbesondere die technische Hilfe an wirtschaftlich ungenügende entwickelte Länder, indem sie a) die Verbände und Unternehmungen der Wirtschaft und die Oeffentlichkeit über Zweck und Notwendigkeit der schweizerischen Arbeit in aussereuropäischen Gebieten aufklärt; b) die staatlichen und privaten Massnahmen der Arbeit in aussereuropäischen Gebieten koordiniert; c) Mittel zur Finanzierung schweizerischer Projekte für Arbeiten in aussereuropäischen Gebieten beschafft. 109 Der erste Punkt – die Aufklärung der Wirtschaft und der Öffentlichkeit – ist nicht erstaunlich, da dies zur üblichen Tätigkeit eines Hilfswerks gehört. Ohne Öffentlichkeitsarbeit wären wohl kaum grosse Spendeneinnahmen zu erwarten gewesen. Der letzte Punkt, die Mittelbeschaffung für die Projektarbeit in Entwicklungsländern, gehört ebenfalls zum Kerngeschäft eines Hilfswerks. Der zweite Punkt aber – die Koordination der öffentlichen und privaten Entwicklungshilfe – überrascht, vor allem weil ein weiterer wichtiger Punkt fehlt: Die Durchführung von Projekten in Entwicklungsländern. Zweck der geplanten Stiftung war demnach nicht die Durchführung von eigenen Projekten, sondern die Koordination der Tätigkeit der bestehenden Hilfswerke und des Bunds. Durch eine solche Koordinationsstelle erhofften sich die Initianten eine Bündelung der Kräfte und weniger Bürokratie. Ein überzeugter Verfechter dieser Idee war Arthur Fürer, Vizedirektor der Nestlé Alimentana S.A. (Vevey) und Nachfolger von Theodor Waldesbühl im Initiativkomitee der Stiftung. Er schrieb in einem Brief vom September 1958 an Im Hof- Piguet: En ce qui concerne l’organisation de l’aide bilatérale de Suisse, nous croyons qu’il est de première nécessité de concentrer nos efforts. En effet, nous devons éviter de créer simplement une organisation de plus, dont la seule raison d’être serait nourrir un secrétaire et de faire surtout des dépenses administratives. Nous avons déjà trop de secrétariats et trop de paperasse. Ce qui compte c’est uniquement le travail fourni à l’étranger. Il faudra donc arriver à réunir tout ce qui existe déjà maintenant dans une institution centrale, c’est-à-dire la fondation envisagée. 110 Fürer war der Meinung, es gebe bereits zu viele Organisationen, zu viele Sekretariate und zu viel Bürokratie. Deshalb dürfe man nicht einfach eine weitere Organisation, ein weiteres Hilfswerk gründen, sondern man sollte alle bestehenden Kräfte in einer zentralen Institution, eben in der geplanten Stiftung, zusammenführen. So könnte man die administrativen Kosten senken und um so mehr in die Tätigkeit in den Entwicklungsländern investieren. Fürers Haltung ist ganz die eines Kosten-Nutzen maximierenden Wirtschaftsmannes. Im Interesse der Reduktion von administrativen Kosten kam im Juli 1958 erstmals die Idee auf, dass die zu gründende Stiftung ihre Sekretariatsarbeiten „einer geeigneten Organisation wie dem [SHAG]“111 anvertrauen könnte, wobei die Anstellung eines eigenen Sekretärs noch

109 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Vorentwurf Stiftungsurkunde vom März 1958, S. 1. 110 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 4.9.1958 von Fürer an Im Hof-Piguet, S. 2. 111 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Teil-Vorentwurf Statuten vom Juli 1958, S. 3.

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nicht ausgeschlossen wurde. Diese Idee fand offenbar Anklang, denn im Entwurf der Statuten vom November 1958 wurde sie nicht mehr nur als Option gehandelt, sondern als Beschluss: „Das Sekretariat der Stiftung wird durch das [SHAG] geführt.“ 112 Im kommentierten Statutenentwurf vom Januar 1959 begründete Schürch diesen Beschluss wie folgt: Das [SHAG] hat in der Schweiz als einzige private Institution praktische Erfahrung auf dem Gebiet der technischen Entwicklungshilfe. Die Uebertragung der Geschäftsführung an diese Organisation erscheint deshalb als zweckmässig; die Stiftung wird damit von der Notwendigkeit befreit, einen eigenen Verwaltungsapparat aufzuziehen. 113 Die Idee der Bündelung der bestehenden Kräfte lag allerdings schon Freymonds erster Initiative von 1956 zu Grunde. An der Zusammenkunft vom 26. September 1958 des Initiativkomitees und einiger Interessenten aus Zürich und Umgebung legte Freymond rückblickend die Gründe dar, die ihn damals zur Inangriffnahme einer nationalen Stiftung für Solidarität bewegten: Er [Freymond, F.D.] setzt die Notwendigkeit des Ausbaues der bilateralen Hilfe und der direkten schweizerischen Hilfeleistung in wirtschaftlich unterentwickelten Ländern auseinander. Er betont, dass die Schweiz eine wichtige Aufgabe zu erfüllen hat, sowie dass die verschiedenen bestehenden Initiativen und Werke koordiniert und auf eine breitere nationale Grundlage gestellt werden müssen. 114 Freymond erwähnte an diesem Treffen keine politischen Interessen, sondern einzig das Ziel der Intensivierung der Schweizer Entwicklungshilfe und dass die Schweiz eine Pflicht erfüllen müsse. Ob er hiermit eine moralische Verpflichtung meinte, wie es Im Hof-Piguet sah, oder ob er auf eine politische Pflicht gegenüber dem internationalen Umfeld anspielte, ist ungewiss. Durch gute Koordination der bestehenden Hilfswerke und durch die Schaffung einer nationalen Basis sollte die Stiftung ermöglichen, das Ziel zu erreichen und die Pflicht zu erfüllen. Mit der Betonung der Notwendigkeit eines nationalen Rückhalts rückte Freymond sein altes Anliegen in den Vordergrund, den nationalen Zusammenhalt zu stärken. Als Koordinationsstelle der Schweizer Entwicklungshilfe sollte die Stiftung über einen grossen Stiftungsrat verfügen, in welchem die verschiedenen Akteure vertreten wären. Schürch machte in einem Brief vom April 1958 an Ludwig Groschupf, Präsident des SHAG und Direktor der Lloyd AG (Basel), einen detaillierten Vorschlag zur Zusammensetzung des Stiftungsrats. Demnach wären dem Bund acht Sitze, den Stiftern fünf, dem SHAG, der SAH, dem Schweizerischen Nationalfonds, der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), der Schweizerischen Zentrale für Handelsförderung, dem Schweizerischen Ingenieur- und Architekten-Verein, dem Schweizerischen Technikerverband sowie dem Schweizerischen

112 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Teil-Vorentwurf Statuten vom November 1958, S. 2. 113 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Entwurf Statuten vom Januar 1959 (mit Kommentar), S. 4. 114 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Bericht Initiativkomitee vom 26.9.1958, S. 2-3.

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Presseverein je ein Sitz zugekommen. Falls die grossen Wirtschaftsorganisationen nicht zu den Stiftern gehörten, wären ihnen zusätzlich acht Sitze reserviert. 115 Schürch ging hierbei von einer „namhafte[n] Subventionierung durch den Bund“ 116 aus – deshalb die starke Vertretung des Bunds im Stiftungsrat. Interessant ist, wie breit die Palette der Organisationen war, welche im Stiftungsrat Einsitz haben sollten. Die Hilfswerke SAH und SHAG hatten in einem Stiftungsrat von rund dreissig Mitgliedern mit je einem Vertreter nur ein geringes Gewicht. Schürch hielt eine solche Zusammensetzung für geeignet, um den „Koordinationszweck“ zu erfüllen, auch wenn ein so grosser Stiftungsrat auch Nachteile mit sich brächte: Es scheint mir allerdings, dass ein ziemlich grosser Stiftungsrat, der eine breite Abstützung im Volk, bei den Behörden und bei der Wirtschaft vermittelt, wertvoll wäre, und dass die Unzukömmlichkeiten weitgehend aufgehoben werden durch einen aktionsfähigen kleinen Ausschuss. 117 Die Konzeption der Stiftung als Koordinationsstelle warf schon bald die Frage nach der Form der Zusammenarbeit mit dem Bund auf. Am 14. Juli 1958 trafen die Initianten Bundesrat Petitpierre und Jean Guy de Rham, Direktor der Abteilung für internationale Organisationen im EPD, um diese Frage zu besprechen. Offenbar hatten die Initianten eine Fusion der geplanten Stiftung mit der Koordinations-Kommission118 vorgeschlagen, der für die bilaterale Hilfe verantwortlichen Bundesstelle, nach dem Präsidenten Hans Pallmann auch „Kommission Pallmann“ genannt. Petitpierre bezweifelte, dass eine Fusion der geplanten Stiftung und der „Kommission Pallmann“ möglich sein würde, versprach aber, dies mit den zuständigen Stellen abzuklären. 119 Eine Schwierigkeit sah Petitpierre darin, „dass die Kommission Pallmann auch mit den Instanzen in Verbindung und Zusammenarbeit bleiben müss[t]e, welche sich mit der multilateralen Hilfe befass[t]en, da die beiden Hilfsarten in der Praxis nicht streng getrennt werden könn[t]en und die eine oft auf der anderen aufbau[e].“ 120 Die multilaterale Hilfe sah Petitpierre demnach als klare Aufgabe des Bundes an; es wurde zudem auch nirgends erwähnt, dass dies zu den Aufgaben der geplanten Stiftung gehören würde. Groschupf, der sein Amt als Präsident des SHAG an Gloor abgetreten hatte, stand einer Fusion mit der Koordinations-Kommission ebenfalls ablehnend gegenüber, zumindest zum damaligen Zeitpunkt:

115 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 3.4.1958 von Schürch an Groschupf, S. 1-2. 116 Ebd. S.1. 117 Ebd. S. 2. 118 Die Koordinations-Kommission wurde um 1950 gebildet, um die bilaterale Entwicklungshilfe der Schweiz zu koordinieren. Erster Präsident wurde Hans Pallmann, Präsident des Schweizerischen Schulrates. Vgl. dazu Matzinger, Anfänge, Kapitel VI „Institutionalisierung“, S. 40-57, insbesondere S. 53-57. 119 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 17.7.1958 von Schürch an Groschupf, S. 2. 120 Ebd.

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Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn die Stiftung die Arbeit der Pallmann-Kommission übernehmen würde. In der Zukunft kann die Entwicklung vielleicht dazu führen. Heute aber wäre es sicher verfrüht; denn die Pallmann-Kommission arbeitet bei der Suche von Experten für die UNO-Hilfswerke sehr gut, ebenso für Stipendiaten für unsere ETH und unsere Universitäten. Es sind dies Arbeiten, die m.E. dort bleiben sollen, wo sie sind. 121 Die Begründung von Groschupf war simpel und einleuchtend: Die Koordinations- Kommission führe ihre Aufgaben gut aus. Was gut lief, sollte man so belassen. Zudem sah Groschupf das Tätigkeitsgebiet der Stiftung in einem anderen Bereich, als dasjenige der Koordinations-Kommission: In der Projektarbeit. Doch dazu später mehr. Petitpierre riet den Initianten, erst einmal eine kleine, unabhängige Organisation zu gründen und in einem zweiten Schritt die Zusammenarbeit mit dem Bund zu suchen: So wie die Sache nach der ersten Besprechung mit Herrn Bundesrat Petitpierre aussieht, scheint eine etwas kleiner aufgezogene Organisation, die wir ursprünglich vorgesehen hatten, zweckmässiger zu sein. Wenn sich diese kleinere Organisation konsolidiert und den Beweis erbringt, dass sie imstande ist, die Privatwirtschaft für den Gedanken der Hilfe an unterentwickelte Gebiete zu mobilisieren, so wird es bedeutend leichter sein, eine Koordination mit den bisherigen amtlichen Instanzen, die sich mit der gleichen Aufgabe befassen, herbeizuführen. Eine solche Zusammenfassung der amtlichen und privaten Kräfte und Mittel unter dem Dach der Stiftung kann durchaus schon in der ursprünglichen Stiftungsurkunde in Aussicht genommen werden. 122 Nach wie vor war also beabsichtigt, die Hilfe des Bunds wie auch der privaten Hilfswerke in der Stiftung zusammenzuführen, auch wenn dies erst zu einem späteren Zeitpunkt geschehen sollte. Zunächst einmal galt es aber, zum ursprünglichen Konzept einer kleinen Stiftung – getragen von der Privatwirtschaft – zurückzukehren. Um Doppelspurigkeiten zu vermeiden, was ihnen Petitpierre ebenfalls nahelegte, wollten die Initianten nur diejenigen Institutionen im Stiftungsrat vertreten lassen, welche nicht bereits in der Koordinations-Kommission Einsitz hatten. Diese aber sollte nur einen einzigen Vertreter im Stiftungsrat haben, der für die gesamte Kommission und alle ihren angehörenden Institutionen stehen und der „den Willen zur Koordination dokumentieren“ würde. 123 Erst einmal galt es aber, die Stellungnahme des EPD abzuwarten. Schürch hielt es für sinnvoll, die Angelegenheit noch mit Pallmann persönlich zu besprechen, „um sich bei ihm einer verständnisvollen, grundsätzlichen Einstellung zu versichern“, wobei sich dieser bereits wohlwollend gezeigt habe. 124 Am 6. September 1958 fand dann das Treffen der Initianten mit Pallmann statt. Im Hof-Piguet unterrichtete de Coulon durch einen Brief von den Ergebnissen des Gesprächs. Pallmann sprach sich für eine klare Trennung von privater und staatlicher Entwicklungshilfe aus. Die

121 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 18.7.1958 von Groschupf an Schürch, S. 1-2. 122 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 17.7.1958 von Schürch an Groschupf, S. 2-3. 123 Ebd. S. 3. 124 Ebd. S. 2.

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Stiftung sollte demnach als private Institution konzipiert und durch die Mittel der Privatwirtschaft finanziert werden. Der Bund würde die Stiftung vorerst nicht finanziell unterstützen. Die Stiftung könnte aber später Projektvorschläge einreichen, welche die Koordinations-Kommission dann nach Möglichkeit finanziell unterstützen würde. Im Hof- Piguet wies de Coulon darauf hin, dass dies die Haltung Pallmanns sei und diese nicht zwingend der offiziellen Haltung des Bunds entsprechen müsse. Sie werde aber bald Bescheid erhalten von Petitpierre und de Rham. Petitpierre sei der Sache zwar grundsätzlich sehr positiv gegenübergestanden, wollte aber nichts versprechen, sondern lieber abwarten. Falls sie sich aber der Haltung Pallmanns anschliessen würden, sei die Konsequenz klar: Man müsste die Stiftung ohne die Hilfe des Bunds gründen. 125 Il faut partir sans la Confédération – l’économie privée doit montrer ce qu’elle est capable de faire par elle-même, la fondation doit tout d’abord donner la preuve qu’elle est voulue et soutenue par les industriels. Le mouvement doit être donné par les cercles privés, la Confédération suivra. 126 Petitpierre und de Rham teilten die Meinung Pallmanns offenbar, wie dem Protokoll der Sitzung des Initiativkomitees vom 11. Dezember 1958 zu entnehmen ist: „Selon les discussions avec les autorités fédérales, nous pouvons compter sur un appui de la Confédération, aussitôt que la fondation sera portée par l’économie privée.“ 127 Die Initianten folgten der Empfehlung und sahen nunmehr die Gründung einer rein privaten Stiftung vor, welche später immer noch die Möglichkeit hätte, Bundesmittel anzufordern.

2.4. Koordination von Projekten anderer – oder auch Durchführung eigener? Die Idee der Stiftung als Koordinationsstelle für die gesamte schweizerische Entwicklungshilfe sah vor, dass die Stiftung keine eigenen Projekte durchführen, sondern diejenigen anderer koordinieren würde. Die Delegation der Projektdurchführung an andere Hilfswerke war also Teil des ursprünglichen Konzepts der Stiftung als Koordinationsstelle und nicht, wie dies Matzinger und Schuppisser darstellten, die Idee des SHAG, welches sich dadurch die Finanzierung eigener Projekte durch die Stiftung erhoffte. 128 An der Sitzung des Initiativkomitees vom 11. Dezember 1958 wurde folgende Konzeption der Stiftung gutgeheissen: Die Stiftung würde die Mittel, welche sie vor allem von der Schweizer Privatwirtschaft erhielte, den bestehenden Hilfswerken für die Projektarbeit in Entwicklungsländern zur Verfügung stellen; die Projekte in Europa würden von der SAH, diejenigen ausserhalb Europas vom SHAG durchgeführt; die Stiftung würde diesen

125 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 17.9.1958 von Im Hof-Piguet an de Coulon, S. 1-2. 126 Ebd. S. 2. 127 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Initiativkomitee vom 11.12.1958, S. 3. 128 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 167; Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 197.

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Organisationen Instruktionen erteilen und für die vernünftige und zweckmässige Verwendung der Mittel sorgen. 129 Considérant qu’il existe déjà en Suisse des organisations qui fournissent une assistance technique, il ne sera pas nécessaire que la fondation exécute elle-même les actions prévues. Il paraît plus indiqué que la fondation confie les moyens nécessaires à la réalisation des projets aux organisations déjà existantes […] Ainsi, il ne sera pas nécessaire de créer une nouvelle organisation avec de nouveaux frais administratifs. En admettant que les circonstances ne se modifient pas fondamentalement, l’Aide suisse à l’Etranger pourrait exécuter les projets en Europe; l’Aide suisse aux régions extra-européennes, les projets d’outre-mer. 130 Begründet wurde diese Konzeption, welche von Freymond den übrigen Initianten vorgestellt wurde, einmal mehr mit der Vermeidung von Doppelspurigkeit und zusätzlichen administrativen Kosten. Nachdem Im Hof-Piguet das Protokoll verfasst und den Initianten geschickt hatte, teilte Fürer ihr in einem Antwortschreiben mit, dass er mit einem Punkt des Protokolls nicht einverstanden sei: Der Konzeption der geplanten Stiftung. 131 Diese Konzeption stamme nicht von Freymond, sondern von Gloor: „En effet, il s’agit là moins des propositions de M. Freymond que du petit exposé de M. Gloor qui suppose que les organisations existantes continueront à travailler selon leur propre manière, tandis que la nouvelle fondation leur fournira seulement les moyens.“132 Nach der Konzeption Gloor’s, so Fürer, würde die Stiftung zur Geldsammelstelle degradiert, während die bestehenden Hilfswerke ihre Tätigkeit wie gewohnt weiterführen würden. Fürer wollte aber der geplanten Stiftung mehr Gewicht geben: „Je maintiens encore toujours le point de vue, que j’ai défendu lors de la séance, que la fondation devienne l’œuvre centrale de l’aide suisse aux pays sous-développés. J’aurais bien aimé que cette opinion soit émise dans le porcès-verbal.“133 Nach Fürers Meinung sollte die Stiftung das zentrale Hilfswerk der Schweizer Entwicklungshilfe werden, eine Koordinationsstelle, eine Dachorganisation, und nicht bloss eine Geldsammelstelle. Die Kritik Fürers zielte auf die Rolle der Stiftung gegenüber den bestehenden Hilfswerken ab, nicht aber auf das Prinzip, keine eigenen Projekte durchzuführen. Im Januar 1959 war die Durchführung eigener Projekte erstmals ein Thema. Schürch erläuterte in einem Brief an Schindler den Stand der Ausarbeitung von Statuten und Stiftungsurkunde. Die letzten Entwürfe vom November 1958 134 wurden an der Sitzung vom 11. Dezember 1958 – ausser der Namensfrage – nicht eingehend behandelt, einzig Fürer

129 Vgl. Ebd. 130 Ebd. 131 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 31.12.1958 von Fürer an Im Hof-Piguet, S. 1. 132 Ebd. 133 Ebd. 134 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Vorentwurf Stiftungsurkunde sowie Teil-Vorentwurf Statuten vom November 1958.

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nahm schriftlich dazu Stellung, insbesondere zur Zweckbestimmung von Statuten und Stiftungsurkunde. 135 Die Stellungnahme Fürers ist nicht überliefert, kann jedoch anhand des Briefs von Schürch an Schindler rekonstruiert werden. In den Entwürfen vom November 1958 wurde die Durchführung von eigenen Projekten nicht erwähnt. 136 Der Zweckartikel des Statutenentwurfs vom November umfasste folgende Punkte: Aufklärung der Öffentlichkeit, Beschaffung von Mitteln, Förderung der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Institutionen, Ausarbeitung von Projektideen. 137 Schürch wies im Brief darauf hin, dass diese Aufzählung der Methoden, mit denen der Stiftungszweck erfüllt werden sollte, nicht abschliessend sei. Jedoch sollten die wichtigsten Tätigkeiten der Stiftung hier erwähnt werden. Deshalb, so Schürch, „stell[e] sich die Frage, ob die Stiftung ausschliesslich oder vorwiegend eigene Projekte durchführen oder bloss Projekte anderer Institutionen finanzieren soll.“ 138 Die Frage nach der Durchführung eigener Projekte wurde wohl von Fürer aufgeworfen, denn Schürch bezieht sich in diesem Teil des Briefes auf dessen Stellungnahme und macht Vorschläge, wie diese Anregungen in den Statuten aufgenommen werden könnten. Neu sollte unter dem Punkt zur Beschaffung von Mitteln die Durchführung eigener Projekte explizit erwähnt werden: Die Stiftung fördert die technische Entwicklung wenig entwickelter Länder insbesondere durch […] Beschaffung der Mittel zur Finanzierung technischer Entwicklungsprojekte, insbesondere auch zur Durchführung eigener Projekte auf dem Gebiet der Heranbildung von Handwerkern (Lehrwerkstätten).139 Schürch schickte eine Kopie des Briefes an Im Hof-Piguet, Gloor und Fürer, um ihnen diesen Änderungsvorschlag zu unterbreiten. Die einzige Antwort, welche überliefert ist, stammt von Gloor. Er schrieb an Schürch und sendete wiederum eine Kopie an Schindler, Im Hof-Piguet und Fürer. Gloor lehnte den Änderungsvorschlag zwar nicht durchwegs ab, trat aber für eine weniger eng gefasste Formulierung ein: Es scheint mir, dass lit. c) etwas weiter gefasst werden sollte, um sowohl eigene Aktionen der Stiftung als auch Gemeinschaftsprojekte einzuschliessen. Ich schlage vor: ‚c) Beschaffung der Mittel zur Finanzierung technischer Entwicklungsprojekte, die sie allein oder in Gemeinschaft mit anderen Organisationen durchführt, insbesondere auf dem Gebiet der Heranbildung von Handwerkern (Lehrwerkstätten).‘ 140 Diese Stellungnahme Gloors zeigt, dass das Prinzip der Durchführung eigener Projekte durch die Stiftung bereits breite Akzeptanz genoss. Denn auch Gloor schloss dies nicht aus, auch

135 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 8.1.1959 von Schürch an Schindler, S. 1. 136 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Vorentwurf Stiftungsurkunde vom November 1958, S. 1. sowie Teil- Vorentwurf Statuten vom November 1958, S. 1. 137 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Teil-Vorentwurf Statuten vom November 1958, S. 1. 138 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 8.1.1959 von Schürch an Schindler, S. 3. 139 Ebd. S. 3-4. 140 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 19.1.1959 von Gloor an Schürch, S. 1.

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wenn er sich für die Durchführung von Projekten in Zusammenarbeit mit anderen Hilfswerken einsetzte. Von einer Übertragung der Projektdurchführung an das SHAG und die SAH war nicht mehr die Rede, sondern von Zusammenarbeit. Im Exposé vom Januar 1959, das Gloor zusammen mit Im Hof-Piguet verfasste und am 24. Januar an Schindler, Schürch und Fürer zur Stellungnahme schickte, gingen die Verfasser jedoch wieder von der ursprünglichen Konzeption der Übertragung der Projektdurchführung an das SHAG und die SAH aus. Das Exposé umfasste eine detaillierte Schilderung der Idee der Stiftung, der rechtlichen Form sowie der Zusammenarbeit mit SHAG und SAH. Es sollte den Stand der Planung darstellen und als Information für den Vorort sowie allenfalls für weitere interessierte Kreise dienen. In diesem Exposé hiess es im Abschnitt zwei zur rechtlichen Form der Stiftung: Die Durchführung der konkreten Projekte, z.B. Gründung und Betrieb der Lehrwerkstätten, sollten schweizer Privatorganisationen für technische Hilfe, welche die notwendigen Erfahrungen besitzen (z.Zt. Schweizer Auslandhilfe für Gebiete in Europa und Schweiz. Hilfswerk für Gebiete ausserhalb Europa) anvertraut werden. 141 Die Übertragung der Projektdurchführung wurde mit dem Argument begründet, dass die bestehenden Hilfswerke über die nötige Erfahrung verfügten, die Stiftung aber nicht. Im Abschnitt drei zur Zusammenarbeit der Stiftung mit dem SHAG und der SAH wurden die Vorteile der Projektdelegation wie folgt zusammengefasst: Die Zusammenarbeit mit SAH und SHAG soll für die Stiftung zu folgendem führen: Vermeidung von Doppelspurigkeit in der Arbeit, Vermeidung eines unnötigen Verwaltungsapparates, Ausnützung der vorhandenen Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der technischen Hilfe, Möglichkeit der indirekten Unterstützung durch den Bund, absolute Kontrolle der Verwendung der von der Wirtschaft der Stiftung zur Verfügung gestellten Gelder durch die aus Persönlichkeiten der Wirtschaft bestehenden Organe der Stiftung. 142 Die bekannten Argumente der Vermeidung von Doppelspurigkeit und Bürokratie wurden hier wieder angeführt. Neu war das Argument, dass die Stiftung über die SAH, welche Bundesbeiträge erhielt, indirekt auch von diesen profitieren könnte. Dieses Argument war aber insofern nicht so bedeutend, als dass der Bund der Stiftung seine Unterstützung zu einem späteren Zeitpunkt zugesichert hatte, was im Exposé ebenfalls erwähnt wurde. 143 Das letzte Argument, die Kontrolle über die Verwendung der Mittel, wurde bereits an der Sitzung des Initiativkomitees vom 11. Dezember 1958 erwähnt. Es sollte betonen, dass die Trägerschaft der Stiftung, die Privatwirtschaft, die Kontrolle über die Verwendung ihrer Mittel hätte, auch

141 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Exposé Januar 1959, S. 10. Das SHAG wurde hier kurz „Schweiz. Hilfswerk“ bezeichnet, wohl um eine Wortwiederholung zu vermeiden. Korrekt wäre gewesen „Schweizerisches Hilfswerk für aussereuropäische Gebiete für Gebiete ausserhalb Europas“. 142 Ebd. S. 13. 143 Vgl. Ebd. S. 7: „Bestimmt kann man bis dann mit einer aktiven Beteiligung des Bundes rechnen. Nach bewährter, liberaler Tradition muss aber der erste Impuls von der Privatwirtschaft gegeben werden.“

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wenn diese an das SHAG und die SAH weitergeleitet und nicht durch die Stiftung direkt ausgegeben würden. Von der Durchführung eigener Projekte war im Exposé vom Januar 1959 also nicht die Rede. Es wurde jedoch dargelegt, welche Rolle der geplanten Stiftung zukäme und welche Aufgaben diese hätte. Es handelte sich dabei um dieselben Tätigkeitsbereiche, welche im Statutenentwurf vom November 1958 erwähnt wurden: Aufklärung der Öffentlichkeit, Förderung der Zusammenarbeit zwischen staatlichen und privaten Institutionen sowie Beschaffung von Mitteln. Die Ausarbeitung von Projektideen wurde im Exposé nicht als primäre Aufgabe der Stiftung angesehen, sondern als diejenige der ausführenden Organisationen SAH und SHAG, wobei diese immerhin eng mit Bund und Stiftung zusammenarbeiten müssten. 144 Im Anschluss an die Aufzählung der Aufgaben der Stiftung benannten die Verfasser auch die Bereiche, welche nicht zum primären Tätigkeitsfeld der Stiftung gehören würden: „Die Stiftung soll sich in der Hauptsache weder der Koordination aller technischen Hilfsprojekte der Schweiz, noch der Durchführung vollständig unabhängiger Aktionen widmen.“145 Mit dieser Bestimmung schränkten Gloor und Im Hof-Piguet den Handlungsspielraum der geplanten Stiftung stark ein. Sie schlossen die Durchführung eigener Projekte aus und entzogen der Stiftung gleichzeitig die Rolle als Koordinationsstelle. Es fragt sich, welche Rolle die Verfasser der geplanten Stiftung noch zugestanden. Von den erwähnten Aufgaben blieben nur die Aufklärung der Öffentlichkeit und die Beschaffung von Mitteln übrig. Damit würde die Stiftung in der Tat zur Geldsammelstelle degradiert, wie Fürer befürchtete. Interessant ist nun, dass Gloor bereits im oben erwähnten Brief an Schürch von Zusammenarbeit mit den bestehenden Hilfswerken in der Projektdurchführung sprach, im Exposé, das er darauf verschickte, aber wieder auf das frühere Konzept der Übertragung der Projektdurchführung zurückkam. In der folgenden Korrespondenz des Initiativkomitees war nunmehr von Zusammenarbeit die Rede, ohne näher zu bestimmen, wie diese ausgestaltet würde. So schrieb Schindler im Brief vom 28. Februar an verschiedene Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, welche er zum Beitritt in das Initiativkomitee beziehungsweise zum späteren Stiftungsrat einlud: „Wir gedenken, mit der Schweizerischen Koordinationskommission für die technische Hilfe, der Schweizerischen Auslandshilfe und dem Schweizerischen Hilfswerk für aussereuropäische Gebiete eng zusammen zu

144 Vgl. Ebd. S. 13-14. 145 Ebd. S. 13.

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arbeiten.“146 Auch betreffend Sekretariat wurde nunmehr von „enger Zusammenarbeit“ mit dem SHAG gesprochen und nicht mehr von einer Übertragung der Sekretariatsarbeiten der Stiftung an dasselbe: Im Statutenentwurf vom Januar 1959 wurde der einschlägige Passus nachträglich von Hand gestrichen und durch die Formel „in enger Zusammenarbeit mit“ entsprechend ersetzt. 147 An der Sitzung vom 2. April konstituierte Schindler offiziell den geschäftsführenden Ausschuss des Initiativkomitees, bestehend aus den bisherigen Initianten Im Hof-Piguet, Gloor und Fürer sowie Botschafter Fritz Real, der vom Bund beurlaubt wurde, um die Stiftung in ihrer Anfangsphase zu unterstützen. Schürch wollte mangels Zeit nicht im Ausschuss mitwirken. 148 Weitere Traktanden dieser Sitzung waren die Bestellung des Stiftungsrats, die Konferenz beim Vorort, die Zeichnung der Stiftungsurkunde, der Inhalt der Statuten und schliesslich, als letzten und heikelsten Punkt, die Beziehung der Stiftung zum SHAG. In einer Notiz zur Sitzung (eine Art zusammenfassendes Protokoll, jedoch als „Notiz“ bezeichnet), wurde vermerkt, dass dieser Punkt bereits Gegenstand verschiedener Diskussionen gewesen war, insbesondere zwischen Fürer und Gloor. Derzeit gebe es zwei Konzeptionen. Die Urheber dieser Konzeptionen wurden zwar nicht mit Namen genannt, jedoch ist leicht zu erkennen, welche der beiden von Gloor und welche von Fürer stammte. Die erste lautete: „La fondation réunit les capitaux. L’exécution des projets est confiée à des organisations spécialisées dans le domaine de l’assistance technique, plus spéciallement à l’ASRE (SHAG).“ 149 Diese Konzeption stammte wohl von Gloor, der wiederholt für eine Delegation der Projektdurchführung an das SHAG eintrat. Neu war allerdings, dass das SAH nicht mehr erwähnt wurde. 150 Die Stiftung hätte nach dieser Konzeption primär die Aufgabe der Mittelbeschaffung. Die zweite Konzeption lautete: „La fondation doit avoir son chef d’action (Aktionssekretär) responsable vis-à-vis du Conseil de la fondation et chargé de la réalisation des ateliers d’apprentissage à l’étranger. L’ASRE n’ayant pas fusionné avec la fondation, elle doit continuer séparément son travail.“ 151 Diese Konzeption stammte wohl von Fürer, der für die Durchführung eigener Projekte eintrat und damit für die Unabhängigkeit vom SHAG. Die Stiftung hätte nach dieser Konzeption einen eigenen Sekretär, der für die Errichtung von Lehrwerkstätten im Ausland zuständig wäre und sich gegenüber dem Stiftungsrat, nicht aber gegenüber dem SHAG, verantworten müsste.

146 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 28.2.1959 von Schindler an verschiedene Adressaten, S. 1. 147 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Entwurf Statuten vom Januar 1959, S. 3. 148 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokollnotiz der Sitzung des Initiativkomitees vom 2.4.1959, S. 1-2. 149 Ebd. S. 3. 150 Über die Beziehungen der Stiftung und ihrer Initianten zur SAH mehr in Kapitel 2.6. weiter unten. 151 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokollnotiz Initiativkomitee vom 2.4.1959, S. 3.

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Man konnte sich an der Sitzung auf einen Kompromiss einigen. Die Stiftung und das SHAG sollten je über einen eigenen Sekretär verfügen, welcher für die jeweilige Tätigkeit seiner Organisation verantwortlich wäre. Insofern wollte man die beiden Organisationen also klar voneinander abgrenzen. Dennoch wollte man eine enge Zusammenarbeit anstreben. Die beiden Sekretäre sollten sich ein Büro teilen, um eine enge Zusammenarbeit zu erleichtern (sogenannte „Bürogemeinschaft“). Zudem wollten die beiden Organisationen ihre Projekte aufeinander abstimmen, wobei man sich inhaltlich auf Lehrwerkstätten zu konzentrieren gedachte, um deren Breitenwirkung zu vergrössern. Das gemeinsame Büro sollte der Mittelpunkt der privaten Schweizer Entwicklungshilfe bilden – hierin spiegelt sich ein Rest der Konzeption der Stiftung als Koordinationsstelle. 152 Dieser Kompromiss beruhte stark auf der Konzeption Fürers, zumal die Durchführung eigener Projekte und die Unabhängigkeit vom SHAG hiermit beschlossene Sache war. Das einzige Zugeständnis an Gloor war die Zusammenarbeit der Sekretäre auf inhaltlicher Ebene, welche durch die Bürogemeinschaft unterstrichen wurde. Mit diesem Kompromiss war zwar die Frage der Durchführung eigener Projekte beantwortet, der Streit um die Art der Zusammenarbeit der geplanten Stiftung mit dem SHAG war aber noch nicht beendet.

2.5. Das Verhältnis zum SHAG als Streitpunkt

Zwischen Dezember 1958 und April 1959 kamen die Initianten also weg vom Konzept der Stiftung als gesamtschweizerische Koordinationsstelle. Stattdessen sollte diese als private Entwicklungshilfsorganisation, welche eigene Projekte durchführen würde, gegründet werden. Das SHAG, welches bislang eine Monopolstellung in der Entwicklungshilfe inne hatte, fasste die Stiftung nunmehr als Konkurrenz auf. Hierin decken sich die Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit wieder weitgehend mit den Darstellungen der Fachliteratur. 153 Groschupf äusserte in einem Brief vom 16. April 1959 an Schindler seine Bedenken, dass die Zusammenarbeit der Stiftung mit dem SHAG nicht zu Stande kommen könnte, da der künftige Stiftungsrat diese vielleicht nicht wünschen würde: Eine zweite Angelegenheit, die mir gewisse Sorgen bereitet, ist die meines Erachtens unumgänglich nötige engste Zusammenarbeit zwischen der ‚Stiftung‘ und dem SHAG. Ich würde es für die ganzen Bestrebungen als katastrophal erachten, wenn hier keine enge Zusammenarbeit entstehen würde. Meine Befürchtungen sind entstanden durch die Ueberlegung, dass nun von der Industrie sehr viele und sehr starke Einflüsse auf die ganze Arbeit ausgehen werden, vertreten durch leitende Persönlichkeiten, die das bis jetzt geleistete noch nicht kennen. […] Ich weiss nun, dass bis jetzt im Initiativkomitee über das Zusammenarbeiten keine Meinungsverschiedenheiten

152 Vgl. Ebd. S. 4. 153 Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 167-169; Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 197-199.

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bestanden haben und ich hoffe sehr, dass auch der ‚Stiftungsrat‘ diese Zusammenarbeit anstreben und ermöglichen wird. 154 Auch Groschupf sprach nunmehr von Zusammenarbeit, und nicht konkret von der Delegation der Projektdurchführung. Mit dem Hinweis, dass die Vertreter der Industrie das bisher Geleistete nicht kennen würden, sprach Groschupf die bisherige Tätigkeit des SHAG an, deren Pionierleistung die Industrie nicht kenne und deshalb auch nicht zu schätzen wisse. Groschupf befürchtete offenbar, dass der Einfluss des künftigen Stiftungsrats, der vor allem aus Vertretern von Industrie und Wirtschaft bestehen würde, dahin ginge, dass die Stiftung eine Zusammenarbeit mit dem SHAG ablehnen würde. Er ging davon aus, dass das Initiativkomitee vollumfänglich hinter einer Zusammenarbeit stand, obwohl diesbezüglich ja bereits Meinungsverschiedenheiten aufgetreten waren, namentlich zwischen Fürer und Gloor. Vielleicht hatte Groschupf noch keine Kenntnis davon, vielleicht betrachtete er diese auch als sekundär oder eben als Resultat des Einflusses des künftigen Stiftungsrats. Als ehemaliger Präsident des SHAG hatte Groschupf auf jeden Fall ein Interesse an einer engen Zusammenarbeit zwischen den beiden Organisationen. Schindler antwortete Groschupf am 20. April und unterrichtete ihn über einen Besuch bei den Bundesräten Petitpierre, (Vorsteher des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, EVD) und Friedrich Traugott Wahlen (Vorsteher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, EJPD). Der Besuch diente der Orientierung über die geplante Gründung der Stiftung. Im letzten Satz des Briefs ging Schindler auf Groschupfs Befürchtungen betreffend Zusammenarbeit mit dem SHAG ein: „Wir streben eine enge Zusammenarbeit mit dem Hilfswerk an, dürfen aber von ihm für die Durchführung unserer Projekte nicht abhängig werden.“ 155 Schindler beschwichtigte Groschupf, indem er betonte, dass eine enge Zusammenarbeit mit dem SHAG weiterhin gewünscht werde, gleichzeitig stellte er aber auch klar, dass die Stiftung in der Projektdurchführung unabhängig vom SHAG sein wollte. Die Art der Zusammenarbeit mit dem SHAG wurde durch die Gründung der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe am 6. Mai 1959 noch nicht abschliessend geklärt. An der ersten ordentlichen Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses der Stiftung vom 4. Juni wurde das Thema ausführlich diskutiert. Zunächst ging es um die Abgrenzung der Geldsammlungen der beiden Hilfsorganisationen, welche beide auf dem Gebiet der Errichtung von Lehrwerkstätten in Entwicklungsländern tätig sein würden. Schindler

154 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 16.4.1959 von Groschupf an Schindler, S. 1-2. 155 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 20.4.1959 von Schindler an Groschupf, S. 1.

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informierte die Ausschussmitglieder über eine vorangegangene Besprechung mit Real und Gloor, an welcher Grundsätze für die Abgrenzung der Sammeltätigkeit von SHAG und Stiftung beschlossen worden waren: Die Stiftung dürfte die grossen Unternehmen angehen, das SHAG die kleinen. Die mittelgrossen Unternehmen könnten jedoch von beiden Hilfswerken angegangen werden, sie bildeten eine Art „Niemandsland“, wobei eine doppelte Anfrage vermieden werden sollte (als Mass sollte die Zahl der Beschäftigten gelten).156 SHAG-Präsident Gloor, der am Vormittag desselben Tages an einer Sitzung des SHAG teilgenommen hatte, informierte seinerseits den Ausschuss über dessen Haltung. Das SHAG wollte die Abgrenzung der Sammeltätigkeit anhand der Höhe der Beiträge der Unternehmen vollziehen, wobei Zuwendungen ab zehntausend Schweizerfranken in die Kategorie „gross“ zu rechnen wären. Diese Spenden wollte das SHAG der Stiftung überlassen, wobei es dies als Entgegenkommen betrachtete und von der Stiftung eine Gegenleistung erwartete. Den Bereich der mittelgrossen Unternehmen (Beiträge zwischen zweihundert und tausend Schweizerfranken) beanspruchte das SHAG für sich. Um doppelte Anfragen zu vermeiden, sollte die Stiftung eine Liste der Unternehmen anfertigen, welche in ihren Bereich fielen und bei denen das SHAG folglich auf eine Geldsammlung verzichten würde. 157 Dieser Vorschlag kam bei den Anwesenden nicht gut an. Im Hof-Piguet bezeichnete den Vorschlag als „wenig zweckmässig“ und verlangte, dass die Stiftung bei allen Unternehmen Geld sammeln dürfe, da sie schliesslich von der Schweizer Privatwirtschaft getragen würde. Ferner hielt sie die Höhe der Beiträge als Massstab zur Abgrenzung der Geldsammlungen der beiden Hilfsorganisationen für ungeeignet, da sich so „zahlreiche Firmen um grössere Beiträge an die Stiftung drücken [könnten], indem sie relativ kleine Beiträge an das SHAG abliefern und sich damit zufrieden geben [würden]“.158 Im Hof-Piguet schwächte ihre Forderung insofern wieder ab, als sie dem SHAG erlauben wollte, kleine Unternehmen um Spenden anzugehen. Um das heikle Thema der Geldsammlung zu umgehen, schlug Real vor, zuerst die Frage der Abgrenzung der Tätigkeit der beiden Hilfswerke zu klären. Er hoffte, vermeiden zu können, dass beide Organisationen auf demselben Gebiet – der Errichtung von Lehrwerkstätten in Entwicklungsländern – tätig würden, da dies seiner Meinung nach bei Bund und Privatwirtschaft zu Verwirrung führen würde. Mit dieser Hoffnung stand Real allerdings auf

156 Diese Besprechung fand am 1. Juni statt, wie dem Protokoll der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses vom 4.6.1959 zu entnehmen ist. Direkte schriftliche Zeugnisse der Besprechung sind jedoch keine überliefert. Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses vom 4.6.1959, S. 5. 157 Vgl. Ebd. S. 1. 158 Ebd. S. 2.

