Plenarprotokoll 4/70

Sächsischer Landtag

70. Sitzung 4. Wahlperiode

Beginn: 10:00 Uhr , 24. Januar 2007, Plenarsaal Schluss: 18:54 Uhr

Inhaltsverzeichnis

0 Eröffnung 5703 2 2. und 3. Lesung der Entwürfe – Gesetz zur Änderung der Bestätigung der Tagesordnung 5703 Verfassung des Freistaates Sachsen und weiterer Gesetze Drucksache 4/5086, Gesetzentwurf der Fraktion der FDP 1 2. und 3. Lesung des Entwurfs Gesetz zum Neunten Rundfunk- Drucksache 4/7620, Beschluss- änderungsstaatsvertrag und zur empfehlung des Verfassungs-, Änderung des Sächsischen Privat- Rechts- und Europaausschusses rundfunkgesetzes – Gesetz zur Regelung der Beteili- Drucksache 4/6599, Gesetzentwurf gungs- und Mitbestimmungsrechte der Staatsregierung von Kindern und Jugendlichen in Sachsen Drucksache 4/7561, Beschlussemp- Drucksache 4/5915, Gesetzentwurf fehlung des Ausschusses für Wissen- der Linksfraktion.PDS schaft und Hochschule, Kultur und Medien 5703 Drucksache 4/7621, Beschluss- empfehlung des Verfassungs-, Prof. Dr. Roland Wöller, CDU 5703 Rechts- und Europaausschusses 5710 Heiko Hilker, Linksfraktion.PDS 5704 Jürgen Gansel, NPD 5705 Holger Zastrow, FDP 5710 Torsten Herbst, FDP 5706 Frank Kupfer, CDU 5711 Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE 5707 Holger Zastrow, FDP 5711 Prof. Dr. Roland Wöller, CDU 5708 Freya-Maria Klinger, Hermann Winkler, Staatsminister und Linksfraktion.PDS 5714 Chef der Staatskanzlei 5709 Prof. Dr. Günther Schneider, CDU 5716 Abstimmungen und Annahme des Margit Weihnert, SPD 5718 Gesetzes 5710 Prof. Dr. Günther Schneider, CDU 5718 Margit Weihnert, SPD 5719 Winfried Petzold, NPD 5720 Michael Weichert, GRÜNE 5721

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Holger Zastrow, FDP 5721 6 1. Lesung des Entwurfs Freya-Maria Klinger, Gesetz zu dem Staatsvertrag zwi- Linksfraktion.PDS 5722 schen dem Freistaat Sachsen und Marko Schiemann, CDU 5723 dem Land Nordrhein-Westfalen Elke Herrmann, GRÜNE 5726 über die Übertragung von Aufgaben Prof. Dr. Peter Porsch, nach § 9 Abs. 1 und § 10 Handelsge- Linksfraktion.PDS 5727 setzbuch zur Errichtung und zum Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister Betrieb eines gemeinsamen des Innern 5728 Registerportals der Länder Abstimmungen und Ablehnung Drucksache 4/7618, Gesetzentwurf Drucksache 4/5086 5728 der Staatsregierung 5733

Abstimmungen und Änderungsantrag Geert Mackenroth, Staatsminister der Linksfraktion.PDS, der Justiz 5733 Drucksache 4/7723 5729 Überweisung an die Ausschüsse 5734 Freya-Maria Klinger, Linksfraktion.PDS 5729 Marko Schiemann, CDU 5729 Erklärung zu Protokoll 5734 Abstimmung und Ablehnung 5729 Geert Mackenroth, Staatsminister Abstimmungen und Ablehnungen der Justiz 5734 Drucksache 4/5915 5729

7 1. Lesung des Entwurfs 3 1. Lesung des Entwurfs Gesetz zum Staatsvertrag Gesetz zu dem Staatsvertrag über zwischen dem Land Brandenburg die Vergabe von Studienplätzen und den Ländern Mecklenburg- Drucksache 4/7600, Gesetzentwurf Vorpommern, Sachsen-Anhalt der Staatsregierung 5730 und den Freistaaten Sachsen und Thüringen zur Errichtung der Dr. Eva-Maria Stange, Staatsministerin Übertragungsstelle Ost für Wissenschaft und Kunst 5730 (Übertragungsstellenstaatsvertrag) Drucksache 4/7619, Gesetzentwurf Überweisung an die Ausschüsse 5731 der Staatsregierung 5735

Helma Orosz, Staatsministerin für 4 1. Lesung des Entwurfs Soziales 5735 Gesetz zu dem Staatsvertrag Überweisung an die Ausschüsse 5736 über die Einrichtung eines gemeinsamen Mahngerichts Drucksache 4/7601, Gesetzentwurf der Staatsregierung 5731 8 Bekämpfung häuslicher Gewalt

Geert Mackenroth, Staatsminister Drucksache 4/3031, Antrag der der Justiz 5731 Fraktionen der CDU und der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregie- Überweisung an die Ausschüsse 5732 rung 5736

Angelika Pfeiffer, CDU 5736 5 1. Lesung des Entwurfs Drittes Dr. Gisela Schwarz, SPD 5737 Gesetz zur Änderung des Richter- Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS 5739 gesetzes des Freistaates Sachsen Kristin Schütz, FDP 5741 Drucksache 4/7617, Gesetzentwurf Dr. Gisela Schwarz, SPD 5741 der Staatsregierung 5732 Kristin Schütz, FDP 5741 Dr. Gisela Schwarz, SPD 5741 Geert Mackenroth, Staatsminister Kristin Schütz, FDP 5741 der Justiz 5732 Volker Bandmann, CDU 5742 Überweisung an den Ausschuss 5733 Kristin Schütz, FDP 5742

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Dr. Gisela Schwarz, SPD 5742 Kristin Schütz, FDP 5742 10 „Antifa“-Umtriebe stoppen – Elke Herrmann, GRÜNE 5742 „Kulturbüro Sachsen e. V.“ Angelika Pfeiffer, CDU 5743 dichtmachen! Elke Herrmann, GRÜNE 5743 Drucksache 4/7612, Antrag der Dr. Gisela Schwarz, SPD 5743 Fraktion der NPD 5762 Elke Herrmann, GRÜNE 5744 Dr. Albrecht Buttolo, Holger Apfel, NPD 5762 Staatsminister des Innern 5744 Martin Dulig, SPD 5764 Johannes Lichdi, GRÜNE 5765 Angelika Pfeiffer, CDU 5745 Heinz Lehmann, CDU 5745 Jürgen Gansel, NPD 5766 Martin Dulig, SPD 5767 Jürgen Gansel, NPD 5767 Änderungsantrag der Fraktion Holger Apfel, NPD 5767 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Abstimmung und Ablehnung 5768 Drucksache 4/7722 5745 Elke Herrmann, GRÜNE 5745 Dr. Gisela Schwarz, SPD 5746 11 – Keine Unterzeichnung des Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS 5746 Glückspielstaatsvertrages Abstimmung und Ablehnung 5746 Drucksache 4/7614, Antrag der Fraktion der FDP Abstimmung und Zustimmung Drucksache 4/3031 5746 – Sofortige Aussetzung der Entscheidung über den Abschluss des „Staatsvertrages zum 9 Keine Videoüberwachung Glücksspielwesen in Deutschland“ in der Dresdner Neustadt! Drucksache 4/7185, Antrag Drucksache 4/6999, Antrag der der Linksfraktion.PDS 5768 Linksfraktion.PDS, mit Stellung- Dr. Jürgen Martens, FDP 5768 nahme der Staatsregierung 5746 Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS 5769 Julia Bonk, Linksfraktion.PDS 5746 Lars Rohwer, CDU 5771 Christian Piwarz, CDU 5748 Stefan Brangs, SPD 5773 Julia Bonk, PDS 5749 Sven Morlok, FDP 5773 Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS 5749 Stefan Brangs, SPD 5773 Julia Bonk, Linksfraktion.PDS 5749 Alexander Delle, NPD 5774 Volker Bandmann, CDU 5750 Michael Weichert, GRÜNE 5774 Stefan Brangs, SPD 5752 Prof. Dr. Georg Milbradt, Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS 5752 Ministerpräsident 5775 Stefan Brangs, SPD 5752 Dr. Jürgen Martens, FDP 5776 Holger Apfel, NPD 5753 Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS 5777 Dr. Jürgen Martens, FDP 5755 Prof. Dr. Georg Milbradt, Johannes Lichdi, GRÜNE 5756 Ministerpräsident 5777 Volker Bandmann, CDU 5756 Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS 5778 Johannes Lichdi, GRÜNE 5756 Dr. Jürgen Martens, FDP 5778 Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE 5757 Abstimmung und Ablehnung Johannes Lichdi, GRÜNE 5757 Drucksache 4/7614 5778 Johannes Lichdi, GRÜNE 5758 Julia Bonk, Linksfraktion.PDS 5759 Abstimmung und Ablehnung Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister Drucksache 4/7185 5778 des Innern 5760 Johannes Lichdi, GRÜNE 5761 Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister des Innern 5761 Julia Bonk, Linksfraktion.PDS 5761 Abstimmung und Ablehnung 5762

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12 Erteilung von Astronomieunterricht als eigenständiges Unterrichtsfach an Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE 5785 Mittelschulen und Gymnasien Thomas Colditz, CDU 5786 Drucksache 4/7613, Antrag Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE 5786 der Fraktionen BÜND- Steffen Flath, Staatsminister für Kultus 5786 NIS 90/DIE GRÜNEN, Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS 5787 Linksfraktion.PDS und FDP 5779 Dr. Fritz Hähle, CDU 5788 Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS 5788 Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE 5779 Iris Schöne-Firmenich, CDU 5788 Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS 5780 Namentliche Abstimmung Torsten Herbst, FDP 5781 – siehe Anlage 5788 Thomas Colditz, CDU 5782 Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE 5782 Ablehnung 5788 Thomas Colditz, CDU 5783

Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS 5783 Thomas Colditz, CDU 5783 Martin Dulig, SPD 5784 Nächste Landtagssitzung 5788 Gitta Schüßler, NPD 5785

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Eröffnung (Beginn der Sitzung: 10:00 Uhr) GRÜNE je 45 Minuten, fraktionslose MdL je 7 Minuten, Staatsregierung 94 Minuten. Die Redezeiten der Fraktio- Präsident Erich Iltgen: Meine sehr verehrten Damen nen und der Staatsregierung können wie immer entspre- und Herren! Ich eröffne die 70. Sitzung des chend dem Bedarf auf die Tagesordnungspunkte verteilt 4. Sächsischen Landtages. werden. Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu Änderungsanträge liegen mir offiziell nicht vor. Ich frage unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Herr dennoch, ob es seitens der Fraktionen noch Änderungsan- Eggert, Frau Matthes, Frau Hermenau und Frau Schulz. träge zu unserer heutigen Tagesordnung gibt. – Das ist Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung unserer nicht der Fall. Dann gilt die vorliegende Tagesordnung als heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für genehmigt. die Tagesordnungspunkte 1 bis 2 und 8 bis 12 folgende Wir kommen damit gleich zur Tagesordnung selbst. Ich Redezeiten festgelegt: CDU 122 Minuten, Linksfrakti- rufe auf on.PDS 94 Minuten, SPD 59 Minuten, NPD, FDP und

Tagesordnungspunkt 1 2. und 3. Lesung des Entwurfs Gesetz zum Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung des Sächsischen Privatrundfunkgesetzes Drucksache 4/6599, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Drucksache 4/7561, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien

Den Fraktionen wird das Wort zu einer allgemeinen Es geht um inhaltsbezogene Vorschriften bei Rundfunk Aussprache erteilt. Es beginnt die Fraktion der CDU, und Telemedien. Diese werden in Abschnitt VI – Teleme- danach Linksfraktion.PDS, SPD, NPD, FDP, GRÜNE und dien – geregelt. Die wirtschaftsbezogenen Vorschriften die Staatsregierung. verbleiben in Bundeshoheit und werden im Telemedien- gesetz des Bundes geregelt. Es erfolgt damit eine Klar- Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte die Fraktion der CDU, stellung von originären Zuständigkeitsbereichen des das Wort zu nehmen. Herr Prof. Wöller, bitte. öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dazu gehören Rund- Prof. Dr. Roland Wöller, CDU: Sehr geehrter Herr funkprogramme, aber grundsätzlich keine Telemedien. Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Das ist wichtig, weil wir keine Expansionsstrategie Neunte Rundfunkänderungsstaatsvertrag bringt keine verfolgen. Wir wollen eine Qualitätsoffensive bei den strukturellen Veränderungen der dualen Rundfunkord- öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. nung, aber eine Weiterentwicklung der Medienordnung Im Weiteren werden Informationsrechte für Rundfunkver- sowie Anpassungen an die aktuelle Entwicklung. anstalter – gleichermaßen öffentlich-rechtliche und Zum Regelungsinhalt im Einzelnen. Der Neunte Rund- private – gestärkt. Es erfolgt eine einheitliche Regelung funkänderungsstaatsvertrag schafft einen einheitlichen des Auskunftsanspruchs durch eine Klarstellung im Rechtsrahmen für Medien- und Teledienste unter dem Rundfunkstaatsvertrag, die wir begrüßen. zusammenfassenden Begriff „Telemedien“. Er ist damit Ferner erfolgt eine Neuregelung der Drittsenderechte für eine sachgerechte Fortentwicklung des Rechts der elekt- unabhängige Dritte. Diese Regelung trägt entscheidend ronischen Medien in Abstimmung zwischen Bund und zur Stärkung der Medienvielfalt bei. Ländern. Ein wichtiger Punkt, für den wir uns in den Koalitions- Für die Länder stehen beim Rundfunk und bei den Tele- fraktionen schon seit Jahren einsetzen, ist die durchge- medien, die an die Allgemeinheit gerichtet sind, neben hende Kontrolle der Rundfunkaufsicht. Die Anhörung hat dem wirtschaftlichen Aspekt vor allem kulturelle Aspekte gezeigt, dass es kritische Äußerungen zur Effizienz der im Vordergrund. Es ist wichtig, das in diesem Hohen öffentlich-rechtlichen Aufsichtsgremien gibt. Das Bun- Haus zu betonen, weil es in der Auseinandersetzung mit desverfassungsgericht hat ebenfalls konstatiert, dass es der EU-Kommission immer wieder zu einem Konflikt auch hier ein sogenanntes institutionentypisches Expansi- zwischen wirtschaftlichen und kulturellen Aspekten onsinteresse gibt; das heißt, Aufgaben, die nicht originär kommt. Für uns steht ganz klar der kulturelle Aspekt im zum Zuständigkeitsbereich der öffentlich-rechtlichen Vordergrund. Wir wollen diesen nicht durch die wirt- Rundfunkanstalten gehören, werden an Land gezogen. schaftliche Seite aushöhlen lassen.

5703 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007

Es fehlt eine effiziente Aufsicht über das ARD- belegte Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Es hat sich aber Hauptprogramm, das immerhin mit einem Finanzvolumen gezeigt, dass im bestehenden Rechtsrahmen verstärkt von über 2 Milliarden Euro ausgestattet ist. Mit diesem Inländer diskriminiert werden und Medienkonzernen vom Staatsvertrag schreiben wir eine durchgehende Gremien- Ausland hierbei der Vorzug eingeräumt werden soll. Das kontrolle fest. Damit sichern wir die durchgehende können wir nicht mittragen. Wir müssen auf medienrele- Kontrolle auch im ARD-Hauptprogramm. Das betrachten vante Märkte Antwort geben, wie wir damit umgehen wir als Erfolg – als unseren Erfolg! – und einen der wollen. Bleiben wir beim Zuschaueranteilsmodell oder Hauptpunkte im Neunten Rundfunkänderungsstaatsver- wollen wir es dynamisch fortentwickeln? trag. Zuletzt: Unsere Medienordnung knüpft am Rundfunk- Mit dem Zustimmungsgesetz zum Neunten Rundfunkän- begriff an. Das ist ein überkommener Begriff, den wir derungsstaatsvertrag, um dessen Annahme ich Sie gleich fortentwickeln müssen, und zwar dynamisch. Um nur ein alle bitten werde, regeln wir aber auch noch Dinge, die in Beispiel zu nennen: unserem Sächsischen Privatrundfunkgesetz regelungsbe- Wenn Sie heute Abend die „Tagesschau“ sehen, dann ist dürftig sind. Durch die dynamische Entwicklung im das Rundfunk. Wenn Sie sich die „Tagesschau“ eine Medienbereich treten neue Anbieterformen auf: Platt- Viertelstunde später vom Internetportal der ARD herun- formbetreiber, elektronische Navigatoren. Wir müssen uns terladen, dann ist das nicht mehr Rundfunk, sondern ein die Fragen stellen: Wie lautet die rechtliche Definition? Dienst. Es hat sich also innerhalb der 15 Minuten eine Wie sollen diese reguliert werden? Eine Antwort hierauf „mediale Geschlechtsumwandlung“ vollzogen. steht noch aus; auch der vorliegende Rundfunkänderungs- staatsvertrag gibt sie nicht. Wie gehen wir damit rechtlich um? Wie ist der Regulie- rungsrahmen? Auf all diese Fragen steht eine Antwort Damit wir aber – gerade von Sachsen aus – an diesem aus. Prozess weiterhin partizipieren können, ist es notwendig, unserer Medienanstalt, der SLM, das rechtliche Instru- Zum Fazit: Medienpolitik ist eine spannende Angelegen- mentarium an die Hand zu geben, Erprobungen vorneh- heit. Sie bleibt spannend. Der Neunte Rundfunkände- men zu können. Das tun wir, indem wir jetzt auch neben rungsstaatsvertrag ist der Auftakt zu einem Jahr, das Nutzungsformen neue Anbieterformen in das Gesetz verstärkt im Fokus der Medienpolitik stehen wird. Der schreiben und damit die technische und wirtschaftliche Neunte Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist ein notwen- Entwicklung in Sachsen voranbringen. Ich erinnere Sie diger und folgerichtiger Schritt. Die eigentlichen Heraus- nur daran, dass die DVBH-Frequenzen vor einer Aus- forderungen stehen mit dem Zehnten Rundfunkände- schreibung stehen, das heißt, wie Handy-TV in Deutsch- rungsstaatsvertrag an. land bundeseinheitlich geregelt werden sollen. An dieser Ich freue mich auf die Debatte und darf Sie um Ihre Entwicklung möchten wir partizipieren. Sachsen ist ein Zustimmung bitten. attraktiver Medienstandort, wo kreative Köpfe zu Hause sind und wirtschaftliche Innovation vorangebracht wird. Herzlichen Dank. Meine Damen und Herren! Die eigentlichen medienpoliti- (Beifall bei der CDU und der SPD) schen Antworten stehen aber noch aus. Medienpolitik ist Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Linksfrakti- eine äußerst spannende Angelegenheit. Dies bezeugt die on.PDS das Wort. Herr Hilker, bitte. jüngste Einigung mit der EU-Kommission. Wir haben Hausaufgaben zu erledigen, die uns fortlaufend beschäfti- Heiko Hilker, Linksfraktion.PDS: Herr Präsident! gen werden. Im Mittelpunkt steht die weitere Auftragsde- Meine Damen und Herren! Gesetze und Staatsverträge finition des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wir müssen sind dazu da, einerseits auf aktuelle Probleme zu reagie- hier zu einem Kernauftrag kommen, der den öffentlich- ren, diese Probleme auch abzustellen, und andererseits rechtlichen Rundfunk stärkt und seine Kompetenzen Entwicklungsmöglichkeiten für die Zukunft zu sichern, begrenzt. Wie soll dieser in der digitalen Zukunft ausse- die Entwicklung in der Zukunft auch zu gestalten. hen? Auch hier lautet unser Motto: Qualität vor Expansi- on! Das schließt nicht aus, dass der öffentlich-rechtliche Wir müssen feststellen: Dieser Rundfunkänderungsstaats- Rundfunk an technischen Innovationen teilnehmen darf vertrag reagiert auf beides nicht. Wenn man Entwicklung und soll. gestalten will, so muss man Ziele haben. Die Ziele hat Herr Wöller unter anderem angesprochen. Es geht darum, Ferner steht ein neues Gebührenmodell im Mittelpunkt. das Medienrecht zu reformieren, Teledienste und Medien- Die letzten Diskussionen in diesem Hohen Hause haben dienste zusammenzufassen. Aber die Anhörung mit den es gezeigt: Wir brauchen ein neues tragfähiges Gebüh- von Ihnen bestellten Gutachtern, Herr Prof. Wöller, hat renmodell, das gleichermaßen einfacher, transparenter doch eines ergeben: Die Regelung der Teledienste und und gerechter ist und dabei EU- und Verfassungsvorgaben Mediendienste, die Zusammenführung, ist gesetzestech- erfüllt. nisch schlecht gemacht. Alle Gutachter vom Mitteldeut- Ein weiterer Punkt – er betrifft auch uns als Medienstand- schen Rundfunk, von der Sächsischen Landesanstalt für ort – betrifft die Medienkonzentration. Vielfaltsicherung Privatrundfunk wie auch diejenigen von der privaten ist eine Demokratie fördernde und mit Verfassungsauftrag Industrie haben festgestellt, dass es so, wie Sie es hinein-

5704 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 geschrieben haben und wie die Staatsregierung verhandelt Ihre Fraktion, die Koalition haben dazu geschwiegen bzw. hat, einfach nicht geht. Wer Genaues wissen will, müsse dagegen gestimmt. nur im entsprechenden Protokoll nachlesen. Ich sage Ihnen, das sind aktuelle Probleme, auf die Ja, Sie verkünden das Ziel, dass Landesmedienanstalten reagiert werden muss. Über das, was Sie angesprochen fusionieren sollen. Nun greifen Sie zu dem Trick einer haben – die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsprechenden finanziellen Vergütung. Man hat ja aus in einer digitalen globalen Welt –, haben wir schon der Landespolitik gelernt, wie man es bei den Landkrei- mehrmals diskutiert. Wir haben mehrmals gesagt, es sen betreibt. Aber ich sage Ihnen, mit der Regelung, die reicht nicht aus, einen Rundfunkänderungsstaatsvertrag zu Sie geschaffen haben, wird keine einzige Landesmedien- machen. Wir brauchen einen neuen. Das haben wir zum anstalt fusionieren. Siebenten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, zum Achten Herr Degenhardt von der Sächsischen Landesmedienan- gemacht, und jetzt machen wir es wieder zum Neunten. stalt ist ja genau auf diesen Passus nicht eingegangen. Ich Auch Sie sagen, zum Zehnten wird es kommen. Allein, bin bereit, mit Ihnen eine Wette einzugehen, dass auf- mir fehlt der Glaube, dass Sie, die Sächsische Union, dazu grund dieser Regelung in den nächsten drei bis vier fähig sind, irgendetwas in diesem Bereich zu bewegen. Jahren keine einzige Fusion in Mitteldeutschland und in (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Deutschland dazu stattfinden wird. Ein wesentliches Problem, das im Sommer debattiert Sie sagen, das Erste Programm der ARD soll besser wurde, haben Sie auch nicht gelöst. Es geht um die PC- kontrolliert werden. Ja, darin stimme ich mit Ihnen über- Gebühren. Da muss ich die Staatsregierung doch fragen: ein. Es geht um einen Betrag von etwa 2 Milliarden Euro. Warum wird etwas eingeführt, was in wenigen Monaten Sie sagen, es sind Regelungen zur Gremienkontrolle schon wieder abgeschafft werden soll? geschaffen worden. Wer sich näher damit beschäftigt, Es wird zugegeben, dass diese Rundfunkgebühr weltweit weiß doch, dass dies Alibiregelungen sind. Wer verhan- einmalig ist. Es wird zugegeben, dass sie unsinnig ist, delt denn dort? Das sind dann nicht nur mehr die Inten- dass sie unpraktikabel ist, dass ein neues Rundfunkgebüh- danten, sondern auch die Gremienvorsitzenden. renmodell her muss, allerdings setzen Sie sie einfach Wir beide sitzen doch im Rundfunkrat des MDR. Wie einmal durch. Wir hätten die Chance gehabt, genau dort wurden wir denn von unserem Gremienvorsitzenden über entsprechende Regelungen zu schaffen und einen Miss- die entsprechenden Veränderungen im Ersten Programm stand, der eingeführt wird, sofort wieder abzuschaffen. der ARD informiert? Ich sage Ihnen eines, Herr Prof. Wöller, meine Damen Ich will jetzt nicht auf aktuelle Beispiele eingehen, aber und Herren von der Koalition: Sie haben nichts erfüllt. ich denke, Sie können dazu nichts detaillierter ausführen. Weder haben Sie die Ziele erreicht, die Sie vorgegeben Ich sage Ihnen, es gibt keine Stärkung der Medienkontrol- haben, noch haben Sie die aktuellen Probleme gelöst. le für das Erste Programm der ARD. Sie werden in zwei Deshalb ist dieser Rundfunkänderungsstaatsvertrag Jahren wieder hier stehen, wieder darüber debattieren und abzulehnen. wieder feststellen, dass letztlich die Intendanten dann (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) unter Abnickung der Gremienvorsitzenden und Rund- funkräte das machen, was sie wollen, und unsere Mitbe- Präsident Erich Iltgen: Wird von der Fraktion der SPD stimmung eben nicht gestärkt wurde. – So weit zu der das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Für die Frage, wie auf aktuelle Entwicklungen reagiert wurde. NPD-Fraktion Herr Gansel, bitte.

