IV Die Raurnliche Gliederung Des Stadtgebietes

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IV Die Raurnliche Gliederung Des Stadtgebietes IV Die raurnliche Gliederung des Stadtgebietes Gleichzeitig mit der Differenzierung der Rechte von Biirgern und Einwohnern ver­ starkte sich in der Berner Biirgerschaft das Bediirfnis, auch Verteilung und Ausstattung der wichtigsten kommunalen, gewerblichen und religios-karitariven Gebaude in der Stadt den wachsenden Anspriichen der Stadtbevolkerung an Reprasentation, Herr­ schaftsausiibung, Wirtschaftstatigkeit und Seelsorge anzupassen und das ummauerte Stadtgebiet nach funktionellen Kriterien in einzelne raumliche Einheiten zu gliedern 1. Die politische, okonornische und kirchliche Einteilung Berns erfuhr deshalb bis zum Ende des Mittelalrers verschiedene Umgestaltungen und Anpassungen, die sich in der zunehmenden Reglementierung und Kontrolle der Einwohnerschaft durch spezielle aus dem Rat der Zweihundert ernannte Behorden ausdruckte. Zudem wurden die ur­ spriinglich durch Mauern und Graben klar voneinander getrennten Stadtquartiere ar­ chitektonisch allmahlich miteinander verbunden und deren Bewohnerschaft unter der einheitlichen Gebotsgewalt von Schultheiss und Rat zusamrnengefasst-. Spiegelbild dieser sozialen, rechtlichen und okonornischen Veranderungen innerhalb der Stadtgesellschaft ist der Sradtgrundriss-. Jede Gasse und jeder Haushalt in Bern un­ terlagen wahrend des Spatmittelalters einer wirtschaftlich und sozial unterschiedlichen Bewertung. Diese wurde von der Einwohnerschaft bewusst wahrgenommen und zeigt sich in der ungleichrnassigen Verteilung einzelner Gebaude und Bevolkerungsgruppen in­ nerhalb des uberbauten Stadtgebietest, Neben arrneren Wohngegenden, in denen sich Einen Oberblick tiber die deurschsprachige sozialtopografische Forschung gibt Denecke, Sozialtopogra­ phie. 2 Vgl. dazu auch KarlCzok, Vorsradre. Zu ihrer Enrsrehung, Wirtschan und Sozialentwicklung in der alte­ ren deutschen Sradtgeschichre, in: Sirzungsberichte der sachsischen Akademie der Wissenschanen zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse 121 (1979), S. 1-28. 3 Grundlegende Arbeiten zu diesem Thema sind Wilhelm Heinrich Riehl, Der Sradtplan als Grundriss der Gesellschaft, in: Cultursradien aus drei jahrhunderten, hg. von Wilhelm Heinrich Riehl, Augsburg 1859, S. 270-284; CordMeckseper; Sradtplan und Sozialstrukrur in der deutschen Stadt des Mittelalters, in: Stadtbauwelt 33 (1972) , S. 52-57; Ernst Piper, Der Stadtplan als Grundriss der Gesellschafr. Topographie und Sozialstruktur in Augsburg und Florenz urn 1500 (Campus Forschung 305), Frankfurt/New York 1982; sowie HansKoepf, Das Stadtbild als Ausdruck der geschichtlichen Entwicklung, in: Stadt und Kul­ tur, hg. von Hans Eugen Specker (Stadt in der Geschichte 11), Sigmaringen 1983, S. 9-28. 