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verlorenem Posten, da beide Hilfsorganisationen auf diesem Gebiet tätig werden wollten bzw. bereits tätig waren. Schindler wies Real darauf hin und betonte dabei, dass die Idee der Lehrwerkstätten „im SHAG verwurzelt und quasi aus ihm hervorgegangen sei“. 159 Da beide Organisationen auf dem gleichen Gebiet tätig sein würden, so Schindler, sei eine Abgrenzung bei der Geldsammlung von höchster Bedeutung. Die Diskussion wurde immer leidenschaftlicher und drehte sich nunmehr um die Frage, woher die Idee der Lehrwerkstätten stammte und wer folglich das Recht hätte, in diesem Gebiet tätig zu sein. Fürer war der Meinung, die Idee stamme von einem der Verwaltungsratsdelegierten der Nestlé, und forderte, dass das SHAG auf die Errichtung von Lehrwerkstätten verzichtete. Dieser harten Forderung Fürers entgegnete Gloor, dass die Idee im Verlauf des Nepal-Projekts des SHAG entstanden sei. Mit einer ausführlichen Schilderung der aktuellen und geplanten Tätigkeiten des SHAG stellte er zudem klar, dass das SHAG – im Gegensatz zur Stiftung – bereits auf diesem Gebiet tätig war. Er stellte seinerseits wiederum eine Gegenforderung auf: Die Stiftung solle das SHAG finanziell unterstützen, da sie von dessen Beziehungen im In- und Ausland sowie von dessen Aufklärungsarbeit in der Schweiz profitieren würde. 160 Er fügte dabei noch die brisante Bemerkung hinzu, „man dürfe in der Stiftung nicht kommerziell denken, wie dies die Wirtschaft tue.“ 161 Brisant war diese Bemerkung insofern, als dass Fürer und Schindler beide aus der Privatwirtschaft stammten und sich dadurch mehr oder weniger direkt angegriffen fühlen konnten. An diesem Punkt griff Schindler in die hitzige Diskussion ein und wies Gloors Forderung entschieden ab: Eine finanzielle Unterstützung des SHAG durch die Stiftung komme nicht in Frage. Gemäss den vorgängig beschlossenen Grundsätzen zur Abgrenzung der Sammeltätigkeit der beiden Hilfsorganisationen schlug er vor, dass der Massstab für die Abgrenzung die Zahl der Beschäftigten eines Unternehmens sein sollte und nicht die Höhe der Spenden. Die Stiftung würde, so der Vorschlag Schindlers, bei Unternehmen ab fünfhundert Angestellten Geld sammeln, das SHAG könnte die kleineren Unternehmen angehen. Als Entgegenkommen würde die Stiftung für das Jahr 1960 auf Bundesbeiträge verzichten, sodass diese vollumfänglich dem SHAG zukämen.162 Dieses „Entgegenkommen“ war jedoch kein grosszügiger Verzicht der Stiftung auf eine wichtige Einnahmequelle, sondern nur die Bestätigung einer bereits beschlossenen Strategie, vorerst auf Bundesbeiträge zu verzichten. Der Verzicht auf Bundesbeiträge seitens der Stiftung war für das SHAG

159 Ebd. 160 Vgl. Ebd. S. 2-3. 161 Ebd. S. 3. 162 Vgl. Ebd.

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deshalb bedeutend, weil es auf die Beiträge angewiesen war, wie Gloor ausführte. Mit dem Bundesbeitrag für das Jahr 1960 (erwartet wurden zweihunderttausend Schweizerfranken) hoffte das SHAG das laufende Projekt in Nepal weiterführen und ein neues in Tunesien beginnen zu können. Für die geplanten Projekte in Nigeria und Lybien fehlten dem SHAG noch die Mittel.163 Vielleicht hatte es gehofft, die fehlenden Mittel bei den kleinen und mittleren Unternehmen der Schweizer Privatwirtschaft sammeln zu können, oder aber von der Stiftung mitfinanziert zu werden. Fürer zeigte sich mit dem Vorschlag Schindlers einverstanden, kritisierte aber die Haltung des SHAG, neue Projekte zu planen ohne deren Finanzierung gesichert zu haben: „Herr Dr. Fürer möchte dem SHAG nahe legen, nicht in Expansion zu machen und seine Tätigkeit auf Kosten des Bundes nicht noch auf weitere Länder auszudehnen, sofern es die Projekte nicht selbst finanzieren könne.“ 164 Schindler unterstützte diese Forderung und sah sie als Richtlinie der Tätigkeitsabgrenzung für die nächsten zwei bis drei Jahre: Das SHAG solle die Projekte in Nepal und Tunesien weiterführen, aber keine neuen Projekte mit Hilfe von Bundesbeiträgen beginnen. Er betonte die Selbstständigkeit der Stiftung in der Projektdurchführung und die gegen aussen klar zu kommunizierende Unabhängigkeit vom SHAG aber auch die Notwendigkeit der gegenseitigen Orientierung über die laufenden Tätigkeiten. Er fügte beschwichtigend an, dass „die Stiftung […] nicht die Absicht [habe], das SHAG zu verdrängen.“ 165 Betreffend Tätigkeitsabgrenzung hatte Gloor keine Einwände, zumal das SHAG sich zunächst sowieso auf die Projekte in Nepal und Tunesien konzentrieren wollte – neue Projekte seien allenfalls in zwei bis drei Jahren wieder ein Thema. Während Gloor Schindlers Wille zur Zusammenarbeit begrüsste, kritisierte er von neuem die Haltung Fürers als „gefährlich“ und „unrichtig“: [Es] bestehe [die Gefahr], dass die vorhandenen Mittel durch die Wirtschaft zwar zweckmässig und säuberlich verwaltet werden, jedoch nicht nach den wirklichen Bedürfnissen eingesetzt würden. Das SHAG dagegen kenne die wirklichen Notwendigkeiten und sei auch in der Lage, den notwendigen direkten menschlichen Kontakt in den zu unterstützenden Gebieten herzustellen. Ein Industrieunternehmen könne einen solchen Kontakt hingegen nicht herstellen. Die Stiftung dürfe darum nicht zuviel Gewicht auf die wirtschaftliche und finanzielle Seite legen. 166 Dieser harschen Kritik erwiderte Fürer nur, dass die Stiftung durchaus in der Lage sei, solche Kontakte zu knüpfen und zu pflegen, und dass dies nicht die Aufgabe der einzelnen Unternehmen sondern der Stiftung sei. Real wollte von Gloor genauer wissen, was er unter „menschlichen Konakten“ verstehe. Diesem Wunsch entsprach Gloor, indem er ausführte,

163 Vgl. Ebd. 164 Ebd. S. 3-4. 165 Ebd. S. 4. 166 Ebd.

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dass er damit zweierlei Dinge meine: Einerseits den Kontakt der Entwicklungshelfer vor Ort mit den SHAG-Mitgliedern in der Schweiz, andererseits den Kontakt zwischen „dem Schweizer und dem Eingeborenen“ 167 im Entwicklungsland. Der ersten Form von Kontakt mass Fürer besonderes Gewicht zu, da durch den persönlichen Kontakt Probleme besprochen werden könnten, welche bei der praktischen Arbeit vor Ort entstünden. Genau hier setzte seine Kritik an: Die Entwicklungshelfer erhielten durch die persönlichen Kontakte mit den SHAG-Mitgliedern in der Schweiz die notwendige „moralische Unterstützung“, „dies sei jedoch bei einem unpersönlichen Sekretariatsbetrieb einer Stiftung nicht möglich“. 168 Dem entgegnete Schindler, dass der geschäftsführende Ausschuss der Stiftung „für die menschliche Seite des Problems volles Verständnis habe“. 169 Gloor stellte daraufhin klar, dass er mit seiner Bemerkung vor allem auf den Stiftungsrat abziele. Als sachlicher Beitrag zur erneut emotional aufgeladenen Diskussion bemerkte Real, dass die Stiftung durchaus in der Lage sei, den „menschlichen Kontakt“ mit ihren Entwicklungshelfern sicherzustellen, indem die von der Industrie gestellten Fachleute mit ihren Kreisen in Verbindung blieben und von diesen Unterstützung erhielten. Er wies aber darauf hin, dass dieser Aspekt bei der Rekrutierung von Fachleuten berücksichtigt werden sollte. 170 Die Diskussion um die „menschlichen Kontakte“ war mit dieser nüchternen Stellungnahme Reals zu einem Ende gelangt. Schindler schlug vor, die in der Besprechung vom 1. Juni aufgestellten Grundsätze wie folgt neu zu formulieren: 1. Das SHAG führe seine Sammlung in der breiten Oeffentlichkeit durch und verzichte darauf, grosse und mittlere Firmen anzugehen. 2. Die Stiftung sammelt bei grossen und mittleren Firmen sowie bei Firmengruppen und verzichtet auf einen Anteil an einer allgemeinen Sammlung. 3. Das SHAG beschränkt sich vorläufig auf die Projekte in Nepal und Tunesien. Es führt seine Arbeit in Lybien fort, verzichtet jedoch darauf, in Lybien eine Lehrwerkstätte zu errichten. 171 Zwei wesentliche Neuerungen waren in dieser Formulierung enthalten. Einerseits die Präzisierung der Abgrenzung der Geldsammlung – es gab nun kein „Niemandsland“ mittlerer Firmen mehr. Andererseits die Ergänzung um eine Einschränkung der Tätigkeit des SHAG. Letztere begrüsste insbesondere Real, der ja stets für eine klare Tätigkeitsabgrenzung eingetreten war, und der nun anfügte, Lybien könnte ein mögliches Projektland für die Stiftung werden. 172 Der Verzicht der Stiftung auf Bundesbeiträge für das Jahr 1960 wurde in diesen Grundsätzen nicht festgehalten (vielleicht weil er sowieso den Plänen der Stiftung

167 Ebd. S. 5. 168 Ebd. 169 Ebd. 170 Vgl. Ebd. 171 Ebd. 172 Vgl. Ebd.

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entsprach). Dafür wurde in den Grundsätzen festgeschrieben, dass die Stiftung „auf einen Anteil einer allgemeinen Sammlung“ verzichten würde. Damit war die nationale Sammlung der SAH gemeint, von deren Erlös dem SHAG sechzehn Prozent zufielen. 173 Dass die Stiftung ganz allgemein auf eine Geldsammlung bei der Schweizer Bevölkerung verzichten und deshalb auch keinen Anspruch auf den Erlös der SAH- Sammlung erheben würde, war offenbar unumstritten, denn darüber wurde nicht weiter diskutiert. Hinsichtlich des geplanten Projekts des SHAG in Nigeria schlug Gloor vor, dass die Stiftung dieses Projekt übernehmen könnte, wobei sie jedoch mit der Nigeria-Kommission des SHAG zusammenarbeiten müsste. 174 Diesen Vorschlag unterstützte Schindler unter der Bedingung, dass die Nigeria-Kommission des SHAG einen abschliessenden Bericht erstellen und dann das Projekt ganz der Stiftung überlassen würde. Er insistierte damit nochmals auf einer klaren Trennung der Tätigkeit der beiden Organisationen. In dieselbe Bresche schlug Fürer indem er vorschlug, dass sich die Zusammenarbeit der beiden Hilfswerke auf die Mitwirkung Gloors im geschäftsführenden Ausschuss der Stiftung beschränken sollte. Noch einmal versuchte Gloor eine engere Zusammenarbeit durchzusetzen: Er betonte, welch gute Beziehungen der Sekretär des SHAG, Werner Erismann, zu den in der Entwicklungshilfe tätigen Organisationen und Amtsstellen habe, und sprach sich für eine enge Zusammenarbeit der Sekretäre der beiden Organisationen aus. Wiederum war es Real, der mit einem sachlichen Kommentar der Diskussion ein Ende setzte. Er stellte klar, dass es nicht möglich sei, jeden Schritt mit Erismann zu koordinieren und dass die Stiftung ihre eigenen Beziehungen knüpfen müsse. Um Missverständnisse zu vermeiden, „müsse [die Stiftung] auch in ihren Beziehungen unabhängig vom SHAG vorgehen können“. 175 Damit war die Diskussion über die Zusammenarbeit von Stiftung und SHAG abgeschlossen und man ging zum nächsten Traktandum der Sitzung über, der Planung des Vorgehens der Stiftung in den nächsten Monaten. Die Ergebnisse der Diskussion waren eine klare Abgrenzung der Geldsammlung und der Tätigkeit der beiden Organisationen, sowie der Entscheid, dass die Stiftung für das Jahr 1960 auf Bundesbeiträge verzichten würde. Der Wille zur Zusammenarbeit war zwar auf beiden Seiten vorhanden, der geschäftsführende Ausschuss wollte jedoch die Unabhängigkeit der Stiftung vom SHAG klarstellen und keine praktische Zusammenarbeit mit dem SHAG anstreben. Die Diskussion war teilweise sehr hitzig, vor allem zwischen Fürer und Gloor. Wie heikel das Thema war, darauf weist auch die

173 Vgl. Ebd. S. 4. 174 Vgl. Ebd. S. 6. 175 Ebd.

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Tatsache hin, dass das Protokoll bereinigt wurde. Leider ist nur der bereinigte Text überliefert, doch auch dieser ist noch sehr aufschlussreich. War es Zufall oder nicht, dass Gloor an der nächsten Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses der Stiftung vom 29. September 1959 nicht teilnahm? Die überlieferten Dokumente geben darüber keine Auskunft. Das Thema der Zusammenarbeit zwischen der Stiftung und dem SHAG wurde zu Beginn der Sitzung nochmals aufgegriffen. Offenbar hatte das SHAG die an der Sitzung vom 4. Juni beschlossenen Grundsätze nicht akzeptiert. Schindler hielt dies jedoch für unbedeutend, da das SHAG sowieso zu wenig Mittel habe, um weitere Projekte zu beginnen, und da der Bedarf an Lehrwerkstätten in Entwicklungsländern so gross sei, dass auch mehrere Organisationen auf diesem Gebiet tätig sein könnten. Er erklärte ferner, dass die Stiftung beabsichtige, die Grundsätze einzuhalten, ohne das SHAG darauf zu verpflichten. 176 Dies scheint auf den ersten Blick eine grosszügige Geste der Stiftung zu sein. Bedenkt man aber, dass die Stiftung nach diesen Grundsätzen einzig auf die Bundesbeiträge fürs erste Geschäftsjahr sowie auf die Geldsammlung bei kleinen Firmen zu verzichten hatte, so war dies ein schmerzloser Verzicht. Denn die Stiftung hatte ja mit dem Bund sowieso vereinbart, die Arbeit ohne dessen Unterstützung aufzunehmen und, falls nötig, um diese erst zu einem späteren Zeitpunkt zu ersuchen. Auf die kleinen Unternehmen konnte die Stiftung ebenfalls verzichten, zumal sie mit der Geldsammlung bei mittleren und grossen Unternehmen vorerst genug beschäftigt war und viele kleine Unternehmen indirekt über Verbände erreicht werden konnten. Das Thema scheint damit erledigt gewesen zu sein – es wurde in keiner der folgenden Sitzungen des geschäftsführenden Ausschusses mehr diskutiert. Nachdem die der Stiftung zu Grunde liegenden Ideen (Mobilisierung der Mittel der Privatwirtschaft sowie Bündelung der Kräfte der Schweizerischen Entwicklungshilfe) und die damit verbundenen Fragen der Beziehung zu Bund und SHAG erläutert sind, wird in den folgenden Kapiteln die Frage der Beziehung der Stiftung und ihrer Initianten zur Schweizer Privatwirtschaft behandelt. 177

2.6. Gloors Referat vor der Basler Handelskammer

Sobald die Idee der primären Finanzierung der Stiftung durch die Schweizer Privatwirtschaft gefasst war (also zwischen Juni 1957 und März 1958), galt es, bei der Schweizer

176 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 29.9.1959, S. 1. 177 Dieses Thema wurde bisher nur summarisch behandelt, wobei das Augenmerk jeweils auf der Konferenz beim Vorort vom 13.4.1959 lag. Vgl. Matzinger, Anfänge, S. 169-170; Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 194-196.

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Privatwirtschaft für das Projekt zu werben. Am 20. März 1958 konnte Peter Gloor das Projekt an einer ausserordentlichen Sitzung der Basler Handelskammer zum Thema „Die Mitwirkung von Handel und Industrie bei der technischen Hilfe an unterentwickelte Länder“ vorstellen, welche zu diesem Zweck einberufen wurde. 178 Professor Richard F. Behrendt, Karl Wegmann (Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit des EVD) und Ludwig Groschupf ebneten dem Anliegen den Weg, indem sie ebenfalls Kurzreferate zum Thema Entwicklungshilfe hielten. 179 Der von Gloor präsentierte Vorschlag, welcher dem Statutenentwurf vom März 1958 entsprochen haben dürfte, wurde von den Mitgliedern der Basler Handelskammer befürwortet. In einer schriftlichen Stellungnahme, welche an der Sitzung verlesen wurde, wies William Preiswerk, Präsident des Verwaltungsrats der Union Handelsgesellschaft AG (Basel), auf die politische Bedeutung der Entwicklungsländer hin: Die Dekolonisation habe ein „gefährliches Vakuum in den Entwicklungsländern geschaffen“. 180 Leider sind keine weiteren Ausführungen zu diesem Argument überliefert, es geht jedoch in die bekannte Richtung, dass die Entwicklungshilfe zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung des Kommunismus beitragen könne. Neben der politischen betonte Hans-Peter Zschokke, Direktor der J.R. Geigy AG (Basel), vor allem die wirtschaftliche Bedeutung der geplanten Stiftung für die Schweizer Exportindustrie: An einer Aktion, welche unabhängig von der einzelnen Firma arbeitet, hat die Exportindustrie aus verschiedenen Gründen auf lange Sicht ein grosses Interesse. Zum ersten helfen die geplanten Lehrwerkstätten mit, die Schweiz in den Entwicklungsländern bekannt zu machen und auf diesem Wege Goodwill zu schaffen (Vergleich mit den Auslandschweizer-Kolonien). Zum zweiten bringen diejenigen Leute, welche in den Entwicklungsländern auf diese Weise tätig gewesen sind, einen enormen Erfahrungsschatz mit nach Hause, sodass ihre weitere Arbeit in der Schweiz auf die Wirtschaft befruchtend wirken kann. Schliesslich trägt die Schweiz auf diese Weise zur Förderung potentieller wirtschaftlicher Kräfte in diesen Gebieten bei. 181 Zschokke erwähnte drei Vorteile der geplanten Stiftung für die Schweizer Exportindustrie: Die Schaffung von Goodwill in den Entwicklungsländern, den Erfahrungsgewinn der Schweizer Experten sowie die Förderung möglicher Handelspartner. Zum Schluss der Diskussion wurde einstimmig beschlossen, dem Projekt „sympathisch gegenüber [zu stehen, F.D.]“ sowie, wenn gewünscht, Mitglieder in das Initiativkomitee der geplanten Stiftung zu entsenden.182

178 Vgl. Privatbestand Peter Gloor, Notiz von Peter Gloor über die Sitzung der Basler Handelskammer vom 20.3.1958, S.1. 179 Da Behrendt krank war, übernahm Groschupf zusätzlich dessen Referat. Vgl. Ebd. S. 2. 180 Ebd. 181 Ebd. S. 3-4. 182 Ebd. S. 4.

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Nach diesem erfreulichen Ergebnis der Sitzung in Basel empfahl Gloor, ähnliche Versammlungen in der Welschschweiz und in Zürich durchzuführen. Für den Anlass in Zürich wollte er zunächst Heinrich Homberger, Direktor des Vororts, kontaktieren. 183 Denn den Vorort – als Dachverband der Schweizer Wirtschaft und Industrie der einflussreichste Akteur der Schweizer Privatwirtschaft – musste man für die geplante Stiftung gewinnen, wenn diese sich als Organisation der Schweizer Wirtschaft bezeichnen wollte. Zudem würde die Unterstützung des Vororts die Werbung um Spendenbeiträge bei den Unternehmen ungemein erleichtern. Gloor berichtete Im Hof-Piguet von seiner Unterredung mit Homberger, welche am 12. Mai 1958 stattgefunden hatte.184 Homberger sehe keinen dringenden Handlungsbedarf, befürworte aber grundsätzlich die Idee einer Stiftung der Schweizer Wirtschaft für Entwicklungshilfe. Er habe nach der Haltung von Carl Ludwig, Präsident der SAH, gefragt sowie nach vorhandenen finanziellen Zusicherungen, denn „von der moralischen bis zur finanziellen Unterstützung sei [es ein grosser Schritt, F.D.]“. 185 Des Weiteren empfehle Homberger dem Initiativkomitee, zunächst in lokalen Kreisen (im Rahmen von Handelskammern) weiter zu diskutieren, und bitte, ihn auf dem Laufenden zu halten. 186 Die Initianten nahmen die Anliegen Hombergers ernst; Im Hof-Piguet verfasste sogleich einen Brief an Ludwig, der leider nicht überliefert ist. 187 Überhaupt ist sehr wenig bekannt über die Beziehungen der Stiftung und ihrer Initianten zur SAH. Wie bereits weiter oben geschildert, war ursprünglich vorgesehen, dass die SAH neben dem SHAG die Projekte der Stiftung durchführen würde. Während im Exposé vom Januar 1959 die SAH noch als Projektausführende Organisation vorgesehen war, wurde sie in der Diskussion um die Durchführung eigener Projekte durch die Stiftung während der Sitzung vom 2. April nicht mehr erwähnt – diese Form der Zusammenarbeit war bereits vom Tisch. 188 Obwohl das Exposé eine klare Aufgabenteilung suggeriert, war bereits damals unklar, wie die Zusammenarbeit mit der SAH aussehen sollte. Im Hof-Piguet schrieb im Brief vom 21. Januar an Hans Schindler, dass irgendeine Form der Zusammenarbeit mit der SAH geplant sei, dass dies jedoch noch nicht eingehend mit Ludwig besprochen worden sei. Das Initiativkomitee habe ihm erst einen informativen Brief gesendet, welcher von Waldesbühl

183 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 21.3.1958 von Gloor an Groschupf, Wegmann, Im Hof-Piguet, Wilhelm und Brandt. 184 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 16.5.1958 von Gloor an Im Hof-Piguet, S. 1. 185 Ebd. 186 Vgl. Ebd. S. 2. 187 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 20.5.1958 von Im Hof-Piguet an Gloor, S. 1. 188 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Exposé Januar 1959, S. 10 sowie AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokollnotiz Initiativkomitee vom 2.4.1959, S. 3.

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gezeichnet worden sei. 189 Das Initiativkomitee hoffte durch die Unterschrift Waldesbühls, einer einflussreichen Persönlichkeit der Wirtschaft, der Sache mehr Gewicht verleihen zu können. Welche Bedeutung die Initianten der Unterstützung bekannter Persönlichkeiten wie Waldesbühl oder auch Schindler zumassen, zeigen die weiteren Ausführungen Im Hof- Piguets: „Nous étions encore trop faibles pour être pris au sérieux! Quand la séance sous l’égide du Vorort sera fixée (– plaise au ciel qu’il en soit ainsi –), je pense qu’il serait fort utile que vous fassiez personnellement une visite impressionnante à Monsieur le Professeur Ludwig.“ 190 Der Besuch von Schindler bei Ludwig sollte diesen beeindrucken und von der Sache überzeugen. Im Hof-Piguet schlug ferner vor, dass Gloor und Schürch Schindler begleiteten, da diese über die vorangegangenen Diskussionen und Ereignisse besser Bescheid wüssten als er, zumal er erst seit kurzem dem Initiativkomitee angehörte.191 Über das Ergebnis des Besuchs bei Ludwig geben die Quellen keine Auskunft. Es kann jedoch angenommen werden, dass die Initianten Erfolg hatten bei ihrer Vorsprache, denn Ludwig nahm von Beginn weg im Stiftungsrat der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe Einsitz. Das zweite Anliegen Hombergers, über finanzielle Zusicherungen zu verfügen, war auch für die Initianten von zentraler Bedeutung. Im Hof-Piguet war sich bewusst, dass der Schritt von der moralischen zur finanziellen Unterstützung gross war, wie sie in einem Brief an Gloor vom Mai 1958 schrieb. Da Waldesbühl bereits moralische Unterstützung leistete, indem er die Briefe zur Organisation der Versammlungen bei den welschen Handelskammern unterschrieb, wollte sie ihn nicht auch noch um einen finanziellen Beitrag bitten. Groschupf habe ihr empfohlen, mit diesem Anliegen bis zur nächsten Sitzung des Initiativkomitees zuzuwarten. 192 Die Empfehlung Hombergers, zunächst in lokalen Kreisen für das Projekt zu werben, entsprach dem Vorschlag Gloors, ähnliche Versammlungen wie diejenige bei der Basler Handelskammer durchzuführen. Das Initiativkomitee plante Versammlungen bei den Handelskammern in Genf, Lausanne, Neuchâtel und Zürich, sowie zu einem späteren Zeitpunkt eine grössere Veranstaltung beim Vorort in Zürich. 193 In diesen Regionen hatten die Initianten Kontakte zu Persönlichkeiten der Wirtschaft, welche das Projekt moralisch unterstützen und die Versammlungen organisieren helfen konnten. Freymond und Waldesbühl

189 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 21.1.1959 von Im Hof-Piguet an Schindler, S. 1. 190 Ebd. 191 Vgl. Ebd. 192 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 20.5.1958 von Im Hof-Piguet an Gloor, S. 1. 193 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 20.5.1958 von Im Hof-Piguet an Waldesbühl, S. 1-2.

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hatten Kontakt zu Charles Aubert, Direktor der Genfer Handelskammer; Im Hof-Piguet zu Fritz Hummler, Delegierter des Bundesrats für Arbeitsbeschaffung und Direktor der Ateliers de constructions mécaniques de Vevey S.A. sowie zu Nationalrat Louis Guisan, dieser wiederum zu Raymond Devrient, dem Direktor der Waadtländer Handelskammer; de Coulon zu Persönlichkeiten der Wirtschaft in Neuchâtel; Gloor zu Homberger in Zürich. 194 Im Hof- Piguet betonte wiederholt, wie wichtig es sei, dass sich Persönlichkeiten der Wirtschaft für die Sache einsetzten, da diese bei den Vertretern der Wirtschaft eher Gehör fänden als Intellektuelle. Dieser Meinung sei auch Freymond, weshalb er Waldesbühl bitte, sich direkt bei Aubert zu melden: Il pense que votre intervention directe et personnelle sera plus efficace que la sienne, parce que la démonstration de vos capacités n’est plus à faire auprès de ceux qui occupent le même rang dans l’industrie; vous leur inspirez respect, tandis qu’un professeur, aussi lucide qu’il soit, sent peser sur lui le soupçon d’irréalisme! 195 In den folgenden Monaten betrieb das Initiativkomitee unter der Federführung von Im Hof- Piguet, welche als inoffizielle Sekretärin fungierte, intensive Werbung bei Persönlichkeiten der Wirtschaft und Politik mittels dem Versand von Briefen, denen informative Unterlagen beigelegt wurden (Broschüren von Behrendt sowie ein Exposé des Initiativkomitees). 196 Neben den erwähnten wurden zwischen Mai und Juli folgende weitere Persönlichkeiten kontaktiert: Fritz Hinderling, Generaldirektor der Schweizerischen Volksbank; Franz Sarasin, Präsident der Basler Handelskammer; Werner Kägi, Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich; Arnold Muggli, ehemaliger Chef der Sektion für Rationierungswesen des Eidgenössischen Kriegsernährungsamtes; Hans-Peter Zschokke, Direktor J. R. Geigy AG. 197 Über diese Kontakte erreichten die Initianten wiederum weitere Persönlichkeiten; so schrieb etwa Kägi einen Brief an Bundesrat Petitpierre, in welchem er sich für die geplante Stiftung aussprach. 198 Die Basler Handelskammer löste ihr Versprechen um personelle Unterstützung ein und entsandte Zschokke als ihren Vertreter ins Initiativkomitee der geplanten Stiftung.199 Mit der Hilfe dieser Persönlichkeiten wollten die Initianten die Vertreter der Schweizer Privatwirtschaft und Industrie von der Notwendigkeit einer verstärkten Hilfe für die Entwicklungsländer überzeugen, sie wollten das Etablissement „unterwandern“, wie Im Hof- Piguet es nannte:

194 Vgl. Ebd. 195 Ebd. S. 2. 196 Die Unterlagen sind nicht überliefert, sie werden lediglich in der Korrespondenz des Initiativkomitees erwähnt. Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 20.5.1958 von Im Hof-Piguet an Groschupf, S. 1. sowie AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 21.5.1958 von Im Hof-Piguet an Freymond, S. 2. 197 Vgl. AfZ IB Swisscontact-Archiv, Korrespondenz des Initiativkomitees Mai – Juli 1958. 198 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 29.8.1958 von Im Hof-Piguet an Kägi, S. 1. 199 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 25.7.1958 von Sarasin an Im Hof-Piguet, S. 1.

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Une aide bilatérale accrue de la part de la Suisse est, nous en sommes sûrs, une nécessité de l’heure. Il ne s’agit nullement d’un gentil geste charitable, mais d’un acte de lucidité. Notre industrie n’en a pas encore pris conscience et le temps presse. C’est pourquoi nous sommes reconnaissants quand une personnalité dynamique et aux vues larges veut nous aider à ‘noyauter’ l’ensemble de l’industrie pour une action commune: la fondation. 200 Im Hof-Piguet wollte die Entwicklungshilfe nicht als Wohltätigkeit, sondern als hellsichtige, notwendige Tätigkeit verstanden wissen. Den Vertretern der Privatwirtschaft und Industrie diese Auffassung zu vermitteln, war ihr Ziel, denn für eine Wohltätigkeitsorganisation würden sich diese kaum interessieren.

2.7. Der Schritt von der moralischen zur finanziellen Unterstützung Ein erster Schritt in Richtung finanzielle Unterstützung wurde von Waldesbühl, Hinderling und de Coulon im Oktober 1958 gemacht: Sie erklärten sich bereit, gemeinsam die Sekretariatskosten von fünftausend Schweizerfranken vorzuschiessen. Mit diesem Betrag sollten die Lohnkosten für die Sekretariatsarbeiten zur Vorbereitung der Stiftungsgründung während dem folgenden halben Jahr gedeckt werden. 201 Die Sekretariatsarbeiten sollten weiterhin durch Im Hof-Piguet erledigt, aber forthin entlöhnt werden, da sie ihre Tätigkeit als Französisch-Lehrerin zu Gunsten der Sekretariatsstelle aufgeben musste.202 Dass sich Waldesbühl und de Coulon auch finanziell für die geplante Stiftung engagierten, überrascht nicht, da sie ja zum Kern des Initiativkomitees gehörten. Das Engagement Hinderlings kommt zu diesem frühen Zeitpunkt aber eher unerwartet, zumal Im Hof-Piguet ihn erstmals im Mai um moralische Unterstützung angefragt hatte.203 Ein begünstigender Faktor war, dass es sich nicht um eine Spende, sondern lediglich um einen Vorschuss handelte, der von der Stiftung zurückbezahlt würde, sobald sie gegründet worden war und die ersten Spenden erhalten hatte. Eine weitere erleichternde Bedingung war, dass die drei Herren den Schritt gemeinsam taten: Sie sicherten ihren jeweiligen Vorschuss nur unter der Bedingung zu, dass die anderen ebenfalls mitmachten. Hinderling war aber auch persönlich vom Sinn der Entwicklungshilfe überzeugt: Ich interessiere mich für die Bestrebungen der Hilfe, vor allem der technischen Hilfe, der Schweiz an aufbauwillige Völker. Ich glaube, dass es eine Aufgabe und Verpflichtung gerade unseres politisch neutralen Landes sei, hier nicht passiv beiseite zu stehen. Ich mache mir andererseits gar keine Illusionen darüber, dass es noch sehr grosser Aufklärungsarbeit bedarf, um die Privatwirtschaft und die Bevölkerung dafür zu begeistern und ich kann mir eigentlich nicht denken, dass den Privatfirmen in der heutigen, auch wirtschaftlich doch unsicher gewordenen Zeit zugemutet werden kann, sich für grosse Beitragsleistungen für mehrere Jahre zu verpflichten.

200 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 2.9.1958 von Im Hof-Piguet an Zschokke, S. 1. 201 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 6.10.1958 von Groschupf an Waldesbühl, Hinderling und de Coulon, S. 1. 202 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 9.6.1958 von Groschupf an Waldesbühl, S. 1-2. 203 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 21.5.1958 von Im Hof-Piguet an Hinderling.

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Absolut richtig und umso notwendiger erscheint es mir aber, dass sich begeisterungsfähige Leute, wie Frau Dr. Im Hof, ganz für die Sache einsetzen können, um unverdrossen und allen Widerständen zum Trotz der Sache und damit indirekt letzten Endes auch der einheimischen Wirtschaft mit Erfolg zu dienen. 204 Die Haltung Hinderlings, die Schweiz als neutrales Land müsse sich in der Entwicklungshilfe engagieren, konnte politisch oder auch humanitär motiviert sein. Er sah in der Entwicklungshilfe aber auch einen Nutzen für die Schweizer Wirtschaft, wobei er dieses Argument leider nicht weiter ausführte. Gerade weil er sich bewusst war, dass diese Haltung in der Schweizer Bevölkerung und Privatwirtschaft noch nicht vorherrschend war, wollte er die erforderliche Aufklärungsarbeit unterstützen, indem er einen Teil der Sekretariatskosten zur Gründung der Stiftung vorschoss. In seiner Antwort an Hinderling betonte Groschupf die Bedeutung der Tätigkeit des SHAG und der geplanten Stiftung sowie die Wichtigkeit eines verstärkten Engagements in der Entwicklungshilfe. Groschupf war wie Hinderling persönlich vom Sinn der Entwicklungshilfe überzeugt und berichtete diesem von einem weiteren Gesinnungsgenossen, Arthur Wilhelm, Direktor der CIBA AG (Basel): „Ich hatte Gelegenheit mit Herrn Dr. Wilhelm von der CIBA zu sprechen und er ist der gleichen Meinung wie wir alle, dass es eine der wichtigsten Aufgaben ist, die für die schweizerische Wirtschaft besteht.“205 Wenn Groschupf die Entwicklungshilfe als bedeutende Aufgabe der Schweizer Wirtschaft bezeichnete, kann man daraus schliessen, dass er in der Entwicklungshilfe auch einen Nutzen für die Schweizer Wirtschaft sah. Des Weiteren erklärte Groschupf, weshalb er als Präsident des SHAG zurückgetreten war, was im Widerspruch stand zu seiner Überzeugung von der Sache: Ich selbst habe mich lediglich von der Arbeit des SHAG zurückgezogen, weil ich überzeugt bin, dass man überall wo man kann, jüngeren tatkräftigeren Kräften Platz machen soll. Eine ebenso wichtige, vielleicht sogar noch wichtigere Arbeit: Sanierung der schweizerischen Landwirtschaft, insbesondere der Berglandwirtschaft lockt mich ausserordentlich und ich möchte die Zeit und Arbeitskraft, die mir die Rheinschiffahrt noch lässt, dieser Aufgabe widmen. 206 Er trat also nicht aus mangelnder Überzeugung als Präsident des SHAG zurück, sondern aufgrund seines Alters und seiner Prioritätensetzung (Zeitmangel). Einen zweiten Schritt in Richtung finanzielle Unterstützung ging Waldesbühl, indem er der Stiftung eine Spende von fünfundzwanzigtausend Schweizerfranken zusicherte (wovon zehntausend Schweizerfranken für das Stiftungskapital verwendet werden sollten) unter der Bedingung, dass neben Nestlé noch weitere Unternehmen finanzielle Beiträge stellten.207 Dies überrascht nicht sonderlich, da Waldesbühl das Projekt von Beginn weg unterstützte und zum

204 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 23.7.1958 von Hinderling an Groschupf, S. 1. 205 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 25.7.1958 von Groschupf an Hinderling, S. 1. 206 Ebd. S. 1-2. 207 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 7.8.1958 von Im Hof-Piguet an Freymond, S. 3.

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Kern des Initiativkomitees gehörte. Zudem wurde dieser Schritt nicht im Alleingang gewagt, sondern nur im Gleichschritt mit weiteren Unternehmen. Dennoch bereitete Nestlé mit dieser finanziellen Zusicherung den Weg für die Gründung der Stiftung, denn einer muss immer den ersten Schritt wagen. Als Nächstes galt es, weitere Unternehmen zu finden, welche bereit waren, die geplante Stiftung finanziell zu unterstützen. Die Initianten wollten dreissig bis fünfzig Firmen, Banken und Versicherungen für das Projekt gewinnen. Die Beiträge der Unternehmen sollten dabei nicht unter dem Budgetposten „oeuvre de bienfaisance“ sondern unter den Posten „relations humaines“ und „propagande bien comprise“ laufen. 208 Die Initianten rechneten mit einem jährlichen Budget von einer Million Schweizerfranken während einer Versuchsperiode von fünf Jahren. 209

2.8. Werbung bei weiteren kantonalen Handelskammern Um die Versammlung in Zürich vorzubereiten, fand am 26. September 1958 eine Zusammenkunft im Zunfthaus zur Zimmerleuten in Zürich statt, an welcher neben Im Hof- Piguet und Freymond als Initianten sowie Pallmann und Real als Bundesvertreter Persönlichkeiten aus der Zürcher Wirtschaft und Politik teilnahmen. 210 Die Anwesenden befürworteten das Projekt einer Stiftung der Schweizer Wirtschaft für Entwicklungshilfe, sodass das weitere Vorgehen geplant werden konnte. Man beschloss, eine orientierende Konferenz mit ost-schweizerischen Wirtschaftsvertretern abzuhalten, da die Versammlung in Zürich von den Handelskammern Zürichs, Winterthurs und St. Gallens getragen werden sollte. Des Weiteren waren sich die Anwesenden einig, dass auch die Gewerkschaften in die geplante Stiftung einbezogen werden sollten. Die Kontaktaufnahme mit der Zürcher Handelskammer übernahm Walter Berchtold, Direktionspräsident der Swissair – Schweizerischen Luftverkehrs AG, diejenige mit den Gewerkschaften Jakob Rinderknecht. 211 Die Versammlung bei der waadtländischen Handelskammer in Lausanne fand am 13. November statt. Unter den Teilnehmern war auch Hummler, der das Projekt seit längerem moralisch unterstützte und bei der Organisation der Versammlung mithalf. 212 Die Initianten beurteilten den Verlauf der Versammlung als „recht erfreulich“. 213 Es gab aber auch kritische

208 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 17.9.1958 von Im Hof-Piguet an de Coulon, S. 2. 209 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Bericht vom 29.9.1958 von Kägi und Muggli über die Zusammenkunft vom 26.9.1958 betreffend Fondation Freymond / Vorbesprechung betr. Aktion Zürich, S. 3. 210 Folgende Herren nahmen an der Sitzung teil: Aschinger (Zürich), Berchtold (Zollikon), Birner (Zürich), Burnand (Zürich), Hanhart (Männedorf), Hofmann (Zürich), Huber (Zürich), Kägi (Zürich), Karrer (Zürich), Muggli (Küsnacht), Rinderknecht (Männedorf), Schnyder (Zollikon). Vgl. Ebd. S. 1. 211 Vgl. Ebd. S. 3. 212 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 12.11.1958 von Muggli an Im Hof-Piguet, S. 1-2. 213 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 13.11.1958 von Schürch an Im Hof-Piguet, S. 1.

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Stimmen, welche den Nutzen für die Schweizer Wirtschaft bezweifelten und das Projekt der Stiftung ablehnten, weshalb Schürch empfahl, diesen Aspekt an den künftigen Versammlungen noch mehr hervorzuheben: Auf Grund der in Lausanne gefallenen Voten glaube ich, dass es von besonderer Wichtigkeit sein wird, das direkte Interesse der schweizerischen Wirtschaft und namentlich der Exportindustrie noch deutlicher herauszuarbeiten. Herr Gloor hat dies in seinem Vortrag vor der Basler Handelskammer schon sehr gut gemacht, und in Lausanne hat derjenige Votant, der meinte, die schweizerische Industrie besitze kein solches direktes Interesse an den geplanten Lehrwerkstätten, von einem andern Votanten die richtige Antwort bekommen: Exportieren kann auch die Schweiz (mit ihren hochentwickelten Produkten) nur in Länder, welche sich technisch weiter entwickeln. Mit unsern Exportgütern, die alle einen hohen Entwicklungsstand des Käufers voraussetzen – man denke an Werkzeugmaschinen, Uhren, Modeerzeugnissen, aber auch an das Versicherungsgeschäft und den Fremdenverkehr – kommen wir nur dort an, wo die wirtschaftliche und gesellschaftliche Struktur das Stadium der einfachen Handwerkerkultur bereits überschritten hat. Die Lehrwerkstätten sind nötig, damit dieses Stadium überhaupt erst erreicht wird. Deshalb haben alle schweizerischen Wirtschaftskreise ein eigenes und direktes Interesse an der technischen Hilfe. 214 Schürch war davon überzeugt, dass die Schweizer Exportwirtschaft langfristig von der Entwicklungshilfe profitieren würde, da die Entwicklungsländer zu neuen Absatzmärkten würden, sobald sie Verwendung für die Schweizer Exportgüter hätten und sich diese auch leisten könnten. Die Schweizer Unternehmen der Exportwirtschaft hätten deshalb ein direktes Interesse an der Gründung der geplanten Stiftung. Die Versammlungen bei den Handelskammern Genfs und Neuchâtels konnten bis zur Sitzung des Initiativkomitees vom 11. Dezember noch nicht durchgeführt werden. Freymond wollte mit der Einladung zur Versammlung in Genf nicht mehr weiter zuwarten und versprach, Aubert umgehend zu kontaktieren, um ein Datum für die Versammlung in Genf festzulegen. 215 Für die Versammlung in Neuchâtel konnte das Initiativkomitee die Unterstützung von zwei weiteren Persönlichkeiten gewinnen, diejenige von Hans-Conrad Lichti, Direktor der Suchard S.A. (Neuchâtel), sowie von Paul Rosset, Nationalrat und Präsident der Société Neuchâteloise de Science Economique. 216 Die Organisation der Versammlungen bei den Handelskammern war offenbar eine langwierige Sache. Dennoch wollte Zschokke schon mit Carl Koechlin, Präsident des Vororts, reden, da er den Zeitpunkt nach den Erfolgen bei den Handelskammern Basels und Waadts für günstig hielt und da Koechlin aufgrund der Lektüre von Gloors Referatstext dem Projekt wohlgesinnt sei. 217 Die Versammlung bei der Genfer Handelskammer fand schliesslich am 26. Februar 1959 statt. 218 Obwohl etwas weniger Leute teilnahmen als an derjenigen von Lausanne, waren die

214 Ebd. S. 2-3. 215 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Initiativkomitee vom 11.12.1958 in Bern, S. 5. 216 Vgl. Ebd. S. 5-6. 217 Vgl. Ebd. S. 6. 218 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 2.2.1959 von Im Hof-Piguet an Schindler, S. 1.

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Initianten mit dem Verlauf der Versammlung zufrieden, insbesondere mit der engagierten Diskussion der Teilnehmer. Ebenfalls erfreulich war das grosse Presseecho, welches bis nach Zürich reichte. 219 Im Hof-Piguet machte sich nach der Versammlung in Genf zu drei Punkten Gedanken. Der erste Punkt betraf die Idee der geplanten Stiftung. Es gehe nicht um Wohltätigkeit sondern um Handelsausweitung und um langfristige Propaganda für die Schweizer Industrie. 220 Dies war das zentrale Argument, mit dem die Initianten die Wirtschaftsvertreter von der geplanten Stiftung zu überzeugen und zu Spenden bewegen hofften. Dass Im Hof-Piguet dieses Argument erneut betonte, kann entweder daher rühren, dass die Genfer Wirtschaftsvertreter daran zweifelten oder dass sie davon überzeugt waren – entweder wollte sie auf die Überzeugungskraft dieses Arguments oder auf dessen Verkennung hinweisen. So oder so wollte sie wohl dieses Argument noch verstärken. Der zweite Gedanke war, dass die Stiftung nicht von den immergleichen zwanzig Unternehmen getragen werden sollte, sondern von einer breiten Basis. An der Genfer Versammlung kam die Idee eines einheitlichen Beitrags aller Schweizer Unternehmen auf, eine Art Steuer. Offen blieb, wie diese Steuer aussehen könnte, ob als Kopfsteuer pro Angestelltem oder als Prozentsatz des Umsatzes. 221 Der dritte Punkt, über den sich Im Hof-Piguet Gedanken machte, war, ob die Initianten noch weitere Versammlungen bei Handelskammern veranstalten sollten oder nicht. Geplant war ja seit längerem eine Versammlung in Neuchâtel, Schürch hielt eine weitere in Bern für angebracht. Im Hof-Piguet teilte die Auffassung, dass das Projekt in möglichst vielen Regionen der Schweiz vorgestellt werden sollte, um dem Föderalismus gerecht zu werden, zweifelte jedoch daran, dass dies zeitlich noch vor der Konferenz beim Vorort vom 13. April 1959 möglich sein würde. 222 Die Einschätzung Im Hof-Piguets war realistisch: Die Versammlungen in Neuchâtel, Bern und Zürich fanden vor der Konferenz beim Vorort nicht mehr statt und waren nachher nicht mehr nötig, da die geplante Stiftung genügend Unterstützung fand.

2.9. Hans Schindler wird Präsident des Initiativkomitees Durch die Werbung bei den kantonalen Handelskammern und über persönliche Kontakte konnten die Initianten das Initiativkomitee der geplanten Stiftung um einige bekannte Persönlichkeiten erweitern und ihm so zu einem grösseren Gewicht verhelfen. An der Sitzung vom 11. Dezember 1958 wurde das Initiativkomitee offiziell konstituiert, wovon sich die

219 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 25.3.1959 von Im Hof-Piguet an Freymond, S. 1. 220 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 7.3.1959 von Im Hof-Piguet an Schindler, S. 1. 221 Vgl. Ebd. 222 Vgl. Ebd. S. 1-2.