Natürlich kann man auch zurückblicken und fragen: Wie Jürgen Gansel, NPD: Sehr geehrter Herr Präsident! wurde auf Probleme reagiert und wie wurden Probleme Meine Damen und Herren! Wieder einmal führen wir eine gelöst? Ja, man musste eine technische Anpassung vor- Debatte zum Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Dabei ist nehmen. Man musste „Hausgemeinschaft“ in „Haushalts- nicht in Abrede zu stellen, dass sich der Neunte Rund- gemeinschaft“ ändern, weil es Hausgemeinschaften bei funkänderungsstaatsvertrag tatsächlich auch anderer den Gebührenbefreiungstatbeständen so oft nicht gibt. Fragestellungen annimmt als der Achte. Dies betrifft Man ist noch ein Stück weitergegangen: Diejenigen, die insbesondere die Fortschreibung der Reform des Medien- in einer Ausbildung sind und nicht zu Hause leben, sind rechts auf die sogenannten Telemedien. Die Staatsregie- zukünftig von Gebühren befreit. Aber viele andere, die rung verhehlt ja auch nicht, dass allein dadurch eine einer Gebührenbefreiung bedürfen, werden nicht befreit. Vielzahl sogenannter redaktioneller Änderungen erforder- Wie kann es sein, dass jemand, der Hartz IV bekommt lich wurde. Dass im Zuge der technischen Entwicklung und 10 Euro zusätzlich erhält, die volle Rundfunkgebühr ständig Neuerungen und in diesem Fall neue Medien auf bezahlen muss? Der hat letztlich weniger Geld in der den Markt drängen, ist eine Tatsache, der sich auch der Tasche. Wir haben auf dieses Problem immer wieder Gesetzgeber zu stellen hat. aufmerksam gemacht. Wir haben dazu immer wieder Anträge in den Landtag eingebracht. Wir wollten die Dass für viele ungeklärte Sachfragen nach und nach Staatsregierung auffordern, in diesem Bereich zu verhan- Regelungen getroffen werden müssen und dass sich diese deln. Sie hat es nicht getan, und Sie, Herr Prof. Wöller, im Abgleich mit der Medienrealität erst austarieren

5705 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 müssen, betonten auch die Experten in der Anhörung zum des Privatrundfunkgesetzes in dieser Form nicht zustim- Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag am 6. Dezem- men. ber letzten Jahres. (Beifall bei der NPD) Herr Dr. Kitz vom Bundesverband Informationswirt- schaft, Telekommunikation und Neue Medien hat es in Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion der FDP seiner Stellungnahme so formuliert: „Die Telemedien sind das Wort. Herr Herbst, bitte. in der misslichen Situation, dass sie neu sind und dass Torsten Herbst, FDP: Herr Präsident! Meine sehr man ausprobiert, welche Regelungen darauf am besten passen könnten. So greift von der einen Seite das Rund- geehrten Damen und Herren! Rund 70 Seiten stark ist die funkrecht zu …, von der anderen Seite das Presserecht ... Gesetzesvorlage mit Begründung, die wir heute beraten. Das führt ein wenig dazu, dass verschiedene Verpflich- Doch weit interessanter als das, was auf diesen 70 Seiten tungen auf die Telemedienanbieter aus anderen Rechtsge- steht, ist eigentlich das, was nicht dort steht. Der Neunte bieten zukommen, die so nicht auf sie passen und vor Rundfunkänderungsstaatsvertrag ist aus unserer Sicht ein allem in der Anhäufung … sehr schwere Belastungen mit Staatsvertrag der verpassten Gelegenheiten. Warum? sich bringen.“ Sie alle erinnern sich noch an die Diskussion um die Bei allem Verständnis für den Übergangscharakter der Ausweitung der Rundfunkgebühr auf internetfähige PCs. augenblicklichen Situation im Medienbereich muss Das ist noch nicht so lange her. Seit 1. Januar dieses gesehen werden, dass man sich das Leben durch allzu viel Jahres muss man, soweit kein anderes Rundfunkemp- ausufernden Formalismus im Kleingedruckten unnötig fangsgerät vorhanden ist, für einen internetfähigen Com- schwer machen kann. Stets spricht auch dieser Landtag puter oder auch ein Handy monatlich zusätzlich 5,52 Euro davon, dass die Verwaltung schlanker und Gesetze trans- an die Gebühreneinzugszentrale bezahlen. Das wird von parenter und für den Bürger nachvollziehbarer werden vielen Bürgern als ein Akt des reinen Abkassierens müssen. betrachtet, und das zu Recht. Für die Nutzung einer öffentlichen Leistung, auch öffentlich-rechtlichen Rund- Diesem Anspruch wird der vorliegende Rundfunkände- funks, Geld zu verlangen, ist legitim. Doch anzunehmen, rungsstaatsvertrag aber nicht gerecht. Herr Dr. Kitz dass mit den PCs in Arztpraxen, Architektenbüros oder in kritisierte in der Anhörung zu Recht, dass ohne Not neue Handwerksstuben die ganze Zeit „Tagesschau“ online Begrifflichkeiten eingeführt würden, die in vielfältiger geschaut oder MDR-Sachsen gehört wird, meine Damen Hinsicht Abgrenzungsprobleme mit sich brächten. Das und Herren, ist reichlich realitätsfremd. muss nicht sein. Man hätte sich bei der Abfassung des vorliegenden Gesetzentwurfs ruhig etwas größerer Strin- (Vereinzelt Beifalle bei der FDP) genz befleißigen können. Dieser Hinweis scheint der Es ist hoch interessant, dass das Finanzamt mittlerweile NPD-Fraktion am Platze; denn an anderer Stelle des von nahezu allen Unternehmen verlangt, dass Steuerdaten Entwurfs ist die Staatsregierung dann außerordentlich elektronisch via Internet übermittelt werden. Genau diese rigide und formulierungsgenau, zum Beispiel, wenn es Anforderung ist für die GEZ die gesetzlich legitimierte um die in Artikel 6 kodifizierten sozialstaatlich motivier- Lizenz zum Abkassieren. Das ist für uns nicht nachvoll- ten Befreiungstatbestände von den Rundfunkgebühren ziehbar. Ich denke, nicht nur unsere Fraktion hat viele geht. Hier werden nur bei den Eltern lebende BAföG- Briefe und Faxe von Handwerkern, Selbstständigen und Empfänger und Empfänger von Berufsausbildungsbeihilfe Ärzten bekommen, die ganz klar gesagt haben: Bei uns genannt. Warum werden nicht alle Studierenden von der wird der PC nicht zum Rundfunkhören genutzt, bei uns ist Gebührenbelastung freigehalten? Es wird auch in diesem er zum Arbeiten da. Das war noch nie anders und wird Haus von etablierten Politikern ständig schwadroniert, auch nie anders sein. dass das Kopfkapital der Nation gefördert und gepflegt Mit diesem Rundfunkänderungsstaatsvertrag hätte man werden müsse. bei mehr Mut die Chance gehabt, die unsinnige Gebüh- Auch bei der Debatte um Studiengebühren hat die NPD renausweitung zu stoppen. Wir hätten auch die Chance stets klargestellt, dass wir neue Belastungen für Studie- gehabt, die Rundfunkfinanzierung grundsätzlich auf rende ablehnen. Nach dem Willen von CDU- und SPD- andere Beine zu stellen. Die Landesregierungen, auch die Fraktion sollen Studierende nun mit Rundfunkgebühren sächsische, haben diese Chance verpasst. belastet werden, am Ende vielleicht nur deshalb, weil sie einen TV-fähigen Computer in ihrem Arbeitszimmer (Beifall bei der FDP und des Abg. stehen haben. Das ist gleichermaßen dumm und unsozial. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE) Wir möchten, dass nicht nur bei den Eltern lebende Meine Damen und Herren, die gerätegebundene Gebühr – Empfänger von Ausbildungsförderung, Berufsausbil- das ist mittlerweile die Meinung fast aller Experten – ist dungsbeihilfe und Ausbildungsgeld, sondern generell alle antiquiert und überholt. Sie passt nicht in eine Zeit, in der Studierenden von der Entrichtung von Rundfunkgebühren man mittlerweile mit sehr unterschiedlichen Geräten befreit werden. Rundfunk empfangen kann. Sie können das nicht mehr Deshalb können wir dem Gesetz zum Neun- kontrollieren, selbst wenn Sie die Bürokratie der GEZ ten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung verdoppeln würden. Sie wissen auch, dass die ermäßigte

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Gebühr von 5,52 Euro auf tönernen Füßen steht; denn im Zuerst und vor allem fehlt unserer Fraktion in diesem Gesetzestext des letzten Rundfunkänderungsstaatsvertra- Staatsvertrag die notwendige Fortschreibung des Morato- ges steht nicht explizit, dass die ermäßigte Rundfunkge- riums zur Rundfunkgebühr für internetfähige Empfangs- bühr zu zahlen ist. Es gab einen langen Streit und am geräte. Ende eine Interpretation. All das kann geändert werden, (Beifall bei den GRÜNEN) ohne dass die Landtage beteiligt werden. Wir hätten in diesem Rundfunkänderungsstaatsvertrag zumindest die Wir hatten im Sommer zuerst in der Öffentlichkeit und unklare Situation bereinigen können. Auch diese Chance danach im Landtag eine heiße Diskussion zu der unsägli- wurde leider verpasst. chen PC-Gebühr. Ich sage nicht deshalb „unsäglich“, weil Es wurde vorhin davon gesprochen, dass in der Anhörung ich weiterhin nur Radios und Fernsehgeräte als Emp- auf grundlegende Mängel hingewiesen wurde. Der Neun- fangsgeräte werten will, nein, die Zeit von Omas Dampf- te Rundfunkänderungsstaatsvertrag bringt uns in Sachen radio ist vorbei. Die technischen Entwicklungen sind Gebührengerechtigkeit nicht voran und löst auch keines weitergegangen und das Gebührensystem muss dem der anderen von mir angesprochenen Probleme. Was steht Rechnung tragen, aber bitte nicht auf diese Art und Weise: im Rundfunkänderungsstaatsvertrag? Es wird ein rechtli- dass der Gesetzgeber eine wirre Debatte darüber entfacht, cher Rahmen für die Telemedien eingeführt. Grundsätz- ob und mit welchem Computer oder Handy in welchem lich ist das sicher zu begrüßen, doch die Anhörung hat Raum der Wohnung und in welcher gemeinschaftlichen gezeigt, dass der Teufel im Detail steckt. Viele Unterneh- Lebensform ferngesehen oder Radio gehört werden kann men waren beispielsweise darüber erschrocken, dass und ob die gerätebezogene Gebühr fällig wird oder nicht. Telemedien jetzt im Rundfunkstaatsvertrag reguliert Inzwischen scheint die als Alternative vorgebrachte werden. Sie befürchten eine Annährung an die starren „grüne“ Forderung nach einer transparenten allgemeinen Vorschriften des historisch gewachsenen Rundfunkrechts. Mediengebühr pro Haushalt politisch mehrheitsfähig Für eine so dynamische Branche wie die Telemedien und geworden zu sein. Das ist gut so. Warum aber wird für die die Telemediendienste, meine Damen und Herren, ist das Übergangszeit das Moratorium zur PC-Gebühr nicht Rundfunkrecht in seiner traditionellen Form wenig einfach verlängert? Warum wird dieses unsinnige Kons- geeignet. trukt überhaupt in Kraft gesetzt? Unsere Fraktion wird diesen Rundfunkänderungsstaats- Meine Damen und Herren von der Koalition, das Unbe- vertrag ablehnen. Ich glaube, wir hätten mehr Mut ge- hagen darüber war doch im September im Landtag auch braucht, um einige Fehler der Vergangenheit zu korrigie- bei Ihnen förmlich zu greifen. Es sage jetzt bitte niemand, ren. Leider wurde diese Chance verpasst. es wäre damals bereits zu spät gewesen – Zeit und Gele- genheit zur Änderung waren da. Das zeigt das Einknicken (Vereinzelt Beifall bei der FDP) nach den heftigen Protesten im Sommer mit dem Ergeb- nis, für Internetempfangsgeräte nur die Radiogebühr zu Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion GRÜNE erheben. Das zeigt auch die vor Ihnen liegende Drucksa- das Wort. Herr Dr. Gerstenberg, bitte. che, werte Kolleginnen und Kollegen. Werfen Sie einen Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Sehr geehrter Blick in den Staatsvertrag und Sie werden sehen, dass die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie letzte Unterschrift erst Mitte Oktober darunter kam. Nein, erwarten gewiss auch von mir Kritik am zur Zustimmung an Zeit und Gelegenheit hat es wahrlich nicht gefehlt, anstehenden Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrages. sondern offensichtlich am politischen Willen. Dieses Ich werde Sie auch nicht enttäuschen. Zuvor möchte ich Verhalten der Koalition kann ich nur noch mit fortge- aber seinen inhaltlichen Kern begrüßen. schrittenem Regierungsstarrsinn erklären. Es ist grundsätzlich richtig, dass der bisherige Medien- (Beifall bei den GRÜNEN) dienstestaatsvertrag abgelöst wird. Die technischen Dann dürfen Sie angesichts dieser Diagnose nicht erwar- Gegebenheiten haben sich verändert. Die Medien haben ten, meine Damen und Herren, dass Sie dafür heute auch sich weiterentwickelt. Der Begriff Telemedien fasst die noch die Unterstützung unserer Fraktion bekommen. Konvergenz von Telediensten und Mediendiensten pas- Es gibt einen zweiten wichtigen Bereich, der in diesem send zusammen. Mit dem Telemediengesetz des Bundes Staatsvertrag fehlt, das sind die dringend notwendigen und den entsprechenden inhaltsbezogenen Vorschriften Korrekturen im Interesse des Datenschutzes. Wie ist die dieses Staatsvertrages werden rechtliche Grauzonen Situation? Mit dem letzten Rundfunkänderungsstaatsver- beseitigt. Die Rechtsetzung vollzieht das nach, was sich in trag wurde das Verfahren zur Befreiung von der Rund- der Medienrealität entwickelt hat. Allerdings tut sie das funkgebühr neu geordnet. Haben früher die Sozialämter leider nicht gründlich und konsequent genug, was nicht über eine mögliche Gebührenbefreiung entschieden, so zuletzt die Anhörung offenbart hat. Die Telemedien sind sind jetzt dafür die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstal- also im Staatsvertrag enthalten. Wichtig ist hier wie ten zuständig, die wiederum die GEZ beauftragen. Das anderswo nicht nur das, was drin ist, sondern ebenso das, Gesetz verlangt für die Befreiung die Vorlage des jeweili- was fehlt. Ich kann Kollegen Herbst nur recht geben. gen Gebührenbescheides, also zum Beispiel über Sozial- hilfe, ALG II oder BAföG. Vorlage des Bescheides heißt

5707 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 jetzt Einschicken an die GEZ. So erhält die GEZ eine Medienanstalt der Länder zu fusionieren. Wir sagen: Fülle personenbezogener Daten, die sie für ihre Entschei- Wichtig ist zunächst die Funktion und dann die Instituti- dung überhaupt nicht benötigt. Dazu gehören bei ALG-II- on. Wir müssen uns über den Aufgabeninhalt verständi- Empfängern zum Beispiel detaillierte Informationen über gen. Wenn Sie sich diesen genau anschauen, dann werden die Einkommens- und Vermögensverhältnisse, über die Sie feststellen, dass 80 % der Aufgaben, die beispielswei- Wohnsituation usw. Das sind Daten, die die GEZ schlicht se die SLM erledigt, regionaler Natur sind. Das beginnt nichts angehen. Es würde ausreichen, die Anstalt über die bei der Frequenzvergabe, über die Frequenzausschrei- Art und den Zeitraum der bewilligten Sozialleistung zu bung, bis hin zur Überwachung. Nur 20 % sind überregi- informieren. Dieser offensichtliche Missstand ist von den onal. Wir sehen deshalb keinen Grund, diesen mit Nach- Datenschutzbeauftragten bundesweit bemängelt worden. druck vorgetragenen Fusionsforderungen zu folgen. Dieser Neunte Rundfunkänderungsstaatsvertrag hätte die Richtig ist, dass Anreize gesetzt werden müssen. Aber das Chance geboten, die verfehlten Regelungen zu korrigieren ist eine freiwillige Entscheidung, der wir nicht folgen und der Datensammlung einen klaren Riegel vorzuschie- werden. ben. Auch hier Fehlanzeige. Im Übrigen ist die Zusammenarbeit der Medienanstalten Neben diesen zwei Fehlleistungen stoßen wir im Vertrag der Länder gut geregelt. Diejenigen Aufgaben, die natio- noch auf halbherzige Änderungen. Eine davon betrifft die nal überregional wahrgenommen werden müssen, werden Rundfunkaufsicht. Die Rundfunkaufsicht durch die bereits in den dafür zuständigen Kommissionen erledigt. Anstaltsgremien ist dringend revisionsbedürftig. Diese Ich nenne hierzu beispielhaft die Kommission für Ju- Gremien waren in der Vergangenheit nur sehr beschränkt gendmedienschutz in Erfurt, die hervorragende Arbeit in wirksam. Gerade in den letzten Jahren sind ihre Grenzen diesem Bereich leistet und den schlagenden Beweis dafür deutlich geworden. Ich erinnere Sie hierbei nur an den bietet, dass eine Fusion nicht erforderlich ist. Was wir Schleichwerbungsskandal und die Werbeverträge mit Jan allerdings brauchen, ist eine überregionale Stelle, die für Ulrich. Wenn jetzt die Konferenz der Gremienvorsitzen- die rechtsverbindliche nationale Ausschreibung und den der in der ARD zusammengeschlossenen Landesrund- Zuteilung der DVBH-Frequenzen zuständig ist. Auch funkanstalten die Kontrolle koordinieren soll, dann ist das hierzu gibt es Vorschläge aus den Reihen der Vorsitzenden für die ARD zwar ein Schritt vorwärts, aber es ist auch der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, die nicht andeutungsweise eine tief greifende und mutige wir für diskussionswürdig halten. Veränderung. Genau solche Veränderungen sind aber Nun zum Punkt PC-Gebühr. Ich möchte nicht die Fehlin- notwendig. Wir brauchen handlungsfähige Anstaltsgre- formationen aufgreifen, die uns Ende letzten Jahres mien mit gestärkten Kontrollrechten und Sanktionsmög- erreicht haben. Diese werden dadurch, dass sie von Ihnen lichkeiten. Das ist dringend erforderlich, um die noch wiederholt werden, nicht richtiger. Im Übrigen wundert es hohe Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und mich, dass das Thema jetzt erst bei Ihnen eine Rolle seiner Finanzierung nicht weiter zu gefährden. spielt, obwohl das Auslaufen des PC-Moratoriums bereits Werte Kolleginnen und Kollegen! Zwei Fehlleistungen in 2004 verabredet worden ist. Ich habe von Ihnen keine zentralen Punkten, dazu etliche Halbherzigkeiten – das Stimmen gehört, die eine Verlängerung gefordert haben. kennzeichnet diesen Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Er Es wundert mich sehr, Herr Hilker, dass Sie gerade im hat die Gelegenheit geboten, die Fehler seines Vorgänger- Bereich der Gebührengerechtigkeit hier keine Lanze für vertrages zu korrigieren. Diese Chance ist vertan und diejenigen brechen, die brav und ordnungsgemäß ihre vergeben worden. Folgerichtig erhält er nicht die Zu- Gebühren bezahlen. stimmung unserer Fraktion. (Beifall bei der CDU) (Beifall bei den GRÜNEN) Was ebenfalls verwunderlich ist: Herr Gerstenberg und Präsident Erich Iltgen: Wird von den Fraktionen noch Herr Herbst von der FDP stellen sich hin und sagen, es das Wort gewünscht? – Herr Prof. Wöller, bitte. gehe ihnen alles nicht weit genug. Die technische Ent- wicklung ist schon so weit, dass die Politik gar nicht Prof. Dr. Roland Wöller, CDU: Herr Präsident! Meine nachkommt. Gerade bei den internetfähigen PCs sagen Damen und Herren! Es ist mir völlig klar, dass die Oppo- Sie nein. Sie vertreten den Standpunkt, dass alles so sition die Erfolge als nicht weitgehend genug bezeichnet bleiben soll, wie es ist. Das, was sich entwickelt hat, soll und dass Sie, Herr Hilker, gewissermaßen wieder me- Ausnahmetatbestand sein. Dann gibt es die Ausnahmen, dienpolitisches Rumpelstilzchen spielen müssen. Deshalb die zu einem sinkenden Gebührenaufkommen führen. Die möchte ich auf einige wenige Punkte eingehen, die Sie Systematik der Finanzierung ist so, dass das Aufkommen genannt haben. derjenigen, die aufgrund von Ausnahmetatbeständen nicht bezahlen müssen, von den anderen erbracht werden muss. Ich komme zu den Landesmedienanstalten. Es ist richtig, Wir sind dezidiert dagegen, dass zum Beispiel die Rentne- dass mit dem Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag rin bzw. der Rentner die Gebühren der Freiberufler, der für die Landesmedienanstalten Anreize zum Fusionieren Selbstständigen und Mittelständler mit bezahlen muss. gesetzt werden. Die Fusion ist aber kein Königsweg. Es Das ist nicht gebührengerecht, meine Damen und Herren. werden sogar Forderungen anderer Länder aufgemacht, alle Landesmedienanstalten auf Bundesebene zu einer (Vereinzelt Beifall bei der CDU) 5708 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007

Abgesehen davon zahlt man die Gebühr nur dann, wenn (Torsten Herbst, FDP: Zuhören!) man kein anderes herkömmliches Rundfunkgerät vorhält. Im Übrigen finde ich es nicht richtig, wenn Sie einem Mir ist klar, dass Ihnen das nicht weit genug geht. Ich Gesetz zum Rundfunkänderungsstaatsvertrag nur deshalb verweise nur auf die Erfolge, die ohne die Initiativen der nicht zustimmen, weil bestimmte Dinge, die nicht hinein- CDU-Fraktion in diesem Hohen Haus gar nicht möglich gehören, aus Ihrer Sicht nicht enthalten sind. So können gewesen wären. Wir haben mit dem Fünften Rundfunkän- wir nicht miteinander umgehen. derungsstaatsvertrag die durchgehende Kontrolle des (Zurufe der Abg. Torsten Herbst, FDP, und Rechnungshofes eingefordert und die jährlichen Berichte an den Landtag auch bekommen. Wir haben eine Defini- Johannes Lichdi, GRÜNE) tion des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrages durch- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende gesetzt, die dem Kernauftrag näherkommt, insbesondere Neunte Rundfunkänderungsstaatsvertrag dient in seinem Themen der Wissenschaft, der Information und der Kultur Kern – das habe ich bereits gesagt – der Reform des zu verbreiten. Das ist der Kernauftrag, an dem wir weiter- Medienrechts, soweit das Gesetzgebungsverhältnis arbeiten wollen. zwischen Bund und Ländern im Bereich der Kommunika- Anstatt sich hinzustellen und zu sagen, dass Ihnen das tionsdienste betroffen ist. In Umsetzung der Vorgaben nicht genügt, würden wir uns freuen, wenn Sie uns bei entsprechender Bund-Länder-Vereinbarungen werden den Bemühungen, die zugegebenermaßen noch weiterge- Tele- und Mediendienste unter dem einheitlichen Begriff trieben werden müssen, hilfreich unter die Arme greifen. „Telemedien“ zusammengefasst. Die Vorschriften werden Sie haben jetzt die Chance dazu, indem Sie dem Neunten in einem neuen Telemediengesetz des Bundes und dem Rundfunkänderungsstaatsvertrag zustimmen. Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien der Länder zusammengeführt und sollen am 1. März 2007 in Kraft Herzlichen Dank. treten. (Beifall bei der CDU und der SPD) Alle inhaltlich ausgerichteten Regelungen, insbesondere alle journalistisch-redaktionellen Bestimmungen, verblei- Präsident Erich Iltgen: Wird von den Fraktionen noch ben in Landesrecht. Trotz dieser Umstellung bleibt der das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann frage materielle Regelungsgehalt weitgehend unverändert. ich die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Winkler, bitte. Hervorheben möchte ich die Änderungen des ARD- Staatsvertrages. Die Konferenz der Gremienvorsitzenden, Hermann Winkler, Staatsminister und Chef der die die Gremienkontrolle der in der ARD zusammenge- Staatskanzlei: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr schlossenen Landesrundfunkanstalten regelt, ist staatsver- verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über traglich verankert. Damit werden die Kontrollrechte die Abstimmung zum Neunten Rundfunkänderungsstaats- gegenüber der ARD gestärkt. Das war unser aller Wunsch. vertrag. Prof. Wöller hat noch einmal deutlich gemacht – Weitere Punkte des Neunten Rundfunkänderungsstaats- man kann das nicht oft genug sagen, denn es ist immer vertrages betreffen die Vielfaltsicherung bei den Bewer- noch nicht allen klar –, worum es in diesem Rundfunkän- bern für die Sendezeit für unabhängige Dritte, die Schlie- derungsstaatsvertrag geht. Es ist aber wichtig, dass wir die ßung einer Regelungslücke bei den Befreiungstatbestän- Dinge nicht vermischen. Die Beratungen in den Aus- den im Rundfunkgebührenstaatsvertrag, die Zulassung der schüssen und die Anhörung haben gezeigt, dass dieser Revision zum Bundesverwaltungsgericht, um eine ein- Rundfunkänderungsstaatsvertrag – anders als einige der heitliche Anwendung des Rundfunkgebührenstaatsvertra- vorhergehenden – hinsichtlich seines Regelungsgehaltes ges sicherzustellen, sowie eine Bestimmung, die die keine nennenswerten Kontroversen ausgelöst hat. Fusion von Landesmedienanstalten finanziell erleichtert. Ich sage es noch einmal: Es geht in diesem Neunten Ich bin Kollegen Wöller für die von ihm vorgenommene Rundfunkänderungsstaatsvertrag eben nicht um die PC- Klarstellung dankbar. Gebühr und auch nicht um die Gebührensystematik, Nach den Beratungen in den vergangenen Wochen habe sondern es geht um begonnene Strukturveränderungen, ich den Eindruck gewonnen, dass diese Änderungen auf die wichtig und richtig sind und weitergeführt werden breite Akzeptanz stoßen, und ich muss sagen, dass zumin- müssen. dest in den Ländern, in denen die FDP und die Linksfrak- Wir haben heute und an den nächsten beiden Tagen ein tion.PDS mit in der Regierungsverantwortung stehen, umfangreiches Programm, aber einige Kollegen wie Herr diese auch dem Staatsvertrag ihre Zustimmung gegeben Hilker und Herr Herbst haben wahrscheinlich die falschen haben. So rechne ich hier ebenfalls mit einer breiten Reden herausgesucht. Das waren die Reden zum Achten Zustimmung. Ich bitte Sie daher, dem vorliegenden Rundfunkänderungsstaatsvertrag, oder – was ich Ihnen Gesetz Ihre Zustimmung zu erteilen, damit der Neunte gar nicht zutraue – Sie sind so schnell und das waren Rundfunkänderungsstaatsvertrag planmäßig in Kraft bereits die Reden zum Zehnten Rundfunkänderungs- treten kann. staatsvertrag, bei dem es dann um die Gebührendebatte Vielen Dank. geht. (Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

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Präsident Erich Iltgen: Meine Damen und Herren! Wird Ich lasse über Artikel 3, Inkrafttreten und Außerkrafttre- weiterhin das Wort gewünscht? – Dies ist nicht der Fall. ten, abstimmen. Wer seine Zustimmung geben möchte, Deshalb kommen wir nun zu den Einzelberatungen. Ich den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt schlage Ihnen entsprechend § 44 Abs. 5 Satz 3 der Ge- dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer schäftsordnung vor, über den Gesetzentwurf artikelweise ganzen Anzahl von Stimmen dagegen ist dem Artikel 3 abzustimmen. Wird dem widersprochen? – Dies ist nicht mehrheitlich zugestimmt worden. Damit ist die der Fall, dann werden wir so verfahren. 2. Beratung abgeschlossen. Meine Damen und Herren! Aufgerufen ist das Gesetz zum Da in der 2. Beratung keine Änderungen beschlossen Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Ände- worden sind, eröffne ich die 3. Beratung. Es liegt kein rung des Sächsischen Privatrundfunkgesetzes. Wir stim- Wunsch nach einer allgemeinen Aussprache vor. Ich stelle men ab auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des deshalb den Entwurf Gesetz zum Neunten Rundfunkände- Ausschusses für Wissenschaft und Hochschule, Kultur rungsstaatsvertrag und zur Änderung des Sächsischen und Medien, Drucksache 4/7561. Privatrundfunkgesetzes in der in der 2. Lesung beschlos- Zunächst stimmen wir über die Überschrift ab. Wer ihr senen Fassung als Ganzes zur Abstimmung. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Entwurf des Gesetzes seine Zustimmung geben möchte, Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt enthält sich der Stimme? – Damit ist sie bei Stimmenthal- dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer tungen und Stimmen dagegen dennoch mit Mehrheit großen Anzahl von Gegenstimmen ist dem Gesetzentwurf beschlossen worden. als Ganzes zugestimmt worden. Damit ist der Entwurf als Gesetz beschlossen. Ich lasse über Artikel 1, Gesetz zum Neunten Rundfunk- Meine Damen und Herren! Mir liegt ein Antrag auf änderungsstaatsvertrag, abstimmen. Wer diesem Artikel unverzügliche Ausfertigung dieses Gesetzes vor. Dem die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das wird entsprochen, wenn der Landtag gemäß § 50 Abs. 2 Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer der Geschäftsordnung die Dringlichkeit beschließt. Ich enthält sich der Stimme? – Bei einer ganzen Anzahl von frage Sie, ob es Widerspruch dagegen gibt, dass eine Gegenstimmen ist dem Artikel 1 trotzdem mehrheitlich Eilausfertigung stattfindet. – Dies ist nicht der Fall, dann zugestimmt worden. ist das beschlossen und wird so erledigt. Meine Damen Ich lasse über Artikel 2, Änderung des Sächsischen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt 1 abge- Privatrundfunkgesetzes, abstimmen. Wer seine Zustim- schlossen. mung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Ich rufe auf Stimme? – Bei Stimmenthaltungen und Gegenstimmen wurde dem Artikel 2 mehrheitlich zugestimmt.