4 Denecke, Sozialtopographie, S. 166 If; sowie ftir Bern Erasmus Wlllser, Wohnanlage und Sozialprestige. Hisrorische Bemerkungen zur Sozialgeographie der Stadt Bern, in: Berner Zeirschrifr fur Geschichre und Heimatkunde 38 (1976), S. 99-108. R. Gerber, Gott Ist Burger Zu Bern © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2001 186 IV. Die raumliche Gliederung des Stadrgebieres vor allem sozial schwachere Personen wie Tagelohner, niedere stadtische Arnt- und Dienstleute sowie einfache Handwerker niederliessen, existierten Strassenztige, an denen sich die Wohnhauser der wohlhabenden Kaufleute und der politisch fuhrenden Rats­ und Adelsgeschlechter reihten. Wahrend jedoch die Handwerker zur Ausiibung ihrer Berufe vornehmlich auf funktional bedingte Standorte wie die Nahe zu fliessendem Wasser oder zu einzelnen stadtischen Gebauden und Anlagen wie Sradrbach, Gewerbe­ hauser und Verkaufsstande angewiesen waren, orientierten sich die Wohnlagen der Rats­ herren, Kaufleute und Kleriker vor allern an reprasentativen Gesichtspunkten. Dazu gehorten beispielsweise Grosse und Architektur der Wohnhauser sowie Standorte an hel­ len, ubersichtlichen Gassen und Plarzen. Insbesondere Eckhauser, deren Fassaden nicht nur auf einer Gassenseite sondern aufzwei Seiten sichtbar waren, erfuhren eine deutlich hohere Standortbewertung, als Hauser, die sich entlang schmaler Seitengassen drangten oder deren Ruckseiten an die Sradtmauern anlehnten. EbenfaHs bevorzugt wurden Wohnlagen, die sich an zentralen Markten oder in der Nachbarschaft wichtiger korn­ munaler Gebaude oder geistlicher Institutionen wie Rathaus und Pfarrkirche befanden. Bei den alteingesessenen Adelsgeschlechtern hatten zudem, wie dies das Beispiel der Fa­ milien von Bubenberg und von Aegerten zeigt, strategisch-militarische Griinde zu deren Ansiedlung an den beiden siidlichen Zugangen der zahringischen Griindungsstadt ge­ fuhrt>, 1. Die Stadrviertel Die innere politische Organisation der Stadt Bern beruhte seit der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts auf der Unterteilung des Stadtgcbietes in vier separate Wehr- und Steuer­ bezirkev. Diese teilten die zahringische Griindungsstadt zwischen Zeitglockenturm und Nydegg in vier erwa gleich grosse Stadrviertel (Abb. 6). Die Aufsicht iiber die einzelnen Stadrviertel oblag seit dem 13. Jahrhundert den Vennern, die bis zum 15. Jahrhundert aus der Bewohnerschaft der jeweiligen Viertel stammten/. Seit der Verfassungsreform von 1294 wurden samtliche Mitglieder des Rates der Zweihundert, die Angehorigen des Wahlmannergremiums der Sechzehner sowie die Mehrheit der stadtischen Amt- und Dienstleute aus der Viertelsbevolkerung gewahlt, Auch der Einzug der wahrend des Sparmittelalters erhobenen Vermogenssreuern sowie die Aufgebote fiir Wach- und Fuhr­ dienste fiihrten die Venner jeweils nach der Viertelseinteilung durch . 5 Vgl. dazu Denecke, Sozialtopographie, S. 169-172. 6 Zur Viertelseinteilung der Stadt Bern vgl. Kdm Bern I, S. 4-7 ; Tiirler, Bilder, S. 203 f.; sowie Zesiger, Zunftwesen, S. 41. 7 Auch in Niirnberg scheint die Viertelsbevolkerung in Not- und Kriegszeiten bereits im 13. Jahrhundert unter der Aufsicht von vier Viertelsmeistern gestanden zu sein; Pfiiffir, Nurnberg, S. 38. Vgl. dazu auch Kapitel I ,,3.2.3. Die Venner". IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebietes 187 Die Grenzen der Stadrviertel verliefen von West nach Ost entlang des Sradtbaches, der die zentrale Kram- und Gerechtigkeitsgasse in der Mitte in zwei Halften teilre, bis zu der urn 1191 von Bertold V. von Zahringen erbauten Sradtburg bei Nydegg. Dort folgten sie der ostlichen Hangmauer der Burg bis in die Mattenenge, wo ein Torbogen den stadtherrlichen Burgbezirk von den Gewerbebetrieben in der