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Initianten eine bessere Organisation und somit ein rascheres Vorankommen auf dem Weg hin zur Gründung der Stiftung versprachen. Diesen Wunsch äusserte Groschupf im Vorfeld der Sitzung in einem Brief an Im Hof-Piguet: „Das Organisationskomitee […] ist aus der Zusammenarbeit mit Ihnen entstanden. Es hat keinen Präsidenten, seit einigen Wochen aber formell eine tüchtige Sekretärin! Es sollte nun, wie es Dr. Fürer für richtig empfindet, eigentlich konstituiert werden.“223 Alle Sitzungsteilnehmer mit Ausnahme Mugglis, der sich eine Bedenkzeit ausbedang, erklärten sich grundsätzlich bereit, dem Initiativkomitee anzugehören.224 Neben den ursprünglichen Initianten Freymond, Im Hof-Piguet und de Coulon gehörten dem Initiativkomitee nunmehr folgende Personen an: Fürer, Gloor, Groschupf, Guisan, Hinderling, Schürch und Zschokke. 225 Waldesbühl liess sich für die Sitzung entschuldigen und war deshalb auch nicht Mitglied des Initiativkomitees, die Firma Nestlé war jedoch durch Vizedirektor Fürer vertreten. Bereits seit Juni hatte sich Waldesbühl mehr und mehr zurückgezogen, da er als Generaldirektor eines multinationalen Unternehmens sehr ausgelastet war. 226 Er unterstützte die geplante Stiftung jedoch weiterhin moralisch und finanziell und entsandte Fürer als tatkräftigen Vertreter. Wie Groschupf im Vorfeld der Sitzung gegenüber Im Hof-Piguet bemerkte, fehlte dem Initiativkomitee noch ein Präsident. Die Suche nach einem geeigneten Präsidenten war denn auch ein Hauptanliegen der Initianten neben der Werbetätigkeit bei den kantonalen Handelskammern. In einem Brief von Muggli an Im Hof-Piguet vom November werden erstmals mögliche Kandidaten erwähnt, die Diskussion war zu diesem Zeitpunkt aber bereits im Gange, wie dem Brief zu entnehmen ist. 227 Muggli kommentierte einerseits bereits vorgeschlagene Kandidaten, andererseits machte er aufgrund eines Gesprächs mit Hummler auch neue Vorschläge. Bereits vorgeschlagen waren Otto Zipfel (ehemals Delegierter des Bundesrats für Arbeitsbeschaffung), Alt-Bundesrat , Schindler sowie ein Herr Vetter aus Basel. Muggli und Hummler hielten Rubattel und Schindler für sehr geeignete Kandidaten, von einer Anfrage Vetters riet Hummler jedoch ab „im Hinblick auf seine mehr kalt geschäftliche Anlage“. 228 Als Favorit galt aber wohl Zipfel, denn mit ihm waren bereits Gespräche im Gang. 229 Neu vorgeschlagen wurden Louis de Montmollin (ehemaliger Generalstabschef), Guido Petitpierre (Verwaltungsratspräsident Suchard Holding S.A.,

223 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 15.11.1958 von Groschupf an Im Hof-Piguet, S. 1. 224 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Initiativkomitee vom 11.12.1958, S. 2. 225 Vgl. Ebd. S. 1. 226 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 24.6.1958 von Im Hof-Piguet an Waldesbühl, S. 1. 227 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 12.11.1958 von Muggli an Im Hof-Piguet. 228 Ebd. S. 1. 229 Vgl. Ebd. sowie AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 14.11.1958 von Zipfel an Im Hof-Piguet.

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Neuchâtel, und Präsident der Waadtländischen Handelskammer), Ehrat (Direktor der Hasler AG, Bern), Charles Veillon (Gründer der Charles Veillon Confection S.A., Lausanne) sowie Robert Frick (Oberstdivisionär und Ausbildungschef der Armee). 230 Der favorisierte Präsidentschaftskandidat Zipfel begrüsste die Idee einer Stiftung für Entwicklungshilfe der Schweizer Privatwirtschaft, da er diese sowohl für die Entwicklungsländer als auch für die Schweizer Wirtschaft für nützlich hielt. Er lehnte das Amt jedoch ab, da er als Präsident der Bürgschaftsgenossenschaft für die Saisonhotellerie bereits eine Geldsammlung bei der Schweizer Wirtschaft durchführte und er diese nicht gleichzeitig noch für die Stiftung angehen wollte. Er befürchtete, dass dies bei der Schweizer Wirtschaft schlecht ankäme und beide Organisationen darunter leiden würden.231 Zipfel empfahl dem Initiativkomitee Alt-Bundesrat oder Montmollin für das Präsidium, da diese die notwendigen Voraussetzungen mit sich brächten: Ansehen, Bekanntheit und Kapazität: „Ich glaube daher, dass Sie besser beraten sein werden, wenn Sie an die Spitze des Initiativkomitees einen Herrn berufen, der im Lande gut bekannt und angesehen, aber nicht bereits durch andere Aktionen belastet ist.“ 232 Nachdem Zipfel abgesagt hatte, ging die Suche nach einem geeigneten Präsidenten weiter. Mit Brief vom 25. November schlug Muggli zwei weitere Kandidaten vor: Ernst Froelich (ehemaliger Generaldirektor der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft, Zürich) sowie Robert Durrer (Generaldirektor der von Roll’schen Eisenwerke, Solothurn). Bereits im Gespräch war zu diesem Zeitpunkt Alt-Bundesrat , den Muggli kontaktieren wollte, sobald das Initiativkomitee sein Einverständnis gegeben haben würde.233 Doch auch Stampfli lehnte die Übernahme des Präsidiums ab, da er durch anderweitige Verpflichtungen ausgelastet war (er setzte sich unter anderem für die Integration von Invaliden ein). 234 Optimistisch wie sie war, sah Im Hof-Piguet die Sache positiv: Immerhin habe man mit Zipfel und Stampfli zwei weitere bedeutende Persönlichkeiten gewonnen, welche die Gründung der geplanten Stiftung unterstützten. 235 Nun, da Zipfel und Stampfli abgelehnt hatten, war Schindler der Favorit für das Präsidium des Initiativkomitees. Im Hof-Piguet hielt Schindler für sehr geeignet, da er über genügend Idealismus verfüge und Muggli mit ihm befreundet war:

230 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 12.11.1958 von Muggli an Im Hof-Piguet, S. 1. 231 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 14.11.1958 von Zipfel an Im Hof-Piguet, S. 1. 232 Ebd. 233 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 25.11.1958 von Muggli an Im Hof-Piguet, S. 1-2. 234 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 29.11.1958 von Im Hof-Piguet an Stampfli, S. 1. 235 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 29.11.1958 von Im Hof-Piguet an Muggli, S. 1.

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J’espère beaucoup que Monsieur H. Schindler pourra accepter. Tout d’abord parce qu’il est votre ami et ... donc un peu de la même étoffe. Je crois que dans cette phase du travail pour lance l’idée, qui est encore bien dans les langes, il faut quelqu’un qui soit porté par un idéalisme actif, une conviction profonde que ce travail est nécessaire. 236 Nachdem Muggli Schindler kontaktiert hatte, stattete ihm Im Hof-Piguet am 9. Dezember persönlich einen Besuch ab, um ihm die Idee der Stiftung darzulegen und ihn als Präsidenten zu gewinnen. In ihren Erinnerungen schwärmt Im Hof-Piguet von Schindler als einem elegant gekleideten Mann, als bescheidenen, gebildeten Menschen „voller Takt und Feingefühl“. 237 Schindler versprach ihr, die Übernahme des Präsidiums zu überdenken.238 Eine Notiz von Im Hof-Piguet zur Sitzung des Initiativkomitees vom 11. Dezember gibt Aufschluss über die Haltung Schindlers. Grundsätzlich war er bereit, das Präsidium zu übernehmen, er wollte sich aber zuerst der Unterstützung von Homberger, Willy Bretscher (Chefredaktor Neue Zürcher Zeitung) und Theodor Boveri (Delegierter des Verwaltungsrats der AG Brown Boveri & Cie., Baden [BBC]) vergewissern: „M. H. Schindler accepte en principe, mais veut encore parler avec M. Bretscher NZZ, M. Homberger Vorort et M. Theo Bovery pour savoir ‘si ces messieurs feront la grimace’.“239 Unter dieser Bedingung wurde die Übernahme des Präsidiums durch Schindler zur entscheidenden Frage: „Son acceptation est presque décisive pour nous, une question de ‘vie ou de mort’.“ 240 Denn wenn er ablehnen würde, stünde auch die Unterstützung Hombergers, Bretschers und Boveris in Frage; umgekehrt könnte das Initiativkomitee im Falle einer Annahme auf deren Gunst zählen. Für den Fall, dass Schindler ablehnte, hatte das Initiativkomitee immer noch eine ganze Liste mit möglichen Kandidaten, welche sie anfragen konnte. Zu den bereits erwähnten Namen kam noch R. E. Gsell (Direktor der Hoffmann-La Roche AG, Basel) dazu, den Gloor und Groschupf vorschlugen. Unter diesen Kandidaten wurde keiner als Favorit genannt, jedoch hielt Im Hof-Piguet diejenigen mit Erfahrung in der Geschäftswelt für geeigneter als die „Militärchefs“. 241 Dieser Aspekt wurde in der Sitzung vom 11. Dezember nochmals betont: „Pour la présidence, il faut trouver quelqu’un ayant une grande expérience dans le monde industriel, ayant un nom et du temps.“ 242 Das frisch konstituierte Initiativkomitee wandte sich mit einem Brief an Schindler, um ihn dazu zu bewegen, das Präsidium zu übernehmen. Neben wenigen Worten zur Notwendigkeit

236 Ebd. 237 Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 34-35. 238 Vgl. Ebd. S. 35. 239 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Notiz s.d. von Im Hof-Piguet zur Sitzung des Initiativkomitees vom 11.12.1958, S. 2. 240 Ebd. 241 Vgl. Ebd. 242 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Initiativkomitee vom 11.12.1958, S. 2.

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einer verstärkten Entwicklungshilfe der Schweiz wird erläutert, weshalb Schindler sehr geeignet wäre für das Präsidium: Wegen seiner guten Beziehungen zu Homberger, zu Bretscher und zu den Kreisen der Maschinenindustrie, welche das Projekt bis anhin noch nicht unterstützten. 243 Diese Begründung alleine hätte beleidigend wirken können, so als ob das Initiativkomitee nur von den Beziehungen Schindlers profitieren wollte. Dem war sich Im Hof-Piguet wohl bewusst, welche den Brief formuliert hatte. Denn sie fügte an: „Cependant, ce qui compte encore beaucoup plus que la position, c’est la qualité de l’homme: si vous acceptez, nous sommes sûrs de réussir!“244 In den abschliessenden Worten wird betont, wie sehr sie auf seine Zusage hofften und wie sehr sie sich darüber freuen würden. 245 Der Brief wurde von allen Mitgliedern des Initiativkomitees gezeichnet. Im Hof-Piguet verfasste noch ein Begleitschreiben, in dem sie an ihren Besuch anknüpfte und Schindler mit schönen Worten schmeichelte: Sein Organisationstalent und sein scharfer Verstand liessen das weitentfernte Ziel viel näher erscheinen; er hauche dem lange gehegten Projekt Leben ein. 246 Ferner erwähnte sie noch, dass Carl Koechlin, Präsident des Vororts, von Gloors Referat vor der Basler Handelskammer eingenommen gewesen sei, wie Zschokke an der Sitzung berichtet habe.247 Da Schindler seine Entscheidung von der Haltung Bretschers abhängig machte, dieser aber im Ausland weilte, musste sich das Initiativkomitee etwas gedulden. Neben den bereits erwähnten Herren wollte er auch noch Georg Heberlein (Wattwil) zur Stellungnahme anfragen. Von Paul Keller (Präsident des Verwaltungsrats der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft, Zürich), mit dem er bereits gesprochen hatte, wurde er ermuntert, das Präsidium der geplanten Stiftung zu übernehmen. Muggli, der dem Initiativkomitee ja noch nicht angehörte, versprach Schindler, eine Mitwirkung im Initiativkomitee zu erwägen, falls dieser das Präsidium übernehmen würde. 248 Am 22. Dezember telefonierte Muggli mit Schindler, um nachzufragen, ob dieser die gewünschten Meinungen eingeholt habe. Dies war der Fall. Schindler hatte die Meinungen Bretschers, Hombergers und Heberleins eingeholt (von Boveri ist in den Quellen nicht mehr die Rede), und alle drei befürworteten die geplante Stiftung, sodass Schindler sich bereit erklärte, das Amt des Präsidenten zu übernehmen.249 Eine Woche später traf sich Schindler mit Gloor zu

243 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 11.12.1958 des Initiativkomitees an Schindler, S. 1. 244 Ebd. 245 Vgl. Ebd. 246 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 12.12.1958 von Im Hof-Piguet an Schindler, S.1. 247 Vgl. Ebd. 248 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 13.12.1958 von Muggli an Im Hof-Piguet, S. 1. 249 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 22.12.1958 von Muggli an Im Hof-Piguet, S. 1.

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einer fast dreistündigen Besprechung, um das weitere Vorgehen zur Gründung der Stiftung zu planen. Als erste Amtshandlung sollte Schindler dem Initianten Freymond, dem SAH- Präsidenten Ludwig und dem Vorort-Direktor Homberger einen Besuch abstatten. Sodann galt es die Details der Tätigkeit der geplanten Stiftung auszuarbeiten und die Konferenz beim Vorort vorzubereiten. 250

2.10. Die Vorbereitung der Konferenz beim Vorort Mit Brief vom 4. Januar 1959 wandte sich Schindler erstmals als Präsident an die Mitglieder des „Initiativ-Komitees für die Errichtung von Lehrwerkstätten im Ausland“. 251 Darin nannte er vier zu erledigende Aufgaben: Erweiterung des Initiativkomitees, Bildung eines Ausschusses des Initiativkomitees, Festlegung eines Datums für die Konferenz beim Vorort in Zürich sowie Aufstellung der Kosten für Einrichtung und Betrieb der Lehrwerkstätten. 252 Neben der Konstituierung beziehungsweise Ergänzung der künftigen Stiftungsorgane und der Aufstellung eines Budgets stand also die Organisation der Konferenz beim Vorort in Zürich im Vordergrund. Schindler traf sich tags darauf mit Homberger, um diesen zu bitten, „im Namen des Vororts eine Versammlung der Präsidenten der wichtigsten und zahlungskräftigsten Sektionen einzuladen, an der für das Projekt der Lehrwerkstätten im Ausland Propaganda gemacht werden könnte.“ 253 Das Initiativkomitee wollte demnach durch die Konferenz beim Vorort moralische, vor allem aber finanzielle Unterstützung gewinnen. Homberger zeigte sich kooperationswillig aber kritisch, wie dem Brief Schindlers zu entnehmen ist: „Homberger ist nicht abgeneigt, Namen und Prestige des Vororts für unsere Sache einzusetzen. Er betonte allerdings, dass er peinlich vermeiden müsse, ein Präjudiz für weitere Betteleien eidgenössischen Ausmasses zu schaffen.“ 254 Im Hof-Piguet empörte sich ob dieser Sicht der Dinge, welche grundsätzlich falsch sei: Il ne peut être question d’aumônes, mais plutôt de placements intelligents à enregistrer sous la rubrique ‘Human relations’. L’aide suisse apportée sous forme commerciale (investissements, crédits à longs termes) est certes très importante. Mais les pays dont nous parlons ont de telles difficultés à surmonter, qu’il y aurait encore largement place pour nos dix ateliers d’apprentissage. Ce serait en fait une réclame de qualité et chacun le sait, la réclame coûte cher! Une fois de plus, le monde économique, les chefs d’entreprise, qui ont déjà des contacts vivants avec ce monde en devenir, doivent être des pionniers, donner l’élan. La Confédération suivra. 255

250 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Handnotizen von Schindler zur Besprechung mit Gloor vom 29.12.1958, S. 1-2. 251 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 4.1.1959 von Schindler an das Initiativkomitee, S. 1. 252 Vgl. Ebd. S. 1-2. 253 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 6.1.1959 von Schindler an Gloor und Schürch, S. 1. 254 Ebd. 255 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 21.1.1959 von Im Hof-Piguet an Schindler, S. 2.

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Sie wollte die Spenden an die geplante Stiftung nicht als Spenden à fonds perdu verstanden wissen, sondern als Investition im Bereich Human Relations/Werbung. Ferner betonte Im Hof-Piguet die grosse Not der Entwicklungsländer, welche zusätzliche Hilfeleistungen rechtfertige. Einmal mehr müssten die Unternehmer Pioniergeist zeigen und handeln, auch wenn der Bund noch zögerte. Von dieser Sicht der Dinge wollte Im Hof-Piguet Homberger überzeugen. Homberger forderte vom Initiativkomitee klare Angaben zur rechtlichen Form der Stiftung, zum Tätigkeitsprogramm (inklusive Budget) sowie zur Zusammenarbeit mit der SAH und dem SHAG. Schindler nahm dieses Anliegen auf und leitete es an Schürch und Gloor weiter: Schürch überarbeitete daraufhin die Entwürfe der Statuten und der Stiftungsurkunde, Gloor verfasste mit Hilfe von Im Hof-Piguet das Exposé „Intensivierte Schweizerische Entwicklungshilfe“, in welchem sie die Motivation der geplanten Stiftung, Tätigkeitsgebiet, Kosten, mögliche Projektländer sowie die Zusammenarbeit mit der SAH und dem SHAG skizzierten. 256 Sobald die Unterlagen zusammengestellt waren, schickte Schindler sie Homberger, damit er diese dem Vorstand des Vororts unterbreiten konnte. 257 Diese Unterlagen gaben dem Initiativkomitee die Möglichkeit, Homberger mit stichhaltigen Argumenten für die Sache zu gewinnen und ihn von der Meinung abzubringen, dass es sich nur um die Gründung einer weiteren Wohltätigkeitsorganisation handle. Spannend ist vor allem die Argumentation von Gloor und Im Hof-Piguet im Exposé, welche klar auf Im Hof- Piguets Linie lag. Zunächst einmal betonten sie die zunehmende Bedeutung der Entwicklungsländer für die Schweizer Wirtschaft: Ein Volk, das zu gut einem Drittel von seinem Export lebt, wird in der Zukunft die weiten Räume Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in seinen Dispositionen nicht unterschätzen dürfen. Auch ist zu beachten, dass auf Grund der fortschreitenden Emanzipation dieser Völker, die bis zum zweiten Weltkrieg üblichen Aussenhandelsbeziehungen eine wesentliche Aenderung erfahren haben. 258 Die Dekolonisation der Dritten Welt sowie die Exportabhängigkeit der Schweiz wurden als Argumente genannt, weshalb die Bedeutung der Entwicklungsländer für die Schweiz zunehmen würde. Zwar wurde das Argument der Bekämpfung des Kommunismus nicht angeführt, aber immerhin wurde die politische Bedeutung der Entwicklungshilfe erwähnt: „Die Hilfe an zurückgebliebene Gebiete ist eine moderne Art der Aussenpolitik mit wirtschaftlichen Mitteln.“ 259 Danach wurde das Argument der Werbung nochmals genannt:

256 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Exposé Januar 1959. 257 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 26.1.1959 von Schindler an Homberger. Schindler schrieb in diesem Brief Homberger mit „Henry“ an, was auf ihr freundschaftliches Verhältnis hinweist. 258 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Exposé Januar 1959, S. 1. 259 Ebd.

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Das Initiativkomitee sieht seine erste Aufgabe darin, die Schweizer Industrie und Wirtschaft systematisch über die Wichtigkeit der Frage aufzuklären und sie vom Nutzen dieser Arbeit zu überzeugen, die u.a. eine ausserordentlich wirksame Werbung für unser Land darstellt. Darüber hinaus aber will es die moralische und finanzielle Unterstützung unserer industriellen Unternehmen zur Verwirklichung dieses Planes ‚Stiftung und Lehrwerkstätten‘ gewinnen. 260 Interessant ist hier die offene Art, mit der die Verfasser ihre Absicht darlegten, die Schweizer Privatwirtschaft von der Sache zu überzeugen. Andererseits war diese Absicht wohl sowieso offensichtlich, zumal das Initiativkomitee sich ja aus ebendiesem Grund an den Vorort wandte. Dennoch wirkt das Argument der Werbung etwas künstlich, so als ob es nur angebracht wurde, um die Unterstützung der Schweizer Wirtschaft zu gewinnen. Schliesslich wiesen die Verfasser darauf hin, dass bei der Wahl der Projektländer sowie bei der Zahl der zu gründenden Lehrwerkstätten die Interessen der Schweizer Wirtschaft berücksichtigt würden: In welchen Ländern? Bis jetzt ist noch nichts Endgültiges festgelegt. Es steht der Stiftung frei, zu bestimmen, welche Länder für die Schweiz am interessantesten sind.261 Wieviel solcher Lehrwerkstätten? Die schweizerische Wirtschaft ist einerseits daran interessiert, dass in möglichst vielen wirtschaftlich unterentwickelten Ländern Lehrwerkstätten eingerichtet werden. Wirksamer wäre die schweizerische Hilfe anderseits, wenn sie auf möglichst wenig Gebiete konzentriert würde. In einer ersten Versuchsperiode von 5 Jahren, schlagen wir die Errichtung von 8 bis 10 Einheiten vor. 262 Die Zustimmung des Vorort-Vorstands zu diesem Exposé war eine Formsache, wie Schindler Im Hof-Piguet mitteilte. 263 Die Konferenz beim Vorort wurde auf Montag den 13. April 1959 in Zürich festgelegt. Die Einladung erfolgte durch den Vorort selbst in Form eines Rundschreibens an die interessierten Sektionen, welches von Homberger und Vorortsekretär Peter Aebi gezeichnet war.264 In dem Rundschreiben wurden zunächst die vorangegangenen Tätigkeiten des Vororts auf dem Gebiet der technischen Entwicklungshilfe geschildert. Diese beschränkten sich auf die Stellung von Experten für die multilaterale Hilfe der UNO zu Beginn der 1950er Jahre sowie auf eine Umfrage von 1956 betreffend Förderung der wirtschaftlichen Beziehungen zu den Entwicklungsländern. Die Umfrage hatte damals keine weiteren Konsequenzen, da „andere dringliche Probleme in den Vordergrund traten“. 265 Damit könnte die Suez- und Ungarnkrise gemeint sein – die zeitliche Koinzidenz ist jedenfalls auffallend. Anschliessend wurde in dem Rundschreiben kurz die Idee der Stiftung zur Errichtung von Lehrwerkstätten in Entwicklungsländern geschildert sowie auf ein

260 Ebd. S. 11. 261 Ebd. S. 8. 262 Ebd. S. 4. 263 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 2.2.1959 von Im Hof-Piguet an Schindler, S. 1. 264 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Rundschreiben des Vororts vom 1.4.1959 an die interessierten Sektionen. 265 Vgl. Ebd. S. 1.

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beigelegtes Exposé verwiesen. 266 Es könnte sich dabei um das Exposé von Gloor und Im Hof- Piguet gehandelt haben, jedoch wird von einem Auszug aus einem Exposé gesprochen, was darauf hinweist, dass es sich nicht um denselben Text handelte sondern eher um eine gekürzte Variante, war doch das Exposé vierzehn Seiten lang!267 Sodann werden folgende Persönlichkeiten des Initiativkomitees genannt: René Bühler (Bühler AG, Uzwil), de Coulon, Gloor, Groschupf, Freymond, Hinderling, Hummler, Caspar Jenny (Vizepräsident des Vororts, Fritz & Caspar Jenny, Ziegelbrücke), Muggli, Guido Petitpierre, Zschokke, Waldesbühl. 268 Betrachtet man diese Liste genauer, so fallen zwei Dinge auf. Einerseits sind einige zusätzliche Namen angeführt; hierbei handelt es sich um Mitglieder des Initiativkomitees, welche seit Dezember 1958 neu hinzugekommen waren. Andererseits fehlen einige Namen; es sind dies Im Hof-Piguet, Fürer, Guisan und Schürch. War dies ein Versehen oder Absicht? Wenn sie absichtlich weggelassen wurden, dann wohl deshalb, weil mit diesen Namen weniger Eindruck gemacht werden konnte, als mit den übrigen. Fürer musste neben Waldesbühl nicht zusätzlich genannt werden. Guisan war ein Politiker und kein Wirtschaftsvertreter, Schürch ein Anwalt, aber immerhin gehörte letzterer zum ursprünglichen Kreis der Initianten. Und Im Hof-Piguet war als Frau wohl kaum nennenswert im von Männern dominierten Kreis der Wirtschaftsvertreter. Zweck der Konferenz beim Vorort war eine Aussprache zur Idee der Stiftung und die Einladung zur Mitwirkung an derselben. 269 Am 2. April wollten sich Schindler, Im Hof-Piguet, Gloor, Schürch, Fürer, Freymond und Real zu einer vorbereitenden Sitzung in Bern treffen, die Sitzung fand dann aber ohne Freymond statt, der wohl keine Zeit hatte. 270 An der Sitzung wurde nicht nur die Konferenz beim Vorort, sondern auch das weitere Vorgehen zur Gründung der Stiftung geplant. Es wurde die Frage aufgestellt, ob die Stiftung gleich an der Konferenz am 13. April gegründet werden könnte. Schürch, der Rechtsexperte des Initiativkomitees, hielt dies für unmöglich, da die Zeit für die Vorbereitung der Gründung nicht reiche. Für die eigentliche Gründung mussten der Stifter, ein Notar und das Stiftungskapital bereitstehen. Zudem sollte der Stiftungsurkunde eine Liste der Mitglieder des ersten Stiftungsrats beigelegt werden. Zwar hatte das Initiativkomitee die Zusage von Nestlé zur Stellung des Stiftungskapitals von zehntausend Schweizerfranken, die Namen des Stifters und der Stiftungsratsmitglieder waren jedoch noch nicht abschliessend festgelegt. Man beschloss, die Stiftung möglichst bald nach

266 Vgl. Ebd. S. 2. 267 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Exposé Januar 1959. 268 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Rundschreiben Vorort vom 1.4.1959, S. 2. 269 Vgl. Ebd. 270 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 25.3.1959 von Im Hof-Piguet an Freymond, S. 1-2 sowie AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokollnotiz Initiativkomitee vom 2.4.1959, S. 1.

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der Konferenz im Zeitraum von dreissig Tagen zu gründen. 271 An der Konferenz, welche von Homberger präsidiert würde, waren vier Referate der Herren Freymond, Kägi, Schürch und Gloor vorgesehen. Diese Referatstexte wollte man nach der Konferenz in Form einer Broschüre drucken lassen, zusammen mit einem Vorwort von Seiten des Vororts, welches von Homberger und dem Vorort-Präsidenten Carl Koechlin gezeichnet würde. Diese Broschüre könnte dann bei der Geldsammlung bei der Schweizer Wirtschaft als Werbemittel eingesetzt werden, so die Meinung. 272 Die Einladung zur Konferenz war vom Vorort an alle fünfzig Sektionen versandt worden; der zusätzliche Versand an die einzelnen Vorortsmitglieder war nicht vorgesehen, obwohl dies von den Initianten gewünscht worden wäre. Man müsse sich glücklich schätzen, dass so kurzfristig eine Versammlung der Sektionen eingerichtet werden konnte, dies sei bereits ein Gefallen, den man Schindler zu verdanken habe. 273 Im Protokoll, das ein kurzes Beschlussprotokoll und nicht eine ausführliche Wiedergabe der Wortmeldungen ist, finden sich keine weiteren Ausführungen zur Konferenz beim Vorort. In den Handnotizen von Schindler, welche er zu dieser Sitzung anfertigte, finden sich jedoch weitere spannende Hinweise. 274 Schindler wollte demnach einige Wirtschaftsvertreter bitten, an der Konferenz ein Diskussionsvotum abzugeben, und wollte deshalb an der Sitzung absprechen, wer welche Wirtschaftsvertreter dazu auffordern würde. Notiert waren die Namen Waldesbühl, Dr. Keller junior, Zschokke, Gloor, Paul Keller sowie Max Schneebeli (Georg Fischer AG, Schaffhausen). 275 Der Name Paul Kellers wurde durchgestrichen, woraus zu schliessen ist, dass dieser nicht in Frage kam. Um wen es sich bei der Bezeichnung „Dr. Keller jun.“ handelte, konnte nicht ermittelt werden. Gloor wiederum kam als Mitglied des Initiativkomitees und als Anwalt nicht in Frage, selbst ein Diskussionsvotum abzugeben. Vielmehr wird vermutet, dass er Zschokke dazu auffordern sollte; denn sein Name steht gleich neben dem Zschokkes und er kannte diesen ja durch die Basler Handelskammer. Folglich wollte man die Herren Waldesbühl, Zschokke und Schneebeli bitten, in der Diskussion das Wort zu ergreifen – es bleibt die Frage, weshalb man diese Massnahme ergriff. Es erweckt den Eindruck einer Vorsichtsmassnahme entweder für den Fall, dass sich niemand als erster äussern wollte oder aber, und dies ist wahrscheinlicher, um ein günstiges

271 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokollnotiz Initiativkomitee vom 2.4.1959, S. 2-3. 272 Vgl. Ebd. S. 2. 273 Vgl. Ebd. 274 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Handnotizen von Schindler zur Sitzung vom 2.4.1959. Es ist dies einer der seltenen Fälle, in denen Handnotizen überliefert sind. Die Handnotizen erstrecken sich über fünf unnummerierte Seiten, können jedoch den Traktanden der Sitzung zugeordnet werden. Anstelle von Seitenzahlen werden die Abschnitts-Bezeichnungen in den Belegen angeführt. 275 Vgl. Ebd. Abschnitt „Vorgehen für die Konferenz vom 13. April“.

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Wort einzulegen und so die Konferenzteilnehmer zu beeinflussen. Als weiteren Punkt notierte sich Schindler, dass Homberger „den Sektionen nahelegen [wird], für die Stiftung und die Sammlung bei ihren Mitgliedern Propaganda zu machen und gegenüber den Gesuchen des Komitees eine offene Hand zu haben.“276 Die Unterstützung Hombergers war den Initianten also gewiss. Über die Sektionen des Vororts hofften die Initianten deren Mitglieder zu erreichen. Um diese bei der Geldsammlung angehen zu können, wollten sie von den Sektionen Mitgliederlisten verlangen, wozu die Konferenz beim Vorort Gelegenheit bot. 277 Neben den Sektionen des Vororts, welche von diesem direkt angeschrieben worden waren, luden die Initianten mit separatem Schreiben weitere Wirtschaftsvertreter ein. Die Antworten, welche überliefert sind, zeugen von einer mehr oder weniger ablehnenden Haltung gegenüber der Idee einer Stiftung für Entwicklungshilfe der Schweizer Privatwirtschaft. Georg Heberlein (Wattwil) äusserte in seinem Antwortschreiben Vorbehalte, da er eine vermehrte Konkurrenz für die schweizerische Textilindustrie durch die billigeren Produkte aus der Dritten Welt befürchtete: Ich kann dir aber nicht verhehlen, dass ich diese Entwicklung, vom Standpunkt der Textilindustrie aus gesehen, nur mit grossen Bedenken verfolge. Die schweizerische Textilindustrie leidet unter den Importen aus China, Indien, Pakistan usw. schon heute ganz ausserordentlich stark. […] Ich fürchte sehr, dass durch Bestrebungen der genannten Art diese Gefahr für unsere Industrie nur noch verstärkt wird. 278 Die ablehnende Haltung Heberleins stand im Widerspruch zu seiner Stellungnahme zur Übernahme des Präsidiums durch Schindler. Damals hatte er die Stiftung noch befürwortet.279 Da wenig wahrscheinlich ist, dass sich seine Haltung innerhalb weniger Monate grundsätzlich geändert hatte, kann nur angenommen werden, dass er die Stiftung zwar persönlich für eine gute Sache hielt, aus Sicht der Textilindustrie aber ablehnte. Darauf weist auch die Formulierung „vom Standpunkt der Textilindustrie aus gesehen“ hin. Er meldete sich für die Konferenz beim Vorort ab, da ihm der Termin nicht passte, wollte das Thema aber einmal mit Schindler diskutieren. 280 Nicht ablehnend, aber kritisch bezüglich des Erfolgs des Unterfangens zeigte sich Ernst Gamper, Verwaltungsratspräsident der Schweizerischen Kreditanstalt (heutige Credit Suisse). Er verwies auf eigene schlechte Erfahrungen im Rahmen eines Projektes europäischer Bankiers und Industrieller im Mittleren Osten, welches wegen der Suezkrise und wegen mangelnder Spendenbereitschaft der Schweizer Privatwirtschaft bisher wenig erfolgreich war. Das Problem bei solchen Projekten sei primär

276 Ebd. 277 Vgl. Ebd. 278 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 8.4.1959 von Heberlein an Schindler, S. 1. 279 Vgl. weiter oben Kapitel 2.9. 280 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 8.4.1959 von Heberlein an Schindler, S. 1.

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„die Zurückhaltung beim Einsatz der erforderlichen Mittel“.281 Nicht gerade ermutigend wirkt der abschliessend geäusserte Wunsch, Schindler möge für das Projekt der Stiftung „in allen Kreisen gute Unterstützung finden“. 282 Auch er entschuldigte sich für die Konferenz beim Vorort, die Schweizerische Kreditanstalt werde durch Generaldirektor Eberhard Reinhardt vertreten. 283 Der Delegierte des Verwaltungsrats der BBC, Emil Zaugg, hatte hingegen nicht viel übrig für die Idee einer Stiftung für Entwicklungshilfe der Schweizer Privatwirtschaft: Grundsätzlich können wir uns in der Geschäftsleitung für dieses Projekt nicht sehr erwärmen, weil wir sonst schon in konkreten Fällen die Möglichkeit haben, gut ausgebildete Leute im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme von Anlagen in solchen Ländern zur Verfügung zu stellen und wir sind der Auffassung, dass diese konkreten Fälle sowohl für das betreffende Land wie für die Firma viel mehr bedeuten und auch einen grössern Wirkungsgrad aufzuweisen haben. 284 Er sah schlicht keine Notwendigkeit für die Gründung einer Stiftung sowie auch keinen Nutzen für die BBC. Immerhin war diese aber genug interessiert, um den Direktor Walter Lang an die Konferenz beim Vorort zu schicken. 285 Grundsätzlich wohlwollend aber dennoch kritisch gab sich Dieter Bührle, Leiter der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon Bührle & Co sowie deren Verwaltungsgesellschaft: Allerdings kann ich mich des Eindruckes nicht erwehren, die vorliegende Initiative sei etwas zu ‚kleinbürgerlich - gewerblich‘. Es kann sich ja meines Erachtens nicht darum handeln, die Schulung von Individuen als Ziel der Aktion zu setzen, sondern es muss wohl – neben den philantropischen Bestrebungen – die Werbewirkung für die gesamte schweizerische Industrie in den Vordergrund gestellt werden. In dieser Hinsicht haben andere Länder schon so viel getan, dass eine gesamtschweizerische Aktion nur einen Sinn hat, wenn sie eine gewisse Resonanz entwickelt. 286 Seine Kritik zielte darauf ab, dass die geplante Stiftung primär das humanitäre Ziel der Entwicklungshilfe für die Dritte Welt verfolgte (über die Ausbildung von Handwerkern und Vorarbeitern) und nur sekundär dasjenige der Werbung für die Schweizer Wirtschaft. Seiner Meinung nach müsste die Werbung Priorität haben, weshalb die Stiftung auch eine gross angelegte Aktion sein müsste, um eine Breitenwirkung zu haben. Bührle liess sich für die Konferenz beim Vorort von Direktor W. Kuhn vertreten, welcher für die Indienprojekte der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon Bührle & Co zuständig war und sich daher auf dem Gebiet auskannte. 287 Zusammenfassend ist festzustellen, dass drei von vier Wirtschaftsvertretern in ihren Stellungnahmen mit dem Nutzen beziehungsweise Schaden für die Schweizer Wirtschaft und Industrie argumentierten, wohingegen humanitäre

281 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 9.4.1959 von Gamper an Schindler, S. 1. 282 Ebd. 283 Vgl. Ebd. 284 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 9.4.1959 von Zaugg an Schindler, S. 1. 285 Vgl. Ebd. 286 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 10.4.1959 von Bührle an Schindler, S. 1. 287 Vgl. Ebd.

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Auswirkungen nur als erfreuliche Nebenwirkung angesehen und politische Argumente gar nicht erwähnt wurden. Gamper äusserte sich nicht über einen allfälligen Nutzen der geplanten Stiftung für die Schweizer Privatwirtschaft, da er die Sache sowieso als aussichtslos ansah in Anbetracht seiner schlechten Erfahrungen beim Sammeln der nötigen finanziellen Mittel.

2.11. Die Präsentation der Idee der Stiftung an der Konferenz beim Vorort Die Konferenz beim Vorort fand schliesslich am 13. April 1959 in Zürich statt und wurde von Homberger mit einer kurzen Rede eröffnet. Er legte zunächst die historischen Wurzeln der Diskussion um die „unentwickelten Länder“ dar (wie er sie zugespitzt bezeichnete), welche „zu einem Modebegriff der Wirtschaftspolitik geworden“ seien. 288 Er kam zum Schluss, dass „der Ursprung der Aktionen zugunsten der unentwickelten Länder […] somit in der hohen Politik, nämlich im Kampf gegen den Kommunismus [liegt]“. 289 Dass für Homberger aber nicht das politische Motiv der Kommunismusbekämpfung im Vordergrund stand, sondern wirtschaftliche Motive, geht aus seinen weiteren Ausführungen klar hervor. Die Schweiz müsse, da sie als neutraler Staat auf politische Einflussnahme verzichte, auf wirtschaftlicher Ebene um die Gunst der Entwicklungsländer werben, um nicht den Eindruck von Passivität zu erwecken und von den anderen Industriestaaten ausgestochen zu werden. Ebendies erkläre „das wirtschaftliche Interesse, das die Schweiz als wie kaum ein anderes intensiv in die Weltwirtschaft verflochtenes Land […] [habe], sich ebenfalls der unentwickelten Länder anzunehmen.“ 290 Homberger argumentierte einerseits mit der Abhängigkeit der Schweiz von der Weltwirtschaft, andererseits mit der internationalen Konkurrenz um die Gunst der sich emanzipierenden Länder der Dritten Welt. Hierbei dürfte er wohl vor allem an die wirtschaftliche Konkurrenz gedacht haben und nicht an die politische, wobei diese beiden Bereiche natürlich nicht klar zu trennen waren. Sodann schilderte er die bisherigen Tätigkeiten der Schweiz in der Entwicklungshilfe, wobei er zwischen öffentlichen und privaten Aktivitäten unterschied. Die private Entwicklungshilfe teilte er wiederum in eine wirtschaftlich-kommerzielle sowie in eine moralisch-philanthropische ein; zu letzterer zählte er die geplante Stiftung. 291 Trotz der humanitären Motive, welche der geplanten Stiftung zu Grunde lagen und welche Homberger durchaus bewusst waren, sah er in dieser Organisation einen Nutzen für die Schweizer Privatwirtschaft, insbesondere für die Exportindustrie:

288 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Referatstexte der Konferenz beim Vorort vom 13.4.1959, S. 3. 289 Ebd. S. 3-4. 290 Ebd. S. 4. 291 Vgl. Ebd. S. 4-5.

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Auch wenn es sich bei dieser Hilfe nicht um eine primär ökonomische Angelegenheit handelt, so darf sie in ihrer ökonomischen Wirkung auf lange Sicht ebenso wenig unterschätzt werden. Auch solche aus moralischer Verpflichtung aufgebrachten Leistungen können wirtschaftliche Früchte eintragen; denn es wird durch solche Aktionen in den betreffenden Ländern ein Goodwill geschaffen, der in näherer oder fernerer Zukunft auf die Vergebung von Bestellungen von Einfluss und damit für die schweizerische Exportindustrie früher oder später von Nutzen sein kann. 292 Den Nutzen in der humanitären Tätigkeit der geplanten Stiftung sah er demnach in der Schaffung von Goodwill der Entwicklungsländer gegenüber der schweizerischen Wirtschaft und Industrie, welche durch diese Werbung langfristig profitieren könnten, wenn die Entwicklungsländer bei der Vergabe von Aufträgen schweizerische Unternehmen bevorzugen würden. Nach der Eröffnungsrede von Homberger kam Freymond die Ehre zu, das erste Referat zu halten, zumal er der geistige Vater der Idee einer Stiftung für Entwicklungshilfe der Schweizer Privatwirtschaft war. Im Gegensatz zu Homberger stellte Freymond nicht wirtschaftliche sondern politische Argumente in den Vordergrund. Es handle sich bei der geplanten Stiftung weder um eine rein humanitäre Aktion noch um ein Mittel zur Sicherung neuer Absatzmärkte – für diese Zwecke gebe es bereits genügend andere Institutionen. Zwar sei das Ziel der geplanten Stiftung die Verbesserung der Lebensbedingungen in den Entwicklungsländern – wobei die Interessen der Wirtschaft, welche die Mittel dazu bereitstelle, nicht ausser Acht gelassen würden – aber die Absicht dahinter sei politischer Natur. 293 In den folgenden Ausführungen legte Freymond dar, wie das zunehmende Ungleichgewicht zwischen armen und reichen Staaten mitverantwortlich sei für die Revolutionen im Zuge der Dekolonisation und wie diese sozialen Spannungen auch Europa und die Schweiz bedrohen würden.294 Deshalb sei man verpflichtet, zu handeln: „Car chaque année qui passe ne fait qu’aggraver les contradictions, pour le plus grand bénéfice de ceux qui les exploitent contre nous.“ 295 Eine verstärkte, bilaterale (weil flexibler und effizienter als die multilaterale) Hilfe zugunsten der Entwicklungsländer trage ferner dazu bei, die Existenz der Schweiz zu legitimieren: „Elle assure une présence de la Suisse qui contribue à légitimer son existence aux yeux des autres nations, en un siècle où la poussée de nouveaux impérialismes et le développement de formules intégrationnistes semblent condamner les petits Etats à la disparition.“296 Freymond sah Entwicklungshilfe folglich als ein Mittel zur internationalen

292 Ebd. S. 5-6. 293 Vgl. Ebd. S. 7. 294 Vgl. Ebd. S. 8-9. 295 Ebd. S. 9. 296 Ebd.

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Friedenssicherung und zum Schutz der Nation an, was in der Zeit des Kalten Krieges ein nachvollziehbares Anliegen war. Auf das Referat von Freymond folgte dasjenige von Kägi, der noch einmal Bedeutung und Notwendigkeit der Gründung einer Stiftung für Entwicklungshilfe der Schweizer Privatwirtschaft erläutern sollte, bevor Gloor und Schürch die Details der geplanten Stiftung vorstellen würden. 297 Kägi entwickelte in seiner Rede vier „Punkte“, welche für die Gründung der geplanten Stiftung sprachen und die hier kurz dargelegt werden sollen, da sie die wesentlichen Argumente in prägnanten Worten enthalten. Als ersten Punkt erwähnte Kägi, dass die Entwicklungshilfe ein „Gebot der Menschlichkeit“ gegenüber der Not von Millionen von Menschen sei: „So möchte ich zur Begründung der Hilfe nur das eine sagen: Was immer man zusätzlich noch vorbringen mag, sie ist zuerst und vor allem ganz einfach eine menschliche Pflicht der reichen Schweiz, von uns allen! “298 Das humanitäre Motiv für die Entwicklungshilfe stand für Kägi also an erster Stelle. Zweitens sei die Entwicklungshilfe ein „Beitrag zur Verteidigung der freien Welt“, ein Mittel zur Bekämpfung der Ausbreitung des Kommunismus: Es wird von Tag zu Tag deutlicher, […] dass der Kampf um die Erhaltung Europas, der atlantischen Gemeinschaft und der freien Welt überhaupt heute weitgehend in Asien und Afrika ausgefochten wird. […] Die freie Welt stösst vorläufig noch überall auf die Widerstände – die demagogisch verschärften und geschickt ausgebeuteten Widerstände – gegen den alten Kolonialismus . […] Eine echte Hilfe , ohne politische Hypotheken, kann auch heute noch – und vielleicht von Jahr zu Jahr wieder mehr – der Sache der Freiheit dienen. 299 Die Entwicklungshilfe sei deshalb nicht ein völlig selbstloser Akt, sondern ein Mittel zur Erhaltung der Freiheit. Diese wichtige Aufgabe, diese „Verantwortung“, dürfe man nicht einfach den US-Amerikanern überlassen; die Schweiz müsse ihren Teil dazu beitragen. 300 Diese politische Argumentation gleicht derjenigen von Freymond, doch werden hier die Dinge noch deutlicher beim Namen genannt. An dritter Stelle führte Kägi das damals verbreitete Argument an, die Schweiz habe als neutrales Land einen Vorteil in der Entwicklungshilfe, da sie keine koloniale Vergangenheit hatte: Wir haben als neutraler Kleinstaat Möglichkeiten, grosse Möglichkeiten, ja zum Teil wirklich einzigartige Möglichkeiten , die den meisten andern Völkern durch starke antikoloniale Ressentiments verschlossen sind. […] Für die Schweiz stehen Türen offen , die anderen Völkern – vielleicht noch auf lange Zeit hinaus – ganz oder teilweise verschlossen sind. 301 Diese Möglichkeiten seien aber auch eine Pflicht, zu handeln. Zudem müsse die Schweiz im Sinne von Petitpierres Motto „Neutralität und Solidarität“ die Neutralität durch vermehrte

297 Vgl. Ebd. S. 10. 298 Ebd. S. 11. 299 Ebd. 300 Vgl. Ebd. 301 Ebd. S. 12.

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Solidarität legitimieren. 302 Auch diese Argumente sind politischer Natur. Als vierten und letzten Punkt nannte Kägi die Bedeutung des Beitrags der Schweiz, um dem Einwand zu begegnen, die kleine Schweiz könne angesichts der immensen Probleme der Entwicklungsländer nichts bewirken: Darauf ist einmal zu erwidern, dass wir in dieser Hilfe ja nicht allein stehen, und sodann und vor allem: dass auch die kleine Schweiz – ja dass gerade die kleine Schweiz – hier einen wesentlichen Beitrag leisten kann und dass davon eine bedeutsame Wirkung ausgehen wird. Wir brauchen uns im übrigen auch hier nicht zu sorgen: Die gute Tat ist nie umsonst! 303 Zum Schluss bemerkte Kägi, dass sich die Initianten bewusst seien, dass durch die Gründung der geplanten Stiftung die Frage des Beitrags der Schweiz in der Entwicklungshilfe nicht abschliessend beantwortet sei und dass materielle Hilfe alleine nicht ausreiche: „Aber wir sind überzeugt, dass dieses Projekt in seiner nüchternen, sachlichen und soliden Art einen guten Beitrag der Schweiz zu einer notwendigen Hilfe erbringen würde.“ 304 Mit diesen Worten pries Kägi die geplante Stiftung als sinnvollen Beitrag zur Entwicklungshilfe, welche er aus den genannten humanitären und politischen Gründen als notwendig betrachtete. Interessant ist, dass er keine wirtschaftlichen Motive erwähnte. Vermutlich verzichtete er bewusst auf wirtschaftliche Argumente, da ihm diese einerseits wohl persönlich fremd waren und er es deshalb anderen Rednern überlassen wollte, darauf einzugehen. Andererseits weil er wohl davon ausging – ob zu Recht oder nicht sei dahingestellt –, dass die Konferenzteilnehmer auch für humanitäre, vor allem aber für politische Argumente zugänglich waren. 305 Anders als Kägi rückte Gloor in seinem Referat die wirtschaftlichen Argumente ins Zentrum. Um die Notwendigkeit der Gründung einer Stiftung für Entwicklungshilfe der Schweizer Privatwirtschaft zu unterstreichen, berief er sich auf das Votum Waldesbühls an der schweizerischen Bankiertagung von 1956, „dass es Sinn und Geist des privaten Unternehmens nicht entsprechen würde, wollte es sich in erster Linie auf staatliche Unterstützung verlassen“. 306 Daraus folgt, dass die Schweizer Wirtschaft Eigeninitiative in der Entwicklungshilfe ergreifen musste. Gloor forderte sodann eine gemeinsame Aktion der Schweizer Wirtschaft, welche primär den Entwicklungsländern zugute käme: Das gewünschte Ziel der primären Hilfe an das Entwicklungsland – mit lediglich indirekter wirtschaftlicher Auswirkung auf unsere Wirtschaft – würde aber auch nicht erreicht, wenn einzelne

302 Vgl. Ebd. 303 Ebd. S. 13. 304 Ebd. 305 Hier war Schuppisser anderer Meinung. Sie ging davon aus, dass die Vertreter der Wirtschaft nur mit wirtschaftlichen Argumenten überzeugt werden konnten. Deshalb hätten die Initianten in ihren Referaten auch die langfristig positiven Auswirkungen der geplanten Lehrwerkstätten für die Schweizer Wirtschaft betont. Dass die Initianten in ihren Referaten aber auch andere Argumente vorbrachten, blendete Schuppisser aus. Vgl. Schuppisser, Engagement der Privatwirtschaft, S. 194. 306 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Referatstexte der Konferenz beim Vorort vom 13.4.1959, S. 14.