Tagesordnungspunkt 2 2. und 3. Lesung der Entwürfe – Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen und weiterer Gesetze Drucksache 4/5086, Gesetzentwurf der Fraktion der FDP

Drucksache 4/7620, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses – Gesetz zur Regelung der Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen in Sachsen Drucksache 4/5915, Gesetzentwurf der Linksfraktion.PDS

Drucksache 4/7621, Beschlussempfehlung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses

Den Fraktionen wird das Wort zu einer allgemeinen Holger Zastrow, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Aussprache erteilt. Es beginnt die Fraktion der FDP, es Sehr geehrte Damen und Herren! Über die ja so „jugend- folgen die CDU, die Linksfraktion.PDS, die SPD, die freundliche“ Politik unserer Staatsregierung habe ich hier NPD, die GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn schon oft ganz tolle Worte bzw. Vorträge gehört. Mit gewünscht. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte die Fraktion unserem Gesetzentwurf haben Sie heute – dies geht vor der FDP, das Wort zu nehmen; Herr Fraktionsvorsitzender allem an die Kollegen der CDU und der SPD, also der Zastrow. Koalition – zum ersten Mal die Chance, Ihren Worten

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Taten folgen zu lassen. Mit Ihrer Zustimmung zu der von Vielleicht kann ich Sie dazu mit ein paar Zahlen „ver- uns geforderten Absenkung des aktiven Wahlrechtes auf wöhnen“. 67 % der Jugendlichen sagen beispielsweise, 16 Jahre bei Kommunalwahlen zeigen Sie, dass Sie es sie würden auf jeden Fall an Wahlen teilnehmen. ernst meinen, wenn Sie von besseren Mitsprachemöglich- (Frank Kupfer, CDU: Das glaube ich nicht!) keiten für unsere Jugend in Sachsen sprechen, meine Damen und Herren. Dies ist ein fantastischer Wert, wenn ich beispielsweise – wir sprechen einmal über die kommunale Ebene – an die (Beifall bei der FDP) letzten Bürgermeisterwahlen in Sachsen und dabei an Außerdem setzen wir mit der von uns geforderten Absen- Leipzig denke. Zur Erinnerung: Im ersten Wahlgang kung des Wahlalters auf 16 Jahre genau das um, was Frau gingen dort gerade einmal 34,9 % zur Wahl, und im Staatsministerin Orosz – leider ist sie im Moment nicht zweiten Wahlgang waren es noch 31,7 %. In Chemnitz anwesend – war das Bild im Endeffekt nicht besser. 38,5 % der Chemnitzer haben sich am ersten Wahlgang beteiligt; (Volker Bandmann, CDU: Klar ist sie da!) im zweiten Wahlgang – dies ist, denke ich, Negativrekord – Wo denn? – Okay, sehr schön! – waren es noch 30,8 %. 18 % der Jugendlichen – – in der großen Studie des Sächsischen Sozialministeri- Herr Kupfer, es ist eine repräsentative Studie des Sozial- ums mit dem Titel „Jugend 2005 in Sachsen“ selbst ministeriums; den Zahlen würde ich schon glauben gefordert hat. Ich zitiere Frau Orosz: „Jugendliche be- wollen – können sich vorstellen, in einer Bürgerinitiative schäftigen sich intensiv mit sich und ihrer Zukunft. Wenn mitzuarbeiten – ein ganz ungeheurer Aktivitätsgrad. Wenn sich 2005 die Meinungen hinsichtlich der politischen ich dann sehe, dass sich sogar 15 % der Jugendlichen Einflussmöglichkeiten des Einzelnen in Sachsen insge- vorstellen können, in einer Partei mitzuarbeiten, so wird samt positiv verändert haben, so gilt es, Jugendliche in die Zahl übrigens noch interessanter; und es wird Sie Zukunft noch stärker in politische Entscheidungen einzu- freuen – mich ärgert es ein wenig –, dass die meisten in beziehen und am politischen und gesellschaftlichen Leben der CDU oder der PDS mitarbeiten wollen. So schlimm teilhaben zu lassen.“ Das beste Mittel, genau diesem ist das also für Sie gar nicht. Anspruch gerecht zu werden, ist es, den 16- und 17- Präsident Erich Iltgen: Gestatten Sie eine Zwischenfra- Jährigen in Sachsen ein aktives Wahlrecht für Kommu- ge? nalwahlen einzuräumen, meine Damen und Herren. (Beifall bei der FDP) Holger Zastrow, FDP: Natürlich. Das gesellschaftliche Engagement unserer Jugendlichen Präsident Erich Iltgen: Herr Kupfer, bitte. ist in sehr vielen Bereichen – dies wissen Sie selbst – sehr Frank Kupfer, CDU: Herr Zastrow, wie können Sie uns groß. Viele tragen bereits in sehr jungen Jahren enorme Verantwortung. Das tun sie an ihren Schulen, in ihren dann erklären, dass die Beteiligung an Jugendstadtrats- Sportvereinen, im ländlichen Bereich vor allem auch in wahlen zum Beispiel in Oschatz bei 2 % liegt? In Oschatz der Freiwilligen Feuerwehr, im Naturschutz, bei Kunst- ist es so, dass der Jugendstadtrat nicht irgendein Gremium und Kulturprojekten sowie in politischen Jugendverbän- ist, sondern wirklich etwas zu sagen hat. Dort wäre also den. Unsere Staatsministerin hat wiederum recht, wenn der Einfluss der Jugendlichen auf die Kommunalpolitik sie im Ergebnis der Jugendstudie davon spricht, dass das direkt gegeben – und trotzdem nur 2 % Wahlbeteiligung. oft zitierte gesellschaftliche Bild von einer desinteressier- (Einzelbeifall bei der CDU) ten und teilnahmslosen Jugend in Sachsen nicht der Realität entspricht. Holger Zastrow, FDP: Weil der Jugendliche sehr genau erkennt, ob es der Politik mit der Mitbestimmung ernst ist Wenn wir uns jedoch die Studie, die übrigens vom Leip- oder ob das nur ein Alibi ist; ob es eine Worthülse ist, ob ziger Institut für Marktforschung erarbeitet wurde und man kleine Placebos verteilt. repräsentativ ist, genau anschauen, sehen wir ganz genau, wo die Defizite in der sächsischen Jugendpolitik liegen. (Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS Denn auch wenn sich die Situation gegenüber vorherigen und der SPD – Michael Weichert, GRÜNE: Untersuchungen leicht verbessert hat, halten gerade Das ist Quatsch!) einmal 24 % der sächsischen Jugendlichen im Alter Dass dies dort passiert, ist nett; Runde Tische sind nett zwischen 16 und 25 Jahren ihre politischen Einflussmög- und Diskussionsrunden sind nett. lichkeiten in Sachsen für insgesamt ausreichend. Die große Mehrheit unserer Jugendlichen beantwortet die (Zuruf von der CDU: In Torgau ist es dasselbe!) Frage nach der politischen Einflussnahme kritisch bzw. Aber es ist kein hartes Instrument. Wenn ich Mitbestim- hält die derzeitigen Rahmenbedingungen für absolut mung will, muss ich ihnen das Recht geben, wählen zu unzureichend – und dies, obwohl sich in unserer Jugend können. Dann werden übrigens auch die Parteien Rück- ein erstaunliches Interesse an politischen Geschehnissen sicht auf diese Wählergruppe nehmen, und das ist das, offenbart. wofür wir als FDP eintreten.

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(Beifall bei der FDP – heute sicherlich dieses Argument zu hören bekommen. Zuruf von den GRÜNEN: Wir auch!) Derjenige, der darauf antworten wird, kann schon einmal nachschauen, wo es einen Verfassungsrichter gibt und wo – Auch die GRÜNEN. Übrigens auch noch andere Partei- es ein Urteil gibt, die diese Praxis in anderen Bundeslän- en hier im Sächsischen Landtag. dern verurteilt haben. Mir ist – aber ich bin kein Jurist, Wenn ich aber sehe, dass 15 % der Jugendlichen sagen, das werden Sie mir besser sagen können – nicht ein sie könnten sich unter Umständen vorstellen, in einer einziger Fall bekannt, meine Damen und Herren. Partei mitzuarbeiten, und weiß, dass in Deutschland nicht Gestatten Sie mir, weil auch immer wieder gesagt wird, einmal 2 % der Deutschen überhaupt Mitglieder einer die jungen Leute würden nur radikal wählen, einen Partei sind, dann weiß ich auch, was dort für eine Bereit- Hinweis: Die 16- und 17-Jährigen in Sachsen oder auch in schaft vorhanden ist, was dort für ein Interesse vorhanden Mecklenburg-Vorpommern sind nicht daran schuld, dass ist. Dieses Interesse, meine Damen und Herren, sollten die Dame und die Herren hier im Parlament sitzen. wir bedienen. (Jürgen Gansel, NPD: Innerhalb unserer Jugend gibt es eine enorme Bereit- schaft, sich politisch zu engagieren, sich gesellschaftlich Sondern die 18- bis 29-Jährigen!) zu engagieren. Die Bereitschaft ist oftmals – so nehme ich Daran erinnern Sie sich bitte. Viele Bundesländer sind es zumindest wahr – viel größer als bei manch älterem jugendpolitisch schon weiter als wir. Selbst anderswo in Semester. Aber anstatt dieses Potenzial zu nutzen und den Europa hat der Zug längst Fahrt aufgenommen. Erst vor Jugendlichen echte Mitwirkungsmöglichkeiten anzubie- zwei Wochen beispielsweise hat die ÖVP/SPÖ- ten, beschränkt sich die Politik – Herr Kupfer! – auf ein Bundesregierung in Österreich ihr Regierungsprogramm paar kosmetische Aktivitäten und vor allem auf die verabschiedet. Ein zentraler Punkt in diesem Regierungs- Behauptung, dass gerade auf kommunaler Ebene schon programm ist die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. ausreichend Mitwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung Dass die Vorsitzende der Kinderkommission im Deut- stünden. schen – das ist die SPD-Politikerin Marlene Es ist möglich, dass Oschatz die rühmliche Ausnahme ist. Rupprecht – erst vor ungefähr zehn Tagen die Absenkung Das halte ich Ihnen zugute, wenn es so sein sollte. Aber des Wahlalters auf 16 Jahre gefordert hat, will ich an wie die Realität aussieht, hat mein Kollege Dr. Martens in dieser Stelle auch nicht verschweigen. einer Antwort auf eine Kleine Anfrage – ich verweise auf (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!) die Drucksache 4/7070 – erfahren. Die Frage, die er gestellt hat, lautete: „Welche Landkreise und Gemeinden Ich will auch ganz klar sagen, dass das, was in unserem haben wann und zu welchen Angelegenheiten Jugendliche Gesetzentwurf steht, für uns nur ein erster Schritt ist. bis zu 17 Jahren als sachkundige Einwohner zur Beratung (Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) hinzugezogen?“ Wir halten die Absenkung des Alters für das aktive Die Antwort: Acht Gemeinden beteiligen Jugendliche als Wahlrecht nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern auch ständige Mitglieder in Ausschüssen, sechs Kommunen auf höheren Ebenen, also auf der Bundesebene oder auf verfügen über einen Kinder- und Jugendbeirat bzw. über der Landesebene, für absolut richtig. Das hängt sicherlich ein Jugendparlament und immerhin 22 Kommunen damit zusammen – vielleicht ist das auch eine Antwort können sich erinnern, zu irgendeinem Sachverhalt – das auf das mangelnde Interesse, das Sie, Herr Kupfer, aus war dann ein Fußballplatz oder Ähnliches – schon einmal Oschatz geschildert haben –, dass viele junge Leute keine Jugendliche in Sachsen gefragt zu haben. – Nur zur Lust haben, sich mit der Hauptsatzung einer Stadt ausei- Erinnerung, falls Sie die Zahlen nicht kennen: In Sachsen nanderzusetzen, sondern vielleicht doch eher visionäre gibt es 511 Gemeinden und 22 Landkreise. – Das ist keine Themen haben, vielleicht auch in größeren Dimensionen kommunale Mitbestimmung, das ist Alibipolitik, das ist denken und sich für die größeren Themen interessieren. nichts anderes als ein Feigenblatt für jungendpolitische Zumindest war es bei mir so, dass ich als junger Mensch Versäumnisse. Und das, meine Damen und Herren, muss nicht unbedingt die Bürokratie einer Stadtverwaltung sehr sich ändern! spannend gefunden habe, sondern dass mich schon Natur- (Beifall bei der FDP) und Klimaschutz und viele andere Dinge bewegt haben. Übrigens ist das, was wir in unserem Gesetzentwurf (Johannes Lichdi, GRÜNE: Was? – fordern, nichts vollkommen Neues. Andere sind uns in Lachen und weiterer Zuruf des dieser Frage schon längst vorausgegangen. Soweit ich es Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) vernommen habe, haben andere damit durchaus positive – Ja, Herr Lichdi. Das, was mich als junger Mensch 1989 Erfahrungen gemacht. In Nordrhein-Westfalen, in Nieder- bewegt hat, Herr Lichdi, unterscheidet uns. Wie man ein sachsen, in Sachsen-Anhalt, in Berlin, in Mecklenburg- System richtig ändern kann und wie man es, indem man Vorpommern und in Schleswig-Holstein dürfen Jugendli- auf die Straße geht, auch verschwinden lassen kann, das che bereits mit 16 Jahren an Kommunalwahlen teilneh- unterscheidet uns tatsächlich in unserer Biografie, Herr men, und zwar trotz der immer und immer wieder arg Lichdi. strapazierten verfassungsrechtlichen Bedenken. Ich werde

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(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Sollten junge Leute am Ende tatsächlich radikal wählen, Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) haben nicht die jungen Leute versagt, sondern dann haben wir als demokratische Mitte in diesem Land versagt, Wir würden also gern noch etwas mehr wollen. Aber ich meine Damen und Herren. gebe zu, dass wir als FDP ängstlich sind. Denn so viele revolutionäre Momente, dass wir gleich alles in diesen Vor genau zehn Jahren, im Jahr 1997, wurde dieses Gesetzentwurf hineinpacken, wollen wir Ihnen nicht Thema hier schon einmal diskutiert. Es war damals eine zumuten. Initiative der SPD. Die SPD hatte einen – aus meiner Sicht sehr guten – ähnlichen Gesetzentwurf eingebracht. (Zuruf von der Linksfraktion.PDS) Barbara Ludwig, inzwischen Oberbürgermeisterin von Deswegen heute nur die Kommunen. Umso leichter fällt Chemnitz, sagte damals etwas aus meiner Sicht sehr Ihnen am Ende Ihre Zustimmung, ganz gewiss. Wichtiges und sehr Richtiges. Ich zitiere sie: „Wer den Jugendlichen ihre Kompetenz abspricht, der zeigt damit, In der öffentlichen Anhörung zu unserem Gesetzentwurf wie ernst er Jugendliche als Partner wirklich nimmt. Die vor zwei Monaten haben sich vier der acht Sachverständi- Folgen einer solchen Jugendpolitik sind fatal, weil sie gen für eine Absenkung des Wahlalters ausgesprochen. mündige Bürger, was Jugendliche in diesem Alter sind, Das waren zum Beispiel der frühere Kinderbeauftragte von der Teilhabe an demokratischen Prozessen abhält.“ aus Nordrhein-Westfalen, Herr Dr. Eichholz, und die niedersächsische SPD-Landtagsabgeordnete Frau Merck. Besser kann man es nicht ausdrücken, meine Damen und Herr Prof. Herrmann von der Pädagogischen Hochschule Herren. in Weingarten sagte unter anderem – ich zitiere ihn –, dass (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD) man gerade aus der Perspektive der Jugendsoziologie und der Entwicklungspsychologie zwingend zu dem Ergebnis Liebe Kollegen von der SPD – weil ich gerade bei Ihnen kommen müsse, dass eine Wahlalterabsenkung den bin –, Sie haben heute die Chance, Ihren vor zehn Jahren tatsächlichen Entwicklungen der Jugendphase entspreche. formulierten Gesetzentwurf hier umzusetzen. Wie ich die Sache sehe, dürfte es für die Absenkung des Wahlalters in Nein, den jungen Leuten heute fehlt nicht die Reife, um diesem Parlament eigentlich eine Mehrheit geben. mit 16 oder 17 Jahren zu wählen. Wir müssen ganz klar sagen: Der Hinweis auf die Reife, der immer wieder gern (Stefan Brangs, SPD: Eigentlich ja!) von Konservativen vorgebracht wird, verbietet sich für Wenn Sie noch zu Ihrem Wort stehen und wenn Sie vor mich spätestens in dem Moment, in dem ich – das kommt allem noch zu dem stehen, was Sie selbst in den aktuellen ab und zu vor – nachmittags einen privaten deutschen Koalitionsvertrag geschrieben haben – darin steht: „Junge Fernsehsender schaue und sehe, wie sich erwachsene Menschen sollen verstärkt die Möglichkeit erhalten, sich wahlberechtigte Bürger – – aktiv und eigenverantwortlich am gesellschaftlichen (Marko Schiemann, CDU: Nachmittags? – Leben zu beteiligen, und ermutigt werden, sich mit Johannes Lichdi, GRÜNE: Da haben Sie Zeit?) politischen Fragen zu beschäftigen“ –, dann müssen Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen; dann werden Sie – Herr Schiemann, ich bin selbstständig. Das ist die dafür sorgen, dass dieser Gesetzentwurf heute durchgeht. Chance. Selbstständigkeit heißt doch Freiheit. – Wenn ich dann sehe, was sich auf diesen Kanälen an Erwachsenen (Beifall bei der FDP und vereinzelt und Wahlberechtigten so tummelt, muss ich sagen: Ob das bei der Linksfraktion.PDS) immer so reif ist, wage ich zu bezweifeln, meine Damen Oder, meine Damen und Herren von der Sozialdemokra- und Herren. tie, war das nur wieder so eine Floskel? Ist auch das (Beifall bei der FDP und vereinzelt wieder einmal nur ein Spruch gewesen, für den sich hier bei der Linksfraktion.PDS) niemand etwas kaufen kann? War das doch wieder nur eine Grußformel an unsere Jugend, die nicht untersetzt Im Gegenteil, unsere Jugend ist politisch meist wesentlich ist? Ist es irgendein blumiges Bekenntnis gewesen, das interessierter und sehr oft wesentlich informierter als viele Sie ganz gewiss nicht einhalten, wenn es einmal zum Ältere und unsere Jugend ist auch offener. Offenheit Schwur kommt? bedeutet auch, dass man sich vielleicht noch nicht festge- legt hat, dass man sucht, dass man probiert, dass man Ich kann mir das nicht vorstellen, denn dieses Thema war schaut. Ihnen immer sehr wichtig. Ich habe die Debatte damals nachgelesen. Sie war hoch interessant. Wir als FDP saßen Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: Wenn es uns als damals noch nicht im Sächsischen Landtag. Parteien der Mitte nicht gelingt, den Jugendlichen eine Heimat zu geben Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie diesen Punkt – weil er Ihnen immer so wichtig war – nicht im Koaliti- (Jürgen Gansel, NPD: Gelingt Ihnen nicht!) onsvertrag so festgeschrieben und ihn nicht zur Bedin- und sie von demokratischen Grundwerten zu überzeugen, gung Ihres Mitregierens gemacht haben, meine Damen dann liegt das nicht an den Jugendlichen, sondern an uns. und Herren. (Beifall des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

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(Beifall bei der FDP und der Abg. reden. Wir wollen mehr: Wir wollen mit den jungen Freya-Maria Klinger, Linksfraktion.PDS – Menschen sprechen und sie selbst zu Wort kommen Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU) lassen und auch zur Tat. Es geht um rund 100 000 Jugendliche. Es geht um die (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Generation, die am allermeisten für die Fehler und für die Dies wollen wir mittels zweier Dinge erreichen: Erstens Versäumnisse der Politik von heute bezahlen muss. Ich wollen wir das Wahlalter absenken und zweitens wollen spreche über die Rente. Ich spreche nur die heutigen wir den jungen Menschen eigene Instrumente, eigene sozialen Sicherungssysteme an. Es geht auch um die Werkzeuge mit auf den Weg geben, um aktiv zu lernen, Generation, die – anders als die meisten hier in diesem was es heißt, Teil einer demokratischen Gesellschaft zu Raum – nicht mit 65 in Rente gehen wird, sondern sein. zwei Jahre länger, nämlich bis 67, arbeiten muss. Lassen Sie mich zuerst ein paar Ausführungen zur Absen- Hören wir auf, Mitbestimmungsplacebos zu verteilen, kung des Wahlalters machen. Wir wollen mit dem Ihnen geben wir den Jugendlichen endlich ein echtes Mitbe- vorliegenden Gesetzentwurf das Wahlrecht dahin gehend stimmungsinstrument in die Hand! Geben wir den verändern, dass wahlberechtigt für den Landtag ist, wer 100 000 Jugendlichen endlich ein Werkzeug in die Hand, das 16. Lebensjahr vollendet hat. mit dem sie wirklich auf ihre Interessen aufmerksam machen können. Dieses Werkzeug – ich habe es vorhin Weiterhin wollen wir, dass junge Menschen ab 16 Jahre schon gesagt – sind eben keine Runden Tische, sind keine nicht nur über die Zusammensetzung der Kommunalpar- Gesprächskreise, sondern das ist das Wahlrecht. Stimmen lamente entscheiden sollen, wie es der Gesetzentwurf der Sie unserem Antrag zu! FDP-Fraktion vorsieht, sondern wir wollen, dass die jungen Menschen selbst für ebendiese Kommunalparla- Danke. mente kandidieren können. (Beifall bei der FDP) Einwohneranträge sollen bereits ab dem vollendeten Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Linksfrakti- 14. Lebensjahr unterzeichnet werden können. on.PDS das Wort. Frau Klinger, bitte. Dass diese Forderungen zeitgemäß sind, wurde nicht nur in der Anhörung unseres Gesetzentwurfes im Verfas- Freya-Maria Klinger, Linksfraktion.PDS: Sehr geehr- sungs-, Rechts- und Europaausschuss deutlich. So führte ter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und dort der Soziologe Prof. Herrmann – Kollege Zastrow hat Herren! „Wir sollten die Kinder in die Mitte unserer ihn schon erwähnt – aus, dass die Absenkung des Wahlal- Betrachtung stellen und die Entfaltung ihrer vielfältig ters der tatsächlichen Entwicklung der Jugendphase angelegten Fähigkeiten zum Blühen kommen lassen. entspreche. Jugendliche erfahren im Alter von 14 Jahren Unter diesem positiven Ansatz sollten wir die Aufnahme die erste Strafmündigkeit, die bedingte Geschäftsfähigkeit der Kinderrechte in die Verfassung diskutieren.“ sowie Religionsfreiheit. Auch in vielen Parteien kann man Dieses Zitat, meine sehr geehrten Damen und Herren, inzwischen mit 14 Jahren Mitglied werden. Da frage ich stammt von der derzeitigen Bundesfamilienministerin doch: Mitglied ja – wählen nein? . Sie sehen also, nicht nur die (Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) Linksfraktion.PDS im Sächsischen Landtag macht sich Gedanken zu diesem Thema, auch andere politische Ich denke, das ist zum Beispiel ein Punkt, der dem wider- Kräfte in diesem Land und in diesem Staat tun es. spricht, dass gesagt wird, bei den Jugendlichen gäbe es nur ein geringes politisches Interesse. Auch in Ihrer (Rico Gebhardt, Linksfraktion.PDS: Partei-Jugendorganisation, liebe Kolleginnen und Kolle- Außerhalb Sachsens!) gen der CDU-Fraktion, kann man bereits mit 14 Jahren Wir fordern mit unserem Gesetzentwurf die Beteiligungs- Mitglied werden und in Ihrer Partei mit 16. Ich habe mich und Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendli- extra kundig gemacht. chen im Freistaat Sachsen, die Aufnahme von Rechten für (Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Kinder und Jugendliche in die Verfassung. Kraft dieser Genau richtig!) Regelung sollen Kinder und Jugendliche als eigenständige Grundrechtsträger eine nachhaltige Aufwertung ihrer Mit 16 Jahren wird den Menschen zum Beispiel zugemu- Rechtsposition erhalten. tet, dass man bei der Berufswahl eine Entscheidung für das Leben trifft. Aber bei der Frage nach der Gestaltung Dies ist auch in Anbetracht der heftig geführten Debatten des Lebensumfeldes hat ein 16-Jähriger zu schweigen. um das Kindeswohl, um den Schutz vor Vernachlässigung und Misshandlung ein längst überfälliger Schritt. Die (Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Rechte des Kindes müssen Verfassungsrang erhalten. Warum denn?!) Es reicht aber nicht, wie es Frau von der Leyen will, die Auch Frau Heidrun Merk, die ehemalige SPD-Justiz- jungen Menschen nur in den Mittelpunkt unserer Betrach- ministerin des Landes Niedersachsen, sprach sich eindeu- tung zu stellen. Denn das würde bedeuten, über sie zu tig für die Absenkung des Wahlalters aus, wie es in

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Niedersachsen in dem Moment geschehen ist, als sie Auch an Sie, liebe Damen und Herren der SPD-Fraktion, Ministerin war. Sie berichtete aus Niedersachsen und möchte ich mich wenden. Sie gelten eigentlich als Ver- führte aus, dass es dort nicht zu den immer wieder be- fechter einer Absenkung des Wahlalters. Aber Sie halten schworenen Extremwählern in der Altersgruppe der 16- sich lieber an den Koalitionszwang, statt Ihre eigenen bis 18-Jährigen kam. Sie erklärte weiterhin, dass der Parteibeschlüsse umzusetzen. Anteil der Wähler in dieser Altersgruppe genauso hoch (Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Leider!) war wie der Anteil der Wähler in anderen Altersgruppen. Mit diesen Aussagen trat Frau Merk entschieden zwei Ich sprach aber auch von eigenen Instrumenten, die wir Szenarien entgegen, die hier bei der Behandlung des den jungen Menschen mit an die Hand geben wollen, und Gesetzentwurfes immer wieder von den Vertreterinnen das jenseits von Wahlen. Solche Instrumente können zum und Vertretern der CDU-Fraktion angeführt wurden. Es Beispiel Kinder- und Jugendvertretungen in den Kommu- hat sich aber eben an praktischen Beispielen gezeigt, dass nen sein. Der kommunale Raum ist als direktes Lebens- weder ein geringes Interesse noch ein extremes Wahlver- umfeld ein unmittelbarer Lernort für Demokratie. Nur, halten zu verzeichnen war und ist. diese Kinder- und Jugendvertretungen müssen auch eigene Rechte bekommen, damit sie eben nicht als Alibi- Das aktive Wahlrecht ist ein Grundrecht. So hat es auch instrumente der Politik dienen. Was wir brauchen, sind der Bayerische Verfassungsgerichtshof bestätigt. Dieses flächendeckende Beteiligungsstrukturen. Grundrecht aber wird derzeit Menschen in Sachsen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, vorenthal- (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) ten. Dabei wollen wir den Kommunen und natürlich auch den Was hier passiert, ist eine Differenzierung in kompetente Kindern und Jugendlichen in diesen Kommunen die oder eben nicht kompetente Menschen, die rein willkür- größtmögliche Freiheit einräumen, diese Vertretungen lich am Alter festgemacht wird. Deshalb müssen wir dafür selbst auszugestalten. Sie müssen nicht zwangsläufig sorgen, dass das Wahlalter Schritt für Schritt abgesenkt parlamentarischer Natur sein. Auch offene oder projekt- wird. Die Absenkung auf 16 Jahre kann also nur ein orientierte Formen haben sich als sinnvoll und praktikabel erster, dringend notwendiger Schritt sein. erwiesen. Beispiele sind in der gesamten Bundesrepublik und auch in Sachsen zu finden. (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Weiterhin wollen wir den sogenannten Beteiligungs- Wir sind nicht allein mit dieser Forderung. Ähnliche grundsatz festschreiben. Wir sehen eine Rechenschafts- Vorstöße gab es in den vergangenen Wochen auch seitens pflicht in unserem Gesetzentwurf seitens der Kommunen der Vorsitzenden der Kinderkommission des Bundestages, vor. Diese sollen in Zukunft darlegen, wie sie Kinder und Frau Rupprecht, sowie der ehemaligen Bundesfamilien- Jugendliche in Entscheidungen, in Planungen und Vorha- ministerin Frau Schmidt und sogar – man höre und staune ben, die Kinder- und Jugendinteressen betreffen, einbezo- – vom evangelischen Landesbischof von Bayern. Diese gen haben. Menschen sprachen sich dafür aus, das Wahlalter auf Stadtplanung zum Beispiel ist ein wichtiges Schlagwort. 16 Jahre abzusenken, und das nicht nur für Kommunal- Ein Raum, der selbst gestaltet wird, wird anschließend und Landtagswahlen, sondern sogar für Bundestagswah- auch besser angenommen. Das gilt nicht nur für Kinder len. und Jugendliche, sondern für alle Bürger. Ich möchte noch eine Anmerkung zu einem Begriff machen, der auch während der Beratung dieses Gesetzes Für den Fall, dass die Beteiligung aber nicht stattfindet immer wieder angeführt wurde: der Begriff des Spaßwäh- oder ein Beschluss gefasst wird, der die Interessen von lers. Erstens frage ich mich: Warum soll Wählen keinen Kindern und Jugendlichen berührt, ohne dass diese vorher Spaß machen? dazu gehört wurden, wollen wir die Kinder- und Jugend- vertretungen mit einem Vetorecht ausstatten. Dieses (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und Vetorecht hat nur aufschiebenden, keinen aufhebenden vereinzelt bei der FDP) Charakter, aber es soll die Möglichkeit gegeben werden, Zweitens, ein Argument des Juristen Dr. Peter Merk in die Meinung von Jugendlichen einzuholen. unserer Anhörung: Man kann auch einen offensichtlich Um diese Vertretung nicht schon an den fiskalischen betrunkenen Rentner nicht davon abhalten, zur Wahl zu Hürden der Kommunen scheitern zu lassen, sehen wir für gehen. Ich weiß nicht, wie Sie es sicherstellen wollen, die Erfüllung dieser Aufgaben einen Finanzausgleich vom dass dieser keine sogenannte Spaßwahl vollzieht. Land zur Kommune vor. Dieser Vorschlag in unserem Gesetzentwurf wurde übrigens vom Vertreter des Sächsi- (Peter Wilhelm Patt, CDU: schen Landkreistages gelobt. Aber Freude darf es machen!) Wir fordern weiterhin die Bestellung einer oder eines Sie sind es, meine Damen und Herren von der CDU, die kommunalen Kinderbeauftragten zur Wahrung der Rechte durch solche Äußerungen junge Menschen verunsichern, und Belange von Kindern und Jugendlichen. Für eine die ihnen da Inkompetenz suggerieren, wo erwachendes bessere Berücksichtigung von Kinder- und Jugendinteres- Interesse für Politik ist.

