IV Die raurnliche Gliederung des Stadtgebietes

Gleichzeitig mit der Differenzierung der Rechte von Biirgern und Einwohnern ver• starkte sich in der Berner Biirgerschaft das Bediirfnis, auch Verteilung und Ausstattung der wichtigsten kommunalen, gewerblichen und religios-karitariven Gebaude in der Stadt den wachsenden Anspriichen der Stadtbevolkerung an Reprasentation, Herr• schaftsausiibung, Wirtschaftstatigkeit und Seelsorge anzupassen und das ummauerte Stadtgebiet nach funktionellen Kriterien in einzelne raumliche Einheiten zu gliedern 1. Die politische, okonornische und kirchliche Einteilung Berns erfuhr deshalb bis zum Ende des Mittelalrers verschiedene Umgestaltungen und Anpassungen, die sich in der zunehmenden Reglementierung und Kontrolle der Einwohnerschaft durch spezielle aus dem Rat der Zweihundert ernannte Behorden ausdruckte. Zudem wurden die ur• spriinglich durch Mauern und Graben klar voneinander getrennten Stadtquartiere ar• chitektonisch allmahlich miteinander verbunden und deren Bewohnerschaft unter der einheitlichen Gebotsgewalt von Schultheiss und Rat zusamrnengefasst-. Spiegelbild dieser sozialen, rechtlichen und okonornischen Veranderungen innerhalb der Stadtgesellschaft ist der Sradtgrundriss-. Jede Gasse und jeder Haushalt in un• terlagen wahrend des Spatmittelalters einer wirtschaftlich und sozial unterschiedlichen Bewertung. Diese wurde von der Einwohnerschaft bewusst wahrgenommen und zeigt sich in der ungleichrnassigen Verteilung einzelner Gebaude und Bevolkerungsgruppen in• nerhalb des uberbauten Stadtgebietest, Neben arrneren Wohngegenden, in denen sich

Einen Oberblick tiber die deurschsprachige sozialtopografische Forschung gibt Denecke, Sozialtopogra• phie. 2 Vgl. dazu auch KarlCzok, Vorsradre. Zu ihrer Enrsrehung, Wirtschan und Sozialentwicklung in der alte• ren deutschen Sradtgeschichre, in: Sirzungsberichte der sachsischen Akademie der Wissenschanen zu Leipzig, Philologisch-historische Klasse 121 (1979), S. 1-28. 3 Grundlegende Arbeiten zu diesem Thema sind Wilhelm Heinrich Riehl, Der Sradtplan als Grundriss der Gesellschaft, in: Cultursradien aus drei jahrhunderten, hg. von Wilhelm Heinrich Riehl, Augsburg 1859, S. 270-284; CordMeckseper; Sradtplan und Sozialstrukrur in der deutschen Stadt des Mittelalters, in: Stadtbauwelt 33 (1972) , S. 52-57; Ernst Piper, Der Stadtplan als Grundriss der Gesellschafr. Topographie und Sozialstruktur in Augsburg und Florenz urn 1500 (Campus Forschung 305), Frankfurt/New York 1982; sowie HansKoepf, Das Stadtbild als Ausdruck der geschichtlichen Entwicklung, in: Stadt und Kul• tur, hg. von Hans Eugen Specker (Stadt in der Geschichte 11), Sigmaringen 1983, S. 9-28. 4 Denecke, Sozialtopographie, S. 166 If; sowie ftir Bern Erasmus Wlllser, Wohnanlage und Sozialprestige. Hisrorische Bemerkungen zur Sozialgeographie der Stadt Bern, in: Berner Zeirschrifr fur Geschichre und Heimatkunde 38 (1976), S. 99-108.

R. Gerber, Gott Ist Burger Zu Bern © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2001 186 IV. Die raumliche Gliederung des Stadrgebieres

vor allem sozial schwachere Personen wie Tagelohner, niedere stadtische Arnt- und Dienstleute sowie einfache Handwerker niederliessen, existierten Strassenztige, an denen sich die Wohnhauser der wohlhabenden Kaufleute und der politisch fuhrenden Rats• und Adelsgeschlechter reihten. Wahrend jedoch die Handwerker zur Ausiibung ihrer Berufe vornehmlich auf funktional bedingte Standorte wie die Nahe zu fliessendem Wasser oder zu einzelnen stadtischen Gebauden und Anlagen wie Sradrbach, Gewerbe• hauser und Verkaufsstande angewiesen waren, orientierten sich die Wohnlagen der Rats• herren, Kaufleute und Kleriker vor allern an reprasentativen Gesichtspunkten. Dazu gehorten beispielsweise Grosse und Architektur der Wohnhauser sowie Standorte an hel• len, ubersichtlichen Gassen und Plarzen. Insbesondere Eckhauser, deren Fassaden nicht nur auf einer Gassenseite sondern aufzwei Seiten sichtbar waren, erfuhren eine deutlich hohere Standortbewertung, als Hauser, die sich entlang schmaler Seitengassen drangten oder deren Ruckseiten an die Sradtmauern anlehnten. EbenfaHs bevorzugt wurden Wohnlagen, die sich an zentralen Markten oder in der Nachbarschaft wichtiger korn• munaler Gebaude oder geistlicher Institutionen wie Rathaus und Pfarrkirche befanden. Bei den alteingesessenen Adelsgeschlechtern hatten zudem, wie dies das Beispiel der Fa• milien von Bubenberg und von Aegerten zeigt, strategisch-militarische Griinde zu deren Ansiedlung an den beiden siidlichen Zugangen der zahringischen Griindungsstadt ge• fuhrt>,

1. Die Stadrviertel

Die innere politische Organisation der Stadt Bern beruhte seit der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts auf der Unterteilung des Stadtgcbietes in vier separate Wehr- und Steuer• bezirkev. Diese teilten die zahringische Griindungsstadt zwischen Zeitglockenturm und in vier erwa gleich grosse Stadrviertel (Abb. 6). Die Aufsicht iiber die einzelnen Stadrviertel oblag seit dem 13. Jahrhundert den Vennern, die bis zum 15. Jahrhundert aus der Bewohnerschaft der jeweiligen Viertel stammten/. Seit der Verfassungsreform von 1294 wurden samtliche Mitglieder des Rates der Zweihundert, die Angehorigen des Wahlmannergremiums der Sechzehner sowie die Mehrheit der stadtischen Amt- und Dienstleute aus der Viertelsbevolkerung gewahlt, Auch der Einzug der wahrend des Sparmittelalters erhobenen Vermogenssreuern sowie die Aufgebote fiir Wach- und Fuhr• dienste fiihrten die Venner jeweils nach der Viertelseinteilung durch .

5 Vgl. dazu Denecke, Sozialtopographie, S. 169-172. 6 Zur Viertelseinteilung der Stadt Bern vgl. Kdm Bern I, S. 4-7 ; Tiirler, Bilder, S. 203 f.; sowie Zesiger, Zunftwesen, S. 41. 7 Auch in Niirnberg scheint die Viertelsbevolkerung in Not- und Kriegszeiten bereits im 13. Jahrhundert unter der Aufsicht von vier Viertelsmeistern gestanden zu sein; Pfiiffir, Nurnberg, S. 38. Vgl. dazu auch Kapitel I ,,3.2.3. Die Venner". IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebietes 187

Die Grenzen der Stadrviertel verliefen von West nach Ost entlang des Sradtbaches, der die zentrale Kram- und in der Mitte in zwei Halften teilre, bis zu der urn 1191 von Bertold V. von Zahringen erbauten Sradtburg bei Nydegg. Dort folgten sie der ostlichen Hangmauer der Burg bis in die Mattenenge, wo ein Torbogen den stadtherrlichen Burgbezirk von den Gewerbebetrieben in der Matte trennte''. Die Viertelsgrenzen von Nord nach Slid verliefen ausgehend vom obersten Haus in der nord• lichen Hauserreihe der (seit 1406 Rarhaus) entlang der Kreuzgasse bis zum Chor der St. Vinzenzkirche. Die von der Berner Blirgerschaft bereits in der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts ge• schaffene Viertelseinteilung blieb auch nach den beiden Stadterweiterungen von 1255 und 1343 sowie der Dberbauung des Nydeggstaldens nach der Zerstorung der zahringischen Stadtburg urn 1268 bis zum Ende des Mitrelalters unverandert bestehen, Die beiden west• lichen Stadrviertel wurden im 13. und 14. jahrhundert einfach entsprechend der ur• sprlinglichen Grenzziehung gegen Westen veriangert, wobei der Stadrbach weiterhin als Viertelsgrenze diente. Auch im Osten folgte die Viertelseinteilung nicht dem nach 1268 neu entstandenen , sondern verliefwie zu Beginn des 13. Jahrhunderts ent• lang der ostlichen Hangmauer der geschleiften Stadtburg", Erst im Verlauf des 15. jahr• hunderts verschwanden schliesslich Hangmauer und Torbogen aus dem Sradtbild und die Grenze zwischen den beiden ostlichen Sradrvierteln wurde gegen Ende des [ahrhunderts von der Mattenenge in die Mitte des Nydeggstaldens verlegt!". Entsprechend der wach• senden okonomischen Bedeutung der Inneren Neustadt, die in Bezug aufWohn- und So• zialprestige im Verlauf des 15. und 16. jahrhunderrs weitgehend an die Zahringerstadt auf• schloss, wurde die von Norden nach Suden verlaufende Viertelsgrenze im 16. jahrhunderr ebenfalls nach Westen auf die Hohe der 1468 neu errichteten F1eischschal verschobenII. Als neue bis ins jahr 1798 bestehende Viertelsgrenze etablierte sich dabei die Linie vom ost• lichen Ausgang der Brunngasse entlang des Schaal- und Munstergassleins bis zum Muns• rerplarz12.

8 Zur Topografie der zahringischen Sradtb urg bei Nydegg vgl. Kdm Bern I, S. 62-68; sowie Morgentha• ler, Bilder, S. 23-26. 9 Irn Udelbuch von 1389 werden die osrliche Hangmauer der zerstorren zahringischen Sradrburg sowie der Torbogen in der Marrenenge noch ausdriicklich als Grenze der beiden osrlichen Stadrviertel angege• ben: johansGenhart von Urtinon ist burger an einem IIII teil sines huses zwischentder mure da der burger zeichenstat und[ohans Schaller, Udelbuch von 1389, StABE: B XIII 28, S. 177. 10 Erstmals dokurnenrierr ist diese neue Vierrelsgrenze im Tellbuch von 1494; Meyer, Tellbuch 1494, S. 147-207. 11 Die wachsende okonomische Bedeutung der Inn eren Neustadt zeigt sich im Bau verschiedener Gesell• schafrshauser, die im Verlauf des 15. und 16. jahrhunderrs entlang der Markrgasse errichtet wurden : Obere Gerber 1423, Obere Schuhmacher urn 1424, Schmiede 1448, Schiitzen 1458, Weber 1465, Obere Zimmetleure 1515 sowie als Nachziigler die Gesellschaft zum Mitrellowen 1722. Vgl. dazu Kdm Bern I, S. 383 fT. ; johann Rudolf Gruner, Deliciae urbis Bernae. Merckwiirdigkieten der hochloblichen Stadt Bern, Ziirich 1732, S. 457 f.; sowie Kapitel V ,,3.2.7. Die soziale Aufwerrung der Marktgassen". 12 Kdm Bern I, S. 7; sowie Gruner, Deliciae, S. 450. 188 IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebietes

2. Die Ober- und Unterstadt

Die Nutzung der im Westen und Osten an Bern grenzenden Allmenden fuhrre bereits im 13. Jahrhundert zu einer wirtschaftlichen Zweiteilung des Stadtgebietes in eine Obere und eine Untere Sradtgemeindel''. Die Grenze zwischen diesen beiden Gemein• den verlief entsprechend der Viertelseinteilung bis zum Ende des 15. Jahrhunderts ent• lang der Kreuzgasse, die die zahringische Grundungssradt zwischen Zeitglockenturm und Nydegg von Nord nach Sud in etwa zwei gleich grosse Halften teilte. Wahrend die ostlich der Kreuzgasse ansassigen Burger ihre Viehherden auf der rechten Seite der weiden liessen, trieben die Burger in der Oberstadt ihre Tiere aufdie Stadtallmend links der Aare. Ebenfalls seit dem 13. Jahrhundert nach der Gemeindezugehorigkeit organi• siert waren der Bezug von Brenn- und Bauholz sowie die jeden Herbst von der Burger• schaft durchgefilhrte Schweinemast in den beiden bernischen Hochwaldern Forst und Bremgartenwald14. Die genossenschaftliche Nutzung der direkt ans Stadtgebiet anstossenden Walder sowie der Weidgang des stadtischen Viehs aufden beiden Allmenden hatten fur die Ber• ner Burgerschaft wahrend des gesamten Spatmittelalters eine wichtige okonornische Be• deutung'>. Bereits im 13. jahrhundert liessen deshalb Schultheiss und Rat die von der Stadt beanspruchten Nutzungsrechte im Forst und Bremgartenwald in Artikel 6 der Goldenen Handfeste als konigliche Freiheiten bestatigenlv, Auch sonst bildete der Schutz der stadtnahen Walder und Weiden vor einer Dberbeanspruchung durch Mensch und Tier ein wichtiges Anliegen des Berner Rates, der den Forst und Bremgar• tenwald seit dem beginnenden 14. Jahrhundert regelrnassig strengen Schutzbestimmun• gen unrerwarf17. Neben dem Sammeln von Brenn- und Bauholz war es scit dern 15. jahrhundert vor allem die Zahl des von den Burgern auf den Allmenden gehaltenen Schlachrviehs, die der Rat reglementierte und kontingentierte. Eine erste Einschrankung erfuhr die Bestossung der Stadtallmenden an der Wende vom 14. zum 15. jahrhunderr, als der Rat bestimmte, dass aIle Schafe, die sich langer als vier Tage auf den Allmenden aufhielten, nur noch in Bern verkauft oder geschlachtet werden durften18. In einer weiteren Satzung aus dem Jahre 1403 begrenzten Schultheiss und Rat die Zahl derjenigen Schafe, die ein Burger wahrend eines Jahres auf die Stadt• allmenden treiben durfte und nicht auf dem stadtischen Markt verkaufte, auf hochstens

13 Vgl. dazu auch Gruner, Deliciae, S. 450. 14 Gerber, Bauen, S. 97 ff. und 109-114. 15 Zur existentiellen Bedeutung des Waldes fur die Bevolkerung einer mittelalterlichen Stadt vgl. Lorenz Sonke, Wald und Stadt im Mitrelalter, Aspekte einer historischen Okologie, in: Wald, Garten und Park. Yom Funktionswandel der Natur fUr die Stadt, hg. von Bernhard Kirchgassner und Joachim B. Schultis (Stadt in der Geschichre 18), Sigmaringen 1993, S. 25-34. 1G RQ Bern Ill, Artikel G, S. 5 f. 17 Gerber, Bauen, S. 110-114. 18 RQBern I12, Nr. 241, S. Ill. IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebietes 189

200 Tiere'". Nach einer wahrscheinlich ebenfalls zu Beginn des 15. jahrhunderts erlas• senen Stadtsarzung hatten die Burger jedoch zur Zeit der Schafschur im Friihsommer das Recht, jeweils bis zu 50 Schafe auf den Stadtallmenden weiden zu lassen20. Zu Beginn des 16. jahrhunderts waren es dann vor allem die in Bern und aufden All• menden gehaltenen Schweine, deren Zahl Schultheiss und Rat einschrankten-". Nach einer im Jahre 1530 erlassenen Satzung durften diejenigen Sradtbewohner, die keine eige• nen Garten oder Acker besassen, hochstens zwei Schweine und aile ilbrigen hochstens vier Schweine halten. Ausserdem mussten samtliche Schweinestalle im Stadtzentrum nach Ablauf einer Frist geraumt werden und durften auch nachher nicht wieder aufge• baut werdene'. In der Landschaft beschrankte der Rat die Grosse der Schweineherden aufhochstens 30 Tiere, wobei landlose Tagelohner hochstens noch filnf Schweine besir• zen durften23.

Die aus dem 15. und 16. Jahrhundert uberlieferten Hochsrwerte filr die Haltung von Schafen und Schweinen machen deutlich, welche winschaftliche Bedeutung den Nut• zungsrechten der an Bern stossenden Walder und Weiden filr die Bilrgerschaft zugekom• men ist. Vor allem Metzger und Gerber profitierten von den Weiderechten, indem sie in nachster Nachbarschaft der Stadt grossere Viehherden hielren und diese anschliessend auf dem Markt verkauften oder zum Schlachren in die Schlachthauser filhrten. Aber auch die weniger begilterten Bilrger nahmen regen Anteil an den sradtischen Weiderechten, indem sie Schweine, Ziegen oder Schafe auf die Allmenden oder zur Eichelmast in die sradr• eigenen Walder trieben, was ihnen ein gewisses winschaftliches Auskommen sicherte. Schliesslich errnoglichte die Nutzung der Stadrallrnenden einem Teil der in Bern an• sassigen Handwerker, dass sich diese ein Reitpferd leisten konnten und dadurch die oko• nomischen Voraussetzungen zur Ausubung kommunaler Amter erfilllten. Die Ober- und Untersradt besassen im Unterschied zu den Sradrvierteln keine eige• nen Gemeindevorsteher, die die Bewohnerschaft der beiden Sradrhalften in den korn• munalen Ratsgremien vertreten hatren. Beide Stadtteile stellren jedoch verschiedene Vertrauenspersonen, die eidlich dazu verpflichtet waren, die der Stadrbevolkerung zustehenden Allmend- und Waldnutzungsrechte zu iiberwachen. Im 14. und 15. jahr• hundert werden neben zwei aus der Stadrkasse besoldeten Hirten mehrere Bannwarte und Forster sowie je zwei Rebmeister und Weibelsboten niden uss und oben uss genannt, die jeweils aus der Bewohnerschaft der beiden Stadtteile ernannr wurden-s, Seit dem be-

19 RQ Bern I12 , Nt. 242. S. Ill. 20 RQ Bern Ill, Nr. 273. S. 171; sowie Rennefahrt, Grundziige, Bd. 2, S. 106 f. 21 Gerber, Bauen, S. 109 f. 22 RQ Bern V, Nr. 29a, S. 49 f. (4. September 1530). 23 RQ Bern V, Anm. 1, S. 51 (4. September 1530). 24 Vgl. dazu die Ordnung der Rebleure in RQ Bern I12, Nr. 118. S. 79 f., und deren Eid in RQ Bern I12 , Nr. 125, S. 93; sowie RQ Bern Ill, Nr. 273, S. 171 f. 190 IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebieres ginnenden 16. jahrhunderr oblag es dann den ebenfalls aus der Ober- und Unrersradt gebildeten Ausschussen der sogenannren Vierer, die beiden Allmenden wesrlich und ost• lich Berns zu beaufsichtigen. Nach einer im Jahre 1514 erlassenen Satzung hatten die Vierer insbesondere dafilr zu sorgen, dass die Btirger keine Zinsgtiter aus dem Stadtbe• sitz enrfrernderen, niemand Obst und Gemtise aus den von der Stadt verliehenen Gar• ten stahl oder Viehstalle und Scheunen ohne Erlaubnis des Rates auf den Allmenden er• richtete25. Obwohl die Bewohner der Ober- und Untersradt wahrend des gesamten Mittelalters keinerlei politische Rechte genossen, die aus der Lage ihrer Wohnhauser ostlich oder wesrlich der Kreuzgasse resultierten, kam es mit der wachsenden Bedeutung der Zunfte zu Beginn des 15. Jahrhunderts zu einer gewissen AufWertung der beiden Stadthalften. Dies driickte sich vor allem in der Zweiteilung der politisch einflussreichen Vennerztinfte in eine Obere und eine Untere Gesellschaft aus26. Erstmals erkennbar wird diese Ent• wicklung in der Verfassungsurkunde von 1438, als Schultheiss und Rat bestimmten, dass jedes Jahr je ein Venner aus der Oberstadt und je einer aus der Unterstadt durch einen neuen ersetzt werden musse-". Obwohl der Berner Rat diese Bestimmung nie durchset• zen konnte, dokumenriert die Verfassungsurkunde von 1438, dass die Ztinfte seit dem beginnenden 15. Jahrhundert bernuht waren, ihre eigene wirtschaftlich ausgerichtete Einreilung des Stadtgebieres tiber diejenige der alteren Stadrviertel zu stellen.

3. Die Kirchgemeinde von St. Vinzenz

Keinen Einfluss auf die Viertels- und Quarrierbildung harre in Bern die Kirche28• Irn Unterschied zu den meisten grosseren mittelalrerlichen Sradten, deren Bevolkerung sich in der Regel auf mehrere Parochien verteilte, blieb die Einwohnerschaft Berns wahrend des gesamten Mirrelalrers in einer einzigen Kirchgemeinde zusarnmengefasst-", Bereits

25 RQ Bern VIII/2 . Nr. 270 und 271. S. 748-751. Vgl. dazu auch Gerber. Baucn, S. 97 ff. 26 Vgl. dazu Kapirel VI ,,4. ZUnfte und Gesellschafren". 27 RQ Bern 1/2. Nr. 212. S. 145. 28 Zur EnrwickIung der kirchlichen Instirurionen Berns wahrend des Mittel alters vgl. Morgenthaler. Bilder, S. 88-129; sowie allgemeinen Gerhard Pfeiffir. Das Verhaltnis von polirischer und kirchlicher Gemeinde in den deurschen Reichsstadren, in: Sraat und Kirche im Wandel der jahrhunderre, hg. von Walth er Peter Fuchs, Stuttgart 1966 . S. 79- 100;]urgenSydow, Stadt und Kirche im Mittelalter, Ein Versuch, in: WUrrrembergisch Franken 58 (1974), S. 35- 57. FUr die Schweiz vgl. Ludwig Schmugge, Stadt und Kir• che im Sparmirrelalter am Beispiel der Schweiz. Ein Uberblick, in: Variorum Munera Florum . Latinirar als pragende Kraft rnirrelalterlicher Kultur, Fesrschrift fUr Hans F. H aefele, hg. von Adolf Reinle u. a., Sigmaringen 1985, S. 273-299. 29 GeorgLiebe, Die kommunale Bedeutung der Kirchspiele in den deurschen Sradten. Ein Beitrag zur Ver• fassungsgeschichre deurschen Mittelalters, Berlin 1885. Vor allem in den grosseren Bischofssradren wie Trier, das im Mittelalter nichr weniger als sieben Pfarreien zahlte, verreilre sich die Sradtbevolkerung auf verschiedene Parochien; Reinhard, Trier, S. 440. IV. Die raurnliche Gliederung des Stadtgebieres 191 zur Zeit der Sradrgrundung entstand am sudlichen Ausgang der Kreuzgasse eine erste Kir• che, die dem heiligen Vinzenz geweiht war und deren Patronarsrechte die sudwestlich der Stadt gelegeneAugustinerprobstei in Koniz austlbte-''. In Zusammenhang mit der von Kai• ser Friedrich II. nach dem Tode des letzten Zahringer Herzogs 1218 eingeleiteten Konsoli• dierung der sraufischen Herrschaftsrechte im Gebiet von Aarburgund tibertrug der Kaiser die Propstei in Koniz 1226 an den von ihm geforderten Deutschen Orden-". Die betroffe• nen Augustinerchorherren, die der Papst im Jahre 1232 als rechtrnassige Besitzerder Props• tei in Koniz bestatigte, widersetzten sich daraufhin gemeinsam mit dem Bischof von Lausanne und der Mehrheit der Berner Burger dem kaiserlichen Beschluss. Der von Fried• rich II. eingesetzte Schultheiss Peter von Bubenberg und der in Bern ansassigeMinisterial• adel unterstiitzten jedoch den kaiserlichen Entscheid und vertrieben die Augusrinerchor• herren gewaltsam aus Koniz, 1235 nahmen die Deutschherren die ihnen uberrragene Propstei schliesslich in Besirz, wobei die Berner Burger erst bei einem Aufenthalt des Kaisersohnes Konrad von Hohenstaufen in der Aarestadt gelobten, den Gottesdienst der Deutschordenspriester nach langerer Weigerung im Jahre 1238 wieder zu besuchen und die Rechte des Ordens in Zukunft ohne Widerspruch zu respektieren. Der Bischof von Lau• sanne anerkannte die Deutschherren hingegen erst im Jahre 1243 als neue Besitzer der Propstei in Koniz. Die Stadtkirche St. Vinzenz blieb formell bis 1276 eine Filialkirche des Deutschen Ordens. Erst in jenem [ahr erhob der Bischofvon Lausanne die Kirche zu einer eigenen Pfarrei. Die Parronatsrechte und damit die Wahl des bernischen Leutpriesters ver• blieben zwar bis zur Umgestaltung von St. Vinzenz in ein weltliches Chorherrenstift 1484 formell in den Handen des Deutschen Ordens. Dieser musste die von ihm prasentierten Leutpriester jedoch nach ihrer Wahl jeweils vom Berner Rat bestatigen lassen. Schultheiss und Rat sicherten sich auf diese Weise bereits seit dem 13. Jahrhundert eine direkre Ein• flussnahme auf die Besetzung der Stadtpfarrei-<.