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Unternehmen ihren Beitrag ausschliesslich dadurch leisten würden, dass sie etwa beim Verkauf ganzer Anlagen die Eingeborenen durch eigene Fachleute für die Inbetriebnahme ausbilden. Dabei steht ja doch stets, wenn wir ehrlich bleiben, das eigene wirtschaftliche Interesse im Vordergrund und nicht, wie bei der kollektiven technischen Hilfe, dasjenige des Entwicklungslandes. Soll die technische Hilfe wirklich langfristige und grosszügige Exportförderung sein, muss sie unabhängig vom direkten wirtschaftlichen Interesse des einzelnen Unternehmens geleistet werden. 307 Gloor stritt das wirtschaftliche Interesse der Schweizer Unternehmen an der Entwicklungshilfe nicht ab, er unterschied jedoch zwischen direktem und indirektem wirtschaftlichen Interesse. Er betonte, dass die Entwicklungshilfe der geplanten Stiftung in erster Linie den Interessen der Entwicklungsländer dienen würde und nicht den direkten wirtschaftlichen Interessen der Schweizer Unternehmen. Damit wollte er wohl falschen Erwartungen von Seiten der Privatwirtschaft zuvorkommen, wie etwa denjenigen der BBC, welche sich im Vorfeld der Konferenz kritisch geäussert hatte. 308 Gerade diese uneigennützige Konzeption von Entwicklungshilfe ermögliche jedoch eine langfristige Exportförderung für die Schweizer Wirtschaft. Inwiefern eine solche Entwicklungshilfe den Export der Schweizer Wirtschaft fördern sollte, deutete er an späterer Stelle an: Die Frage nach dem unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen darf nicht in den Vordergrund gestellt werden. Wenn jedoch die schweizerische Hilfe auf den Interessen, Bedürfnissen und soziologischen sowie wirtschaftlichen Gegebenheiten der Partnerländer aufgebaut wird, muss sie zu einer Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen führen und sich somit schliesslich auch auf die Aussenwirtschaft gewinnbringend auswirken. 309 Die Entwicklungshilfe der geplanten Stiftung sollte also eine Verbesserung und Vertiefung der Beziehungen zu den Entwicklungsländern herbeiführen, wovon sich Gloor auch bessere wirtschaftliche Beziehungen versprach. Neben diesen langfristigen Auswirkungen hielt er den Konferenzteilnehmern aber auch den kurzfristigen Nutzen für die Schweizer Wirtschaft vor Augen: Es wird in erster Linie laufend Goodwill für die Schweiz geschaffen. Es werden schweizerische Techniker in unterentwickelte Gebiete gesandt, welche die dortige Entwicklung verfolgen und die interessierten schweizerischen Kreise laufend orientieren können; es werden schweizerische technische Zentren entstehen, die für Dienste aller Art in Anspruch genommen werden können, und es werden Schweizer mit Auslanderfahrung herangebildet. 310 Interessant wäre, zu erfahren, was er mit „Dienste aller Art“ meinte. Da er vom Nutzen für die Schweizer Wirtschaft sprach, dachte er wohl an Dienstleistungen für Schweizer Unternehmen. Welche Dienstleistungen dies sein konnten, darüber kann jedoch nur spekuliert werden. Vorstellbar wären etwa Abklärungen bei Gründungen von Niederlassungen, Unterstützung bei behördlichen Belangen und Rechtsstreitigkeiten oder Zusammenarbeit bei

307 Ebd. S. 14-15. 308 Vgl. weiter oben Kapitel 2.10. 309 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Referatstexte der Konferenz beim Vorort vom 13.4.1959, S. 18. 310 Ebd. S. 15.

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Ausbildung und Produktion. In seinen weiteren Ausführungen stellte Gloor die Details der geplanten Stiftung vor. Während fünf Jahren sollten acht bis zehn Lehrwerkstätten für die Ausbildung von Handwerkern errichtet werden, wozu die Schweizerische Wirtschaft mindestens eine Million Schweizerfranken pro Jahr aufwenden müsste. 311 Während die Entwicklungsländer für die Räumlichkeiten aufkommen und gewisse Privilegien gewähren sollten (Steuerfreiheit, Einfuhr- und Zollformalitäten), käme die Stiftung für das Lehrpersonal und die Einrichtung der Werkstätten auf. 312 Bei der Durchführung der Projekte müsse eine enge Zusammenarbeit mit der Industrie des jeweiligen Entwicklungslandes angestrebt werden, indem die Schüler der Lehrwerkstätten gleichzeitig in einem Industriebetrieb arbeiteten (ähnlich dem schweizerischen Modell der Berufslehre) und indem die Produkte der Lehrwerkstätten an die lokale Industrie verkauft würden. 313 Abschliessend stellte Gloor den Konferenzteilnehmern ein grobes Budget für Errichtung und Betrieb der Lehrwerkstätten vor, wobei er sich auf Erfahrungswerte des SHAG stützen konnte. Im Budget wurde von einmaligen Errichtungskosten von hundertfünfzigtausend Schweizerfranken sowie von jährlichen Betriebskosten von hundertfünfundzwanzigtausend Schweizerfranken pro Lehrwerkstätte ausgegangen, was sich bei zehn Lehrwerkstätten, welche sukzessive errichtet würden, über fünf Jahre auf rund fünf Millionen Schweizerfranken belaufen würde. Hauptkostenpunkte waren dabei Materialkosten (Maschinen, Ausrüstung) sowie Lohnkosten der Schweizer Lehrmeister. 314 Nach Gloors Referat „über die projektierten Lehrwerkstätten“ folgte ein letztes Referat von Schürch mit dem Titel „Der Gedanke und seine Rechtsform“. 315 Schürch erläuterte in seiner Rede die rechtlichen Eigenschaften der geplanten Stiftung und ihrer Organe sowie das Vorgehen bei der Gründung. Zunächst begründete er, weshalb sich für die Errichtung von Lehrwerkstätten die Rechtsform der Stiftung am besten eigne: Sie sei genügend stark und dennoch flexibel; der Kern ihres Wesens sei ihr Zweck, den sie vor „private[n] Sonderinteressen oder staatlicher Macht bewahr[e]“; diesem Zweck werde ein Vermögen, das Stiftungskapital, „unabänderlich gewidmet“. 316 Der Zweck der geplanten Stiftung sei „[die Förderung der] technische[n] Entwicklung wenig entwickelter Länder“, wobei diese Formulierung bewusst einfach gewählt sei, da der Zweckartikel in der Stiftungsurkunde

311 Vgl. Ebd. 312 Vgl. Ebd. S. 16-17. 313 Vgl. Ebd. S. 17. 314 Vgl. Ebd. S. 18-20. 315 Im Gegensatz zu den Referaten von Homberger, Freymond und Kägi hatten diejenigen von Gloor und Schürch einen Titel; wohl deshalb, weil sie die konkrete Idee der Gründung einer Stiftung behandelten und nicht die Notwendigkeit einer verstärkten Entwicklungshilfe generell. 316 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Referatstexte der Konferenz beim Vorort vom 13.4.1959, S. 21.

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festgeschrieben werde und diese nur unter „sehr aussergewöhnlichen Umständen“ revidiert werden könne.317 Der Zweckartikel der Statuten hingegen könne detaillierter ausgestaltet werden. Er umfasse vier Punkte: Aufklärung der Öffentlichkeit, Zusammenarbeit mit staatlichen und privaten Institutionen der Entwicklungshilfe, Mittelbeschaffung zur Finanzierung von Projekten für die Ausbildung von Handwerkern, Ausarbeitung eigener Projekte. 318 Ein weiterer zentraler Vorteil der Rechtsform der Stiftung sei die Möglichkeit der Bildung von Stiftungsorganen: Der Stiftung können Züge einer körperschaftlich organisierten Personenverbindung beigegeben werden. Dies ist bei dem hier angestrebten Zweck besonders wertvoll; denn es geht nicht nur darum, finanzielle Mittel zu äufnen, sondern die aktive Mitwirkung der führenden schweizerischen Wirtschaftskreise zu gewinnen und darüber hinaus, weitere Bevölkerungskreise für den Gedanken der technischen Entwicklungshilfe zu mobilisieren. 319 Um die Mitwirkung aller Wirtschaftskreise zu ermöglichen, welche die Stiftung finanziell unterstützten, war ein eher grosser Stiftungsrat geplant, der einen geschäftsführenden Ausschuss von drei bis sieben Mitgliedern sowie einen Sekretär ernannte, welche sich um das eigentliche Tagesgeschäft kümmerten.320 Um weitere Bevölkerungskreise für das Anliegen der Stiftung zu gewinnen, war die Möglichkeit der Einberufung einer Stiftungsversammlung vorgesehen: Falls die Stiftung das Bedürfnis verspüren sollte, die breite Oeffentlichkeit für ihre Gedanken zu mobilisieren und eine grosse Bewegung ins Leben zu rufen, steht ihr die Möglichkeit offen, eine Stiftungsversammlung einzuberufen, welche die Vertreter all der Institutionen, Verbände, Behörden und weitere Persönlichkeiten umfassen kann, die ideell oder fachlich an der technischen Entwicklungshilfe interessiert oder beteiligt sind. Wir denken da vor allem an Berufsverbände, Presse usw. Diese Stiftungsversammlung ist als beratendes Organ ohne Beschlusskompetenz gedacht, also eine Art Public-relations-Gremium. Ihre Bildung ist fakultativ.321 Zwar wurde die Möglichkeit der Einberufung einer Stiftungsversammlung in Stiftungsurkunde und Statuten beibehalten, aber davon wurde während der ersten zehn Jahre des Bestehens der Stiftung nie Gebrauch gemacht. Eine bedeutende Frage war diejenige der Finanzierung der Stiftungsprojekte, zumal die Konferenz beim Vorort den Zweck verfolgte, von den verschiedenen Wirtschaftskreisen finanzielle Unterstützung zu erhalten. Schürch erklärte, die Stiftung beabsichtige primär mit den „ihr zufliessenden regelmässigen oder einmaligen Beiträgen“ zu arbeiten, da die Zinsen des Stiftungskapitals bei weitem nicht reichen würden. 322 Sodann zeigte er den Anwesenden verschiedene Spendenmöglichkeiten auf: Beiträge mit bestimmtem Verwendungszweck (etwa für eine bestimmte Lehrwerkstätte),

317 Ebd. S. 22 und 24. 318 Vgl. Ebd. S. 24. 319 Ebd. S. 21-22. 320 Vgl. Ebd. S. 23. 321 Ebd. S. 23-24. 322 Ebd. S. 22.

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Beiträge in natura sowie Beiträge in Gemeinschaft mit anderen Spendern. Regelmässige Beiträge ohne Bestimmungen seien jedoch wünschenswert, da sie Planung und Budgetierung der Stiftung vereinfachen würden.323 Zum Schluss seines Referats erwähnte Schürch, dass eine Zusammenarbeit mit dem Bund vorgesehen und dass deshalb der Eidgenössischen Koordinations-Kommission ein Sitz im Stiftungsrat vorbehalten sei. Auch könnten einzelne Projekte der Stiftung vom Bund finanziell unterstützt werden, jedoch habe man aus taktischen Gründen nicht auf finanzielle Zusicherungen des Bunds warten wollen; man wolle diese durch Eigeninitiative erwirken. Das Initiativkomitee beabsichtige, die Stiftung baldmöglichst zu gründen, die Vorbereitungen seien soweit abgeschlossen. 324

2.12. Stellungnahmen von Wirtschaftsvertretern zur geplanten Stiftung

Im Anschluss an die Referate der Konferenz beim Vorort fand eine Diskussion statt. In der Broschüre mit den Referatstexten sind unter der Überschrift „Diskussionsvoten“ einige Äusserungen zusammenfassend wiedergegeben. 325 Ein eigentliches Protokoll ist nicht überliefert. Auffallend ist, dass alle erwähnten Diskussionsvoten die Stiftung befürworteten, dass also keine einzige ablehnende Äusserung angeführt wurde. Es könnte durchaus sein, dass die geplante Stiftung allgemein auf Zustimmung stiess und keine kritische Stimme laut wurde. Es wäre aber auch denkbar, dass kritische, oder gar ablehnende Anmerkungen gemacht, diese aber nicht abgedruckt wurden, da die Broschüre für Werbezwecke konzipiert und verwendet wurde. Berücksichtigt man aber, dass die Broschüre auch an die Teilnehmer der Konferenz versandt wurde, ist diese letzte These eher unwahrscheinlich, da das integrale Weglassen von kritischen Diskussionsvoten eine zu starke Verzerrung der Realität gewesen wäre und vermutlich eher zu Missbilligung als zur Bereitschaft der finanziellen Unterstützung geführt hätte. Eine beschönigende Darstellung der Äusserungen der Konferenzteilnehmer ist hingegen wahrscheinlich, da es sich bei der Broschüre nicht um ein wörtliches Protokoll, sondern um eine zusammenfassende Wiedergabe der Diskussionvoten handelt und dies einen gewissen Spielraum liess für Weglassungen und Kürzungen. Wie weiter oben behandelt, wollte Schindler die Herren Waldesbühl (Nestlé, Vevey), Zschokke (J. R. Geigy AG, Basel) und Schneebeli (Georg Fischer AG, Schaffhausen) bitten, sich in der Diskussion zu äussern. 326 Ob sie persönlich an der Konferenz teilnahmen, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, da keine Präsenzliste überliefert ist und in der

323 Vgl. Ebd. S. 25 324 Vgl. Ebd. 325 Vgl. Ebd. S. 26-27. 326 Vgl. Kapitel 2.10.

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Broschüre keine Namen genannt wurden. Die Verfasserin nimmt jedoch an, dass Waldesbühl und Zschokke an der Konferenz dabei waren, da sie die geplante Stiftung seit längerem unterstützten. Ob von Schindler darum gebeten oder nicht, jedenfalls äusserten sich die Vertreter der Nestlé und der J. R. Geigy AG (welcher auch die CIBA AG, Basel, vertrat) in der Diskussion wohlwollend, wohingegen in der Broschüre keine Äusserung eines Vertreters der Firma Georg Fischer AG erwähnt wurde. Genannt wurden ferner die wohlwollenden Diskussionsvoten der Vertreter der Aluminium-Industrie AG (Zürich), der Schweizerischen Uhrenkammer (La Chaux-de-Fonds), der Conrad Zschokke AG (Genf) sowie der Sulzer AG (Winterthur). 327 Der Vertreter der Nestlé wies darauf hin, dass seine Firma die Gründung einer Stiftung für Entwicklungshilfe der Schweizer Privatwirtschaft „wärmstens“ und „vorbehaltlos“ unterstützen werde, obwohl sie in dieser Hinsicht selbst schon viel unternehme, da sie der Überzeugung sei, „dass die Schweiz – und insbesondere die schweizerische Wirtschaft – einen Akt der Solidarität gegenüber diesen unterentwickelten Ländern vollbringen sollte, indem sie unabhängig von allfälligen späteren Geschäfts- und Gewinnmöglichkeiten diesen Ländern hilft.“ 328 Die hier erwähnten bisherigen Aktivitäten der Nestlé in den Entwicklungsländern waren kommerzieller Art, was aber damals in Wirtschaftskreisen auch als Entwicklungshilfe angesehen wurde. 329 Ähnlich wohlwollend äusserte sich der Vertreter der Aluminium-Industrie AG: Er unterstütze das Vorhaben des Initiativkomitees „wärmstens“; die Aluminium-Industrie werde „an der Verwirklichung dieser Ziele sehr gerne mitarbeiten“. 330 Während die Nestlé und die Aluminium-Industrie AG dem Initiativkomitee Unterstützung versprachen, äusserten die übrigen Wirtschaftsvertreter lediglich ihr Wohlwollen der geplanten Stiftung gegenüber. Der Vertreter der Schweizerischen Uhrenkammer befürwortete die Ziele der geplanten Stiftung und verwies darauf, dass die Uhrenindustrie ähnliche Vorhaben am Realisieren sei. Auch die Conrad Zschokke AG stimme dem Stiftungszweck zu, erklärte deren Vertreter. Er brachte sodann Vorschläge zum Vorgehen bei der Errichtung der Lehrwerkstätten an: Diese müssten von Beginn weg „an bestehende schweizerische Organisationen“ angeschlossen werden. Zudem äusserte er seinen Wunsch nach einem Ausbau der Export-Risiko-Garantie. 331 An welche Art von „Organisationen“ er die

327 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Referatstexte der Konferenz beim Vorort vom 13.4.1959, S. 26-27. 328 Vgl. Ebd. S. 26. 329 Vgl. Dardel, Certitudes et interrogations, S. 345; Schrötter, Schweizerische Entwicklungspolitik, S. 79. 330 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Referatstexte der Konferenz beim Vorort vom 13.4.1959, S. 26. 331 Vgl. Ebd.

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Lehrwerkstätten anzugliedern gedachte, geht aus der Quelle leider nicht hervor. Da er jedoch auch den Ausbau der Export-Risiko-Garantie forderte, kann davon ausgegangen werden, dass er vor allem kommerzielle Interessen verfolgte und nicht primär humanitäre. Demnach könnten mit „Organisationen“ schweizerische Firmenniederlassungen in den Entwicklungsländern gemeint sein. Eher unwahrscheinlich scheint der Verfasserin, dass er damit bestehende Entwicklungshilfsorganisationen meinte, obwohl die Stiftung natürlich von deren Erfahrung hätte profitieren können. Der Vertreter der Firmen CIBA AG und J. R. Geigy AG gab lediglich die „absolut positive Einstellung“ der chemischen Industrie – er sprach auch im Namen der Firmen F. Hofmann-La Roche AG (Basel) und Sandoz AG (Basel) – gegenüber dem Vorhaben des Initiativkomitees bekannt. 332 Etwas bestimmter war das Votum des Vertreters der Sulzer AG: Seine Firma sei an der Errichtung von Lehrwerkstätten in Entwicklungsländern „sehr interessiert“. Auch er fügte noch Empfehlungen zum Vorgehen bei der Errichtung von Lehrwerkstätten an: „Es sei [wichtig], dass bereits bei Beginn der Ausbildung der Leute Klarheit über deren spätern Einsatz herrsche.“ 333 Zudem empfahl er, mit der Fachschule Hard 334 Kontakt aufzunehmen, da diese grosse Erfahrung auf dem Gebiet der Ausbildung besitze. 335 Nach der zusammenfassenden Schilderung dieser wohlwollenden Diskussionsvoten folgte eine kurze Bemerkung, dass der Vertreter der BBC einige Fragen gestellt habe und dass diese von Gloor beantwortet worden seien: „Nach Beantwortung einiger Fragen des Vertreters der BBC durch Herrn Dr. Gloor rekapituliert Herr Dr. Homberger nochmals kurz den Zweck der heutigen Konferenz.“ 336 Auffallend ist, wie knapp die Fragen des Vertreters der BBC erwähnt wurden: Es wurde ihnen nicht einmal ein ganzer Satz gewidmet, sondern es wurde gleich zum nächsten Thema übergeleitet, der abschliessenden Stellungnahme von Homberger. Ebenfalls befremdend ist, dass der Inhalt dieser Fragen nicht geschildert wurde. Diese inhaltliche und sprachliche Kürze könnte damit erklärt werden, dass die Fragen belanglos waren und nicht erwähnenswert schienen. Es könnte aber auch sein, dass sie kritischer Art waren und deshalb absichtlich nicht in der Werbebroschüre abgedruckt wurden. Für diese These spricht, dass der

332 Vgl. Ebd. 333 Ebd. S. 27. 334 Die Fachschule Hard wurde 1935 als Berufslager für arbeitslose Metallarbeiter in Hard-Wülflingen, Winterthur gegründet und 1946 in eine Stiftung umgewandelt. 1962 zog die Fachschule an die Schlosstalstrasse um, wo sie heute noch existiert, nunmehr unter dem Namen „ Schweizerische Technische Fachschule Winterthur“ (STFW). Vgl. Schweizerische Technische Fachschule Winterthur (Hg.): Profil. Das Magazin der STFW 2, 2011, S. 9-10. Online im Internet: http://www.stfw.ch/fileadmin/user_upload/stfw_image_pdf/stfw/Kompetenz/pdf/profil_2_2011.pdf [Stand: 30.4.2012] 335 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Referatstexte der Konferenz beim Vorort vom 13.4.1959, S. 27. 336 Ebd.

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Delegierte des Verwaltungsrats der BBC, Emil Zaugg, sich im Vorfeld der Konferenz bereits ablehnend geäussert hatte, wie weiter oben besprochen. 337 Der Vertreter der BBC verfocht wohl Zauggs Meinung, die geplante Stiftung sei weniger nützlich als kommerzielle Aktivitäten in Entwicklungsländern. Die These, dass sich der Vertreter der BBC kritisch geäussert hatte, wird zudem durch die anschliessende Stellungnahme Hombergers gestützt. Dieser betonte, wie erfreulich es sei, „dass die Bestrebungen des Initiativkomitees von so gewichtiger Seite guten Sukkurs erhalten haben.“ 338 Zudem hob er die Bedeutung der technischen Entwicklungshilfe hervor, welche neben Kapitalhilfe durch Gewährung von Krediten notwendig sei: Es könnte scheinen, die Aufgabe der Wirtschaft gegenüber den unentwickelten Ländern würde ausschliesslich auf der Erleichterung der Kapitalbeschaffung und infolgedessen auf der Gewährung von Krediten beruhen. Zweifellos steht die Kapitalbeschaffung im Mittelpunkt der Probleme, die sich bei der Erschliessung unentwickelter Länder stellen. Die Beschaffung von Kapital ist aber bei weitem nicht alles, ja es kann sogar damit zuviel getan werden. Neben der Kapitalbeschaffung muss ganz besonders der Frage der technischen Hilfe im Sinne der Ausbildung grosse Bedeutung beigemessen werden. 339 Es könnte sein, dass die Fragen des Vertreters der BBC genau darauf abzielten, dass er die Notwendigkeit der technischen Hilfe anzweifelte und stattdessen die Bedeutung der Kapitalhilfe unterstrich. Dies würde erklären, weshalb Homberger so ausführlich die Unzulänglichkeiten der Kapitalhilfe darlegte, wo doch vorher nur befürwortende Äusserungen gefallen waren. Sodann wies Homberger nochmals kurz auf den wirtschaftlichen und politischen Nutzen der geplanten Stiftung hin: Gerade die Schweiz als neutrales Land ist ganz besonders geeignet für die Durchführung einer solchen Aktion. Mit der Gründung von Lehrwerkstätten wird nach und nach eine Grundlage geschaffen für eine fruchtbare Arbeit, die der Schweiz sicher zur Ehre gereichen und sich später voraussichtlich auch wirtschaftlich auswirken wird, obwohl dies nicht primär der Zweck der Bestrebungen ist. 340 Interessant ist, dass Homberger hier das Argument aufnahm, dass die Schweiz als neutrales Land besonders geeignet sei für die Entwicklungshilfe. Dieses Argument hatte Kägi in seinem Referat vorgebracht. Ob Homberger das Argument bereits kannte oder nicht, jedenfalls griff er es zum Schluss der Konferenz nochmals auf, er hielt es also für wichtig. Ebenfalls bedeutsam ist, dass Homberger zwar den langfristigen wirtschaftlichen Nutzen für die Schweiz ansprach, gleichzeitig aber betonte, dass dies nicht das primäre Ziel der geplanten Stiftung sei. Darauf hatte er schon in seiner Eröffnungsrede hingewiesen. Dass er am Schluss

337 Vgl. Kapitel 2.10. 338 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Referatstexte der Konferenz beim Vorort vom 13.4.1959, S. 27. 339 Ebd. 340 Ebd.

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der Konferenz nochmals darauf zurückkam könnte zweierlei bedeuten. Entweder könnte er auf eine fordernde Haltung der Wirtschaftsvertreter reagiert haben, wenn diese einen direkten wirtschaftlichen Nutzen von der geplanten Stiftung erwarteten. In dem Fall wollte er ihre Erwartungen korrigieren und sie auf den humanitären Zweck der Stiftung hinweisen. Oder er könnte auf eine skeptische Haltung der Wirtschaftsvertreter reagiert haben, wenn diese vom wirtschaftlichen Nutzen der geplanten Stiftung nicht überzeugt waren. In diesem Fall wollte er sie nochmals daran erinnern, dass ein wirtschaftlicher Nutzen zu erwarten war, auch wenn dies nicht der eigentliche Stiftungszweck war. Jedenfalls nannte er beide Aspekte nochmals: Den humanitären Zweck der geplanten Stiftung sowie den langfristigen wirtschaftlichen Nutzen. Zum Schluss der Konferenz beim Vorort bat Homberger die Teilnehmer, „die Bestrebungen des Initiativkomitees ideell und materiell nach Kräften zu fördern“. 341 Im Nachgang der Konferenz beim Vorort äusserten sich auf brieflichem Weg noch zwei weitere Wirtschaftsvertreter zur Idee der Stiftung: Elisabeth Feller, Präsidentin des Verwaltungsrats der Adolf Feller AG (Horgen), und Georg Sulzer, Präsident des Verwaltungsrats der Gebrüder Sulzer AG (Winterthur). Die Motivation der beiden, weshalb sie sich brieflich äusserten und nicht mündlich an der Konferenz, war verschieden. Feller hatte an der Konferenz teilgenommen, wollte in der Diskussion aber nicht das Wort ergreifen: Die Zustimmung der Votanten aus der Versammlung heraus war erfreulich – immerhin schien mir das Geschäftsinteresse bei unserer Exportindustrie weit vorne zu stehen. Als Vertreterin einer mittleren, fast ganz auf den Inlandbedarf ausgerichteten Firma, und als Frau wollte ich mich in diesem Gremium nicht äussern. 342 Nach dieser Einschätzung war in der Diskussion beim Vorort der wirtschaftliche Nutzen der geplanten Stiftung ein zentrales Thema, was für die These spricht, dass die in der Broschüre abgedruckten Diskussionsvoten gekürzt und beschönigt wurden. Feller störte sich an dieser eigennützigen Haltung der Vertreter der Exportindustrie, da ihr die politischen und humanitären Motive wichtiger waren: Ihnen darf ich aber wohl sagen, dass mir die ideellen Gründe sehr viel näher liegen, als die materiellen und zwar ebenso sehr die politischen wie die humanitären. […] So glaube ich, dass nicht genug betont werden kann, dass jede Hilfe an unterentwickelte Völker eine Festigung unserer westlichen Kultur und der christlichen Lebenshaltung im Ansturm gegen den Kommunismus bedeutet. Die Verfolgung dieses Zieles macht uns eine Sache, wie diese Stiftung, zu einer Verpflichtung, und ist wohl das Opfer an Zeit und Geld wert, das wir dafür bringen müssen. 343 Die Bekämpfung des Kommunismus war für sie eine dringliche Aufgabe und in der geplanten Stiftung für Entwicklungshilfe sah sie eine Möglichkeit, dieser Aufgabe nachzukommen. Die Motivation Sulzers war wohl eher pragmatisch: Da er an der Konferenz beim Vorort nicht

341 Ebd. 342 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 15.4.1959 von Feller an Schindler, S. 1. 343 Ebd.

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persönlich teilgenommen hatte und da er schriftlich gebeten worden war, dem Initiativkomitee beizutreten, nahm er brieflich Stellung zur geplanten Stiftung.344 Er war durch den Vertreter der Gebrüder Sulzer AG über den Verlauf der Veranstaltung informiert worden, der sich in der Diskussion noch wohlwollend geäussert hatte. Sulzer hingegen zeigte sich der geplanten Stiftung gegenüber zwar wohlwollend, aber skeptisch: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich mir von der geplanten Errichtung von Lehrwerkstätten durch eine schweizerische Stiftung in unterentwickelten Ländern keinen sehr grossen Erfolg verspreche. Andererseits begrüsse ich an und für sich jede Initiative, welche auf lange Sicht unsere Exportmöglichkeiten in günstigem Sinne beeinflussen kann, und es ist auch richtig, dass wir in der Schweiz in dieser Richtung bisher sehr wenig unternommen haben. 345 Daraus geht hervor, dass Sulzer die geplante Stiftung primär als Mittel zur Exportförderung für die Schweizer Wirtschaft ansah – von humanitären oder politischen Motiven spricht er nicht. Er bezweifelte jedoch die Export fördernde Wirkung der geplanten Stiftung, daher seine skeptische Haltung. Er war aber immerhin genug interessiert, dass er sich genauer über die geplante Stiftung informieren wollte und den Entscheid über einen Beitritt zum Initiativkomitee deshalb hinausschob.346 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Initianten die Vertreter der Wirtschaft davon zu überzeugen versuchten, dass die geplante Stiftung die Interessen der Wirtschaft langfristig fördern würde. Die Initianten selbst strebten mit der Stiftung keine Exportförderung an, dies diente lediglich als Argument zur Erlangung der Unterstützung der Wirtschaft. Die Vertreter der Wirtschaft wiederum sahen die Stiftung nicht als Organisation zur Exportförderung an, sondern als Wohltätigkeitsorganisation mit positiven Nebeneffekten für die Schweizer Wirtschaft. Die Initianten waren sich der Haltung der Wirtschaftsvertreter bewusst und hoben deshalb die positiven Auswirkungen für die Schweizer Wirtschaft hervor, ohne den humanitären Charakter der Stiftung abzustreiten.

2.13. Die Gründung der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe

Für die eigentliche Gründung der Stiftung waren Stiftungsurkunde, Statuten, Stiftungskapital, ein Stifter, ein Notar sowie eine Mitgliederliste von Stiftungsrat sowie geschäftsführendem Ausschuss erforderlich. Stiftungsurkunde und Statuten wurden von Schürch seit März 1958 ausgearbeitet und waren Gegenstand verschiedener Diskussionen, wie bereits dargelegt wurde. Da die wichtigsten Punkte (Zweck, Durchführung eigener Projekte, Zusammenarbeit

344 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 21.4.1959 von Schindler an Sulzer, S. 1. 345 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 8.5.1959 von Sulzer an Schindler, S. 1. 346 Vgl. Ebd.

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mit dem SHAG, Art der Finanzierung, Stiftungsorgane) bereits besprochen wurden, wird hier nicht weiter darauf eingegangen. Bereits im August 1958 erklärte sich Nestlé bereit, das Stiftungskapital von zehntausend Schweizerfranken zur Verfügung zu stellen, falls finanzielle Zusagen von weiteren Unternehmen vorlägen. 347 Zwar findet sich in den Quellen kein stichhaltiger Hinweis darauf, dass das Initiativkomitee bereits vor der Gründung vom 6. Mai 1959 weitere finanzielle Zusagen erhalten hatte, dies wäre jedoch gut möglich, da sich an der Konferenz beim Vorort verschiedene Unternehmen wohlwollend geäussert hatten. Dass die Nestlé das Stiftungskapital effektiv zur Verfügung stellte, bestärkt diese Annahme. Als Stifter war zunächst der spätere Bundesrat Wahlen vorgesehen, da dieser als Vater der Anbauschlacht in der ganzen Schweiz bekannt war und sich als Leiter der Abteilung für Landwirtschaft der FAO für die Dritte Welt einsetzte. Im Hof-Piguet hielt Wahlen aus diesen Gründen für besonders geeignet als Stifter, da er über allen Parteistreitigkeiten stand. 348 Bereits im August 1958 wurde Wahlen angefragt, ob er die Rolle des Stifters übernehmen würde, worauf er sich grundsätzlich einverstanden erklärte. 349 Die Situation änderte sich dann aber grundlegend, als Wahlen am 11. Dezember in den Bundesrat gewählt wurde und damit nicht mehr länger als unparteiische Persönlichkeit angesehen werden konnte. 350 In der Sitzung des Initiativkomitees vom 2. April 1959 wurde die Übernahme der Stifterrolle durch Wahlen als „zu delikat“ bezeichnet, nun da er dem Bundesrat angehörte. 351 Neu als Stifter vorgeschlagen wurden die Alt-Bundesräte , Stampfli und Rubattel.352 Die letzteren standen bereits bei der Übernahme des Präsidiums des Initiativkomitees zur Diskussion, wobei Stampfli dieses Amt abgelehnt hatte und Rubattel dann doch nicht angefragt worden war. 353 An der Sitzung wurde beschlossen, dass Schindler zunächst Wetter anfragen sollte und dann Stampfli. Wenn beide absagten, würde man über Guisan und Freymond Rubattel angehen. 354 Zu Wetter und Stampfli hatte Schindler offenbar den nötigen Draht. Vermutlich wurde aber vor allem darum Wetter zuerst angefragt, weil er nicht bereits für die Übernahme des Präsidiums angegangen worden war und so noch unbelastet war. Über

347 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 7.8.1958 von Im Hof-Piguet an Freymond, S. 3. 348 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 23.8.1958 von Im Hof-Piguet an Waldesbühl, S. 2. 349 Vgl. Ebd. sowie AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 22.8.1958 von Im Hof-Piguet an Groschupf, S. 1-2. 350 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 30.12.1958 von Gloor an Schindler, S. 1-2. 351 „Le premier fondateur prévu, Monsieur F. Wahlen, avait pratiquement accepté avant de devenir conseiller fédéral. Mais sa nouvelle charge rend une acceptation plus délicate. Trois nouveaux nom…“ AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokollnotiz Initiativkomitee vom 2.4.1959, S. 2. 352 Vgl. Ebd. 353 Vgl. Kapitel 2.9. 354 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokollnotiz Initiativkomitee vom 2.4.1959, S. 2.

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den Verlauf der Anfragen geben die Quellen nicht weiter Auskunft, das Resultat ist allerdings klar: Wetter zeichnete als Stifter die Stiftungsurkunde. 355 Über Grösse und Zusammensetzung des Stiftungsrats wurde immer wieder diskutiert, je nach Konzeption der Stiftung hielt man die eine oder andere Lösung für geeigneter. So war im April 1958 ein grosser Stiftungsrat, in welchem Bund, SAH, SHAG, Wirtschaft sowie weitere interessierte Kreise vertreten wären, vorgesehen, da man die Stiftung noch als Koordinationsstelle der gesamten Schweizer Entwicklungshilfe plante.356 Sobald einmal festgelegt war, dass die Stiftung eine private Entwicklungshilfsorganisation und nicht eine gesamtschweizerische Koordinationsstelle sein würde, und dass sie primär von der Privatwirtschaft, unter Verzicht auf Bundesmittel, unterstützt würde, war eine solch breite Zusammensetzung des Stiftungsrats nicht mehr angebracht. Im Vorentwurf der Stiftungsurkunde vom November 1958 war nunmehr von einem kleinen Stiftungsrat von maximal neun Mitgliedern die Rede, welcher „mehrheitlich aus Vertretern der schweizerischen Privatwirtschaft zusammengesetzt sein [sollte]“. 357 Nach wie vor war aber dem Bund ein Sitz im Stiftungsrat reserviert, was Schürch im kommentierten Entwurf der Stiftungsurkunde vom Januar 1959 wie folgt begründete: „Die Einräumung eines Sitzes an die mit der technischen Hilfe betraute Bundesstelle hat den Sinn, der Stiftung deren Mitarbeit von vornherein zu sichern. Es liegt im allseitigen Interesse, wenn die staatlichen und privaten Bestrebungen vernünftig koordiniert werden.“ 358 Dieser Passus wurde auch in der Endfassung der Stiftungsurkunde vom Mai 1959 beibehalten, die Grösse des Stiftungsrats wurde jedoch nicht mehr auf neun Mitglieder beschränkt, sondern lediglich über ein Minimum von drei Mitgliedern definiert. 359 Man kam also auf die Idee eines grossen Stiftungsrats, welcher durch einen kleinen, handlungsfähigen Ausschuss ergänzt würde, zurück, oder wollte sich diese Möglichkeit zumindest offen halten. Dieser Entscheid hing mit dem Prozess der Erweiterung des Initiativkomitees zusammen, dessen Mitglieder später den Stiftungsrat bildeten. Seit der konstituierenden Sitzung des Initiativkomitees vom 11. Dezember 1958 wurde danach gestrebt, weitere Mitglieder für das Initiativkomitee zu gewinnen. Zunächst war allerdings noch nicht festgelegt, dass die Mitglieder des Initiativkomitees später den Stiftungsrat bilden sollten. Dies wäre mit dem Konzept eines kleinen Stiftungsrats von neun Mitgliedern unvereinbar gewesen. Es ging also vorerst nur um die Gewinnung von

355 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Stiftungsurkunde vom 6.5.1959 (Typografie). 356 Vgl. Kapitel 2.3. 357 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Vorentwurf Stiftungsurkunde vom November 1958, S. 2. 358 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Entwurf Stiftungsurkunde vom Januar 1959 mit Kommentar, S. 5. 359 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Stiftungsurkunde vom 6.5.1959 (Typografie), S. 2.

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moralischer Unterstützung für die geplante Stiftung. Mit der Übernahme des Präsidiums trieb Schindler die Erweiterung des Initiativkomitees voran, sodass im Februar 1959 bereits gegen dreissig Kandidaten vorgeschlagen waren, wodurch die Mitgliederzahl des Initiativkomitees verdoppelt worden wäre.360 Fürer wies Schindler darauf hin, dass man die Mitgliederzahl des Initiativkomitees nur verdoppeln sollte, wenn man bereit war, den Stiftungsrat entsprechend zu vergrössern, da man schlecht einige Mitglieder des Initiativkomitees in den Stiftungsrat aufnehmen könne und andere nicht. 361 Offenbar wollten die Initianten aber nicht auf die Vergrösserung des Initiativkomitees verzichten und entschieden sich deshalb, wie oben erwähnt, für einen grösseren Stiftungsrat. An der Sitzung des Initiativkomitees vom 2. April 1959 wurde beschlossen, alle Mitglieder des Initiativkomitees in den Stiftungsrat einzuladen und diesen auf zwanzig bis dreissig Mitglieder zu erweitern. 362 An derselben Sitzung wurde ein erster geschäftsführender Ausschuss, bestehend aus Schindler, Fürer, Real, Gloor und Im Hof-Piguet gebildet. 363 Auf Anregung von Freymond wurde im Juni, nach der Gründung der Stiftung, jedoch noch vor der Eintragung im Handelsregister (am 23. Juli) und dem Druck der Gründungsdokumente, Gilbert Etienne in den geschäftsführenden Ausschuss aufgenommen. 364 Etienne war Jurist und Berater des Verbands der schweizerischen Uhrenindustrie (Fédération Horlogère, Biel) betreffend Probleme der Entwicklungsländer; er kannte sich also mit der Thematik bestens aus. Der geschäftsführende Ausschuss hatte laut Stiftungsurkunde aus zwei bis sechs Mitgliedern des Stiftungsrats zu bestehen und wurde von diesem auf eine Amtszeit von vier Jahren gewählt, wobei der erste geschäftsführende Ausschuss wie auch der erste Stiftungsrat und der Präsident der beiden Stiftungsorgane vom Stifter ernannt würden.365 Am 6. Mai 1959 wurde die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe offiziell gegründet, indem Alt-Bundesrat Wetter die Stiftung auf dem Notariat Zürich Altstadt errichtete sowie Stiftungsurkunde und Statuten erliess. 366 Dem ersten Stiftungsrat gehörten folgende Personen an: Charles Aeschimann (Direktionspräsident der ATEL, Olten), Ernst

360 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 13.2.1959 von Schindler and die Mitglieder des Initiativkomitees für Lehrwerkstätten im Ausland. 361 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 17.2.1959 von Fürer an Schindler, S. 1. 362 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokollnotiz Initiativkomitee vom 2.4.1959, S. 3. 363 Vgl. Ebd. S. 1-2. sowie Kapitel 2.4. 364 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 20.5.1959 von Im Hof-Piguet an Schindler, S. 2. sowie Mitgliederliste Stiftungsrat, geschäftsführender Ausschuss und Kontrollstelle vom 6.5.1959. Das Datum bezieht sich auf die Gründung der Stiftung, die Mitgliederliste wurde jedoch erst zwischen Juni und August 1959 gedruckt. Am 8. August wurde sie zusammen mit anderen Unterlagen an interessierte Kreise versandt. Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Zirkular vom 8.8.1959 der Stiftung, S. 1. 365 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Stiftungsurkunde vom 6.5.1959 (Typografie), S. 2. 366 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Stiftungsurkunde und Statuten vom 6.5.1959 (Typografien).