5715 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 sen brauchen wir trotzdem noch das anwaltschaftliche anhörung die Auffassung der CDU-Fraktion bestätigt: Eintreten Erwachsener für die jungen Menschen. Beide Entwürfe helfen nicht weiter. Sie enthalten allen- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur durch falls – das gilt vor allem für den Entwurf der PDS- frühzeitige Hinführung zur Demokratie ist Interesse an Fraktion – eine Verschlimmbesserung ohne politischen Politik weckbar und bzw. oder verbesserbar. Über die Gewinn. Wir werden beide Entwürfe ablehnen. konkrete Erlebbarkeit von demokratischen Strukturen (Beifall bei der CDU) lernen junge Menschen, Verantwortung zu übernehmen. Partizipation von Kindern und Jugendlichen darf nicht als Als Argument für die Herabsenkung des Wahlalters wird störendes Element oder gar als Behinderung demokrati- angeführt, dass in anderen Bundesländern, zum Beispiel scher Prozesse betrachtet werden. Partizipation muss als in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, entspre- das betrachtet werden, was sie ist: als Notwendigkeit. chende Regelungen verabschiedet worden sind. (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) (Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS) Gerade in einer alternden Gesellschaft ist es wichtig, diejenigen einzubeziehen, die die Ergebnisse der heute – Ein wirkliches Argument ist das aber nicht, Herr Hahn. getroffenen Entscheidungen morgen und übermorgen Die in anderen Bundesländern getroffenen Entscheidun- tragen müssen. Die Regelungen, die Ihnen die Linksfrak- gen müssen nicht zwingend die besseren sein. tion im Sächsischen Landtag heute vorschlägt, zollen (Beifall bei der CDU) einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung Tribut. Darum möchte ich heute nicht nur um Ihre Zustimmung Andersherum wird ein Schuh draus: Hätte sich der Frei- werben. Ich möchte Sie heute auch um Ihren Mut bitten, staat Sachsen in den vergangenen 16 Jahren immer nur einen Beitrag für die weitere Demokratisierung der danach gerichtet, was andere gerade entschieden haben, Gesellschaft zu leisten. dann würden wir gewiss nicht auf Platz 1 des Rankings in den ostdeutschen Ländern und gewiss nicht im Ranking Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. bundesweit an vorderer Stelle stehen. Wir hätten kein (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Abitur nach zwölf Schuljahren. Wir hätten keinen Dop- pelhaushalt, der ohne Neuverschuldung auskommt. Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion der CDU (Holger Zastrow, FDP: das Wort. Herr Prof. Schneider, bitte. Was hat das mit dem Wahlrecht zu tun?) (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Jetzt könnte – Ich nenne Ihnen, Herr Zastrow, nur ein paar Beispiele. er uns überraschen – braucht nur zuzustimmen!) Ich sage vor allem: Gott sei Dank, dass wir im Freistaat Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Herr Präsident! selbstständig denken und dass wir uns nicht blindlings auf Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beide Gesetz- andere verlassen, die dieses oder jenes tun. Ein Argument entwürfe, die soeben vorgestellt worden sind, betreffen ist der Hinweis auf Entscheidungen in anderen Ländern das Wahlrecht, und zwar die Absenkung des Wahlalters. also nicht. Die FDP will mit ihrem Entwurf Jugendlichen ab Vollen- Für das Wahlrecht wird ein – so ist es gesagt worden – dung des 16. Lebensjahres das aktive Wahlrecht zu besonderes Bedürfnis von Jugendlichen in diesem Alter Kommunalwahlen einräumen. Herr Zastrow hat es soeben angeführt. Was daran ein besonderes Bedürfnis sei, das noch einmal, wie im Gesetzentwurf, damit gerechtfertigt, haben Sie uns jedoch nicht genannt. Im kommunalen dass dadurch frühzeitig die Interessen junger Menschen Bereich im Freistaat Sachsen ist das jedenfalls nicht der stärker in den Prozess der politischen Willensbildung Fall, wie Kollege Kupfer mit seiner Frage eben deutlich einfließen könnten. gemacht hat. Von massiven Forderungen Jugendlicher in Die PDS will darüber hinausgehende Wahlrechte für dieser Richtung sei nichts bekannt, hat beispielsweise der Minderjährige, auch auf der Landesebene. Auch will sie Sachverständige Wolf Groneberg vom Sächsischen eine Regelung der Mitbestimmung von Kindern und Landkreistag ausgeführt. Er hat gesagt; das Bedürfnis von Jugendlichen in den Gemeinden und Landkreisen, wie das Jugendlichen nach dem Führerschein mit 16 sei das soeben vorgestellt worden ist. Sie meint, der Landesge- Entscheidende und nicht die Herabsetzung des Wahlalters. setzgeber habe einen verfassungspolitischen Auftrag, – Das hätten Sie auch sagen können, Herr Zastrow. einer immer geringer werdenden Wahlbeteiligung und Mit der Absenkung des Kommunalwahlalters und des Politikverdrossenheit entgegenzusteuern. Dem müsse Wahlalters auf 16 solle Politikverdrossenheit entgegen- hiermit entgegengewirkt werden. gewirkt werden. Meine Damen und Herren, Politikver- Beide Vorredner haben sich auf die Anhörung von Sach- drossenheit zeigt sich jedoch bei denen, die das Wahlrecht verständigen bezogen, die am 6. November 2006 vor dem innehaben und die sich an Wahlen nicht beteiligen. Hier Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss durchgeführt müssen wir ansetzen! Wir hatten bei der letzten Kommu- worden ist. Herr Zastrow, einiges von dem, was Sie eben nalwahl 2004 in Sachsen eine erschreckend niedrige ausgeführt haben, und auch Sie, Frau Klinger, ist zu Wahlbeteiligung von 46 %. Weniger als die Hälfte der korrigieren. Meines Erachtens hat die Sachverständigen- Wahlberechtigten sind zur Wahl gegangen. Das ist unter

5716 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 anderem der Grund, weshalb eine Fraktion hier im Land- der Geltung und der Erstreckung des Erwachsenenstraf- tag vertreten ist, die wir alle nicht wollen. Das rechtfertigt rechts eben auch auf diese Personengruppe und zum aber die Herabsenkung des Wahlalters nicht. Warum Beispiel zu Wehr- und Ersatzpflicht stehen. sollen denn 16-Jährige lieber oder mehr zur Wahl gehen (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: als 18-Jährige, die das Recht dazu haben? Wollen PDS Das hat nichts damit zu tun!) und FDP allen Ernstes behaupten, dass die Politikverdros- senheit zum Beispiel von 25-, 35- oder 80-Jährigen Meine Damen und Herren! Wenn man über Wahlrecht dadurch behoben wird, dass ein 16-Jähriger eventuell den spricht, dann muss man sich sehr wohl mit diesen Argu- Kreistag oder die Gemeindevertretung wählen darf? Das menten, Herr Dr. Hahn, auseinandersetzen. Eine isolierte ist blanker Unfug! Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre lehnen wir in aller Das Problem der Politikverdrossenheit ist nicht alters- Entschiedenheit ab. Wir halten es auch für falsch, eine gruppenabhängig. Es zieht sich durch alle Altersgruppen kommunale Wahljugendbeteiligung und -mitbestimmung und lässt sich nur durch Änderungen in der Politik selbst mit den entsprechenden Folgeregelungen in der Gemein- bekämpfen. Das ist unsere Aufgabe, und die verkennen de- und Landkreisordnung vorzusehen. Sie, wenn Sie eine bloße Gesetzgebung auf den Weg Die PDS will Kinder- und Jugendvertretungen schaffen. bringen wollen. Kommunale Beauftragte für Kinder und Jugendliche soll es geben. Diese sollen in den sie betreffenden Angelegen- (Einzelbeifall bei der CDU) heiten unter Berücksichtigung ihrer besonderen Belange Wenn es um die Absenkung des Wahlalters geht, vermisse auf der Gemeindeebene, der Landkreisebene und den ich vor allen Dingen etwas; dazu habe ich von Ihnen dortigen Organen rechtzeitig beteiligt werden. Das Ganze beiden bisher keine Silbe gehört, auch in den Beratungen soll – Frau Klinger, da hätte ich mir von Ihnen ein paar nicht, und im Gesetzentwurf nichts davon gelesen: Es Ausführungen mehr gewünscht – wie folgt funktionieren: geht auch um Pflichten. Es geht also nicht nur um die Die Kinder- und Jugendvertretungen geben sich eine eine, sondern auch um die andere Seite. Mehrere der acht Geschäftsordnung, in der sie die inneren Angelegenheiten, Sachverständigen, Herr Zastrow – es waren unter ande- was auch immer das sein soll, selbst regeln sollen. Sie, die rem die Herren Groneberg, Haak, Horn, Merk, Schöppner Jugend- und Kindervertretungen, können einem Beschluss und Hermann –, haben in der Anhörung die Einseitigkeit des Ortschaftsrates, des Gemeinderates oder des Kreista- beider Gesetzentwürfe an dieser Stelle gerügt. Gegen die ges widersprechen, wenn sie der Auffassung sind, dass Absenkung des Wahlalters spricht vor allem die gegebene sich dieser Beschluss für die Belange von Kindern oder gesetzliche Einordnung von Minderjährigen in unser Jugendlichen nachteilig auswirkt. Ich müsste zum Bei- Rechtssystem. Das hätte ich gern von Ihnen gehört. spiel schon einmal die Frage stellen, ob die Veräußerung (Holger Zastrow, FDP: von Krankenhausanteilen eines Landkreises dazu gehört. Das hat nichts damit zu tun!) Völlig unverständlich! Die Volljährigkeit tritt bekanntermaßen erst mit Vollen- Kommen wir zum Verfahren zurück. Der Widerspruch dung des 18. Lebensjahres ein. Bis dahin sind Jugendliche müsste nach Auffassung der Linksfraktion.PDS unverzüg- nicht voll deliktsfähig. Sie sind nicht voll geschäftsfähig; lich, spätestens jedoch binnen einer Woche nach Be- sie können also Geschäfte nur mit Zustimmung ihrer kanntgabe der Beschlussfassung erhoben werden. Er hat Eltern auf den Weg bringen. aufschiebende Wirkung und kann vom Ortschaftsrat, Gemeinderat oder Kreistag mit Zweidrittelmehrheit (Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP) zurückgewiesen werden. Anderenfalls geht es noch Sie sind außerdem erst ab Vollendung des 18. Lebens- einmal in eine Ehrenrunde, eine nochmalige Beratung und jahres wehr- oder ersatzdienstpflichtig. Vor allem unter- Beschlussfassung. Dann muss der Gemeinderat, der liegen Jugendliche bekanntlich noch nicht dem allgemei- Ortschaftsrat oder der Kreistag unter Angabe der Wider- nen Strafrecht, sondern dem Jugendstrafrecht. spruchsgründe erneut einberufen werden, und die Sitzung hat spätestens einen Monat nach Bekanntgabe der Be- Wer also die Absenkung des Wahlalters will, der muss schlussfassung stattzufinden. Dass dieses Vetorecht zum sich gerade auch mit diesen Fragen auseinandersetzen. Beispiel gegenüber einem Gemeinderatsbeschluss auch Mit der gesetzlichen Einordnung von Jugendlichen unter mit einer Klage vor einem Verwaltungsgericht durchge- 18 Jahren, wie dies momentan die Rechtsordnung der setzt werden kann, sagt der Gesetzentwurf zwar nicht, Bundesrepublik Deutschland vorsieht, ist es nicht zu aber das versteht sich von selbst. vereinbaren, Minderjährigen bereits das volle Wahlrecht einzuräumen. Ich behaupte, ein besseres Beispiel für Politikunfähigkeit hätten Sie von der Linksfraktion.PDS an dieser Stelle Meine Damen und Herren! An dieser Stelle zeigt sich die nicht geben können. Sie hätten das Gesetz nicht als Einseitigkeit beider Gesetzentwürfe. Wer die Herabsen- kommunales Jugendbeteiligungs- und -mitbestimmungs- kung des Wahlalters fordert, muss dieselbe Konsequenz gesetz, sondern eher als kommunales Entscheidungsunfä- auf der anderen Seite ziehen. Ich hätte gern sowohl von higkeitsgesetz bezeichnen sollen – frei nach dem Motto: Herrn Zastrow als auch von Frau Klinger gehört, wie sie Wie verhindere ich am besten, dass im Landkreis, in der denn zum Wegfall des Minderjährigenschutzes, zur Frage

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Stadt und in der Gemeinde Entscheidungen getroffen Umsetzung – das muss man durchaus zugestehen – gibt es werden können? Sie hätten auch sagen können: Wie wohl das eine oder andere an den Gesetzen zu bemängeln. steigern Sie schnellstmöglich die Politikverdrossenheit im (Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU) Land? Die Entscheidungsfindung auf der kommunalen Ebene wird mit der Einführung eines – so haben die Beiden Fraktionen geht es darum, das Wahlalter bei den Sachverständigen ausgeführt – „Beauftragtenunwesens“ Kommunalwahlen auf 16 Jahre herabzusetzen. praktisch unmöglich gemacht. Alles bleibt im Unklaren, – Jetzt hätte ich mich über Ihren Beifall gefreut, Herr niemand weiß von nichts, alle reden über alles und strei- Schiemann. ten miteinander über Dinge, die sie nicht verstehen. Genau das ist es, was Sie auf den Weg bringen wollen. Seien wir doch einmal ehrlich. Wir alle wissen, dass das Wählen mit 16 Jahren bei Kommunalwahlen für die (Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS: Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland gilt und Wie in der Koalition!) Normalität ist, weil nämlich mit 16 Jahren in Berlin, – Der entscheidende Punkt, Herr Tischendorf, ist, dass Sie Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen- mit Ihrem Gesetzentwurf, soweit es um die Mitbestim- Anhalt, Schleswig-Holstein und natürlich im bevölke- mungsrechte geht, eine Delegitimierung der Kreistage, rungsreichsten Land, Nordrhein-Westfalen, gewählt wird. der Gemeindevertretungen und der Ortschaftsräte in Kauf Gerade in NRW wurde dieses Gesetz 1998 geändert. Dort nehmen. wurden gute Erfahrungen damit gemacht. So war die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen seither regelmä- (Dr. Monika Runge, Linksfraktion.PDS: Unsinn!) ßig höher als die der 20- und 30-Jährigen. NRW- Den Kreistagen, den Gemeinderäten und den Ortschafts- Ministerpräsident Jürgen Rüttgers – im Übrigen früher ein räten wird Stück für Stück die Zuständigkeit und Ent- vehementer Gegner der Änderung eines Wahlrechtes – scheidungsmacht genommen. Genau das ist es, was in sagt heute – ich zitiere ihn: „Das ist eine Bereicherung für Ihrem Gesetzentwurf so folgt. Dieselben Parlamentarier – unsere Demokratie. Das wollen wir beibehalten.“ Recht das ärgert nun wirklich –, die solche Regelungen auf den hat er. Deshalb war es schon etwas mühselig, Weg bringen wollen, wundern sich am Ende darüber, dass Herr Schneider, welche Argumente Sie hier bemüht Politikverdrossenheit im Lande Stück für Stück wächst. haben, um gegen dieses Wahlrecht und Wahlalter so vorzugehen. Die Antwort auf den Vorschlag der Linksfraktion.PDS lautet, dass die Beteiligung von Jugendlichen an kommu- (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der FDP) nalen Entscheidungen, die sie betreffen, keines Gesetzes Wir als SPD sind der Auffassung, dass eine Absenkung bedarf; sie bedarf vielmehr der politischen Haltung der des Wahlalters bei Kommunalwahlen dem heutigen Entscheidungsträger in der täglichen Praxis. Reifegrad Jugendlicher entspricht und dass ihnen dadurch Wir werden daher, meine Damen und Herren, beide das Recht demokratischer Teilhabe ermöglicht wird. Gesetzentwürfe ablehnen. Politikverdrossenheit und (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion.PDS Politikfähigkeit lassen sich nicht per Gesetz verordnen. So und der FDP) geht es nicht. Schauen Sie sich besser einmal den Arti- kel 21 des Grundgesetzes an. Dort steht: „Die Parteien Erfahrungen aus NRW sowie aus nunmehr drei Kommu- wirken an einer politischen Willensbildung des Volkes nalwahlen in Niedersachsen, wo es ja bekanntermaßen, mit.“ Wir suchen dies in unserer Partei, und zwar auch glaube ich, zurzeit auch eine CDU-Regierung ist, die das gerade mit Jugendlichen gemeinsam. Wir gehen mitein- nicht geändert hat, zeigen, dass Jugendliche weit mehr an ander auf sie zu. Das geht nicht durch Gesetzgebung. Kommunalwahlen interessiert sind als zum Beispiel ältere Altersgruppen. Wenn man weiter verfolgt, was Sie für Gerade bezüglich des Personenkreises von Jugendlichen, eine Argumentationsschiene gebracht hätten, meine Damen und Herren, gehört viel mehr dazu als eine Herr Schneider, könnte man ja fast denken, es wäre bloße Gesetzgebung. Sie reduzieren Demokratie auf den schön, wir hätten die Monarchie wieder, weil keiner zur bloßen Wahlakt, und das war es dann. Das ist zu wenig. Wahl geht. Sie sollten sich einmal über den Artikel 21 des Grundge- setzes Gedanken machen, bevor Sie hier solche Gesetze (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der FDP) zur Abstimmung stellen. Präsident Erich Iltgen: Gestatten Sie eine Zwischenfra- Vielen Dank. ge, Frau Weihnert? (Beifall bei der CDU) Margit Weihnert, SPD: Bitte schön. Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Frau Weihnert, bitte. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Frau Weihnert, haben Sie nicht die Argumente der Sachverständigen der Margit Weihnert, SPD: Herr Präsident! Liebe Kollegin- Anhörung dazu gelesen? Ich habe Ihnen eben die Namen nen und Kollegen! Ich möchte auch gleich auf den inhalt- genannt. Das sind Argumente, die die Sachverständigen lichen Kern der beiden Gesetze kommen, denn in der genannt haben.

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Margit Weihnert, SPD: Selbstverständlich habe ich dies (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion.PDS, der noch einmal sehr ausführlich gelesen, Herr Schneider. FDP und den GRÜNEN – Marko Schiemann, Aber wenn Sie dies auch getan hätten und ausführlich, CDU: Wie viel Prozent sind das?) dann hätten Sie wohl bemerkt, dass es einen Großteil der Angesichts der rasanten Veränderung der Lebenswirk- Sachverständigen gab, die sich pro 16 Jahre geäußert lichkeit von Jugendlichen scheint es ein bürokratischer haben. Ich muss schon sagen, jemand, der zwar Analysen Nebenschauplatz ewiger Bedenkenträger zu sein. Ich habe darstellt und sagt, das ist jetzt nicht üblich – wir haben mir einmal die hundertjährige Geschichte angeschaut; da selbst eine Analyse hier bei uns im Freistaat Sachsen, die gab es die gleichen und ähnliche Bedenken, als die Frauen Sie gar nicht mit benannt haben. Haben Sie die schon auf einmal wählen sollten und wollten; da gab es die einmal gelesen, Herr Schneider? Das gehört vielleicht gleichen Bedenken, als mit 21 gewählt werden sollte, und auch mit dazu. da gab es die gleichen Bedenken, als 1972 das Wahlalter (Beifall bei der FDP) auf 18 gesenkt wurde. Dann sollten wir schon betrachten, wie wichtig das ist. Meine Damen und Herren, wir sind doch nicht im ver- staubten Jenseits oder von damals – wir wollen doch in Aber lassen Sie mich noch einmal einige andere Punkte die Zukunft schauen. Auch in der Anhörung, wenn wir aufgreifen. Wir haben bereits gehört, dass Jugendliche ganz ehrlich sind, Herr Prof. Schneider, wurde kein weder extremistisch noch ziellos wählen. Wir haben wirklicher Grund genannt, warum 16-Jährige auszu- gehört, dass sie von uns, nämlich von der Politik, ein schließen sind. glaubhaftes Bekenntnis zur eigenen Politik und zur eigenen Beteiligung einfordern – und zwar keine schein- (Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: bare Beteiligung – und wie wir das bei uns im Freistaat Dann stimmen Sie doch den Gesetzentwürfen zu!) umsetzen. Auch die Kleine Anfrage ist bereits benannt Warum sollen sie nicht daran teilhaben? Wesentliche und worden. Darauf muss ich nicht eingehen. Nur wenn sich positive Folge einer Änderung des Wahlrechts, wie es in die Politik von der Jugend abwendet, wendet sich diese anderen Bundesländern passiert, ist, dass junge Menschen auch von der Politik ab. Haben wir das nicht auch bei den stärker eingebunden sind; dass sie sich angenommen anderen Altersklassen? Wer geht denn heute noch zur fühlen. Wahl? Wo gehen wir denn tatsächlich alle richtig darauf ein? Dies nur den Jugendlichen zuzuschreiben ist einfach Jedermann weiß, dass die Gruppe älterer Menschen falsch. ebenso wie deren politisches Gewicht stetig steigt. Nicht nur der Landtag oder die Staatsregierung beschäftigen (Beifall bei der FDP) sich mit zukünftig sich verändernden demografischen Es ist für mich daher ein schlechter Witz, einerseits das Bedingungen in Deutschland. Institutionen, Parteien, Desinteresse der Jugend an der Politik zu beklagen und Verbände entwickeln die unterschiedlichsten Lösungsan- sie andererseits von jeder politischen Mitentscheidung sätze. fernzuhalten. Ein dritter Lebensabschnitt – vielleicht zwischen 70 und (Beifall der Abg. Prof. Dr. Cornelius Weiss 100 – muss gesellschaftlich und kulturell neu bewertet und Karl Nolle, SPD) werden; Kinder werden immer rarer. Die höhere Lebens- erwartung und die geringere Geburtenrate werden auch Meine Damen und Herren! Wir alle erwarten von unseren die zwischenmenschlichen Beziehungen insgesamt Jugendlichen grundlegende Entscheidungen über ihre verändern. Diese Entwicklung, meine Damen und Herren, eigene berufliche Zukunft und ihren eigenen Lebensweg, bringt zwangsläufig auch die Verschiebung der politi- Entscheidungen, deren Tragweite infolge der veränderten schen Machtverhältnisse zwischen den Generationen. gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Rahmen- Jeder weiß, dass die Themen und die politischen Themen bedingungen deutlich weiter reicht und für die Betroffe- der Jugend, der Erwachsenen und – gestatten Sie mir den nen existenzieller ist als das Wahlrecht. Experten spre- Ausdruck – der Alten eben verschieden sind. chen davon, dass Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsrei- fung – also auch in politischen und gesellschaftlichen Wenn wir in Zukunft eine ausgewogene politische Land- Fragen – heute deutlich früher urteilsfähig sind. Zwölf- schaft haben wollen, wenn wir ausgewogene politische bis 15-Jährige tragen Verantwortung in so lebenswichti- Themen besetzen, ist es zwingend geboten – auch auf- gen Bereichen wie der Aufenthaltsbestimmung nach der grund der demografischen Entwicklung –, das Wahlalter Trennung der Eltern – weil Sie unter anderem nach den abzusenken und Jugendliche ernst zu nehmen und einzu- rechtlichen Grundlagen fragten. Jugendliche gründen binden. Schülerfirmen, jobben, um ihr Taschengeld aufzubessern, (Beifall bei der FDP und werden als Popstars oder auch als Olympiasieger gefeiert. vereinzelt bei den GRÜNEN) Warum dürfen diese Menschen, die doch so viel für Deutschland tun, nicht auch für uns mitwählen? Ziel der SPD war und ist es, diese Teilhabe zu ermögli- chen.

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(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Winfried Petzold, NPD: Herr Präsident! Meine Damen Dann machen Sie es doch!) und Herren! Wir als NPD-Fraktion unterstützen die Absenkung des Wahlalters bei Kommunalwahlen auf Schon die UN-Kinderrechtskonvention von 1989 hat 16 Jahre, denn wir halten 16- und 17-Jährige im Durch- mehr Partizipation von Jugendlichen gefordert. schnitt für ebenso kompetent, als Aktive das Wahlrecht Lassen Sie mich noch einen anderen Aspekt aufgreifen. auszuüben, wie viele Angehörige der älteren Generation. Ein beliebtes Argument in der gesamten Diskussion ist, Das gilt aus unserer Sicht übrigens genauso für die dass nur wählen soll, wer volljährig ist – auch Herr Wahlen auf Landes- und Bundesebene wie für die Kom- Schneider bemühte dieses Argument. Es gibt aber keinen munalwahlen. zwingenden Zusammenhang zwischen Volljährigkeit und Wahlmündigkeit, wie ich bereits sagte. Auch das Argu- Die darüber hinausgehenden Pläne der PDS zur Einrich- ment, aktives und passives Wahlrecht müssten das gleiche tung von Kinder- und Jugendräten lehnen wir aber ent- Alter haben, ist in der Wahlgeschichte nicht zu finden. Ich schieden ab; denn es handelt sich bei ihnen um einen erinnere daran: 1972 wurde das Wahlalter von 21 auf typischen pseudolinken Versuch zur klassenkämpferi- 18 Jahre gesenkt, obwohl Jugendliche erst ab 1975 mit schen Instrumentalisierung von Kindern und Jugendlichen 21 Jahren volljährig waren. Wer dieses Argument heran- zur Spaltung der Familien und zur Auseinanderdividie- zieht, müsste dies eigentlich auch mit bedenken – faden- rung der Generationen. scheinige Argumente, die hier benannt werden. Zunächst noch einige Worte zur Beteiligung der 16- und (Beifall bei der FDP und ganz vereinzelt 17-Jährigen an den Kommunalwahlen. Diese würde nicht bei der Linksfraktion.PDS) nur dem Demokratieverdruss und der Verweigerung der Jugendlichen gegenüber der Politik vorbeugen – wie von Wir bleiben als SPD dabei, dass wir mit unserem Koaliti- der FDP und der PDS besonders hervorgehoben –, son- onspartner zukünftig weiter darüber reden werden, dieses dern vor allem junge Menschen an ihre sächsische Heimat Wahlalter im Freistaat Sachsen gesetzlich einzuführen – und an ihre Region binden. Gegen die Bekämpfung eines auch wenn wir heute diesen beiden Gesetzen – auch aus vermeintlichen Demokratieverdrusses ist prinzipiell nichts technischen Gründen – nicht zustimmen können. zu sagen – vorausgesetzt, dass sie ehrlich gemeint ist und (Heiterkeit bei der NPD – Zurufe von der NPD: dass nicht in Wirklichkeit die nationale Opposition Das ist konsequent! – So was von feige!) bekämpft werden soll. Sollte Letzteres der Fall sein, hätte man sich allerdings gründlich verkalkuliert. Denn nach Diese Argumente, die gebracht werden, sind eben nur Angaben des Wahlforschungsinstitutes „Infratest“ gaben Ansätze. Wenn wir ein Wahlalter mit 16 brauchen, dann bei der Landtagswahl 2004 20 % der sächsischen Erst- brauchen wir die demokratischen Fraktionen, die dies wähler gerade der NPD ihre Stimme. umsetzen – von den anderen hier brauchen wir keine Bemerkungen dazu. Bei der sogenannten Jugendwahl im Spätsommer 2005 wählten auch 16,3 % der sächsischen Jugendlichen Ein anderes, was ich insbesondere den Kollegen der unter 18 national, das heißt, sie machten ebenfalls gerade Fraktion der CDU noch einmal mitgeben möchte: Wir bei der NPD ihr Kreuz. hatten im letzten Jahr eine interessante Lektüre in unseren Fächern. Diese war von der Stiftung für die Rechte (Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU) zukünftiger Generationen mit dem Titel „Wahlrecht ohne Aus diesem Grund fehlt es natürlich nicht an mahnenden Altersgrenzen“. Ich habe sie mir noch einmal genau Hinweisen der sogenannten demokratischen Parteien aller angeschaut, und ich möchte mit einem Zitat aus dieser Couleur, wie der Staat durch vermehrte Hetze in den Studie schließen. Ein Schüler einer 7. Klasse hat dies Schulen und noch stärkere Förderung von kriminellen benannt – er sagte: „Es heißt doch immer, du bist Antifa-Banden dieser Meinungsbildung unter Jungwäh- Deutschland. Aber wie, wenn ich noch nicht einmal lern entgegentreten müsse. entscheiden darf, was in meinem Land passiert?“ Es ist immer wieder das Gleiche: Auf der einen Seite wird Lassen Sie mich das aufgreifen; wir möchten mit Ihnen das Hohelied der Einbeziehung von Jugendlichen in weiterhin darüber nachdenken und dies auch in einen politische Entscheidungen gesungen. Auf der anderen Gesetzestext einfließen lassen. Meine Damen und Herren Seite werden Jugendliche, die sich tatsächlich für unser von der CDU, ich weiß, dass es den einen oder anderen Volk einsetzen wollen, kriminalisiert oder staatlichen gibt, der doch in diese Richtung denkt. Dieses Brett Erziehungsmaßnahmen – sprich: Einschüchterungsmaß- werden wir weiter bei Ihnen bohren. nahmen – unterworfen. Auf der einen Seite behaupten die Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. sogenannten demokratischen Parteien, junge Leute zur Wahlbeteiligung bewegen zu wollen. Auf der anderen (Beifall bei der SPD – Jürgen Gansel, NPD: Seite wird die NPD-Fraktion in diesem Landtag, die zum Sie haben doch gar keinen Bohrer!) großen Teil gerade durch die Mobilisierung von jungen Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion der NPD potenziellen Nichtwählern zustande gekommen ist, durch das Wort; Herr Petzold, bitte. konspirative Absprachen der anderen Parteien parlamen- tarisch blockiert, während gleichzeitig die parlamentari-

5720 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 schen Initiativen der Fraktion durch die Medienkonzerne glieder von Parteien, die wir ja fast alle hier sind, müssen totgeschwiegen werden; siehe zum Beispiel die Initiativen wir uns auch in dieser Eigenschaft fragen lassen, ob wir zur Rettung der Unternehmen Neue-ERBA-LAUTEX und die richtigen Angebote für Jugendliche unterbreiten. Der Biria. Mitgliederschwund bei fast allen demokratischen Parteien Ich kann es mir einfach nicht verkneifen, auf die Hohlheit gibt da eine eindeutige Antwort. Anscheinend, so müssen mancher pseudodemokratischer Phrasen über mehr wir selbstkritisch feststellen, sind die Offerten, die wir Beteiligung der Jugend am politischen Prozess hinzuwei- jungen Menschen unterbreiten, nicht attraktiv genug. Aber sen; denn wenn die Jugend national wählt, dann wird sie auch andernorts, zum Beispiel in unseren Vereinen, fehlt von der politischen Klasse eben nicht stärker in den es an einer ausreichenden Anzahl von jungen Menschen, politischen Prozess einbezogen, sondern vielmehr ver- die sich engagieren und interessieren. stärkt ausgegrenzt und kriminalisiert. Ist es wirklich Aber, meine Damen und Herren, welcher Ort wäre besser sinnvoll, das Wahlalter nicht mehr in der Verfassung, geeignet, für die Teilhabe an der Willensbildung zu sondern nur noch einfachrechtlich festzulegen? Das werben und Mitbestimmung zu üben, als unsere Schulen? würde ja bedeuten, dass in Zukunft Änderungen des Ich wünsche mir, dass entsprechend gut ausgebildete Wahlalters im einfachen Gesetzgebungsverfahren erfol- Lehrerinnen und Lehrer die Aufgabe übernehmen, Schü- gen könnten und damit rein parteitaktisch motivierten lerinnen und Schüler bei ihren ersten Schritten in der Änderungen Tür und Tor geöffnet würde. Mitverwaltung und -gestaltung anzuleiten, demokratische Dessen unbeschadet wird die NPD-Fraktion für den FDP- Verfahren zu üben und ihnen zu helfen, Diskussionen Antrag stimmen; denn dieser beschränkt sich auf das sachlich und zielgerichtet zu führen. Wesentliche, nämlich die Änderung des Wahlalters bei Da kommt es mir geradezu grotesk vor, wenn ich von Kommunalwahlen, und entwertet dieses Anliegen nicht einer Besuchergruppe erfahre, dass eine Schule in Dres- durch eine Reihe von anderen, völlig abwegigen Maß- den, die mit vier anderen Schulen bundesweit an einem nahmen, wie bei dem PDS-Antrag der Fall. Demokratiemodellprojekt teilnimmt, von höchster Stelle dafür ausgezeichnet wird, das Projekt noch nicht abge- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. schlossen ist, aber trotzdem die Schule geschlossen wird. (Beifall bei der NPD) Das ist die 141. Mittelschule in Dresden-Gorbitz.

Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion GRÜNE Meine Damen und Herren! Mit dem Einüben der Teilhabe das Wort. Herr Weichert, bitte. kann der demokratische Staat nicht früh genug beginnen. Ich habe den Eindruck, dass Mitwirkung allzu häufig Michael Weichert, GRÜNE: Herr Präsident! Meine immer noch als etwas Lästiges und Störendes empfunden Damen und Herren! Der größte Feind der Demokratie ist wird. Demokratie bedeutet mehr als Gewährung und das Desinteresse. Leider müssen wir feststellen, dass nicht Ausübung von Rechten in rechtsstaatlichen Verfahren; nur das Desinteresse an den öffentlichen Angelegenheiten Demokratie hat vor allem eine kulturelle Dimension. zunimmt, sondern oft auch gepaart ist mit einer Ableh- In diesem Sinne begrüßen wir beide Gesetzesvorlagen. nung der Demokratie als solcher. Politikverdrossenheit ist nicht nur, aber besonders unter Jugendlichen ein Thema. Zu den weiteren dort enthaltenen Vorschlägen wird meine Kollegin Frau Herrmann noch sprechen. Eine Studie in Nordrhein-Westfalen ergab, dass nur 40 % der Erst- und ZweitwählerInnen an Bundestags- und (Beifall bei den GRÜNEN, vereinzelt Landtagswahlen teilnehmen. Man muss diese Entwick- bei der Linksfraktion.PDS und lung nicht als gefährlich einschätzen; aber wir würden des Abg. Tino Günther, FDP) unserer Aufgabe nicht gerecht, wenn wir die von Wahlfor- schern und Soziologen einhellig vertretene Diagnose Präsident Erich Iltgen: Wird von der FDP noch das ignorieren würden. Wort gewünscht? – Herr Zastrow. Meine Damen und Herren! FDP und Linksfraktion schla- Holger Zastrow, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! gen vor, das Wahlalter herabzusetzen. Wir können dem in Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Prof. Schneider, der Sache uneingeschränkt zustimmen. Rechtliche Be- Ihre Rede war wirklich von gestern! denken haben wir beim Vorgehen beider Parteien, die (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Festsetzung des Wahlalters aus der Verfassung zu nehmen Von vorgestern!) bzw. nicht zu bestimmen. Auch sollte man aktives und passives Wahlalter nicht auseinandernehmen. Verfas- – Vielleicht auch von vorgestern. Vor 40 Jahren hätte sie sungsrechtlich scheint es uns geboten zu sein, hier eindeu- vielleicht gepasst. Ich weiß auch nicht, woher Sie diese tige Angaben zu machen, auch zwischen Landtagswahlen Rede haben. und Kommunalwahlen differenziert zu unterscheiden. Zu den juristischen Feinheiten hat Frau Weihnert aus Meine Damen und Herren! Die Ausweitung der Partizipa- meiner Sicht das Richtige gesagt. tion durch Wahlen auf Jugendliche ist ein richtiger Schritt. Herr Prof. Schneider, ich hatte den Eindruck – bitte Als alleinige Therapie auf die Herausforderungen der korrigieren Sie mich! –, dass Sie bedauern, dass man jetzt Politikverdrossenheit taugt er allerdings nicht. Als Mit- 5721 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 schon ab 18 wählen kann. Ich glaube, die Grenze von Ihrer Partei ganz anders, nämlich viel wohlwollender 21 Jahren wäre Ihnen ganz recht. Ich weiß auch nicht, ob betrachten. Sie ein richtiger Fan des Frauenwahlrechts sind. Ich habe Frau Weihnert, ich habe großen Respekt vor Ihrer Rede; den Eindruck, Sie bedauern das, so wie Sie gesprochen ich fand sie wirklich gut. Besser konnte man es nicht haben. ausdrücken. (Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS) (Beifall bei der FDP und des Die Welt hat sich weiterentwickelt. Ich glaube schon, dass Abg. Karl Nolle, SPD) junge Leute heute – das haben Sie, als Sie jung waren, Ich habe gemerkt – das kaufe ich Ihnen auch ab –, dass genauso gesagt – ein bisschen weiter sind als manche Sie für das Thema brennen und dass es Ihre Herzensange- Generationen, die früher einmal jung waren. Deswegen legenheit ist. Ich kann aber – nehmen Sie es mir bitte sollten wir genau jetzt den Jugendlichen diese Rechte nicht übel! – eines nicht nachvollziehen – das sage ich zugestehen. auch in Richtung von Martin Dulig –: Wir beide kommen (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: aus politischen Jugendverbänden. Ich gehöre zu den Er war im RCDS! Da war das schwierig!) Gründern der Jungliberalen Aktion in Sachsen. Martin hat dasselbe bei den Jusos gemacht. Es gibt auch andere Ansonsten muss ich sagen: Ich schätze Sie sehr, aber Vertreter von politischen Jugendverbänden hier im Raum. irgendwie wird es dann doch lächerlich. Sie haben gesagt, Eines meiner ersten Themen damals war der Kampf für der Landkreistag habe den Wunsch der jungen Leute nach das Wahlrecht ab 16. Es war ein allererstes Thema im einem Wahlrecht ab 16 noch nicht vernommen. Ange- Jugendverband. Wir Junge Liberale haben dafür ge- sichts dessen frage ich den Landkreistag, wie ernst er es kämpft, das Wahlrecht ab 16 Jahren zu bekommen. mit der kommunalen Mitbestimmung von jungen Leuten nimmt, wenn gerade einmal 36 von 511 Gemeinden (Karl Nolle, SPD: Junge Union! – Prof. überhaupt solche Modelle haben. Es gibt gerade beim Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Altersheim!) Landkreistag, aber auch beim Städte- und Gemeindetag Was ich damals als junger Mensch gefordert habe, hat erheblichen Nachholbedarf. Daran würde ich ihn zuerst keinen im Parlament interessiert. Herr Prof. Schneider, erinnern. haben Sie jemals irgendeine Pressemitteilung von JuliA, Ansonsten, sehr geehrter Prof. Schneider, glaube ich den Jungen Liberalen, gelesen? Es hat Sie überhaupt nicht schon, dass für viele junge Leute das Bedürfnis nach interessiert, was junge Leute gefordert haben, obwohl es einem Führerschein ab 16 wichtiger ist als das Wahlrecht. junge Leute waren, die aktiv Politik gemacht haben. Ich Das hängt auch mit Ihrer Schulpolitik zusammen. kann mich gut daran erinnern. Ich habe meine Meinung, Martin, seit dieser Zeit nicht geändert. (Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS – Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: (Martin Dulig, SPD: Das ist blanker Unsinn!) Ich habe sie auch nicht geändert!) Bei den Schulwegen kann ich nachvollziehen, dass sich Ich kann nur hoffen, dass Sie den Mut haben, denen da die jungen Leute dringend ein Auto wünschen, damit sie drüben heute einmal eine Harke zu zeigen. Das ist ganz im Gebirge die langen Wege zur Schule überhaupt noch leicht. Sie müssen nur die Hand im richtigen Moment schaffen. heben. Ich glaube nicht, dass die Koalition an diesem Wir können auf diesem Niveau weitermachen. Punkt auseinanderbrechen wird. Vielen Dank. (Heinz Lehmann, CDU: Da sind Sie eingestiegen!) (Beifall bei der FDP) Glauben Sie mir, dass der Wunsch nach einem Arbeits- platz für jeden Menschen viel wichtiger ist, als an irgend- Präsident Erich Iltgen: Wird von der Linksfraktion.PDS einem Sonntag in diesem Land wählen zu gehen. das Wort gewünscht? – Frau Klinger, bitte. (Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Freya-Maria Klinger, Linksfraktion.PDS: Sehr geehr- Ach, so ein Blödsinn!) ter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Es kommt mir so vor – Sie können mich in Ihrem zweiten Herren! Herr Schneider, was Sie hier dargeboten haben, Vortrag korrigieren –, als ob Sie Angst vor dem Wähler kann ich, kann meine Fraktion nicht als wirkliche Argu- hätten. Sie haben Angst vor dem, was da kommen könnte. mente gegen das Absenken des Wahlalters durchgehen Ich bin mir auch hundertprozentig sicher, Herr lassen. Das Einzige, was Sie getan haben: Sie haben Prof. Schneider, dass Sie diese Rede nicht gehalten hätten, polemisiert. Es war reine Polemik, wenn Sie sagen, das wenn die 16- und 17-Jährigen in diesem Land schon Vetorecht, das wir in unserem Gesetzentwurf vorsehen, wählen könnten. Einen ähnlichen Angriff auf eine Gene- würde zu einer Delegitimierung der kommunalen Selbst- ration wie die der 16- und 17-Jährigen haben Sie sich verwaltung führen. Wenn nämlich Jugendliche gar kein noch nicht gewagt. Ich weiß, dass Sie andere Zielgruppen Interesse an Politik haben, wie Sie es sagen, dann gehen

5722 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 sie auch nicht vor Gericht, um politische Beschlüsse (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der FDP) durchzusetzen. Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion der CDU Abgesehen davon, muss man auch diese kommunalen das Wort. Herr Schiemann, bitte. Kinder- und Jugendvertretungen nicht als Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung und Delegitimierung Marko Schiemann, CDU: Sehr geehrter Herr Präsident! verstehen; man kann sie auch als eine Erweiterung verste- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hätte nicht hen, Herr Schneider. vermutet, dass sich einige Redner zu einem solchen (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der FDP) Zynismus hier hinreißen lassen und meinen Kollegen Schneider in dieser Art und Weise angreifen. Zum Thema „Politikverdrossenheit“, wie Sie es ange- (Beifall bei der CDU – Dr. André Hahn, sprochen haben: Ich weiß nicht – meine Partei hat ein Jugendwahlprogramm aufgestellt, das junge Menschen Linksfraktion.PDS: Mit Recht!) anspricht, auch junge Menschen unter 18. Wir haben Ich möchte deutlich diese Art der politischen Auseinan- Themen angesprochen, die auch die jungen Menschen dersetzung zurückweisen, denn das ist nicht die Form, die interessieren. wir auch im Rechtsausschuss gesucht haben. (Jürgen Gansel, NPD: (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Ihr Altersdurchschnitt beträgt 68!) Mir kommen die Tränen!) – Das mag sein, aber wir versuchen uns ja zu bessern. Meiner Vorrednerin gestehe ich zu: Sie hat an der Anhö- Aber ich weiß nicht, ob Ihre Partei etwas Ähnliches rung teilgenommen und dort ihre Position bereits vertre- vorgelegt hat. ten. Es ist demokratischer Brauch: Auch wenn man nicht gleicher Meinung sein muss, muss man respektieren, dass (Holger Apfel, NPD: Die Partei sich jemand in dem Ausschuss engagiert hat. Das tue ich bleibt nicht mehr lange, Sie sterben aus!) damit. Wenn ich meine These weiterspinne, so sind Sie sogar Herrn Kollegen Zastrow kann ich nur bescheinigen, dass gegen die Einrichtung von Kinder- und Jugendvertretun- er Fensterredner der FDP-Fraktion ist, der eben nicht den gen, weil die Jugendlichen nämlich noch nicht über die Weg in den Rechtsausschuss gesucht hat und hier den notwendige Koalitionsdisziplin verfügen. großen Max rauskehrt. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der CDU)

Es scheint doch so zu sein. Es ist mir lieber, wenn ich Präsident Erich Iltgen: Gestatten Sie eine Zwischenfra- etwas vorliegen habe, was ich verbessern kann, als wenn ge, Herr Schiemann? ich nur – wie Sie – analysiere und überhaupt nichts vorzuweisen habe, was ich in diesem Land bewegen will. Marko Schiemann, CDU: Nein, ich gestatte keine (Dr. Fritz Hähle, CDU: Es hat sich ja noch nichts Zwischenfragen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! in diesem Land bewegt! – Prof. Dr. Peter Porsch, Mich ärgert ein bisschen, dass ich die FDP nicht wieder- Linksfraktion.PDS: Wir schlingern!) erkenne. (Zurufe von der FDP: Oh!) Zu Frau Weihnert muss ich sagen. Ich bin Ihnen auch für die Rede dankbar. Ich habe ihr dankbar zugehört, denn sie Ich habe manchmal den Eindruck, als handle es sich um war wirklich eine Bestätigung unserer Argumente und eine Schubkastenpartei für jedes Thema. Sie müssen das Forderungen, sowohl der Linksfraktion.PDS als auch der einmal prüfen. Für jedes Thema, das öffentlich angespro- FDP-Fraktion. Aber es ist eine Frage der Glaubwürdig- chen wird, hat diese Fraktion ein Antwortkästchen parat. keit, wenn Sie jetzt, wie angekündigt, diese Frage eben Nur, Sie müssen auf eines achten, – – negativ beantworten werden. Es zählt nicht, dass viel- (Zuruf des Abg. Holger Zastrow, FDP) leicht ich oder meine Fraktion oder die FDP enttäuscht sind. Es zählt, dass Sie damit Hunderttausende junger – Das scheint Sie betroffen zu machen. Sie müssen sehen, Sächsinnen und Sachsen enttäuschen. dass Sie bei jeder Veranstaltung das richtige Kästchen (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) ziehen. (Beifall bei der CDU – Dr. André Hahn In der Koalitionsvereinbarung haben Sie beide festge- schrieben, dass Sie sich für mehr Demokratie in unserem Linksfraktion.PDS: Ihnen gehen wohl Land einsetzen wollen. Sie haben heute die Möglichkeit, langsam die Koalitionspartner aus!) das zu tun. Aber wenn Sie nicht zustimmen und damit ein Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich halte es Versprechen brechen, dann ist das ein Fakt, der Politik- dennoch nicht für angemessen, dass man bei diesem verdrossenheit schafft, und nicht die Argumente, die Sie Thema so miteinander umgeht. Das ist, glaube ich, kein angeführt haben. Deshalb möchte ich Sie innigst bitten, demokratischer Stil. doch unseren Vorschlägen zuzustimmen.

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(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Gerichtshofes des Bundes ist man mit 35 Jahren. Sie Linksfraktion.PDS) haben das Wählbarkeitsalter für verschiedene andere Fragen. Zum Beispiel wählbar als Schöffe sind Sie mit – Wissen Sie, Herr Prof. Porsch, was mich an Ihnen stört, 25 Jahren. ist, dass Sie in der Halbzeit gekommen sind und jetzt ständig dazwischenreden. Dann gehen Sie doch ans (Dr. Johannes Müller, NPD: Mikrofon. Melden Sie sich, wie Sie es in der Schule Das spricht auf kommunaler Ebene dafür!) gelernt haben, dann werde ich entscheiden, ob ich Sie Sie haben die volle Geschäftsfähigkeit, die Deliktsfähig- ranlasse oder nicht. keit und das passive Wahlrecht zum Bundestag und den (Beifall bei der CDU) Landtagen sowie zum Europäischen Parlament mit 18 Jahren. Sie haben das passive Wahlrecht in der Sozial- Präsident Erich Iltgen: Ich darf wirklich um Aufmerk- versicherung mit 18 Jahren. Sie haben die strafrechtliche samkeit bitten, damit der Redner hier ungehindert spre- Stellung als Heranwachsender mit 18 Jahren. chen kann. (Kristin Schütz, FDP, meldet sich (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: zu einer Zwischenfrage.) Wer hat denn angefangen?!) Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Ein- Ich bitte jetzt um Ruhe. gruppierung in ein Lebensalter – –

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Gestatten Sie eine Das sind die falschen Argumente!) Zwischenfrage, Herr Kollege?

Bitte. Marko Schiemann, CDU: Ich gestatte jetzt keine Zwi- schenfrage. Marko Schiemann, CDU: Danke, Herr Präsident. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Keine Zwischenfra- habe auch jedem Redner geduldig zugehört, auch wenn er ge. nicht meine Position vertreten hat. Halten Sie es doch Marko Schiemann, CDU: Für die Eingruppierung in ein einfach aus. Hören Sie zu und geben Sie Ihre Meinung ab. Das ist doch Demokratie, die Sie auch den jungen Leuten Lebensalter gab es Gründe. Diese Gründe haben etwas präsentieren können, dass man auch einmal bei einer mit der Entwicklung und Qualifizierung der Personen zu anderen Meinung zuhört. tun. Wir haben die Strafmündigkeit bei 14 Jahren ange- siedelt. Es ist aus der Studie des Sozialministeriums des (Beifall bei der CDU) Freistaates Sachsen von 2005 zitiert worden. Mich wun- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es handelt sich dert, warum nicht alle Seiten zitiert wurden, die wichtig um die Änderung der Sächsischen Verfassung. Es ist eben erscheinen. ein Trugschluss, Herr Kollege Zastrow, dass Sie hier nur (Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: mit der einfachen Mehrheit die Verfassung ändern wer- Genau das ist es!) den. Wenn Sie wirklich der Meinung sind, dass man mit einer einfachen Mehrheit die Verfassung ändern kann, Unter Punkt 4 finden Sie „Mitwirkung und ehrenamtli- dann sollten Sie sich die Verfassung einmal anschauen. ches Engagement in der Gesellschaft“: „Das Engagement Dann wissen Sie, welches Quorum Sie brauchen, um das sächsischer Jugendlicher in Vereinen, Verbänden, sonsti- zu erreichen, und dass Sie auch andere demokratisch gen Organisationen und Gruppierungen ist seit 2003 nur mitziehen müssen. geringfügig gestiegen. 35 % aller Befragten engagieren sich in irgendeiner Art und Weise, davon 26 % in Verei- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege nen der unterschiedlichsten Art. Die 100 befragten Ju- Prof. Schneider hat darauf hingewiesen, dass es natürlich gendlichen haben wie folgt geantwortet. Die wichtigsten unterschiedliche Altersgruppierungen gibt, die in den Felder sind Sport mit 63 %, Jugendarbeit und Jugendhilfe letzten Jahren entstanden sind. Frau Kollegin Weihnert 13 %, Feuerwehr 9 %, Religion und Kirche 9 %, Musik hat darauf hingewiesen. Es ist eine Fortentwicklung. 12 %, Politik 5 %, soziale Arbeit und soziale Hilfe 6 %, Frau Kollegin Weihnert hat auf die geschichtliche Ent- Natur und Ökologie 4 %, Heimatpflege 3 % und Compu- wicklung hingewiesen. terarbeit ebenfalls 3 %.“ (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Eines will ich für die CDU-Fraktion deutlich darlegen: 16-Jährige gab es schon immer!) Wir brauchen die Spontaneität und das ehrliche Engage- ment der jungen Generation auf all diesen Ebenen, so wie – Es regt Sie vielleicht auf, dass hier jemand eine andere es im Gutachten angesprochen ist. Position vertritt. (Beifall bei der CDU) Wählbar zum Richter am Bundesverfassungsgericht ist man mit 40 Jahren. Wählbar zum Richter eines Obersten

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Wir brauchen eine sächsische Jugend, die Fragen stellt, Arbeitsleben entlassen worden. Schauen wir uns doch die sich mit der Entwicklung unseres Landes befasst, die einmal an, wie lange die Ausbildungszeiten jetzt sind! bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Wann kommt jemand von der Schule? Mit 17, 18 Jahren. Wann ist die Lehrausbildung beendet? Wann findet (Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS jemand eine Arbeit? Wann ist das Studium beendet? und der FDP) (Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS – In Gesprächen mit Jugendlichen wurde mir immer wieder Freya-Maria Klinger, Linksfraktion.PDS: gesagt: Ihr Erwachsenen sorgt für eine gute Schulausbil- Wir wollen das Wahlalter absenken!) dung. Gebt uns Chancen auf dem Lehrstellenmarkt. Unterstützt uns dabei, unsere Freizeit sinnvoll zu gestal- – Bleiben Sie ganz ruhig. Hören Sie doch zu. ten. Unterstützt Sportvereine, Kunst und Kultur, Jugend- Die Frage der Selbstständigkeit bei der Entscheidung von theater, Naturschutzvereine, das soziale Engagement, und Jugendlichen spielt dabei eine Rolle. Der frühere schützt uns. 17-Jährige war schon mit Arbeit konfrontiert. Jetzt ist es (Vereinzelt Gelächter bei der FDP – anders. Wir haben zu lange Ausbildungszeiten. Kümmern Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS, Sie sich darum, dass wir kürzere Ausbildungszeiten meldet sich zu einer Zwischenfrage.) haben, dann wird auch das Problem eher zu lösen sein! Ich verweise an dieser Stelle auf das Protokoll der Anhö- 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Herr Kollege, bleibt rung, und zwar für diejenigen, die sich hier so aufregen, es bei Ihrem Nein? nur weil jemand eine andere Position vertritt. In der Marko Schiemann, CDU: Ja. Anhörung – Herr Kollege Zastrow, Sie können das im Protokoll nachlesen, auch wenn Sie nicht da gewesen sind (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: – hat Herr Prof. Dr. Horn deutlich gemacht: Wer die Ich soll zum Mikro gehen, hat er gesagt!) Senkung des Wahlalters propagiert, ist nicht der bessere Schützt uns und gebt uns euren Rat gegen Extremismus Demokrat. und Drogenkriminalität. Lasst uns mit diesen Fragen nicht (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: allein. – Das treibt junge Leute um. – Helft unseren Wer hat denn den eingeladen?) Eltern, wenn sie keine Arbeit haben. Das Thema Arbeit steht bei jungen Leuten an erster Stelle, auch bei denjeni- Herr Kollege Hahn, Sie waren doch gar nicht da. gen, deren Eltern Arbeit haben. Sie sorgen sich trotzdem (Widerspruch des Abg. Rico Gebhardt, darum, dass die Eltern der Kinder, die keine Arbeit haben, Linksfraktion.PDS – Karl Nolle, SPD: Kann denn endlich politisch eine Antwort bekommen. Kümmern Sie die Junge Union hier nicht einmal helfen?) sich darum, Sie von der FDP-Fraktion! Jetzt will ich Ihnen einmal Folgendes sagen: Sie müssen (Jürgen Gansel, NPD: Sie regieren hier!) mir überlassen, welche Position ich vertrete. Für die stehe Das sind einige Forderungen Jugendlicher, die mir immer ich auch gerade. Vertreten Sie Ihre Position und stehen wieder vorgetragen worden sind. Auch die Politik interes- Sie für die gerade, aber fangen Sie nicht schon wieder so siert Jugendliche. Jugendliche sind für viele Fragen des an wie zu DDR-Zeiten, wo jeder die Meinung dessen Lebens offen und engagiert. Desinteresse kann ich bei der vertreten musste, der am lautesten gebrüllt hat. jungen Generation nicht feststellen. (Beifall bei der CDU) Eine Anmerkung sei erlaubt. Desinteresse hat Kollege Einige Bundesländer haben das Wahlalter für Kommu- Prof. Dr. Schneider aus den Begründungen der Gesetz- nalwahlen gesenkt. Das ist das Recht derjenigen, die in entwürfe der Linksfraktion.PDS und der FDP-Fraktion diesem Land wohnen. Das möchte ich nicht kommentie- zitiert. Beide eingereichten Entwürfe begründen ihre ren. Das ist aber kein ausreichendes Argument dafür – Gesetzesinitiative mit Desinteresse für Politik bei der und ein anderes habe ich von den Rednern vorhin nicht jungen Generation. Ich finde dieses Desinteresse über- gehört –, dass man auch im Freistaat Sachsen dieser haupt nicht. Senkung folgen muss. Ob in den betroffenen Ländern – (Vereinzelt Beifall bei der CDU) und jetzt komme ich zu der Frage – damit dem angeblich verbreiteten Desinteresse an Politik entgegengewirkt Die heutige Jugend – nun komme ich auf Ihren Zynismus, werden konnte, muss bezweifelt werden. Es gibt eine Herr Kollege Zastrow – ist nicht schlechter als Generatio- Aussage von Frau Merk, der ehemaligen Justizministerin nen vorher. Wir waren auch einmal jung und haben unsere in Niedersachsen, wonach erreicht wurde, dass sich jetzt Streiche gemacht. mehr junge Leute engagieren. Das muss man durchaus (Unruhe bei der Linksfraktion.PDS und der FDP) überdenken, aber ansonsten gibt es keinen Nachweis dafür, dass das Problem, das man in diesen Ländern hatte, Schulausbildung, Berufsausbildung, Chancen auf dem dass sich junge Leute nicht engagieren wollen, gelöst Arbeitsmarkt – das treibt Jugendliche um. Früher sind wurde. Ich habe deutlich gemacht, dass das im Freistaat Jugendliche mit 14 Jahren von der Schule gegangen, Sachsen anders ist. haben drei Jahre gelernt und sind mit 17 Jahren in das 5725 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007