In die Zeit der Auseinandersetzungen der Burgerschaft mit dem Deutschen Orden und dem Bischof von Lausanne urn die Zustandigkeiren in der Stadtpfarrei fallr die Nieder• lassung der beiden Bettelorden der Franziskaner und der Dominikaner in Bern33. Beide Orden besassen verschiedene papstliche Privilegien, die es ihnen erlaubren, Predigten ab• zuhalten sowie einzelne Sakramente wie Taufen und Beerdigungen zu spenden. Die An• siedlung der Bettelorden bedeutete deshalb fur die Berner pfarrkirche eine Konkurrenz, deren Rechte durch die Monche beschnitten wurden. Als Erste liessen sich die Franziskaner oder Barfusser in Bern nieder. Ihr Konvent er• scheint im Jahre 1255 bereits als funkrionierende Ordensgerneinschaftet, Die Domini-

30 Morgenthaler, Bilder, S. 88-91; sowie TiMer, Bilder, S. 33 f. 31 Feller, Geschichre, S. 30-33; sowie Vim Rodt, 13. jahrhundert, S. 120-141. 32 Zahnd, Bern, S. 214. 33 VgI. dazu Hecker, Bettelorden. 34 Morgenthaler, Bilder, S. 106--109; sowie Tiirler, Bilder, S. 34 f. 192 IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebietes

kaner oder Prediger folgten 1269 35. Beide Bettelorden wurden von Schultheiss und Rat ausdrucklich zur Niederlassung in die Stadt gerufen (instanter vocatt)36. Die Burgerschaft wies den Franziskanern und Dominikanern fur die Errichtung ihrer Kloster ausgedehnte Flachen zu, die den stadtischen Grundbesitz der von den Deutschherren verwalteten St. Vinzenzkirche von Anfang an bei weitem ubertrafen. Die Niederlassung der beiden Bet• telorden fuhrte deshalb ahnlich wie in anderen Stadten bereits kurze Zeit nach ihrer An• siedlung zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den neuen Orden und den Deutschherren einerseits, sowie zwischen den Franziskanern und Dominikanern ande• rerseits, deren Ursachen immer in der Ausubung den allen drei nach papstlicher Privile• gien zustehenden Sakramentsrechten zu suchen waren. Zu einem ersten, jedoch nur vorlaufigen Ausgleich kam es im Jahre 1257, als die Deutschherren der Niederlassung der Franziskaner in ihrem Pfarrbezirk unter der Bedingung zustimrnren, dass ihrer Seel• sorge durch die Ansiedlung der Bettelmonche kein Abruch geschehe. Der Rat nahm die Deutschordenskomturei in Koniz als Gegenleistung ins stadtische Burgrecht auf, wobei die Deutschherren das kurz zuvor erbaute Deutschordenshaus am sudlichen Rand des St. Vinzenzen Kirchhofes ungehindert beziehen konnten-". Der laterite Streit zwischen den Bettelorden und den Deutschherren urn das Spenden der Sakramente erreichte in den Jahren 1293 und 1297 weitere Hohepunkre, als sowohl der Papst als auch der Bi• schofvon Lausanne die jeweiligen Kontrahenten exkommunizierten. Seit der ersten Halfte des 14. Jahrhunderts war es dann vor allem das den Bettelorden zustehende Begrabnisrecht, das die Deutschherren wegen der mit dieser Tatigkeir ver• bundenen Einkunfte immer wieder bekampften, Auch in diesem Streitpunkt kam es schliesslich zu einem gerichtlichen Ausgleich, wobei die Bettelorden 1355 verpflichret wurden, dem Leutpriester eine minimale jahrliche Entschadigung von drei Pfund fur die Durchfiihrung der Besrartungen zu entrichten-''. Langfristig setzten sich Franziskaner und Dominikaner auf diese Weise weitgehend gegen die Anspruche des Deutschen Or• dens durch, die seit ihrer Niederlassung in Bern aufeine breite Unterstutzung durch die Burgerschaft zahlen konnten-". Ihre wachsende Beliebtheit zeigt sich auch darin, dass die Betcelrnonche im 14. und 15. Jahrhundert immer haufiger mit Stiftungen reicher Burger bedacht wurden, die sich in steigender Zahl in den Klosterkirchen und in den an die Gotteshauser grenzenden Friedhofen bestatten liessen. Obwohl Bern bis 1785

35 Morgenthaler, Bilder, S. 110-116; sowie Tiirler, Bilder, S. 35. 36 Heinrich Tiirler; Das FranziskanerkJoster, in: Die hohen Schulen zu Bern in ihrer geschichtlichen Ent• wickJung von 1528 bis 1834, hg. von Fr. Haag, Bern 1903, S. 1-18. 37 Das domus Theutonicorumin Berno wird 1256 erstrnals urkundlich erwahnr: FRB/2, Nr, 392, S. 411 (8. Januar 1256); sowie Kdm Bern IV, S. 428. 38 Tiirler, FranziskanerkJoster, S. 4. 39 Auch der Berner Rat scheint das von den Berrelmonchen beanspruchte Begrabnisrechr ohne Einschran• kungen anerkannt zu haben . So berichret Konrad Justinger furs jahr 1324, dass der in der Kreuzgasse enthauptete Edelmann Walter Senn, ze denpredigern uswendig an dem kore zwiischent dem kore und der sacrastye begraben worden sei; Studer, Justinger, Nr. 103, S. 57 f IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebietes 193 forrnell nur aus einer einzigen Pfarrgemeinde bestand, mussten die Deutschherren die ihnen zustehende Stadtpfarrei seit dem ausgehenden 13. jahrhunderr mit den Bettelor• den teilen. Es kann deshalb bereits im Spatrnittelalter von einer gewissen Unterteilung der Kirchgemeinde von St. Vinzenz in einzelne "Seelsorgebezirke" gesprochen werden.

4. Die Stadtquartiere

Die neben Haushalt und Gasse wichtigsten raumlichen Bezugspunkte des sozialen Le• bens in der spatmirtelalterlichen Stadt Bern waren die Stadtquartieret", Diese waren eng begrenzte Raumeinheiten, deren Bewohner sich sowohl in ihrer Sozialstruktur als auch in ihren Zugriffsmoglichkeiten auf die okonornischen Ressourcen, politischen Amter und religios-karitariven Institutionen der Stadrgerneinde deutlich voneinander unter• schieden . In Bern existierten wahrend des Sparmitrelalters insgesamt vier Stadtquartiere (Abb. 6)41. Aile vier Quartiere lassen sich im heutigen Stadtbild noch erkennen und widerspiegeln die Ausdehnung der Stadt nach Westen und Sudosten, die durch den Bau der drei mittelalterlichen Mauerringe und den Einbezug der Gewerbesiedlungen an der Aare ins ummauerte Sradtgebiet akzentuiert wird. 1m Unterschied zu den in der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts geschaffenen Stadrvierteln, die kiinstlich festgelegte Wahl• und Verwaltungsbezirke umschrieben, bildeten die Quartiere historisch gewachsene Wohn- und Lebensgemeinschaften, die durch topograflsche Gegebenheiten wie Graben, Mauern, Tore und Plarze raurnlich voneinander getrennt waren. Die Quartiere waren weder im politischen noch im verfassungsrechtlichen Sinn eigensrandig und wurden von den vier Stadrvierteln durchschnitten. Die Stadtquartiere iiberlagerten dadurch die altere Vierrelseinteilung, so dass sich die Einwohner eines Quartiers wahrend des Mit• telalrers immer auf mehrere Stadrviertel verteilten. Eine quartierweise Vertretung der Sradtbevolkerung in den kommunalen Rarsgrernien, wie dies in anderen mirrelalrerli• chen Stadten festgestellt werden kann, blieb dadurch in Bern von vornherein ausge• schlosserrt-.

Die Sozialstruktur der Berner Stadrquartiere griindete auf einzelnen nachbarschaftlich ori• entierten Sozialverbanden, die durch ihre gemeinsame Wohn- und Arbeitslagespezifischen topografischen Gegebenheiten und Abhangigkeiten unterlagen. Diese markierten den aus• seren Bezugsrahmen, in dem sich der AIltag der Stadteinwohner in Form vielfaltigersozia• ler Bindungen und Interaktionen grosstenteils abspielte. Die Grundlage dieser Sozial-

40 Vgl. dazu die grundlegende Arbeit von Robert[iitte, Das Sradrviertel als Problem und Gegenstand der fruhneuzeirlichen Sradrgeschichtsforschung, in: Blatter fur deursche Landesgeschichte 127 (1991), S.235-269. 41 Bartschi, Bern, S. 40-48; sowie De Capitani, Adel, S. 19 f. 42 Isenmann, Stadt, S. 131-143. 194 IV. Die raurnliche Gliederung des Sradtgebietes

verbande waren die stadtischen Haushalte und deren Bewohner, die gassenweise in Form sogenannter Bauernschaften oder gebursami zusammengefasst waren. Die nachbarschaftli• che Ausrichtung der Bauernschaften zeigt sich in den zwischen 1430 und 1452 uberliefer• ten Sackelmeisterrechnungen, nach denen der Berner Rat der gebursamian derkilchgassen eine jahrliche Entschadigung flir Schmuck und Verzierungen ausbezahlte . Die Bewohner der Mlinstergasse pflegten diese jeweils an hohen christlichen Feiertagen an ihren Wohn• hausern anzubringenv'. Samtliche von der Stadt durchgefiihrten Steuerurngange und rni• litarischen Aufgebote sowie die Organisation der Ratswahlen beruhten wahrend des Mit• telalters auf den sozialen Grundeinheiten der Haushalte und ihrer Vorsteher. Die Venner liessen die Namen der Stadtbewohner jeweils entsprechend der topografischen Lage ihrer Wohnhauser entlang den Gassen nach Stadrvierteln geordnet aufzeichnenv'.

4.1. Die Zahringerstadt

Das alteste Stadtquartier Berns ist die nach 1191 zwischen der Burg Nydegg und dem Zeit• glockenturm unter Herzog Bertold V.von Zahringen angelegte Grlindungsstadt mit zentra• lem Gassenmarkt und zwei parallellaufenden Strassenzugerri>, Die Zahringerstadt war mit einer Lange von rund 750 Metern und einer mittleren Breite von 175 Metern das in Bezug auf Flache und Einwohnerzahl grosste Stadtquartier Berns. Erwa 820 der insgesamt rund 1620 im Udel- und Tellbuch von 1389 nachgewiesenen Wohnhauser befanden sich in die• sem zentralen Sradtteil'l''. Baulich akzentuiert wird die Grlindungsstadt von dem nach 1191 errichteten Zeitglockenturm, dem altesten heute noch erhaltenen Stadttor, und den beiden 17 bis 18 Meter, ursprunglich jedoch bis zu 27 Meter breiten Gassenmarkten der Krarn- und Gerechtigkeitsgasse (meritgasse) 47. Deutliche Akzente setzen seit der ersten H alfte des 15. jahrhunderts zudem das Munster mit dem stidlich anschliessenden Deutschordenshaus und der Munsrerplattform sowie das nach dem Stadtbrand von 1405 neu erbaute Rathaust''. Die in ost-westlicher Richtung verlaufenden Hauptgassen folgen der mittleren Langsachse der Zahringerstadr und werden im Norden durch die Rathaus- und Post-

43 Welti, Stadt rechnungen 1430/1, S. 9, und 1441/I, S. 126. Aus der zweiten Halfie des 15. Jahrhunderts ist folgende Prozessionsroute uberlieferr: [.. .] und tet man gar ein loblich procession von dem munster durch diekilchgassen [Miinstergasse] hinufbis zu derzitglockenund die merktgassen[] harab bis widerzu dem munster [...J; Tobler, Schilling, Nr. 363, S. 189 (27. September 1478). 44 Vgl. dazu Kapitel I ,,2.1. Die Udelbucher". 45 Kdm Bern I, S. 22-62; sowie Morgenthaler, BiIder, S. 26-36 und 47-50. Zu den stadrischen Gassenna• men vgl. Abb. 1. 46 1389 konnen in der Unteren Zahringersradt erwa 330 und in der Oberen Zahringerstadr rund 490 Wohnhauser gezahlt werden. 47 Die heutigen Laubengange gehorren urspriinglich zu den Gassen. Sie wurden seir dem 13. Jahrhundert zuerst aus Holz, seir dem 15. jahrhunderr zunehmend aus Stein auf den freien Flachen der Gassen er• richter: Kdm Bern I, S. 66. 48 Zum Bau des Miinsters und seiner Filialbauten vgl. Kdm IV. IV. Die raurnliche Gliederung des Stadrgebietes 195 gasse (hormansgasse) und im Suden durch die Munster- und (kilchgasse) als parallele Strassenziige begleiret. Erst im Verlauf der zweiten Halfte des 13. Jahrhunderts entstanden mit der Brunngasse (brungasse) und der (herrengasse von Eger• don) schliesslich noch die beiden jiingsten Gassen ostlich des Zeitglockenturms. Diese erschlossen die bisher noch unbebauren Flachen im Nordwesten und Sudwesten der Griindungsstadt. Im Westen wird die Zahringerstadt durch den Kornhaus- und Thea• terplatz (bader graben, seit 1405 uffdem platz), den Casinoplarz (gerwergraben) und im Osten durch den westlichen Abschluss des Nydeggstaldens (uffder ebnz) begrenzt. Die wichtigsten Quergassen sind die zentral gelegene Kreuzgasse (crutzgasse), die das Stadt• gebiet seit dem 13. Jahrhundert in eine obere und eine untere Halfte reilr, sowie das ent• lang des ersten Westabschlusses verlaufende Zibelegasslein (an der ringmur, seit 1405 bim zitgloggen) und die Hotelgasse (vorden barfiissen).

Die Zahringerstadt war das politische, okonornische und geistliche Zentrum der spatmit• telalterlichen Stadt Bern. Hier standen die wichtigsten kommunalen, gewerblichen und re• ligios-karitativen Gebaude (Abb. 7 und 8). Die einzelnen Bauwerke verteilten sich jedoch sehr ungleichmassig auf das Gebiet zwischen Zeitglockenturrn und Nydeggkapelle. Inner• halb der Zahringersradt muss deshalb von einer unterschiedlichen sozialen Bewertung der einzelnen Gassen und Strassenabschnitte ausgegangen werden. Auffallig ist in Bern die im Vergleichzu anderen Sradren relativ strikte raumlicheTrennung zwischen kirchlichen, korn• munalen und gewerblich-ziinftigen Gebauden, Diese konzentrierten sich aile an unter• schiedlichen Gassen. Wahrend die massgeblichen kommunalen Einrichtungen wie das Rat• haus, der Schultheissensitz und die Lateinschule im Bereich der Kreuzgasse standen, gruppierten sich wichtige kirchliche Institutionen wie die Pfarrkirche, das Deutschordens• haus und das Franziskanerkloster rund urn die periphere Munster- und Herrengasse. Eben• falls Randlagen wiesen die verschiedenen in der Zahringerstadt gelegenen Spitaler und Pilgerherbergen auf. Diese befanden sich enrweder wie die Elenden Herberge und das An• ronierspital in den nordlichen Hauserzeilen der Brunn- und Postgasse oder lagen wie das Siechenhaus oder das Niedere Spital sogar ausserhalb des ummauerten Stadtgebietes.Zentrale Standorte bevorzugten hingegen die Kaufleute und Ziinfte, deren Cewerbe- und Gesell• schaftshauser sich vorwiegend entlang der geschafrigen Strassenmarkte der Kram- und Ge• rechtigkeitsgasse reihten ,

4.2. Nydeggstalden und Matte

Der Nydeggstalden und die Matte waren das Ilachenmassig kleinste Stadrquartier Berns. Nur gerade rund 256 oder knapp 16 Prozent aller im Jahre 1389 nachweisbaren Wohn• hauser befanden sich in diesem hauptsachlich gewerblich ausgerichteten Sradtteil sudostlich der zahringischen Griindungsstadt. Die Hauserzeilen des Quarriers folgten in einem schmalen Bogen dem Lauf der Aare vorn sogenannten Trenkenturli nordlich der Untertorbrucke bis zu der nach 1334 errichteren Kirchhofmauer von St. Vinzenz. Die 196 IV. Die raurnliche Gliederung des Sradtgebietes

Topografie des Sradtquartiers wird gepragt durch seine Lage am linken Aareufer und den betrachrlichen Niveauunterschied zur Zahringersradt, der bei der Badgasse immerhin rund 40 Meter berragr'". 1m Unterschied zur zahringischen Grundungsstadt, die von Herzog Bertold V. im Jahre 1191 planrnassig angelegt worden war, enrwickelten sich Ny• deggstalden und Matte aus verschiedenen allmahlich gewachsenen Ufersiedlungen an der Aare, die erst im Verlauf des 13. und 14. Jahrhunderts rechtlich wie baulich mit der Burgerstadt westlich der Nydegg in einer einheitlichen Stadtgerneinde zusammengefasst wurden>", 4.2.1 . Der Stalden

Der Nydeggstalden (stalden) war bis zum Bau der Nydeggbrucke zwischen 1840 und 1844 als Teil der in Langsrichtung durch Bern fuhrenden hochmittelalterlichen Konigs• strasse die einzige Verbindungsstrasse zwischen der urn 1255 errichteten Untertorbrilcke und der zahringischen Grundungsstadt>'. Wegen der Steilheit des Gelandes wurde die Gasse in einem leichten Bogen angelegt, der den Aufstieg fur Mensch und Tier erleich• terte. Trotz der gekrummten Strassenfuhrung, die ungefahr dem Verlauf der Umfas• sungsmauern der ehemaligen Stadtburg folgte, und der urn 1486 durchgefuhrten Ab• senkung des oberen Gassenabschnitts bildete der Stalden vor allem fur schwere Fuhrwerke wahrend des gesamten Mittelalters ein Hindernis, das von den Fuhrleuten haufig nur mit zusatzlichen Zugtieren bewaltigt werden konnte. Gleichzeitig bedeute der Wagenverkehr fur die Anwohner des Staldens eine permanence Larrnbelastigung, gegen die der Rat im Jahre 1403 sogar eine spezielleSatzung erlassen musste. In dieser errnahnte er die Kornmuller in der Matte gegen Andrahung eines Bussgeldesvon zehn Schillingen, ihre Wagen in Zukunft besser instand zu halren, dam it sie bei ihren taglichen Fahrten in die Oberstadt nichr mehr einen so grossen Larrn machten, was die tat toibet52• Die neben der im 14. jahrhundert geweihten Nydeggkapelledominierendsten Bauwerke im Bereich des Staldens waren die nach 1255 erbaute Holzbriicke uber die Aare sowie die erwa zur gleichen Zeit errichteten Torturrne am westlichen und ostlichen Zugang der Un• tertorbriicke. Wmrend das Untertor im Baubestand der heutigen "" aufgegan• gen ist, scheint das Innere Aaretor bereits vor dem Neubau der Untertorbrucke, die zwi• schen 1461 und 1487 vollsrandig in Stein neu aufgefuhrt wurde, abgebrachen worden zu sein. 1m Tellbuch von 1448 finden sich jedenfalls keinerlei Angaben mehr, die auf einen Torturm am westlichen Ausgang der Untertorbrucke hinweisen wiirden,

49 Zu den geografischen Daten der Berner Altstadt vgl. Kdm Bern I, S. 3 f. 50 Noch Johann Rudolf Gruner bezeichnet die Matte in seiner Beschreibung der Stadt Bern von 1732 als Vorstadt; Gruner, Deliciae, S. 474. 51 Die wahrend des Spatrnittelalters offene Verbindung zwischen Zahringersradr und Nydeggstalden wird dutch die in Zusamm enhang mit dem Bau der Nydeggbriicke zwischen 1840 und 1844 neu errichteten Nydegggasse erheblich gesro« . Heute werden Nydeggstalden und Matte vom Verkehr kaum mehr fre• quentiert und bilden die neben der Junkerngasse stillsren Strassenzuge der Berner Altsradt. 52 RQBern III, Nr. 300, S. 184. DieSarzungwurde im 16.Jahrhunderr erneuerr; RQBern III, Nr. 250, S.353. IV. Die raurnliche Gliederung des Sradrgebietes 197

4.2.2. Die Matte

Das (matte) lag im Unterschied zum Nydeggstalden abseits jeglichen Durchgangsverkeh rs und konnte nur durch die Mattenenge (engz) sudlich des Land• tetors mit Pferd und Wagen erreicht werden. Die Matte gliederte sich topografisch in einen westlichen Teil, der die H auserzeilen endang der heutigen Badgasse (im spitz) und der Schiffiaube rund urn die ehemalige Schifilandre an der Aare umfasste, sowie einen langgezogenen ostlichen Teil, der durch die H auser an der Gerberngasse, dem Muhleplatz (nid den mulineni und der Wasserwerkgasse (kurzengasse) vorgege• ben war. Das Leben in der Matte wurde bestimrnt durch die Aare und die drei kunsclich an• gelegten Muhlekanale, an denen sich die Gewerb ehauser der Gerber und die ver• schiedenen seit 1360 von der Stadt Bern verwalteten Wassermiihlen reihten. Am 28. November jenes Jahres verkaufte der Altschultheiss Johannes von Bubenberg senior den grundt dez heiligen riches in der Ara von dem alten graben bi dien walken dur abe untz [bis] an der bredier turn e, die sweli und den wur dur abe, die sagen, die blou/en. die miilinen; die sliffen, die uischentzen, Gresis hus und hofitat und dez ab den bach dur die Matten, untz daz er in die Ara gat, mit der hofitat, die och da lit, da der bach in die A ra gat und alles daz recht, daz ich [Johannes von Bubenberg] in der Ara und bi der Ara, daz ich ze manlehen han von dem heiligen riche, fiir 1 300 Gulden an den Berner Rat53. Die Gewerbebetriebe in der Matte umfassten im Jahre 1405 drei Getreide- und drei Sagernuhlen, mehrere Schleifen und eine Srampfe, die sich auf je drei Muhlekanale verteilren. Schultheiss und Rat verliehen die Gewerbebetriebe in der Matte jeweils als Hand- oder Erblehen an einzelne Mtiller, die dafur einen jahrlichen Lehenszins zu entrichten hatten. Das Zinsurbar von 1429 nennt insgesamt drei Korn- und drei Sa• gemiihlen, die Reibe am vorderen Muhlekanal, die Poliermuhle des Harnischers, eine neu errichtete Tuchwalke sowie fiinf Schleifen, zwei Pulverstampfen und eine weitere Starnpfe, deren Inhaber jedes Jahr einen Zinsbetrag von insgesamt 60 Gulden an den Stadrsackel entrichtecen'<. Die drei Getreidemiihlen besassen rur die Lebensmittelversorgung der Berner Einwoh• nerschaft eine existentielle Bedeutung. Der Rat legte deshalb die von den Mullern zu be• ziehenden Mahltarife seit dem beginnenden 15. Jahrhundert in speziellen Mullerordnun• gen fest55. Die Getreidemiihlen waren stadtische Monopolbetr iebe. Die Bauern in der Umgebung Berns hatten ihr Getreide ausschliesslichin den drei Kornmuhlen in der Matte

53 FRB/8, Nr. 993, S. 373 f.; sowie Studer, Justinger, Nr. 190, S. 122 f. 54 Zinsurb ar Bern ; SAB: A 003, S. 850 f. Vgl. dazu auch Gerber, Bauen, S. 100-105. 55 So kostete zum Beispiel das Mahl en eines Mii tt Dinkels zusammen mit dem Transport einen Schilling. Die beim Mahlbetrieb anfallenden Rucksrande sollten ganzlich den Kunden gehiiren; RQ Bern 1/2, Nr. 10, S. 4 f. Weitere Miillerordnungen sind aus den Jah ren 1457, 1481, 149 1, 150 1, 152 1 und 1529 tiber• lieferr. Vgl. dazu Graf-Fuchs, Gewer be, S. 124-133. 198 IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebieres mahlen zu lassen, das die Muller selbst abholten und zu Mehl verarbeitet wieder an die Kunden verteilren'v, Zusarzliche Zinseinnahmen entstanden der Stadt durch die Verleihung der Aare• schwelle und der dazugehorigen Nurzungsrechte an Fischenzen (Fischereirechten), Scheune und Schwellenmatte, die 1405 einen jahrlichen Lehenszins von zehn Gulden und seit 1447 von zwolf Gulden einbrachten>". Fur den Unterhalt der Schwelle war der stadtische Schwellenmeister veranrwortlich, Dieser war gleichzeitig auch als Schiffsmann und Fischer tatig, Der Schwellenmeister hatte insbesondere dafur zu sorgen , dass weder die Rechen zu den Muhlekanalen noch die Schwelle durch Treibgut verstopft oder be• schadigt wurden-", Gleichzeitig musste er srandig zwei Aareschiffe, ein kleines und ein grosses, im Namen der Stadt unrerhalten. Ebenfalls im Besitz von Bilrgerschaft und Rat befand sich seit dem 14. Jahrhundert die Schifflandte an der Aare. An dieser loschren und beluden die in Bern ansassigen Schiffer und Fischer ihre Boote und die durchfahrenden Schiffe hatten dort einen Durchgangszoll an den Rat zu entrichtenz''. Die Besitzer der Schiffe bezahlten jeweils einen )ahreszins von filnf Schillingen filr die Stationierung ihrer Boote an der Schiff• landte in den Stadtsackelv''. Bei der obersten und wahrscheinlich auch altesten Sa• gemilhle, die allernechst bim wasser und einfluss deselbigen, ouch zum nechsten bim rdcben und uszug der biiumen ist, befand sich zudem die Schiffswerksratt der Aare• schiffer61• Diese Schiffswerkst att war wie die Getreidem uhlen ein stadtischer Mono• polbetrieb, in dem aile in Bern hergestellten Schiffe und Flosse unter der Aufsicht des Schwellenmeisters gebaut wurdenv-, Je nach der Grosse der neu gebauten Schiffe mu ssten die Schiffsleute jeweils eine kleinere od er grossere Abgabe an die Stadt ent• richren. Rund urn die Schifllandte herrschte wahrend des gesamten Sparrnittelalrers ein ge• schaftiges Treiben. Hier befand sich der Samrnelplarz filr das aus dem Oberland heran• geflosste Holz. Handelsgilter wie Textilien und Leder wurden von den hoher gelegenen Stadtquartieren an die Matte transportiert und auf Schiffe verladen . Gleichzeitig legten Schiffe an der Landte an, die die Aare aufwarts fuhren und filr die Versorgung Berns wichtige Gurer wie Fisch, Wein und Getreide mit sich brachten. Die herbeigefuhrten Fasser und Kornsacke mussten ebenfalls abgeladen, auf Karren verpackt und auf die zentralen Markte in der Zahringersradt gefahren werden. An der Schifllandte reihten

56 Vgl. dazu Anne-Marie Dubler; MUller und Muhlen im alren Staat Luzern . Rechrs-, Wirrschafts- und So• zialgeschichre des luzern ischen Landmullergewerbes vorn 14. bis 18. jahrhundert (Luzerner Hisrorische Veroffentlichungen 8), Luzern/Mtinchen 1978. 57 Zinsurbar Bern (l 426);SAB:A 003,S.851; sowie Zinsrodel1 405 und 1429,STAB: BVII23 11,S. 15 und 99. 58 Gerber, Bauen , S. 103 If. 59 Karl Howald, Die Gesellschaft zu Schiffieuren, in: Berner Taschenbuch (1874), S. 274- 283. 60 Morgenthaler, Bilder, S. 143; sowie Welti, Sradtrechnungen 1377 /1, S. 62 und 1382/1, S. 203. 6 1 Rennefthrt, Bauarnts-Urbar, S. 99 . 62 Hans Kuhn-Simon, Die Berner Zunft zu Schiffieuren, Bern 1968 , S. 20 f. IV. Die raurnliche Gliederung des Stadrgebietes 199 sich des Weiteren die Boote der Fischer, die ihre Netze entlang des Aareufers aufspann• ten, wo sie diese nach jeder Fahrt aufSchaden kontrollierten. All dieseTatigkeiten sowie das Rattern und Harnmern der Gewerbebetriebe waren von standigem Larm begleitet, der nur vom Getose der Aareschwelle noch uberrroffen wurde. Konrad Justinger beklagte sich deshalb in seiner Chronik daruber, dass die Verlegung des ersten Rathausesvon der Junkerngassean den nordlichen Ausgang der Kreuzgasse unter an• derem auch darauf zurilckzufiihren gewesen sei, dass die Lage des alten Rathauses durch daz getone von dengloggen und daz geschrey von derswely gar unlidlich u/erev>.