Matte trennte''. Die Viertelsgrenzen von Nord nach Slid verliefen ausgehend vom obersten Haus in der nord­ lichen Hauserreihe der Postgasse (seit 1406 Rarhaus) entlang der Kreuzgasse bis zum Chor der St. Vinzenzkirche. Die von der Berner Blirgerschaft bereits in der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts ge­ schaffene Viertelseinteilung blieb auch nach den beiden Stadterweiterungen von 1255 und 1343 sowie der Dberbauung des Nydeggstaldens nach der Zerstorung der zahringischen Stadtburg urn 1268 bis zum Ende des Mitrelalters unverandert bestehen, Die beiden west­ lichen Stadrviertel wurden im 13. und 14. jahrhundert einfach entsprechend der ur­ sprlinglichen Grenzziehung gegen Westen veriangert, wobei der Stadrbach weiterhin als Viertelsgrenze diente. Auch im Osten folgte die Viertelseinteilung nicht dem nach 1268 neu entstandenen Nydeggstalden, sondern verliefwie zu Beginn des 13. Jahrhunderts ent­ lang der ostlichen Hangmauer der geschleiften Stadtburg", Erst im Verlauf des 15. jahr­ hunderts verschwanden schliesslich Hangmauer und Torbogen aus dem Sradtbild und die Grenze zwischen den beiden ostlichen Sradrvierteln wurde gegen Ende des [ahrhunderts von der Mattenenge in die Mitte des Nydeggstaldens verlegt!". Entsprechend der wach­ senden okonomischen Bedeutung der Inneren Neustadt, die in Bezug aufWohn- und So­ zialprestige im Verlauf des 15. und 16. jahrhunderrs weitgehend an die Zahringerstadt auf­ schloss, wurde die von Norden nach Suden verlaufende Viertelsgrenze im 16. jahrhunderr ebenfalls nach Westen auf die Hohe der 1468 neu errichteten F1eischschal verschobenII. Als neue bis ins jahr 1798 bestehende Viertelsgrenze etablierte sich dabei die Linie vom ost­ lichen Ausgang der Brunngasse entlang des Schaal- und Munstergassleins bis zum Muns­ rerplarz12. 8 Zur Topografie der zahringischen Sradtb urg bei Nydegg vgl. Kdm Bern I, S. 62-68; sowie Morgentha­ ler, Bilder, S. 23-26. 9 Irn Udelbuch von 1389 werden die osrliche Hangmauer der zerstorren zahringischen Sradrburg sowie der Torbogen in der Marrenenge noch ausdriicklich als Grenze der beiden osrlichen Stadrviertel angege­ ben: johansGenhart von Urtinon ist burger an einem IIII teil sines huses zwischentder mure da der burger zeichenstat und[ohans Schaller, Udelbuch von 1389, StABE: B XIII 28, S. 177. 10 Erstmals dokurnenrierr ist diese neue Vierrelsgrenze im Tellbuch von 1494; Meyer, Tellbuch 1494, S. 147-207. 11 Die wachsende okonomische Bedeutung der Inn eren Neustadt zeigt sich im Bau verschiedener Gesell­ schafrshauser, die im Verlauf des 15. und 16. jahrhunderrs entlang der Markrgasse errichtet wurden : Obere Gerber 1423, Obere Schuhmacher urn 1424, Schmiede 1448, Schiitzen 1458, Weber 1465, Obere Zimmetleure 1515 sowie als Nachziigler die Gesellschaft zum Mitrellowen 1722. Vgl. dazu Kdm Bern I, S. 383 fT. ; johann Rudolf Gruner, Deliciae urbis Bernae. Merckwiirdigkieten der hochloblichen Stadt Bern, Ziirich 1732, S. 457 f.; sowie Kapitel V ,,3.2.7. Die soziale Aufwerrung der Marktgassen". 12 Kdm Bern I, S. 7; sowie Gruner, Deliciae, S. 450. 188 IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebietes 2. Die Ober- und Unterstadt Die Nutzung der im Westen und Osten an Bern grenzenden Allmenden fuhrre bereits
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