Ich bin überzeugt davon, dass dieser Vorstoß zu wenig ist, Rechte von Jugendlichen gegeneinander zu stellen. Dieses um die Fragen der jungen Leute zu beantworten. Ich Gegeneinander gibt es nicht. Jugendliche können sich unterstelle, dass Sie die eigentlichen Probleme der jungen sowohl in Vereinen als auch politisch engagieren. Es gibt Menschen damit nicht lösen werden. keinen Ausschlussgrund nach der einen oder der anderen Seite, Herr Schiemann. (Beifall des Abg. Prof. Dr. Günther Schneider, CDU) (Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der FDP) Wir müssen uns fragen, warum Politik so kompliziert und so komplex ist. Unsere Fraktion teilt das Anliegen der FDP und der Linksfraktion.PDS, die Beteiligungsrechte von Kindern (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: und Jugendlichen grundsätzlich zu stärken. Die Frage ist Weil in der CDU so agiert wird!) aber, welche Formen geeignet sind, dieses Anliegen Warum gelingt es anscheinend nicht mehr, Wissen über umzusetzen. politische Zusammenhänge öffentlich zu machen? Das Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem aktuellen wiederum spricht dafür, Kinder und Jugendliche in Artikel bringt es Hans-Peter Bartels auf den Punkt: Prozesse der politischen Willensbildung in der Kommu- „Demokratie vererbt sich nicht, sie muss von jeder Gene- nalpolitik und der Landespolitik stärker als bisher einzu- ration neu gewonnen werden.“ Kinder und Jugendliche beziehen. Auch die Landespolitik ist dabei gefordert. müssen erleben können, dass sie ernsthaft an der Gestal- Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass dafür die tung ihrer unmittelbaren Umwelt beteiligt sind und etwas Sächsische Verfassung geändert werden soll, möchte ich bewegen können. für die Koalition deutlich verneinen. Ermutigen wir die (Beifall des Abg. Jugendlichen des Freistaates Sachsen, in Schülervertre- Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS) tungen, Jugendorganisationen der Parteien, in Sport- und Kulturverbänden, in Vereinen und bei der Jugendfeuer- Sie müssen obendrein erfahren, dass wir als Erwachsene wehr mitzuarbeiten und Verantwortung zu übernehmen. diese Beteiligung schätzen. Nutzen werden die Meinung und die guten, vielleicht (Beifall bei den GRÜNEN auch unbeliebten und unbequemen Fragen und Ideen und der Linksfraktion.PDS) Jugendlicher auf der kommunalen Ebene, aber auch in der politischen Willensbildung im Freistaat selbst. Beziehen Dabei geht es nicht nur darum, dass sich Jugendliche im wir die Kinder und Jugendlichen in die kommunalpoliti- Sport engagieren, ihre Runden auf dem Sportplatz drehen sche Willensbildung noch intensiver ein. Die gesetzlichen und möglichst dort bleiben, sondern es geht auch darum, Grundlagen dafür hat bisher keiner meiner Vorredner dass sich Jugendliche dafür einsetzen, wie viele Gelder in gestreift bzw. kritisiert. Diese müssen wir nur besser der Kommune genau für diesen Sportplatz ausgegeben nutzen. Geben wir den Jugendlichen mehr Chancen, werden, Herr Schiemann. nehmen wir Jugendliche mehr in die politische Willens- (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS) bildung mit. Wir werden der Änderung der Sächsischen Verfassung nicht zustimmen. Kritiker der Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre Ich bedanke mich für Ihre Geduld und für Ihr Zuhören. beklagen die Willkür einer solchen Regelung. Auch das ist heute bereits zum Ausdruck gekommen. Sie fragen, (Beifall bei der CDU) warum nicht ab 14 und warum nicht ab 21 Jahren. Allein die Herabsetzung des Wahlalters wäre keine wesentliche 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Danke schön. – Für Verbesserung der Beteiligungsmöglichkeiten. Wir alle die SPD-Fraktion ist Herr Bräunig gemeldet. – Dann wissen, dass Reife nie plötzlich mit dem Erreichen eines gehen wir der Reihe nach: Die NPD-Fraktion? – Nein. bestimmten Lebensalters entsteht. Kompetenz wächst mit Die GRÜNEN? – Bitte schön, Frau Herrmann. Erfahrung. Deshalb ist es für Kinder und Jugendliche Elke Herrmann, GRÜNE: Herr Präsident! Meine wichtig, genau diese Erfahrung zu machen. Darum geht es Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! uns. Wir als Erwachsene sind dafür verantwortlich, dass Herr Schiemann, das war heute nicht Ihre Sternstunde. Kinder und Jugendliche diese Erfahrung machen können. Dafür ist es notwendig, dass Kinder und Jugendliche (Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS lernen, ihre Interessen auszusprechen, dass sie lernen, sich und der FDP – Zuruf von der Linksfraktion.PDS: mit anderen auseinanderzusetzen und unterschiedliche Richtig!) Interessen auszugleichen. Ferner müssen sie lernen, sich Sie haben uns mit vielen Worten erklärt, warum Sie in Verfahren für ihre Interessen einsetzen zu können. Nur väterlichen Beistand den eigenen Ansprüchen von Ju- wenn wir das gemeinsam betrachten, können Jugendliche gendlichen an Gestaltung vorziehen. Das mag Ihre An- die Demokratie für sich als wirksam erleben und bei der sicht sein, aber es gibt dazu weit mehr Ansichten. Vor Durchsetzung und Wahrnehmung ihrer Interessen auch allen Dingen haben Jugendliche dazu eine andere Mei- Kompetenz erwerben. nung. Sie haben versucht, den Jugendschutz und die

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Im Gesetzentwurf der Linksfraktion.PDS sehen wir es Und es ist wichtig, dass die Vorschläge, die die Kinder daher als sehr wichtig an, dass Kinder und Jugendliche als und Jugendlichen machen, ernsthafte Konsequenzen Subjekte ihres Handelns verstanden werden. Es genügt haben. Uns ist nicht geholfen, wenn wir eine weitere keineswegs, wenn Erwachsene die Interessen der Kinder Spielwiese für Kinder und Jugendliche aufmachen. und Jugendlichen wahrnehmen wollen. Deshalb bedarf es konkreter Projekte im sozialen Umfeld sowie Erwachsener, die sich diesem Prozess stellen. (Beifall bei den GRÜNEN, Kinderbeauftragte sind in diesem Zusammenhang keine der Linksfraktion.PDS und der FDP) Anwälte und weitere Beauftragte. Das ist so nicht wahr. Dennoch ist dieser Gesetzentwurf keine überzeugende Sie sind diejenigen, die diese vielfältigen Prozesse organi- Antwort auf eine substanzielle Verbesserung der Beteili- sieren müssen. gungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in unserem Mit den Jugendparlamenten bzw. den -vertretungen setzen ureigensten Interesse, dass Kinder und Jugendliche mit Sie unserer Meinung nach zu einseitig auf formalisierte Spaß und Neugier die Chancen der Demokratie für sich Jugendvertretungen. Die praktische Erfahrung zeigt, dass entdecken. weder die Herabsetzung des Wahlalters noch die Einrich- Danke. tung von Jugendparlamenten ausreichen, um eine demo- kratische Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen (Beifall bei den GRÜNEN, der langfristig zu einer positiven Erfahrung werden zu lassen. Linksfraktion.PDS und der FDP) Aber genau das muss doch unser Ziel sein. 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Danke schön. – Das In der Anhörung wurde deutlich: Wir brauchen eine war die zweite Runde der Fraktionen. Herr Prof. Porsch, Offensive, die nicht nur den Kindern, sondern auch uns Sie wollten eine dritte Runde eröffnen. Bitte schön. Erwachsenen gilt. Jugendparlamente und Jugendforen funktionieren nur dann, wenn die begleitenden Erwachse- Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Herr nen – zum Beispiel die Bürgermeister – selbst diesen Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schiemann, Dialog wollen und die Auseinandersetzung mit Jugendli- lieber Marko Schiemann! Ich achte dich. Daran wird sich chen nicht scheuen, wenn die Erwachsenen die Auseinan- auch nichts ändern. Aber gerade deshalb muss ich ein paar dersetzung mit Jugendlichen und ihre Erfahrungen in Dinge gerade rücken. diesem Prozess als Bereicherung empfinden. Nur dann Erstens. Mir wurde vorgeworfen, dass ich erst zur Halb- wird es funktionieren. zeit der Debatte kam. Das stimmt. Ich habe die Debatte Jugendvertretungen haben aus unserer Sicht noch einen aber am Monitor verfolgt. Das war gut, denn so wurde das weiteren Nachteil, der mit anderen Methoden ausgegli- Hohe Haus vor einigen Zwischenrufen gerettet, die ich chen werden muss. In Vertretungen agieren in der Regel mir bei der Rede von Herrn Schneider hätte nicht verknei- Jugendliche, die schon gelernt haben, ihre Meinung zu fen können. Das ist auch einmal ganz gut, das gebe ich zu. sagen, ihre Interessen zu erklären, und die sich auch zu Zweitens. Die Rede hat mir deutlich gezeigt, warum es sprechen trauen. Die anderen Kinder und Jugendlichen in eine Rede gegen das Wahlalter von 16 Jahren war. Wenn der Gemeinde werden dadurch die Erfahrung machen, 16-Jährige wählen könnten, dann müsstet ihr euren dass es gut ist, wenn sie Verantwortung abgeben, weil da sentimentalisch-patriarchalischen Umgang mit Jugendli- schon jemand ist, der für sie spricht. chen, eure Meinung über Jugendliche und das, was sie Parlamentarische Demokratie lebt zwar davon, dass können und nicht können, wahrscheinlich schnell aufge- Verantwortung delegiert wird, aber bevor Verantwortung ben, denn sonst gäbe es keine Stimmen von Jugendlichen. delegiert werden kann, ist es wichtig, dass Jugendliche die (Beifall bei der Linksfraktion.PDS Erfahrung gemacht haben, dass sie selbst etwas bewegen und den GRÜNEN) können, bevor sie später vertrauensvoll diese Aufgabe in andere Hände geben. Deshalb ist die Debatte um die Die gesamte Rede war ein Über-den-Scheitel-Streichen Kinder- und Jugendbeteiligung viel grundlegender. Es für die Jugendlichen nach dem Motto: Na ja, ihr seid geht um moderne Beteiligungsmodelle. Es geht darum, schon fast so weit, jetzt dürft ihr schon üben und wir altersangemessen alle Kinder und Jugendlichen zu errei- lassen euch hin und wieder; aber wirklich entscheiden chen. Das beginnt in der Kita. Sonst machen Kinder müssen wir Erwachsenen, das ist völlig klar. wieder die Erfahrung der Ausgrenzung. Dann kommt der Teil, in dem uns mitgeteilt wird, was Beteiligungsmöglichkeiten dürfen nicht zu einer Auslese Jugendliche alles von Erwachsenen erwarten: Gebt uns derjenigen führen, die gut reden können. Wir kennen das Ausbildungsplätze! Sorgt dafür, dass wir hinterher Arbeit aus früheren Rhetorikwettbewerben. Sonst werden es haben! Beschützt uns! Und so weiter. – Na super! immer dieselben sein, die sprechen werden. Beteili- Na super! Ja, das wollen die Jugendlichen! Wieso sollten gungsmöglichkeiten müssen aber gerade sozial benachtei- die Jugendlichen dann nicht das Recht haben, genau jene ligte Kinder, zum Beispiel Förderschüler oder Kinder mit Erwachsenen in die Parlamente zu wählen, von denen sie Migrationshintergrund, erreichen. sicher sind, dass sie das umsetzen?

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(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der FDP) deutlich unter der sonstigen Wahlbeteiligung liegt. Hessen hat die Absenkung des Wahlalters aus den eben genannten Das ist doch die Endkonsequenz Ihres Beitrages gewesen, Gründen wieder rückgängig gemacht. Das Kommunal- aber davor scheuten Sie zurück – wiederum des Patriar- wahlalter ist aus meiner Sicht keine Spielwiese und chats wegen. Dann muss man eben einmal konsequent gegenüber Bundes- und Landeswahlrecht kein Wahlrecht sein. Wenn wir Jugendlichen zumuten mitzumachen, zweiter Klasse. wenn wir von ihnen erwarten, sich zu engagieren, müssen sie doch wenigstens das aktive Wahlrecht haben. Interes- (Beifall bei der CDU) sant waren die Beispiele, die Sie aufgeführt haben, dass Politik begibt sich in eine Sackgasse, wenn sie in populis- man dafür eine bestimmte Reife haben muss. Das war tischer Manier versucht, mit Sonderangeboten für be- alles passives, nicht aktives Wahlrecht, und damit waren stimmte Zielgruppen die Wahlergebnisse zu verändern. Sie auf dem falschen Dampfer – wie mit der ganzen Rede. (Heiterkeit bei der FDP) Herzlichen Dank. (Beifall bei der Linksfraktion.PDS, Was genau ist es, das Jugendliche an der Politik abstößt der FDP und den GRÜNEN) und zu deren Verdrossenheit führt? Was wir brauchen, ist aufrichtige Politik für alle Menschen. 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Ergibt sich darauf- Ich bitte, den Gesetzentwurf der FDP-Fraktion sowie den hin noch einmal allgemeiner Aussprachebedarf? – Dies der Linksfraktion.PDS abzulehnen. stelle ich nicht fest. Die Staatsregierung hat das Wort; Herr Staatsminister des Innern Dr. Buttolo, bitte. Herzlichen Dank. (Beifall bei der CDU) Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister des Innern: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Meine sehr verehr- Anhörung hat mich in der Überzeugung bestärkt, dass die ten Damen und Herren! Wir behandeln nun als Erstes den Absenkung der Altersgrenze nicht notwendig ist. Insbe- Gesetzentwurf der FDP-Fraktion mit der Drucksachen- sondere ist das Ergebnis der Shell-Umfrage interessant: nummer 4/5086 unter dem Titel „Gesetz zur Änderung Bei den Jugendlichen gab es eine überwiegende Ableh- der Verfassung des Freistaates Sachsen und weiterer nung des allgemeinen Wahlrechtes ab 18 Jahren. Gesetze“. Ich frage den Berichterstatter, Herrn Pfeifer von Es geht nicht darum, Jugendlichen etwas vorzuenthalten. der CDU-Fraktion: Möchten Sie sprechen? – Dies ist Dass es kluge und politisch weitsichtig denkende Jugend- nicht der Fall. Es hat sich bewährt, artikelweise vorzuge- liche gibt, ist unstreitig. Es geht um mehr: um den Ein- hen. klang von Rechten und Pflichten. Das Wahlrecht muss im Meine Damen und Herren! Ich rufe zuerst die Überschrift Zusammenhang mit anderen Altersgrenzen mit dem Blick auf. Wer der Überschrift die Zustimmung geben möchte, auf die gesamte Rechtsordnung gesehen werden, auch den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt wenn Sie, Herr Porsch, dies anders sehen. Die Rechtsord- dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei deutlichen nung setzt die altersmäßigen Voraussetzungen für eigen- Unterschieden mehrheitlich abgelehnt. verantwortliches Handeln mit 18 Jahren fest. – Herr Lichdi, hören Sie es sich an, das wäre mein Vor- Ich rufe den Artikel 1 mit dem Titel „Änderung der schlag. – Verfassung des Freistaat Sachsen“ auf. Wer dem Artikel 1 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das (Johannes Lichdi, GRÜNE, meldet sich Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer zu einer Zwischenfrage.) enthält sich der Stimme? – Gleiches Abstimmungsverhal- ten wie soeben. 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich rufe Artikel 2, Änderung der Gemeindeordnung des Freistaates Sachsen, auf. Wer dem Artikel 2 seine Zu- Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister des Innern: Nein, stimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzei- danke. – Mit 18 Jahren tritt das Ende der elterlichen Sorge chen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich ein sowie die volle Deliktsverantwortlichkeit, die volle der Stimme? – Wiederum gleiches Abstimmungsverhal- Prozessfähigkeit und Ehemündigkeit, die Volljährigkeit ten. und damit die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit. Das Artikel 3 trägt den Titel „Änderung der Landkreisordnung Wahlrecht ist gegenüber der Fähigkeit, im eigenen Namen für den Freistaat Sachsen“. Wer ihm seine Zustimmung selbstständig Rechtsgeschäfte abzuschließen, nicht als geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – minderwertig oder von untergeordneter Bedeutung Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der anzusehen. Der Gesetzgeber soll auch kein entsprechen- Stimme? – Wiederum gleiches Abstimmungsverhalten. des Signal setzen. Erfahrungen aus Sachsen-Anhalt, Hessen und Nordrhein-Westfalen belegen, dass die Zum Abschluss rufe ich Artikel 4 auf. Er regelt das Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen kein erhöhtes Inkrafttreten. Wer ihm seine Zustimmung geben möchte, Interesse an kommunalen Wahlen aufweist, sondern dass den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt die Wahlbeteiligung dieser Altersgruppen im Durchschnitt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Im Prinzip 5728 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 wiederum gleiches Abstimmungsverhalten, meine Damen Koalition diesem Änderungsantrag nicht folgen. Der und Herren. Da sämtliche Bestimmungen des Gesetzent- Wiederaufnahme der Altersregelung ist die PDS mit wurfes abgelehnt wurden, findet nach § 44 Abs. 7 der ihrem Änderungsantrag gefolgt. Dies war in der Diskussi- Geschäftsordnung keine weitere Beratung statt. on durch die Experten auch angemahnt worden. Ansons- Meine Damen und Herren! Ich rufe als Zweites die ten wäre der Entwurf rechtspolitisch abzulehnen gewesen. Drucksache 4/5915, Gesetzentwurf der Linksfrakti- Wir werden jedoch dem Antrag in Gänze, wie bereits on.PDS, mit dem Titel „Gesetz zur Regelung der Beteili- begründet, nicht zustimmen. gungs- und Mitbestimmungsrechte von Kindern und 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Gibt es weiteren Jugendlichen in Sachsen“ auf. Herr Pfeifer, möchten Sie Aussprachebedarf zum Änderungsantrag der Linksfrakti- als Berichterstatter das Wort nehmen? – Nein. So können on.PDS? – Dies ist nicht der Fall. Ich gehe davon aus, wir gleich zur Abstimmung kommen. Es gibt jedoch einen dass ich diesen Änderungsantrag als Ganzes zur Abstim- umfangreichen Änderungsantrag der einreichenden mung bringen kann. Wir beginnen damit. Meine Damen Fraktion. Möchte die Linksfraktion.PDS ihn noch einmal und Herren! Ich rufe zur Abstimmung über den Ände- einbringen? – Dies ist der Fall. Bitte schön. rungsantrag der Linksfraktion.PDS mit der Drucksachen- Freya-Maria Klinger, Linksfraktion.PDS: Sehr geehr- nummer 4/7723 auf. Wer dem Änderungsantrag seine ter Herr Präsident! Zunächst möchte ich doch noch einmal Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Hand- sagen: Herr Schiemann und Herr Dr. Buttolo, Sie haben zeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält beide bewiesen, dass Sie von den Jugendlichen heutzuta- sich der Stimme? – Bei einer Reihe von Enthaltungen ge keine Ahnung haben. wurde er mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Ich rufe Artikel 1 – Änderung der Verfassung des Frei- (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) staates Sachsen – auf. Wer stimmt dem zu? – Wer stimmt Aber nun zu meinem Änderungsantrag. Herr Weichert, dem nicht zu? – Wer enthält sich? – Bei Enthaltungen mit ich hoffe, ich kann Ihnen vielleicht ein paar Ängste deutlicher Mehrheit abgelehnt. nehmen, die Sie vorhin ausgesprochen haben. Wir haben Ich rufe Artikel 2 – Gesetz zur Regelung der Beteili- uns entschlossen, auch aus einer juristischen Notwendig- gungs- und Mitbestimmungsrechte von Kindern und keit heraus, das Wahlalter nun doch in der Verfassung Jugendlichen in den Gemeinden und Landkreisen des festzuschreiben – aber natürlich das Wahlalter ab Freistaates Sachsen – auf. Wer stimmt dem Artikel 2 zu? – 16 Jahren, wie wir es einfordern. – Dies zur ersten Ände- Wer stimmt nicht zu? – Wer enthält sich? – Im Prinzip rung. gleiches Abstimmungsverhalten wie eben und damit Mit der zweiten Änderung beziehen wir uns auf die UN- mehrheitlich abgelehnt. Kinderrechtskonvention. Wir wollen die Rechtsstellung Ich rufe Artikel 3 – Änderung des Sächsischen Wahlge- des Kindes als Verfassungsbestimmung festschreiben. Wir setzes – auf. Wer stimmt dem zu? – Wer stimmt dem nicht wollen, dass Kinder zu eigenständigen Grundrechtsträ- zu? – Wer enthält sich? – Ähnliches Abstimmungsverhal- gern werden und dass sie ein spezielles Schutzrecht ten, mit Mehrheit abgelehnt. bekommen, das nicht vom Elternrecht abgeleitet wird, sondern ein eigenständiges Schutzrecht für die Kinder ist. Artikel 4 – Änderung des Gesetzes über Volksantrag, Es ist sozusagen eine Ergänzung zu unserem ursprüngli- Volksbegehren und Volksentscheid. Wer ist dafür? – Wer chen Entwurf. Wir haben hierin die Rechte der Kinder ist dagegen? – Wer enthält sich? – Wiederum ähnliches noch erweitert und genauer benannt, und ich würde Sie Stimmverhalten wie soeben, damit mehrheitlich abge- um Zustimmung bitten. lehnt. (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Ich rufe Artikel 5 – Änderung der Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen – auf. Wer stimmt dem zu? – Wer 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Meine Damen und stimmt dem nicht zu? – Wer enthält sich? – Ähnliches Herren! Gibt es daraufhin eine Reaktion seitens der Abstimmungsverhalten wie soeben, mehrheitlich abge- anderen Fraktionen? – Herr Schiemann, bitte. lehnt.

Marko Schiemann, CDU: Sehr geehrter Herr Präsident! Ich rufe Artikel 6 – Änderung der Landkreisordnung für Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann nicht den Freistaat Sachsen – auf. Wer stimmt zu? – Wer nicht? feststellen, dass die PDS-Fraktion in der Regelung zu – Wer enthält sich? – Ich stelle Gleiches fest: mehrheitlich § 18a andere Regelungsinhalte aufnimmt, als bereits abgelehnt. – Jeweils immer mit Enthaltungen. durch die verfassungsgebende Versammlung im Jah- Artikel 7 – Änderung des Landesjugendhilfegesetzes. Wer re 1992 in die Verfassung aufgenommen worden sind. Es stimmt dem zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – sind andere Formulierungen. Schauen Sie sich aber bitte Wiederum gleiches Abstimmungsverhalten. die Verfassung an, dann werden Sie merken, dass es nicht Wir kommen zu Artikel 8 – Inkrafttreten. Wer stimmt dem ganz korrekt ist, hier darzulegen, dass die Kinder- und zu? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Ebenfalls Jugendrechte in der Verfassung des Freistaates Sachsen gleiches Abstimmungsverhalten, meine sehr verehrten nicht enthalten sind. Lesen Sie es nach! Deshalb wird die Damen und Herren.

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Nachdem sämtliche Bestimmungen des Gesetzentwurfs mung darüber statt und dieser Tagesordnungspunkt ist abgelehnt wurden, findet wiederum nach § 44 Abs. 7 der beendet. Geschäftsordnung keine weitere Beratung oder Abstim- Meine Damen und Herren! Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 3 1. Lesung des Entwurfs Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen Drucksache 4/7600, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Frau Staatsministerin Dr. Stange, Sie haben das Wort. fahren. Ich möchte vorwegschicken, dass der Kern der Änderung dieses Vergabeverfahrens ist, dass die Hoch- Dr. Eva-Maria Stange, Staatsministerin für Wissen- schulen mehr freie Auswahlmöglichkeit unter den Studie- schaft und Kunst: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine renden erhalten, als dies bisher nach den noch gültigen sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Mit dem Regelungen der Fall ist. Das ist der Kern und von daher Staatsvertrag über die Vergabe von Studienplätzen vom ergeben sich folgende Änderungen. 20. Oktober 1972 hatten die Länder erstmals überhaupt eine rechtliche Grundlage für die zentrale Zulassungsver- Zum einen wurde die Quote für die Auswahl nach dem gabe in den zulassungsbeschränkten Studiengängen, wie Grad der Qualifikation der Abiturdurchschnittsnote, nach zum Beispiel Medizin, Psychologie und anderen, und für der bisher die überwiegende Zahl nach der Vergabe der eine einheitliche Ermittlung und Festsetzung der Studien- Vorabquote verbliebenen Studienplätze zu vergeben war, platzkapazitäten an den Hochschulen geschaffen. Damit auf ein Fünftel der an jeder Hochschule verbliebenen sind sie bereits 1972 einem im gleichen Jahr ergangenen Studienplätze reduziert. Also nur noch ein geringer Teil Urteil des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen, der verbleibenden Studienplätze wird vorrangig nach der das das verfassungsrechtliche Gebot präzisierte, in den Abiturbestenquote vergeben. Diese sogenannte Abitur- zulassungsbeschränkten Studiengängen nach zentralen bestenquote soll den besten Abiturientinnen und Abitu- und vor allen Dingen einheitlichen Kriterien über die rienten ermöglichen, an den Hochschulen ihrer Wahl zu Zulassung zum Studium zu entscheiden und für eine studieren, immer bezogen auf die zentrale Vergabe von erschöpfende Nutzung der Ausbildungsplatzkapazitäten Studienplätzen. an den Hochschulen zu sorgen. Der zweite Punkt ist die Quote für die Auswahl nach Seit dem Wintersemester 1973/74 führt die Zentralstelle Wartezeit, die bisher den überwiegenden Teil der nach der für die Vergabe von Studienplätzen in Dortmund – allen Vergabe der Vorabquote und der Abiturbestenquote sicherlich unter dem Kürzel „ZVS“ bekannt – die Stu- verbliebenen Studienplätze umfasst. Auch diese Quote dienplatzvergabe in den bundesweiten Numerus-clausus- wurde reduziert und beträgt nunmehr nur noch 20 % der Fächern durch. verbliebenen Studienplätze für das Fach. Auch die Stu- dienplätze nach dieser Quote werden weiter von der ZVS, (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: solange sie so existiert, vergeben. Diese sogenannte In den westdeutschen Ländern!) Wartezeitquote dient nach der Maßgabe des Bundesver- Viermal wurde seitdem der Staatsvertrag jeweils an die fassungsgerichts der Gewährleistung der Chancengleich- Änderungen des Hochschulrahmengesetzes angepasst. heit aus Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes. Sie garan- tiert, dass auch für jeden Bewerber, jede Bewerberin, die Mit der Neufassung des noch gültigen Hochschulrahmen- nicht über die beste Abiturdurchschnittsnote verfügt, die gesetzes in den §§ 29 und 35 und dem Ihnen jetzt vorge- Möglichkeit besteht, bei der Annahme eines Hochschul- legten Staatsvertrag haben sich Bund und Länder auf eine platzes zum Zuge zu kommen. vollständige Neuordnung des Vergabeverfahrens in den, ich betone, bundesweiten Numerus-clausus-Fächern Ein dritter Punkt und das ist der zentrale Punkt: Die für verständigt. Der Staatsvertrag muss nach den Festlegun- die Auswahlverfahren der Hochschule verbliebene Quote gen des Hochschulrahmengesetzes spätestens Anfang wird nunmehr von bisher nur 24 % nach Maßgabe der September 2007 in Kraft treten. Die Staatsregierung hat Vorabquote auf 60 % der Studienplätze an einer Hoch- diesem Staatsvertrag mit Beschluss vom Juni 2006 schule angehoben. Das ist der Kern der Änderung. Ganz zugestimmt. Der Ministerpräsident hat den Staatsvertrag im Interesse der Studienbewerber und auch der Hoch- anlässlich der Ministerpräsidentenkonferenz am schulen soll dieser nunmehr größte Anteil den Hochschu- 22.6.2006 unterzeichnet. Nun ist der Landtag gefragt, der len ermöglichen, die nach ihren eigenen Maßgaben im Ratifizierung durch den Sächsischen Landtag den Weg Auswahlverfahren am besten geeigneten Bewerberinnen freizumachen. und Bewerber auszusuchen. Allerdings muss auch dort dem Grad der Qualifikation bei der Auswahl, das heißt Die wesentliche Änderung gegenüber dem Staatsvertrag der Abiturdurchschnittsnote, ein maßgeblicher Einfluss von 1999 ist die Festlegung der drei sogenannten Haupt- zukommen – nicht der einzige, aber ein maßgeblicher quoten für die Vergabe der Studienplätze im Auswahlver- Einfluss. Diese Maßgaben sind gewahrt, wenn bei mehre- 5730 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 ren Auswahlkriterien nach der jeweiligen Hochschulsat- sich darüber an den Hochschulen näher zu informieren, zung die Abiturdurchschnittsnote das relativ stärkste werden Sie sehen, dass die Leistungen der ZVS dringend Gewicht bekommt. Es ist auch ein sehr wichtiger Aspekt gefordert sind. für die Hochschulen, mehr als nur das eine Kriterium, Ein weiterer Punkt, der auch schon in Sachsen genutzt nämlich die Abiturnote, in die Auswahl einzubeziehen. wurde, ist die Möglichkeit der obligatorischen elektroni- Bereits seit dem Wintersemester 2005/06 wird an allen schen Antragstellung, um für das Auswahlverfahren der deutschen Hochschulen dieses neue Auswahlverfahren Hochschulen einen wichtigen Zeitgewinn zu erzielen und nach dem Hochschulrahmengesetz durchgeführt. In damit das anspruchsvolle Auswahlverfahren – gerade diesem Sinne hat der Sächsische Landtag schon im wenn mehrere Kriterien genutzt werden – zu gewährleis- März 2005 das Sächsische Hochschulzulassungsgesetz ten. geändert. Danach hat die Auswahl der am besten geeigne- Die Staatsregierung wird ergänzend zu diesem Staatsver- ten Studienbewerber nach verschiedenen Kriterien zu trag ein Änderungsgesetz zum Sächsischen Hochschulzu- erfolgen, was nicht nur die Durchschnittsquote der Hoch- lassungsgesetz in den Landtag einbringen, mit welchem schulzugangsberechtigung umfasst, sondern zum Beispiel dann auch für örtlich zulassungsbeschränkte Studiengän- auch die Art einer Berufsausbildung oder der Berufstätig- ge die Hauptquote für die Vergabe zugunsten des Aus- keit oder das Ergebnis eines fachspezifischen Studieren- wahlrechts der Hochschulen neu festgelegt wird. Das den-Fähigkeitstests. Eine besondere landesspezifische geschieht in einem zweiten Schritt nach Verabschiedung Vorgabe, die den Hochschulen ein weiteres Kriterium dieses Staatsvertrages. Damit sollen die sächsischen ermöglicht, besagt, dass auch eine besondere Vorbildung, Hochschulen in die Lage versetzt werden, auch in diesen also praktische Tätigkeiten oder außerschulische Leistun- Bereichen der Hochschulzulassung verstärkt autonom bei gen und Qualifikationen, für die Eignung in dem gewähl- der Auswahl ihrer Studierenden wirken zu können. ten Studiengang mit aufgenommen werden kann. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ich möchte auf eine weitere wichtige Änderung in dem eine sehr konstruktive Beratung zu diesem Staatsvertrag. Staatsvertrag gegenüber 1999 hinweisen. Diese betrifft die Aufgaben der ZVS, über die in den letzten Jahren Danke. mehrfach diskutiert wurde. (Beifall bei der SPD und der CDU) Ganz abgesehen davon, dass sich die ZVS, also die Zentralstelle für die Vergabe der Studienplätze, derzeit in 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Danke schön, Frau einer grundlegenden Reform befindet und zukünftig eine Staatsministerin. – Meine Damen und Herren, das Präsi- Dienstleistungsfunktion für alle Hochschulen zu erfüllen dium schlägt Ihnen vor, diesen Gesetzentwurf an den hat, ist bereits jetzt in den Staatsvertrag aufgenommen, Ausschuss für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und dass die ZVS für einzelne Hochschulen auf deren Antrag Medien – federführend – und an den Verfassungs-, gegen vollständige Erstattung der Kosten Serviceleistun- Rechts- und Europaausschuss zu überweisen. Wer dem gen erbringen kann. Denn es ist für die Hochschulen eine folgt, der melde sich bitte. – Danke schön. Die Gegenpro- hohe Leistung, 60 % der Hochschulzugangsberechtigten be! – Sie ist wie meist nicht nötig. Danke. selbst auszuwählen. Es ist jetzt nicht die Zeit, ausführlich Meine Damen und Herren! Ich rufe auf darauf einzugehen. Aber wenn Sie die Gelegenheit haben,