4.3. Die Innere Neustadt

Die Innere Neustadt ist die erste Erweiterung des Berner Stadtgebietes nach Westen. Diese nahmen Schultheiss und Rat bereits im Jahre 1255 unter der Stadtherrschaft Graf Peters II. von Savoyen in Angriff64• Das Stadrquartier zahlte im Jahre 1389 erwa 264 Wohnhauser. Diese Zabl entspricht am Ende des 14. Jahrhunderts knapp 17 Prozent der insgesamt in Bern bestehenden Sradthauser, Sicher nachweisen lassen sich zudem rund 55 Stalle und verschiedene Garten, die sich im Nordwesten der Neustadt an der Zeug• hausgasse (vor den predyeren) sowie im Bereich der (schinchengasse) und (judengasse) befanden. Die Langsausdehnung der Inneren Neustadt misst rund 250 Meter, wahrend die Breite zwischen 250 und 300 Meter betragt65. Rund ein Drittel der Wohnhauser dieses Sradtquartiers stand 1389 an der (in deralten nuuienstat), die heute noch durch die beiden Stadttore des ersten und zweiten Mauerrings des Zeitglocken- und Kafigturrns abgeschlossen wird. Die als breiter Gassenmarkt ange• legte Marktgasse ist die westliche Verlangerung der Kram- und Gerechtigkeitsgasse und wird im Norden durch die parallel verlaufende und im Suden durch die Arnrhaus- und Kochergasse begleirer. 1m Unrerschied zu den langgezogenen Strassen• zilgen der Zahringerstadt wurde in der Inneren Neustadt nur die zentrale Marktgasse von durchgehenden Hauserzeilen gesaumt. Im Norden und Silden des neu ummauerten Sradtgebietes verhinderten die ausgedehnten Imrnunitatsbezirke des Dorninikaner- und Inselklosters, dass dort eine grossere Zahl von Wohnhausern gebaut werden konnte. Die Befestigungsanlagen der nach 1255 erbauten Inneren Neustadt sind mit Aus• nahme des Kaflgturms, der im 17. Jahrhundert vollstandig neu aufgefuhrt wurde, weir• gehend verschwunden'v. Sowohl das Frauemor am oberen Ausgang der Zeughausgasse

63 Studer, [ustinger, Nr. 329, S. 201 f. 64 Feller, Geschichte, S. 43-56. 65 Kdm Bern I, S. 26 ff. Zu den sradtischen Gassennamen vgl. Abb. 1. 66 Ob der sogenannte Hollanderturrn am heutigen ebenfalls zu den Weh ranlagen des 13. jahrhunderts zu zahlen ist, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden . Vgl. dazu MarkusF.Rubli, Holl an• derturm Bern. Die Ent stehung der Stadt Bern in Bildern, Bern 1994. 200 IV. Die raurnliche Gliederung des Stadrgebietes

als auch das Judentor an der Kochergasse wurden bereits im 17. Jahrhundert abgebro• chen. Der siidliche Zugang zur Inneren Neustadt, das Untere Marzilitor, musste am Ende des 18. Jahrhunderts ebenfalls einem klassizistischen Neubau weichenv/. Heute wird die Innere Neustadt im Osten durch den Kornhaus-, Theater- und Casinoplatz, im Westen durch den itachnagler graben) und den Barenplatz begrenzt. Die neben dem Schutzengasslein (predier geslt) wichtigsten Quergassen sind die dem Verlaufder zweiten Westbefestigung folgende Waaghausgasse (an der mittleren ringmure, seit 1405 bi der nuwen kebien) und das Kafiggasslein (an der ringmure bi dem roten hus).

4.4 . Die Aussere Neustadt

Westlich der Inneren Neustadt befindet sich mit der nach 1343 angelegten Ausseren Neustadt das jiingste mittelalterliche Sradrquartier Berns. Dieser Stadtteil blieb trotz sei• ner relativ grossen Flache mit einer Lange von rund 230 Metern und einer mittleren Breite von 590 Metern bis weit ins 19. Jahrhundert hinein deutlich weniger dicht besie• delt als die iibrigen alteren Sradrquartieres", Im Jahre 1389 lassen sich in der Ausseren Neustadt rund 280 Wohnhauser nachweisen, die sich aile entlang der vier zentralen Strassenziige der (spitafgasse), der (schowlantzgasse), der Neu• engasse (nuwengasse) und der (colatenmattengasse) reihten, Dazu kamen erwa doppelt so viele Stalle, Scheunen und Garten an der peripheren Bundesgasse (swaflantzgasse) und Speichergasse (segkenbrunnengasse) sowie an der am nordlichen Stadtrand gelegenen Hodlerstrasse (hindregasse, genemptdie bubengass). Die sieben Gas• sen der Aussercn Neustadt sind im Umerschied zu den Strassenziigen in den alteren Stadtquartieren facherformig angelegt, wobei nur die zentrale Spiralgasse und die Aar• bergergasse als Durchgangsstrassen dienten. Die westliche Verlangerung der Marktgasse ist die Spitalgasses". Sie wurde wie diese als breiter Strassenmarkt gebaut. Im Unterschied zu den ostlich des Kafigturrns gelege• nen Strassenmarkten scheint jedoch der Spitalgasse wahrend des Spatmittelalters keine Bedeutung als Marktplatz zugekommen zu sein. Die Gasse war wah rend des 14. und 15. Jahrhunderts vor allem Zufahrtsstrasse zur Inneren Neustadt und zur Zahringerstadt, Der Verlauf der Spitalgasse ist gegeniiber der Marktgasse gegen Sudwesten abgeknickt und folgt der ehemaligen Landstrasse, die das bereits urn 1233 vor den damaligen Stadt• mauern gegriindete Heiliggeistspital mit der zahringischen Griindungsstadt verband?". Die Aussere Neustadt erfuhr wahrend des Spatmittelalters durch die Stadtbevolke• rung eine geringere soziale Bewertung als die drei alteren Stadtquartiere Berns. Auch die

67 Kdm Bern I, S. 77-82. 68 Kdm Bern I, S. 28, Anm. 5. 69 Kdm Bern II, S. 433-448. Zu den stadtischen Gassennamen vgI.Abb. 1. 70 Zur Spitalgriindung vgI. Studer, justinger, Nr. 35, S. 25. IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebietes 201

Spitalgasse blieb trotz ihrer zentralen Lage wie aile anderen Gassen in der Neustadt bis zum 19. Jahrhundert nur Nebengasse. Die Neustadt grenzt im Osten an den Waisen• haus- und Barenplatz und wird im Westen durch den heutigen Hauptbahnhofvon der angrenzenden modernen Bundesstadt getrenm. Das Stadtquartier liegt ausserhalb der von der Aare umflossenen Halbinsel und musste deshalb in Mittelalter und Friiher Neu• zeit durch ausgedehme Wehranlagen kunstlich geschtitzt werden" . Das dominierendste Bauwerk der in der zweiten Halfte des 14. Jahrhunderts errich• teten ausseren Stadtbefestigungen war bis 1865 das Obere Spitaltor. Der Torturm, der mit der Aufrichtung einer knapp zehn Meter hohen Christophorusfigur tiber dem inne• ren Torbogen am Ende des 15. Jahrhunderts in umbenanm wurde, war der westliche Hauptzugang Berns72• Wahrend das Obere Marzilitor als sudliches Stadt• tor bereits im Jahre 1628 den damals errichteten Schanzen weichen musste, fielen das Obere Spitaltor und das nordlich anschliessende Golatenmattgass- oder Aarbergertor erst im 19. Jahrhundert dem Bau des neuen Berner Hauptbahnhofes zum Opfer73•

5. Die kommunalen Gebaude

Ausdruck des stadtburgerlichen Selbstbewusstseins sowie des Herrschaftsanspruchs von Schultheiss und Rat tiber Stadt und Land waren die kommunalen Bauten'". In diesen konzentrierte sich seit dem ausgehenden 13. jahrhunderr das 6ffentlich-rechtliche Leben der Berner Btirgerschaft (Abb. 7). Mit dem ersten und zweiten Rathaus (I und 2), dem Gerichtsstuhl des Schultheissen (3) und der Lateinschule (4) befanden sich aile wichtigen stadtischen Gebaude und Einrichtungen an der zentral gelegenen Kreuz• gasse/>, In der Kreuzgasse trafen sich die im 13. Jahrhundert geschaffenen Stadrvierrel. Hier wurden Zusammenktinfte abgehalten, Recht gesprochen, militarische Aufgebote versammelt und Symbole der Ratsherrschaft offentlich zur Schau gestellt76•

71 Hoftr, Wehrbauten, S. 38-54. 72 Vgl. dazu Studer, Justinger, Nr. 163, S. 110; Kdm Bern I, S. 152-157; sowieJargSchweizer, Berns Stadt• befestigung - zwischen Funktion und Reprasenration, in: Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu enrdeckr, hg. von Ellen J. Beer, Norberto Gramaccini, Charlotte Gutscher und Rainer C. Schwinges, Bern 1999, S. 88-95. 73 Zum dritten Westabschluss vgl. Hofer, Wehrbauten, S. 38-54; sowie Kdm Bern 1, S. 142-161. 74 Vgl. dazu Kurt[unghanns, Die offenrlichen Cebaude im mittelalterlichen deutschen Sradtbild, Berlin 1956; Heinz Stoob, Biirgerliche Gemeindebauten in rnitreleuropaischen Sradren des 12.115. jahrhunderts, in: Wirtschaftskrafte und Wirtschaftswege 1: Mittelmeer und Konrinenr. Festschrift fiir Hermann Kellenbenz (Beitrage zur Wirtschaftsgeschichte 4), Stuttgart 1978, S. 51-81 ; sowie lsenmann, Stadt, S. 41-55. 75 Die criitzgasse oder vicuscrucis wird urn die Mitre des 14. jahrhunderrs erstmals in den Schriftquellen genannr; FRB/7, Nr. 44, S. 741 f. (12. November 1348) und Nr. 434, S. 419 (31. Man 1349). ZurTo• pografie der Kreuzgasse vgl. Kdm Bern II, S. 235 ff. ; sowie Tarter, Kreuzgasse, S. 121-138. 76 Studer, jusringer, Nr. 52, S. 31 und Nr. 133, S. 71 f.; sowie Tiirler, Kreuzgasse, S. 122 f. 202 IV. Die raumliche Gliederung des Scadrgebieres

Bei der Belagerung der Stadt Bern durch die Truppen Konig Rudolfs I. von Habs• burg 1288 sowie im sogenannten Konizer Aufstand von 1513 versammelten sich die milirarischen Aufgebote der Stadt in der zentral gelegenen Kreuzgasse, urn von dort aus je nach Bedrohungslage oben oder niden us feindliche Angriffe abzuwehren/". 1m Jahre 1334 liess der Rat sogar die Schlussel der eroberten oberlandischen Festung W immis in der Kreuzgasse aufhangen, womit die militarische Oberlegenheit der Aaresradr flir aile Sradtbewohner und Marktbesucher deutlich sichtbar gemacht wurde-". Ausserhalb der zahringischen Grlindungsstadt befanden sich mit dem altesten be• kannten stadtischen Kornhaus, der sogenannten Helle (7), dem Bauwerkhof (8) sowie dem Nachrichter- und Frauenhaus (9) nur kleinere und unbedeutende korn• munale Gebaude, die der Berner Rat wegen ihrer Funktion bewusst am Rande des uberbauten Stadtgebietes errichtete. Ebenfalls von der Stadt unterhalten wurden das Landteror (Ramseierloch) und das Trenkentilrli am unteren Ausgang des Nydegg• staldens, an denen die Stadthirten im 14. und 15. Jahrhundert ihre auf den Stadtall• menden weidenden Viehherden trankten,

5.1. Schultheissensitz und Rathaus

Das wichtigste Symbol kommunaler Autonomie seit der Zerstorung der zahringischen Stadtburg bei Nydegg urn 1268 war der in der Mitre der Kreuzgasse errichtete Schult• heissenstuhl (3). Aufdiesem Sirz iibte der Berner Schultheiss seit dem 13. Jahrhundert in Stellvenretung des deutschen Konigs die Blurgerichtsbarkeit innerhalb der Stadt und seir dem 15. Jahrhundert auch in den benachbarten Landgerichtsbezirken aus/" . Der ursprlinglich aus Holz errichtete Gerichtssruhl wurde in spatgotischer Zeit aus re• prasentarivern Stein neu erbaur und kann nach einem Bericht des Handwerksgesellen Sebastian Fischer aus Ulm aus dem Jahre 1534 wie folgt beschrieben werden: Der Schultheissensitz war hipsch aussgehawen uss stainwerck gemacht und send der sytz oder stiel drey nebenainander: U./Jdem ainen stul sitzt der grosswaybel und ist angethan mit harnach [Harnisch] und hat ain streytthammer in seiner hand, u./Jdem andern stul sytzt der gerichtschreyber, der die veryicht [Bekenntnisse] list, zwischen denen zwayen u./Jdem mittlen stul, da sitzt der schulthayss in kostliche klayder angethon und ain sylberin zepter in der hand80. Bis zum Neubau des Rathauses im 15. Jahrhundert fanden vor dem Richterstuhl an der Kreuzgasse jeweils die Verklindung und Vollstreckung politisch bedeutender To-

77 Studer, jusringer, Nr. 52, S. 31; sowie Turler, Kreuzgasse, S. 122 f. 78 Studer,justinger, N r. 133, S. 71 f. 79 Morgenthaler, Bilder, S. 160-173. 80 Morgenthaler, Bilder, S. 169. IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebieres 203 desurteile start, Konrad Justinger berichtet furs jahr 1324, dass der Edelmann Walter Senn als Vergeltung fur die Hinrichtung eines Berner Venners in Le Landeron wahrend eines Kriegszuges gegen die Grafen von Neuenburg mitten in der Kreuzgasse enthauptet worden sei81. Gr6sseres Aufsehen erregten schliesslich auch die Verurtei• lung eines Ketzers namens Leffler, der im Jahre 1375 durch den bischoflichen Offi• zial von Lausanne und andern gelerte lute ze Berne in der criitzgassen offintlich uerur• teilet und anschliessend westlich der Stadt verbrannt wurde, sowie die Aburteilung von vier Dorninikanerrnon chen im Ma i 1509 , die der pr iesterlichen Imrnunitat be• raubt und vom Rat auf dem "SchweHenmatt eli" dem Feuertod iiberantwortet wur• den 82• Seit der ersten H alfte des 15. Jahrhunderts war es dann vor allern das zwischen 1406 und 1416 errichtete neue Rathaus (2), das mit seinem reprasentativen Walm• dach die stadtebaulich hervorragende SteHung der Kreuzgasse als Verbindungsachse zwischen Munster, Schultheissensitz und dem Versammlungsort der bernischen Ratsgremien am nordlichen Rand der Zahringerstadt betonte83. Schultheiss und Rat besassen zwar bereits seit Mitte des 13. Jahrhunderts mit dem Gerichtshaus (1) hin• ter dem Chor der St. Vinzenzkirche ein erstes Versammlungs- und Gerichtslokal. Mit der Schaffung des Rates der Zweihundert wahrend der Verfassungsreform von 1294 entstand der Biirgerschaft jedoch bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts ein Raumbedarf, der vom bescheidenen ersten Rathaus am oberen Ausgang der jun• kern gasse nicht mehr gedeckt werden konnre, Die Versammlungen des neu geschaf• fenen Gro ssen Rates wurden deshalb in die beiden Bettelordenskirchen verlegt, die bis zum Bau des neuen Rath auses im 15. Jahrhundert eine wichtige Funktion im po• lirischen Leben der Bern er Stadtgemeinde einnahrnenf't. Neben den Rarsversamrn• lun gen fand auch ein grosser Teil der ordentlichen Geschafte von Schultheiss und Rat wie vor allern die Rechnungsablage der stadtischen Amt- und Dienstleute regel• m assig in den heiden ge raumige n Betrelordenskirchen stau 8S. Einzig diejenigen Gerichtsverhandlungen, die ausschliesslich die Niedere Gerichtsbarkeit betrafen, schei• nen vom Schultheiss und seinen Statrhaltern dem Grossweibel und Gerichtsschrei• ber vornehmlich im Rathaus ostlich der St. Vinzenzkirche abgehalten worden zu sein.

81 Studer, jusringer, Nr, 103, S. 57 f.: [ j Deswartein uenre vonberngevangen, der hiesRegenhut, und wart darnachin dergevengnisse ertiidet [ j . 82 Studer, jusringer, Nr, 228, S. 147 f; sowie Turler, Kreuzgasse, S. 123 f. 83 ZUt reprasenrativen Bedeutu ng sradtischer Rathauser im Sparmitrelalrer vgl. BerndRoeck, Rath aus und Reichsstadt, in: Stadt und Reprasenration, hg. von Bernh ard Kirchgassner und H ans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte 21), Sigmaringe n 1995, S. 93-114. 84 Vgl. dazu auch Studeli, Minoritenniederlassungen, S. 87-91. 85 Zum Beispiel Welti, Stadtrechnungen 137511I, S. 15 und 1384/1,S. 327. 204 IV. Die raurnliche Gliederung des Stadrgebieres

5.2. Die Stadtschule

Ebenfalls an der Kreuzgasse befand sich im 15. jahrhundert die stadrische Lareinschules». Wahrend die seit der zweiren H alfte des 13. jahrhunderts in Bern nachweisbaren Schul• meister ihre Schuler bis zu Beginn des 15. jahrhunderrs noch hauptsachlich in ihren eige• nen Wohnhausern unterrichret hatren, beschlossen Schultheiss und Rat, Wohnsitz und Wirkungsort der aus dem Stadrsackel besoldeten Lateinlehrer nach der Fertigstellung des neuen Rarhauses raurnli ch zu trennen'". 1m funktionslos gewordenen alten Rathaus wurde deshalb urn 1416 die wahrscheinlich erste bernische Lateinschule (1) eingerichtet. Bereirs 1468 musste der Rat diese erste Sradtschule jedoch in ein anderes Cebaude verle• gen, da das ehemalige Rathaus dem neu erbauren Miinsterchor im Wege stand. Als neuer Standort wurde der Schule das sudliche Eckhaus (4) bei der Einmiindung der Kreuzgasse in die Junkerngasse zugewiesens". Aber auch dieses Gebaude scheint den Bediirfnissen des Schulbetriebs schon bald einmal nicht mehr geniig t zu hab en. Der Rat rnusste sich des• halb erneut nach einem neuen H aus umsehen. Nachdem sich der beruhrnte Theologe Jo• hannes Heynlin von Stein in seiner Fastenpredigt daruber beklagt harte, dass zu iebung las• ter und zu versierungderjugend ein hupschfrowenhus buioen, aberzu iebungderzucht und zu lerderjugend, darus einer statt er toacbst, nochkein schul gemacht worden sei, entschloss sich der Berner Rat, die Stadtschul e im Jahre 1481 in einem stattlichen Neubau unterzu• bringens", Das neu errichtete Schulgebaude (5) kam schliesslich osrlich des M ichaelstiir• lis zu stehen.