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Boerlin (Regierungsrat und Nationalrat, Liestal), Alfred Borel (Anwalt, Staatsrat und Nationalrat, Genf), Walther Bringolf (Stadtpräsident und Nationalrat, Schaffhausen), René Bühler (Nationalrat, Gebrüder Bühler, Uzwil), (Presidente del consiglio direttivo delle Officine Idroelettriche della Maggia S.A., Lugano), Sydney de Coulon (Ständerat, Generaldirektor der Ebauches S.A., Neuchâtel), Gilbert Etienne (Jurist, Berater des Verbands der schweizerischen Uhrenindustrie, Fédération Horlogère, Biel), Elisabeth Feller (Präsidentin des Verwaltungsrats der Adolf Feller AG, Horgen), Prof. Jacques Freymond (Direktor IUHEI, Genf), Arthur Fürer (Vizedirektor der Nestlé, Entre-deux-villes/Vevey), Peter Gloor (Leiter der Geschäftsstelle des Verbands Schweizerischer Transit- und Welthandelsfirmen, Präsident des SHAG, Basel), Charles H. Gossweiler (Vizepräsident des Verwaltungsrats der Dr. A. Wander AG, Bern), Ludwig Groschupf (Direktor der Lloyd AG, Basel), Louis Guisan (Jurist, Staatsrat und Nationalrat, Lausanne), Fritz Hinderling (Generaldirektor der Schweizerischen Volksbank, Bern), Fritz Hummler (Delegierter für Arbeitsbeschaffung, Direktor der Ateliers de constructions mécaniques de Vevey S.A., Bern), Anne-Marie Im Hof-Piguet (Lic. litt., Bern), Caspar Jenny (Vizepräsident des Vororts, Fritz & Caspar Jenny, Ziegelbrücke), Prof. Werner Kägi (Ordinarius für öffentliches Recht an der Universität Zürich, Zürich), Prof. Paul Keller (Präsident des Verwaltungsrats der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft, Zürich), Prof. Carl Ludwig (Präsident der SAH, Basel), André de Meuron (Delegierter des Verwaltungsrats der Gardy S.A., Genève), Jean Möri (Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds, Bern), Arnold Muggli (Zürich), Guido Petitpierre (Verwaltungsratspräsident der Suchard Holding S.A., Präsident der Waadtländischen Handelskammer, Lausanne), Fritz Real (Schweizer Minister, Schwyz [in Zürich]), Peter Reinhart (Inhaber der Gebrüder Volkart, Winterthur), Olivier Reverdin (Nationalrat, Chefredaktor des „Journal de Genève“, Genf), Hans Schindler (Delegierter des Verwaltungsrats der Maschinenfabrik Oerlikon, Zürich), Max Schmidheiny (Delegierter des Verwaltungsrats der Holderbank Financière Glarus AG, Heerbrugg), Max Schneebeli (Direktionspräsident der Georg Fischer AG, Schaffhausen), Gerhart Schürch (Fürsprecher und Notar, Bern), Karl Türler (Generaldirektor des Schweizerischen Bankvereins, Basel), Theodor Waldesbühl (Generaldirektor der Nestlé, Entre-deux-villes/Vevey), Ernst Wüthrich (Präsident des Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiter-Verbands, Bern), Hans-Peter Zschokke (Mitglied des Direktoriums der J.R. Geigy AG., Basel).367

367 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Mitgliederlisten Stiftungsrat, geschäftsführender Ausschuss und Kontrollstelle vom 6.5.1959 (in gedruckter Form den Statuten beigelegt). Die Auflistung der Namen ist alphabetisch gehalten. Die näheren Bezeichnungen betreffend Funktionen sind von der Mitgliederliste

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Diese Mitgliederliste des Stiftungsrats ist imposant, sind doch viele bekannte Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik angeführt. Dies war wohl beabsichtigt, denn der Stiftungsrat hatte vor allem repräsentative Aufgaben, die Geschäftsführung lag beim Ausschuss. Die beiden Hilfsorganisationen SHAG und SAH waren durch ihre Präsidenten Gloor und Ludwig ebenfalls prominent vertreten. Als Vertreter des Bunds könnte Minister Real gegolten haben. Ein besonderes Anliegen war dem Initiativkomitee der Einbezug der Gewerkschaften, zumal sie bei der Anstellung von geeignetem Personal für die Lehrwerkstätten direkt betroffen sein würden.368 Die Gewerkschaften waren deshalb mit Möri und Wüthrich ebenfalls im Stiftungsrat vertreten. Die Kontrollstelle war mit den Revisoren Frédéric Ruedi (Ehemaliger Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle, Lausanne) und Hans Erny (Direktor des Schweizerischen Bankvereins, Zürich) sowie den Ersatzrevisoren Eugen Roesle (Direktor der Bank Leu & Co. AG, Zürich) und Hans Birner (Sekretär der Lateinamerikanischen Handelskammer in der Schweiz, Basel) ebenfalls prominent besetzt. 369 Die ersten Aufgaben der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe waren die Anstellung eines geeigneten Sekretärs, die Geldsammlung bei der Schweizer Privatwirtschaft sowie die Planung von ersten Projekten in Entwicklungsländern. Diese Aufgaben wurden vom geschäftsführenden Ausschuss angegangen; der Stiftungsrat hielt seine erste Sitzung erst am 6. Juli 1960 ab. Die Stiftung hatte Erfolg bei der Geldsammlung. Sie erhielt die nötigen Mittel von einer Million Schweizerfranken pro Jahr. Der Löwenanteil spendete die Metall- und Maschinenindustrie, gefolgt von der Nahrungsmittelindustrie, den Versicherungen und den Banken. 370 Das Eintreiben der Mittel und die Bitte um die Verlängerung eines Beitrags waren jedoch stets ein mühseliges Unterfangen und mit persönlichen Vorsprachen Schindlers und Im Hof-Piguets verbunden. 371 Die Stiftung wurde von der Wirtschaft eben doch primär als eine wohltätige Organisation angesehen – sonst hätte sie grössere Summen gespendet.

übernommen worden, wobei französische Bezeichnungen übersetzt und akademische Titel weitgehend weggelassen wurden. 368 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 1.10.1958 von Rinderknecht an Wüthrich; AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 25.3.1959 von Im Hof-Piguet an Wüthrich; sowie AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 3.4.1959 von Wyss an Im Hof-Piguet. 369 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Mitgliederlisten Stiftungsrat, geschäftsführender Ausschuss und Kontrollstelle vom 6.5.1959 (in gedruckter Form den Statuten beigelegt). 370 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1960, S. 2. 371 Vgl. Im Hof-Piguet, Akademie der Menschenrechte, S. 37.

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III ERSTE PROJEKTE DER STIFTUNG IN DEN 1960ER JAHREN

1. Überblick über die Projekte der 1960er Jahre

Die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe begann im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens, in den 1960er Jahren neun Projekte in Asien, Afrika und Lateinamerika. Das erste Projekt war die Errichtung einer Lehrwerkstätte für Präzisionsmechaniker in Chandigarh, Indien. Später kamen Nigeria, Dahomey (ab 1975 Benin), Pakistan, Tunesien und Algerien dazu. Ab 1966 unternahm die Stiftung erste Projekte in Lateinamerika, zunächst in Peru, dann auch in Costa Rica und Brasilien. Dass die Stiftung anfänglich keine Projekte in Lateinamerika aufnahm, lag daran, dass die Hilfe in Afrika und Asien nötiger schien: Als sie 1960 eine Projektanfrage Ecuadors erhielt, fragte sie beim Bund nach, ob dieser Projekte in Lateinamerika plane. 372 Der Bund gab der Stiftung Auskunft, dass er keine eigentliche geographische Strategie verfolge, sondern von Fall zu Fall entscheide, ob ein Projekt unterstützt werde oder nicht. Generell hätte aber Afrika Vorrang, gefolgt von Asien – Lateinamerika käme an letzter Stelle, da die lateinamerikanischen Staaten nicht auf kostenlose Hilfe angewiesen seien. 373 Die Stiftung richtete sich dann nach der Linie des Bunds und verzichtete vorerst auf Projekte in Lateinamerika. Im Folgenden werden drei Projekte detailliert untersucht, um die eingangs gestellten Forschungsfragen zu beantworten. An dieser Stelle sollen kurz die Kriterien offengelegt werden, welche bei der Wahl dieser drei Fallbeispiele mitspielten. Das eine Kriterium war der Zeitpunkt des Projektbeginns bzw. die Projektdauer. Es wurden nur Projekte ausgewählt, welche in den frühen 1960er Jahren begonnen worden waren, damit der Verlauf der Projekte über eine genügend lange Spanne verfolgt werden konnte, ohne den Untersuchungszeitraum (1959-1971) zu sprengen. Dadurch fielen die Projekte in Lateinamerika sowie dasjenige in Algerien, das erst 1968 aufgenommen worden war, weg. Das zweite Kriterium war die Verschiedenheit der Projekte auf geografischer, inhaltlicher und struktureller Ebene. Es sollten Projekte von Asien und solche von Afrika vertreten sein, Projekte aus verschiedenen Tätigkeitsgebieten (Ausbildung von Handwerkern, Landwirtschaft), selbstständige Projekte der Stiftung sowie solche in Zusammenarbeit mit dem Bund. Von den verbliebenen Projekten

372 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 8.7.1960 der Stiftung an den Dienst für Technische Hilfe (EPD), S. 1. 373 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 16.7.1960 des Dienstes für Technische Hilfe (EPD) an die Stiftung, S. 1.

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wurden so diejenigen in Indien (Stiftungsprojekt, Präzisionsmechanik), Dahomey (Stiftungsprojekt, Landwirtschaft) und Tunesien (gemeinsames Projekt mit Bund, Elektrik/Mechanik) ausgewählt. Das Projekt in Nigeria wird im Zusammenhang mit der Wahl Dahomeys als Partnerland thematisiert; dabei handelte es sich vielmehr um mehrere kleinere Projekte, die alle von kurzer Dauer waren. Auf das Projekt in Pakistan wurde verzichtet, weil es demjenigen von Indien inhaltlich und geografisch zu ähnlich war; hier wurde dem ersten Stiftungsprojekt überhaupt, demjenigen in Indien, der Vorzug gegeben.

2. Projekt in Indien 1961-1968

2.1. Erste Projektabklärungen in Asien und Wahl Indiens als Partnerland

Um erste Projektmöglichkeiten abzuklären, reiste Fritz Real im November 1959 im Auftrag der Stiftung nach Indien, Pakistan, Ceylon (ab 1972 Sri Lanka) und Nepal. Diese Länder erhielten neben dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme, UNDP) bereits beträchtliche bilaterale Hilfe. Neben den USA, der UdSSR und privaten Organisationen planten vor allem die Bundesrepublik Deutschland (BRD), Frankreich, Japan, Schweden und Norwegen Projekte in diesen Ländern; einige dieser Projekte waren bereits in Gang. Insbesondere interessierte die Stiftung die Tätigkeit der BRD und Schwedens, welche beide die technische Ausbildung mittels Lehrwerkstätten förderten – der Bereich, in dem auch die Stiftung zu agieren gedachte. 374 Die Stiftung betrachtete die bestehenden Lehrwerkstätten dieser beider Länder als Massstab für ein eigenes Projekt. Eine allfällige schweizerische Lehrwerkstätte dürfe denjenigen der BRD und Schwedens in Grösse und Qualität um nichts nachstehen, da sie die Schweiz repräsentiere: „Toute entreprise réalisée par notre Fondation dans les pays visités doit être de premier ordre. Elle représentera la Suisse. Une telle entreprise ne craindra pas la comparaison avec les réalisations d’autres nations du standing de la Suisse.“ 375 Neben dem politischen Motiv, im Wettbewerb der Industrieländer mitzuhalten, spielten auch wirtschaftliche Motive eine Rolle bei der Wahl Indiens als Partnerland. Die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung Indiens war von beachtlichem Ausmass, die Grundschulbildung und die technische Ausbildung wurden vom Staat gefördert. Es bestand also eine Basis, auf der man aufbauen konnte und die auch Erfolg versprach. Gleichzeitig war ein echter Bedarf

374 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1959, S. 4-5. 375 Ebd. S. 5.

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vorhanden, bei dem die Stiftung ihre Tätigkeit ansetzten konnte: Es mangelte an qualifizierten Arbeitern und Vorarbeitern im Bereich Präzisionsmechanik und Herstellung von Präzisionswerkzeugen. Indien begrüsste ein schweizerisches Ausbildungsprojekt in diesem Bereich und schlug eine Lehrwerkstatt für fünfzig Schüler mit vier bis fünf Schweizer Experten vor. Die Stiftung beschloss, Berufsexperten zu kontaktieren, welche die Umsetzung eines Projektes einer Lehrwerkstätte für Präzisionsmechanik, insbesondere Infrastruktur- und Personalbedarf, studieren sollten. 376 Warum Indien als Partnerland für die Realisierung eines Projektes gewählt wurde, zeigen insbesondere auch die Argumente, welche gegen andere Länder sprachen. In Pakistan war die Industrie noch nicht so stark fortgeschritten wie in Indien und es bestand Bedarf in verschiedensten beruflichen Ausbildungen. Die Stiftung hatte Kontakt zu einer privaten pakistanischen Stiftung, welche eine Ausbildungsstätte in Lahore plante. Das Projekt war jedoch noch wenig ausgereift und es bedurfte weiterer Abklärungen. 377 Erst 1963 konnte ein Vertrag mit der pakistanischen Regierung abgeschlossen werden, wobei es sich nicht mehr um das Projekt in Lahore handelte, sondern um eine Lehrwerkstätte für Präzisionsmechanik in Karachi nach dem Vorbild des indischen Projektes. 378 Die geringe Industrialisierung und der hohe Bedarf an beruflicher Fachausbildung stellten eine schwierigere Ausgangslage für die Aufnahme eines Projektes dar, zumal offenbar nicht klar war, wo man beginnen sollte. Dies führte zur Verzögerung durch mehrjährige Abklärungen, während deren erste Erfahrungen in Indien gesammelt werden konnten. Im Gegensatz zu Pakistan, wo die Stiftung später doch noch ein Projekt aufnahm, verzichtete sie auf eine Tätigkeit in Ceylon und Nepal. Die Abklärungen Reals ergaben, dass in Ceylon nur der Staat als Projektpartner in Frage kam, und dass dieser angesichts der instabilen politischen Situation unzuverlässig sei. Deshalb wollte man vorerst von einem Projekt in Ceylon absehen. 379 Dabei blieb es: Das Land taucht in den 1960er Jahren nie mehr als mögliches Partnerland in den Akten auf. In Nepal konnte Real das Team des SHAG besuchen, das in Zusammenarbeit mit der FAO und dem Colombo-Plan die Milchwirtschaft unterstützte. Die Stiftung wollte dem SHAG nicht in die Quere kommen und sah deshalb davon ab, in Nepal ein eigenes Projekt aufzunehmen: „La Fondation est d’avis de laisser continuer l’ASRE avec cette œuvre au Népal. Elle n’a pas de raison de déployer son activité

376 Vgl. Ebd. S. 5-6. 377 Vgl. Ebd. S. 5. 378 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1963, S. 5. 379 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1959, S. 6.

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dans ce pays.“ 380 Indien wurde also aus folgenden Gründen als Partnerland für die Aufnahme eines Projektes gewählt: Präsenz anderer Geberländer, fortgeschrittene wirtschaftliche und industrielle Entwicklung, konkrete Projektidee, politische Stabilität, zuverlässiger Partner, sowie Absenz des SHAG.

2.2. Vertragsabschluss und Suche eines geeigneten Standorts

Die Gespräche mit dem indischen Partner Maneklal S. Thacker vom Council of Scientific and Industrial Research (CSIR) ergaben folgende Projektskizze: Die Stiftung sollte den Leiter des „Indo-Swiss Training Center“ für Präzisionsmechaniker stellen, maximal sieben Fachkräfte sowie die maschinelle Ausrüstung. Die indischen Partner sollten für Bauland, Gebäude, Unterkunft, Hilfskräfte und die übrigen laufenden Betriebskosten aufkommen. Rund hundert Schüler sollten an der Lehrwerkstätte für eine dreijährige Ausbildung aufgenommen werden. Die Kosten für die Stiftung wurden auf dreihunderttausend Schweizerfranken Lohnkosten pro Jahr plus einmalige Kosten von einer Million Schweizerfranken für die Anschaffung der Maschinen veranschlagt. Ziel war es, die Lehrwerkstätte nach fünf bis acht Jahren ganz an Indien zu übergeben. 381 Die Projektskizze von 1960 war im Vergleich zu den anfänglichen Ideen stark angewachsen: Die geplante Schule sollte doppelt so viele Schüler aufnehmen können und auch über mehr Schweizer Fachkräfte verfügen als ein Jahr zuvor beabsichtigt. Die Stiftung war sich bewusst, dass dies ein grosses und schwieriges Unterfangen war, das zu dieser Zeit den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausmachte: „Das finanziell und organisatorisch anspruchsvolle Indienprojekt stellt das Hauptprojekt der Stiftung dar“, wie es im Jahresbericht 1960 hiess. 382 In der Tat war das Indienprojekt am weitesten vorangeschritten. Zu diesem Zeitpunkt waren zwar Abklärungen in weiteren Ländern im Gang – so in Pakistan, Nigeria und Dahomey (ab 1975 Benin) – doch ein konkretes Projekt war einzig in Dahomey in Sicht, dieses war aber noch wenig fortgeschritten und kleiner als dasjenige in Indien. Im März 1961 konnte der Vertrag mit dem indischen Partner CSIR unterschrieben werden. Zur Umsetzung des Vertrags und zur Abklärung eines geeigneten Standorts der künftigen Lehrwerkstätte reisten Real, Reinhold Schuepp (ehemaliger Generaldirektor der Voltas Ltd., Bombay) und Fritz Claus (designierter Direktor der Lehrwerkstätte) nach Indien. Nach der Besichtigung von zwölf Orten, welche Thacker als mögliche Standorte vorgeschlagen hatte, machten die Schweizer einen „empfehlenden Dreier-Vorschlag“ zuhanden Thackers. Erste

380 Ebd. 381 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1960, S. 3-4. 382 Ebd. S. 4.

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Priorität war Poona, hundertfünfzig Kilometer östlich von Bombay (dem heutigen Mumbai), zweite Priorität Chandigarh, zweihundertfünfzig Kilometer nördlich von Neu Delhi und dritte Priorität Lucknow, vierhundert Kilometer südöstlich von Neu Delhi gelegen.383 Ein Argument, das bei der Standortwahl mitspielte, war die Nähe zu einer diplomatischen Vertretung der Schweiz, welche bei Bedarf den Direktor der Lehrwerkstätte unterstützen könnte. 384 Diese Bedingung erfüllten Chandigarh und Lucknow durch die Nähe zur Schweizerischen Botschaft in Delhi. In Bombay befand sich das Generalkonsulat, das vielleicht ebenfalls Unterstützung leisten konnte, sodass auch Poona diese Bedingung erfüllte.385 Der Hauptgrund für die Bevorzugung Poonas vor Chandigarh war jedoch die Nähe zum industriellen Zentrum Bombay: „Nous aurons préféré Poona parce que cette ville se trouve plus près d’un centre industriel que Chandigarh. D’autre part nous considérons Chandigarh tout à fait acceptable.“ 386 Die Inder wählten Chandigarh als Standort, Hauptstadt des Bundesstaates Punjab, die zweite Präferenz der schweizerischen Studiengruppe und insofern auch für die Schweizer eine befriedigende Wahl. Die Wahl des Standorts war ein politisch motivierter Entscheid. Während der CSIR im Bundesstaat Maharashtra (dem Poona angehörte) bereits drei Institutionen errichtet hatte, gab es im Bundesstaat Punjab (dem Chandigarh angehörte) noch keine einzige nationale Institution. Die Lokalregierung Punjab wünschte deshalb ausdrücklich die Errichtung einer solchen Institution in ihrem Bundesstaat – dieses Begehren konnte die Regierung schlecht abweisen. 387 Claus wurde bereits 1961 als Direktor angestellt, um die Vorbereitungen beginnen zu können. Die Maschinen und Werkzeuge wurden bestellt. Drei schweizerische Spezialisten wurden kontaktiert, welche als erste Instrukteure vorgesehen waren. Im Oktober schickte die Stiftung Edwin Lenzlinger, Zivilingenieur, nach Indien, um den Bau der Schulgebäude zu leiten. Die Eröffnung der Schule war auf Herbst 1962 geplant. 388 Bei der Suche nach geeigneten Schweizer Instrukteuren wurde die Stiftung durch die Schweizer Privatwirtschaft unterstützt.389

383 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 4.5.1961, S. 2. 384 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 17.5.1960, S. 4. 385 Die Schweizer Botschaft in Neu Delhi wurde 1947 geschaffen. Daneben gab es konsularische Vertretungen in Bombay (Generalkonsulat) und Kalkutta. Vgl. Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Schaffung neuer Gesandtschaften in Indien und Siam vom 2. Juni 1947, in: Bundesblatt, Nr. 22, 5.6.1947, S. 281-286. Online im Internet: http://www.amtsdruckschriften.bar.admin.ch/viewOrigDoc.do?id=10035885 [Stand: 30.4.2012] 386 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Brief vom 31.8.1961 von Real an Etienne, S. 1. 387 Vgl. Ebd. 388 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1961, S. 3-4. 389 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 17.5.1960, S. 5.

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2.3. Eröffnung des „Indo-Swiss Training Center“ in Chandigarh

Der Bau der Schulgebäude durch indische Bauunternehmen kam langsamer voran als erwartet, weshalb die Eröffnung der Schule auf 1963 verschoben werden musste. Lenzlinger sah das Hauptproblem bei den Indern, deren Organisation mangelhaft sei. Der indische Partner CSIR übertrug die Ausführung des Projekts einer neu geschaffenen Stelle, der Central Scientific Instruments Organisation (CSIO), welche damals nicht über das nötige Fachpersonal verfügte. Offenbar funktionierte auch die Zusammenarbeit zwischen CSIO und CSIR nicht gut. Nach Reals Schilderungen vor dem geschäftsführenden Ausschuss war Lenzlinger überaus eifrig und manchmal auch ungeduldig, was auf indischer Seite auf Unverständnis und Widerstand stiess. Es scheint also auf beiden Seiten Schwierigkeiten gegeben zu haben. Der Fachausschuss der Stiftung schätzte die Verzögerung der Bauarbeiten als üblich ein – der ursprüngliche Zeitplan sei zu knapp gewesen und hätte auch in der Schweiz nicht eingehalten werden können. 390 Der bisherige Leiter des CSIR Thacker wurde in die Planungskommission der Regierung Indiens berufen; neuer Leiter des CSIR wurde Syed Husain Zaheer. 391 Sparmassnahmen der indischen Regierung wegen dem Indisch-Chinesischen-Grenzkonflikt führten zu einer Kürzung des Budgets des CSIR und somit zu Einschränkungen bei den indischen Leistungen für den Bau der Schulgebäude. 392 Trotz erneuten zeitlichen Verzögerungen bei den Bauarbeiten konnte das „Indo-Swiss Training Center“ wie geplant am 1. Oktober 1963 eröffnet werden. Das Interesse für die Ausbildung in der Lehrwerkstätte für Präzisionsmechanik war gross: Auf Inserate in indischen Tageszeitungen meldeten sich tausendvierhundert Kandidaten. Nach einer Vorselektion wurden zweihundert Kandidaten für eine „theoretische, praktische und psychotechnische Eignungsprüfung“ zugelassen, wodurch schliesslich sechsunddreissig Lehrlinge ausgewählt wurden. 393 Vier indische Hilfsinstruktoren wurden rekrutiert, um die Schweizer Instrukteuren bei der Ausbildung der Lehrlinge zu unterstützen. Spannend ist, dass zwei dieser Hilfsinstruktoren zuvor das Ausbildungszentrum für Präzisionsmechaniker des HEKS in Tellicherry in der Provinz Kerala besucht hatten. Zudem wirkte Claus, der Leiter des „Indo-Swiss Training

390 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 23.2.1962, S. 1-2. 391 Die Planungskommission wurde 1950 gegründet und hatte den Auftrag, 5-Jahrespläne auszuarbeiten zur effizienten Ressourcenbewirtschaftung, zur Steigerung der Produktion und zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Ziel war die Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung. Vgl. den Beitrag zur Geschichte auf der Website der Planning Commission, Government of India: About Us. History. Online im Internet: http://planningcommission.nic.in/aboutus/history/index.php?about=aboutbdy.htm [Stand: 30.4.2012] 392 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1962, S. 4. 393 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1963, S. 3.

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Center“ in Chandigarh, als Experte bei den Lehrabschlussprüfungen in Tellicherry mit. Die Stiftung konnte hier von den Erfahrungen des HEKS profitieren, das bereits seit 1959 in Südindien tätig war. 394 Auffällig ist ferner, dass beide Hilfswerke Lehrwerkstätten für Präzisionsmechanik betrieben. Man könnte einen Nachahmungseffekt vermuten, dies war aber in diesem Fall nicht ausschlaggebend. Vielmehr war die Präzisionsmechanik ein Gebiet, auf dem in Indien kaum Ausbildungsmöglichkeiten bestanden. Indien wünschte deshalb explizit Unterstützung in diesem Bereich, wie Real dem geschäftsführenden Ausschuss in der Sitzung vom 15. Januar 1960 darlegte: Indischerseits sei vorab ein starker Ausbildungsbedarf im Gebiete der Präzisionsmechanik (Instrumenten- und Werkzeugmacher, Stanzer) geltend gemacht worden. Ausser bei einigen wenigen grossen staatlichen und privaten Unternehmen bestünde hiefür kaum eine systematische Ausbildungsmöglichkeit. 395 Zudem war Präzisionsmechanik ein Gebiet, in dem die Schweiz fundierte Kenntnisse und Erfahrung besass. Im Hof-Piguet bezeichnete die Präzisionsmechanik gar als ein „Sondergebiet […], das für die Schweiz repräsentativ sei und sich bei einem Vergleich mit der geleisteten Entwicklungshilfe anderer Länder sehr gut ausnehme“. 396 Dies waren wohl Gründe genug, dass auch die Stiftung wie schon das HEKS auf diesem Gebiet tätig wurde. Noch im Jahr der Eröffnung der Lehrwerkstätte in Chandigarh wurde ein Beratungsausschuss gebildet, der aus schweizerischen und indischen Vertretern der Wirtschaft und Industrie bestand. Für die Stiftung nahmen P. Gregori (Voltas Ltd., Bombay), W. Ziegler (Hindustan Electric Co., Faridabad / Neu Delhi) und Alfred Frischknecht (HEKS-Training Centre Tellicherry) im Gremium Einsitz. Die indischen Vertreter waren 1963 noch nicht benannt. Die Stiftung glaubte, dass dieses Gremium ihren Einfluss auf das Projekt stärken würde: „Damit hat das Training Centre auch in Indien selbst einen wertvollen schweizerischen Rückhalt bekommen“. 397 Dass mit Alfred Frischknecht ein Mitarbeiter des HEKS-Hilfwerkes Tellicherry im Beratungsausschuss mitwirkte, zeigt erneut, dass die beiden Hilfswerke eng zusammenarbeiteten.

2.4. Ausbildung von Präzisionsmechanikern nach schweizerischem Modell

Bereits in dem frühen Stadium, in dem sich das Indienprojekt noch befand, erhielt die Stiftung Anerkennung von unerwarteter Seite. Nach einem Besuch in Chandigarh bat der Spezialfonds

394 Vgl. zur Tätigkeit des HEKS in Südindien das Kapitel „Die Anfänge der kirchlichen Entwicklungshilfe“ in Holenstein, internationale Solidarität, S. 119-125. 395 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 15.1.1960, S. 1. 396 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 17.5.1960, S. 4. 397 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1963, S. 5.

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der UNO die Stiftung, einen Experten zu entsenden für die Errichtung einer ähnlichen Lehrwerkstätte in Südkorea. Diese Anfrage freute die Stiftung, da sie sich in ihrer Arbeit bestätigt fühlte und den Entscheid, sich auf die Berufsausbildung zu konzentrieren, als richtig ansah. 398 Nach Ablauf des ersten Schuljahres war die Bilanz durchaus positiv: Von sechsunddreissig Lehrlingen hatte nur einer die Jahresabschlussprüfung nicht bestanden. Geprüft wurden folgende Fächer: Arbeit in der Werkstatt, Führung des Werkstatt-Journals, Kenntnis der Branche, Kenntnis der Materialien, künstlerisches Zeichnen, technisches Zeichnen, Mathematik, Geometrie, Englisch und Indisch. Diese Fächerauswahl zeigt, dass eine fundierte Ausbildung nach dem Vorbild des schweizerischen Modells der Berufslehre angestrebt wurde. Die Noten, welche die Lehrlinge erreichten, korrelierten mit jenen der Aufnahmeprüfung, woraus die Stiftung schloss, dass das Auswahlverfahren geeignet sei. Unterdessen war auch der Bau der Gebäude schon fast beendet. 399 Im Jahr 1964 kamen zwei zusätzliche Schweizer Instrukteure in Chandigarh an, sodass nunmehr sechs Schweizer Instrukteure am Projekt beteiligt waren. Die Instrukteure brachten ihre Familien mit, da sie ständig vor Ort sein mussten und sich für mindestens drei Jahre zu verpflichten hatten. So entstand in Chandigarh eine kleine Schweizer Kolonie von bislang vierzehn Personen. 400 Die Familien nahmen auch am Alltag im Ausbildungszentrum teil, wie die Würdigung der verstorbenen Frau des Leiters Claus im Jahresbericht 1965 zeigt: „[Frau Claus trug] als unermüdliche Gastgeberin, durch ihre Hilfsbereitschaft in kleinen und grossen Nöten des Alltags und mit ihrer Sorge um das Wohl der Lehrlinge […] viel zum bisherigen Gelingen unseres Werkes in Chandigarh bei.“ 401 Im Jahr 1965 startete der dritte Lehrgang, weshalb erneut zwei zusätzliche Schweizer Instrukteure angestellt wurden. Künftig strebte die Stiftung jedoch danach, die Zahl schweizerischer Instrukteure kontinuierlich zu senken und durch indische zu ersetzen: „Die schweizerischen Instrukteuren sollen durch Inder ersetzt werden, die wir selbst ausgebildet haben. Wir rechnen damit, dass wir spätestens 1967/68 für das erste Lehrjahr vollwertige indische Lehrer einsetzen können.“ 402 Die Übergabe des Projektes an einheimische Kräfte entsprach dem Prinzip der „Hilfe zur Selbsthilfe“, welches die Stiftung seit ihrer Gründung als zentral betrachtete. Durch die Ausbildung von

398 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1964, S. 3. 399 Vgl. Ebd. S. 5. 400 Vgl. Ebd. 401 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1965, S. 5. 402 Ebd. S. 4.

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einheimischen Lehrkräften und durch die schrittweise Ablösung sollte die Qualität der Ausbildung gesichert werden. Um den Lehrabgängern den Einstieg ins Berufsleben zu sichern, wurde bereits 1965 nach Stellen für die Lehrlinge des dritten Lehrjahres gesucht, welche im September 1966 von der Schule abgehen würden. Die Stiftung pflegte Kontakte zur Industrie: Sie bekam vom CSIO und von indischen Firmen (darunter auch schweizerische Unternehmen mit Sitz in Indien) Produktionsaufträge, welche die Lehrlinge in der Werkstatt ausführen konnten. Der Beratungsausschuss wurde 1965 mit neuen schweizerischen Vertretern besetzt.403

2.5. Vertragsverlängerung und Erweiterung des Ausbildungszentrums

Da der Vertrag mit dem indischen Partner CSIR im März 1966 auslief, war Piara Singh Gill, Direktor des CSIO – der ausführenden Stelle –, für Verhandlungen in Zürich. Sowohl die Stiftung als auch die CSIO wünschten eine Weiterführung der Zusammenarbeit. Die Verhandlungen in Zürich führten zu einem Entwurf einer Vertragsverlängerung um zwei Jahre mit der Möglichkeit einer stillschweigenden Verlängerung um weitere zwei Jahre. Der Entwurf enthielt den Beschluss, die Zahl der Lehrlinge von sechsunddreissig auf fünfzig zu erhöhen, sobald die Unterkünfte entsprechend ausgebaut worden waren. Zudem sollten pro Schweizer Instrukteur zwei indische Instrukteure angestellt werden, um der höheren Zahl Lehrlinge gerecht zu werden. Die zusätzlich nötige technische Ausrüstung sollte soweit möglich in der Lehrwerkstätte selbst hergestellt, oder aber in Indien beschafft werden; den Rest lieferte die Stiftung aus der Schweiz. Die Schaffung von zusätzlichen Ausbildungsplätzen war ein expliziter Wunsch des indischen Partners. 404 Im Rahmen der Vertragsverhandlungen wurde zudem die weitere Entwicklung des Ausbildungszentrums in Chandigarh angesprochen. Zur Diskussion standen die Schaffung einer 2-jährigen Anschlussausbildung für Fortgeschrittene sowie eine allfällige Errichtung weiterer Lehrwerkstätten nach dem Vorbild von Chandigarh an anderen Orten in Indien. Ein Beschluss über diese Ideen wurde jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht gefasst, die Stiftung und der CSIR wollten noch darüber beraten. 405 1966 fanden die ersten Lehrabschlussprüfungen statt, welche bis auf einen einzigen alle Kandidaten bestanden. Die Stiftung betonte im Jahresbericht, dass der Lehrgang in Chandigarh mit einem schweizerischen Abschluss vergleichbar, wenn nicht noch

403 Die neuen schweizerischen Vertreter waren Berchthold (BBC, Baden), Hurter (Contraves AG, Zürich), Nägeli (Nestlé, Vevey) und Thalmann (Voltas Ltd., Bombay).Vgl. Ebd. S. 5-6. 404 Vgl. Ebd. 405 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 13.12.1965, S. 2.

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anspruchsvoller sei: „Der Schwierigkeitsgrad der Examensfragen entsprach mindestens dem schweizerischen Niveau.“ 406 Die Vermittlung von Stellen für die Lehrabgänger erwies sich als schwierig und zeitaufwändig. Das Problem dabei waren nicht fehlende Arbeitsplätze, sondern die Neuartigkeit der Ausbildung. Die Anstellung eines im Indo-Swiss Training Center ausgebildeten Präzisionsmechanikers habe „für die meisten Betriebe die Aufnahme eines ganz neuen Elementes bedeutet“. 407 Zehn Lehrabgänger fanden bei staatlichen Organisationen (wozu auch das Indo-Swiss Training Center in Chandigarh und die CSIO zählten) eine Stelle, dreizehn bei grösseren sowie zwölf bei mittleren und kleinen Betrieben der Privatindustrie. 408 Der Vertrag konnte zwar verlängert werden, die Zahl der Lehrlinge konnte jedoch noch nicht erhöht werden, da das Internat noch nicht ausgebaut worden war und noch nicht genügend indische Instrukteure ausgebildet worden waren. Die Stiftung hoffte aber, dass der Lehrermangel künftig durch die Anstellung von Lehrabgängern gemildert werden könnte. Drei der besten Absolventen waren bereits als Instrukteure angestellt. Zwei Schweizer Instrukteure kehrten 1966 in die Schweiz zurück, um bei ihrer Firma weiterzuarbeiten. An ihre Stelle traten zwei neue Schweizer Instrukteure. Ein Schweizer Instrukteur wurde von der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) für das Projekt in Südkorea angestellt, welches durch die Stiftung auf die Anfrage von 1964 hin projektiert worden war. 409 Die Stiftung beabsichtigte, die indischen Instrukteure eine Weiterbildung in der Schweiz besuchen zu lassen. Jedoch konnte Gill, der Direktor der CSIO, noch nicht davon überzeugt werden, dass von einer solchen Weiterbildung diejenigen indischen Instrukteure am meisten profitieren könnten, welche am Indo-Swiss Training Center die Lehre absolviert hatten.410

2.6. Konflikt mit dem CSIR über den Zeitpunkt der Übergabe des Projektes an Indien

Im Jahr 1967 fanden zum zweiten Mal Lehrabschlussprüfungen statt, welche auch diesmal nur ein Lehrling nicht bestand. Die Stellenvermittlung verlief nun problemlos, zumal die Arbeitgeber mit den Lehrabgängern des vorherigen Jahrganges gute Erfahrungen gemacht

406 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1966, S. 5. 407 Ebd. 408 Vgl. Ebd. 409 Vgl. Ebd. S. 5-6. 410 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 2.12.1966, S. 4. Auch im Juli 1967 hatte Gill sein Einverständnis dazu noch nicht gegeben. Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 7.7.1967, S. 3.

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hatten. Die Stiftung lobte die Ausbildung im Indo-Swiss Training Center sowie die ausgebildeten Lehrlinge im Jahresbericht 1967 in den höchsten Tönen: Die Absolventen unserer beiden ersten Promotionen werden von ihren Arbeitgebern sehr geschätzt. Unser Lehrgang bietet eine umfassende praktische Ausbildung, begleitet von den notwendigen theoretischen Übungen. Unsere Absolventen sind vielseitig verwendbar und ohne weiteres fähig, sich in Spezialgebiete einzuarbeiten. 411 Dass alle Lehrabgänger problemlos eine Stelle fanden, weist darauf hin, dass die Absolventen eine gute Ausbildung genossen hatten und sprach für die Stiftung. Vielleicht hob die Stiftung hier aber ihren Erfolg in der Ausbildung deshalb so hervor, weil sie gleichzeitig in einen Konflikt mit dem indischen Partner CSIR geriet und diesem düsteren Konflikt den Glanz des Erfolgs gegenüberstellen wollte, um sich in ein besseres Licht zu rücken. Denn ein Jahresbericht ist ja immer auch ein Leistungsausweis gegenüber den Stiftungsmitgliedern, den Gönnern und der interessierten Öffentlichkeit und deshalb eher ein beschönigender Tätigkeitsbericht. Diese These wird durch eine Aussage Freymonds in der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses vom 25. April 1968 gestützt: Was die Behandlung der Angelegenheit in der Schweiz anbelangt, so ist vom übergeordneten Gesichtspunkt der Bedeutung Indiens und der schweizerisch-indischen Beziehungen auszugehen. Es ist positiv hervorzuheben, was die Stiftung in Chandigarh geleistet hat. Herr Prof. Freymond macht einen formulierten Vorschlag für die betreffende Partie des Jahresberichtes, der allgemeine Zustimmung findet. 412 Im Interesse der guten Beziehungen der Schweiz zu Indien sowie im Interesse der Stiftung sollten also im Jahresbericht 1968 die erfreulichen Aspekte betont werden. Es kann angenommen werden, dass bei der Abfassung des Jahresberichts 1967 ähnliche Motive im Spiel waren. Auf die Darstellung des Konfliktes im Jahresbericht 1968 wird weiter unten nochmals eingegangen; zuerst soll der Verlauf des Konfliktes nachgezeichnet werden. Der Konflikt bahnte sich 1967 an, als Gill (Direktor der CSIO) zusammen mit Atma Ram (dem neuen Direktor des CSIR) eine Kommission einsetzte, um die Möglichkeit abzuklären, das Indo-Swiss Training Center alleine mit indischen Instrukteuren weiterzuführen. 413 Die Stiftung betrachtete den Zeitpunkt für die vollständige Übergabe des Projektes an Indien als verfrüht, da ihrer Meinung nach noch zu wenige indische Instrukteure ausgebildet waren, um das Ausbildungszentrum ohne die Unterstützung der Schweizer zu führen. Die Stiftung suchte das Gespräch mit dem CSIR und den indischen Behörden, um „den Konflikt, der mit der Zeit

411 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1967, S. 5. 412 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 25.4.1968, S. 2. 413 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Stiftungsrat vom 1.7.1968, S. 4.

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einen persönlichen Charakter angenommen hatte und zur Prestigefrage geworden war, durch mündliche Besprechung zu lösen“. 414 Die Gespräche waren langwierig. Der Generalsekretär der Stiftung, Werner Zimmermann, reiste zweimal nach Chandigarh und Neu Delhi, im Oktober 1967 sowie im Januar 1968. Er nahm an Beratungen der von Gill und Ram eingesetzten Kommission teil, welche vor allem aus Vertretern der indischen Industrie bestand. 415 Die Stiftung benützte ihre guten Beziehungen zur Industrie, um Ram für sich zu gewinnen und Gill loszuwerden. Stiftungsrat Peter Reinhart (Inhaber der Gebrüder Volkart, Winterthur) vermittelte den Kontakt zu W. Holderegger (Direktor der Patel-Volkart Private Ltd. und Mitglied des Beratungsausschusses des Indo-Swiss Training Centers) und dessen Partner Herrn Patel. Die Stiftung hoffte, über Patel, welcher sehr gute Beziehungen zum indischen Kongress und zum Vizeministerpräsident Morarji Desai hatte, Ram davon überzeugen zu können, das Indo-Swiss Training Center direkt dem CSIR zu unterstellen und es damit von der CSIO und Gill unabhängig zu machen. 416 Zimmermann sollte Ram einen Vorschlag einer Vertragsergänzung vorlegen, in welchem die Stiftung neben der Loslösung des Indo-Swiss Training Centers von der CSIO vor allem die Frage der Ausbildung indischer Instrukteure zu regeln wünschte. Die Stiftung wollte mit der Vertragsergänzung sicherstellen, dass der Leiter des Ausbildungszentrums bei der Rekrutierung der indischen Lehrkräfte mitentscheiden konnte, dass die indischen Instrukteure eine Weiterbildung in der Schweiz besuchten und dass dafür die eigenen Lehrabgänger Vorrang hatten. In diesen Fragen war man sich seit 1966 nicht einig mit Gill, und man wollte sie dringend klären, bevor der Vertrag im Februar 1968 automatisch um ein Jahr verlängert würde. 417 Die Stiftung fand zwar Unterstützung bei Ram, doch gelang es offenbar nicht, Gill zu umgehen: Dr. Atma Ram soll Dr. Zimmermann mit Tränen in den Augen versprochen haben, dass er uns gegen Gill helfen werde. Dr. Zimmermann schlug Dr. Gill vor, unsere Schule von der CSIO zu trennen, im Sinne, dass wir von der oberen Instanz, dem CSIR, Unterstützung hätten. Dr. Gill war beleidigt und führte den kalten Krieg verstärkt weiter. 418 Bereits vor dem Gespräch mit Ram war sich der geschäftsführende Ausschuss der Stiftung bewusst, dass Gill nicht leicht zu umgehen war, da dieser als Direktor der CSIO ein Mandat des CSIR ausführte, das Indo-Swiss Training Center aber wiederum dem CSIR unterstand. Zudem war aus praktischen Gründen die Verwaltung des Ausbildungszentrums mit

414 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1967, S. 5. 415 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 16.1.1968, S. 1. 416 Vgl. Ebd. 417 Vgl. Ebd. S. 2. 418 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Stiftungsrat vom 1.7.1968, S. 3.