Tagesordnungspunkt 4 1. Lesung des Entwurfs Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Einrichtung eines gemeinsamen Mahngerichts Drucksache 4/7601, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Der Staatsminister der Justiz, Herr Mackenroth, steht Heute werbe ich für Ihre Zustimmung zu diesem Vorha- schon am Pult; bitte schön. ben, damit der Staatsvertrag wie vorgesehen zum 1. Mai 2007 in Kraft treten kann. Geert Mackenroth, Staatsminister der Justiz: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Zwei Fragen: Warum benötigen wir im Freistaat Sachsen Staatsregierung hat sich am 11. Dezember 2006 für die das automatisierte Mahnverfahren? Einführung des automatisierten Mahnverfahrens im Das Mahnverfahren ist ein einfacher und kostengünstiger Freistaat Sachsen und zu diesem Zweck für die Errichtung Weg, um eine Geldforderung durchzusetzen und einen eines gemeinsamen Mahngerichts des Freistaates mit dem Vollstreckungstitel zu erhalten. Es vermeidet ein oft Land Sachsen-Anhalt und dem Freistaat Thüringen langwieriges und teures streitiges Verfahren vor Gericht. ausgesprochen. Im Jahre 2005 wurden in Sachsen rund 127 000 Mahn- verfahren von Hand bearbeitet. Die durchschnittliche

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Bearbeitungszeit lag bei fünf Tagen. Durch eine Automa- Antragsteller heute von ihrem Mahngericht erwarten tisierung lassen sich die Bearbeitungszeiten erheblich dürfen. verkürzen. Elektronische Anträge werden sofort, Anträge Die Entscheidung, das Verfahren in Sachsen-Anhalt auf Vordrucken dagegen binnen zwei bis vier Tagen gemeinsam mit Thüringen zu betreiben, verfolgt zudem bearbeitet. Damit stärkt das automatisierte Mahnverfahren das Anliegen, die Zusammenarbeit der mitteldeutschen die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Sachsen. Länder im Rahmen der Initiative Mitteldeutschland weiter Zugleich wird die Servicequalität verbessert. Die Automa- zu vertiefen. Sie stärkt darüber hinaus den Justizstandort tisierung bietet alle Vorzüge der modernen Kommunikati- Aschersleben, den einzigen Gerichtsstandort in den neuen onstechnik. Mahnbescheide können künftig rund um die Ländern, an dem das automatisierte Mahnverfahren Uhr auch vom heimischen PC aus online beantragt betrieben wird. Schließlich werden qualifizierte Arbeits- werden. plätze in einem der neuen Länder geschaffen, respektive Die Bearbeitung des automatisierten Mahnverfahrens ist erhalten. für den Steuerzahler zudem kostengünstiger als die Letztlich stimmen für uns auch die wirtschaftlichen manuelle Bearbeitung, da Maschinen die Datenerfassung Konditionen für eine Zusammenarbeit. Der Staatsvertrag und deren Verarbeitung, den Druck der Bescheide und sieht vor, dass Sachsen-Anhalt das gemeinsame Mahnge- deren Versand übernehmen. richt mit Personal ausstattet und finanziert. Der Freistaat Zweite Frage: Warum brauchen wir für die Automatisie- Sachsen und der Freistaat Thüringen beteiligen sich über rung eine länderübergreifende Zusammenarbeit? Wer ist einen Stückpreis je Mahnverfahren an den Kosten des für den Freistaat der richtige Partner? gemeinsamen Gerichtes. Dieses Finanzierungsmodell führt zu einer gerechten Kostenverteilung, bei der alle Die Einführung eines solchen automatisierten Mahnver- Vertragsparteien gleichermaßen von den Synergieeffekten fahrens erfordert den Einsatz einer Großrechneranlage, der Zusammenarbeit profitieren. einer speziellen Poststraße sowie die Beschaffung eines Beleglesers zur Erfassung der Anträge. Die Investitionen Kurz gesagt: Jeder bezahlt nur das, was er bestellt hat. Für für Beschaffung und Pflege dieser Technik sind aber den Freistaat Sachsen erwarten wir gegenüber dem Ist- natürlich nur dann wirtschaftlich, wenn ihre Auslastung Zustand ein Einnahmenplus von etwa 714 000 Euro garantiert ist. Bei dem verhältnismäßig geringen Verfah- pro Jahr. Vergleichbar attraktive Alternativen gibt es nicht. rensaufkommen im Freistaat Sachsen – Bayern hat mehr Meine Damen und Herren, nun liegt es bei Ihnen, den als zehnmal so viele Mahnbescheide – ist dies nicht der Weg für eine rasche Einführung des elektronischen Fall. Um aber auch bei geringeren Verfahrenszahlen eine Mahnverfahrens zu bereiten. Ich werbe für eine Zustim- maschinelle Bearbeitung der Verfahren zu ermöglichen, mung in den Ausschüssen und später im Plenum zu sieht die Zivilprozessordnung vor, dass mehrere Länder diesem Gesetzentwurf. die Zuständigkeit eines Amtsgerichtes über die Landes- grenzen hinaus vereinbaren können. Vielen Dank. Von der nahe liegenden Möglichkeit, sich an eine bereits (Beifall bei der CDU und der SPD) existierende, gut funktionierende Einheit anzuschließen, haben bisher das Saarland in Rheinland-Pfalz, Mecklen- 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Danke schön, Herr burg-Vorpommern in Hamburg und Brandenburg in Staatsminister. – Das Präsidium schlägt Ihnen vor, diesen Berlin Gebrauch gemacht. In Sachsen-Anhalt werden die Gesetzentwurf an den Verfassungs-, Rechts- und Europa- Mahnverfahren, deren Zahl für dieses Bundesland im ausschuss – federführend – und an den Haushalts- und Jahre 2005 bei rund 100 000 lag, seit März 2002 zentral in Finanzausschuss zu überweisen. Wer stimmt diesem der Zweigstelle Staßfurt des Amtsgerichtes Aschersleben Vorschlag zu? – Danke. Wer stimmt nicht zu? – Niemand. bearbeitet. Die automatisierte Bearbeitung wurde dort Damit ist die Überweisung erfolgt. stufenweise vom Datenträger über das Belegleseverfahren Die Staatsregierung ist im Januar voll im Geschäft. Ich bis zur Online-Variante ausgebaut. Das zentrale Mahnge- rufe auf richt in Staßfurt bietet somit alle Funktionalitäten, die

Tagesordnungspunkt 5 1. Lesung des Entwurfs Drittes Gesetz zur Änderung des Richtergesetzes des Freistaates Sachsen Drucksache 4/7617, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Herr Mackenroth steht schon wieder bereit. Bitte, Herren! Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Rich- Herr Staatsminister. tergesetzes des Freistaates Sachsen wird die Koalitions- vereinbarung zwischen der CDU und der SPD vom Geert Mackenroth, Staatsminister der Justiz: Vielen November 2004 umgesetzt, nach der die Beteiligungs- Dank. Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und rechte des Landesrichterrates zu erweitern sind.

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Mit dem Ergebnis der Ihnen heute erstmals vorgelegten chung. Das Verfahren der Mitbestimmung wird auch Arbeit innerhalb der Koalition bin ich zufrieden, auch weiterhin durch weitreichende Bezugnahme auf das wenn es etwas länger gedauert hat. Die in der Koalitions- sächsische Personalvertretungsrecht geregelt. Abwei- vereinbarung einzeln aufgeführten Mitwirkungsrechte chungen ergeben sich nur dort, wo sie entweder aufgrund werden zu Mitbestimmungsrechten hochgestuft. Obwohl der besonderen Stellung der Richter und Staatsanwälte die Koalitionsvereinbarung dabei ausdrücklich nur die oder wegen der spezifischen Struktur der Vertretungen im Aufwertung der Beteiligungsrechte des Landesrichterrates Freistaat Sachsen geboten sind. in den Blick genommen hat, erstrecken sich die mit dem Vor allem die Einigungsstelle für die Angelegenheiten der vorliegenden Gesetzentwurf beabsichtigten Änderungen Richter und Staatsanwälte ist ein Novum. Diese Eini- im gleichen Umfang auch auf den Landesstaatsanwaltsrat. gungsstelle wird, anders als jene für Beamte und Arbeit- Der im Sächsischen Richtergesetz bisher verfolgte nehmer, nicht als ständige Einrichtung, sondern nur im Gleichklang der Beteiligungsrechte dieser beiden Gre- Bedarfsfall beim Staatsministerium der Justiz gebildet. mien soll beibehalten werden. Damit kann in der Auswahl der Beisitzer und des Vorsit- Im Einzelnen werden künftig folgende Maßnahmen der zenden eine je nach Angelegenheit optimale Sachnähe Mitbestimmung durch die beiden Gremien unterliegen: bewirkt werden. Diese fallbezogene Bildung der Eini- Maßnahmen zur Verhinderung von Dienstunfällen und gungsstelle hat den weiteren Vorteil, dass sich in gemein- sonstigen Gesundheitsschädigungen, Maßnahmen zur samen Angelegenheiten der Richter und der Staatsanwälte Regelung der Ordnung im Gericht, Inhalte von Perso- die Beteiligung des Landesstaatsanwaltsrates an der nalfragebögen, Beurteilungsrichtlinien, grundsätzliche Beratung und Beschlussfassung des Gesamtgremiums in Fragen der Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten, den aus diesem Gremium zu berufenden Beisitzern der die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden, die Einigungsstelle widerspiegeln kann. Gestaltung der Arbeitsplätze, Einrichtung, Verwaltung Insgesamt mögen die Änderungen des Sächsischen und Auflösung von Sozialeinrichtungen sowie die Richt- Richtergesetzes im Hinblick auf den Umfang des Gesetz- linien über die Abordnung von Richtern und Staatsanwäl- entwurfes geringfügig erscheinen. Die daraus für den ten. Landesrichterrat und den Landesstaatsanwaltsrat folgen- Die erste Amtszeit des Landesrichterrates und des Lan- den Spielräume sind meines Erachtens jedoch nicht zu desstaatsanwaltsrates in Sachsen, die am 1. Juni 2004 auf unterschätzen. Ich werbe in den Ausschüssen und später der Grundlage des Zweiten Gesetzes zur Änderung des im Plenum für Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Richtergesetzes begann, ist noch nicht beendet. Bislang Vielen Dank. war die Zusammenarbeit konstruktiv und für beide Seiten nutzbringend. Nach meinem Eindruck nehmen die Mit- (Beifall bei der CDU und der SPD) glieder beider Gremien ihre Verantwortung als Personal- vertretung der gesamten sächsischen Justiz, der Richter 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Danke, Herr und aller Staatsanwälte, mit hohem persönlichem Enga- Staatsminister. – Das Präsidium schlägt Ihnen vor, diesen gement und zunehmend professionell wahr. Ich blicke Gesetzentwurf an den Verfassungs-, Rechts- und Europa- daher mit großer Zuversicht in die Zukunft, wenn nun ausschuss zu überweisen. Wer stimmt dem zu? – Wer nach zweijähriger „Anflutungsphase“ die Mitwirkungs- stimmt dem nicht zu? – Niemand. Damit ist das so be- möglichkeiten für die beiden Gremien erweitert werden. schlossen. Der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf verwirklicht umfas- Wir bleiben bei Gesetzentwürfen der Staatsregierung und send den Auftrag der Koalition unter Berücksichtigung kommen zu der hierzu ergangenen verfassungsrechtlichen Rechtspre-

Tagesordnungspunkt 6 1. Lesung des Entwurfs Gesetz zu dem Staatsvertrag zwischen dem Freistaat Sachsen und dem Land Nordrhein-Westfalen über die Übertragung von Aufgaben nach § 9 Abs. 1 und § 10 Handelsgesetzbuch zur Errichtung und zum Betrieb eines gemeinsamen Registerportals der Länder Drucksache 4/7618, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Herr Mackenroth, Sie dürfen schon wieder sprechen. ten Damen und Herren! Am 1. Januar 2007 ist das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschafts- (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: register sowie das Unternehmensregister – kurz: EHUG – Es ist ungleich verteilt!) in Kraft getreten. Geert Mackenroth, Staatsminister der Justiz: Zum Der Bundesgesetzgeber hat mit dem EHUG das deutsche Dritten und Letzten. – Herr Präsident! Meine sehr verehr- Registerwesen umfassend reformiert und an das Internet- 5733 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 zeitalter angepasst. Seitdem sind alle deutschen Handels-, Das soll letztlich durch den Ihnen hiermit vorgelegten Genossenschafts- und Partnerschaftsregister über das Staatsvertrag geregelt werden. Internet einsehbar. Unterlagen zur Eintragung in eines Um Sie nicht länger vom Mittagessen abzuhalten, gebe dieser Register sind elektronisch beim zuständigen Amts- ich den Rest meiner Rede zu Protokoll. gericht einzureichen. Die Bekanntmachung der Register- eintragungen erfolgt ebenfalls über das Internet. Die Vielen Dank. bisher üblichen Bekanntmachungen in den Tageszeitun- (Beifall bei der CDU und der SPD) gen werden Ende 2008 entfallen. Die Länder haben sich nun entschlossen, die Register 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Danke schön. – nicht dezentral in jedem einzelnen Land zu führen, Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen sondern zu zentralisieren. Das ist sinnvoll. Wenn Sie vor, diesen Gesetzentwurf an den Verfassungs-, Rechts- beispielsweise Firmendaten eines Betriebes in Stuttgart und Europaausschuss – federführend – und an den Haus- oder Düsseldorf einsehen wollen, müssen Sie künftig halts- und Finanzausschuss zu überweisen. Wer stimmt nicht mehr eine Anfrage in Papierform an das zuständige dem Vorschlag zu? – Wer stimmt dem Vorschlag nicht zu? Amtsgericht stellen, sondern können die Antwort sofort – Damit ist dies beschlossen. zu den gleichen Kosten über ein Internetportal abrufen. Erklärung zu Protokoll

Geert Mackenroth, Staatsminister der Justiz: Das Hoheitsrechte nach dem Handelsgesetzbuch auf das Land Gesetz verpflichtet die Länder zum einen, dem neu Nordrhein-Westfalen übertragen werden müssen, bedarf geschaffenen Deutschen Unternehmerregister des Bundes es einer Regelung durch den Staatsvertrag. Es handelt Zugang zu ihren Registerdaten zu gewähren und die sich um die Übertragung folgender Zuständigkeiten: notwendigen Indexdaten zur Recherche zu liefern, und – die zentrale Anmeldung zum Registerportal, zum anderen, den Statistikregistern umfangreiches statis- tisches Material mitzuteilen. Dafür sieht das Gesetz die – die zentrale Erhebung von Gebühren und Möglichkeit einer länderübergreifenden Zusammenarbeit – die zentrale Vollstreckung der Gebühren. im Bereich des Internetabrufverfahrens vor. Für die Eintragungen in den jeweiligen Registern bleiben Die Länder beabsichtigen, von dieser Möglichkeit die Register führenden Amtsgerichte im Freistaat Sachsen Gebrauch zu machen und ein gemeinsames Registerportal zuständig. Dies sind die Amtsgerichte in Chemnitz, der Länder zu errichten. Dieses Internetportal kann Dresden und Leipzig. Bei Fragen zum Inhalt der Eintra- Zugang zu allen 16 Handelsregistern der Bundesländer gungen können sich Bürger und Unternehmen weiterhin gewähren und der Bekanntmachung der Eintragungen der an das für sie zuständige Amtsgericht wenden. Registergerichte dienen. Ferner ermöglicht es einen Der Entwicklungs- und Betriebsaufwand zum Betrieb des einheitlichen Datenzugriff des Deutschen Unternehmens- Registerportals der Länder wird diesen als jährliche registers auf die Register der Länder sowie eine Datenlie- Pauschalvergütung in Rechnung gestellt. ferung an die Statistikregister. Es bietet jedermann die Möglichkeit, bei einer zentralen Stelle zu jeder Zeit Es liegt auf der Hand, dass eine eigene Infrastruktur zur Einsicht in die Handels-, Genossenschafts- und Partner- Abwicklung des Verwaltungsaufwandes für den Freistaat schaftsregister in allen Bundesländern zu nehmen. Wer Sachsen wirtschaftlich mit einer zentralisierten und sich also in Sachsen über ein Unternehmen in Düsseldorf automatisierten Erledigung für die Geschäftsanfälle aus informieren will, muss nicht mehr wie bisher einen 16 Ländern beim Amtsgericht Hagen nicht konkurrieren Antrag in Papierform beim Amtsgericht (Handelsregister) kann. Die Erfahrungen mit bereits etablierten Massenver- in Düsseldorf stellen, sondern kann über das Registerpor- fahren in der Justiz, wie dem automatisierten Mahnver- tal unmittelbar Einsicht in das Register nehmen. Auch fahren, haben gezeigt, dass sich durch eine konzentrierte ohne Kenntnis der Registernummer können die Bürger und automatisierte Verfahrenserledigung ein Drittel der und Wirtschaftsunternehmen des Freistaates Sachsen über Bearbeitungskosten einsparen lässt. Das wollen wir das Registerportal gezielt nach registrierten Unternehmen nutzen. oder Einzelfirmen suchen. Sie können sich via Internet Die Sächsische Staatsregierung hat sich daher am über Einzelheiten von in ganz Deutschland ansässigen 9. Januar 2007 für eine Beteiligung des Freistaates Sach- Unternehmen – zum Beispiel vor dem Abschluss von sen an dem Registerportal ausgesprochen. Ich werbe Verträgen oder zur Durchsetzung von Forderungen – daher heute um die Zustimmung zu dieser Form einer informieren. länderübergreifenden Zusammenarbeit. Dazu sollen die den Ländern nach dem EHUG obliegen- 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Meine Damen und den Aufgaben auf das Land Nordrhein-Westfalen übertra- Herren! Wir sind noch nicht fertig mit den 1. Lesungen. gen werden. Als hierfür in Nordrhein-Westfalen zuständi- Es geht weiter mit ge Stelle ist das Amtsgericht Hagen vorgesehen, das diese Aufgabe bereits landesweit wahrnimmt. Soweit hierzu

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Tagesordnungspunkt 7 1. Lesung des Entwurfs Gesetz zum Staatsvertrag zwischen dem Land Brandenburg und den Ländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und den Freistaaten Sachsen und Thüringen zur Errichtung der Übertragungsstelle Ost (Übertragungsstellenstaatsvertrag) Drucksache 4/7619, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Frau Staatsministerin Orosz, bitte. Kauf von Milchquoten aufbringen. Geld, meine Damen und Herren, das sie anderswo sinnvoller einsetzen könn- Helma Orosz, Staatsministerin für Soziales: Sehr ten! geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf meinen Kollegen Stanislaw Tillich sehr gern vertre- Durch intensive Verhandlungen auf der Ebene der Agrar- ten. minister der Länder konnten wir einen deutschlandweiten Handel zunächst verhindern. Nun sollen die Milchquoten (Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, in zwei Regionen – den alten und den neuen Bundes- Linksfraktion.PDS) ländern – gehandelt werden. Die Länder Berlin, Bran- Für alle diejenigen, Herr Prof. Porsch, die mit dem Titel denburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, des eben genannten Tagesordnungspunktes nichts anzu- Sachsen und Thüringen bilden den Übertragungsbereich fangen wissen – es war mir so erschienen, dass Sie Ost. Die übrigen Länder bilden den Übertragungsbereich darunter fallen –: Es geht um Milch; West. (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Ich gebe es gern zu!) Richtig!) genauer gesagt, um die von unseren Landwirten erzeugte Die rechtlichen Voraussetzungen wurden im Rahmen Milchmenge. Die Milcherzeugung und -anlieferung einer sogenannten Ablöseverordnung der Milchabgaben- unterliegt marktordnungsrechtlichen Regelungen der verordnung geschaffen. Der Bundesrat wird auf seiner Europäischen Union. So sind für alle Mitgliedsstaaten Sitzung im Februar diese abschließend beraten und – maximale Erzeugungsmengen von Kuhmilch festgelegt. davon gehen wir aus – dieser Regelung zustimmen. Von dieser Gesamtmenge ist jedem Milcherzeuger eine Für den Handel von Milchquoten innerhalb der neuen betriebliche Referenzmenge zuzuweisen. Die angeliefer- Bundesländer muss es eine zentrale Übertragungsstelle ten Mengen werden nach Abschluss eines Milchwirt- für die Landwirte zwischen Inselberg und Ostsee geben. schaftsjahres saldiert. Überschreitet ein Mitgliedsstaat Das ist quasi die gemeinsame Verkaufsstelle für den An- seine Referenzmenge, hat er eine Strafabgabe zu zahlen. und Verkauf von Milchquoten. Diese Abgabe wird wiederum den verursachenden Milch- Wir haben uns auch gemeinsam mit dem Berufsstand und erzeugern zugerechnet. Möchten Milcherzeuger ihre den Milcherzeugergemeinschaften darauf verständigt, Produktion erweitern oder einschränken, können sie nach diese zentrale Übertragungsstelle Ost beim Landesamt für den Vorschriften der nationalen Milchabgabenverordnun- Verbraucherschutz, Landwirtschaft und Flurordnung des gen Referenzmengen über eine sogenannte Quotenvertei- Landes Brandenburg einzurichten. Das Landesamt nimmt lungsstelle kaufen bzw. verkaufen. Dieser Handel ist diese Aufgabe bereits für die Länder Berlin und Branden- bisher nur regional begrenzt möglich. Gegenwärtig ist die burg wahr. Eine gemeinsame Verkaufsstelle anstelle von Region meist das Bundesland, in Bayern und Baden- fünf Verkaufsstellen bündelt die Bearbeitung der Nach- Württemberg der Regierungsbezirk. fragen und Gebote und gestaltet so das Verfahren für die Die Preise, die sich aus Angebot und Nachfrage ergeben, Milcherzeuger transparent. sind regional sehr differenziert. In den alten Bundeslän- Die Übertragungsstelle Ost nimmt Hoheitsrechte wahr, dern lag der Preis bei bis zu 70 Cent pro Kiloquote und in indem sie Verwaltungsakte, die Bescheide zur Ablehnung den neuen Bundesländern bis zu 25 Cent pro Kiloquote. bzw. zum Erhalt von Referenzmengen erlässt. Da weder Die Nachfrage war in der Vergangenheit in den alten das Sächsische Verwaltungsorganisationsgesetz noch die Bundesländern höher als in den neuen Bundesländern. Zuständigkeitsverordnung Landwirtschaft/Forsten eine Daher forderten die alten Bundesländer verstärkt seit Verordnungsermächtigung für die Übertragung von 2004, dass die Milchquoten bundesweit gehandelt werden Hoheitsaufgaben auf Stellen anderer Länder vorsieht, ist sollten. Hätten sie mit dieser Forderung Erfolg gehabt, der Abschluss eines Staatsvertrages erforderlich. Dement- wären aufgrund des Preisgefälles Quoten aus den neuen in sprechend wurde durch das Land Brandenburg ein Staats- die alten Bundesländer gewandert. Landwirte aus den vertrag erarbeitet und mit den beteiligten Ländern abge- neuen Bundesländern, die erweitern möchten, hätten das stimmt. Nachsehen oder müssten viel mehr Geld als bisher für den

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Das sächsische Kabinett hat dem Staatsvertrag in seiner Haushalts- und Finanzausschuss. Wer dem folgt, den bitte Sitzung am 9. Januar 2007 zugestimmt. Im Landtag liegen ich um das Handzeichen. – Danke schön. Wer ist dage- nun der Staatsvertrag und das für seine Sanktionierung gen? – Damit wäre das beschlossen, meine Damen und erforderliche Ratifikationsgesetz zur Abstimmung vor. Herren. Die Neuregelung muss bereits zum Handelstermin am Es ist 13:02 Uhr. Wir treten in eine Mittagspause bis 1. Juli dieses Jahres wirksam werden. Dafür sind bereits 14:00 Uhr ein. Gleichzeitig bitte ich die Obmänner oder bis Ende Mai die erforderlichen Anträge zu stellen, sodass -frauen des Hochschulausschusses für eine kurze Bera- der Staatsvertrag schnellstmöglich in Kraft treten muss. tung zu mir in den Raum 135. Es dauert vermutlich nicht Daher, meine Damen und Herren, bitte ich um Ihre länger als 5 Minuten. Zustimmung. Danke schön. Guten Mittag. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Unterbrechung von 13:02 bis 14:00 Uhr) (Beifall bei der CDU und der Linksfraktion.PDS) 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Verehrte Abgeord- 3. Vizepräsident Gunther Hatzsch: Danke schön, Herr nete! Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen; ich möchte Staatsminister Tillich. mit der Tagesordnung fortfahren. Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt drei Meine Damen und Herren! Ich rufe auf den Überweisungen vor, und zwar an den Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft – federführend –, an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss und an den