5.3. Das Trammelhaus

Das neben den Stadtbefestigungen einzige grossere kommunale Bauwerk ausserhalb der zahri ngischen Grundungsscadr war der in der zweiren Halfte des 14. jahrhunderts am nord• wesdichen Rand der Inneren Neustadt errichtete Bauwerkhof (8). Wahrend Konrad Jus• tinger 1324 noch von einem Werkhof enent deraregegen den lenbrunnen spricht, der sich im heutigen Altenberg befunden haben muss, nennen die Sackelrneisterrechnungen von 1377 erstrnals auch den Werkhof im ehemaligen Baumgarten des Dorninikanerklosters'v,

86 Vgl. dazu Zahnd, Bildungsverhalrnisse, S. 26-31; Morgenthaler, Bilder, S. 24 1-248; Fluri, Stadt• schule, S. 51-112; sowie Beat Immenbauser; Schulen und Srudium in Bern, in: Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt, hg. von Ellen J. Beer, Norberto Gramaccini, Charlotte Gurscher und Rainer C. Schwinges, Bern 1999, S. 155-1 61. 87 Vgl. dazu Artikel 7 der Goldenen Handfeste; RQ Bern Il l , S. 6. Der ersre namendich bekannre Berner Schulmeister wird bereits 1240 genanm und heisst Heinricusscolasticus Bernemis; FRB/2, Nr. 191, S. 200 If (IO. Februar 1240). Zu den Lehrinhalten der spatrnitrelalrerlichen Lateinschule vgl. Greyerz; Kultur• geschichte, S. 235-252; sowie lmmenhauser, Schulen. 88 Turler, Junkerngasse, S. 182. 89 Anshelm, Bd. I, S. 190. 90 Studer, Justinger, Nr. 102, S. 57; sowie Welti, Stadtrechnungen 1377/11, S. 87. IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebietes 205

Der in den Quellen tremelhus oder sustgenannte Bauwerkhofwar eine lose Gruppierung einzelner Holzgebaude und Schuppen, in denen verschiedene Baumaterialien und Ar• beitsgerate sowie seit dem Burgdorferkrieg von 1383/84 auch das stadtische Kriegsgerat unrer der Leitung von Bauherren und Stadrwerkmeistern hergestellr, gelagert und un• terhalten wurden?'. Im Verlauf des 15. und 16. jahrhunderts entstanden auf dem Areal des Bauwerkhofs vermehrt auch Steingebaude, in denen Schusswaffen geschmiedet und Kanonenrohre gegossen werden konnten. Das Tramrnelhaus vor den predigern ent• wickelte sich aufdiese Weise immer mehr zu einem Aufbewahrungs- und Herstellungs• ort der stadtischen Geschiitze und Feuerwaffen. Es wurde deshalb im 17. jahrhunderr endgiiltig in ein Zeughaus umgewandelt. Urn die Lagerung von Waffen und Baurnare• rialien funktional zu trennen, liess der Rat im Jahre 1614 vor dem Oberen Marzilitor schliesslich einen neuen Bauwerkhof errichten, der das Nebeneinander von Werkhof• und Zeughausgebauden beendete'<,

5.4. Das Nachrichter- und Frauenhaus

Wahrscheinlich im 14. Jahrhundert entstand im nordlichen Quergasslein zur Spitalgasse, dem heutigen Ryffligasslein, das stadtische Nachrichter- und Frauenhaus (9)93.Sowohl die unehrliche Tatigkeit des Nachrichters als auch diejenige der Prostituierten waren in der mittelalrerlichen Sradrgesellschafr verponr, was sich in der versteckren Lage des von Schultheiss und Rat verwalteten Hauses in der Ausseren Neustadt ausdrtickrevt. Das Bor• dell im engen Ryffligasslein war jedoch sowohl von der Spitalgasse als auch von der Aar• bergergasse, den beiden westlichen Zufahrtsstrassen Berns, schnell zu erreichen, so dass vor allem fremde Reisende bequemen Zugang zum Frauenhaus fanden. Die Bedeutung, die dem stadtischen Bordell im Spatmirtelalter auch als Fremdenherberge zugekommen ist, zeigt der Bericht Konrad Justingers tiber den Besuch Konig Sigismunds von Luxemburg in Bern im Jahre 1414 . Der Chronist nennt in der Aufzahlung der Kosten, die wahrend des Aufenthalts des Konigs fur dessen zahlreiches Gefolge angefallen waren, neben Satt• lern, Kochen und Trompetern ausdrucklich auch die scbiinen frouwen im geslin als Emp• fanger stadtischer Gelder'". Die Aussagen Justingers durfen jedoch nicht daruber hinweg• rauschen , dass sowohl die Prostituierten als auch der Nachrichter, der das Frauenhaus im Namen des Berner Rates verwaltete, in den Augen der Biirgerschaft nur eine niedere

91 Gerber, Bauen, S. 35 ff. 92 Kdm Bern III, S. 201-206 und 449-452; sowie Morgenthaler, Bilder, S. 142. 93 Kdm Bern III, S. 457 £ 94 Zur Funktion und Bedeutung mittelalrerlicher Frauenhauser vgI. BeateSchuster, Die freien Frauen . Dir• nen und Frauenhauser im 15. und 16. jahrhundert, Frankfurt/New York 1995; sowie zu den finanziel• len Aspekten Landolt, Finanzhaushalt , S. 280 ff. 95 Studer, Justinger, Nr. 366, S. 220. 206 IV. Die raumliche Gliederung des Stadrgebieres

soziale Position einnahmen. Das Udelbuch von 1389 nennt deshalb neben meister Ulli dem Henker bezeichnenderweise auch den bosen Seman [Simon] und die beschissen Gre• den als Anwohner des Ryffiigassleins96.

6. Die Zunft- und Gewerbebauten

In der Stadt Bern befanden sich im 14. und 15. Jahrhundert verschiedene Gebaude und Anlagen, die als Produktions- und Verkaufsorte von Waren, als Zollstatten oder als Versammlungs- und Trinklokale von Handwerkern und Kaufleuten genutzt wurden (Abb. 7)97. Eine ausgesprochen giinstige Wirtschafts- und Verkehrslage wiesen seit der Griindungszeit die Kram- und Gerechtigkeitsgasse sowie seit 1255 die westlich an den Zeitglockemurm stossende Marktgasse auf98• Als breite Gassenmarkte angelegt waren sie gleichermassen Marktplarz wie Durchgangsstrasse. Durch aile drei Gassen floss seit der Stadtgriindung ausserdem der Stadtbach, die alteste und wichtigste Gewerbeanlage Berns. An der Kram-, Cerechtigkeits- und Marktgasse entstanden im Verlauf des 14. jahrhunderrs mit dem stadtischen Kauf- und Zollhaus (6), den vier Brot- und Fleisch• schalen (A bis D) und dem Gerbhaus (F) die wichtigsten Markt- und Gewerbebauten der spatmittelalterlichen Stadt Bern. Auch die Ziinfte erwarben ihre Gesellschafrshauser seit der zweiten Halite des 14. Jahrhunderts mit Ausnahme der Zimmerleute (Xv") aile an den zentral gelegenen Strassenrnarkten (1. bis XX.). Direkt von der Kram- und Marktgasse aus erreichbar waren auch die Tuchlaube vor dem Franziskanerkloster und der nach 1326 angelegte Gerberngraben (F). Weitere wichtige Gewerbetriebe befanden sich am unrersren der Aare zugewandten Teil des Stadtbaches sowie im Bereich der drei Mtihlekanale in der Matte, wo vor allem Starnpfen, Farbereien, Tuchwalken sowie ver• schiedene Schleif-, Korn- und Sagemiihlen (H) standen''".

6.1. Die Gewerbehauser der Backer, Metzger und Gerber

Das okonomische Zentrum der Stadt Bern befand sich vom 13. bis zum 16. jahrhundert an der Kram- und Gerechtigkeitsgasse (Abb. 7). Entscheidend fiir die soziale Bewertung dieser beiden Strassenziige alsWirtschaftsstandort war einerseitsdie Lagewichtiger Markee wie des Korn-, Fisch-, Anken- und Viehrnarkts auf den freien Flachen zwischen Zeit-

96 Udelbuch von 1389, StABE: XIII 28, S. 404 f. 97 Vgl. dazu auch !senmann, Stadt, S. 55-63. 98 Die heueige Krarn- und Gerechcigkeiesgasse hiess bis zum 18. jahrhundert uicusfori oder obere und un• tere meritgasse; FRB/5, Nr. 487, S. 525 f. (13. November 1326). Zur baulichen Encwickiung dieser bei• den Gassen vgl. Kdm Bern II, S. 66-115 und 242-280; sowie zu den stadrischen Gassennamen Abb. I. 99 Vgl. dazu Kapitel IV ,,4.2.2. Die Matte". IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebietes 207 glockenturm und Nydeggstalden, sowie andererseits die intensive gewerbliche Nutzung des mitten durch diese beiden Gassen fliessenden Stadtbachs. Bereits in der ersten Halfte des 14. Jahrhunderts entstand mit der Niederen Brotschal (B), der Oberen und Nie• deren Fleischschal (C und D) und dem an der unreren Gerechtigkeitsgasse errichteten Gerbhaus (F) eine Reihe wichtiger Gewerbebauten innerhalb der Zahringerstadt, die wegen ihrer Lage mitten in der Kram- und Gerechtigkeitsgasse das Erscheinungsbild dieser beiden Strassenziige wahrend des Spatmitrelalrers pragren. Die Brot- und Fleischschalen dienten den Backern und Metzgern als Markthauser, in denen sie Brot und Fleisch verkauften. Der bauliche Unterhalt der Cebaude nahmen Schultheiss und Rat wahr, die in den Schalen zusammen mit den Backer- und Metzger• meistern die Gewerbeaufsicht uber die beiden Handwerke ausiibten. Die Bror- und die Fleischschalen bestanden entsprechend ihrer Funktion als Marktgebaude lediglich aus einem ummauerten Innenhof, der vom Stadtbach durchflossen wurde und urn den sich die Verkaufsbanke der Backer und Metzger gruppierten. Als Erstes wird die Niedere Fleischschal (D) im Jahre 1314 urkundlich erwahnr'P". Sie enrhielt insgesamt 16 Fleischbanke, die der Rat zu Beginn des 15. Jahrhunderts jeweils fiir einen jahrlichen Zins von einem Schilling als Hand- oder Erblehen an einzelne Metzger verliehl'" . Gleichzeitig mit der Nennung der nidren schale wird auch die Existenz der Oberen Fleischschal (C) 1314 indirekt bestatigt, Diese befand sich westlich des heutigen Schaal• gassleins in der Mitre der Kramgasse. Die Obere Fleischschal war fast doppelt so gross wie die Niedere Fleischschal und zahlre in der ersten Halfte des 15. Jahrhunderts insge• samt 28 Fleischbanke, Diese mussten von den Metzgern ebenfalls mit einem Betrag von einem Schilling an die Stadt verzinst werden. Wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem Verbot des Gerberhandwerks in der obe• ren Zahringerstadr 1314 entstand in der ersten Halfie des 14. Jahrhunderts iiber dem un• tersten der Aare zugewandten Teil des Stadtbaches das Gerbhaus (F). 1m Unterschied zu den Schalen scheinr das Gewerbehaus der Gerber jedoch nicht als Verkaufsplatz, sondern als Herstellungs- und Verarbeitungsort von Leder verwendet worden zu sein. In den stad• tischen Rechnungs- und Zinsbiichern finden sich jedenfalls keinerlei Einkiinfte, die von Zinszahlungen der Gerber aus dem Gerbhaus herruhrten, Begrenzt wurde die Reihe der Cewerbehauser an der Gerechtigkeitsgasse durch die Niedere Brotschal (B), die ostlich an den Schultheissensitz (3) anschloss. Sie beherbergte zu Beginn des 15. jahrhunderts 28 und im Jahre 1429 noch 26 Brorbanke, Die Verkaufsstande der Backer erbrachten der Stadt jedes Jahr einen Lehenszins von drei Schillingen pro Bank. Das einzige wichtige Markthaus Berns ausserhalb der Zahringerstadt war die im 14. Jahrhundert in der Mitre der Marktgasse erbaute Obere Brotschal (A). Nach dem grossen

100 RQBern 1/2, Nr. 198, S. 82 f. 101 Zinsurbar Bern; SAB:A 003, S. 858 f.; sowie Zinsrodell405 und 1429, STAB: B VII 2311, S. 29-36 und 105 ff. Vgl. dazu auch Gerber, Bauen, S. lOS. 208 IV. Die raurnliche Gliederung des Sradtgebietes

Stadtbrand von 1405 beschlossen Schultheiss und Rat, die niedergebrannte Brotschal aufzugeben und diese wie die iibrigen Schalen in der zahringischen Griindungsstadt zu errichten. Als Bauplatz fur das neue Gewerbehaus wurde den Pfistern eine Eckliegen• schaft nordlich des Zeitglockenturms zugewiesen. Diese stellte wegen ihrer Lage am oberen Abschluss der Kramgasse und an der Ostseite des neu aufgeschiitteten Platzes nordlich des Zeitglockenturms einen reprasentativen Standort fiir den Bau eines neuen Gesellschafts- und Gewerbehauses darlO2• Bis zur Fertigstellung des Gebaudes musste die Pfisterzunft vor dem Wohnhaus des Backerrneisters Gottfried an der obe• ren Miinstergasse eine provisorische Brotlaube (G) einrichten, damit die Versorgung der Oberstadt auch nach dem Stadtbrand gewahrleistet war.

6.2. Das stadtische Kauf- und Zollhaus

Wahrscheinlich in Zusammenhang mit der Verleihung des Geleitrechts an Bern durch Kaiser Karl IV: im Jahre 1365 errichtete die Biirgerschaft in der nordlichen H auser• zeile der Kramgasse das erste stadtische Kauf- und Zollhaus (6)103. Das 1373 eroff• nete Gebaude erhob sich an der Stelle eines alteren Salzhauseslvs und erstreckte sich uber die Flache mehrerer kleinerer Haushofsratten. Urn einen offenen Innenhof, der sowohl von der Kramgasse als auch von der erreicht werden konnte, gruppierten sich verschiedene huslin, in denen die stadtischen Zoll- und Geleitsher• ren die nach Bern transportierten Kaufmannswaren kontrollierten, wogen und ver• zollten-''>. Im Kaufhaus befand sich neben der Stadrwaage auch ein geraumiger Kel• ler, in dem die Kaufleute ihre Handelsgiitcr srapelren und lagertenlO6 • Dieser Keller scheint eine beachtliche Grosse gehabt zu haben, denn der Rat Hess dort 1388 iiber 60 Kriegsgefangene einsperren, da die bestehenden Gefangnisrurme in Bern infolge der beiden Kriegsziige gegen die habsburgischen Stadte Freiburg und Zofingen bereits vollstandig belegt waren107.

102 RQ Bern 1/2, Nr. 267, S. 123 f. 103 Morgenthale r, Bilder, S. 138 f.; sowie allgemein Gerhard Nagel, Das mittelalterliche Kaufhaus und seine Stellung in der Stadt. Eine baugeschichtliche Untersuchung an suddeutschen Beispielen, Ber• lin 1971. 104 In einer Urkunde vom 23. April 1366 verpflichtet sich Rudolf Nifer, wohnhaft zu Bern, mit seinem Besitz, so er hat ufJohans Boners bus, so gelegen ist an tier hormannsgassen zwuschent der burger salzhus einent und dera von Barron anderent, ftir eine gemachte Schuld zu btirgen; FRB/8, Nr. 1678, S. 665. Irn Jahre 1389 wird das gleiche Haus desJohannes Boner a1s zwischent[ohans von Barron unddem kof husbezeichnet; Udelbuch von 1389, StABE: B XIII 28, S. 336. 105 Vgl. dazu Welti, Stadtrechnungen 1375/1, S. 11: Denn von dien buslin in dem koufhus von dem tach ze bessronne und umb dz brugli under der lindon 13 Ib 5 s. 106 Welti, Sradrrechnungen 1377/1, S. 66: Denne Hans Slosservon der wag in dem koufhus 12 s. 107 Studer, Justinger, Nr. 280, S. 175. IV. Die raurnliche Gliederung des Stadrgebieres 209

6.3 . Die Gesellschaftshauser

Ebenfalls an der Kram- , Gerechtigkeits- und Marktgasse standen die Gesellschaftshauser der Ziinfte. Diese wurden seit der zweiten H alfte des 14. Jahrhunderts mit Ausnahme der Zimmerleute (Xv.) alle an der Nord- und Sudseite dieser drei Gassen errichtet (Abb. 7) 108. Wahrend sich die Handwerksgesellschaften wahrend des 14. Jahrhunderts noch vornehmlich in den Wohnhausern einzelner wohlhabender Zunftangehoriger versam• melt harten, gingen die wichrigsren Berner Ziinfte seit dem End e des Jahrhunderts dazu iiber, eigene Gesellschaftshauser zu erwerben und die urspriingl ich meist einfach einge• richteten Versammlungslokale oder stuben, die sie von eigenen Stubenwirten bewirt• schaften liessen, in reprasentarive mit Mobiliar und Silber reich ausgestattete Zunfthau• ser umzubauenlv". Die Neubauten manifestierten dabei in eindriicklicher Weise das neu gewonnene Selbstbewusstsein der Gesellschaften, die sich im 15. Jahrhundert in Dber• nahme der urspriinglich der Vierrelsbevolkerung zustehenden Rechte und pflichten zu den politischen und okonomischen Grundeinheiten der Stadt Bern entwickeltenl U' . Entscheidend fiir die topografische Verteilung der Zunfthauser innerhalb des Stadtge• bietes war neben funkrionalen und herrschaftlich-reprasenrativen Standortkriterien vor allem die Zweiteilung einzelner Gesellschaften in eine Ob ere und eine Untere Stube. Die Stubengesellen versammelten sich entsprechend ihrem Wohnsitz entweder westlich oder ostlich der Kreuzgasse. Wah rend die Vennerziinfte der Metzger, Pfister und Schmiede sowie die ebenfalls zweigeteilten Gesellschaften der Schuhmacher und Rebleute in der ers• ten Halfte des 15. jahrhunderts je zwei und die Venne rgesellschaft der Gerber sogar drei Gesellschaftshauser besassen, blieben die Kaufleute, Schneider, Zimmerl eute, Steinmetze, Schiffieute, Weber, Schiitzen und die adlige Zunft zum Narren und Distelzwang einfache Gesellschaften, die nur iiber ein einziges Zunfthaus verfiigtenIII.

Bereits im Jahre 138 9 befand sich an stadtebaulich hervorragend er Stelle bei der Ein• miindung der Kreuzgasse in die Kramgasse das Zunfthaus zum Affen (1.)112. Das Eck-

108 Vgl. dazu Tiirler, Bilder, S. 50-53. Zur topografisehen Lage der Zunfrhauser in Luzern vgl. Anne-Marie Dub/a , H andwerk, Gewerbe und Zunft in Stadt und Landsehaft Luzern (Luzerner Historisehe Verof• fentl iehungen 14), Luzern/Srurtgarr 1982, S. 37--48. 109 Zum Beispiel Distelzwang 1469- 78; O berrnerzgern 1552- 54, O bergerbern 1565-67, Niederpfistern 1568-74, Oberpfisrern 1595-98. Vgl. dazu aueh Wilfied Reininghaus, Saehgut und handwerkliehe Gru ppenkultur, in: Die Reprasenration der Gru ppen. Texte - Bilder - Objekte, hg. von O tto Gerhard Oe xle (Veroffemlichungen des Max-Planck-Instiruts fur Gesehiehte 14), Go ttingen 1998, S. 429--463. 110 Vgl. dazu Kapitel VI ,,4. Zu nfte und Gesellschaften", I I I Bei der zu Beginn des 15. jahrhunderrs als zweigeteilt erwahnten Rebleuregesellsehaft ist nichr sieher, ob diese jemals tiber zwei Zunft hauser verfugr hat. Diese wirtsehaftlieh relativ unbedeutende Gesell• sehaft konnre ihr erstes Zunfthaus aueh erst naeh ihrer Wiedervereinigung in der zweiten H alfie des 15. Jahrhu nderts erwor ben haben . 112 Ham Morgenthaler, Die Gesellsehaft zum Men in Bern, Bern 1937, S. 157-160. 210 IV. Die raurnliche Gliederung des Sradrgebieres

haus gehort zu den altesten bekannten Gesellschaftshausern Berns. In diesem versam• melten sich seit der Mitte des 14. Jahrhunderts die Steinmetze und andere Bauhand• werker wie Maurer, Ziegler, Maler und Bildhauer. Das Zunfthaus zum Men diente in Mitrelalter und Fruher Neuzeit zugleich als Absteige rur auswartige Bauhandwerker, die sich fur eine gewisse Zeit in Bern niederliessen, urn in den kommunalen Baubetrieben zu arbeiten. Der Name der Steinmetzengesellschaft .zum Men" durfte auf den eherna• ligen Hausnamen des Eckhauses an der Kreuzgasse zuruckzufiihren sein. Ebenfalls an der Kreuzgasse befand sich seit der ersten Halfte des 15. Jahrhunderts das Gesellschaftshaus der Schiffleute und Fischer (II.) 113. Die Schiffleutezunft gehorte wegen der Beteiligung einzelner ihrer Mitglieder am Waren- und Fischhandel zu den verrnogendsten Handwerksgesellschaften der Stadt Bern hinter den Venner- und Kauf• rnannszunftenU". Das reprasentative Eckhaus an der Einmlindung der Gerechtigkeits• gasse in die Kreuzgasse, dessen Wert bereits urn 1380 mit 200 Gulden veranschlagt wor• den war, scheint kurz nach dem Tode des Venners Niklaus von Gisenstein junior urn 1427 in den Besitz der Schiffleutegesellschaft libergegangen zu sein. In der Nahe des Zunfthauses befand sich im 15. Jahrhundert der einzige Verkaufsplatz fiir Frischfisch in Bern sowie der Schandpfahl, an dem verurteilte Misserater angekettet und auf Geheiss des Rates dem Gespott der Stadtbevolkerung ausgesetzt wurden115. Wahrend bei den Schiffleuten und Steinmetzen neben reprasenrariven auch funk• tionale Oberlegungen bei der Standortwahl ihrer Gesellschafrshauser eine gewisse Rolle gespielt haben durften , verdeutlicht die Lage des Versammlungslokals der adligen Zunft zum Narren und Distelzwang, dass bei den Adelsgeschlechtern vor allem herr• schaftlich-reprasentative Grlinde im Vordergrund gestanden sind 116. D ie ursprunglich in zwei separate Stuben geteilre Adelsgesellschaft besitzt noch heute ihr urspriingliches Zunfthaus an der oberen Gerechtigkeitsgasse (III.). Es befinder sich in nachster Nahe zur Leutkirche und zum ersten Rathaus und ist vorn zentral gelegenen Schultheissen• sitz (3) sowie von den bevorzugten Wohnlagen der Adelsfamilien an der oberen jun• kerngasse schnell zu erreichen. Das Gebaude wird bereits im Jahre 1406 erstmals im Besitz der bernischen Adelsgesellschaft erwahntl F. An der Stelle des Zunfthauses be• fand sich in der zweiten Halfte des 14. Jahrhunderts eine offentliche Wirtschaft, deren Hausschild der Distelfink wornoglich in den Zunftnamen libergegangen ist l 18. In den

113 Howald. Schiffleuten, S. 311-316. 114 Vgl. dazu Kapirel VI ..4.2. Die Verrnogensstrukrur von Hand werkerschaft und Zunften". 115 Tiirler, Kreuzgasse, S. 124 f. 116 Eduardvon Wattenwyl, Die Gesellschaft zum Disrelzwang. in: Berner Taschenbuch (1865) . S. 194 f. 117 Gustav Tobler (Hg.), Verzeichnis der bernischen AusbUrger im Jahre 1406, in: Archiv des Hisrorischen Vereins des Kanron s Bern 11 (1886). S. 35 1-355. 118 Als W in wird in den jahren 1383 bis 1389 Burkhard Spengler genan nr; Welti, Sradrrechnungen 1383/11. S. 289 und 1384/1. S. 322 ; sowie Paul Hofer, Die Cesellschaftshauser und Gaststarten in Bern (unveroffentlichtes Manuskcipr zu Kdm Bern VI in der Bibliorhek dec kanro nalen Denkmalpflege), Bern 1964-1966. IV. Die raurnliche Gliederung des Stadtgebieres 211 offenen Lauben des Gesellschaftshauses zum Distelzwang versammelten sich jeweils die Ratsherren, die an den Hochgerichtsprozessen in der Kreuzgasse bereiligt waren. Das Zunfthaus der Adelsgesellschaft galt seit dem Mittelalter zudem als eine von Schultheiss und Rat anerkannte Freistatt fur Delinquenten, wo unschuld trostende tod• schldger a/Ida ire fteih eit und sicherheit, wie von altersbar kommen ist, suchen und habenv".

Vorwiegend funktional bedingten Standortkriterien folgten hingegen die Zlinfte zu Niederpfistern (IV), Niederschuhmachern (V) und Niedergerbern (VI.) sowie zu Nieder- und Obermetzgern (VII. und VIII.). Sie liessen sich zu Beginn des 15. jahr• hunderts in nachster Nachbarschaft zu ihren Gewerbehausern an der Kram- und Ge• rechtigkeitsgasse nieder. Die Lage der Gesellschaftshauser direkt gegenuber den Markthausern erlaubte es diesen Zunften, die Aufsichtspflicht tiber die Verkaufs• stande ihrer Stubengesellen jederzeit zu gewahrleisten. Die Gerber trafen sich bereits vor 1367 im Wohnhaus ihres Stubengesellen Heinrich Zigerli in der sudlichen Hau• serzeile der Kramgasse (XIII.) 120. Wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem Bau des neuen Zunfthauses der Obergerbern am unteren Ausgang der Marktgasse (XVI.) 1423 wurde das erste Versammlungslokal der Gerber jedoch aufgegeben, wobei die Niedergerber ein Haus an der oberen Gerechtigkeitsgasse (VI.) bezogen. Die jungste Gerberzunft, die urn 1420 gegrlindete Gesellschaft zum Mi trellowen, die sich bis 1435 weirerhin im ehemaligen Wohnhaus des Heinrich Zigerli versammelt harte, er• warb eine dem alren Zunfthaus direkt benachbarte Liegenschaft an der Kramgasse (XIV). Nach der Wiedervereinigung der Niedergerbern mit den Obergerbern 1578 blieb die Gesellschaft zum Mittellowen weiterhin als eigenstandige Zunft bestehen. Ihre Stubengesellen trafen sich bis 1722 in dem 1435 erworbenen Gesellschaftshaus an der oberen Kramgasse. Scit dem 14. Jahrhundert in zwei separate Berufsverbande geteilt erwarben die Nie• dermetzgern ihr Gesellschaftshaus an der oberen Gerechtigkeitsgasse (VII.), wahrend die Obermetzgern nach dem uberlieferten Kaufbrief vom 6. August 1420 ein Haus in der siidlichen Hauserzeile der Kramgasse (VIII.) bezogent-I. Zu Beginn des 15. jahrhun• dens scheint auch die der oberen Metzgergesellschaft gegenuberliegende Liegenschaft an der Kramgasse im Besitz dieser Zunft gewesen zu sein 122. Mit dem Abruch der beiden Fleischschalen urn 1468 wurde die Unterteilung in eine Obere und Untere Metzgersrube schliesslich aufgegeben und die Niedermetzgern vereinigten sich auf Betreiben des Ber• ner Rates mit ihren Berufsgenossen an der Kramgasse.

