GESUNDHEITSFÖRDERNDE ARBEITSORIENTIERUNG in DER SCHULE Genese Und Perspektiven Einer Innovativen Aufgabenstellung
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GESUNDHEITSFÖRDERNDE ARBEITSORIENTIERUNG IN DER SCHULE Genese und Perspektiven einer innovativen Aufgabenstellung Inaugural-Dissertation vorgelegt von Klaus Beer Gutachter: Prof. Dr. Rainer Müller Prof. Dr. Dietrich Milles Bremen 2008 Prüfungsdatum: 10.12.2008 - 1 - Die Reform der Schule geht vom Prinzip der Entwicklung und der schaffenden Tätigkeit aus“. (Adolph Diesterweg, 1835) „Nach meiner Ansicht giebt es keine noch so schwere Verantwortlichkeit, die derjenigen eines Mannes verglichen werden könnte, der in unseren bedeutungsvollen Zeiten sich amtlich berufen lässt, die Schulangelegenheiten eines deutschen Landes zu leiten, und der sich mit heitrer Stirn und kühlem Herzen begnügt, die Dinge gehen zu lassen, wie sie gehen.“ (Alois Geigel, 1875) „Das Kapital ist […] rücksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rücksicht gezwungen wird:“ ( Karl Marx, 1867) „Vom ethischen Standpunkt aus betrachtet liegt die tragische Schwäche der jetzigen Schule darin, dass sie sich bemüht, zukünftige Mitglieder des Gemeinwesens in einer Umgebung zu erziehen, in der die Bedingungen des sozialen Geistes vollständig fehlen.“ (John Dewey, 1900) Lehren „Der nicht versteht, muß erst das Gefühl haben, dass er verstanden wird. Der hören soll, muß erst das Gefühl haben, dass er gehört wird.“ (Bertolt Brecht 1932) „Das Arbeiterkind steht faktisch und symbolisch für alle Kinder, die der Ausbeutung, der Unterdrückung und der Ausgrenzung unterliegen …. Sollte die Situation entstehen, daß du überhaupt keine politische Handlungsmöglichkeiten und nur schmale Auswege siehst, so […] nimm einen Text Brechts zur Hand. Ich empfehle Dir die Keuner- Geschichten[…].“ (Oskar Negt, 1995) - 2 - Inhaltsverzeichnis: Seite 0. Vorwort 4 1. Problemaufriss und Zielsetzung 14 1.1. Arbeit und Gesundheit als pädagogische Orientierung 14 1.2. Gesundheit und Gesundheitsförderung in pädagogischen Konzeptionen 24 1.3. Arbeit und Erwerbsarbeit in pädagogischen Konzeptionen 33 2. Arbeits- und gesundheitswissenschaftliche Konzepte in der Schule 40 2.1 Konzeptionen in der pädagogischen Aufgabe zwischen Schule und Betrieb 40 2.2 .Ansätze in der Arbeitslehre und der beruflichen Bildung 50 2.3. Ansätze der „gesunden Schule“ 65 2.4. Schule in gesellschaftlicher Wirklichkeit 83 3. Arbeitserziehung und Schule in der Entwicklung 100 3.1. Traditionen der Arbeitserziehung 108 3.1.1. Frühe Konzeptionen und Pestalozzis gesellschaftliche Arbeitsamkeit 108 3.1.2. Philantropische Fürsorge oder schaffende Tätigkeit in der frühen 113 Industrialisierung 3.1.3. Sozialkritische Positionen 117 3.1.4. Kontrolle und Inklusion in der preußisch- deutschen Gesellschaft 122 3.1.5 Sozialreformerische Arbeitsschulen 125 3.1.6. Differenzierung der Arbeitserziehung zum Anfang des 20. Jahrhunderts 129 3.1.7. Arbeitsschule im Arbeiter- und Bauernstaat und der Weimarer Republik 137 3.1.8. Arbeit als nationalsozialistische Erziehung 146 3.1.9. Verdrängung und Wiederauferstehung der Reform 151 3.2. Berufs- und tätigkeitsbezogene Qualifizierung nach dem 2. Weltkrieg 158 3.3. Gesellschaftlich begründeter Arbeiterschutz in historischer Tradition 189 3.3.1. Kontrolle der Arbeitsentwicklung 189 3.3.2. Abweichung und Integration 198 3.3.3. Unfall- und Arbeiterschutz 206 3.4. Nützliches Arbeiten und gesundes Arbeiten 208 4. Praxis der gesundheitsfördernden Arbeitsorientierung 220 4.1. Praktische Ansätze in der Schnittstelle von Arbeitslehre und 220 Gesundheitswissenschaft 4.2 Problemlagen und Problemlösungen 231 - 3 - 4.3. Checkliste der gesundheitsfördernden Arbeitsorientierung 240 4.4. Unterrichtsbeispiele 245 5. Zusammenfassung 248 6. Abstract 253 7. Literaturverzeichnis/ Quellenverzeichnis 254 Anhang 316 - 4 - 0. Vorwort Gesundheit und Bildung sind in unserer Gesellschaft in eine schwere Krise geraten. Obwohl beide Bereiche zu den elementarsten Bedingungskontexten unserer Gesellschaft gezählt werden, liefern ihre dokumentierten Brüche, etwa in der Gesundheitsreformdiskussion oder der Pisa- Folgendiskussion wichtige Hinweise auf erhebliche Defizite unserer Gesellschaft insgesamt. Nach Artikel 2 des Grundgesetzes hat in der Bundesrepublik Deutschland jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieses Recht richtet sich nicht nur gegen unmittelbare Bedrohungen, etwa durch kriminelle Handlungen. Eingeschlossen sind auch Gefährdungen der Gesundheit, die in solchen Bedingungen entstehen, für die eine gesellschaftliche Verantwortung gegeben ist. Vor allem wenn Leben und körperliche Unversehrtheit durch Personen oder Institutionen bedroht werden, die der verfassungsmäßigen Ordnung unterliegen, muss der Staat eingreifen. An diese grundgesetzliche Verpflichtung ist insbesondere die Schule gebunden, die als staatliche Einrichtung besonders aufgerufen ist, die Grundgedanken unserer Verfassung zu verfolgen. Das allgemeine Menschenrecht, das auch vom Europarat 2002 in Art. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten festgehalten wird, begründet den Schutz vor willkürlichen und absichtlichen Gefährdungen. Die Frage ist, ob und inwieweit Maßnahmen der Sicherung und des Schutzes im Sinne der Förderung und der Erhaltung von Leben und Gesundheit eingeschlossen sind. Betrachtet man den Auftrag der Schule, liegt es nahe, auch Förderung und Erhaltung als Verpflichtung anzusehen. Denn in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ist das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit und Entwicklung der eigenen Fähigkeiten eingeschlossen. Ein gesundheitlicher Schutz des Schulkindes bezieht sich also auf einen fördernden Entwicklungsprozess und einen pädagogischen Auftrag. Demgegenüber sind in der Schule jene zwei Tendenzen wirksam, die in der modernen gesellschaftlichen Entwicklung auszumachen sind und in denen die grundgesetzliche Verpflichtung aufweicht: die Individualisierung der Verantwortung und die Normalisierung des Risikos. Mit diesen beiden Tendenzen treten die Aspekte der Förderung und Erhaltung der Gesundheit, der Entwicklung und Stärkung gesundheitlicher Ressourcen in den Hintergrund. Als Individualisierung der Verantwortung sind hier Vorgänge zu verstehen, in denen sozialstaatliche Probleme und Fragen von der staatlichen Ebene auf eine individuelle Ebene verschoben bzw. verdrängt werden. Der einzelne Bürger wird somit in seiner doppelten Rolle als Subjekt und als Teil der Gesellschaft ausgenutzt. So wird unter Verweis auf subjektive Verantwortlichkeit und unter dem Deckmantel der „Bürgerbeteiligung“ alles das hervorgehoben, was die strukturelle Verantwortung von Staat und Gesellschaft entlastet, während alles das betont wird, was dem einzelnen Bürger übertragen werden kann. Diese Individualisierung als vermehrte Aufgabe kollektiver Verantwortung sehen wir aktuell bei der Begleichung und Verhinderung der Kosten im Gemeinwesen: - 5 - Eigenbeteiligung in der Sozialversicherung, Betonung des Gesundheitsverhalten, Zurückstellung verhältnispräventiver Maßnahmen usw. Als „Normalisierung des Risikos“ verstehe ich hier Vorgänge, in denen gesellschaftlich zu verantwortende Missstände als Implikationen der notwendigen Naturbeherrschung gefasst und der gesellschaftlichen Gewöhnung überantwortet werden. In langer Tradition vergesellschafteter Risiken werden immer größere Ausmaße möglicher gesundheitlicher Risiken als normal hingestellt: Bestandteile des Trinkwassers, toxisch wirkende Einträge in die Atemluft, Wohngifte, Verunreinigungen im Tierfutter, Restgifte im Essen, Pflanzenschutzmittel, UV-Strahlungen usw. Die aktuelle gesellschaftliche Bewertung dieser Vorgänge als Entsolidarisierung bewirkt nicht nur eine De- Skandalisierung oder besser Dethematisierung1 solcher Missstände, sondern verhindert auch eine notwendige Politisierung, eine kritische und pra- xisverändernde Auseinandersetzung über den Umgang mit diesen Risiken und Missständen. Beide Tendenzen wirken zusammen und ergänzen sich dyssynergetisch. In jedem Fall werden die gesellschaftspolitischen Aufgabenstellungen, die Aufgaben der Gesundheitsförderung und damit auch die Bildungsaufgaben hintan gestellt. So werden einerseits alle möglichen Risiken auf eine gemeinsame gesellschaftliche Verantwortlichkeit abgeschoben, von dort allerdings wieder als individuelle Problemlage an die betroffenen Bürger zurückdelegiert. Die Ausbildung notwendiger Bewältigungskompetenzen wird damit jedoch ebenfalls auf eine tendenziell individuelle Angelegenheit reduziert. Es ist davon auszugehen, dass es entscheidend für den grundgesetzlichen Auftrag der Schule ist, diesen „circulus vitiosus“ zu erkennen und zu durchbrechen. Wie verankern wir öffentliche (nicht individuelle) Gesundheitsförderung und gesundheitspolitische Bildungsaufgaben im Alltag der Schulen?2 Aus der in Artikel 7 GG festgehaltenen Aufsicht des Staates ergibt sich zwingend, die Bildungsaufgaben gesamtgesellschaftlich festzulegen. Für die schulische Praxis ist hierbei wichtig, den jungen heranwachsenden Staatsbürger umfassend entscheidungs- und handlungsfähig zu machen. Ein solcher neu zu findender Erziehungs- und Bildungskonsens muss sich einerseits 1 Dieser Begriff wurde von Rainer Müller und Dietrich Milles in den 1980er Jahren eingeführt (Müller 1985; Milles, Müller 1987). 2 Sinnfällig ist dieses hier in folgendem Gedicht von Bertolt Brecht als beständige Aufgabe gefasst: Glückliche Begegnung An den Junitagen im Junggehölz Hören die Himbeersucher vom Dorfe Lernende Frauen und Mädchen der Fachschule Aus ihren Lehrbüchern laut Sätze lesen Über Dialektik und Kinderpflege. Von den Lehrbüchern aufblickend Sehen die Schülerinnen die Dörfler