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derjenigen der CSIO zusammengelegt worden, da dieses auf dem Gelände der CSIO in Chandigarh errichtet worden war. Schliesslich hatte Gill auch noch gute politische Beziehungen, während der CSIR durch mangelnde politische Führung geschwächt war. Der Ausschuss zeigte sich aber kampfeslustig und war nicht bereit, sich aus dem Projekt in Chandigarh „verdrängen“ zu lassen, da er dies mit Blick auf die Gönner für „sehr schädlich“ hielt. 419 Einzig Freymond hielt einen Rückzug aus Chandigarh für eine gute Lösung, zumal man dann die freiwerdenden Mittel für andere Projekte einsetzen könnte. Er riet, „dem Partner zu zeigen, dass ihm die Stiftung durch ihre Präsenz einen Dienst erweist. Wünscht der Partner diese Diensterweisung nicht, so kann sich die Stiftung im Guten zurückziehen, ohne dass sich ihr die Türen verschliessen.“ 420 Freymond hielt also einen würdigen Abgang für möglich. Gloor und Fürer schlossen sich diesem Votum insofern an, als sie einen vorzeitigen Rückzug einer Weiterführung des Projektes mit unzureichend ausgebildetem indischem Personal vorzogen. Die Frage der Ausbildung indischer Instrukteure war also entscheidend. Im Falle eines Rückzuges wollte man wenn irgend möglich die Maschinen und die Ausrüstung, welche Stiftungseigentum waren, mitnehmen, um sie in einem anderen Projekt verwenden zu können. 421 Neben den Gesprächen mit Ram und Gill im Februar 1968 gelangte Zimmermann im Auftrag der Stiftung auch an die schweizerische Botschaft mit der Bitte, zu Gunsten der Stiftung zu intervenieren. Im März reisten Schindler und Etienne zu ausführlichen Verhandlungen mit Ram, Gill und dem Erziehungsminister Triguna Sen nach Neu Delhi und Chandigarh. 422 Worum es in diesen Verhandlungen genau ging, darüber berichten die Quellen nichts. Es ist jedoch anzunehmen, dass es immer noch um den Vorschlag der Stiftung zur Vertragsergänzung ging, denn dies ist der letzte Hinweis auf den Inhalt der Gespräche. Wahrscheinlich wollte die Stiftung durch die persönliche Teilnahme Schindlers und Etiennes an den Verhandlungen ihrem Anliegen Gewicht verleihen in der Hoffnung, so eher einen Erfolg zu erringen. Ende April war noch keine Stellungnahme Indiens zum Vorschlag der Stiftung zur Vertragsergänzung eingegangen, sodass sich der geschäftsführende Ausschuss veranlasst sah, den Rückzug der Stiftung aus Chandigarh vorzubereiten. Der Leiter des Indo-Swiss Training Center Claus wurde beauftragt, die Lehrabschlussprüfung noch durchzuführen, die

419 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 16.1.1968, S. 2. 420 Ebd. S. 3. 421 Vgl. Ebd. S. 2-3. 422 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Stiftungsrat vom 1.7.1968, S. 4.

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Rekrutierung der neuen Lehrlinge jedoch den Indern zu überlassen. Die Stiftung beschloss, den Schweizer Instrukteuren den Abschluss der Tätigkeit in Chandigarh auf Ende August anzukündigen. Zwar hoffte die Stiftung immer noch auf eine Lösung des Konflikts, doch wollte sie bereit sein, sich ordnungsgemäss auf Vertragsende zurückzuziehen, falls keine Lösung gefunden werden könnte. 423

2.7. Gespräche mit dem TATA-Konzern über einen allfälligen Umzug von Chandigarh nach Poona

Mit dem näher rückenden Abschluss der Tätigkeit in Chandigarh wurde die ungelöste Frage, was mit den Maschinen und der Ausrüstung geschehen sollte, welche Stiftungseigentum waren, immer bedeutender. Die Stiftung nahm zur Lösung dieser Frage Kontakt mit der TELCO (TATA Engineering and Locomotive Company, Bombay) auf, die Ausbildungsstätten in Poona betrieb. Die Stiftung plante eine Verlegung ihrer Tätigkeit von Chandigarh nach Poona zur TELCO. Jehangir Ratanji Dadabhoy Tata, Chairman des TATA- Konzerns, machte der Stiftung diesbezüglich eine Offerte, welche aber sehr vage war und auf ihre Realisierbarkeit überprüft werden musste: „Kein einziges Element der Verpflanzung des ISTC [Indo-Swiss Training Center, F.D.] in die Umgebung von Poona [war] geklärt und gesichert“. 424 Freymond wollte Tata einen Vorschlag unterbreiten, welcher den Transfer von Maschinen, Ausrüstung und Schweizer Instrukteuren von Chandigarh nach Poona umfassen sollte. 425 Anfang Juni erhielt die Stiftung über die Schweizerische Botschaft in Neu Delhi einen Vorschlag des CSIR für einen neuen Vertrag. Dieser Vorschlag beinhaltete folgende Punkte: Erstens die Versetzung des Leiters des Indo-Swiss Training Centers Claus als Experte nach Neu Delhi und die Einsetzung eines indischen Leiters. Zweitens die Abtretung der Eigentumsrechte der Stiftung an der technischen Ausrüstung an den CSIR. Drittens die Ausbildung von indischen Instrukteuren in der Schweiz auf Kosten der Stiftung, bei deren Auswahl die Stiftung nicht mitreden könnte. Viertens die Übernahme der Leitung und Kontrolle des Indo-Swiss Training Centers durch den Exekutivrat der CSIO. Fünftens die Abschaffung des Beratungsausschusses, der aus schweizerischen und indischen Vertretern bestand. 426 Dieser Vorschlag war für die Stiftung nicht akzeptabel, da die wichtigsten Forderungen der Stiftung nicht erfüllt waren, nämlich die Mitsprache bei der Weiterbildung

423 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 25.4.1968, S. 1-3. 424 Ebd. S. 2. 425 Vgl. Ebd. S. 1-3. 426 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Stiftungsrat vom 1.7.1968, S. 4.

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indischer Instrukteure und die Loslösung des Indo-Swiss Training Centers von der CSIO. Die Stiftung war unter diesen Umständen auch nicht bereit, ihre Eigentumsrechte an Maschinen und Ausrüstung abzutreten. Da eine Weiterführung des Projektes Chandigarh unmöglich schien, zog die Stiftung in Betracht, „die Lehrtätigkeit in Indien in anderer Form weiter[zu]führen“ und nahm diesbezüglich Abklärungen vor. 427 Die Abklärungen betrafen den allfälligen Umzug zur TELCO nach Poona, über die das Protokoll der Sitzung des Stiftungsrats vom 1. Juli 1968 sowie die Protokolle des geschäftsführenden Ausschusses Auskunft geben, im Gegensatz zum Jahresbericht, der hierüber keine weiteren Informationen liefert – wohl deshalb, weil die Gespräche noch im Gang waren und noch kein Entscheid gefallen war. Neben einem allfälligen Umzug zur TELCO nach Poona wurde auch diskutiert, ob ein neues Projekt in Indien ähnlich dem Indo-Swiss Training Center in Betracht gezogen werden sollte. Diesen Vorschlag machte Im Hof-Piguet dem Ausschuss, da sie ein solches Projekt – mit einem anderen indischen Partner und unter Beachtung der gesammelten Erfahrung – für nützlich hielt für die schweizerisch-indischen Beziehungen. 428 Der geschäftsführende Ausschuss war jedoch der Meinung, dass „ein Wiederanknüpfen der jetzt reissenden Bande zwischen der Stiftung und Indien verfrüht [sei] und wohl weder in der Schweiz richtig verstanden, noch in Indien richtig gewürdigt würde“. 429 Die Gespräche mit der TELCO waren fortgeführt worden, unklar war jedoch, ob die indischen Behörden den Transfer der schweizerischen Maschinen nach Poona zulassen würden. Schindler wollte keinen Gerichtsprozess riskieren, sondern sich aus dem Projekt zurückziehen und lediglich formell das Eigentumsrecht auf den Maschinen behalten, falls es zu keiner Einigung mit den indischen Behörden käme. Stiftungsrat Johann Jakob Sonderegger erwiderte, man solle nicht aufgeben, sondern bei einer Schweizer Firma mit Sitz in Indien Unterstützung suchen. 430 Schindler hielt dieses Vorgehen für aussichtslos: Wenn schon die mächtige Firma TATA der Zustimmung der indischen Regierung bedarf, unsere Maschinen von Chandigarh nach Poona zu transferieren, würden es auch die grossen Schweizerfirmen nicht schaffen. Wir sind sehr privilegiert, dass wir mit der TATA in Verbindung gekommen sind. 431 Stiftungsrat Michael Kohn hielt eine für die Stiftung befriedigende Lösung des Konflikts für unwahrscheinlich und wies auf die Erfolge der Stiftung während der fünfjährigen

427 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1967, S. 5. 428 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 25.4.1968, S. 2. 429 Ebd. 430 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Stiftungsrat vom 1.7.1968, S. 4-5. 431 Ebd. S. 5.

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Ausbildungstätigkeit in Chandigarh hin, dank deren die Erinnerungen an die Stiftung in Indien sicher nicht nur schlecht sein würden. 432 Zumindest die Lehrlinge schätzten die Tätigkeit der Stiftung und behielten sie in guter Erinnerung. Die Lehrlinge, welche im ersten und zweiten Lehrjahr in Ausbildung waren, wollten sich für den Verbleib der Schweizer Instrukteure einsetzen und schrieben an die Premierministerin Indira Gandhi, welche ihnen eine Audienz gewährte. Die Drittjahr-Lehrlinge trauten sich hingegen nicht, zu protestieren, da sie Benachteiligungen bei der Stellenvermittlung befürchteten: „Die Schüler des dritten Jahrganges sind so abhängig von der Willkür Dr. Gills, dass sie nun schweigen; sie befürchten, dass Dr. Gill sie bei der Suche nach Posten sabotieren könnte.“433

2.8. Rückzug der Stiftung aus Chandigarh

Der Konflikt mit dem indischen Partner CSIR, insbesondere mit Gill und der CSIO, konnte nicht gelöst werden. Im August 1968 war sich die Stiftung immer noch nicht einig, ob sie sich definitiv aus Chandigarh zurückziehen und das Indo-Swiss Training Center ganz den Indern überlassen solle oder nicht. Schindler plädierte in der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses vom 20. August für die Beibehaltung des Kontaktes über einen Schweizer Experten, der vor Ort belassen werden könnte: Wir [können] Gill nicht eliminieren. Das heisst aber nicht, dass wir jeglichen Kontakt mit Chandigarh abbrechen sollen. Wir sollten aber definitiv darauf verzichten, für die Weiterführung der Schule unter schweizerischer Leitung zu kämpfen. Andererseits wäre es möglich, einen oder mehrere Experten in Chandigarh zu belassen. Diese Experten wären allerdings den Schikanen Gills ausgesetzt. 434 Im Gegensatz zu Schindler wollten Etienne, Im Hof-Piguet und Fürer einen letzten Versuch wagen, das Indo-Swiss Training Center unter schweizerischer Leitung und unabhängig von Gill weiterzuführen. Der Stiftungssekretär Zimmermann mahnte zur Geduld. Zuerst solle man abwarten, wie die indischen Behörden auf den Vorschlag zum weiteren Vorgehen reagierten, welcher von Zimmermann entworfen worden war. Dieser Vorschlag enthielt folgende Punkte: Feststellung des Eigentumsrechtes der Stiftung an der technischen Ausrüstung, kostenlose Vermietung der Ausrüstung an den CSIR für Lehrzwecke für ein Jahr, Belassung des Schweizer Experten Otto Rösli als Überwacher der Ausrüstung und als fachkundiger Berater für ein Jahr, Kontrolle des Zustands der Ausrüstung durch Stiftungseigene Experten vor Ende Schuljahr 1968/69. Falls sich ein geeignetes „Verhandlungsklima“ ergebe, könne man dann die Frage der Weiterführung des Ausbildungszentrums unter schweizerischer Leitung

432 Vgl. Ebd. 433 Ebd. S. 4. 434 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 20.8.1968, S. 1-2.

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vorbringen. 435 Mit diesem Vorgehen waren die anwesenden Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses einverstanden. Der Vorschlag Zimmermanns wurde zum Beschluss erhoben und sollte über Sigismond Marcuard, Delegierter des Bundesrats für technische Zusammenarbeit, an Marcel Heimo, Schweizerischer Botschafter in Neu Delhi, gelangen, der die Sache bei einem Treffen mit Gandhi besprechen wollte. 436 Der Genehmigung des Vorschlags Zimmermanns ging jedoch eine Diskussion über den Verbleib der schweizerischen Maschinen im Indo-Swiss Training Center voraus. Der Transfer der Maschinen nach Poona zur TELCO war offenbar gescheitert – die Quellen geben hierüber nicht weiter Auskunft. Der geschäftsführende Ausschuss erwog die Möglichkeit einer „Blockierung“, eventuell gar einer Demontage der Maschinen. Er kam jedoch zum Schluss, dass dies nicht im Interesse der Stiftung wäre: Die Blockierung wäre Wasser auf die Mühle der indischen Nationalisten, die uns (wie schon im Parlament) nicht nur der Arroganz, sondern überdies der Sabotage und des Imperialismus bezichtigen würden. Die Schweizer Presse würde diese Behauptungen weiterverbreiten. Die indischen Unternehmen der Schweizer Industrie könnten darunter leiden. Wir können uns die Blockierung nicht leisten. 437 Es ging also einerseits um den Ruf der Stiftung in der Schweiz, welcher durch die Verbreitung der indischen Vorwürfe durch die schweizerische Presse leiden würde. Andererseits befürchtete die Stiftung auch eine negative Auswirkung für die Schweizer Industrie, welche in Indien tätig war, was im Hinblick auf die Trägerschaft der Stiftung – der schweizerischen Wirtschaft und Industrie – ungünstig gewesen wäre. Freymond, der nicht an der Ausschuss-Sitzung teilnehmen konnte, war mit dem Vorschlag Zimmermanns zum weiteren Vorgehen einverstanden mit Ausnahme eines Aspektes: Den Verbleib des Schweizer Experten Rösli während eines weiteren Jahres. Offenbar hatte der indische Erziehungsminister Sen bereits vor dem Parlament erklärt, dass das Indo-Swiss Training Center ohne schweizerisches Personal weitergeführt werde. Wenn die Hilfe der Stiftung nicht erwünscht sei, solle man sich nicht aufdrängen, so die Meinung Freymonds: „Wir sollten darauf verzichten, unsere Hilfe weiterhin anzubieten, da sie von den Indern deutlich genug abgelehnt [wird]“. 438 Gemäss der Anregung Freymonds wurde beschlossen, Rösli nur noch für die Dauer der Übergabe bis spätestens Ende September in Chandigarh zu belassen. 439

435 Vgl. Ebd. S. 2-3. 436 Vgl. Ebd. S. 3-4. 437 Ebd. S. 2. 438 Ebd. S. 4. 439 Vgl. Ebd.

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Über den weiteren Verlauf der Ereignisse geben die Quellen nur noch spärlich Auskunft. Die Stiftung musste offenbar einige Maschinen in Chandigarh zurücklassen. Sie wollte diese nicht zurückfordern – was nach den oben erwähnten Argumenten verständlich ist. Die Stiftung beabsichtigte jedoch nach wie vor, die Maschinen im Jahr 1969 von einem Schweizer Experten kontrollieren zu lassen. 440 Wozu diese Kontrolle dienen sollte, wird nicht explizit erwähnt. Vielleicht wollte die Stiftung so ihr Eigentumsrecht Indien gegenüber erneut aufzeigen. Vielleicht wollte sie auch den Gönnern in der Schweiz demonstrieren, dass die Maschinen nicht ganz aus dem Einflussbereich der Stiftung gegeben worden waren. Vielleicht wollte sie auch einfach den Zustand der Maschinen kontrollieren, um so deren Funktionstüchtigkeit zu gewährleisten. Im Jahr 1969 erhielt die Stiftung von Botschafter Heimo Bericht über das Indo-Swiss Training Center, „das in tadelloser Ordnung gehalten sei und im Sinn und Geist von Herrn Claus weitergeführt werde.“ 441 Ferner erhielt die Stiftung Informationen, dass das „Instruktoren-Problem“ – gemeint ist wohl der Mangel an gut ausgebildeten Instrukteuren – immer grösser werde. Im Protokoll der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses vom 18. April 1969 werden schliesslich noch Verhandlungen mit dem CSIR erwähnt, welche über einen indischen Rechtsanwalt liefen. Um welche Rechtsfrage es hierbei ging – ob es etwa immer noch um die Frage des Eigentumsrechtes an den Maschinen ging – wird nicht gesagt. Einzig die Langsamkeit der Verhandlungen und das Fehlen von Neuigkeiten werden erwähnt. 442 Im Protokoll der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses vom 13. Dezember 1968 findet sich noch eine kurze, interessante Bemerkung: „Herr Freymond bezweifelt die Weisheit unseres Begehrens, das Wort ‚Swiss’ aus dem Namen ‚Indo-Swiss Training Center’ entfernen zu lassen.“ 443 Offenbar wollten einige Ausschuss-Mitglieder mit einer solchen Umbenennung des Ausbildungszentrums der Tatsache Rechnung tragen, dass die Schweiz nicht länger an der Ausbildung von Präzisionsmechanikern in Chandigarh beteiligt war. Bedauerlicherweise wird in dem Protokoll, das sehr summarisch gehalten ist, nicht weiter darauf eingegangen. Das Indo-Swiss Training Center wurde jedoch nicht umbenannt; es existiert bis heute unter diesem Namen und ist nach wie vor der CSIO unterstellt.444

440 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 13.12.1968, S. 2. 441 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 18.4.1969, S. 1-2. 442 Vgl. Ebd. S. 2. 443 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 13.12.1968, S. 2. 444 Vgl. die offizielle Website der CSIO zum Indo-Swiss Training Center. Online im Internet: http://www.csio.res.in/istc/home%20page.htm [Stand: 30.4.2012]

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2.9. Rückblick der Stiftung auf ihre Tätigkeit in Chandigarh und auf den Konflikt mit dem CSIR

Bereits in der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses vom 25. April 1968 wurde abgesprochen, dass der Jahresbericht 1968 einen erfreulichen Rückblick auf die Tätigkeit der Stiftung in Chandigarh und auf den Konflikt mit dem CSIR enthalten sollte. Die endgültige Formulierung des betreffenden Abschnittes des Jahresberichts wurde in der Sitzung vom 13. Dezember beschlossen. 445 Die Stiftung hob den Erfolg hervor, den sie bei der Ausbildung von rund hundert Präzisionsmechanikern in Chandigarh hatte, und übte gleichzeitig Kritik an Gill, dem Direktor des CSIO: Der Lehrerfolg war ausgezeichnet, aber unser ehemaliger Partner […] kündigte den Vertrag, weil der Direktor der ihm unterstellten […] CSIO, der das Centre administrativ angegliedert ist, den schweizerischen Einfluss nicht mehr dulden und darum unseren Prinzipal ausschalten wollte. 446 Insbesondere kritisierte die Stiftung die Weigerung Gills, ehemalige Lehrlinge zur Weiterbildung in die Schweiz zu schicken und künftig als Instrukteure einzusetzen. Die Stiftung hatte sich davon erhofft, die Qualität der Ausbildung auch nach dem Rückzug der Schweizer sichern zu können. Ebendies habe jedoch Gill durch seine Haltung verhindert: Es war aber unserem Partner keineswegs daran gelegen, die besten unserer ehemaligen, als Instruktoren vorgesehenen indischen Lehrlinge in der Ausbildung einzusetzen. Er hätte auf diese Weise bis im Herbst 1968 über acht bis zehn junge, zum Teil in der Schweiz noch zusätzlich ausgebildete Instruktoren aus dem eigenen Nachwuchs verfügen können. Aber gerade das wollte unser Partner nicht. Er wählte devote, ihm ergebene Leute. 447 In der scharfen Wortwahl zeigt sich, wie sich der Konflikt zugespitzt hatte. Der indische Partner, Gill, strebe Einfluss und Macht an und nicht eine gute Ausbildung. So der Tenor in diesem Zitat. Vielleicht wollte Gill jedoch nur denjenigen jungen Leuten die Weiterbildung in der Schweiz ermöglichen, welche noch nicht in den Genuss der guten Ausbildung des Indo- Swiss Training Centers gekommen waren, und somit die Zahl der Ausgebildeten erhöhen, anstatt bereits ausgebildete Präzisionsmechaniker noch weiterzubilden. Vielleicht dachte Gill auch dasselbe von den Schweizern wie diese von ihm: Dass sie durch die Einsetzung von Instrukteuren, welche von ihnen selbst ausgebildet worden waren, lediglich ihren Einfluss sichern wollten. Etwa so, wie ein abtretender Despot seinen Zögling einsetzt, um seine Macht indirekt aufrechtzuerhalten. Mit lobenden Worten für den Leiter des Indo-Swiss Training Center schliesst die Stiftung den Beitrag zum Indien-Projekt im Jahresbericht 1968 ab: „Herr Claus hat das bleibende

445 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokolle Ausschuss vom 25.4.1968, S. 2. und vom 13.12.1968, S. 2. 446 Mit „Prinzipal“ ist der schweizerische Leiter des Ausbildungszentrums, Claus, gemeint. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1968, S. 5. 447 Ebd.

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Verdienst, mit dem Indo-Swiss Training Centre eine der besten Lehrwerkstätten Indiens, die auch internationale Anerkennung fand, geschaffen zu haben.“ 448 In den folgenden Jahresberichten wird nie mehr über das Projekt Chandigarh berichtet – die Tätigkeit der Stiftung in Indien war damit vorerst abgeschlossen. Erst ab 1973 war die Stiftung erneut in Chandigarh tätig, in den 1980er Jahren dann auch in Bangalore, diesmal jedoch im Bereich Elektronik und Werkzeugbau. 449 Heute gehört Indien nicht mehr zu den Partnerländern der Stiftung. 450

3. Projekt in Dahomey 1961-1971

3.1. Wahl eines geeigneten Partnerlandes in Afrika

Auf der Suche nach geeigneten Partnerländern für die ersten Projekte der Stiftung reiste Stiftungssekretär Otto Hagenbüchle nach London, um Informationen über „Britisch- Westafrika“ einzuholen. 451 Hagenbüchle erfuhr von den Londoner „Gewährsleuten“, dass die Bedingungen in Westafrika ganz anders seien, als in Asien. Die Stiftung zog vor allem ein Projekt in Nigeria in Betracht, das weder an Überbevölkerung noch an Nahrungsmittelknappheit litt, jedoch einen grossen Bedarf an ausgebildeten Handwerkern hatte. Neben Nigeria kam auch Ghana als Partnerland in Frage, „wo die Verhältnisse geographisch und strukturell einfacher“ waren. 452 Das kleinere Land Ghana, das bereits seit 1957 unabhängig war, schien günstiger als das im Vergleich dazu riesige Nigeria, das erst im Begriff war, unabhängig zu werden. Die kleinen Länder Sierra Leone und Gambia kamen wohl deshalb nicht in Frage, weil sie noch unter britischer Kolonialherrschaft standen, vielleicht schienen sie der Stiftung aber auch schlicht weg zu unbedeutend. Im Sommer 1960 reiste Hagenbüchle nach Nigeria und Dahomey (ab 1975 Benin) zum Studium möglicher Projekte. Er empfahl der Stiftung, „zuerst durch kleinere Aktionen eine erste praktische Erfahrung zu sammeln, bevor [sie] sich […] zur Errichtung einer finanziell- personell anspruchsvollen Lehrwerkstätte entschliesse“. 453 Die Stiftung beschloss also, mit

448 Ebd. 449 Vgl. die Broschüre von Swisscontact, welche sie anlässlich ihres 30-jährigen Jubiläums herausgab. Swisscontact, Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungszusammenarbeit (Hg.): Entwicklung durch Ausbildung in Asien, Afrika und Lateinamerika. Zürich 1989, S. 8. 450 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 2010, S. 22. 451 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 15.1.1960, S. 2. Die Bezeichnung „Britsch- Westafrika“ umfasste die ehemaligen britischen Kolonialländer Westafrikas, die heutigen Staaten Sierra Leone, Nigeria, Ghana und Gambia. Im Januar 1960 war erst Ghana unabhängig; Nigeria wurde am 1. Oktober 1960 unabhängig, 1961 Sierra Leone und 1965 Gambia. 452 Ebd. 453 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 27.9.1960, S. 2.

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kleineren Tätigkeiten in beiden Ländern zu beginnen und dann dort, wo es sich als günstig erwies, ein grösseres, eigenes Projekt aufzubauen. Bevor auf die Tätigkeit der Stiftung in Dahomey eingegangen wird, soll ihre Tätigkeit in Nigeria geschildert werden, welche nur von kurzer Dauer war.

3.2. Projektabklärungen und kleinere Tätigkeiten in Nigeria 1961-1965 Nigeria hatte die Stiftung um Hilfe bei der Berufsausbildung ersucht. Die Stiftung übernahm die Suche nach zwei Lehrern für das „Technical Institute Yaba“ in Lagos in der Westregion, die Kostentragung war aber noch ungeklärt. Noch keinen Beschluss fasste die Stiftung bezüglich der Entsendung von Lehrkräften für das technische Institut in Enugu in der Ostregion. Mit den Behörden der Nordregion führte sie Gespräche über eine allfällige Hilfe für eine Landwirtschaftsschule in Gumel bei Kano.454 Bei diesen ersten Projektabklärungen ging es um die Entsendung von Berufslehrern an bestehende Schulen und nicht um die Planung und Errichtung eines eigentlichen Ausbildungszentrums, was dem geplanten stufenweisen Vorgehen entsprach. Neben den möglichen Aktivitäten in Lagos, Enugu und Gumel zog die Stiftung auch eine Beteiligung an einem Projekt des SHAG in Betracht, welches in Ikenne in der Westregion geplant war. Hierüber war sich der geschäftsführende Ausschuss jedoch uneinig: Schindler, Real und Etienne waren skeptisch gestimmt, Gloor hingegen begrüsste die Idee, welche vom SHAG stammte. Da sowohl das SHAG, als auch die Stiftung Tätigkeiten in Nigeria planten, waren eine gewisse Zusammenarbeit und ein Erfahrungsaustausch angebracht – hierüber war man sich einig. Schindler wollte jedoch keine Verantwortung für das Projekt des SHAG in Ikenne übernehmen. Diese ablehnende Haltung könnte vom ehemaligen Zwist zwischen den beiden Organisationen herrühren, oder aber vom Projekt selbst, das noch nicht ausgereift war. Man beschloss, erst einmal die Stellungnahme Nigerias zum neuesten Projektvorschlag des SHAG abzuwarten. 455 Das Projekt wurde dann nicht verwirklicht; stattdessen plante das SHAG ein landwirtschaftliches Projekt in Nordnigeria. 456 Im September 1961 nahm Karl Seiler seine Tätigkeit als Elektrotechnik-Lehrer am technischen Institut in Enugu auf. Seine Anwesenheit erleichterte – wie von der Stiftung bezweckt – das Studium der lokalen Bedingungen. Die Entsendung von zwei Schweizer Lehrern an das „Technical Institute Yaba“ in Lagos war 1961 bereits kein Thema mehr, da

454 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1960, S. 4. 455 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 27.9.1960, S. 3-4. 456 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 9.12.1961, S. 3.

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Nigeria beschloss, einheimische Lehrer einzusetzen.457 Das Projekt der handwerklichen Ausbildung an der Landwirtschaftsschule in Gumel bei Kano hing nach wie vor in der Schwebe, wie im Jahresbericht 1961 zu lesen ist. Es wird in den folgenden Berichten nie mehr erwähnt und wurde wohl nicht weiter verfolgt. Hingegen hatte die Regierung der Nordregion die Stiftung gebeten, an der Berufsschule von Bukuru eine Abteilung für Elektromechanik und Elektroinstallationen zu bilden. Bei den Abklärungen für dieses neue Projekt halfen zwei Schweizer Firmen, die in Nigeria tätig waren. 458 Im Frühsommer 1962 konnte dann mit Hilfe der Schweizer Botschaft in Lagos und der Aluminium-Industrie AG (Zürich) ein Abkommen mit der Regionalregierung Kaduna abgeschlossen werden. Im September desselben Jahres konnten zwei Lehrer für Elektroinstallation und Elektromechanik die Arbeit in Bukuru aufnehmen; vereinbart waren ein dreijähriger Einsatz der beiden Schweizer Experten sowie die Lieferung von Ausrüstungsmaterial. Die Kosten wurden auf siebenhunderttausend Schweizerfranken über drei Jahre veranschlagt. 459 Auch hier handelte es sich nicht um ein eigenes Projekt der Stiftung, sondern um ein „Anschlussprojekt“, wie es die Stiftung im Jahresbericht 1962 bezeichnete: Die Stiftungsaktion in Bukuru ist ein ‚Anschlussprojekt‘ bei einer bestehenden einheimischen Lehrwerkstätte, die massgeblich von Engländern geführt wird. Spezifische Schwierigkeiten, die sich hierbei stellten, fanden zu einem guten Teil bereits eine befriedigende Lösung. Es erwies sich als unerlässlich, die schweizerischen Lehrkräfte vorgängig in England einem Spezialtraining zu unterziehen, wobei die Stiftung grosszügige Unterstützung seitens des Ministry of Labour und der Federation of British Industries, London, erfuhr. 460 Der Elektrotechnik-Lehrer Seiler, der seit 1961 im Auftrag der Stiftung am technischen Institut in Enugu tätig war, beendete seine Lehrtätigkeit bereits im Sommer 1962. Vorerst plante die Stiftung keine weitere Aktion in Ostnigeria. 461 Da das Erziehungsministerium von Lagos die Stiftung erneut ersuchte, Schweizer Lehrkräfte an das „Technical Institute Yaba“ zu entsenden, – nachdem es im Vorjahr noch beabsichtigte, einheimische Lehrkräfte einzusetzen – bemühte sich die Stiftung, geeignete Experten zu finden. Doch auch diesmal wurden keine Schweizer Lehrer nach Lagos geschickt, da das Projekt „infolge administrativer Schwierigkeiten auf nigerianischer Seite blockiert [war]“, wie der Jahresbericht 1962 Auskunft gibt. 462

457 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1961, S. 4. 458 Vgl. Ebd. Um welche Firmen es sich handelte, darüber geben die Quellen keine Auskunft. 459 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1962, S. 7. 460 Ebd. 461 Vgl. Ebd. S. 6. 462 Ebd.

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Zumal die Projekte in Gumel, Lagos und Ikenne nicht zu Stande kamen und dasjenige in Enugu bereits nach einem Jahr wieder eingestellt wurde, blieb einzig das Projekt in Bukuru. Dieses nahm den geplanten Verlauf, sodass die Zahl der Lehrlinge im zweiten Schuljahr 1963 verdoppelt werden konnte auf achtundvierzig.463 Im Jahr 1964 lief der dreijährige Einsatz der zwei Fachlehrer ab und wurde nicht verlängert, da er nicht zufriedenstellend war: „La position des deux instructeurs suisses à l’école de Bukuru (Government Technical Training School) n’a jamais été très satisfaisante. C’est pourquoi nous ne tenons pas à prolonger notre collaboration au-delà des trois années fixées par contrat.“ 464 Erfreulich sei der Enthusiasmus der Schüler gewesen. Die Stiftung ergänzte die Ausstattung der Schule noch, um zwei gut ausgerüstete Abteilungen der Schule überlassen zu können. 465 Der Einsatz der Stiftung an der „Government Technical Training School“ in Bukuru wurde 1965 wie geplant beendet, die Übergabe der Ausrüstung verzögerte sich jedoch. 466 Die Stiftung benötigte 1966 die Hilfe der Schweizer Botschaft in Lagos, um „ihr[en] Bestand und die Übergabe an ein besser geeignetes Institut als die Government Technical Training School in Bukuru [zu prüfen]“. 467 Ob die Übergabe schliesslich gelang oder nicht, bleibt offen, es ist jedoch anzunehmen, dass die Sache abgeschlossen werden konnte, da sie in den folgenden Jahresberichten nicht mehr erwähnt wurde. Alles in allem hatte die Stiftung in Nigeria keinen Erfolg mit ihren Projekten, wobei es sich gar nicht um eigentliche Projekte handelte, sondern nur um die Entsendung von Schweizer Berufslehrern. Von fünf möglichen Projekten wurden zwei umgesetzt, wobei beide sehr kurz waren: Der Einsatz in Enugu dauerte ein Jahr, derjenige in Bukuru drei Jahre. Da die Stiftung in Nigeria kein grösseres, eigenes Projekt beginnen konnte, gewann Dahomey als afrikanisches Partnerland an Bedeutung.

3.3. Wahl Dahomeys als Partnerland und Suche nach geeignetem Projektpartner

Die Stiftung prüfte um 1960/61 die Unterstützung eines Projekts einer Landwirtschaftsschule in Süd-Dahomey, welches von Dominique Agoumba, Mitglied der Jeunesse Ouvrière Chrétienne internationale (JOCI), geplant wurde. 468 Der Schweizer Experte Hans Zeller sollte

463 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1963, S. 8. 464 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1964, S. 8. 465 Vgl. Ebd. 466 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1965, S. 9. 467 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1966, S. 8. 468 Die JOCI (englisch: International Young Christian Workers, IYCW) ist eine internationale, christliche Arbeiterbewegung, welche 1912 in Belgien entstand und heute in über fünfzig Ländern besteht. Um 1957 fand

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das Projekt vor Ort bereinigen. 469 Offenbar unternahm Zeller während seines Aufenthaltes in Dahomey mehr als nur Abklärungen über das JOCI-Projekt: Er entwarf ein Alternativprojekt eines Ausbildungszentrums für mechanisierte Landwirtschaft in Zusammenarbeit mit der Regierung Dahomeys. Diese lehnte das JOCI-Projekt ab und meldete Interesse an dem Projektvorschlag Zellers. Ob dieser selbst in Kontakt mit der Regierung trat oder nicht, ist aus den Quellen nicht ersichtlich, jedoch scheint er seine Kompetenzen überschritten zu haben. 470 Fürer bemerkte in der Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses vom 4. Mai 1961: „Herr Zeller [hätte] bei seinem Aufenthalt in Dahomey die Grenze blosser Abklärungen strikter beachten sollen, um die Dispositionsfreiheit der Stiftung nicht einzuengen.“471 Der geschäftsführende Ausschuss musste darüber beraten und Beschluss fassen, ob Dahomey überhaupt als Partnerland in Frage kam und wenn ja, mit welchem Partner welches Projekt weiterverfolgt werden sollte. Fürer wollte Dahomey als Partnerland aufgeben, da das JOCI- Projekt von der Regierung abgelehnt werde und er „psychologische Bedenken“ gegenüber einem Partnerwechsel von privater Seite hin zur Regierung habe. 472 In anderen Worten gesagt: Fürer wollte nicht, dass die Stiftung einfach nach der Pfeife der Regierung tanzte. Etienne bezweifelte gar grundsätzlich die Eignung Dahomeys als Partnerland, „da in jenem kleinen Land der wünschbare Konnex mit schweizerischen Interessen fehle“. 473 Normalerweise pflegte die Stiftung die Interessen der Schweiz bei der Länderauswahl zu berücksichtigen, wie Schindler anlässlich einer Diskussion über die Aufnahme eines Projektes in Marokko 1964 betonte: „[Der] Zufall [hat] bei der bisherigen Auswahl von Projekten nur ausnahmsweise mitgespielt […] (Dahomey). Indien, Pakistan, Nigeria und Peru liegen sowohl im wirtschaftlichen wie im politischen Interessenbereich der Schweiz.“ 474 Aus diesem Zitat geht ferner hervor, dass Dahomey für die Schweiz weder wirtschaftlich noch politisch von Interesse war und deshalb eher zufällig als gezielt als Partnerland ausgewählt worden war. Den Voten von Fürer und Etienne erwiderte Schindler, dass das JOCI-Projekt nicht mehr in Frage komme, da die Regierung dieses ablehne, dass aber der Projektentwurf Zeller separat diskutiert werden sollte. Immerhin hatte die Regierung offiziell Interesse am Projekt Zeller bekundet. Real wies darauf hin, dass die Regierung das JOCI-Projekt vor allem aus das erste internationale Treffen in Rom statt, der sogenannte Weltrat. Vgl. den Abschnitt „About Us“ auf der offiziellen Website der IYCW. Online im Internet: http://www.joci.org/index.php/en/about-us.html [Stand: 30.4.2012] 469 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokolle Ausschuss vom 27.9.1960, S. 3 sowie vom 4.5.1961, S. 3. 470 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 4.5.1961, S. 3-4. 471 Ebd. S. 3. 472 Vgl. Ebd. 473 Ebd. S. 4. 474 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 27.11.1964, S. 3.

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sachlichen Gründen ablehnte, da es nicht der genossenschaftlich ausgerichteten Agrarpolitik Dahomeys entsprach. Das Projekt Zeller hingegen könnte in Abstimmung mit der geplanten Aktion des Verbands Schweizerischer Konsumvereine (VSK, heutiger Coop) für beide Seiten (Stiftung und VSK) nützlich sein. Es wurde beschlossen, das Projekt Zeller, ein Ausbildungszentrum für mechanisierte Landwirtschaft in Zusammenarbeit mit der Regierung Dahomeys, weiterzuverfolgen. 475

3.4. Aufbau einer Landwirtschaftsschule in Sékou-Allada, Dahomey

Von Beginn weg wurde die Zusammenarbeit mit dem VSK gesucht, wie ein Auszug aus dem Jahresbericht 1960 beweist: „Die Stiftung studiert die Möglichkeit, ihre geplante Aktion in Dahomey allenfalls mit einem Projekt des Verbandes schweiz. Konsumvereine (VSK) zu koordinieren, das die Förderung des dortigen einheimischen Genossenschaftswesens zum Ziele hat.“ 476 Die Stiftung beabsichtigte, eine gute, nachbarschaftliche Beziehung zum VSK zu pflegen. 477 Auf der Suche nach kompetenten landwirtschaftlichen Instrukteuren, welche bereits 1960 einsetzte, wollte sich die Stiftung an die Nestlé wenden. 478 Wie schon beim Projekt in Indien wandte sich die Stiftung auch hier an die Schweizer Industrie, um geeignete Instrukteure zu gewinnen. Am 17. November 1961 wurde das Abkommen zur Errichtung einer Landwirtschaftsschule mit der Regierung unterzeichnet. Die Stiftung verpflichtete sich, die Kosten für Errichtung und Betrieb der Schule während den ersten drei Jahren zu übernehmen, was nicht der üblichen Regelung entsprach (normalerweise kam die Stiftung nur für Experten und Maschinen auf, das Partnerland aber für Bau und Unterhalt der Schule). 479 Die Rekrutierung von geeignetem Schweizer Personal erwies sich als schwierig. Anfangs 1962 hatte die Stiftung zwei geeignete Experten gefunden, welche die Abklärungen in Dahomey zusammen mit Stiftungssekretär Hagenbüchle unternehmen und dann später auch im Projekt mitwirken sollten. Es handelte sich um einen Landwirt mit Meisterprüfung und „langjähriger Marokkoerfahrung“ sowie um einen „junge[n] Strickhof-Schüler und Absolventen der Tropenschule Basel“. 480 Als Standort für das agro-mechanische Ausbildungszentrum wurde

475 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 4.5.1961, S. 4. 476 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1960, S. 5. 477 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1961, S. 4-5. 478 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 27.9.1960, S. 3. 479 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1961, S. 4-5. 480 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 23.2.1962, S. 4. Die Landwirtschaftsschule Strickhof hatte ihren Sitz damals in Zürich, 1970 wurde sie nach Lindau verlegt. Sie ist die älteste Landwirtschaftsschule der Schweiz. Vgl. zur Geschichte des Strickhofs die Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum. Marc Kummer/Laurenz Müller (Hg.): 150 Jahre Strickhof. Zürich 2003.

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Sékou-Allada gewählt, das fünfzig Kilometer von der Küste entfernt lag – später erwies sich diese Standortwahl als ungünstig, da das Klima unwirtlich war. 481 Die Regierung Dahomeys stellte zweihundert Hektaren noch zu rodendes Land zur Verfügung. Ende 1962 begannen vier Schweizer Experten mit den „Aufbauarbeiten“. Die Kosten für die ersten drei Jahre wurden auf eine Million Schweizerfranken geschätzt.482 Das Ausbildungszentrum hatte den Zweck, junge Bauern auf mechanischen Landwirtschaftsgeräten auszubilden, wobei der Lehrgang auf die traditionelle Arbeitsweise abgestimmt werden müsse, wie im Jahresbericht 1962 zu lesen ist: Das Centre bezweckt die praktische Heranbildung junger landwirtschaftlicher Fachkräfte in der Handhabung und dem Einsatz mechanischer Boden-Bearbeitungsgeräte. […] Der Ausbildungslehrgang ist auf die primitive Arbeitsweise der Masse der einheimischen Landbevölkerung vernünftig abzustimmen. So erfolgen auch die Rodungsarbeiten zur Hauptsache von Hand. 483 Die Stiftung war sich bereits 1962 bewusst, dass das Projekt von Schwierigkeiten begeleitet sein würde, da die Wirtschaft Dahomeys stagnierte und die Regierung und Verwaltung vor schweren Problemen standen, zumal das Land erst 1960 unabhängig geworden war und von Staatsstreichen zerrüttet wurde. Vor diesem Hintergrund könne es schwierig sein, den Beitrag des Partnerlandes zu erlangen, der verhältnismässig hoch sei. 484 In dieser schwierigen Situation sei von den Schweizer Experten „ein hohes Mass körperlichen und moralischen Einsatzes“ verlangt. 485 Vorerst verlief jedoch alles nach Plan: Die Bauarbeiten kamen gut voran und die Beziehungen zu den Behörden wurden durch die politischen Umwälzungen nicht beeinträchtigt. Als Leiter des Ausbildungszentrums wurde Jacques Berney, diplomierter Agrar-Ingenieur ETH, eingesetzt. Drei Landwirte und ein Mechaniker ergänzten das Schweizer Team. Die Landwirte beaufsichtigten den Anbau von Mais, Baumwolle und Erdnusspflanzungen auf dem Gelände des Zentrums; im Rahmen der Zusammenarbeit mit dem Dahomey-Hilfswerk des VSK überwachten sie zudem deren landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. Der Mechaniker richtete eine Werkstätte für Reparaturen und die Ausbildung von Praktikanten ein. Eine erste Gruppe von zehn Praktikanten konnte im Mai 1963 die achtmonatige Ausbildung zum Traktorführer beginnen. Die Praktikumsabsolventen erhielten danach Stellen bei Genossenschaften, welche dem VSK-Hilfswerk angeschlossen waren, oder beim Staat.

481 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 25.4.1968, S. 3. 482 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1962, S. 5-6. 483 Ebd. S. 6. 484 Gemeint war hiermit, dass der finanzielle Beitrag Dahomeys im Verhältnis zu dessen verfügbaren Mitteln hoch war. Im Vergleich zu anderen Projekten der Stiftung war der Beitrag der Regierung eher gering, wie oben bereits erwähnt. 485 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1962, S. 6.

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Zwei blieben im Ausbildungszentrum der Stiftung, um sich weiterzubilden und um später allenfalls selbst Praktikanten als Traktorführer auszubilden.486 Auffällig ist, dass keiner der Praktikanten nach der Ausbildung auf einem privaten Landwirtschaftsbetrieb arbeitete. Vermutlich war die Nachfrage nach Traktorführern damals noch sehr gering, da in der Landwirtschaft in Dahomey, wie bereits oben erwähnt, noch kaum mechanische Geräte verwendet wurden. Hier zeigt sich eines der zentralen Probleme, mit denen die Stiftung zu kämpfen hatte: Die Schaffung von Arbeitsplätzen. Denn die Ausbildung von Handwerkern und Technikern konnte nur dann zur Entwicklung eines Landes beitragen, wenn diese den erlernten Beruf auch ausüben konnten.

3.5. Die Suche nach der geeigneten Form der Ausbildung: Traktorführer oder Landwirtschaftslehrer?

Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Dürre im Jahr 1964 schien die Erhöhung des Ernteertrags dringend. Die Stiftung studierte vor Ort die Faktoren, welche die Ernte beeinflussten, da sie die Produktivität steigern wollte und dies nicht alleine durch die Mechanisierung der Landwirtschaft zu erreichen war: Pour atteindre ce but sur une large base et d’une façon économiquement rentable, il faut absolument trouver des améliorations qui coûtent peu d’argent et qui peuvent se réaliser sans bouleverser le corps social (outils mieux adaptés, animaux de trait, façon correcte de semer, rotation des cultures). 487 Es waren also günstige Mittel zur Verbesserung des Ernteertrages gefragt, welche mit der traditionellen Arbeitsweise und der sozialen Struktur vereinbar waren. Ein erster Versuch mit vier Eseln, welche als Zugtiere eingesetzt wurden, verlief ermutigend: Diese Methode war in Dahomey kaum bekannt, günstig und zudem der traditionellen Methode – der Handarbeit – nicht so fern wie ein Traktor. Da das Internat aus finanziellen Gründen 1964 noch nicht gebaut worden war und das Provisorium anderweitig benötigt wurde, konnten keine neuen Praktikanten aufgenommen werden. Zudem war es schwierig, den zehn ausgebildeten Traktorführern eine Stelle zu vermitteln, da es kaum offene Stellen gab. Die Nützlichkeit dieses Ausbildungsprogramms wurde von Berney berechtigterweise bezweifelt. In der Folge fand eine Aussprache zwischen dem Stiftungssekretär, Berney, und den Behörden Dahomeys statt, worauf man sich auf die Schaffung eines neuen Ausbildungsprogramms einigte. Künftig sollten sieben- bis neunmonatige Praktika für angehende Landwirtschaftslehrer durchgeführt werden sowie

486 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1963, S. 5-7. 487 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1964, S. 6.