119 Urkunde vom 13. Janu ar 1640; Hofer. Cesellschaftshaus er, Anrn, II (Kapirel Disrelzwang). 120 Testament von Heinrich Zigerli; FRB/9. Nr. 136, S. 75 f. (10. November 1367); sowie Moritz von Stiirlo; Die Gesellschaft von O bergerbern, in: Berner Taschenbuch (1863). S. 13-16. 121 Die Verkaufsurkunde isr als spatere Abschrift iiberliefert. 122 Udelbuch von 1389, StABE: B XIII 28. S. 321. 212 IV. Die raurnliche Gliederung des Sradrgebieres

Wie die Metzger liessen sich auch die Pfister in direkter Nachbarschaft ihrer Ge• werbehauser nieder. Nach dem Abbruch der Niederen Brotschal 1468 verlegten die in der Unterstadt ansassigen Backer ihre Verkaufsbanke ins Erdgeschoss ihres Zunfthau• ses an der Gerechtigkeitsgasse (1\':), wahrend sie im Obergeschoss den Versamm• lungsraum der Stubengesellen einrichterenl->. Die Niederpfistern scheinen sich in ihrem umgebauten Gesellschaftshaus jedoch nicht langer wohl gefuhlt zu haben, so dass sie 1471 beschlossen, ihr Versammlungslokal drei Hauser nach Westen an die Kreuzgasse zu verlegen. Die von den Pfistern angestrebte Verlegung ihres Gesell• schaftshauses ins Eckhaus an der oberen Gerechtigkeitsgasse konnte jedoch trotz der Unterstutzung durch den Rat nie durchgefuhrt werden. Die an der Kreuzgasse ansas• sigen Schiffleure (II.) durften sich mit gutem Grund geweigert haben, ihr reprasenta• tives Zunfthaus gegen die minimale Abfindung von 40 Gulden an die Pfister abzu• treten124. Die Niedere Pfisterngesellschaft blieb somit bis zu ihrer Vereinigung mit den Oberpfistern 1578 an ihren angesramrnten Platz an der nordlichen Gerechtig• keitsgasse bestehen. An zentraler Lage liessen sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts auch die beiden Ge• sellschaften der Niederen und Oberen Schuhmachern nieder. Wahrend der Bau des Zunfthauses zu Oberschuhmachern an der Marktgasse (XVII.) durch eine detaillierte Baurechnung dokumentiert ist, blieben tiber das etwa zur gleichen Zeit von den Nie• derschuhmachern erworbene Gesellschaftshaus an der nordlichen Gerechtigkeitsgasse (V.) keinerlei Nachrichten erhalten. Zwischen 1424 und 1427 erbauren die Oberschuh• machern ihr neues Gesellschaftshaus ein paar Hauser westlich des Zunfthauses zu Ober• gerbern 125. Nach der tiberlieferten Baurechnung besassen die obren meister der schuoma• cher bereits vcr 1424 ein Gebaude an der sudlichen Marktgasse, das direkt an das neu errichtete Gesellschaftshaus stiess und im Jahre 1425 von den Schuhmachern ftir 170 Pfund verkauft wurdel-v. Der Verkaufserlos des Hauses scheint dabei vollstandig ftir den Neubau verwendet worden zu sein. Die Schuhmacher konnren die Bauarbeiten jedoch trotz dieser Einktinfte nur mit Hilfe einer speziellen Bausteuer und dank mehrwochigen Fronarbeiten der Stubengesellen finanzieren. Bei der Vereinigung der beiden Schuhrna• cherstuben im Jahre 1462 brachte der Verkauf des niederen Gesellschaftshauses nur ge• rade erwa 110 Gulden Einnahmen. Das unrere Zunfthaus durfte deshalb vergleichsweise bescheiden konstruiert gewesen sein.

Sowohl nach funktionalen als auch nach sozialen Kriterien orienrierten sich Kaufleute (IX.), Schneider (X.), Rebleute (XI.), Weber (XII.) und Schmiede (XVIII), als sie ihre Zunftstuben zwischen 1423 und 1485 in der nordlichen und sudlichen Hauserzeile der

123 Hoftr, Gesellschaftshauser, 124 Zum Rarsbeschluss von 1471 vgl. Howald, Schiffieuren, S. 315 . 125 Ernst Trechsel, Die Gesellschafr zu Schuhmachern, in: Berner Taschenbuch (1878), S. 54 If. 126 Ernst Trechsel, Die Gesellschafr zu den Schuhmachern von Bern, Bern 1934 , S. 75-78. IV. Die raumliche Gliederung des Sradtgebietes 213

Krarn- und Marktgasse erwarben. Die Gesellschaftshauser dieser Zunfte sind aIle aus dem Besitz verstorbener Stubengesellen an die jeweiligen Gesellschaften verkauft oder gestiftet worden. Die Standorte dieser Gebaude lassen sich deshaIb durch die bestehen• den sozialen Beziehungen einzelner Zunftmitglieder zu ihren Gesellschaften erklaren, Bereits vor 1423 war es der wahrend des Burgdorferkrieges 1383 erstmals genannten snidergeselleschaft gelungen, ihr Zunfthaus an der nordlichen Kramgasse (X.) zu erste• hen l27• Das Gesellschaftshaus, das ebenfaIls nach einem bestehenden Hauszeichen "zum Mohren" genannt wurde, gehorte 1389 dem Stubengesellen und Schneidermeister Jo• hannes Schwander und durfte somit erst nach dessen Tod in den Besitz dieser Zunft ubergegangen sein128. Auch die Weber erwarben ihr erstes Gesellschaftshaus an der stidlichen Kramgasse (XII.) nach dem erhaltenen Kaufvertrag vorn 1. April 1427 aus dem Erbe eines ihrer Stu• bengesellen. Das Cebaude stiess im Westen direkt an die alte Gerbergesellschaft und gehorte dem Webermeister Johannes Wolfsenior. Der Kaufbetrag von 170 Gulden lasst darauf schliessen, dass es sich beim ersten Zunfthaus der Weber noch urn ein einfaches Gebaude gehandelt hat l29 . Die Weber beschlossen deshalb, 1465 ihr altes Gesellschafts• haus an der sudlichen Kramgasse aufZugeben und fur 400 Gulden ein reprasentariveres Gebaude am osrlichen Ausgang der Marktgasse zu erstehen (XX.). Die neue Liegenschaft war Eigentum des Junkers Wilhelm von Scharnachtal und umfasste neben dem Haupt• haus an der Marktgasse noch ein Hinterhaus gebuwen mit einem steiningewelb und einer holzernen kammern daruffsowie einen BaurngartenO". Relariv spat, erst urn die Mine des 15. Jahrhunderts, gingen die Gesellschaftshauser der Kaufleute an der nordlichen Kramgasse (IX.) und der Schmiede an der nordlichen Marktgasse (XVIII.) in den Besitz dieser wohlhabenden Zunfte uber 131• Das Zunfthaus der Kaufleute, das direkt an das 1373 eroffnere stadrische Kauf- und Zollhaus grenzte, geh6rte zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch dem verm6genden Fernkaufmann Niklaus von DiesbachtV. 1448lebte dann der Kaufmann Johannes Kramer senior in dem Haus, dessen Erben die Liegenschaft schliesslich an die Kaufleutegesellschaft verkauften. Im Unterschied zu den Kaufleuten durfte das von den Hufschmieden 1448 fur 220 Pfund

127 Welti, Stadtrechnungen 1383/II, S. 293 und 1384/1, S. 316; sowie Gotthold Appenzeller, Die Gesell• schaft zum Mohren, Bern 1916, S. 99 If. 128 Nach einer Urkunde des Niederen Spirals sriftete Johannes Binder im Jahre 1345 einen Zins auf das Haus zum Mohr, wodurch das Hauszeichen des spateren Gesellschaftshauses der Schneider bereits in der ersten Halfre des 14. jahrhunderts genannt wird: Eduardvon Radt, Beitrag zur Geschichre der Ge• sellschaft "zum Affen" in Bern, in: Neues Berner Taschenbuch (1920), S. 122. 129 AlfredZesiger, Die Gesellschaft zu den Webern, Bern 1914, S. 57 If. 130 Zesiger, Webern, S. 58 f. 131 PaulWitber, Die Gesellschaft zu Schmieden in Bern, Bern 1938; sowie EmanuelvonRadt, Die Gesell• schaft von Kaufleuten in Bern. Ein Beitrag zur Geschichte des sradrbernischen Gesellschafts- und Zunfrwesens, in: Berner Taschenbuch (1862), S. 1-l71. 132 Sammlung bernischer Biographien, Bd. 3, S. 191. 214 IV: Die raumliche Gliederung des Sradtgeb ietes

an der Marktgasse erworbene Gebaude nicht das erste Versammlungslokal dieser wohl• habenden Vennergesellschaft gewesen sein133. Der Standort eines allfalligen alteren Ge• sellschaftshauses der Schmiede beispielsweise in der Zahringerstadt lasst sich in den uberlieferten Quellen jedoch nirgends nachweisen. An zentraler Lage befanden sich das ebenfalls erst spat erwahnte Zunfthaus der Reb• leute sowie dasjenige der Armbrust- und Buchsenschurzen . Die Schtitzen richteten ihr Gesellschaftshaus im Jahre 1458 in der Inneren Neustadt ein (XIX.). Die Rebleutezunft, die in der ersten Halfte des 15. Jahrhunderts in eine Obere und eine Untere Stube ge• teilt war, kaufte 1485 ein Haus an der Kramgasse (XI.). Das Gebaude stand zwischen den Versammlungslokalen von Obermetzgern (VIII.) und Mittellowen (XIY.) 134. Die Rebleute mussten ihr zentral gelegenes Zunfthaus jedoch bereits 1501 wieder verkaufen und zogen in ein neues Cebaude in der sudlichen Hauserzeile der Gerechtigkeitsgasse. Dort trafen sie sich bis zur Auflosung ihrer Zunft im Jahre 1729. Von den zwolf in der Zahringerstadt ansassigen Ziinften verzichteten einzig die Zim• merleute (Xv.) auf den Kauf eines Gesellschaftshauses direkt an den zentralen Marktgas• sen. Mit dem Eckhaus am oberen Ausgang der Miinstergasse erwarben die Zimmerleute urn 1427 jedoch ein Gebaude, das wegen seiner Lagevor den Verkaufsstanden der Tuchrna• cher nordlich der Franziskanerkirche als ebenso reprasentativ wie okonomisch giinstig ge• legen bezeichnet werden kann.

6.4. Die Markte

Entsprechend der zunehmenden Differenzierung des stadtischen Gewerbes und der Teilung der grossten Handwerksgesellschaften in eine Obere und eine Untere Stube entstanden im Verlauf des 15. Jahrhunderts verschiedene Markte in der urspriinglich in ihrer Gesamtheit als Marktplatz genutzten Kram-, Gerechrigkeits- und Marktgasse (Abb. 7)1 35. Bereits im 14. Jahrhundert befand sich vor den untersten Hausern der sudlichen Gerechtigkeitsgasse der Ankenmarkt. Dieser lag in der Nahe des Untertors, dem Hauptzugang fiir die Bauern aus dem Oberland, die vor allern Milchprodukte und Vieh in Bern verkauften. In Zusammenhang mit den beiden Viehtranken an der Aare entwickelte sich auf der Sudseire der Gerechtigkeitsgasse zwischen dem Anken• rnarkt und der Niederen Fleischschal (D) im Verlauf des 15. Jahrhunderts der Untere Viehrnarkt, wahrend die Nordseite dieser Gasse dem Unteren Kornmarkt vorbehalten war l36.

133 Genner, Gesellschafien, S. 15. 134 Turler, Bilder, S. 52 f. 135 Vgl. dazu Fritz Anliker, Die Markrverhalrn isse der Stadt Bern mit spezieller Beriicksichtigung der Ent• wicklung und des Einzugsgebietes ihres Gemu semarktes, Bern 1945, S. 19-25; Morgenthaler, Bilder, S. 193-196; sowie Tiirler, Bilder, S. 22 f. 136 Marktordnung von 1481; RQ Bern VlII/l, Nr. 8, S. 9-11 (29. Januar 1481) . IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebietes 215

Vor dem dritruntersten Haus an der siidlichen Kramgasse befand sich wahrend des Spatrnittelalters die Fischlaube. Diese war der einzige Verkaufsplatz fiir Frischfisch in der Stadt Bern. Der zentrale Standort des Fischmarktes im Bereich der Kreuzgasse un• tersrreicht die Bedeutung, die dem Lebensmittel Fisch wahrend des Mittelalters vor allem an den zahlreichen christlichen Fest- und Fastentagen zugekommen ist l37. Ebenfalls an der Kreuzgasse wurden nach einer Marktordnung von 1481 weitere wichtige Grundnahrungsmittel wie Hiihner, Eier, Friichre, Gemiise und Obst ver• kauft, Westlich der Fischlaube befand sich auf der Siidseite der Kramgasse zwischen der urn 1468 erbauten neuen Fleischschal (E) und dem Zunfthaus zum Mittellowen (XIV) der Obere Viehmarkt. Auf der Nordseite dieser Gasse wurde der Ross- oder pferdemarkt abgehalteu'V. Westlich dieser beiden Markre erstreckte sich im 15. Jahr• hundert der Obere Kornmarkt. Dieser umfasste den gesamten Bereich von der Ho• telgasse zum Zeitglockenturm bis zu dem nach 1405 aufgeschiitteten Platz zwischen der Oberen Brotschal (A) und dem Zunfthaus zu Obergerbern (XVI.)139.

Die Berner Biirgerschaft nutzte seit dem 14. Jahrhundert neben der Kram- und Ge• rechtigkeitsgasse auch die Marktgasse sowie die Munster- und Herrengasse sozusagen als siidliche und westliche Verlangerung dieser beiden Gassen als Marktstrassen . In diesen wurde ahnlich wie in der Kreuzgasse der Wochenmarkt abgehalten. Vor dem Franziska• nerkloster befanden sich seit dem 14. Jahrhundert zudem die Verkaufsstande der Tuch• handler, die der Rat 1429 gegen einen Jahreszins von einem bis eineinhalb Pfund an ein• zelne Stadtburger verlieh'<'', Vor allem die in der Nachbarschaft Berns lebenden Bauern nutzten die wochenrlichen Markttage urn essig ding [Lebensmittel] mit namen anken, ziger, kesse, eyer, nuss, biren, opphel, rafen und vische an die Stadtbevolkerung zu verkau• fen l41• Gleichzeitig fanden die stadtsassigen Kramer Gelegenheit, der Landbevolkerung verschiedene handwerkliche Produkte wie Sicheln, Messer,Tuche oder diverse Haushalt• artikel anzubieten. Aber nicht nur in den Hauptgassen, sondern auch in den Nebengassen herrschte wahrend des Spatrnittelalters ein geschaftiges Treiben. Der Berner Rat musste deshalb bereits im 14. Jahrhundert vorschreiben, dass in der Zufahrt zum ersten Rathaus hinter dem Chor der St. Vinzenzkirche keine Tiere angebunden oder geschlachtet werden durf• ten. Des Weiteren sollte die Zufahrt zum Gerichtshaus stets von allem Unrat, Bauholz

137 Morgenthaler, Bilder, S. 187 ff. 138 tu-to, Bilder, S. 22. 139 [...J vonden Obern Gerwern und Heinrich Dittlingers seligen husharin bisan die iirter [Ecken] derhiiser enent der zittgloggen und die pldtz daselbs, und gegen die Barfussen oben in unser statt, [.. .]; RQ Bern VIII/I , Nt. 8, S. 10. 140 Das Zinsurbar von 1426 nennt insgesamt sieben Verkaufsbanke hinten und oorne, die in diesem jahr an einzelne Tuchhandler ausgegeben wurden, StABE: B VII 23 I 1, S. 104-107; sowie Gerber, Bauen, S. 105. 141 RQBern 1/2, Nr. 183, S. 77 f. 216 IV. Die raurnliche Gliederung des Stadtgebietes

und Steinen frei gehalten werdenl42• Eine ahnliche Markttatigkeit kann zudem fur den Bereich urn das Frauentor in der lnneren Neustadt und der Waaghausgasse angenom• men werden. Obwohl sich sudwestlich des Dominikanerklosters bis zum Ende des Mit• telalters vornehmlich Stalle und Scheunen reihten, lasst sich hier seit dem 14. jahrhun• den ein spezieller Markt lokalisieren. Dieser scheint ausschliesslich zum Verkauf von Vieh genutzt worden zu sein. Im Jahre 1379 erwahnen die Sackelmeisrerrechnungen einen Viehmarkt, den die Burger jeweils vor dem tremelhus am oberen Ausgang der Zeughausgasse abgehalten haben143. Im Tellbuch von 1448 wird dann die gesamte Hauserzeile an der Waaghausgasse ausdrticklich am vichmeritby der kebyen [Kafigturrn] bezeichnettvi.

Der Berner Rat war schon fruh darum bemuht, den Verkauf und Handel von Waren auf die Markte innerhalb der Sradtmauern zu konzentrieren. Vor allem wollte er verhindern, dass die Kramer den Bauern vor die Stadrrnauern entgegenzogen, urn diesen ihre Waren noch vor dem Erreichen des Markres abzukaufen. Im Jahre 1357 verordneten deshalb Schultheiss und Rat, dass innerhalb einer Meile rund urn die Stadt Bern keine Lebensrnit• tel mehr verkauft werden durften. Zudem mussten die Burger ihre innerhalb der stadti• schen Bannmeile produzierten Agrarprodukte ausschliesslich auf dem Sradtrnarkt feil hal• ten l45. Grempler und Kramer hatten die Marktverordnung jahrlich zu beschworen. Sie mussten sich verpflichten, ihre Handelsgeschafte jeweils erst am Nachmittag durchzu• fiihren, nachdem sich die Stadrbevolkerung mit ausreichend Lebensmitteln aufdem Markt versorgt harte. Der Rat war des Weiteren bestrebt, die Handelstatigkeit der Einwohner• schaft in den Nebengassen vor allem im Bereich der Pfarrkirche und der Kloster zu verbie• ten oder wenigstens einzuschranken. Bereits 1353 verbot er deshalb das Ausschenken von Wein vor dem Deutschordenshaus am unteren Ausgang der Munster- und Herrengasse'<', 1367 folgte dann ein Verkaufsverbot von Nahrungsmitteln wie Obsr, Milchprodukten und Gernuse vor der Franziskanerkirche an Sonn- und Feiertagenl47. An Werktagen durften die Burger hingegen weiterhin koufJen und verkoufJen, alsdann das von alterhar istkommen l 48• Im Zuge der Konsolidierung des sradtischen Territoriums dehnte der Berner Rat den Marktzwang im Verlauf des 15. jahrhunderts schliesslich auch auf die Landschaft aus, Nachdem das Abhalten von Markten in den Dorfern in einer Gewerbeordnung von 1464 noch erlaubt war, bestimmte der Rat 1467, dass jahr- und Wochenmarkte zukunftig nur noch in Bern und in den verschiedenen Untertanenstadten wie ,

142 RQBern 1/2, Nt. 153, S. 67. 143 We/ti, Sradrrechnungen 1379/1,S. 137. 144 We/ti, Tellbuch 1448, S. 400. 145 RQ Bern 1/2, Nt. 183, S. 77 f. 146 RQBern 1/2, Nt. 194, S. 81. 147 RQ Bern 1/2, Nt. 188, S. 80. 148 RQBern VIII/I, Nt. 8, S. 10. IV. Die raumliche Gliederung des Stadrgebieres 217

Burgdorf, Biiren und stattfinden durftenl49. Schultheiss und Rat begriindeten ihren Beschluss mit dem zentralistischen Herrschaftsanspruch der Stadt, deren Bevol• kerung dafur zu sorgen harte, dass nit dieglider dem houptfUrgan .

6.5. Stadtbach und Brunnen

Eine wichtige Bedeutung fur die Bewertung der einzelnen Gassen als Wohn- und Arbeits• plarz kamen wahrend des Spatmittelalters dem Stadtbach und den Brunnen zu l 50• Der Stadtbach war die alteste Gewerbeanlage Berns und wurde bereits in der Griindungszeit aus dem Wangental vom Westen her ins ummauerte Stadtgebiet geleitet. Er harte sowohl fiir die Frisch- und Loschwasserversorgung als auch tiber die in den Hinterhofen der Wohn• hauser angelegten Ehgraben fiir die Abfallentsorgung der Stadt eine existentielle Bedeu• tungl 51. Mit seinem Wasser wurden ausserdem die stetmiilinen im nordlichen Halsgraben der ehemaligen Stadtburg bei Nydegg betrieben. Zahlreiche in Bern ansassige Handwerker wie Metzger, Gerber, Backer, Schmiede, Kiirschner und Bader waren fur die Ausiibung ihres Berufs ebenfalls aufdas Frisch- und Brauchwasser des Sradtbachs angewieseri'V, Keine Bedeutung besass der Stadtbach hingegen fiir die Trinkwasserversorgung der Stadtbevolkerung. Diese wurde im 13. und 14. Jahrhundert durch verschiedene Sod• brunnen und Quellwasserfassungen an der Nord- und Ostseite der Aarehalbinsel sicher• gesrellt, Nach Konrad Justinger befanden sich mit dem Lenbrunnen an der Nordseite der Postgasse, dem Srettbrunnen am ostlichen Ausgang der Brunngasse, dem Brunnen im Ba• dergraben, der Brunnenfassung im Kreuzgang des Dominikanerklosters und dem Schen• kenbrunnen in der .Ausseren Neustadt insgesamt fiinf mit fliessendem Quellwasser ausge• stattete Brunnen innerhalb des 1343 ummauerten Stadtgebietes. AIle fiinf Grundwasserbrunnen lieferten jedoch vor allem bei Trockenheit nur unzureichend Was• ser, so dass der Rat beschloss, diese nach dem besonders heissen Sommer des Jahres 1393 durch moderne Stockbrunnen zu ersetzen l 53• Die neuen Brunnen kamen in die Mitte der zentralen Gassen zu stehen. Sie konnten von der Berner Einwohnerschaft deshalb viel be• quemer erreicht werden als die alten Quellwasserfassungen, die sich aIle entlang einer was• serfuhrenden Schicht am nordlichen Rand des Sradtgebietes reihten. Die Stockbrunnen

149 GrafFuchs, Gewerbe, S. 25: sowie Gilomen, Stadt-Land-Beziehungen, S. 20 If. 150 Armand Baeristoyl, Stadtbach, Brunnen und Gewerbekanal. Wasser als stadtisches Lebenselement, in: Berns grosse Zeit. Das 15. jahrhundert neu enrdeckt, hg. von Ellen J. Beer, Norberto Gramaccini, Charlotte Gurscher und Rainer C. Schwinges, Bern 1999 , S. 54-62. 151 Vgl. dazu auchfurgen Sydow (Hg.), Sradrische Versorgung und Entsorgung im Wandel der Geschichre (Stadt in der Geschichre8), Sigmaringen 1981 : sowie fUr die Schweiz Martin II/i, Von der Schissgruob zur modernen Sradtenrwasserung, 1987. 152 Vgl. dazu Kapirel VI ,,3.3. Die Berufsropografie". 153 Konrad Justinger berichret, dass es in diesem Sommer so heiss war, daz daz ertrich alsmurwe[rnurbe] wart, daz es zeroiel alz escbe; Studer, justinger, Nr. 290, S. 178. 218 IV. Die raumliche Gliederung des Sradtgebietes wurden im Unterschied zu den alteren Trinkwasserfassungen mit Quellwasser von aus• serhalb der Stadt Bern gespiesen. Schultheiss und Rat konnten die Zahl der Brunnen auf diese Weise im Verlauf des 15. Jahrhunderts kontinuierlich vergrossern und die Qualitat des Trinkwassers verbessernb't. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts existierten schliesslich insgesamt neun Stockbrunnen, die uber drei holzerne Druckwasserleitungen mit fri• schem Quellwasser aus der Nachbarschaft Berns versorgt wurdenl55. Von diesen neun Brunnen befanden sich sieben in den zentralen Strassenrnarkten, deren Bewohner in be• sonderem Masse vom Wasser der neuen Stockbrunnen profitierten'X. Zwei weitere Brunnen standen an peripheren Srandorten in der Golatenmattgasse und in der Matte.

7. Die geistlichen Niederlassungen

Eine ausserordentlich wichtige Rolle spielte in einer mittelalterlichen Stadt die Kir• che l 57. Obwohl in Bern weder ein Bischof noch alte Chorherrenstifte beheimatet waren, wurde das Erscheinungsbild der Stadt im 14. und 15. Jahrhundert von zahlreichen geist• lichen Niederlassungen sowie von den Wohnhausern einzelner Kleriker und Schwes• terngemeinschaften gepragt (Abb. 8). Irn Unterschied zu den kommunalen und ge• werblichen Bauten, die sich hauptsachlich urn die zentralen Strassenmarkte und die Kreuzgasse gruppierten, befanden sich aIle bedeutenden geistlichen Institutionen wie die pfarrkirche St. Vinzenz, das Dominikaner- und Franziskanerkloster, die Antonierkirche, das Inselkloster, die Nydeggkapelle sowie die im 13. und 14. Jahrhundert gestifteten Spitaler am Rand des ummauerten Stadtgebietes. Das Gleiche gilt fiir die verschiedenen Beginengemeinschaften (1 bis 9) und die Sradthauser auswartiger Kloster (a bis n), die vornehmlich an Nebengassen standen.

154 Gerber, Bauen, S. 33 ff. 155 Die neu errichteten Stockbrunnen sranden an der oberen Spitalgasse (Oberspiral- oder Christoffel• brunnen, seit 1711 Davidbrunnen), an der oberen Marktgasse (Kefibrunnen, seit 1860 Anna Seiler Brunnen), an der unreren Marktgasse (Schiitzenbrunnen), aufdem Kornhausplatz (Kindlifresserbrun• nen) , an der Kramgasse (Metzgerbrunnen, heute ), an der Kreuzgasse (Kreuzgassbrun• nen), am unreren Ausgang der Gerechtigkeitsgasse (Sralden- oder Vierrohrenbrunnen), an der Aarber• gergasse (Golatenmattgassbrunnen, seit 1860 Ryillibrunnen) und in der Matte (Martebrunnen); Baeriswyl, Stadtbach, S. 54 ff. Vgl. dazu auch Morgenthaler, Bilder, S. 82-86. 156 So blieb beispielsweise die Matte bis 1420 ohne eigene Quellwasserversorgung, was Konrad Justinger zu folgender Bemerkung veranlasste: W'tzz [der Bau der Srockbrunnen] ein gross notdurfi, won wie trub und unreindie areuiaz, sobatten si da niden kein ander wasser, Studer, Justinger, Nr. 467, S. 288. 157 Vgl. dazu lsenmann, Stadt, S. 210-230. Zur Bedeutung geisdicher Niededassungen in spatmitrelalrer• lichen Sradren vgl. auch Jurgen Sydow (Hg.), Biirgerschaft und Kirche im Mittelalter (Stadt in der Ge• schichte 7), Sigmaringen 1980; sowie fiir Ausgsburg RolfKiejJling, Biirgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spatrnittelalrer, Ein Beitrag zur Strukturanalyse der oberdeutschen Reichsstadt (Ab• handlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 19), Augsburg 1971. IV. Die raurnliche Gliederung des Sradrgebieres 219

Die Lage und die Ausstattung der kirchlichen Niederlassungen wurden bestimmt durch das Ansehen der einzelnen Orden und Kleriker sowie durch den Umfang und die Art der Stiftungen, die diese von der Berner Blirgerschaft zugesprochen erhielten. Zugleich be• dingten das unterschiedliche Alter der Orden und deren spezifische Aufgaben, dass die Geistlichkeit in sehr ungleicher Weise in den Alltag von Blirgern und Einwohnern einbe• zogen war. Wahrend beispielsweise Chorherren und Kaplane sowie Bettelmonche durch ihre Tatigkeit in Seelsorge und Predigt in standigem Konrakt zur Stadtbevolkerung stan• den, fuhrten ein Grossteil der Ordenskleriker sowie Nonnen ein eher kontemplatives Leben mit Gesang und Gebet, was ein Dasein in der Abgeschiedenheit hinter hohen Klostermau• ern voraussetzte. Diese bevorzugten die Zurlickgezogenheit ruhiger Nebengassen, an denen sie ihre stadtischen Niederlassungen unterhielten. Bei den Spitalern, dem Siechenhaus und der Elenden Herberge bewirkten zudem die Angst der Einwohnerschaft vor Ansreckung, das Misstrauen gegenuber allem Fremden sowie der mit Alter, Gebrechlichkeit und Krank• heit verbundene soziale Makel, dass sich diese Gebaude in Randlagen oder sogar ausserhalb der Sradtrnauern befandenl -". Charakteristisch flir den Standort der Spitaler waren dabei ihre Lage an wichtigen Ausfallstrassen sowie deren Nahe zu fliessenden Gewassern wie dem Stadrbach oder der Aare. Der wachsende Reichtum und die damit verbundene gesteigerte Sriftungstatigkeit der Blirgerschaft machte es moglich, dass bis zum Ende des Mittelalters aile bernischen Kirchen neu errichtet und mit Altaren und Kunstwerken reich ausgestattet wurdent-''. Gleichzeitig nahm die Zahl der geistlichen Besitzungen kontinuierlich zu, so dass immer mehr Kleriker und Nonnen ein Auskommen in der Kirche fanden. Sowohl die Nieder• lassungen der verschiedenen Orden als auch der Bau von Spitalern und Beginenhausern geschahen jedoch seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert unter der direkten Einfluss• nahme des Rates. Dieser stellte sarntliche in Bern ansassigen geistlichen Institutionen unter die Kontrolle eines Mitgliedes des Rates der Zweihundert'v". Die aus dem Rat gewahlten Kirchenpfleger und Spitalvogte hatten die Aufgabe, die wirtschaftlichen Belange der religiosen Gemeinschaften zu verwalten und diese vor dem stadtischen

158 Vgl. dazuJurgen Sydow, Kirchen- und spitalgeschichtliche Bemerkungen zum Problem der Stadterwei• terung und Vorsradt, in: Sradrerweirerung und Vorstadt, hg. von Erich Maschke und JUrgen Sydow (Veroffentlichungen der Kommission fur geschichtliche Landeskunde in Baden-WUrttemberg, Reihe B: Forschungen 51), Stuttgart 1969, S. 111 ff. 159 Beer, Berns grosse Zeit. Zum spatmittelalrerlichen Kirchenbauboom vgl. auch Peter[ezler; Der spatgo• tische Kirchenbau in der ZUrcher Landschaft. Die Geschichte eines .Baubooms" am Ende des Mittel• alters, Wetzikon 1988. 160 Zur wachsenden Einflussnahme der Sradre aufdie Kirche vgl. S. Schrocker, Die Kirchenpflegschaft. Die Verwaltung des Niederkirchenvermogens durch Laien seit dem ausgehenden Mittelalter (Corres-Ge• sellschaft, Veroffenrlichungen der Sektion fur Rechts- und Staatswissenschaft 67), Paderborn 1934; KiejJling, Kirche; Jurgen Sydow, Biirgerschaft und Kirche im Mittelalter, Probleme und Aufgaben der Forschung, in: Biirgerschaft und Kirche, hg. von Jiirgen Sydow (Stadt in der Geschichte 7), Sigmarin• gen 1980, S. 9-25; sowie Landolt, Finanzhaushalt, S. 673 f 220 IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebietes

Gericht zu vertreten. Seit der Mitte des 14. jahrhunderrs zeigte sich der Berner Rat zudem darum bernuht, die Sonderrechte der Geistlichkeit durch verschiedene Erlasse ein• zuschranken und das kirchliche Leben weitgehend in den Dienst der Burgerschaft zu stel• len. Er versuchte die Tatigkeiten der Kleriker nach seinem Willen zu ordnen, indem er die grosseren Gotteshauser neben der St. Vinzenzkirche zu lokalen Zentren des religiosen Lebens machte, Von diesen Kirchen aus konnte dann die Seelsorge in den Stadrquartie• ren wahrgenommen werden . Vor allem die Dominikanerkirche in der lnneren Neustadt und die Obere Spitalkapelle in der Ausseren Neustadt sowie die Nydeggkapelle oberhalb von Nydeggstalden und Matte enrwickelten sich im Verlaufdes 14. und 15. jahrhunderts zu eigentlichen kirchlichen Zentren der umgebenden Quartierbevolkerung, Nachdem es Schultheiss und Rat bereits in der zweiten Halfre des 13. Jahrhunderts gelungen war, sich eine direkte Einflussnahme auf die Besetzung der Stadtpfarrei zu sichern, gingen mit der Umwandlung von St. Vinzenz in ein weltliches Chorherren• stift 1484 schliesslich die Patronatsrechte und damit auch die Wahl des stadtischen Leutpriesters endgultig vom Deutschen Orden an den Berner Rat uberl61• Die 1276 von den Deutschherren zur Pfarrei erhobene St. Vinzenzkirche blieb zwar bis 1785 die einzige pfarrkirche innerhalb Berns, den vier Stadtquartieren kamen jedoch bereits wahrend des Spatrnittelalters gewisse Funktionen als Seelsorgebezirke zu. Diese Ent• wicklung wurde verstarkt, als der Rat die Obere Spitalkapelle und die Nydeggkapelle nach 1484 zu reprasenrariven Gotteshausem umbauen liess, in denen sich die Quar• tierbevolkerung zur Andacht versammeln konnte.

7.1. Die pfarrkirche St. Vinzenz und das Franziskanerkloster

Im Bereich der Munster- und Herrengasse standen mit der pfarrkirche von St. Vinzenz, dem Deutschordenshaus und dem Franziskanerkloster seit der Mitte des 13. jahrhun• derts die wichtigsten kirchlichen Bauten der zahringischen Grundungsstadt. Hier kon• zentrierte sich das kirchliche Leben der Berner Stadtgemeinde. Die Dominanz dieser geistlichen Niederlassungen harte zur Folge, dass sich an diesen Gassen wahrend des Sparrnittelalrers zahlreiche Kleriker und religiose Gemeinschaften niederliessen, die enr• weder in einer sozialen Beziehung zu einer der an diesen Gassen ansassigen Burgerfami• lien standen oder dem Orden der Franziskaner oder der Deutschherren angehorten. Das Tellbuch von 1448 nennt insgesamt 17 Priester, drei Monche und sechs Schuler sowie zwolf Beginen im Bereich der Munster- und Herrengasse'v-. Dazu kommen die Wohn• und Udelhauser auswartiger Kirchherren, die sich ebenfalls an diesen beiden Gassen konzentrierten163.

161 Zahnd, Bern, S. 214. Vgl. dazu auch Kapitel IV ,,3. Die Kirchgemeinde von St. Vinzenz". 162 Welti, Tellbuch 1448, S. 353-441. Zu den stadrischen Gassennamen vgl. Abb. I. 163 Udelbuch von 1389, StABE: B XIII 28, S. 42, 200 und 215. IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebietes 221

Vor allern das Munster bot seit 1421 Platz fur eine Vielzahl von Kapellen und Al• taren, die von einer standig wachsenden Zahl von Geistlichen betreut werden muss• te l64. 1m Tellbuch von 1448 finden sich neun Deutschordenspriester, ein Schuler, zwei Knechte, ein Koch, ein Karrer, eine Magd sowie bruderHans der bettler, die das tilt• sche hus am Munsterplarz bewohnten' <'. Zudem wuchs die Zahl der von den Deutsch• herren zu berreuenden Altare in der Leutkirche zwischen 1288 und 1453 von funf auf dreizehn an 166. In der zweiten Halfte des 15. jahrhunderts besassen dann bereits aile Munsterkapellen eigene Altare, so dass fur weitere Altarstiftungen auf die Pfeiler des Mittelschiffs ausgewichen oder neue Kaplaneien auf bereits ausgestattete Altare gestif• tet werden mussten167. Wahrend der Reformation im Jahre 1528 zahlte das Munster schliesslich rund 25 Altare, die aile mit entsprechendem Pfrundbesitz ausgestattet waren .

Eine ahnliche Entwicklung wie die pfarrkirche erlebte das urn 1255 am westlichen Aus• gang der Herrengasse erbaute Franziskaner- oder Barfusserkloster, Auch hier nahm die Zahl der Ordensgeistlichen in Folge verschiedener Altar- und Messstiftungen im Verlauf des 15. Jahrhunderts kontinuierlich zu168• Wahrend das Tellbuch von 1448 neben dem sradtischen Klosterschaffner Heinrich Graf und seinen beiden Knechten sechs Priester und fimf Klosterschiller aufzahlt, beherbergte das Kloster nach dem Neubau durch den Berner Rat zu Beginn des 16. Jahrhunderts insgesamt zwolf Priester und vier Schola• ren l69• Die Franziskanerkirche war das neben der Dominikanerkirche und dem Munster grosste Gotteshaus innerhalb der spatmittelalterlichen Stadt Bern. Bereits wahrend der Verfassungsreform von 1294leisteten die Mitglieder des Rates der Zweihundert ihren er• sten Arnrseid im Langhaus der eben erst errichteren Kircher ?".

7.2. Das Dominikaner- und Inselkloster

Die wichtigsren und zugleich dominierendsten Gebaude der Innern Neustadt waren die beiden im 13. und 14. Jahrhundert an der Zeughaus- und Kochergasse erbauten Klos• terkirchen der Dominikaner und der Dominikanerinnen. Das nach 1269 errichtete

164 Zur Bedeurung der Pfarrkirchen in sparrnittelalterlichen Stadten vgl.Johannes Zahlten, Mirtelalrerliche Sakralbauren der sudwestdeutschen Stadt als Zeugnisse biirgerlicher Reprasenrarion, in: Stadt und Re• prasenration, hg. von Bernhard Kirchgassner und Hans-Peter Becht (Stadt in der Geschichte 21), Sig• maringen 1995, S. 77- 91. 165 Welti, Tellbuch 1448, S. 366. 166 Morgenthaler, Bilder, S. 89. 167 Gerber, Bauen, S. 49 f. 168 Morgenthaler, Bauen, S. 106-109. 169 Welti, Tellbuch 1448. S. 368. 170 FRB/3, Nr. 6 11, S. 602 f. (18. Februar 1294); sowie Studeli, Minoritenn iederlassungen , S. 87-91. 222 IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebieres

Gotteshaus der Dominikaner oder Prediger war bis zum Bau des Mtinsters im 15. jahr• hundert mit einer Lange von rund 80 Metern und einer Hohe von iiber 25 Metern das weitaus grosste Gebaude in der Stadt Bernl?". Die geraumige Klosterkirche wurde des• halb wie die Franziskanerkirche vom 13. bis zum beginnenden 15. Jahrhundert als Ver• sammlungsort der kommunalen Ratsgremien genutzt. Seit dem 14. Jahrhundert dienten die Raumlichkeiten der Dominikaner insbesondere auch als Herberge, in der die Bur• gerschaft hohe geistliche und weltliche Wiirdentrager wie Konige und Papste beherber• gen und verpflegen konntel-". Das wahrend des 14. Jahrhunderts an der Stelle des heutigen Bundeshauses errichtete Gotteshaus der Dominikanerinnen, das Inselkloster, erreichte bei seiner Weihe im Jahre 1401 ebenfalls beachtliche Dimensionen. Die langgezogenen Schiffe der beiden Bettel• ordenskirchen pragten die Gestalt der nach 1255 entstandenen Neustadt bis zur Refor• mation. Die Grosse der beiden Ordenskirchen spiegelt sich nicht zuletzt auch in der Zahl der Monche und Klosterfrauen wider, die diese wahrend des 15. Jahrhunderts be• wohnten. Wahrend das Dominikanerkloster im Jahre 1448 insgesamt 19 im Tellbuch nicht naher bezeichnete Personen zahlte, lebten im Inselkloster zur gleichen Zeit neben einem Priester, zwei Magden und einem Schuler nicht weniger als 20 Frauenl/>,

7.3. Die Nydeggkapelle

Das wichtigste kirchliche Gebaude im Osten Berns war die im Jahre 1346 geweihte Ny• deggkapellel?4. Wahrend die Matte und die Badgasse mit der Fertigstellung der Muns• terplattform am Ende des 15. jahrhunderts geradezu in den Windschatten der stadti• schen pfarrkirche gerieten, beschlossen Schultheiss und Rat, die nach 1268 an der Stelle der zahringischen Stadtburg errichtete Nydeggkapelle zwischen 1480 und 1494 zu einem reprasentativem Gotteshaus mit beherrschendem Glockenturm umzubauen. Der Rat trug mit diesem Beschluss der Entwicklung Rechnung, dass sich die Nydeggkapelle seit dem 14. jahrhunderr zum religiosen Zentrum fiir die Bevolkerung am Sralden und

171 Zu Archirekrur und Bauetappen des Dominikanerklosrers vgl. Georges Descaudres und Kathrin Utz Tremp, Bern. Franzosische Kirche - Ehemaliges Predigerkloster. Archaologische und historische Unter• suchungen 1988-1990 zu Kirche und ehemaligen Konventgebauden (Schrifrenreihe der Erziehungs• direktion des Kanrons Bern, hg. vom Archaologischen Dienst des Kanrons Bern), Bern 1993 , S. 23-78. 172 Vgl. dazu Studeli, Minorirenniederlassungen, S. 102 f.; Gerard-Gilles Meerssemann, Zur Geschichre des Berner Dominikanerinnenklosters im 15. jahrhundert, in: Archivum Fratrurn Praedicatorum 45 (1975) , S. 201-211; sowie HansBraun, Konige, Papste und Fursten in Bern, in: Berns grosse Zeit. Das 15. ]ahrhundert neu entdeckt, hg. von Ellen]. Beer, Norberta Gramaccini, Charlotte Gurscher und Rainer C. Schwinges, Bern 1999, S. 314-323. 173 Welti, Tellbuch 1448, S. 381 und 410. 174 PaulHofer und LucMojon, Die Kunstdenkmaler des Kantons Bern, Bd. 5: Die Kirchen der Stadt Bern (Die Kunstdenkmaler der Schweiz), 1969, S. 233-240 (zitiert: Kdm Bern V); sowie Morgentha• ler, Bilder, S. 103 f. IV. Die raurnliche Gliederung des Stadrgebietes 223

in der Matte enrwickelt hatre. Konrad Justinger berichter furs jahr 1418, als auf der Nydeggkapelle ein Dachreiter mit einer Glocke aufgesetzt wurde: [...] in dem mertzen [Man], wart die zitglog ufgehenket ze Nidegg, den[en] am Stalden und an der Matten ze lieb175• Das Parronatsrechr der Nydeggkapelle besass bis 1484 der Deutsche Orden. Dort unterhielt er neben dem der heiligen Maria Magdalena geweihren Hauptalter noch zwei Seitenaltare. Urn das Ansehen der Ende des 15. Jahrhundens neu erbauren Kir• che in der Sradtbevolkerung zu erhohen, stiftete der Rat 1499 zum Seelenheil der in der Schlacht bei Dornach gefallenen Berner Burger eine Jahrzeit176, die jeweils am Sr. Magdalenenrag (22. Juli) begangen wurde. Zugleich erhielten die Besucher der einen zehnjahrigen Ablass fur ihre Stinden, wenn sie das Gotteshaus an Feiertagen aufsuchten und die Messe lesenden Priester mit Stiftungen bedachten.

7.4. Die Spitaler

Es gehorte zu den Bedurfnissen der Berner Burgerschaft inner- und ausserhalb der Stadt verschiedene wohltarige Stiftungen zu errichten, in denen Reisende und Pilger, aber auch kranke, alte und bedurftige Personen beherbergt und verpflegt werden konnrenl?". Diese Stiftungen machren in der Regel wohlhabende Burger und Burge• rinnen, die versuchten, ihr Seelenheil durch Fromme Werke zu sichern l 78. Schultheiss und Rat waren seit dem 14. Jahrhundert jedoch bestrebr, die Stiftungstatigkeit der Einwohnerschaft einzuschranken und die standig wachsenden Vergabungen zuguns• ten der Kirche beispielsweise in Testarnenten oder jahrzeiten zu reglemenrieren. Vor allern die im Verlauf des 14. Jahrhunderts von einzelnen Stadtbewohnern gesrifreten Spiraler und Beginenhauser unrerlagen deshalb von Anfang an einer srrikten Kon• rrolle durch den Rat. Sowohl auf die Ausstattung der Cebaude als auch auf deren

175 Studer,Justinger, Nr. 460, S. 285. 176 Die jahrzeir ist ein Gedachtnisgortesdiensr, der von den Priestern am Jahrestag eines Verstorbenen im Auftrag von dessen Familie zelebriert wird. 177 Vgl. dazu Christian Probst, Das Hospitalwesen im hohen und sparen Mirrelalter und die geistliche und gesellschaftliche Stellung des Kranken, in: Medizin im mitrelalterlichen Abendland , hg. von Gerhard Bader und GundolfKreil, Darmstadt 1982, S. 260- 274. Zur Kommunalis ierung des mittelalterlichen Fiirsorgewesens vgl. Christoph Sacbsse und Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfiirsorge in Deut schland . Vom Sparrnirtelalrer bis zum ersten Weltkrieg, Srurrgart/Bcrlin/Koln 1980; sowie Lan• dolt, Finanzhau shalt, S. 575-697. 178 Vgl. dazu Kuno Ulshafer. Spital und Krankenpflege im sparen Mittelalter, in: Wiirttembergisch Fran• ken 62 (1968), S. 49-68; sowie fiir die Schweiz Elsanne Gilomen-Schenkel, Spitaler und Spiralorden in der Schweiz (12.- 15. jahrhundert). Ein Forschungsberieht, in: Helvetia Sacra IV14: Die Antoniter, die Chorherren vom Heiligen Grab in Jerusalem und die Hospitaliter vom Heiligen Geist in der Schweiz, Basel/Frankfurt am Main 1996, S. 19-34. 224 IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebieres

Standorte innerhalb des Stadrgebi etes nahmen Schultheiss und Rat direkten Einfluss, indem sie einzelne Bestimmungen in den Stiftungen veranderten oder die Vergabun• gen bewusst auf die verschiedenen Armenversorgungs- und Pflegeanstalren in der Stadt verteilten. 7.4.1. Das Seilerinspital

Ein typisches Beispiel einer vorn Berner Rat beeinflussten Stiftung war das Seilerin• spital. Am 29 . November 1354 stiftete die wohlhabende Witwe Anna Seiler zu ihrem Seelenheil ein Gebaude in der sudlichen Hauserzeile der Zeughausgasse, in dem etuec• lichen dritzehen geligeringe und durftigen Personen pflege und Unterkunft finden soll• ten. Als Stiftungsgut nennt die Witwe ihr hoj hus und hofitat, gelegen ze Berne in der niaoen statt vor dien prediern, mit andern hiisern und hofitetten, so ich da han, daz si zu ir spital haben sullent undda ligen und wonen nach aller notdurft, denne den krutgarten, der da bi gelegen ist179. Das Eigentum des neu gegrunderen Spitals uberrrug Anna Sei• ler dem Berner Rat, der das Geb aude durch einen separaten Seilerin Spitalvogt ver• walten liess180. Das Spital erhielt vor allem wahrend des 15. Jahrhunderts zahlreiche Schenkungen, so dass sich die Zahl der Pflegeplarze bis 1442 von 13 auf20 Betten er• hohte. Bis 1462 reduzierte der Rat die Ausstattung des Seilerin spitals jedoch wieder auf 15 Betten, wobei er beschloss, dass nu von dishin dhein [kein] froemder oder usse• rer an der Seilerin spittal mehr genommen werden durfte181.