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eventuell ein zweijähriger Kurs für Traktorführer. Zudem plante man Demonstrationstage und praktische Kurse für die unausgebildeten Bauern der Region. Die Beitragszahlungen Dahomeys, welche nach der politischen Krise im Oktober 1963 unterbrochen worden waren, wurden wieder aufgenommen, sodass der Bau des Internatsgebäudes begonnen werden konnte. 488 Das Gebäude konnte ein Jahr später fertig gestellt werden. Die Stiftung unterhielt gute Kontakte zu Landwirtschaftsorganisationen, dem Institut de Recherches pour le Coton et les Textiles exotiques (IRCT) und dem Institut de Recherches Agronomiques Tropicales (IRAT), welche vor Ort tätig waren. 489 Das IRAT beriet die Stiftung betreffend Reis- und Viehfutteranbau. Auch die Zusammenarbeit mit dem VSK wurde fortgeführt – dieser übernahm nun das Gehalt eines Landwirtschaftsexperten der Stiftung, der nebenbei die Genossenschaften im Norden des Landes zu überwachen hatte. 490 Ab 1965 wurde erstmals eine Zuchtherde mit sieben Kühen und einem Stier im Zentrum gehalten. Das Studium der Faktoren, welche die Produktivität erhöhen, wurde anhand von sogenannten „fermettes types“ – kleinen Muster-Landwirtschaftsbetrieben – fortgesetzt und zeigte, „dass nur schon durch einfache gezielte Verbesserungen der Anbaumethoden, die keine andere Investition als die menschliche Arbeit erfordern, die Produktion merklich gesteigert werden kann.“ 491 Die Ausbildung von Landwirtschaftslehrern lief harzig an. Die Kapazitäten des Zentrums wurden bei weitem nicht ausgenutzt. Erfreulich war jedoch die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen vor Ort, welche Versuchspflanzungen und Feldlabors auf dem Gelände unterhielten. Das österreichische Komitee der Weltkampagne gegen den Hunger, die FAO und das Office de commercialisation agricole von Cotonou (Dahomey) planten gemeinsam die Errichtung eines Maissilos von fünfhundert Tonnen auf dem Gelände des Zentrums, das im Jahr 1967 eingeweiht werden konnte. Das Ausbildungszentrum Sékou-Allada pflegte engen Kontakt zu einer deutschen Aktion im Nachbarsdorf Tori-Cada, um den Einfluss auf die lokale Bevölkerung zu verstärken, welche an der traditionellen Anbauweise festhielt: Die Ausstrahlung des Centre auf die benachbarten Bauerndörfer war bis jetzt noch sehr gering, was nicht erstaunlich ist, wenn man beobachten kann, wie Bauern, die als Tagelöhner auf dem Centre

488 Vgl. Ebd. S. 6-7. 489 Das ICRT und das IRAT waren französische Forschungsinstitutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch während der Kolonialzeit gegründet worden waren und ihre Tätigkeit auch nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonialländer in Westafrika weiterführten. Vgl. dazu André Angladette/Louis Deschamps: Problèmes et perspectives de l'agriculture dans les pays tropicaux. Paris 1974 (Techniques Agricoles et Productions Tropicales 25-27). 490 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1964, S. 7-8. 491 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1965, S. 7.

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arbeiten, zuhause ihre Felder ungerührt wieder so bestellen, wie ihre Väter und Vorväter, obwohl sie die Überlegenheit der Arbeitsweise auf dem Centre durchaus erkennen. 492 Auch der Bund zeigte Interesse am Landwirtschaftszentrum in Sékou-Allada: Die Freiwilligenarbeiter des DftZ besuchten das Zentrum, um die lokalen Verhältnisse kennenzulernen, bevor sie ihren Einsatz in Dahomey begannen.493

3.6. Intensivierung der Ausbildung: Schaffung einer zweijährigen Lehre für künftige Bauern

Die Ausbildung von angehenden Landwirtschaftslehrern, -beratern und Traktoristen konnte im Jahr 1966 intensiviert werden, die kurzen Praktika waren jedoch auf Dauer unbefriedigend. Zudem äusserte Dahomey den Wunsch, Bauern auszubilden und diese neu anzusiedeln, um so die wachsende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Deshalb wurde bei der Vertragserneuerung die Schaffung einer eigentlichen Landwirtschaftsschule beschlossen, welche eine zweijährige Lehre für dreissig Schüler pro Klasse umfassen sollte. Die Ausbildung von Traktoristen und Landwirtschaftslehrern via Praktika wurde parallel dazu fortgeführt. Der neue Vertrag sah zudem eine höhere Beteiligung Dahomeys an den Betriebskosten vor (die Hälfte anstatt bisher ein Viertel). 494 Die Stiftung hielt die Ansiedlung von Neubauern jedoch für organisatorisch und finanziell schwer umsetzbar und schlug der Regierung deshalb ein alternatives Vorgehen vor.495 Die Lehrlinge sollten von bestehenden landwirtschaftlichen Organisationen oder Aktionen, wie dem Dahomey-Hilfswerk des VSK, dem deutschen Projekt in Tori-Cada oder der Société nationale pour le développement rural (SONADER) gestellt und nach deren Ausbildung weiterhin beschäftigt und betreut werden. 496 So wären den Lehrabgängern ein Arbeitsplatz und eine regelmässige Betreuung sicher. Die Stiftung einigte sich mit der Regierung Dahomeys darauf, dass diese bis Ende 1967 einen detaillierten Plan zur Ansiedelung der ausgebildeten Bauern ausarbeiten solle. 497 Ob die Regierung einen solchen Plan erstellte oder nicht, wird in den Quellen nicht erwähnt. Auf jeden Fall erklärte sie sich schliesslich doch mit dem von der Stiftung vorgeschlagenen Vorgehen einverstanden.498 Das Zentrum hatte jedoch Mühe, Lehrlinge für die Ausbildung zum Bauern zu finden, wie im Jahresbericht 1967 zu lesen ist:

492 Ebd. S. 8. 493 Vgl. Ebd. 494 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1966, S. 6-7. 495 Vgl. Ebd. S. 6. 496 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 2.12.1966, S. 2. 497 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1966, S. 6. 498 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 7.7.1967, S. 3.

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Eine Schule zu besuchen, um Bauer zu bleiben, liegt ausserhalb der Vorstellungswelt von Leuten, für die alle Ausbildung, die über den allerelementarsten Unterricht hinausgeht, nur das eine Ziel hat, salarierter Funktionär werden zu können. Um in diesem Punkt völlige Klarheit zu schaffen, musste sich jeder Kandidat schriftlich verpflichten, nach dem Besuch des Centre d’apprentissage agricole mindestens fünf Jahre in der Landwirtschaft zu arbeiten. 499 Von den siebenundzwanzig Lehrlingen, welche 1967 die Aufnahmeprüfung bestanden, erschienen nur zweiundzwanzig zum Schulbeginn. Die Schüler klagten über zu harte Arbeit und unbefriedigende Zukunftsaussichten; vier Schüler verliessen anfangs Dezember gar das Ausbildungszentrum, einer kehrte auf Geheiss der Eltern wieder zurück. Um die Lage zu klären, wurden die Eltern zu einer Aussprache nach Sékou-Allada eingeladen. Dieses Vorgehen war von Erfolg gekrönt, zumal die Eltern das Zentrum unterstützten und die Ausbildung in verbesserter Atmosphäre fortgesetzt werden konnte. 500 Die Schwierigkeiten, Lehrlinge für die Ausbildung zum Bauern zu finden, waren auch im April 1968 noch nicht gelöst. Das Interesse der jungen Leute an der Landwirtschaft sei gering, so der Leiter des Ausbildungszentrums Berney: „Alles [drängt] in städtische Verhältnisse und salarierte Stellungen“. 501 Aufgrund der Erfahrungen mit der ersten Lehrlingsklasse wollte Berney die Dauer der Lehre von zwei auf ein Jahr reduzieren. 502 Dies war der Anfang des Endes der zweijährigen Landwirt-Lehre; ab 1970 wurde sie nicht mehr angeboten. 503

3.7. Schweizer Kühe für Dahomey: Beginn der Viehzucht

Im Bestreben, die landwirtschaftliche Produktivität zu steigern, plante die Stiftung die Errichtung einer Viehzucht auf dem Gelände des Ausbildungszentrums. Im Süden Dahomeys war die Viehwirtschaft damals nicht verbreitet, weshalb ungewiss war, ob der Plan die erhoffte Breitenwirkung haben würde. 504 Dennoch wollte die Stiftung den Versuch wagen, da die Viehzucht gleich mehrere Vorteile mit sich bringen würde: „Eigenproduktion anstelle des Milchimportes für den Konsum in den Städten, Kulturwechsel mit Futterpflanzen statt Parzellenwechsel, Viehzug für die Bewältigung grösserer Anbauflächen“. 505 Mit dem systematischen Aufbau der Vieh- und Milchwirtschaft im Süden Dahomeys sollte die traditionelle Anbauweise ergänzt werden, was bei den ungünstigen klimatischen Verhältnissen besonders wichtig schien. 506

499 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1967, S. 6. 500 Vgl. Ebd. 501 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 25.4.1968, S. 3. 502 Vgl. Ebd. 503 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1969, S. 5. 504 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 2.12.1966, S. 2. 505 Ebd. 506 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 25.4.1968, S. 3.

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1967 kam die Braunviehherde (zehn trächtige Rinder und zwei Stiere) in Sékou-Allada an, welche die Spitzenverbände der schweizerischen Vieh- und Milchwirtschaft dem Zentrum schenkten, womit ein lange gehegter Plan verwirklicht wurde. Bereits 1965 war ein Versuch mit einer einheimischen Mischrasse gestartet worden, jetzt wollte man diese mit schweizerischen Kühen kreuzen. Ein ähnliches Vorhaben hegte die BRD im benachbarten Togo, sodass Erfahrungen ausgetauscht werden konnten. Die Voraussetzungen in Sékou- Allada waren günstig: Genug Land war gerodet, sodass die Gefahr der Schlafkrankheit 507 gering war; es gab genügend grosse Weideflächen und kundiges Personal. Dennoch starben fünf Kälber bei der Geburt oder kamen schon tot zur Welt, was auf die durch die Reise bedingte ungünstige Lage im Mutterleib zurückgeführt wurde. Die übrigen Kälber waren gesund. Es wurden ein Stall und eine Sennerei errichtet. 508 Die Schweizer Braunviehherde entwickelte sich im Jahr 1968 normal. Die ersten fünf Kälber aus Kreuzungen besassen vorteilhafte Eigenschaften beider Rassen: Das grössere Gewicht des Schweizer Braunviehs und die Immunität gegen die Schlafkrankheit des dahomeyschen Viehs. Die einheimische Herde übertraf sogar die Erwartungen: „Auch der Zustand der einheimischen Herde (39 Häupter) ist sehr gut und zeigt, dass sie bei guter Pflege und einer sorgfältigen Auswahl der Zuchttiere eine beträchtliche eigene Entwicklungsfähigkeit besitzt.“ 509 Im Rahmen der Vertragsverlängerung um 1969 wurde auch die Anstellung der drei Schweizer Experten Berney, Heinz Winterhalter und Rémy Fontannaz um zwei weitere Jahre verlängert. Winterhalter (Verantwortlicher Viehzucht) und Fontannaz (Lehrlingsausbildner) waren 1969 nacheinander auf „Europaurlaub“. 510 Bei dieser Gelegenheit besuchte Winterhalter zusammen mit dem Stiftungssekretär Zimmermann zwei Vertreter der schweizerischen Viehzucht: Herrn Wyss von der Kommission der Viehzuchtverbände in Bern und Herrn Glättli vom Braunviehverband in Zug. Die Viehzuchtvertreter waren nach wie vor an der Viehzucht in Dahomey interessiert, und Wyss schlug sogar vor, noch mehr Vieh für das Projekt in Dahomey zur Verfügung zu stellen. 511 Soweit aus den Quellen ersichtlich, fand jedoch kein weiterer Transfer von Schweizer Braunvieh nach Dahomey statt.

507 Die Schlafkrankheit oder auch Trypanosomiasis ist eine Infektionskrankheit, die von der Tsetsefliege auf Menschen und Tiere übertragen wird und in den tropischen Gebieten Afrikas vorkommt. Sie ist nach dem Dämmerzustand im Endstadium bezeichnet und kann tödliche Folgen haben. 508 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1967, S. 6-7. 509 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1968, S. 6. 510 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 18.4.1969, S. 2. Ob die Experten effektiv in verschiedenen Ländern Europas ihren Urlaub verbrachten oder lediglich in der Schweiz, ist den Quellen nicht zu entnehmen. Die Bezeichnung „Europaurlaub“ oder auch „Europaaufenthalt“ könnte auch lediglich zur Unterscheidung vom Aufenthalt in Dahomey (Afrika) verwendet worden sein und also auch nur für einen Urlaub in der Schweiz gestanden haben. 511 Vgl. Ebd.

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Im Jahr 1970 erlebte die Viehzucht ein Rückschlag, da sechs Schweizer Kühe und ein vor Ort geborener Stier starben oder eingeschläfert werden mussten; fünf dieser Tiere litten an Rickettsiose. 512 Man hoffte, dass die Kreuzungen dagegen genauso resistent sein würden wie gegen die Schlafkrankheit. Auch in der Viehzucht wurde versucht, die lokale Bevölkerung zu beeinflussen und die Viehherden der Umgebung in das Unternehmen einzubeziehen, was jedoch – ähnlich wie im Fall der Anbauweise, wie weiter oben geschildert – nicht gelang.513 Der Zustand des Schweizer Viehs war 1971 unbefriedigend im Gegensatz zu den heimischen und den gekreuzten Tieren. Deshalb sollte nun deutsches Vieh frisches Blut beisteuern und die Rasse kräftigen. 514

3.8. Erweiterung der landwirtschaftlichen Produktion und Vorbereitung der Übergabe des Projektes

Die landwirtschaftliche Produktion auf dem Ausbildungszentrum Sékou-Allada machte Fortschritte. Neu wurden Kenaf (Bastfaser), Agrumenbäume (Zitruspflanzen) und versuchsweise auch Tabak angepflanzt. Dabei arbeitete die Stiftung mit der Compagnie Agricole et Industrielle des Tabacs Africains und dem Institut de Recherches Fruitières Outre- Mer zusammen. Das Mais-Silo hatte sich gut bewährt. Seit langer Zeit konnte 1968 erstmals wieder Mais exportiert werden, nach Senegal. 515 Um grössere Erträge zu erzielen, wurde der Garten erweitert und ein neuer Hühnerhof für tausend Hühner gebaut, der sich als eine gute Investition erwies. Erstmals wurde auf dem Zentrum Joghurt hergestellt und somit die Milchverwertung verbessert. 516 Die Produkte, welche auf dem Ausbildungszentrum gewonnen wurden, konnten gut verkauft werden: An Abnehmern fehlte es nicht. Die Gründung von Konsumgenossenschaften durch den Dienst für technische Zusammenarbeit in Bern und den Verband Schweizerischer Konsumvereine erleichtert dem Centre nicht nur den Absatz dieses Produktes [des Joghurts, F.D.], sondern auch der Früchte, Gemüse und der Eier. 517 Offenbar unterstützte nun auch der Bund die Gründung von Konsumgenossenschaften in Dahomey, welche der VSK seit längerem förderte. Die Tätigkeit des VSK-Hilfswerks war

512 Unter dem Begriff Rickettsiosen werden eine Reihe von Krankheiten mit unterschiedlichen Krankheitsbildern zusammengefasst. Sie werden von Bakterien verursacht, die unter anderem von Zecken auf Menschen oder Tiere übertragen werden. Welche der verschiedenen Krankheiten hier genau vorlag, kann nicht rekonstruiert werden. Im Jahresbericht wurde nur von „Rickettsiose“ als einer bösartigen Infektionskrankheit gesprochen, die von Zecken übertragen werde. Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1970, S. 4. 513 Vgl. Ebd. 514 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1971, S. 14. 515 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1968, S. 5. 516 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1969, S. 5-6. 517 Ebd. S. 6.

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eine gute Ergänzung zur landwirtschaftlichen Ausbildungs- und Produktionstätigkeit der Stiftung. Spannend ist die Art, wie die Stiftung Synergien zwischen ihren verschiedenen Projekten nutzte. Sie schickte einen künftigen Instrukteur des Zentrums in Sékou-Allada für ein Praktikum nach Gabès, Tunesien, an ihr eigenes Berufsbildungszentrum: „Der einheimische Mechaniker François Agbozo konnte im September einen bisher sehr gut verlaufenen Stage am Centre de Perfectionnement Professionnel in Gabès antreten, um sich auf die Übernahme der Werkstatt im Laufe des Jahres 1968 vorzubereiten.“ 518 Agbozo konnte 1968 tatsächlich die Leitung der mechanischen Werkstatt übernehmen; gleichzeitig traten weitere einheimische Mitarbeiter an die Stelle von Schweizern. Die Übergabe des Projektes in dahomeysche Hände hatte somit begonnen. 519 In den Monaten September und Oktober 1968 besuchte Im Hof-Piguet das Ausbildungszentrum in Sékou-Allada. Sie war mit der Schweizer Leitung sehr zufrieden und freute sich über das freundschaftliche Verhältnis zum zuständigen Regierungsminister Dahomeys. 520 Das gute Verhältnis zum Projektpartner, der Regierung Dahomeys, wurde besonders geschätzt, da es nicht selbstverständlich schien – hatte man doch in Indien mit Gill, dem Direktor des CSIO, ganz andere Erfahrungen gemacht. So betonte auch Berney, der Leiter des Ausbildungszentrums Sékou-Allada, gegenüber dem geschäftsführenden Ausschuss, „dass es in Dahomey […] glücklicherweise keinen Dr. Gill [gebe] […] und dass die Beziehungen zu den dahomeanischen Behörden und zu den Einheimischen überhaupt normal und spannungsfrei [seien].“ 521 Als problematisch beurteilten sowohl Im Hof-Piguet als auch Berney die politische Instabilität des jungen Landes, welche die Stiftungstätigkeit glücklicherweise nicht direkt beeinträchtigten. Im Hof-Piguet erwähnte auch die Finanzknappheit Dahomeys als ungünstigen Faktor. 522

3.9. Aufnahme der vierjährigen Ausbildung von landwirtschaftlichen Betriebsleitern

Im Jahr 1969 gab es eine letzte Änderung des Ausbildungsprogramms. Der Vertrag zwischen der Stiftung und den Behörden Dahomeys wurde nochmals verlängert bis 1971 und enthielt den Beschluss, nach dem Vorschlag Dahomeys eine „Ecole des Conducteurs des Travaux

518 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1967, S. 7. Siehe auch weiter unten Kapitel 3.3. 519 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1968, S. 5-6. 520 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 13.12.1968, S. 2. 521 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 25.4.1968, S. 3. 522 Vgl. Ebd. sowie AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 13.12.1968, S. 3.

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Agricoles“ auf dem Zentrum zu errichten. In Dahomey gab es noch keine Schule für die Ausbildung landwirtschaftlicher Betriebsleiter; bisher musste diese Ausbildung in Nachbarländern absolviert werden, wo die Plätze beschränkt waren. Die Ausbildung zum landwirtschaftlichen Betriebsleiter sollte vier Jahre dauern (drei Jahre Schule und ein Jahr Praktikum). 523 Für die theoretische Ausbildung wurden einheimische Lehrkräfte eingesetzt, für welche die Regierung aufkam, die praktische Ausbildung übernahmen schweizerische Lehrkräfte, welche die Stiftung anstellte. 524 Die benötigten neuen Gebäude wurden noch im selben Jahr errichtet. „Diese rasche Realisierung war möglich dank des speditiven Vorgehens der nationalen Behörden und der Hilfsbereitschaft ausländischer Vertretungen und Organisationen.“ 525 Die zweijährige Lehre zur Ausbildung junger Bauern, welche erst 1966 eingeführt worden war, sollte ab 1970 nicht mehr angeboten werden. Die Kurse für landwirtschaftliche Ausbildner und Berater, Traktoristen sowie Leiter von Genossenschaften wurden jedoch beibehalten. 526 Bereits im April 1969 wurde die Möglichkeit einer Gründung einer zweiten Schule für die Ausbildung landwirtschaftlicher Betriebsleiter in Dahomey in Betracht gezogen, wozu die Stiftung alleine jedoch nicht in der Lage war. Sie wollte aber zumindest Abklärungen vornehmen. 527 Dass über eine weitere Schule diskutiert wurde, ist insofern erstaunlich, als die Stiftung noch keine Erfahrung mit der frisch gegründeten Schule für Betriebsleiter machen konnte. Vielleicht drängte die Regierung Dahomeys in diese Richtung; vielleicht war die Stiftung auch des speditiven Vorgehens der Behörden wegen der Sache nicht abgeneigt. Die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen war weiterhin gut. Neuerdings schickte der Peace Corps der USA alle seine in Dahomey tätigen Freiwilligen für ein Praktikum ins Ausbildungszentrum nach Sékou-Allada, das in „Centre National des Techniques Agricoles“ umbenannt wurde. 528 Der neue Name wies auf die zunehmende Bedeutung des Ausbildungszentrums für Dahomey hin, worauf die Stiftung zu Recht stolz war: „Es bedeutet für die Stiftung eine grosse Genugtuung, dass das Centre von Dahomey selbst und unabhängig von den politischen Veränderungen als eine der bedeutendsten nationalen Institutionen auf dem Gebiet der Landwirtschaft betrachtet wird.“ 529

523 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1969, S. 5. 524 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 13.12.1968, S. 2. 525 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1969, S. 5. 526 Vgl. Ebd. 527 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 18.4.1969, S. 2. 528 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1970, S. 4-5. 529 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1969, S. 6.

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Die Schule für landwirtschaftliche Betriebsleiter konnte am 2. April 1970 eröffnet und eine erste Klasse von sechzehn Schülern aufgenommen werden. Der Lehrplan richtete sich nach dem Vorbild der bestehenden Schulen der Nachbarländer und wurde laufend verbessert. Neben zwei Schweizer Agraringenieuren waren nunmehr sieben nebenamtliche einheimische Lehrer tätig, wovon einer, Justin Gnédéhou, zum Co-Direktor ernannt wurde. Die Schule wurde nach dem ersten König von Allada „Lycée Agricole ‚Medji’“ genannt – auch dies ein Zeichen der Anerkennung. 530 Im Jahr 1971 konnte sich die Schule konsolidieren und wurde faktisch schon vom Co-Direktor geleitet: Das landwirtschaftliche Zentrum hat damit seine wohl endgültige Konzeption gefunden und dient nun als ‚Laboratorium‘ der nationalen landwirtschaftlichen Mittelschule. Damit hat sich Sékou eine Stellung erworben, die einen wesentlichen Einfluss auf die weitere Gestaltung der Ausbildung im landwirtschaftlichen Sektor bedeutet. 531 Bis Ende 1973 war geplant, das gesamte Zentrum schrittweise an einheimische Kräfte zu übergeben. Gnédéhou betonte im Jahresbericht 1971, wie wichtig das landwirtschaftliche Ausbildungszentrum für Dahomey sei, zumal achtzig Prozent der Bevölkerung Bauern seien und die kleinste Verbesserung in der Produktivität deshalb bereits viel bewirken könne. Insofern sei das Zentrum die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches. 532

4. Projekt in Tunesien 1964-1971

4.1. Der Bund beauftragt die Stiftung mit der Durchführung eines Projektes Das Projekt in Tunesien war das erste, welches die Stiftung im Auftrag des Bunds durchführte. Zuvor hatte sich der Bund einzig am Projekt in Pakistan beteiligt – die Projekte in Indien und Dahomey wurden gänzlich von der Stiftung finanziert. Die Lehrwerkstätte für Präzisionsmechaniker nach dem Vorbild von Chandigarh, welche am 6. September 1965 in Karachi eröffnet wurde, ging – anders als beim Projekt in Tunesien – auf die Initiative der Stiftung zurück. Zwar zeigte sich der Bund von Anfang an nicht abgeneigt, das Projekt zu unterstützen, aber er wartete die Vorabklärungen der Stiftung und die Einreichung eines Unterstützungsgesuches ab. 533 Das Gesuch um einen Beitrag von neunhundertachtzigtausend Schweizerfranken, was etwa der Hälfte der Projektkosten bis Ende des Schuljahres 1967/68 entsprach, wurde im Jahr 1965 vom Bund bewilligt. 534

530 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1970, S. 4-5. 531 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1971, S. 7-8. 532 Vgl. Ebd. S. 14-15. 533 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 23.2.1962, S. 2. 534 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1965, S. 7.

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In der Sitzung vom 4. Oktober 1963 befasste sich der geschäftsführende Ausschuss erstmals mit der Übernahme eines Projektes im Auftrag des Bunds – diesmal lag also die Initiative zur Durchführung des Projektes beim Bund und nicht bei der Stiftung. Dabei ging es um ein Projekt in Tunesien. Dass sich die Stiftung in dieser neuen Rolle als Auftragsausführer noch nicht so ganz wohl fühlte, zeigt der Hinweis Schindlers auf ihre Unabhängigkeit vom Bund: „Die unabhängige Stellung der Stiftung sowohl bei der Abklärung wie bei der ev. Verwirklichung des Projektes sei hinreichend gewahrt. Dem Bund käme ein angemessenes Aufsichts- und Mitspracherecht bei der Projektsgestaltung zu.“ 535 Fürer äusserte an der Sitzung Bedenken gegenüber der Aufnahme eines Projekts in Tunesien wegen der „prekären politischen Entwicklungen“. 536 Er sprach damit die tunesisch-französische Beziehung an, welche seit der Unabhängigkeit Tunesiens 1956 in einer Krise steckte und 1961 in einem bewaffneten Konflikt eskalierte. Erst im Oktober 1963 zog Frankreich seine Truppen ab – die Ereignisse waren also von höchster Aktualität. Da Fürer die Situation in Tunesien aber immerhin als stabiler einschätzte als im benachbarten Algerien – das erst 1962 nach einem jahrelangen Krieg von Frankreich unabhängig geworden war – und da der Bund einen Grossteil der Kosten tragen würde, stimmte er der Aufnahme eines Projekts in Tunesien dann doch zu. 537 Man könnte meinen, das Kosten-Argument ziele darauf ab, dass die Stiftung das Risiko eines Projekt-Misserfolgs deshalb eingehen könne, weil nicht so viel Geld auf dem Spiel stünde. Dies war jedoch nicht die Hauptsorge Fürers. Primär ging es darum, dass die Stiftung damals beabsichtigte, ein Projekt in Peru an die Hand zu nehmen, und dass das Tunesien-Projekt eine Konkurrenz für das erste Projekt in Lateinamerika darstellte, da die Stiftungsmittel begrenzt waren. 538 Weil aber das Tunesien-Projekt zu einem Grossteil vom Bund finanziert würde, war das Peru-Projekt ausser Gefahr, wie Fürer feststellte: „Nachdem die Hauptkosten des Tunesien-Projektes vom Bund getragen würden, […] [stünde] der Stiftung die Anhandnahme eines Projektes in Lateinamerika finanziell offen.“ 539 Damit waren die letzten Bedenken aus dem Weg geräumt, und der Ausschuss beschloss, das Projekt weiterzuverfolgen. Sobald der Staatsvertrag mit Tunesien abgeschlossen wäre, wollte man mit den Abklärungen vor Ort beginnen. 540 Dieses Vorgehen wurde vorgängig in einer Besprechung Schindlers mit dem Botschafter Lindt (DftZ) abgemacht. Der Stiftung stand frei, von einer Beteiligung am Projekt zurückzutreten, falls die Abklärungen unbefriedigend

535 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 4.10.1963, S. 1. 536 Ebd. S. 1-2. 537 Vgl. Ebd. S. 2. 538 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Stiftungsrat vom 28.5.1963, S. 8. 539 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 4.10.1963, S. 2. 540 Vgl. Ebd. S. 1.

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ausfielen. 541 Im Hof-Piguet hatte mit der Organisation Reconstruction Travail (ORT), einem jüdischen Hilfswerk mit Sitz in Genf, Kontakt aufgenommen, um von deren langjährigen Erfahrung in der Berufsausbildung in Tunesien profitieren zu können. 542 Das ORT kam dem Wunsche nach und stellte der Stiftung den Leiter ihres tunesischen Ausbildungszentrums als Berater zur Verfügung. 543

4.2. Errichtung einer tunesisch-schweizerische Berufsschule in Gabès Nachdem die Stiftung die Lage vor Ort begutachtet hatte, nahm sie den Projektauftrag des Bunds im Jahr 1964 an. 544 Geplant war eine tunesisch-schweizerische Berufsschule in Gabès mit sechs Klassen à je fünfzehn Lehrlingen, welche folgende sechs Berufe lernen konnten: Bauschlosser, Sanitärinstallateur, Elektroinstallateur, Unterhaltsmechaniker, Automechaniker und Autoelektriker. 545 Der Bund kam für die Werkstattausrüstung sowie für die Hälfte der Kosten des Schweizer Personals auf, das aus einem Schuldirektor und sechs Instrukteuren bestand. Die andere Hälfte der Personalkosten übernahm die Stiftung, wobei die Anstellung über sie lief. 546 Die Beteiligung der Stiftung an den Personalkosten wurde vom Bund nicht gefordert, offenbar aber von der Stiftung gewünscht. In der Besprechung mit Lindt kündigte Schindler an, „dass die Stiftung erwägen wird, sich mit einem eigenen Anteil an den Personalkosten zu beteiligen.“ 547 Von wem die Idee stammte, dass sich die Stiftung auch finanziell am Projekt beteiligen könnte, kann nicht ermittelt werden. Wahrscheinlich stammte der Vorschlag von Seiten der Stiftung, da es in ihrem Interesse lag, sich auch finanziell am Projekt zu beteiligen, um nicht nur ausführende Kraft zu sein, sondern ein Partner mit Mitspracherecht. Auch wenn der Vorschlag vom Bund stammte, so geht doch aus dem Zitat hervor, dass die Stiftung Entscheidungsfreiheit hatte. Die Stiftung war vollumfänglich verantwortlich für die Durchführung des Projektes, welche sie auch gleich an die Hand nahm. So rekrutierte sie im Jahr 1964 das Personal, besorgte die Ausrüstung und traf die nötigen Vorbereitungen in Tunesien. Auch diesmal – wie schon in den Projekten in Indien und Dahomey – hatten die Bauarbeiten Verspätung, sodass die

541 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Zirkular an die Mitglieder des geschäftsführenden Ausschusses vom 1.10.1963, S. 1. 542 Vgl. zur ORT: Jacques Picard: Artikel „Organisation Reconstruction Travail (ORT)“, in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS). Online im Internet: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D48642.php [Stand: 30.4.2012] 543 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 4.10.1963, S. 1. 544 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1964, S. 8-9. 545 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1963, S. 9. 546 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1964, S. 8-9. 547 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Zirkular Ausschuss vom 1.10.1963, S. 1.

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Eröffnung der Berufsschule auf Anfang 1965 verschoben werden musste. 548 Am 19. April 1965 konnte das „Centre tuniso-suisse de formation professionnelle pour adultes“ nach „langwierigen Abschluss- und Installationsarbeiten“ endlich eröffnet werden. Ende 1965 konnte die Stiftung in ihrem Jahresbericht bereits auf erste Erfahrungen zurückblicken. Die praktische Ausbildung verlief gut, die theoretische weniger, da die Grundkenntnisse der Lehrlinge mangelhaft waren. Um den Schwierigkeiten im theoretischen Unterricht zu begegnen, wollte man das Auswahlverfahren der Lehrlinge verschärfen. 549 Das Hauptproblem lag allerdings beim tunesischen Lehrpersonal, welches die Schweizer Experten unterstützen sollte: Schwer belastet waren die Ausbildung, wie die Führung der Schule überhaupt, durch die Schwierigkeiten mit dem teils fachlich, teils charakterlich ungeeigneten tunesischen Lehrpersonal (Vice-directeur, Homologues), bis es gegen Ende des Jahres gelang, die Situation erheblich zu verbessern.550 Als „Homologues“ bezeichnete die Stiftung jeweils die einheimischen Lehrkräfte, welche den Schweizer Experten zunächst als Assistenten bei der Lehrlingsausbildung halfen, später aber an deren Stelle treten konnten. Im gleichen Sinne wurde jeweils dem schweizerischen Direktor, dem Leiter der Schule, ein einheimischer Vize-Direktor an die Seite gestellt. Im Falle von Tunesien hatten diese einheimischen Lehrkräfte offenbar nicht die erforderlichen Fähigkeiten; diese unbefriedigende Situation konnte aber bis Ende 1965 verbessert werden, wie dies geschah, darüber geben die Quellen keine Auskunft. Vielleicht wurde das Personal ganz oder teilweise ausgewechselt, vielleicht konnten die Schwierigkeiten auch durch Weiterbildung desselben Personals überwunden werden. Im Jahresbericht 1965 wurden ferner der „ausgezeichnete Teamgeist“ der Schweizer Experten und die „ausgezeichneten Beziehungen“ des Direktors William Gauthey zu den tunesischen Behörden gelobt. Dank diesen beiden günstigen Faktoren hätten entstandene Schwierigkeiten immer wieder bewältigt werden können. 551

4.3. Einjährige Berufsausbildung genügt aus schweizerischer Sicht nicht Ein umstrittener Punkt war die Dauer der Berufsausbildung. Aus schweizerischer Sicht reichte die einjährige Berufsausbildung nicht aus, um die Lehrlinge auf ihre künftige Arbeit vorzubereiten: Von schweizerischer Seite ist schon wiederholt darauf hingewiesen worden, dass einjährige Kurse in der Regel dort nicht genügen, wo es in Industrie und Gewerbe am Kader fehlt, das imstande ist,

548 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1964, S. 8-9. 549 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1965, S. 9. 550 Ebd. 551 Vgl. Ebd.

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die angelernten neuen Kräfte weiter zu fördern, und wo an vielen Arbeitsplätzen der Mann zu vornherein auf sich selbst angewiesen ist und darum ein solides Rüstzeug haben muss. 552 Deshalb wollte die Stiftung bereits im Jahr 1965 die Ausbildungszeit von ein auf zwei Jahre verlängern. 553 Doch vorerst hatte sie mit ihrem Bestreben keinen Erfolg. Deshalb versuchte sie auf einem anderen Weg, ihr Ziel zu erreichen, gut ausgebildete Arbeitskräfte für Industrie und Gewerbe bereitzustellen. Sie verschärfte die Aufnahmebedingungen für die neuen Lehrlinge (wie schon 1965 geplant) in der Hoffnung, dass diese genug Vorwissen mitbringen würden, um in einem Jahr die fehlenden Berufskenntnisse erwerben zu können. In diesem Sinne wurde auch die Schule unbenannt in „Centre tuniso-suisse de perfectionnement professionnel“. Der Begriff „perfectionnement“ (Fortbildung) anstatt „formation“ (Ausbildung) unterstrich die Neuausrichtung. Jedoch erreichte die Stiftung mit dieser Massnahme nicht die erhoffte Wirkung: „Es hat sich allerdings rasch erwiesen, dass diese Lösung nicht befriedigen kann, weil weder die theoretischen Kenntnisse noch die praktischen Fähigkeiten der neunzig neuen Lehrlinge schon so entwickelt sind, dass ein Jahr Fortbildung genügen könnte.“554 Das Problem blieb vorerst ungelöst, man wollte es aber bei der Vertragsverlängerung im Jahr 1967 erneut ansprechen. 555 Im Jahr 1966 fanden die ersten Abschlussprüfungen statt, welche siebenundsechzig von vierundachtzig Lehrlingen bestanden. Die Prüfung sei verglichen mit dem geringen Vorwissen der Lehrlinge eher schwierig gewesen, wie die Stiftung im Jahresbericht 1966 schrieb. Diejenigen, welche die Prüfung nicht bestanden hatten, erhielten zwar kein Diplom, aber immerhin eine Bescheinigung über die absolvierte Ausbildung. Die Zusammenarbeit mit der Expertenkommission, welche aus lokalen Fachleuten bestand, habe dabei sehr gut funktioniert.556 Die Stellenvermittlung für die Lehrabgänger war jedoch schwierig; Ende 1966 hatten noch nicht alle eine Stelle. Die Ursache dafür sah die Stiftung einerseits in den fehlenden Arbeitsplätzen in Gabès, andererseits in der hohen Zahl von Absolventen verschiedener Lehrwerkstätten. Kurz gesagt gab es nur wenige Stellen für viele Lehrabgänger. Die Stiftung hoffte auf eine Verbesserung der Lage durch den baldigen Bau eines Hafens und einer Chemiefabrik in Gabès. Die Verlängerung der Berufsausbildung auf zwei Jahre würde auch das Problem der Stellenvermittlung entschärfen, da damit die „Zahl der Lehrlinge an die

552 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1966, S. 9. 553 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1965, S. 9. 554 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1966, S. 9. 555 Vgl. Ebd. 556 Vgl. Ebd. S. 8-9.

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Aufnahmefähigkeit der tunesischen Wirtschaft“ angepasst werden könnte – ein Grund mehr, weshalb sich die Stiftung dafür einsetzte. 557 Ende 1966 hatte die Stiftung noch keinen geeigneten tunesischen Vize-Direktor gefunden, welcher künftig die Leitung der Schule übernehmen könnte. Zwei tunesische Lehrkräfte („Homologues“) absolvierten derweil ein Praktikum in der Schweiz, um künftig die Nachfolge von zwei Schweizer Instrukteuren antreten zu können. Die Praktikanten bewährten sich dabei gut. Es scheint also, dass das Problem der ungeeigneten tunesischen Lehrkräfte – bis auf den fehlenden Vize-Direktor – dauerhaft gelöst werden konnte. 558

4.4. Zu wenige Lehrlinge wegen zu strengem Auswahlverfahren? Der Vertrag des Bunds mit Tunesien wurde um ein Jahr bis Ende Juli 1968 verlängert, wobei die Stiftung weiterhin die Hälfte der Personalkosten übernahm. Grund für die Vertragsverlängerung war die Verzögerung der Betriebsaufnahme der Schule, welche durch die Verspätung der Bauarbeiten verursacht worden war. Ursprünglich sollte die Schule bereits im Oktober 1964 eröffnet werden, effektiv konnte dies erst im April 1965 erfolgen. Durch diese zeitliche Verschiebung wurde die Ausbildungsdauer des ersten Lehrganges auf vierzehn Monate verlängert – wohl um sich an übliche Ferien- bzw. Schulzeiten zu halten. 559 Bei dieser Vertragsverlängerung setzte sich der Bund für die wiederholt geforderte Verlängerung der Ausbildungszeit von ein auf zwei Jahre ein, jedoch ohne Erfolg. 560 Die Ausbildung des tunesischen Lehrpersonals hingegen verlief im Jahr 1967 erfolgreich. Mittlerweile hatten fünf Tunesier ein sechs- bis neunmonatiges Praktikum in der Schweiz absolviert, um ab dem Schuljahr 1968/1969 teilweise eigene Klassen übernehmen zu können. Im selben Jahr stattete der Präsident Tunesiens, Habib Bourguiba, der Schule einen Besuch ab und lobte sie sowie die gute Zusammenarbeit. 561 Offenbar war die Nachfrage nach der angebotenen Ausbildung nicht so hoch wie erwartet, sodass 1967 nicht alle Ausbildungsplätze besetzt werden konnten. Von neunzig freien Plätzen konnten nur sechsundsiebzig besetzt werden. Auffallend ist, dass dieses Problem erstmals im Jahresbericht 1967 erwähnt wurde, wobei allerdings von einem bereits seit längerem bestehenden Problem und nicht von einem neuen die Rede war. Die Zahlen der Abschlussprüfung geben dazu einen Hinweis: Elf von fünfundsechzig Lehrabgängern

557 Vgl. Ebd. S. 9. 558 Vgl. Ebd. 559 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 2.12.1966, S. 3. 560 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 7.7.1967, S. 3. 561 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1967, S. 8.

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bestanden die Prüfung im Jahr 1967 nicht. 562 Im Vorjahr waren es siebzehn von insgesamt vierundachtzig Lehrabgängern. Es konnten also nie alle Lehrstellen besetzt werden, wobei die Vollbesetzung im ersten Jahr beinahe erreicht wurde. Nach der Verschärfung des Auswahlverfahrens im Jahr 1966 sank die Zahl der Lehrlinge 1967 drastisch, rund zwanzig Lehrlinge weniger begannen mit der Ausbildung. Dieser Wert verbesserte sich im Folgejahr zwar wieder, das Problem wurde aber erst jetzt richtig wahrgenommen – oder aber erst jetzt kommuniziert. Diese Zahlen sprechen dafür, dass das Auswahlverfahren zu streng, die geforderten Vorkenntnisse zu hoch waren, und dass deshalb nicht alle Lehrstellen besetzt werden konnten. Es gab aber noch andere mögliche Gründe, weshalb nicht genügend Lehrlinge gefunden werden konnten. Eine Ursache könnte die geringe Nachfrage respektive das grosse Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten gewesen sein. Im Jahresbericht 1966 ist die Rede von einer „hohe[n] Zahl an Absolventen von verschiedenen Lehrwerkstätten“ 563 – es gab also noch eine Reihe weiterer, ähnlicher Berufsschulen in Gabès, welche das Angebot vergrösserten. Vielleicht war auch der Mangel an Arbeitsplätzen ein Grund für das geringe Interesse an der Ausbildung, zumal diese keine Garantie für eine Stelle liefern konnte – inwiefern sie die Aussichten auf eine Anstellung verbesserte, ist fraglich. Denn die qualitativ hochstehende Berufsausbildung war etwas Neues, womit Behörden und Arbeitgeber gleichermassen umgehen lernen mussten. Die Stiftung sah darin die Hauptursache für die Schwierigkeiten sowohl bei der Rekrutierung von neuen Lehrlingen, als auch bei der Stellenvermittlung für die Lehrabgänger: Dieser Sachverhalt [bestätigt] nur die auch in Indien, Pakistan und Costa Rica gemachte Erfahrung, dass die Plazierung der Absolventen unserer Lehrwerkstätten zu den wichtigsten Aufgaben der Schulleitung gehören, weil die amtlichen Arbeitsämter auf sie so wenig vorbereitet sind wie die meisten potentiellen Arbeitgeber auf die Existenz gründlich ausgebildeter Leute. 564 Da es kaum gut ausgebildete Arbeitskräfte gab, fehlten wohl auch die entsprechenden Stellen, sodass die Arbeitgeber zunächst nicht wussten, wie mit den neu ausgebildeten Berufsleuten umgehen. Weil diese Art der Berufsausbildung noch nicht verbreitet war, sah die Bevölkerung wohl auch den Sinn darin nicht, was das mangelnde Interesse an den Lehrstellen erklären würde. Die Stellenvermittlungs-Behörden wiederum hatten in diesem Umfeld keine leichte Aufgabe, zumal für sie diese Berufsausbildung ebenso neu war wie für Arbeitgeber und Bevölkerung.

562 Vgl. Ebd. 563 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1966, S. 9. 564 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1968, S. 10.