7.4.2. Die Elenden Herb erge

Einen ahnli chen Stiftungsvorgang wie beim Seilerins p iral finder sich auch bei der Grundung der Elenden Herberge. Diese wurde wahrscheinlich zu Beginn des 14. Jahr• hunderts am nordlichen Ausgang der Brunngasse errichret'V. Als Stifter erscheinen mit Heinrich und RudolfSeiler zwei verrnogende Berner Burger, die uber Hausbesitz an der Brunngasse verfugr haben. Die Elenden Herberge lag erwas abseits des Durch• gangsverkehrs, sie konnte jedo ch durch das Zibelegasslein von den zentralen Stras• senrnarkten relativ schnell erreicht werden. Ursprtmglich war die Elenden Herberge wahrscheinlich zur Unterbringung und Verpflegung von Jakobspilgern gestiftet wor• den . Die Bezeichnung der Herberge als Spital weist jedoch darauf hin, dass das Ge• baude im 15. Jahrhundert auch als Armenversorgungs- und Pflegeanstalt genutzt wurde. Ein Inventar von 1412 verzeichnet insgesamt 22 Betten, die sich auf eine Frauen- und eine Mannerkamrner, einen Raum fur fremde Kindbetterinnen sowie

179 FRB/8, Nr. 188 und 189. S. 78- 82 (29. November 1354). 180 Morgenthaler, Bilder, S. 149 If. 181 RQBern 1/1, Nr. 218, S. 137 f. 182 Morgenthaler, Bilder, S. 151. IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebieres 225 auf ein loch ftir Landstreicher verteilten. Im Jahre 1472 wurde schliesslich auf beson• dere Verordnung des Kaufmannes Peter Schopfer zusarzlich noch eine Stube fur kranke Pilger eingerichtet. 7.4.3. Das Antonierspital

Ebenfalls in peripherer Lage liess sich der Spitalorden der Antoniter nieder l83. Die An• toniter hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die an der im Mittelalrer weit verbreiteten Krankheit des sogenannten Antoniusfeuers'P' erkrankten Personen zu pflegen und zu beherbergen. Bereits im Jahre 1284 lasst sich eine erste Niederlassung des Antoniteror• dens in Bern nachweisente>. Im Jahre 1389 lebte mit Johannes Tonier dann ein einzel• ner Antoniterrnonch in der sudlichen Hauserzeile der Brunngasse (n), dessen Wohnhaus zugleich auch als Spital gedient haben diirfte l86. Zur eigentlichen Institutionalisierung des Antoniterordens kam es jedoch erst urn die Mitte des 15. jahrhunderts, als der Orden an der nordlichen Postgasse eine Kapelle mit angegliedertem kleinen Spital er• richtete. In einem 1454 zwischen den Antonitern und dem Deutschen Orden abge• schlossenen Vertrag musste sich der Spitalorden verpflichten, den Deutschherren in An• erkennung ihrer Sakramentsrechte jahrlich am Andreastag vier Pfund aus den Einkunften der neu erbauten Antoniuskapelle abzugeben. Gleichzeitig hatten die Anto• niter auf ein eigenes Begrabnisrecht zu verzichten, wobei sie versprechen mussten, in ihrem Spital nie mehr als einen Priester zu beschaftigen. Die Niederlassung des Antoniterordens scheint wie die Ansiedlung der rneisten geistlichen Orden in Bern unter der direkten Einflussnahme des Rates stattgefunden zu haben. Wahrend im Jahre 1389 mit Simon Menneli noch ein judischer Geldverlei• her als Eigentiimer der Liegenschaft an der Postgasse genannt wird, durfre diese nach der endgiiltigen Vertreibung der Juden aus der Stadt 1427 in den Besitz des Rates iibergegangen sein l87. Dieser iibertrug die konfiszierten Besitzungen anschliessend den Antonitern, die darauf urn 1444 ein Gotteshauses errichtetenl88. Im Unterschied zu allen iibrigen geistlichen Niederlassungen in Bern, scheint es dem Rat jedoch erst

183 Kathrin Utz Tremp, Die Anronirer in Bern, in: D ie Anron irer, die Chorherren vom Heiligen Grab in Jerusalem und die Hospiraliter vom Heiligen Geist in der Schweiz, hg. von Eisanne Gilornen-Schenkel (Helvetia Sacra, Abr, IV, Bd. 4), Basel/Frankfurt am Main 1996, S. 91-110; RudolfvonSinner, Das An• tonierhaus in Bern, in: Berner Taschenbuch 24/25 (1875/76), S. 261-322; sowie Morgenthaler, Bilder, S. 125 If. 184 Das Antoniusfeuer, auch Mutrerkomkrankheit genanm, gehr auf einen Pilzbefall der Roggenahren zuruck, der beim Menschen zu Vergi&ungserscheinungen und zum Absterben einzelner Glieder wie Finger und Zehen fiihren kann (Durchblutungsstiirungen). 185 Hermann Rennefabrt; Geschichte der Rechtsverhaltnisse des .Jnselsplrals" der Frau Anna Seiler, in; Sechshundert Jahre Inselspital 1354-1954, Bern 1954, S. 22. 186 Welti, Tellbuch 1448, S. 561. 187 Vgl. dazu Kapitel III ,,2.2.2 . Kaufleute, Juden und Lombarden", 188 Udelbuch von 1389, StABE: B XIII 28. S. 147. 226 IV. Die raurnliche Gliederung des Stadrgebieres

zu Beginn des 16. Jahrhunderts gelungen zu sein, den Antoniterherren, wie er dies be• reits im Jahre 1479 vergeblich versucht hatte, einen stadtischen Vogt vorzusetzen, der die Wirtschaftsfiihrung des Spirals kontrollierte.

7.4.4. Das Obere Spital

Die wichtigste geistliche Institution der Ausseren Neustadt war das urn 1233 gestiftete Hei• liggeist- oder Obere Spital189. Obwohl das Spital eine kirchliche Griindung darstellte, wurde es bereits in der ersten Halfte des 14. jahrhunderrs in ein stadtisches Spital umge• wandelt , dem ein Mitglied des Rates der Zweihundert als Oberer Spitalvogt vorstand. Das Spitalgebaude selbst teilte sich spatestens seit dem 14. jahrhundert in ein Wohnhaus, in dem im Obergeschoss die Ordensbriider und im Erdgeschoss der Schlafsaal der Bedurfri• gen untergebracht waren. Daneben befand sich eine Kapelle mit dazugehorigern Friedhof. Die Oberen Spitalherren waren die grossten Grundbesitzer innerhalb der Ausseren Neu• stadt. Vor allem in dem nur locker bebauten Areal zwischen der Spital- und verfugte das Obere Spital wahrend des Sparmittelalrers uber mehrere Liegenschaften und Garten, die die Spitalherren enrweder selbst bewirtschafteten oder gegen einen jahrlichen Zins an einzelne Biirger weitergaben. Die Spitalkapelle enrwickelte sich ahnlich der Nydeggkapelle im Verlauf des 14. und 15. jahrhunderts zum religiosen Zentrum der umgebenden Quartierbevolkerung. Diese Ent• wicklung zeigt sich deutlich in der Vergabung des wohlhabenden Biirgers Johannes Wala von Greyerz aus dem Jahre 1374 19°.Dieser stifiete im Oberen Spital eine ewige Friihmesse, die er ausdriicklich den in der Oberstadt ansassigen Handwerkern widmete. Johannes Wala begriindete seine Schenkung mit den Worten, dass er den Handwerkern in der Neustadt zukiinftig den weiten Weg zur taglichen Fruhmesse in der Leutkirche ersparen wolle und ihnen deshalb in der Spitalkapelle eine eigene Friihmesse gestiftet habe'?'. 1448 zahlte das Spital insgesamt 46 Betten 192. 1mJahre 1462 reduzierte der Berner Rat die Ausstattung des Oberen Spirals jedoch wegen der stetig wachsenden Kosten fiir den Unterhalt der pflege• bediirftigen Personen auf hochstens 30 Betten 193.

7.4.5. Das Niedere Spital

Das Niedere Spital war im Unterschied zum 1233 gestifteten Heiliggeistspital eine rein stadtische Griindung. Die Berner Biirgerschaft errichtete das Spital im Jahre 1307 rirtlings iiber den gegen die Aare fliessenden Stadtbach zwischen zwei steinernen Briicken am un-

189 Morgenthaler, Bilder, S. 104 ff. 190 FRB/9, Nr. 865, S. 402 f. (24. Juli 1374). 191 Feller, Geschichte, S. 151. 192 Welti, Tellbuch 1448, S. 403. 193 RQBern Ill, Nr. 218, S. 137 f. IV. Die raurnliche Gliederung des Sradrgebietes 227 teren Ausgang der Post- und Cerechtigkeirsgassel". Das Gebaude beherbergte neben zahlreichen Pfrundnern auch mehrere Pflegeplatze filr Kranke , wobei das Spital bei der Krankenpflege durch die dem Niederen Spitalrneister unterstellten Beginen an der jun• kern- und Herrengasse unterstutzr wurde195. Mit der Aufschiittung des ehemaligen Burggrabens und dem Einbezug des Nydeggstaldens ins Stadtgebiet veranderte sich je• doch die stadtebauliche Situation des Niederen Spirals, das seine urspriingliche Randl age verlor. Der Rat beschloss deshalb, dass bestehende Gebaude aufzugeben und das Spital im Jahre 1335 vor die Stadtrnauern auf den Boden der Kirchgemeinde Muri zu verle• gen. Als Baugrund wies er dem neuen Spital verschiedene Acker und Garten sudlich des Untertors zu, deren Besitzer die Bauherren anhielten, ihre Grundstilcke gegen einen vom Rat festgelegten Tarif an den Spitalmeister zu verkaufent'v. Neben dem Spital erbaute die Bilrgerschaft eine Kapelle mit dazugehorigem kleinen Friedhof. Bereits 1335 hatre die 1344 geweihte Spitalkapelle von den Augustinerchor• herren von Interlaken, den Patronatsherren der Pfarrei Muri, das Recht erhalten, den Spitalbewohnern die christlichen Sakramente zu spenden. Urn die Stiftungstatigkeit der Bilrgerschaft anzuregen, vergabte der Berner Rat 1340 nach dem glanzvollen Sieg vor Laupen eine ewige Messe an das ausserhalb der Stadtmauern gelegene Spital, die jedes Jahr am St. Magdalenentag (22. Juli) von den dortigen Priestern begangen wer• den sollte 197. Die Spitalkapelle wurde wie aile stadtischen Stiftungen durch den Deut• schen Orden betreut, der im Niederen Spital urn 1450 tiber rund sieben Kleriker an insgesamt filnf Altaren verfiigte . Im Jahre 1457 zahlte das Spital 100 Betten, deren Zahl der Rat 1462 im Zuge der in diesem Jahr durchgefuhrten Reorganisation des stadtischen Krankenwesens auf hochstens 80 Pflegeplarze beschranktel'".

7.4.6. Das Siechenhaus

Bereits in der zweiten Halfte des 13. Jahrhunderts befand sich im Bereich des Un• tertores das bernische Siechenhaus. Hier wurden die mit Lepra infizierten Stadtbe• wohner untergebracht und verpflegt-?". Das Siechenhaus war wie das Niedere Spital mit einer eigenen Kapelle ausgestattet. Nach der Vergabung von Adelheid von See• dorf, genannt von , die die Kaplanei im Siechenhaus 1369 gestifret harte, sollte der Siechenkaplan jeweils taglich eine Messe fUr die Aussatzigen lesen 20o• Zu-

194 Studer, jusringer, Nr. 71, S. 41; sowie Morgenthaler, Bilder, S. 147 f. 195 Vgl. dazu Kapitel IV ,,7.5. Die Beginenhauser", 196 FRB/6, Nr. 219, S. 209 f. (14. August 1335). 197 Studer, ju stinger, Nr. 145, S. 101. 198 RQ Bern Ill, Nr. 218, S. 137 f. 199 Die Leprosen bei der Unteren Briicke werden im Jahre 1284 zum ersrenrnal erwahnr. Zum stadrischen Siechenhaus vgl. Morgenthaler, Bilder, S. 146 f. 200 FRB/9, Nr. 274, S. 162 f. (1. Februar 1369). 228 IV. Die raurnliche Gliederung des Sradrgebieres

dem hatte er sich bei der Kapelle oder in der Gegend ostlich der Untertorbriicke eine Wohnung zu suchen, damit ihn die Insassen des Siechenhauses jederzeit erreichen konn• ten. Nur in Kriegszeiten sollte es ihm erlaubt sein, innerhalb der Stadtmauern Zuflucht zu suchen. Das Wohnhaus des Siechenkaplans (VI.) befand sich jedoch im Jahre 1389 entgegen der von Adelheid von Seedorf gemachten Bestimmungen westlich der Unter• torbrucke und wurde durch die Sradtbefesrigungen vom Siechenhaus getrennr-vl. Ver• waltet wurde das Siechenhaus seit dem 14. Jahrhundert durch den Vogt der Feld- oder Sondersiechen.

7.5. Die Beginenhauser

Ahnlich wie die Spitaler wurden auch die Beginenhauser im Verlauf des 13. und 14. jahrhunderts von wohlhabenden Biirgerfamilien zur Griindung karitativ-religioser Frauengemeinschaften gestiftet (Abb. 8)202. Bereits in der zweiten Halfte des 13. Jahrhunderts entsranden in Bern mit den Schwestern an der Briicke (1) und den Be• ginen beim Pfarrkirchhof (2) zwei halbreligiose Vereinigungen von Frauen, die ein frommes, gottgefalliges Leben fiihrten, ohne jedoch einem der bestehenden Orden anzugehoren203. Infolge der vom Berner Rat veranlassten Ubersiedlung der Schwes• tern an der Briicke von der Untertorbriicke an die Herrengasse 1288 und dem Ver• bot der nicht regulierten Begarden204 und Beginen durch das Konzil von Vienne 1311/12 verloren die beiden Schwesterngemeinschaften jedoch ihre Selbstandigkeit und wurden unter die Aufsicht des Rates gestellt. Am Ende des 14. Jahrhunderts existierten mit dem Browenhaus (3), dem Meister Jordan Haus (4), dem Isenhuthaus (5), dem Krattingerhaus (6), der Beginenge• meinschaft an der nordlichen Herrengasse (7), den Willigen Armen (8) und dem Dietrich Haus (9) schliesslich sieben weitere Beginenhauser, deren Seelsorge einer• seits die Franziskaner, andererseits der Deutsche Orden als Inhaber der Stadtpfarrei wahrnahmen. Die Vogtei tiber die Schwesterngemeinschaften besass der Schultheiss, der zusammen mit dem Niederen Spitalmeister die wirtschafdichen und rechdichen Belange der Beginen verwaltete. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts verringerte der Rat die Zahl der Schwesternhauser jedoch von neun auf vier Gemeinschaften, wobei er die Arbeitskraft der Beginen den drei wichtigsten Gotteshausem in der Stadt der pfarrkirche St. Vinzenz sowie der Dominikaner- und Franziskanerkirche zuordnete.

201 Welti, Tellbiicher 1389, S. 591. 202 Zur Topografie der Beginenhauser vgl. Turler, Bilder, S. 38 ff. 203 Zum bernischen Beginenwesen wahrend des Sparminelalrers vgl. Utz Tremp, Kerzerei, S. 27-52; sowie Morgenthaler, Bilder, S. 122-125 . 204 Die halbreligiosen Vereinigungen von Mannern wurden in Anlehnung an die Beginen als Begarden be• zeichner . IV. Die raumliche Gliederung des Sradtgebieres 229

7.5.1. Die Weissen Schwestern

In den Jahren 1331 und 1340 entsranden mit dem Browenhaus (3), dem Meister Jor• dan Haus (4) und dem Isenhuthaus (5) innerhalb von nur neun Jahren drei Schwes• terngemeinschaften, deren Hauser aIle an der oberen Junkerngasse standen. An der Junkerngasse etablierte sich somit urn die Mitte des 14. Jahrhunderts ein eigentliches Zentrum von Beginen, die in Anlehnung an die Ordenstracht der Deutschherren "Weisse Schwestern" genanm wurden und deren Hauser sich zwischen der Pfarrkirche von St. Vinzenz und dem Niederen Spital situierten-v>. Treibende Krafte dieser Neu• grtindungen waren der Deutschordensbruder Diebold Baselwind und der damals amtie• rende Schultheiss Johannes von Bubenberg junior, dessen Adelshof sich in nachster Nachbarschaft zu den drei Schwesterngemeinschaften befand. Als Erstes stiftete am 28. Juni 1331 der Deutschordensbruder Ulrich, genanm Browe, mit Einwilligung des Leutpriesters Diebold Baselwind als Testamenrsvollsrrecker des Sradtarztes Meister Jordan zwei Hauser an der oberen junkerngasse, deren Nutzungs• rechte er dem Niederen Spital tibertrug206. Die Schenkung wurde an die Bedingung ge• knupft, dass jedes der neu gegrtindeten Beginenhauser hochstens dreizehn oder mindes• tens zehn Frauen beherbergen sollte. Urn zu verhindern, dass es in Bern wie etwa in Strassburg (1317-1319) oder in Basel (1318-1321) zu blutigen Beginenverfolgungen kommen konnte, wurde den Frauen verboten, die franziskanische Drittordensregel an• zunehmen, die nach der Meinung von Schultheiss und Rat eine der Ursachen ftir deren Verfolgung darstellte. Die Vogtei tiber die Schwesterngemeinschaften tibernahm Johan• nes von Bubenberg, der die neu gegrtindeten Beginenhauser zusammen mit dem stadri• schen Leutpriester beaufsichtigte. Eine ahnliche Politik verfolgte der Berner Rat auch bei der Stiftung des Rudolf Isen• hut, dessen Witwe Margareta ihr Wohnhaus bei der schaal im Jahre 1340 halbreligiosen Frauen zur Grtindung eines Beginenhauses verrnachte-v/. Das Cebaude an der Kramgasse scheint jedoch schon bald nach dem Tod Margareta Isenhuts auf Betreiben des Schult• heissen Johannes von Bubenberg gegen ein Haus ostlich der Bubenberghauser an der Junkerngasse eingetauscht worden zu sein. Nach der Stiftungsurkunde mussten im Isen• hurhaus ebenfalls dreizehn Frauen wohnen, die ein keusches Leben ftihren und ausser dem Wohnrecht keinerlei Rechte an dem Haus besitzen sollten. Wie bei dem neun Jahre zuvor gegrtindeten Browen- und Meister Jordan Haus wurde die Nutzniessung des Isen• huthauses dem Niederen Spital ubertragen, wahrend sich der Deutsche Orden urn die Seelsorge der Schwestern kumrnerte. Da der Bedarf an Beginenhausern mit diesen

205 Utz Tremp, Ketzerei, S. 42-46. 206 Kathrin Utz Tremp, Die Beginen in der Stadt Bern, in: Die Beginen und Begarden in der Schweiz, hg. von Cecile Sommer-Ramer (Helvetia Sacra, Abr, 9, Bd. 2), Basel/Frankfurt 1995, S. 283-295. 207 Utz Tremp, Beginen, S. 299-304. 230 IV. Die raurnliche Gliederung des Sradrgebieres

Neugriindungen in der ersten Halfre des 14. jahrhunderts bereits weitgehend gedeckt war, sollte das Isenhuthaus vornehmlich armen Frauen offen stehen, die sunder minner undfrumer der durftigen sint. Neue Beginen mussten deshalb nach dem Willen der Stif• terin von Schultheiss und Rat nach den Kriterien der Bediirftigkeit, Armut, Krankheit und des Alters aufgenommen werden.

7.5.2. Die Grauen Schwestern

Ein zweites Zentrum von Beginenhausern entstand im Verlauf des 14. Jahrhunderts an der Herrengasse . Mit den Schwestern an der Briicke (1), dem 1356 gestifteten Krattin• gerhaus (6) und der im Tellbuch von 1389 erwahnten Beginengemeinschaft an der nord• lichen Herrengasse (7) entstanden zwischen der St. Vinzenzkirche und dem Franziskaner• kloster drei Schwesterngemeinschaften, die sich im Unterschied zu den Beginen an der Junkerngasse zur dritten Regel des Franziskanerordens bekannten. Sie wurden in Anleh• nung an die Ordenskleider der Betrelmonche die "Grauen Schwestern" genannt. Schon friih mit dem Franziskanerorden verbunden waren die Schwestern an der Briicke. Sie bewohnten seit ihrer Vertreibung durch die Truppen Konig Rudolfs von Habsburg 1288 ein Haus an der siidlichen Herrengasse (1). Wahrscheinlich in Zu• sammenhang mit den Beginenverfolgungen in Basel und Strassburg scheint der Rat die Kontrolle uber die der franziskanischen Drittordensregel unterstehenden Schwestern an der Briicke zu Beginn des 14. Jahrhunderts verstarkt zu haben und setzte den Begi• nen den Schultheissen als sradtischen Vogt vor208. 1409 erlaubte ihnen dann der Rat, ihr Wohnhaus, das wah rend des Stadtbrandes von 1405 abgebrannt war, an gleicher Stelle wieder zu einem huse und herberg aufzubauen, wobei er das norwendige Bauholz aus dem Bremgartenwald beizusteuern versprach. Die Schwestern mussten im Gegen• zug geloben, von dishin daz heilig sacrament zu der lialeilchen ze Berne emphahen und [sich] ouch mitandren sachen halten gegen der selben liaeilcben alz ander undertanen der selben kirchen209. Die dem Franziskanerorden unterstehenden Beginen behielten auf diese Weise zwar auch im 15. Jahrhundert ihren Status als Franziskaner-Terziarinnen, das Spenden der Sakramente gestand der Berner Rat jedoch allein den Deutschherren in der St. Vinzenzkirche zu. Erst ins [ahr 1356 fiel die Stiftung Peter Krattingers (6). Dieser vermachte sein Wohn• haus an der Herrengasse westlich des Michaelstiirlis sechs swestren mit namen regelswestren vom dritten orden Barfussen ordens. Nach der Stiftungsurkunde sollten die Beginen bei der Aufnahme ein Geliibde ablegen, in dem sie sich zum gemeinschaftlichen Leben an einem Tisch und in einem Schlafsaal verpflichteten. Das reiche Stiftungsgut des Krat• tingerhauses gehorte allen sechs Schwestern, deren Seelsorge, wie dies auch bei den an-

208 Utz Tremp, Beginen, S. 269-273. 209 StABE: Urkunde vom 11. Januar 1409; Fach Stifr. IV. Die raurnliche Gliederung des Sradrgebieres 231 deren Beginenhausern der Fall war, den Deutschordenspriestern in der Leutkirche iiber• tragen wurde. Obwohl das Nutzungsrecht des Krattingerhauses 1356 ebenfalls dem Niederen Spital und dessen Vogt zufie!, verlagerte sich die Tatigkeit dieser Beginen seit der zweiten Halfte des 14. jahrhunderts von der aktiven Krankenpflege zunehmend auf die liturgische Pflege des Gedachmisses der Stifterfamilie. So mussten die Schwes• tern nach dem letzten Willen Peter Krattingers jeden Tag sieben Paternoster und Ave Marias fiir das See!enheil seiner Familie sprechen, deren Jahrzeit sie auf seinem Grab zu begehen hatten. Das 1405 abgebrannte Krattingerhaus wurde zu den gleichen Be• dingungen wieder aufgebaut wie das Beginenhaus an der Briicke.

Nicht den Franziskanern sondern den Deutschherren unterstanden die Beginen beim Pfarrkirchhof. Ihr Haus fie! 1428 dem Neubau des Deutschordenshauses am Sudrand des heutigen Miinsterplatzes zum Opfer (2)210. Die Beginen beim Pfarrkirchhofwaren die neben den Schwestern an der Briicke alteste Beginengemeinschaft Berns. Ihre Be• wohnerinnen rekrutierten sich seit ihrer ersten Nennung 1301 vornehmlich aus den wohlhabenden Biirgergeschlechtern der Stadt. Im Unterschied zu den Beginenhausern an der junkerngasse, deren Griindung eng mit dem Schultheissen Johannes von Buben• berg und dem Deutschordenspriester Diebold Base!wind verbunden war, werden bei der Schwesterngemeinschaft beim Pfarrkirchhof die beiden nichtadligen Schultheisse Kon• rad und Lorenz Munzer als deren stadtische Vogte genannt. Auch nach der Wahl Jo• hannes von Bubenbergs zum Schultheissen 1324 blieb Lorenz Miinzer Vogt dieser Be• ginengemeinschaft. Zwischen 1322 und 1333 kam es jedoch zu einer kurzfristigen Abspaltung eines zweiten Beginenhauses, das sich nach seinem neuen Standort an der Herrengasse die Obere Samnung nannte und wahrscheinlich zu der vom Berner Rat bekampften Drittordensrege! der Franziskaner iiberwechse!te. Auf Betreiben des Rates und des Leutpriesters Diebold Base!wind wurde die Obere Samnung schon bald nach ihrer Grundung wieder aufgehoben. Nachdem dann auch Lorenz Munzer urn 1336 als Vogt abgelost worden war und sich der Besitzstand der Beginen beim Pfarrkirchhof durch Stiftungen und Erwerbungen erheblich vergrossert hatte, wandelte der Rat die Schwesterngemeinschaft 1342 schliesslich in ein eigentliches Frauenkloster urn. Die Nonnen unterstellte er dabei direkt dem Leutpriester von St. Vinzenz. Das Frauenklos• ter im Ruwental, wie die Schwesterngemeinschaft nach ihrer Inkorporation in den Deutschen Orden genannt wurde, fie! 1405 wie die iibrigen Beginenhauser an der Her• rengasse dem grossen Sradtbrand zum Opfer. Auf einen Wiederaufbau der Klosterge• baude schien in der Folge jedoch verzichtet worden zu sein. Denn als 1428 mit dem Neu• bau des Deutschordenshauses begonnen wurde, musste nur noch eine einze!ne Ordensschwester mit einer Leibrente abgefunden werden-U ,

210 Utz Tremp , Beginen, S. 274-282. 211 TiMer, Bilder,S. 37. 232 IV. Die raurnliche Gliederung des Stadtgebieres

Nach dem Stadtbrand von 1405 durfte auch die vierte Gemeinschaft von Beginen (7) hinter dem Chor der Franziskanerkirche verschwunden sein. Die Frauen lebten nach dem Tellbuch von 1389 in der nordl ichen Hauserzeile der Herrengasse-t-. Die Lage die• ses wahrscheinlich spontan entstandenen Beginenhauses lasst vermuten, dass auch diese Schwesterngemeinschaft der Drittordensregel der Franziskaner angehort hat . In der Inneren Neustadt befanden sich mit den Beginenhausern der Willigen Armen (8) und dem Dietrich Haus (9) zudem zwei weitere Schwesterngemeinschaften, die wahrscheinlich ohne die Einflussnahme des Berner Rates zu Beginn des 14. jahrhun• derts gestiftet worden sind 213• Obwohl beide Beginenhauser in nachster Nahe zum Do• minikanerkloster respektive zum Inselkloster standen, scheinen diese im 14. und 15. Jahrhundert ebenfalls nach der dritten Regel des Franziskanerordens gelebt zu haben . Im Jahre 1501 bestatigten Schultheiss und Rat jedenfalls die Aufsichtspflicht der Franziska• ner uber die Beginen an der Zeughausgasse, die dadurch den gleichen rechtlichen Status erhielten wie die Schwestern an der Herrengasse.

Nachdem der Berner Rat bereits nach dem Stadtbrand von 1405 aufden Wiederaufbau der beiden Schwesrernhauser an der nordlichen Herrengasse und beim Pfarrkirchhof verzichtet harte, hob er zwischen 1459 und 1467 auch das Krattingerhaus westlich des Michaelsturlis auf und vereinigte die dort lebenden Frauen mit denjenigen im Beginen• haus an der Brucke. Bereits vor 1435 war auch das an der Marktgasse gelegene Dietrich Haus verschwunden, wahrend Schultheiss und Rat die Beginengemeinschaft im Meister Jordan Haus zwischen 1448 und 1458 mit derjenigen im Isenhuthaus zusammenlegten. Mit der Reduktion der Beginenhauser von neun aufvier Gemeinschaften manifestierte der Berner Rat seinen Willen , die Aufsichtspflicht tiber die stadtischen Beginen wahrend des 15. Jahrhunderts weiter zu verstarken, Zugleich beschloss er, die Aufgaben der Frauen zu reformieren, indem er deren Tatigkeir von der Armen- und Krankenpflege zu• nehmend auf die Begehung von Jahrzeiten ausrichtete-l't. Die Schwestern sollren die Priester beim Lesen der Seelenmessen unterstiitzen und am jahrlichen Todestag der Ver• storbenen verschiedene Gebete sprechen, deren Graber schrniicken und Spenden fur die Armen verteilen. Das Geld fur die Abhaltung des Totengedenkens erhielten die Schwes• terngemeinschaften jeweils in Form von Jahrzeitstiftungen aus der Sradtbevolkerung zugesprochen. In einem 1499 verfiigtenTestament regelteder Berner Rat schliesslich auch das Totenge• denken der Beginen neu. Er ordnete alle vier am Ende des 15. Jahrhunderts noch bestehen• den Schwesternhauser denjenigen Kirchen zu, denen sie auch topografisch nahe standen.

212 Das Tellbuch nennt mit swester Hemmi, swester Greda und swester Anna drei Beginen, die gemeinsam ein Haus an der Herrengasse bewohnten; We/ti, Tellbucher 1389, S. 520. 213 Utz Tremp, Beginen, S. III und 298 f. 214 Utz Tremp, Beginen, S. 258-262. IV. Die raumliche Gliederung des Stadtgebietes 233

Er bestimmte, dass die swestern vordenpredigern die Graber bei den Dorninikanerkirche, die swestern an der herrengassen von Egerden die Graber bei der Franziskanerkirche und die wissen swestern in dem broutoenhus mit hilffderen in isenhuotts hus jeweils die Graber der Liebfrauenkapelle im Munster zu begehen hatten-t>. Die sich bereits wahrend des 14. jahrhunderrs abzeichnende Konzentration der bern ischen Beginengemeinschaften rund urn die drei wichtigsten Stadtkirchen fand somit am Ende des Mittelaltes ihren von Schultheiss und Rat sanktionierten Abschluss.

7.6. Die Stadrhauser auswartiger Kloster

Die in der Umgebung von Bern beguterten Kloster unterhielten im 15. Jahrhundert ins• gesamt 13 Sradthauser, die sie als Herbergen und Verwaltungsmittelpunkte ihrer ausge• dehnten Grundbesitzungen in der Nachbarschaft Berns nutzten (Abb. 8)216. Die Kloster• hofe waren gleichzeitig Residenz wie Herrschaftszentrum. In den Sradthofen residierten die Ordensgeistlichen, wenn sie nach Bern kamen, urn mit der Burgerschaft Geschafre ab• zuwickeln oder wenn sie als Ausburger den Rechtsschutz des stadrischen Gerichts bean• spruchten. Die Stadthofe waren aber auch Zufluchtsorte fur die Klostergemeinschaften, die sich in Kriegszeiten hinter die Sradrmauern fluchteten und ihre Reliquien in der Stadt in Sicherheit brachten-!". Neben Schlaf- und Wohnraumen befanden sich in den Klos• terhofen haufig auch Vorratsspeicher, in denen die von den Monchen erwirtschafteten landwirtschaftlichen Erzeugnisse wie Korn oder Wein gelagert wurden. Wahrend die Kloster ihre landwirtschaftl ichen Produkte aufdiese Weise gewinnbringend aufdem stad• tischen Markt anbieten konnten, erhielten Schultheiss und Rat die Moglichkeit, in Not• und Kriegszeiten auf die reichen Korn- und Weinvorrate der geistlichen Niederlassungen zuruckzugreifen, urn dadurch Hunger und soziale Unruhen innerhalb der Burgerschaft zu verhindern. Diese wichtige okonomische Bedeutung der Klosterhofe zeigt sich auch darin, dass der Rat deren weltliche Verwalrer, die sogenannten Klosterschaffner, wahr• scheinlich bereits im 13. Jahrhundert dazu errnachtigte, ihr Korn auch ausserhalb der kommunalen Markte direkt in ihren eigenen Hausern an die Sradtbevolkerung zu verkaufen-l". Zudem verwalteten einzelne Ratsmitglieder als sogenannte Kasrvogte die

215 Utz Tremp, Ketzerei, S. 43 If. 216 Zu Punktion und Bedeutung mirtelalterlicher K1osterhofe vgl. Reinhard Schneider, Stadrhofe der Zis• terzienser, Zu ihrer Funktion und Bedeutung, in: Zisterzienser-Studien IV (Studien zur europaischen Geschichte 14), Berlin 1979, S. 11-28. 217 Im Jahre 1303 sahen sich beispielsweise die Benedikrinermonche von Trub im Emmental dazu genorigr, ihre Reliquien vor den Dbergriffen Thiiring von Brandis nach Bern in Sicherheit zu bringen; FRB/4, Nr. 106, S. 118 (15. januar 1303). 218 Noch im 15. jahrhundert raurnre der Rat den stadtischen Klosterhofen das Recht ein, ir korn in irn biisern zu verkaufen. Sie durften mit ihren Getreidevorraten jedoch nicht spekulieren; RQ Bern VIII/I, Nr.8,S.10f. 234 IV. Die raurnliche GIiederung des Sradrgebietes

winschaftlichen Angelegenheiten der in der Umgebung Berns begtiterren Abteien, deren Ernteertrage der Rat auf diese Weise bereits seit dem 14. Jahrhunderr indirekt kontrol• lierte-!". Neben den okonornischen kamen den Stadthofen wah rend des Sparmittelalters auch wichtige politische und rechtliche Funktionen zu. Die Klosterhofe waren in der Regel Udelhauser, an denen die Rechte und Verpflichtungen der mit Bern verburgrechteten Kloster hafteten220• Die meisten auswartigen Orden unterhielten zudem enge familiare Kontakte mit den fuhrenden sradtsassigen Adelsfamilien, deren Angehorige sich seit dem 13. Jahrhunderr in grosser Zahl in die benachbarren Klostergemeinschaften aufnehmen liessen. Verschiedene Liegenschaften vor allem in den wohlhabenden Wohngegenden der zahringischen Grtindungsstadt gingen deshalb im Verlauf des 14. und 15. Jahrhun• derts als Fromme Stiftungen in den Besitz geistlicher Institutionen tiber. Die Orden ver• standen es dabei, ihre ursprtinglich meist einfachen Stadthauser durch den Kauf ver• schiedener Nachbarliegenschaften bis zum Ende des Mittelalters in reprasentarive Klosterhofe um- und ausbauen zu lassen221•

Die engen sozialen Kontakr e zwischen den Klerikern und den Berner Adelsfamilien hatten zur Folge, dasszahlreiche Liegenschaften vor allem in der stidlichen Junkerngasse an geistliche Orden tibergingen. 1m 15.Jahrhunderr befanden sich an dieser Gasse nicht weniger alssieben Stadth auser im Besitz meist reich begurerter Kloster. Grosse okonornische und politische Be• deutung kam dabei den beiden Stadthofen der Augustinerchorherren von Interlaken (a) und der Zisterzienser von Frienisberg (b) zu. Die Vorsteher dieser Kloster begleireren wiederholt Gesandtschaften des Berner Rates und nahmen insbesond ere beiVerhandlungen mit adligen Herrschafrsrragern wahrend des 13. und 14. [ahrhunderts die Interessen der Btirgerschaft wahr 222. Die Augustinerchorherren von Interlaken erscheinen bereits urn die Mine des 13. jahr• hundens im Besitz des bernischen Burgrechrs. Diese vor allem im Oberland reich begu• terre Propstei muss deshalb schon sehr fruh auch tiber Grund- und Hausbesitz in Bern ver• fugt haben 223. 1m Jahre 1389 besassen die Augustinerchorherren dann eine grossere Liegenschaft am oberen Ausgang der Junkerngasse, die sich durch ihre exklusive Lage in der Nahe der Kreuzgasse und der St. Vinzenzkirche auszeichnete. Auch die Zisterzienser von

219 Zahnd, Bern, S. 2 14 f. 220 Vgl. dazu Kapitel III ,,1.1.2. Das Udel". 221 Tiirler, Bilder, S. 43. 222 Der Abr von Frienisberg gehorre beispielsweise zu jener bernischen Gesandtschaft, die nach der Nie• derlage an der Schosshalde 1289 die schwierigen Friedensverhandlungen mit Konig Rudolf von Habs• burg in Baden fuhrt e; Feller, Geschichre, S. 61 f. Vgl. dazu auch die Griindungsurkunde des Browen• hauses an der Junkerngasse, in der neben dem Schultheissen Johannes von Bubenberg junior auch der apt dezgotzhuses von Frienisbergund der probstdezgotzhuses von Inderlappen als Zeugen aufgefuhrt sind; FRB/5, Nr. 760, S. 811-871 (9. August 1331). 223 FRB/2, Nr. 583, S. 627 f. (2. Mai 1265). IV. Die raumliche Gliederung des Sradrgebieres 235

Frienisberg verfiigren bereits 1285 nachweislich tiber ein Haus in der Stadt Bern224. Ihr Klosterhof an der unteren Junkerngasse ging jedoch erst in Zusammenhang mit der Auf• schuttung des ehemaligen Burggrabens von Nydegg in der ersten Halfte des 14. Jahrhun• derts in ihren Besitz liber225• Beim Verkauf verschiedener Gerichtsherrschaften der ver• schuldeten Abtei an die Blirgerschaft 1380 wird schliesslich erstmals ausdrlicklich ein Haus erwahnt, dar inne wir [die Zisterzienser] unser niderlas haben, so wirgen Berne komen226•

Auch die Karrauser von Thorberg (c) und die Zisterzienserinnen von Fraubrunnen (d) be• sassen seit dem 14. Jahrhundert je einen Sradthofan der oberen Junkerngasse. Diese zeich• neren sich durch ihre bevorzugte Wohnlage in der Nachbarschaft der St. Vinzenzkirche aus. Am 19. juni 1335 stifteten Junker Peter von Aegerten und seine Gattin Agnes ihr Haus an der Junkerngasse der Zisterzienserinnenabtei von Fraubrunnen-F. In der Stiftungsurkunde wird festgelegt, dass die Nonnen die geschenkte Liegenschaft als ewige Herberge nutzen sollten, solange diese die jahrzeit des 1342 verstorbenen Peter von Aegerten abhielten. Wegen der grossen wirtschaftlichen Bedeutung von Fraubrunnen, das wahrend des Mittel• alters zu den reichsten Frauenklostem im Aareraum zahlte, richteren sich die Interessen der Berner Ratsfamilien schon frlih auf die ausgedehnten Besitzungen dieser Abtei. 1m Jahre 1391 erscheint der Bruder des 1407 zum Schultheissen gewahlten Peter von Krauchthal, der Kleinrat Gerhard von Krauchthal, im Besitz der Klostervogtei von Fraubrunnen. Bezeich• nenderweise befand sich sein Wohnhaus 1389 nur drei Hauser oberhalb des Klosterhofes. Enge personliche Kontakte unterhielt die Familie von Krauchthal auch zu der 1397 vom Freiherren Peter von Thorberg gestifteten Karrause von Thorberg. Diese wurde zu Beginn des 15. Jahrhunderts an der Stelle der ehemaligen Stammburg der Herren von Thorberg hoch uber dem Dorf Krauchthal errichret, Nach dem Tode Peter von Krauch• thals 1425 vermachte dessen Witwe ihre beiden Wohnhauser an der oberen Junkerngasse an die neu gegrlindete Kartause228• Peter von Thorberg harte das Kloster 1397 mit ausge• dehnten Grund- und Gerichtsherrschaften in der Umgebung Berns ausgestanet. Oem Stadthof kam deshalb bereits vor dem Tode Anna von Krauchthals 1464 die Bedeutung einer stadtischen Klosterschaffnerei zu229•

224 FRBt3, Nr. 405, S. 381 ff. (20. Mai 1285); sowie EmilA. Erdin, Frienisberg, in: Die Zisterzienser und Zisterzienserinnen, die reformierten Bernhardinerinnen, die Trappisten und Trappistinnen und die Wilhelmi ten in der Schweiz, hg. von Cecile Sommer-Ramer und Patrick Braun (Helvetia Sacra, Ab• teilung 3, Die Orden mit Benediktinerregel, Bd. 3, Teil!), Bern 1982, S. 128 ff. 225 1m Jahre 1302 stifteren Ulrich und Peter von Bolligen ihr Wohnhaus an der unteren Junkerngasse an die Zisterzienserabtei von Frienisberg; VOn Rodt, Stadtgeschichre, S. 189. 226 FRBt10, Nr. 124, S. 57 ff. (14. Februar 1380). 227 tu-t«. Junkerngasse, S. 209 ff. Bereits im Jahre 1330 wird ein Gebaude im Bereich zwischen Unter• torbrucke und Trenkenturli im Besitz der Zisterzienserinnen von Fraubrunnen erwahnr: VOn Rodt, Stadrgeschichre, S. 189 f. 228 Turler, Junkerngasse, S. 186 f. 229 Tarter, Bilder, S. 42. 236 IV. Die raurnliche Gliederung des Stadrgebietes

Ostlich der Hofstatt befanden sich die Stadthauser der Augustinerinnen von Frauen• kappelen (e) und der Augustinerchorherren von Darstetten (f). Die beiden Gebaude werden seit dem 14. Jahrhundert im Besitz dieser Kloster genannt. Obwohl die Augus• tinerinnen vor allem bei der Schultheissenfamilie von Bubenberg in hohem Ansehen standen und zahlreiche Angehorige dieses Geschlechts seit dem 13. Jahrhundert als Nonnen in Frauenkappelen eintraten, scheint der Stadthofdieser okonomisch nichr sehr bedeutenden Abtei kleiner gewesen zu sein als die ubrigen Klosterhofe an der Junkern• gasse. Das Gleiche gilt fur das Sradthaus des oberlandischen Augustinerpriorats von Dar• stetten (f). Dieses verfiigte wahrend des Spatrnittelalters nur uber geringe Einkunfte im unteren Simmental. Abgeschlossen wurde die Reihe der klosterlichen Stadthauser an der Junkerngasse durch den Hof der seelandischen Benediktinerabtei St. Johannsen bei Erlach (g). Das Stadthaus der Benediktinermonche stand in nachster Nachbarschaft zu demjenigen der Zisterzienser von Frienisberg (b) und fasste wie dieses mehrere altere Wohnhauser in einem geraurnigen Cebaude zusammen-J", Die Liegenschaft scheint jedoch erst nach dem Obergang der Klostervogtei an den Berner Rat, der seit 1395 zusammen mit den Grafen von Neuenburg die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Konvents beaufsich• tigte, in den Besitz dieser reichen Abtei ubergegangen zu sein231.

Weitere Klosrerhofe befanden sich im 15. Jahrhundert mit denjenigen der Johanniter von Munchenbuchsee (k) und der Cluniazenser von Rueggisberg (i) am unteren Ausgang der Rathausgasse. Wahrend die Niederlassung der Cluniazenser nur ein einfaches Burgerhaus gewesen sein durfte, war der Klosterhof der johanniter ein reprasentatives Gebaude, das ahnlich wie die Stadthofe an der Junkerngasse im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts an der Stelle verschiedener alterer Hauser errichtet worden war. Die Bedeutung des Kloster• hofes westlich des neuen Rathauses zeigt sich auch darin, dass dieser wie alle grosseren kirchlichen Niederlassungen in Bern wahrend des Mittelalters als Asyl fur Tocschlager galt232. In der Nahe der Kreuzgasse befand sich im 15. Jahrhundert zudem der Stadthofder Benedikriner von Trub (1). Ihre Herberge stand einige Hauser unterhalb des Zunfthauses zu Niederschuhmachern an der oberen Gerechtigkeitsgasse. Am Rand der zahringischen Crundungssradt im Bereich des nach 1405 aufgefullten Stadtgrabens vor dem Zeitglockenturm finden sich im 15. Jahrhundert schliesslich noch zwei weitere klosterliche Liegenschaften. Diese wurden von den Zisterzienserinnen von Fraubrunnen (d) und Detligen (rn) genutzt. Der Kaufdieser beiden Eckhauser durch die beiden Frauenkloster macht deutlich, dass das Sozialprestige des Zibelegassleins mit der

230 Tiirler, Bilder, S. 42. 231 Der Berner Rat und die Grafen von Neuenburg wechselten sich in der Klostervogtei jahrlich ab, Hans A. Michel, Die Grenzziehung zwischen Bern und Furstbisrum Basel, in: Archiv des Historischen Ver• eins des Kantons Bern 50 (1966), S. 137. 232 Tiirler, Bilder, S. 43. IV. Die raurnliche Gliederung des Sradrgebietes 237

Aufschtittung des ehemaligen Stadtgrabens nach der Brandkatastrophe von 1405 rnerk• lich zugenommen hat. Wahrend die Zisterzienserinnen von Detligen 1389 noch ein Haus in der stidlichen Hauserzeile der unteren Kramgasse besassen, scheinen sie ihren Sradthof nach dem Sradtbrand an den reprasenrativeren Standort im Eckhaus am nord• lichen Ausgang des Zibelegassleins verlegt zu haben.

8. Zusammenfassung

Die Lage der Wohn- und Arbeitsorte der Stadtbewohner unterlag in Bern wie in ande• ren grosseren Stadten des Reiches wah rend des Spatmirtelalters verschiedenen raumli• chen Abhangigkeiten. Diese ergaben sich aus der topografischen Verteilung der wich• tigsten kommunalen, gewerblichen und religios-karitativen Gebaude innerhalb des urn• mauerten Stadtgebietes. Jedes Stadtviertel und Quartier, jede Gasse und jeder Haushalt unterlagen einer wirtschaftlich und sozial unterschiedlichen Bewertung. Diese wurde von der Einwohnerschaft bewusst wahrgenommen und manifestierte sich in der un• gleichmassigen Verteilung einzelner Bevolkerungsgruppen in der Stadt Bern. Zudem zeigten sich Schultheiss und Rat seit dem 14. jahrhundert darum bernuht, sowohl die gewerblich-ztinftigen als auch die religios-karirativen Institutionen verstarkt unter die Kontrolle des Rates der Zweihundert zu stellen. Vor allem die von einzelnen Btirgern ge• stifteten Beginenhauser sowie die Gewerbe- und Gesellschaftshauser der Ztinfte erfuh• ren bis zum Ende des Mirtelalters verschiedene Umgestaltungen und Anpassungen, die sich in der Konzentration dieser Gebaude an bestimmten Gassen und deren zahlenrnas• sigen Reduktion aufeinige wenige vorn Berner Rat besser zu kontrollierende Hauser rna• nifestierren. Spiegelbild dieser sozialen, rechtlichen und okonomischen Veranderungen in der Stacltgesellschaft ist cler Stacltgrunclriss. Die spezielle ropografische Lage Berns innerhalb einer langgestreckten Aareschleife hatte zur Folge, dass sich das Erscheinungsbild der Stadt seit ihrer Grtindung im Jahre I 191 durch eine im Vergleich zu anderen rnittelal• terlichen Stadten starke Regelmassigkeit und Geschlossenheit auszeichnete. Zugleich verhinderte der Lauf der Aare, dass sich die Stadt in beliebiger Richtung ausdehnen konnte. Nur die westlich an die Stadtmauern anstossende Allmend bot Platz ftir Stadt• erweiterungen. Insgesamt erscheint die bauliche Gestalt Berns am Ende des Mittelalters somit als eine durch Stadrviertel und Quartiere sowie durch parallel verlaufende Gassen klar strukrurierte Einheit, die durch eine Vielzahl kommunaler, gewerblicher und kirch• licher Gebaude gepragt wurde. Die Verteilung dieser Gebaude innerhalb des Stadtgebie• res war dabei Ausdruck einer tiber dreihundert Jahre dauernden Entwicklung, wahrend der Btirgerschaft und Rat Verfassung, Wirtschaft und Architektur den sich laufend an• dernden Verhalrnissen in Stadt und Land anpassten. Die innere politische Organisation Berns beruhte seit der ersten Halfte des 13. jahr• hunderts auf der Unterteilung des Stadtgebietes in vier Stadt- oder Vennerviertel. 238 IV. Die rauml iche Gliederung des Sradtgeb ieres

Wahrend die Grenzen der beiden ostlichen Stadrviertel bis zum Ende des Mittelalters weitgehend unverandert blieben , beschlossen Schultheiss und Rat, die beiden westlichen Sradrviertel nach den beiden Stadterweiterungen von 1255 und 1343 gegen Westen zu verlangern. 1m 16. Jahrhundert wurden dann auch die Grenzen der beiden kleineren Stadrviertel ostlich der Kreuzgasse auf die Hohe der 1468 neu errichreten Fleischschal verschoben. Die Neugestaltung der im 13. Jahrhundert geschaffenen Viertelseinteilung dokumentiert dabei die wachsende okonornische Bedeutung der Inneren Neustadt, die in Bezug auf das Wohn- und Sozialprestige im Verlauf des 15. Jahrhunderts weitgehend an die zahringische Grilndungsstadt aufschloss. Die neben Haushalt und Gasse wichtigsten raumli chen Bezugspunkte des sozialen Le• bens in der sparmittelalrerlichen Stadt Bern waren die Stadrquartiere. Diese widerspiegeln die systernatische Ausdehnung des Sradtgebietes nach Westen und Sudosten, die durch den Bau der drei mittelalterlichen Mauerringe und den Einbezug der Gewerbesiedlungen an der Aare ins ummauerte Stadtgebiet akzenruiert wird. 1m Unterschied zu den in der ersten H alfte des 13. jahrhunderrs geschaffenen Stadrvierteln bildeten die Quartiere historisch ge• wachsene Wohn- und Lebensgemeinschaften, die durch topografische Gegebenheiten wie Graben, Mauern, Tore und Plarze raurnlich voneinander getrennt waren. ABe vier berni• schen Stadtquarciere wurden bis zum Ende des Mittelalters mit der Zuschilttung der Stadt• graben und der Anlage neuer Plarze sowohl rechtlich als auch baulich weitgehend mit der Zahringerstadt in einer einheidichen Stadtgemeinde zusammengefasst. Innerhalb der Stadtquartiere zeigten sich Schultheiss und Rat im 14. und 15. jahrhun• dert darum bernuht, die wichtigsten kommunalen, gewerblichen und religios-karitativen Gebaude an bestimmten Gassen und Strassenabschnitten zu konzentrieren. Wmrend sich die rneisten kommunalen und gewerblichen Bauten wie Rat- und Kaufhaus, Zunfthauser, Schultheissensitz und die Cewerbehauser der Handwerker hauprsachlich urn die zent ralen Strassenrnarkte und die Kreuzgasse gruppierten, befanden sich al!e bedeutenden geisdichen Institutionen wie die pfarrki rche St. Vinzenz, das Dorn inikaner- und Franziskanerkloster, die Antonierkirche, das Inselkloster, die Nydeggkapel!e und die im 13. und 14. jahrhun• dert gestifteten Spitaler am Rand des ummauercen Stadtgebieres. Das Gleiche gilt filr die verschiedenen Beginengemeinschaften und die Stadthauser auswartiger Kloster, die sich vornehmlich an Nebengassen befanden. Keinen Einfluss auf die Viertels- und Q uarcierbildung harte in Bern die Kirche. 1m Unterschied zu den meisten grosseren mittelalterlichen Sradren, deren Bevolkerung sich in der Regel auf mehrere Parochien verteilte, blieb diejenige der Aarestadt wahrend des gesamten Mittelalters in der 1276 entstandenen Kirchgemeinde von St. Vinzenz zusam• mengefasst. Obwohl das Stadtgebiet bis 1785 formel! nur aus einer einzigen pfarrge• meinde besrand, mussten die Deutschh erren einzelne ihrer Rechte wie vor allem das ein• tragliche Begrabni srechr seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert mit den nach Bern berufenen Bettelorden der Franziskaner und der Dominikaner teilen. Es kann deshalb bereits im Spatmittelalrer von einer gewissen Unterteilung der Kirchgemeinde von St. Vinzenz in einzelne Seelsorgebezirke gesprochen werden.