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4.5. Gestaffelte Einführung der zweijährigen Berufsausbildung Im Januar 1968 war immer noch keine Einigung im Streit um die Verlängerung der Ausbildungsdauer von ein auf zwei Jahre in Sicht. Die Bedingung der Tunesier an eine zweijährige Berufslehre war, dass gleichzeitig die Anzahl Lehrlinge verdoppelt würde, was bedeutete, dass die gleiche Zahl Lehrlinge pro Jahr aufgenommen würde, auch wenn diese zwei Jahre an der Berufsschule blieben anstatt bisher nur einem. Mit dieser Bedingung waren Stiftung und Bund nicht einverstanden, da damit Mehrkosten für zusätzliches Material und Lehrpersonal verbunden wären und weil mit einer Verdoppelung der Anzahl Lehrlinge die Stellenvermittlung noch schwieriger würde, als sie es bereits damals schon war. 565 Im April kam dann endlich eine Einigung zustande. Die tunesische Regierung stimmte der Verlängerung der Ausbildungsdauer auf zwei Jahre zu; im Gegenzug entsprach die Stiftung dem Wunsch nach der Verdoppelung der Anzahl Lehrlinge. Damit aber die Schwierigkeiten bei der Stellenvermittlung nicht noch zunahmen, wurde eine gestaffelte Einführung der zweijährigen Berufsausbildung beschlossen. 566 Ab Herbst 1968 sollten vorerst nur drei Berufsabteilungen die zweijährige Berufslehre einführen (Bauschlosser, Sanitärinstallateure, Elektroinstallateure), im Folgejahr dann die übrigen drei (Unterhaltsmechaniker, Automechaniker, Autoelektriker), sodass jedes Jahr drei Berufsabteilungen Lehrlinge entlassen und neue aufnehmen konnten. Die Stiftung wollte mit dieser Staffelung auch Engpässen bei der Rekrutierung von Lehrlingen vorbeugen, welche ja damals schon Probleme bereiteten: „Diese Staffelung hat den Vorteil, dass das Centre jedes Jahr Lehrlinge entlässt und aufnimmt, statt nur jedes zweite, und sich auf diese Weise eine breitere Rekrutierungsbasis und einen ununterbrochenen Kontakt mit der Umwelt sichert.“ 567 Die Einführung der zweijährigen Berufsausbildung am „Centre tuniso-suisse de perfectionnement professionnel“ bedingte eine Fortsetzung der Unterstützung durch Schweizer Instrukteure und somit eine Verlängerung des Vertrags mit der tunesischen Regierung. Man einigte sich auf eine zweite Vertragsperiode von erneut drei Jahren bis 1971. 568 Gleichzeitig wurde der schrittweise Rückzug des schweizerischen Personals fortgeführt. Die Leitung der Schule blieb zwar vorerst noch in der Obhut der Schweizer, sie ging von William Gauthey an Francis Conrad, welcher seit 1964 als Instrukteur an der Schule tätig war. Auf Ebene der Instrukteure aber schritt die Übergabe an einheimische Lehrkräfte voran: Vier Schweizer Instrukteure beendeten ihre Lehrtätigkeit in Gabès, nur noch zwei

565 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 26.1.1968, S. 3. 566 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 25.4.1968, S. 4. 567 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1968, S. 10. 568 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 25.4.1968, S. 4.

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blieben vor Ort zur Unterstützung der tunesischen Lehrkräfte. Drei Abteilungen (Unterhaltsmechaniker, Automechaniker, Autoelektriker) wurden bereits seit September 1968 von tunesischen Instrukteuren alleine geführt – zur Zufriedenheit der Stiftung. 569 Im Jahr 1969 musste das Schweizer Personal nochmals verstärkt werden, um die Verlängerung der Ausbildungsdauer auf zwei Jahre umsetzen und die damit verbundene grössere Zahl Lehrlinge betreuen zu können. Es wurden drei neue Schweizer Instrukteure angestellt. Die Abschlussprüfungen des letzen einjährigen Lehrjahrgangs wurden nur von zwei Lehrlingen nicht bestanden – von wie vielen Lehrlingen insgesamt wurde im Jahresbericht 1969 nicht erwähnt.570 Die Einführung der zweijährigen Berufsausbildung erforderte auch eine Aufstockung des Maschinenparks und eine Vergrösserung der Räumlichkeiten. Die tunesische Regierung beauftragte den Bund mit der Planung des Ausbaus, welcher den Auftrag wiederum an die Stiftung delegierte. Dieses Vorgehen zeigt anschaulich, dass die offiziellen Verhandlungen auf Regierungsebene der beiden Länder stattfanden und dass die Stiftung dem Bund als Auftraggeber unterstellt war. Die Stiftung beauftragte ihrerseits mit der Planung des Ausbaus ein Ingenieurbüro, welches bis Ende Jahr einen Projektvorschlag ausarbeitete, der den tunesischen Behörden vorgelegt wurde. 571 Die Bauarbeiten konnten im Oktober 1970 aufgenommen werden. 572 Die ersten Abschlussprüfungen des zweijährigen Lehrgangs bestanden nur zwei von dreiunddreissig Lehrlingen nicht. Interessant ist hier wiederum die Gesamtzahl der Lehrlinge, welche nicht der ursprünglich geplanten Zahl von fünfzehn Lehrlingen pro Klasse entsprach. Eine Vollbesetzung konnte also nach wie vor nicht erreicht werden – ausser die Anzahl Lehrplätze wäre im Zuge der Verlängerung der Ausbildungsdauer gesenkt worden, was aber nirgends erwähnt wurde und von tunesischer Seite bestimmt abgelehnt worden wäre. Derweil verlief die Stellenvermittlung für die Lehrabgänger problemlos. Ein Grund dafür war der Bau des Hafens von Gabès, welcher mittlerweile im Gange war und bei dem alle Bauschlosser Arbeit fanden. Fünf dieser Bauschlosser beabsichtigten zudem, eine Weiterbildung bei Schweizer Firmen zu absolvieren. Viele Lehrabgänger wanderten aber auch nach Frankreich aus, was gar nicht im Sinne der Stiftung sein konnte, da doch das erworbene Know-how im Lande bleiben sollte, um dessen Entwicklung voranzutreiben. 573

569 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1968, S. 9-10. 570 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1969, S. 9. 571 Vgl. Ebd. 572 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1970, S. 8-9. 573 Vgl. Ebd. S. 8.

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4.6. Übergabe der Berufsschule an Tunesien und Rückblick auf die Tätigkeit in Gabès Die Übergabe der Schule an einheimische Lehrkräfte schritt unterdessen voran. Die Abteilung für Sanitärinstallateure konnte auf Anfang des Schuljahres 1970/1971 ganz an tunesische Instrukteure übergeben werden. Die Übergabe der Abteilungen für Unterhaltsmechaniker, Automechaniker und Autoelektriker folgte Ende 1970. Die schweizerischen Instrukteure blieben aber vorerst noch als Berater der tunesischen Instrukteure vor Ort. 574 Am 16. Juli 1971 wurde das „Centre tuniso-suisse de perfectionnement professionnel“ offiziell an Tunesien übergeben, wozu Hans Schindler nach Gabès reiste. Bereits seit Anfang April wurde die Berufsschule von einem tunesischen Direktor geleitet. Zwei bis drei Schweizer Instrukteure sollten noch bis Ende Dezember in Gabès bleiben, um Installationen von Maschinen und Umstellungen zu überwachen, die wegen der neuen, zusätzlichen Werkhallen anstanden.575 Die neuen Gebäude konnten alle fertig errichtet werden. Ende 1971 war noch ein Schweizer Experte in Gabès, welcher bis im Sommer 1972 vor Ort bleiben sollte. Der Bund beabsichtigte einen „follow-up“-Vertrag mit der tunesischen Regierung abzuschliessen, um die Finanzierung von Ersatzteilen und die Weiterbildung von tunesischen Instrukteuren weiterhin sicherzustellen. 576 Rückblickend stellte Schindler gegenüber dem Stiftungsrat fest, dass das Hauptproblem beim Projekt in Gabès die Stellenvermittlung für die Lehrabgänger war. Er schloss daraus, „dass es sinnlos ist, in allzu unterentwickelten Regionen Mechaniker ausbilden zu wollen“. 577 Auf eine Frage des Stiftungsrats Rudolf Geigy (Leiter des Tropeninstituts Basel) hin, wer für die Stellenvermittlung in Tunesien zuständig sei, erklärte Schindler, „dass leider die staatliche Organisation ‚Office de la formation professionel et de l’emploi‘ (OFPE) dies sehr ungenügend ausführe und unseren Leiter verhindere, direkte Kontakte mit der Industrie und dem Gewerbe aufzunehmen“.578 Die Stiftung schloss also aus den Erfahrungen in Tunesien, dass die Ausbildung von Arbeitskräften nur dort Sinn machte, wo es auch genügend Stellen gab, wo also ein gewisser Grad der industriellen Entwicklung bereits vorhanden war. Ferner kritisierte Schindler die tunesischen Behörden hinsichtlich ihrer dürftigen Leistung in der Stellenvermittlung und ihrer diesbezüglich fehlenden Kooperationsbereitschaft.

574 Vgl. Ebd. S. 8-9. 575 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Stiftungsrat vom 25.6.1971, S. 4. 576 Vgl. AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1971, S. 7. 577 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Stiftungsrat vom 25.6.1971, S. 4. 578 Ebd.

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Conrad, ehemaliger Direktor der Berufsschule in Gabès, blickte im Jahresbericht 1971 auf seine Tätigkeit im Projekt „Centre tuniso-suisse de perfectionnement professionnel“ zurück. Er beurteilte das Projekt als erfolgreich, abgesehen von Anfangsschwierigkeiten. Das Zentrum habe das Problem der Arbeitsstellen und der Schaffung von Industrien aufgeworfen und gezeigt, wie sehr die bisherige Arbeitsweise überholt war. Der Gouverneur von Gabès habe ihm gegenüber erwähnt, wie bedeutend die Errichtung dieser Berufsschule für die ganze Region war: Si ce centre n’avait pas été créé, il faudrait le créer car c’est avec de telles réalisations que le gouvernement peut et doit connaître les véritables problèmes des régions. [...] Il faut donc maintenant continuer de créer à cause de vous. Dans nos pays en voie de développement il faut souvent être dans l’obligation pour réaliser, faute de crédits disponibles. 579 Die Errichtung der Berufsschule habe der Regierung die Existenz von Problemen aufgezeigt, welche sie zuvor nicht wahrnahm – schon alleine deshalb war das Projekt bedeutend. Gäbe es diese Berufsschule nicht – so der Gouverneur –, müsste man sie gründen, und da es sie nun gebe, sei man gezwungen, weitere Institutionen dieser Art zu errichten. Die Entwicklungsländer bräuchten jeweils einen Druck zu handeln, weil Kredite nicht leicht erhältlich seien. Das Projekt der Errichtung einer Berufsschule in Gabès, das die Stiftung im Auftrag des Bundes durchführte, war also insofern ein Erfolg, als dass es der Regierung einen Weg aufzeigte für die weitere industrielle Entwicklung Tunesiens. Ob Tunesien diesen Weg gehen würde und ob er ohne externe Hilfe begehbar war, stand ausserhalb des Einflussbereichs der Stiftung.

579 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Jahresbericht 1971, S. 15.

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IV SCHLUSSFOLGERUNGEN UND AUSBLICK

1. Die Idee der Stiftung und die damit verbundenen Interessen

In der vorliegenden Forschungsarbeit wurde die Entstehung und die Initiale Tätigkeit einer Organisation, der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe, untersucht. Ausgehend von der Institutionensoziologie standen dabei die Erwartungen, Interessen und Ideen der Akteure im Vordergrund, sowie der Zweck, die Ziele und die institutionelle Verfassung der Stiftung – das heisst die Konzeption, welche in Statuten und Stiftungsurkunde festgelegt wurde. Folgende Akteur-Gruppen waren an der Gründung der Stiftung beteiligt: Die Initianten, der Bund, die anderen Entwicklungshilfswerke (vor allem das SHAG und die SAH) sowie die Privatwirtschaft. Bei der Tätigkeit der Stiftung in den 1960er Jahren trat die Stiftung an die Stelle der Initianten, die Akteur-Gruppe der Entwicklungshilfswerke war vielfältiger, zudem kam neu die Gruppe der Projektpartner dazu (Organisation oder Regierung des Partnerlandes). Bund und Privatwirtschaft spielten nach wie vor eine Rolle. Die Interessen und Ideen der einzelnen Akteure innerhalb einer Gruppe waren teilweise sehr verschieden. Zudem gab es auch Akteure, welche mehreren Gruppen angehörten. So war zum Beispiel Im Hof-Piguet sowohl eine Initiantin der Stiftung als auch Vorstandsmitglied des SHAG. Wenn die Akteur-Gruppen unterschiedliche Interessen und Ziele verfolgten, kam es zu Diskussionen und Konflikten. Damit es zur Gründung der Stiftung am 6. Mai 1959 kommen konnte, musste ein gemeinsamer Nenner gefunden werden. Die Idee zur Gründung einer schweizerischen Stiftung für Entwicklungshilfe, welche von der Privatwirtschaft unterstützt würde, stammte von Freymond. Er gehörte der Akteur-Gruppe der Initianten an und verfolgte mit der Stiftung politische Interessen (Kommunismus- Bekämpfung und Legitimation der Schweiz). Von Freymonds Idee begeistert ergriff Im Hof- Piguet im Februar 1956 die Initiative und entwarf mit diesem zusammen das Projekt einer nationalen Stiftung für Solidarität, welche von Bund, Bevölkerung und Privatwirtschaft getragen würde. Die Stiftung sollte eine halbe Milliarde Schweizerfranken pro Jahr für die Hilfe an die Schweizer Bergbauern, die armen Regionen Europas und die Entwicklungsländer in Übersee zusammenbringen. Im Hof-Piguets Interessen waren humanitärer und politischer Art (Solidarität mit der Dritten Welt und Kommunismus-Bekämpfung). Zu den beiden Initianten stiess de Coulon hinzu, ein Vertreter der Privatwirtschaft und liberaler Ständerat. Seine Interessen an der Stiftung konnten nicht ermittelt werden, es kann jedoch davon

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ausgegangen werden, dass er die Ansichten Im Hof-Piguets und Freymonds teilte, da er ihr Projekt unterstützte. Er übernahm das Patronat für die Zusammenkunft in Bern vom 12. Juni 1956, an welcher das Projekt Parlamentariern, Vertretern von Bergbauernverbänden, der SEH und des SHAG vorgestellt wurde. Die Parlamentarier hatten damals kein Interesse am Ziel der Stiftung – einer intensivierten Hilfe für die bedürftigen Regionen der Schweiz, Europas und der Länder in Übersee –, da sie sich mit dem Thema noch kaum befasst hatten. Die Vertreter der Hilfswerke befürworteten zwar das Ziel der Stiftung, lehnten aber die Gründung dieser neuen Organisation aus Furcht vor Konkurrenz (im Fall von SEH und SHAG) oder aus Missfallen an der Konzeption (im Fall der Bergbauernverbände) ab. Weil also die Interessen der betroffenen Akteure unvereinbar waren und weil der Ungarn-Aufstand im Herbst 1956 die Aufmerksamkeit der Schweizer Bevölkerung vollumfänglich beanspruchte, scheiterte die Gründung einer nationalen Stiftung für Solidarität vorerst. Im Juni 1957 wurde die Idee wieder aufgegriffen, wobei sich die Initianten auf die technische Hilfe für Entwicklungsländer beschränkten. Dadurch konnte die Konkurrenzierung aller bestehenden Hilfswerke (die damals noch nicht in der Entwicklungshilfe, sondern in der Wiederaufbau- und Flüchtlingshilfe in Europa tätig waren) mit Ausnahme des SHAG vermieden werden. Vermutlich bereits im Jahr 1957, sicher aber zwischen Juni 1957 und März 1958, beschlossen die Initianten, dass die geplante Stiftung primär von der Schweizer Privatwirtschaft getragen werden sollte. Die Initianten verfolgten damit zwei Zwecke. Einerseits die Abgrenzung gegenüber dem SHAG auf der Ebene der Trägerschaft, andererseits die Mobilisierung der Mittel der finanzkräftigen Privatwirtschaft. Die Stiftung sollte neu eine Million Schweizerfranken pro Jahr für die Entwicklungshilfe sammeln – auch hierin wurde die grossangelegte Idee redimensioniert. Das Ziel der Initianten war die Intensivierung der schweizerischen Entwicklungshilfe. Dieses Ziel hofften sie einerseits über mehr finanzielle Mittel – die Mittel der Schweizer Privatwirtschaft, welche sich bisher für Entwicklungshilfe wenig interessiert hatte – andererseits über eine verstärkte Koordination der schweizerischen Entwicklungshilfe zu erreichen. Die Stiftung hätte demnach neben Öffentlichkeitsarbeit und Geldsammlung die Aufgabe gehabt, die private und öffentliche Entwicklungshilfe der Schweiz zu koordinieren. Es war ein grosser Stiftungsrat vorgesehen, in welchem Bund, private Hilfswerke, Privatwirtschaft sowie weitere interessierte Kreise vertreten gewesen wären. Die Initianten schlugen im Juli 1958 gar eine Fusion der geplanten Stiftung mit der Koordinations- Kommission vor, was der Bund dann aber ablehnte. Dieser empfahl den Initianten die Gründung einer privaten Stiftung ohne finanzielle Unterstützung des Bunds, wies aber auch

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auf die Möglichkeit hin, zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Stiftung etabliert sei, Bundesmittel anzufordern. Die Idee der Stiftung als Koordinationsstelle der gesamten schweizerischen Entwicklungshilfe war, dass diese keine eigenen Projekte durchführen, sondern diejenigen anderer Hilfswerke koordinieren und finanzieren würde. Nachdem aber der Bund im Dezember 1958 klargestellt hatte, dass er sich nicht an der Stiftung beteiligen würde, wäre dieser als Aufgabe nur die Koordination und Finanzierung der privaten Entwicklungshilfe geblieben, also primär der Projekte des SHAG und der SAH (welche ab 1958 in die Entwicklungshilfe einstieg). Vom Dezember 1958 bis im April 1959 diskutierte das Initiativkomitee, das im Dezember offiziell konstituiert worden war, über die Durchführung eigener Projekte. Schliesslich wurde beschlossen, eine private Entwicklungshilfsorganisation, welche eigene Projekte durchführen würde, zu gründen. Die Idee der Koordinationsstelle wurde aufgegeben, weil die Initianten befürchteten, die Stiftung würde zur Geldsammelstelle für die bestehenden Hilfswerke ohne weiterführende Kompetenzen. Das SHAG, welches bislang eine Monopolstellung in der Entwicklungshilfe innehatte, fasste die Stiftung nunmehr als Konkurrenz auf. So kam es zwischen April und Juni 1959 zum Konflikt zwischen dem SHAG und der Stiftung. Das SHAG hatte Interesse an den Spendenbeiträgen der Schweizer Privatwirtschaft, an welchen sie hätte teilhaben können, wenn die Stiftung als Koordinationsstelle gegründet worden wäre. Die Stiftung war zwar bereit, mit dem SHAG partnerschaftlich zusammenzuarbeiten – was durch die Person Gloors gewährleistet war, da er sowohl Mitglied des geschäftsführenden Ausschusses der Stiftung als auch SHAG-Präsident war – pochte aber auf strukturelle, inhaltliche und finanzielle Unabhängigkeit. Der Konflikt spielte sich vor allem zwischen zwei Personen des geschäftsführenden Ausschusses ab. Die eine war Gloor, der bereits früh den Initianten angehörte, aber auch die Interessen des SHAG sowie der Privatwirtschaft vertrat. Die andere war Fürer, der ebenfalls früh zu den Initianten stiess, vor allem aber die Interessen der Privatwirtschaft vertrat. Nach heissen Diskussionen darüber, wie die Geldsammlungen der beiden Hilfswerke abzugrenzen wären, kam es im Juni zu einem Kompromiss. Die Stiftung gestattete dem SHAG, die kleinen Unternehmen (unter 500 Mitarbeitern) um Spenden anzugehen, beanspruchte die mittleren und grossen aber für sich. Ferner verzichtete die Stiftung auf Geldsammlungen bei der Bevölkerung sowie auf die Beanspruchung von Bundesbeiträgen im Jahr 1960. Dies war jedoch kein grosszügiges Entgegenkommen seitens der Stiftung, da diese sowieso zunächst auf die Privatwirtschaft als alleinige Trägerschaft abstellen wollte.

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Ein weiterer wichtiger Akteur bei der Gründung der Schweizerischen Stiftung für technische Entwicklungshilfe war die Privatwirtschaft. Die Initianten machten sich früh daran, die Privatwirtschaft von der geplanten Stiftung zu überzeugen, da sie die nötigen finanziellen Mittel stellen sollte. Dank guter Beziehungen konnten die Initianten ihr Projekt bei den Handelskammern Basels (20. März 1958), Waadts (13. November 1958) und Genfs (26. Februar 1959) sowie beim Vorort in Zürich (13. April 1959) präsentieren und um moralische und finanzielle Unterstützung werben. So stiessen stetig weitere gewichtige Persönlichkeiten von Politik und Wirtschaft zum Kreis der Initianten. Ende Dezember 1958 übernahm Schindler, in der Privatwirtschaft ein angesehener Mann, die Präsidentschaft des Initiativkomitees. Die Privatwirtschaft hatte verschiedene, primär wirtschaftliche Interessen an der Stiftung. Sie erhoffte sich von ihr langfristig positive Auswirkungen auf die Schweizer Privatwirtschaft in Form von Exportförderung (Schaffung von neuen Absatzmärkten), Werbung für die Schweizer Industrie sowie Schaffung von Goodwill (und dadurch einen Vorteil bei der Vergabe von Bestellungen). Zusätzlich zu diesen wirtschaftlichen Interessen hatten zumindest einige Vertreter der Privatwirtschaft auch politische Interessen an der Stiftung (Kommunismus-Bekämpfung). Dieser Haltung waren etwa Homberger oder Feller. Es gab aber auch Vertreter der Privatwirtschaft, welche den Nutzen der Stiftung für die Schweizer Privatwirtschaft bezweifelten und diese deshalb nicht unterstützten. Die Privatwirtschaft war sich durchaus bewusst, dass die Stiftung nicht die Exportförderung zum Ziel hatte, sondern die technische Entwicklungshilfe, dass also die Interessen der Entwicklungsländer im Vordergrund standen. Sie sah die Stiftung deshalb nicht als Organisation zur Exportförderung an, sondern als Wohltätigkeitsorganisation mit positiven Nebeneffekten für die Schweizer Wirtschaft. Die Initianten verfolgten mit der Stiftung humanitäre und politische Interessen, waren sich aber bewusst, dass die Vertreter der Privatwirtschaft primär wirtschaftliche Interessen hatten. Deshalb versuchten sie, die Vertreter der Privatwirtschaft davon zu überzeugen, dass die Stiftung die Interessen der Wirtschaft langfristig fördern würde, ohne dabei den humanitären Charakter der Stiftung abzustreiten. Das Vorgehen der Initianten war von Erfolg gekrönt: Sie erhielten die nötigen finanziellen Mittel. Die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe wurde am 6. Mai 1959 gegründet. Als Stifter amtete Alt-Bundesrat Wetter. Das Stiftungskapital von zehntausend Schweizerfranken wurde von Nestlé gespendet, deren Generaldirektor Waldesbühl bereits früh zum Kreis der Initianten gehörte und im Stiftungsrat Einsitz nahm. Die Nestlé war überdies durch Fürer im geschäftsführenden Ausschuss der Stiftung vertreten. Während der

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Stiftungsrat aus bekannten Persönlichkeiten von Politik und Wirtschaft bestand, gehörten dem ausführenden Organ der Stiftung, dem geschäftsführenden Ausschuss engagierte, idealistische Persönlichkeiten an: Im Hof-Piguet, Gloor, Fürer, Schindler, Etienne und Minister Real, der vom Bund einen bezahlten Urlaub erhalten hatte. Insofern unterstützte der Bund die Stiftung dennoch. Die ursprünglichen Initianten Freymond und de Coulon nahmen Einsitz im Stiftungsrat.

2. Charakteristika der Projekte in Indien, Dahomey und Tunesien

Die Stiftung begann in den 1960er Jahren, im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens, neun Projekte in Indien, Nigeria, Dahomey, Pakistan, Tunesien, Algerien, Peru, Costa Rica und Brasilien. Das allererste Projekt war dasjenige in Chandigarh, Indien. Die Projekte in Lateinamerika nahm die Stiftung erst Ende der 1960er Jahre auf. Als Beispiele für die Projektarbeit der Stiftung wurden die Projekte in Indien, Dahomey und Tunesien eingehend erforscht, wobei die Projekttätigkeiten in Nigeria im Zusammenhang mit Dahomey ebenfalls kurz geschildert wurden. In allen drei Projekten wurden Lehrwerkstätten errichtet, um qualifizierte Arbeitskräfte (Handwerker oder Bauern) auszubilden. In Indien wurden Präzisionsmechaniker ausgebildet, in Dahomey Traktorführer, Landwirtschaftslehrer, Bauern, landwirtschaftliche Betriebsleiter und Leiter von Genossenschaften, in Tunesien Bauschlosser, Sanitärinstallateure, Elektroinstallateure, Unterhaltsmechaniker, Automechaniker und Autoelektriker. Während die Lehrwerkstätten in Indien und Tunesien eigentliche Berufsschulen waren, hatte diejenige in Dahomey den Charakter eines Forschungs- und Ausbildungszentrums. Neben der Ausbildung wurden verbesserte Anbaumethoden studiert sowie Viehzucht betrieben, um die landwirtschaftliche Produktivität Dahomeys zu erhöhen. Die Lehrwerkstätten waren immer auch Produktionsstätten und glichen dadurch einem eigentlichen Lehrbetrieb. Die Produkte, welche die Lehrlinge herstellten, wurden nach Möglichkeit verkauft. Die Stiftung strebte in ihren Projekten eine fundierte Ausbildung nach dem Vorbild der schweizerischen Berufslehre an. Die Lehrlinge sollten also nicht bloss den Umgang mit einer Maschine erlernen, sondern eine gute Berufsausbildung inklusive Allgemeinbildung erhalten. Die Stiftung kümmerte sich besonders um die Stellenvermittlung für die ausgebildeten Arbeitskräfte, damit diese das Erlernte auch anwenden und so dem Entwicklungsland von Nutzen sein konnten. Ein Prinzip, das die Stiftung mit ihren Projekten verfolgte, war die Hilfe zur Selbsthilfe. Deshalb bildete sie nicht nur Lehrlinge, sondern auch Lehrkräfte aus, welche die Schweizer Experten ablösen und das Fortbestehen einer Lehrwerkstätte sichern sollten. Zur Ausbildung der Lehrkräfte

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gehörte wenn möglich ein mehrmonatiges Praktikum in der Schweiz. Ein weiteres Prinzip war die Aufteilung der Kosten der Lehrwerkstätte zwischen der Stiftung und dem Partnerland, wovon sich die Stiftung Nachhaltigkeit versprach. Das Partnerland, so die Annahme, hätte mehr Interesse an der Weiterführung einer Lehrwerkstätte nach dem Rückzug der Stiftung, wenn es selbst Geld in die Lehrwerkstätte investiert hatte. Bei der Projekttätigkeit in den 1960er Jahren stiess die Stiftung auf verschiedene Probleme – sie musste erst Erfahrung sammeln, und dazu gehörte natürlicherweise auch die Bewältigung von Problemen. Ein Problem, mit dem die Stiftung in allen drei Projekten konfrontiert wurde, waren zeitliche Verzögerungen beim Bau der Gebäude der Lehrwerkstätte, für den die Partnerländer zuständig waren. Dieses Problem war nicht so schlimm, da es lediglich den Zeitplan des Projekts beeinträchtigte, nicht aber dessen Gelingen. Die Ursache für die Verzögerungen waren entweder ein zu enger Zeitplan oder Finanzknappheit des Partnerlandes, welches die Bauarbeiten zu finanzieren hatte. Im Fall Indiens spielten beide Ursachen eine Rolle, im Fall Dahomeys nur die Finanzknappheit. Über die Ursachen der Bauverzögerungen beim Projekt in Tunesien geben die Quellen keine Auskunft. Ein bedeutenderes Problem war die Stellenvermittlung für die ausgebildeten Arbeitskräfte, welche oft schwierig war. Dies war das Hauptproblem beim Projekt in Tunesien, wo es viele qualifizierte Arbeitskräfte aber wenige Stellen gab. Aber auch in Indien und Dahomey verlief die Stellenvermittlung zumindest anfänglich schwerfällig. Erschwerend war, dass die Berufsausbildung, wie sie die Stiftung anbot, für die betroffenen Länder neuartig war und dass deshalb die Arbeitgeber oft nicht wussten, wie sie diese neuen Arbeitskräfte einsetzen konnten. Die Lösungsansätze waren in den drei Projektländern unterschiedlich. In Indien verlief die Stellenvermittlung bereits im zweiten Jahr problemlos, da die Arbeitgeber mit den angestellten Arbeitskräften gute Erfahrungen gemacht hatten. In Dahomey fanden die Lehrabgänger Stellen beim Staat, bei Genossenschaften des VSK-Hilfswerks oder bei der Lehrwerkstätte selbst. In Tunesien wurde die Situation dadurch entschärft, dass dank dem Bau des Hafens von Gabès neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Einige Lehrabgänger wanderten aber auch nach Frankreich aus, was nicht im Sinne der Stiftung war, da so das erworbene Wissen nicht in Tunesien blieb und dessen Entwicklung nicht fördern konnte. Ein weiteres Problem war das fehlende Interesse für die Berufsausbildung, dass also nicht genügend Lehrlinge gefunden werden konnten. Dieses Problem war eng mit demjenigen der Stellenvermittlung verknüpft. Auch hier spielten die Neuartigkeit der Ausbildung sowie fehlende Stellen und damit verbunden mangelnde Zukunftsaussichten eine Rolle. Dieses Problem trat beim Projekt in Tunesien sowie zeitweise bei demjenigen in Dahomey auf, nicht

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aber in Indien. Dort gab es mehr als genügend Interessierte, sodass die Stiftung sogar noch selektieren konnte. In Dahomey bestand das Problem nur bei der Ausbildung zum Bauern, nicht aber bei den anderen Lehrgängen. Die Ursache des Problems war hier, dass es unüblich war, eine Ausbildung zu absolvieren, nur um Bauer zu werden – dazu brauchte man in Dahomey keine Ausbildung. In Tunesien spielten wohl vor allem die mangelnden Zukunftsaussichten angesichts der prekären Lage auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle. Zudem gab es in Gabès eine Reihe weiterer Lehrwerkstätten. Das strenge Auswahlverfahren der Stiftung trug das Übrige dazu bei, dass nicht genügend Lehrlinge gefunden werden konnten. Vielleicht lag es aber gar nicht im Interesse der Stiftung, zusätzliche Lehrlinge zu rekrutieren, wo doch die Stellenvermittlung so schwierig und es nicht gewährleistet war, dass die Lehrabgänger eine Stelle fanden. Das letzte Problem, das hier thematisiert werden soll, war das gewichtigste: Das Problem eines Interessenkonflikts mit dem Projektpartner. Am offensichtlichsten trat dieses Problem beim Projekt in Indien zu Tage. Der Konflikt mit der indischen Partnerorganisation CSIO hatte zur Folge, dass sich die Stiftung vorzeitig aus dem Projekt zurückziehen und die Lehrwerkstätte früher als geplant an Indien übergeben musste. Gegenstand des Konflikts war der Zeitpunkt der Übergabe der Lehrwerkstätte sowie die Auswahl der Kandidaten, welche ein Praktikum in der Schweiz absolvieren konnten. Die indische Partnerorganisation CSIO wollte die Lehrwerkstätte früher als geplant alleine mit indischen Instrukteuren weiterführen. Die Stiftung hielt den Zeitpunkt für die Übergabe für verfrüht, da noch nicht genügend indische Instrukteure ausgebildet worden waren. Um weitere Instrukteure auszubilden, wollte sie einigen Lehrabgängern ein Praktikum in der Schweiz ermöglichen. Die CSIO aber wollte selbst bestimmen, welche Leute ein Praktikum in der Schweiz absolvierten, und lehnte jegliche Einflussnahme der Stiftung ab. Der Konflikt spitzte sich insbesondere zwischen Gill, dem Direktor der CSIO, und der Stiftung so weit zu, dass keine Einigung mehr möglich war und der Stiftung nichts anderes blieb, als sich aus dem Projekt zurückzuziehen. In den anderen beiden Projekten kam es zu keinem vergleichbaren Interessenkonflikt, kleinere Meinungsverschiedenheiten kamen aber vor. Beim Projekt in Dahomey war sich die Stiftung zeitweise uneinig mit der Regierung, welche hier der Projektpartner war, betreffend Art und Dauer der Ausbildung. Es konnte jedoch ein Konsens gefunden werden. Beim Projekt in Tunesien gab es Differenzen betreffend Dauer der Ausbildung und Anzahl der Lehrlinge. Auch hier konnte jedoch ein Kompromiss gefunden werden. Die Wahl der Projektländer entsprach meist den politischen und wirtschaftlichen Interessen der Schweiz, unterlag aber auch Zufällen, wie zum Beispiel vorhandenen Beziehungen oder

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Projektideen. Anhand des Beispiels Indien wurde ersichtlich, wie viele Aspekte bei der Wahl eines Projektlandes mitspielten. Da war zunächst einmal das politische Motiv, im Wettbewerb der Industrieländer mitzuhalten. Denn Indien erhielt neben dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen beträchtliche bilaterale Hilfe von den USA, der Sowjetunion, der BRD, Frankreich, Japan, Schweden und Norwegen. Die Schweiz sollte in diesem blockfreien Land, das sich mit seiner sozialistischen Wirtschaftspolitik an die Sowjetunion anlehnte, nicht untätig bleiben. Hier spielte also das politische Argument der Kommunismus-Bekämpfung eine Rolle. Daneben bestanden in Indien gute wirtschaftliche Voraussetzungen, sodass die Stiftung bereits auf einer Basis aufbauen konnte. Gleichzeitig war ein echter Bedarf an qualifizierten Arbeitern und Vorarbeitern im Bereich Präzisionsmechanik vorhanden. Ein weiterer günstiger Aspekt war, dass Indien ein solches Ausbildungsprojekt explizit wünschte und einen Vorschlag zur Umsetzung präsentierte. Welche weiteren Aspekte für die Wahl Indiens als Projektland sprachen, zeigen insbesondere auch die Argumente, welche gegen die Wahl anderer Länder sprachen. Es waren dies politische Instabilität und unzuverlässiger Projektpartner im Falle Ceylons sowie die Präsenz des SHAG, dem die Stiftung nicht in die Quere kommen wollte, im Falle Nepals. Über die Motive bei der Wahl der anderen Projektländer ist weniger bekannt. Während Indien und Tunesien im „wirtschaftlichen und politischen Interessenbereich der Schweiz“ 580 lagen, erfolgte die Wahl Dahomeys eher zufällig. Die Stiftung wollte zuerst ein Projekt in Nigeria beginnen, das den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Schweiz entsprochen hätte. Da sich dort aber die Projekttätigkeit als schwierig erwies, entschied man sich für Dahomey. Dies deshalb, weil hier ein guter Projektvorschlag vorlag. Während der Kalte Krieg bei der Wahl Indiens als Partnerland eine Rolle spielte, konnte dies für Dahomey und Tunesien nicht festgestellt werden. Die Stiftung arbeitete in ihren Projekten mit verschiedenen nationalen und internationalen Akteuren zusammen. Eine Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft erfolgte bei der Suche nach geeigneten Schweizer Instrukteuren (bei den Projekten in Indien und Dahomey) sowie bei Projektabklärungen (bei den Projekten in Indien und Nigeria). Beim Projekt in Indien arbeitete die Stiftung zudem mit dem HEKS zusammen, das dort ebenfalls eine Lehrwerkstätte für Präzisionsmechanik betrieb. Die Zusammenarbeit erfolgte in Form von gegenseitigen Besuchen, Hilfe bei Lehrabschlussprüfungen, sowie dem Einsitz eines HEKS- Experten im Beratungsausschuss der Lehrwerkstätte der Stiftung. Ferner erhielt die

580 AfZ, IB Swisscontact-Archiv, Protokoll Ausschuss vom 27.11.1964, S. 3.

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Lehrwerkstätte in Chandigarh Besuch von einem Abgesandten des Spezialfonds der UNO, der um Unterstützung durch einen Stiftungsexperten für die Errichtung einer Lehrwerkstätte in Südkorea ersuchte. Während des Konflikts mit der CSIO wandte sich die Stiftung an die TELCO, um eine Verlegung der Lehrwerkstätte abzuklären, was jedoch die Zustimmung der indischen Regierung erfordert hätte. In Dahomey arbeitete die Stiftung mit vielen verschiedenen Akteuren zusammen, was dem Charakter eines Forschungszentrums entsprach. Sie arbeitete mit dem VSK-Hilfswerk zusammen, welches das dortige Genossenschaftswesen förderte. So beaufsichtigten Stiftungsexperten nebenher noch landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften des VSK- Hilfswerks, wofür sie vom VSK entlöhnt wurden. Lehrabgänger der Lehrwerkstätte der Stiftung fanden Stellen bei Genossenschaften, die dem VSK-Hilfswerk angeschlossen waren. In der landwirtschaftlichen Produktion arbeitete die Stiftung mit verschiedenen Forschungsinstitutionen zusammen. Das österreichische Komitee der Weltkampagne gegen den Hunger, die FAO und das Office de commercialisation agricole von Cotonou (Dahomey) errichteten gemeinsam ein Maissilo auf dem Gelände der Lehrwerkstätte in Sékou-Allada. Die Stiftung unterhielt ferner enge Kontakte zu einer deutschen Aktion in einem Nachbarsdorf. Freiwilligenarbeiter des DftZ sowie des Peace Corps der USA besuchten die Lehrwerkstätte, um die lokalen Verhältnisse kennenzulernen, bevor sie ihren Einsatz in Dahomey begannen. Die Spitzenverbände der schweizerischen Vieh- und Milchwirtschaft spendeten eine Braunviehherde. In der Viehzucht konnte die Stiftung Erfahrungen mit der BRD austauschen, welche im benachbarten Togo tätig war. Sie erhielt zudem deutsches Vieh für ihre Zucht. Eine Zusammenarbeit bestand auch mit dem Stiftungsprojekt in Tunesien: Ein künftiger Instrukteur der Lehrwerkstätte von Sékou-Allada konnte in Gabès ein Praktikum machen. Beim Projekt in Tunesien arbeitete die Stiftung mit dem Bund zusammen, der die Stiftung mit dem Projekt beauftragt hatte und es zu einem grossen Teil finanzierte. Es war dies das erste Projekt der Stiftung, welches sie im Auftrag des Bunds durchführte. Die Stiftung übernahm die Hälfte der Kosten des Schweizer Personals, um nicht nur ausführende Stelle, sondern ein Partner mit Mitspracherecht zu sein. Während die Durchführung des Projekts bei der Stiftung lag, hatte der Bund primär Aufsichtsfunktion. Die Vertragsverhandlungen fanden auf Regierungsebene statt, die Stiftung konnte jedoch dazu Stellung nehmen. Ferner kam es beim Projekt in Tunesien zu einer Zusammenarbeit mit der Organisation Reconstruction Travail (ORT, Genf), welche ein tunesisches Ausbildungszentrum führte, dessen Leiter die Stiftung beraten konnte.

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3. Fazit und Ausblick

Die Schweizerische Stiftung für technische Entwicklungshilfe wurde von einem idealistischen Initiativkomitee mit dem Ziel gegründet, die schweizerische Entwicklungshilfe zu intensivieren. Das Initiativkomitee konnte die Privatwirtschaft überzeugen, die Stiftung zu unterstützen, indem sie mit dem langfristigen Nutzen der Stiftungstätigkeit für die Schweizer Wirtschaft argumentierte. Die Schweizer Privatwirtschaft sah die Stiftung als Wohltätigkeitsorganisation an, erhoffte sich aber positive Auswirkungen für die Exportindustrie. Der Prozess der Gründung war von Interessenkonflikten mit den bestehenden Hilfswerken begleitet, welche aber beigelegt werden konnten. In den untersuchten Projekten errichtete die Stiftung Lehrwerkstätten zur Ausbildung von qualifizierten Arbeitskräften. Die Projekte beruhten auf dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe sowie auf dem Prinzip der Kostenbeteiligung der Partnerländer. Die Stiftung profitierte von der Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteuren der Entwicklungshilfe. Trotz einiger Probleme waren die Projekte mehrheitlich von Erfolg gekrönt. In der vorliegenden Forschungsarbeit wurde die Gründung der Stiftung sowie deren Tätigkeit in den 1960er Jahren erstmals umfassend untersucht. Es konnte ein bisher von der Forschung nicht berücksichtigter Aspekt aufgezeigt werden, die Idee der Stiftung als Koordinationsstelle der gesamten schweizerischen Entwicklungshilfe. Zudem konnte die Beziehung der Stiftung zur Privatwirtschaft in ein neues Licht gerückt werden. Erstmals wurden auch drei Projekte der Stiftung untersucht, wobei diese Gegenstand vertiefter Forschungen sein könnten. Die Forschungsfragen konnten beantwortet werden, wobei sich aber sogleich weiterführende Fragen aufdrängen. Hatte die Stiftungstätigkeit effektiv positive Auswirkungen für die Schweizer Exportindustrie? Wurden die untersuchten Projekte nach dem Rückzug der Stiftung weitergeführt und wenn ja, mit welchem Erfolg? Inwiefern veränderten sich die Stiftung und ihre Projekttätigkeit seit den 1960er Jahren bis heute? Die Frage nach der Wirkung für die Schweizer Exportindustrie dürfte schwer zu beantworten sein angesichts der vorhandenen Quellen. Ebenfalls spannend wäre eine Untersuchung der Fremdwahrnehmung der Stiftung durch den Bund, die Hilfswerke, die Privatwirtschaft sowie die Entwicklungsländer. Dazu müssten aber zusätzliche Quellen untersucht werden, was den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte.

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V BIBLIOGRAPHIE

1. Ungedruckte Quellen

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1.2. Privatbestand Peter Gloor Notiz von Peter Gloor über die Sitzung der Basler Handelskammer vom 20.3.1958.

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VI ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

AfZ Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich ASRE Association suisse d’aide aux régions extra-européennes (= SHAG) BBC AG Brown Boveri & Cie, Baden BRD Bundesrepublik Deutschland CSIO Central Scientific Instruments Organisation, Indien CSIR Council of Scientific and Industrial Research, Indien DftZ Dienst für technische Zusammenarbeit, EPD EPD Eidgenössisches Politisches Departement ETH Eidgenössische Technische Hochschule in Zürich FAO Food and Agriculture Organization HEKS Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz IKRK Internationales Komitee vom Roten Kreuz IUHEI Institut Universitaire des Hautes Etudes Internationales in Genf JOCI Jeunesse Ouvrière Chrétienne internationale Nestlé Nestlé Alimentana S.A., Vevey SAH Schweizerische Auslandhilfe (vormals SEH) SEH Schweizerische Europahilfe (ab 1956 SAH) SHAG Schweizerisches Hilfswerk für aussereuropäische Gebiete (ab 1965 Helvetas) TELCO TATA Engineering and Locomotive Company, Bombay Vorort Vorort des Schweizerischen Handels- und Industrievereins VSK Verbands Schweizerischer Konsumvereine (heutiger Coop)

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LEBENSLAUF

Personalien Name: Diener, Franziska Anna Adresse: Leepüntstrasse 5 8600 Dübendorf Tel. 079 232 97 56 [email protected] Geburtsdatum: 24.02.1986 Bürgerort: Fischenthal ZH, Schweiz

Bildungsgang 1992 – 1997 Primarschule in Rafz 1998 – 2004 Gymnasium, KZU Bülach, Typus A, Maturabschluss 2005 – 2012 Studium an der Universität Zürich: Allgemeine Geschichte, Politikwissenschaft und Publizistikwissenschaft seit Herbst 2011 Studium an der Universität Zürich: Lehrdiplom für Maturitätsschulen im Unterrichtsfach Geschichte

Berufliche und universitäre Tätigkeiten Januar – Juli 2005 Psychopaedagogisches Zentrum, Sucre, Bolivien: Freiwilligenarbeit Aug. 2005 – Dez. 2007 Zürcher Unterländer und Neues Bülacher Tagblatt, Bülach: Korrespondentin Bereich „Region“ Dez. 2005 – Jan. 2008 Lolox AG, Filiale Flughafen Zürich: Teilzeit Verkäuferin Januar – Juni 2009 Universität Zürich: Tutorat Seminar Prof. H.-J. Gilomen seit Februar 2008 Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich: Wissenschaftliche Mitarbeiterin

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