Tagesordnungspunkt 8 Bekämpfung häuslicher Gewalt Drucksache 4/3031, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Fraktionen können hierzu in folgender Reihenfolge fungieren als Bindeglied zwischen staatlicher Intervention Stellung nehmen: CDU, SPD, Linksfraktion.PDS, bei häuslicher Gewalt und den Beratungs- und Betreu- NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn ungsangeboten der freien Träger. gewünscht. Ich erteile der CDU-Fraktion das Wort. Frau Neben der Einrichtung des Lenkungsausschusses haben Abg. Pfeiffer, bitte. wir eine Reihe von Gesetzesänderungen auf den Weg Angelika Pfeiffer, CDU: Frau Präsidentin, liebe Kollegin gebracht, die die Arbeit aller mit der Bekämpfung häusli- Schmidt, liebe Kollegin … – ich wollte Sie eigentlich alle cher Gewalt befassten Stellen auf eine solide Basis stellen namentlich benennen. Aber da recht wenige im Saal sind, und die Polizei bei ihren Einsätzen flexibel handeln begrüße ich Sie recht herzlich zu diesem Thema. Alle lassen. anderen am Lautsprecher begrüße ich auch. (Beifall bei der CDU) (Beifall bei der CDU) Konsequent wurde am Aufbau von Kriseninterventions- Thema „Häusliche Gewalt“ – ich hoffe, es besteht eine und -koordinierungsstellen in allen Zuständigkeitsberei- nicht ganz so große Interesselosigkeit. Herr Weichert, chen der Polizeidirektionen gearbeitet. Mit der Schaffung dass Sie da sind, finde ich toll. Bei Ihnen setze ich ja auch eines eigenständigen zivilrechtlichen Gesetzeswerkes zum voraus, dass es wie bei uns allen keine Gewalt gibt. Schutz vor häuslicher Gewalt haben wir zu einer Enttabu- isierung und einer stärkeren Öffentlichkeitsarbeit beige- Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jetzt endlich tragen. Leider gibt es das Thema häusliche Gewalt schon liegt der lang erwartete Landesaktionsplan von der Staats- immer. Jetzt ist es in der Öffentlichkeit, jetzt wird darüber regierung zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt vor. In diskutiert, und es werden Maßnahmen ergriffen. Das ist ihm sind alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz vor gut so. häuslicher Gewalt zusammengefasst. Wie wir wissen, bildet er die Grundlage für die Arbeit des für diesen Die gesellschaftliche Sensibilität für diese Problematik Bereich bereits im April 2003 eingesetzten Lenkungsaus- hat sich sehr stark erhöht. Die gestiegene Wahrnehmung schusses. und Reflexion des Themas in der Bevölkerung ist aber auch in besonderem Maße der erfolgreichen Netzwerk- Wir haben dieses Organ damals geschaffen, um den und Sensibilisierungsarbeit zu verdanken. Immer, wenn Ausbau lokaler Netzwerke voranzutreiben und deren wir dieses Thema diskutieren, wird es wahrgenommen, Arbeit effektiver zu gestalten. Damit können heute abge- und es wird daran gearbeitet. Viele, viele machen eine stimmte Maßnahmen für einen verbesserten Opferschutz engagierte Arbeit in den regional operierenden Netzwer- und ein konsequentes Handeln gegenüber den Tätern sinnvoll eingesetzt werden. Diese lokalen Netzwerke

5736 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 ken. Viele freie Träger arbeiten sehr gut. Ihnen ist der das wäre zu kurz gesprungen. Ich möchte ein Beispiel aus Erfolg zuzuschreiben. meinem Wahlkreis bringen. Wir haben in Wurzen das Frauenhaus geschlossen – nicht, weil wir gegen eine (Beifall bei der CDU) solche Einrichtung sind, sondern weil die Nutzung sehr Alle bisher von uns geleisteten Anstrengungen unterstrei- vage war. Die Frauen und Männer aus dieser Region, die chen den vollzogenen Paradigmenwechsel im Bereich der bedroht sind, gehen natürlich in die Großstadt nach Bekämpfung häuslicher Gewalt. Nur eine ganzheitlich Leipzig, weil sie dort anonym sind, und werden sich in ausgerichtete Kette von Interventionsmaßnahmen des der Kleinstadt wenig Hilfe suchen. Somit unterstützen wir Staates und der nichtstaatlichen Unterstützungseinrich- Leipzig mit, haben aber in Wurzen eine Notwohnung, die tungen machen ein effektives Arbeiten möglich. Die ab und an auch belegt ist. Ein Frauenhaus hat sich aber früher geleistete und meist unvernetzte Unterstützung der nicht bewährt. Beratung der Opfer ist heute Gott sei Dank überholt. Sie Natürlich ist es besonders wichtig für jene Schutzsuchen- ist immer noch ein sehr wichtiger Teil in unserem Kon- den, dass wir die Kommunen auch in Zukunft bei der zept; doch ist sie jetzt besser mit allen anderen Maßnah- Erhaltung der Frauenhäuser und solcher Schutzeinrich- men vernetzt und dadurch viel leistungsfähiger. tungswohnungen unterstützen. Dieser Pflicht sind wir uns Gerade diese enge Vernetzung und die enge Zusammen- bewusst. arbeit hat zum Ziel, nicht nur Gewalt oder Bedrohung in Darüber hinaus müssen wir – das sieht auch der Landes- Akutsituationen zu beenden; sie eröffnet den betroffenen aktionsplan vor – die Einrichtung von Interventions- und Menschen vor allem Perspektiven für ein dauerhaft Koordinierungsstellen in jeder Polizeidirektion vorantrei- gewaltfreies Leben. ben; denn diese weisen die nötigen Kompetenzen auf, Ergänzend zu den Hilfsangeboten und dem bereits beste- Opfern wie Tätern die Hilfsangebote sozialer Dienste zu henden Hilfenetz für Opfer häuslicher Gewalt unterstüt- vermitteln. Allen voran die zuständigen Ministerien, aber zen wir Projekte zur täterorientierten Antigewaltarbeit. auch wir als CDU-Fraktion werden weiterhin alle gesetz- Dies ist mittlerweile fester Bestandteil des Beratungsnet- geberischen und anderen Maßnahmen unterstützen, die zes und hat sich als ein wesentlicher Beitrag zum aktiven zur Verbesserung der Stellung von Opfern häuslicher Opferschutz etablieren können. Gewalt beitragen, Meine Damen und Herren, durch das stetige Vorantreiben (Beifall bei der CDU) der Netzwerkbildung im Bereich der Interventionsange- sei es die Etablierung eines Frühwarnsystems zum Schutz bote haben wir erreicht, dass nun auch die freie Straffälli- der von häuslicher Gewalt betroffenen Kinder oder die gen- und Opferhilfe ineinander übergreifen und sich Sensibilisierung des Themas an unseren Schulen. gegenseitig ergänzen. Es bleibt festzuhalten, dass sich das im Freistaat beste- Eines ist auch wichtig, meine Damen und Herren: Lehrer hende Netzwerk zur Bekämpfung häuslicher Gewalt können, sollen und müssen im Rahmen einer Sexual- und beständig weiterentwickelt. Familienerziehung häusliche Gewalt und deren Bekämp- fung im Unterricht thematisieren. Unsere Unterstützung (Beifall bei der CDU) verdient darüber hinaus der Auftrag der Justiz, ein flä- Wir können es als einen großen Erfolg werten, dass wir es chendeckendes Netz an Sonderdezernaten zu errichten, geschafft haben, intervenierenden und präventiven Cha- um häusliche Gewalt noch besser verfolgen zu können. rakter der Hilfeleistungen sinnvoll miteinander zu ver- Weiterhin sieht der Landesaktionsplan die Erarbeitung knüpfen. Im Ergebnis heißt das: Der Freistaat stellt zur eines Leitfadens für Mitarbeiter des Gesundheitswesens Bekämpfung von häuslicher Beziehungs- und sexualisier- vor und trägt somit unserer Forderung nach stärkerer ter Gewalt eine leistungsfähige und effizient arbeitende Einbindung des Gesundheitswesens in das Präventions- Struktur zum Schutz der Opfer bereit. netzwerk des Freistaates Rechnung. Nun ist – wie auch immer – Kritik laut geworden, der Sie sehen, meine Damen und Herren: Es ist viel getan Landesaktionsplan beschränke sich lediglich auf schöne worden und es bleibt noch viel zu tun, um die bewährten Worte, die finanziellen Mittel würden gekürzt, obwohl der Maßnahmen fortzuführen und neue notwendige Schritte Bedarf gegeben ist. Dazu kann ich nur sagen – die nach- einzuleiten, um dem steigenden Handlungsbedarf bei der folgenden Kolleginnen werden dies sicherlich ansprechen Bekämpfung häuslicher Gewalt gerecht zu werden. –: Die Aufgaben des Freistaates sind gegenüber kommu- Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. nalen Zuständigkeiten klar abgegrenzt. Die Bedarfsermitt- lung, Einrichtung und Schließung von Schutzeinrichtun- (Beifall bei der CDU, des Abg. Prof. Dr. Cornelius gen liegt nun einmal in kommunaler Hand. In diesen Weiss, SPD, und bei der Staatsregierung) Punkten haben wir als Regierungsfraktion gehandelt und entscheidend zur Verbesserung beigetragen können. Das 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die SPD-Fraktion; werden wir auch in Zukunft tun. Frau Dr. Schwarz, bitte. Allein an der Zahl der Frauenhäuser können die Erfolge Dr. Gisela Schwarz, SPD: Sehr geehrte Frau Präsidentin! unserer Arbeit in diesem Bereich nicht gemessen werden; Meine Damen und Herren! Das Thema häusliche Gewalt 5737 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 hat in den letzten fünf bis sechs Jahren eine große Dyna- Frau Schütz, Sie haben Unrecht, wenn Sie behaupten, mik entfaltet. Dies ist unter anderem auf das Gewalt- dass die Frauenhäuser weniger Geld bekommen. Wir schutzgesetz der rot-grünen Bundesregierung zurückzu- haben dies bei den Haushaltsberatungen ausführlich führen. Aber auch Erfahrungen aus anderen europäischen besprochen und die Ministerin hat uns dargelegt, dass Ländern, insbesondere Österreich – ich erinnere daran, dem eben nicht so ist. Dass wir auf kommunaler Ebene wir hatten eine interessante Anhörung, in der auch öster- noch so manches Problem haben, muss auch auf kommu- reichische Frauen ihre Projekte vorgestellt haben –, naler Ebene geklärt werden. Wir müssen dazu beitragen, zeigten uns, dass es doch Mittel und Wege gibt, dieses dass es dort eben nicht zu diesem typischen Verdrän- Thema zu enttabuisieren, und dass es Instrumente gibt, gungssyndrom kommt. Das wird unser aller Aufgabe sein. den Betroffenen zu helfen. Auch das Gesetz zur gewalt- Betroffene werden sich auch nicht immer nur an Kinder- freien Erziehung hat dazu beigetragen, für dieses Thema und Frauenschutzhäuser wenden, sondern werden die zu sensibilisieren. kompetenten Interventions- und Koordinierungsstellen Heute titelt „Die Welt“ – Sie können es im „Pressespie- nutzen, und es wird stärker vom Wegweisungsrecht gel“ nachlesen –: „Familie ist Hochburg der Gewalt“. In Gebrauch gemacht. Entscheidend ist die Zusammenarbeit einer Studie wird dargelegt, dass 20 % der Jugendlichen vor Ort. So weiß ich es aus der Interventions- und Koor- in Deutschland Gewalt in der Erziehung erleben und dass dinierungsstelle in Leipzig von Frau Gabi Eßbach, die Frauen in Familien ein zehnfach höheres Risiko droht als vielen hier bekannt ist, weil sie in diesem Bereich sehr außerhalb. Es bleibt also eine große Herausforderung, engagiert gearbeitet hat und immer noch arbeitet. Sie sagt, denn wir wissen aus vielen Studien, dass viele Jugendli- dass es in der Vernetzung auf kommunaler Ebene sehr gut che, die selbst Gewalt erleben, später auch dazu neigen, funktioniert. Das betrifft die Zusammenarbeit mit Polizei, diese anzuwenden. Gewaltprävention und Hilfsangebote Justiz sowie Frauen- und Kinderschutzhäusern und der bei häuslicher Gewalt sind also eine aktuelle Herausforde- Koordinierungsstelle selbst. Das ist ein gutes Beispiel rung. dafür, dass wir sehr konkret weitergekommen sind. Nach zögerlichem Beginn in Sachsen haben sich mittler- Im Koalitionsvertrag haben wir folgenden Satz verankert: weile doch gute Strukturen entwickelt, und ich möchte „Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen; sagen, dass auch meine Fraktion gerade in der vergange- häusliche Gewalt ist nach wie vor ein gesellschaftliches nen Legislaturperiode dazu beigetragen hat. Vor allem Problem, das nicht hingenommen werden darf; alle aber verdanken wir dies den engagierten Frauen vor Ort notwendigen Maßnahmen zum Schutz vor häuslicher und den Hilfs- und Beratungseinrichtungen, den Frauen- Gewalt werden binnen Jahresfrist in einem Landesakti- und Kinderschutzhäusern, die sich in einem landesweiten onsplan zusammengefasst.“ Netzwerk zusammengefunden und das Thema maßgeb- Nun liegt der Aktionsplan vor, der aus unserer Sicht eine lich vorangebracht haben. gute Grundlage für das weitere Handeln in diesem Be- Selbst die Polizei in Sachsen hat sich zu einer mittlerweile reich darstellt. Dass es mit der Erstellung des Planes wichtigen Triebkraft entwickelt. Durch die täglichen etwas länger gedauert hat, wird sicherlich Teil der Kritik Erfahrungen mit Gewalt im familiären und engen sozialen sein. Auch der heute vorliegende Antrag ist ein bisschen Umfeld sind es eben Polizistinnen und Polizisten, die alt. Damals war er notwendig, um dazu beizutragen, dass einen verlässlichen Handlungsrahmen und verlässliche der Landesaktionsplan zügig bearbeitet wird. Partner brauchen. Die angebotenen Weiterbildungen sind Es gibt Gründe, warum es so lange gedauert hat. Das sehr gut angenommen worden und die Polizistinnen und Thema berührt viele Politikfelder. Die verschiedensten Polizisten, die zu solchen Einsätzen gerufen werden, Ministerien sind daran beteiligt, wie Sie dem Landesakti- verdienen unseren Respekt; onsplan entnehmen können. Viele haben sich erst intensi- (Beifall des Abg. Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD) ver mit dem Thema beschäftigen müssen. All das war zusammenzuführen und positiv zu entwickeln. Es gab die denn sie sind gewissermaßen die Feuerwehr, die sich auf vielen Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen und die konkrete Situation einstellen muss. Verbänden, zum Beispiel von Opferverbänden, Frauenor- Mittlerweile gibt es sowohl Interventions- und Koordinie- ganisationen, Familienverbänden, der LIGA und weiteren. rungsstellen als auch Täterberatungsstellen. In vielen Diese Herangehensweise ist sehr aufwendig und braucht Regionen finden sich regionale Netzwerke, Runde Tische, Zeit, führt aber zu diesem Plan, der detailliert auf die an denen sich die Beteiligten vor Ort zusammenfinden verschiedenen Handlungsfelder eingeht sowie sinnvolle und im Sinne der Betroffenen agieren. Das Ziel, in jeder Verknüpfungen und Empfehlungen ausspricht. Der Plan Polizeidirektion eine Interventions- und Koordinierungs- gibt konkrete Empfehlungen und beschränkt sich nicht stelle zu haben, ist fast erreicht. Neben Dresden, Leipzig, auf Gewalt gegen Frauen. Westsachsen, Oberlausitz/Niederschlesien und Oberes Es ist aber eine weitere Sensibilisierung der Ressorts Elbtal/Osterzgebirge ist kürzlich in Chemnitz eine weitere notwendig. Das zeigt – die Innenausschussmitglieder IKS eröffnet worden, und in Zwickau wird es in Kürze so kennen die Briefe der einzelnen Ressorts – auch die weit sein; ein wichtiges Ziel haben wir erreicht. Äußerung bei der Mitzeichnung aus dem Kultusministeri- um. Daran müssen wir noch arbeiten.

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Nun gilt es im Sinne dieses Planes zu handeln und zu ken –, dies in einem eigenständigen Antrag zu thematisie- versuchen, den Empfehlungen Handlungen folgen zu ren finde ich wirklich pikant. lassen. Manche lassen sich wahrscheinlich schnell bzw. Nun zum Aktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Ge- leicht umsetzen, beispielsweise die Einbeziehung des walt. Das Gute ist zunächst einmal: Er ist da. Wir haben Themas in eine Intensivierung innerhalb der verschiede- lange darum gekämpft und gerungen. Der Aktionsplan ist nen Fortbildungsbereiche. Ein Leitfaden für das medizini- in verschiedensten Anträgen und Aussprachen, wo auch sche Personal wird bald vorliegen. Auch für die Einfüh- immer, thematisiert worden. rung unseres sogenannten Frühwarnsystems haben wir die Weichen gestellt. Ich bin froh darüber, dass es eine ganze Menge positiver Ansätze gibt. Gut ist zum Beispiel, dass er fach- und Anderes wird uns länger beschäftigen, beispielsweise der ressortübergreifend gestaltet ist. Wenn ich mir allerdings Ausbau der Hilfeangebote. Es gibt sicherlich noch Regio- das Kultusministerium ansehe, dann weiß ich nicht, ob nen, in denen mehr getan werden muss, vor allem im man dort begriffen hat, worum es geht. Ich glaube es ländlichen Raum. Hier müssen die kommunalpolitisch kaum. Man kann und muss dort sicherlich nachhelfen. Verantwortlichen – ich habe es schon gesagt – zum Handeln aufgefordert werden. Wichtig ist, dass der Gewaltbegriff weitreichend verstan- den wird. Betroffen sind nicht nur Frauen und Männer, Die Planung einer Internetseite zum Thema begrüße ich sondern auch viele Jugendliche. Heute ist in der „Freien ebenfalls außerordentlich. Die Arbeit des Lenkungsaus- Presse“ zu lesen, dass 20 % der Jugendlichen in der schusses wird intensiv weitergeführt. Die Berichte des Familie Gewalterfahrungen machen. Angesichts dessen Ausschusses sollten regelmäßig erfolgen und dem Land- muss man über den Begriff „Familie“ und über „Familie tag zugeleitet werden. Auch ist darüber nachzudenken, als Idylle“ gründlich nachdenken. Auch das ist eine den Landesaktionsplan in regelmäßigen Abständen zu Aufgabe in diesem Zusammenhang. überprüfen und der jeweiligen Entwicklung anzupassen. Ich denke, alle Fraktionen sind frei, hier die entsprechen- (Beifall des Abg. Horst Wehner, den Anträge zu stellen. Linksfraktion.PDS) Die Forderung nach einer finanziellen Unterstützung ist Sehr verehrte Damen und Herren! Für meine Begriffe ist nachvollziehbar. Die Federführung liegt beim Innenminis- es auch zu begrüßen, dass in dem Aktionsplan eine Reihe terium. Es muss doch möglich sein, mit den beteiligten von sehr konkreten Punkten angesprochen wird. Es Ressorts die im Verhältnis zu unserem Gesamthaushalt werden Anregungen aufgegriffen, die wir thematisiert geringe Summe aufzubringen, um die Arbeit des Len- haben und die auch der Lenkungsausschuss häufig einge- kungsausschusses zu professionalisieren. bracht hat. Ich freue mich über den Maßnahmenkatalog Der Ihnen vorliegende Antrag ist erledigt. Nachdem es zur Stärkung der Diagnosekompetenz von Ärzten. Der ist etwas Verwirrung über das Verfahren gegeben hatte und bitter, bitter nötig. Das habe ich aus vielen Anhörungen der Landesaktionsplan zurzeit nur den Mitgliedern des unserer Fraktion immer wieder herausgehört. Innenausschusses vorliegt, wird – so ist es mir bekannt – Es gibt also Licht; aber wie immer gibt es auch Schatten. der im Kabinett verabschiedete Landesaktionsplan allen Die Schwächen des Landesaktionsplanes liegen auf der Fraktionen zugestellt werden. Hand: Immer dann, wenn es um verbindliche, zwingende Konsequenzen geht, lesen wir nichts oder nur sehr wenig. (Beifall des Abg. Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD, Die Empfehlungen sind durchweg dünn und viel zu und vereinzelt bei der CDU) allgemein formuliert. Es gibt keinen Zeitplan, wann man 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Ich bitte nun Frau was wie erreicht haben will. Dr. Ernst, für die Linksfraktion.PDS das Wort zu nehmen. Das Allerschlimmste ist – das ist immer die Kernfrage bei solchen grandiosen Plänen – die finanzielle Absicherung. Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Frau Präsiden- Wir brauchen einen Finanzplan. Einen solchen gibt es tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Grunde hierzu nicht. Das halte ich für schwierig. ist der vorliegende Antrag – Sie haben es schon angedeu- tet; ich sage es etwas drastischer, Frau Dr. Schwarz – eine Wo konkret sehen wir Schwachpunkte? Zunächst zum Zumutung. Er ist völlig substanzlos. Gefordert wird eine Bereich Kinder und Jugendliche. Auf der einen Seite wird einfache Berichterstattung. Das kann man im Ausschuss die Bedeutung von Schulsozialarbeitern immer wieder oder anderswo machen; Anhörungen wären ohnehin betont – nach dem Motto, wir brauchen Schulsozialarbei- sinnstiftender. Die Stellungnahmen der Staatsregierung ter, die sich mit den Problemen befassen können und die dazu sind steinalt, älter als die Debatten, die wir im den Kindern und Jugendlichen Hilfestellung geben November letzten Jahres zur Großen Anfrage der Links- können –, aber in den Empfehlungen ist nichts davon zu fraktion zu diesem Thema geführt haben. lesen; da sind sie plötzlich weg. In den Empfehlungen zum Ausbau des Netzes von SchulsozialarbeiterInnen Ich kann andererseits verstehen, dass Sie den Landesakti- gibt’s nichts zu lesen. onsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt vorstellen und etwas dazu sagen wollen; das ist völlig klar. Dass es Völlig verwaschen sind auch die Ansprüche an Erziehe- Ihnen aber nicht wert war – darüber muss man nachden- rinnen. Es fängt doch schon in der Kindertagesstätte an.

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Dort muss mit der Aufklärung über dieses Thema ange- Was finden wir dann im Landesaktionsplan für eine setzt werden. Die Erzieherinnen müssen sehr genau Formulierung? Da steht: „Wenn möglich, soll dieses Netz wissen, was sie vor sich haben und welche Probleme es dieser Einrichtungen bedarfsgerecht ausgebaut werden, im Zusammenhang mit Gewalt in den Familien gibt. Auch aber nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haus- hierzu fehlen uns Aussagen. haltsmittel.“ Ähnliches trifft auf die Schulpsychologen zu. Sie werden Ich muss Ihnen sagen, das reicht uns überhaupt nicht. Das genannt, aber Konsequenzen gibt es nicht. Keine Empfeh- ist ein Haushaltsvorbehalt. Wie wollen Sie denn die lungen – was soll es also? Ich stelle die Frage: Wie stellen Interventionsstellen oder die Rettung der Frauenschutz- Sie sich das im Einzelnen vor? häuser ohne Geld schaffen? Da kann man nicht so argu- Was Migrantinnen angeht, so wird auch im Landesakti- mentieren. Wo bleibt die Bedarfsermittlung und die onsplan ganz groß thematisiert, dass es sich um ein Ermittlung der notwendigen Mittel? ungelöstes Problem handelt. Die Dunkelziffer an Migran- (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) tinnen, die in der Familie Gewalt ausgesetzt sind, ist riesengroß. Wenn man das weiß, muss man Nägel mit Dann lese ich auch immer noch bei den Finanzen: „Mit Köpfen machen. Wir brauchen in unserem Land Sozialar- den Regionen, die über keine professionellen Schutzan- beit für Migrantinnen und Migranten; diese fehlt. Wir als gebote für die Gewaltopfer verfügen, sollten kommunale Linksfraktion weisen ständig darauf hin, dass wir ein Vereinbarungen, die die gemeinsame Nutzung und Finan- solches Netz brauchen. Auch zu diesem Punkt könnte also zierung sicherstellen, angesteuert werden.“ etwas kommen. Das ist aber nicht der Fall. Was ist nun das? Was soll ich damit anfangen? Findet sich die Staatsregierung damit ab, dass es weiße Stellen gibt, Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch der Be- wo überhaupt keine Einrichtungen sind, wie im Mulden- reich der Justiz ist völlig unzulänglich geregelt. Gerade tal, Delitzsch, Eilenburg? Sollen die Betroffenen durchs Richter und Staatsanwälte, die manchmal glauben, alles Land reisen, um Hilfe zu erhalten? zu wissen, brauchen eine systematische Fortbildung auf diesem Feld. Die gibt es noch nicht ausreichend. Das Fakt ist, diese Einrichtungen müssen regelfinanziert haben wir auch in mehreren Anhörungen immer wieder werden. Wir verlangen bei den Frauenschutzhäusern, dass erfahren. sich das Land bis zu 50 % beteiligt. Die Empfehlungen dürfen sich also nicht auf die sicher- (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) lich ganz notwendigen Sonderdezernate, die es geben muss, beschränken. Wichtig ist das Feld der Fortbildung. Meine Damen und Herren, zu den Gleichstellungsbeauf- tragten. Ich freue mich, dass die Gleichstellungsbeauftrag- Unzufrieden sind wir – da mache ich aus meinem Herzen ten überhaupt noch erwähnt werden. Momentan werden keine Mördergrube – immer wieder mit der Finanzierung sie überall in den Landkreisen abgebaut. Landesweit dieser Einrichtungen, mit der Finanzierung von Frauen- werden sie marginalisiert. Es ist dringend erforderlich, und Kinderschutzhäusern. Gerade hat mir mein Kollege wieder aufzunehmen, dass es sie überhaupt noch gibt, Hahn gesagt, dass das Frauenschutzhaus in Pirna noch bevor sie sich für etwas anderes einsetzen können. eine Frist bis zum 30.06.2007 hat. Dann wird es dichtge- macht. Als Letztes: Man findet auf dem Vorblatt zum Landesak- tionsplan auch wieder eine schöne Formulierung: Rege- (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: lungen zum Mehrbelastungsausgleich seien nicht erfor- Hört, hört!) derlich, da keine Aufgaben durch Gesetz übertragen Man kann also hier wunderbare Sachen aufschreiben; werden. wenn man aber nicht finanziell untersetzt, dass die vor- Ich muss sagen, das ist der größte Schummel, den ich handenen Angebote weiter existieren können, dann ist das jemals kennengelernt habe. für mich eine Luftnummer. Das muss ich so sagen. (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Sehr richtig!) Das Gleiche trifft auch auf Interventions- und Täterbera- Kein Gesetz? Dann gibt es kein Geld. Das ist ganz ein- tungsstellen zu. Wir haben zum Haushalt wie verrückt in fach. Natürlich kann man per Gesetz regeln. Wir hatten allen möglichen Variationen und auch hier im Plenum ein Präventionsgesetz eingebracht – das haben Sie abge- diskutiert. Wir haben auch eine Rechnung vorgelegt, die lehnt. Darin hätte man regeln können, welche Beratungs- ich mir ausgedacht habe, in der wir sagen: Okay, wir angebote vorhanden sein müssen und dergleichen. Das ist brauchen hier mehr Geld, denn das sind keine freiwilligen nicht passiert. Einrichtungen. Wir brauchen diese Einrichtungen. Wir Wir sind der Meinung, ja, man müsste natürlich per brauchen diese Einrichtungen als Pflichtaufgabe und wir Gesetz regeln. Aber auch ohne Gesetz muss entsprechen- verlangen, dass sich das Land viel stärker beteiligt. des Geld her. (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Meine Damen und Herren! Kurz und knapp: Die Links- fraktion verlangt drei Dinge:

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1. die Formulierung klarer Zielstellungen und Verbind- und Freiberg gibt. Den Annaberger Frauen ist damit aber lichkeiten in jedem Ressort, leider nicht geholfen. 2. einen Zeitplan zur Umsetzung des Aktionsplanes und Wie wir alle wissen, sind diese Einrichtungen natürlich 3. ein darauf fußendes Finanzkonzept. immer von den Kämmerern in den Landkreisen und den Aufsichtsbehörden abhängig und stehen damit ganz oben (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) auf der Streichliste. Nur so wird aus einem Aktionsplan kein Papiertiger. Frau Schwarz, noch einmal an Sie gerichtet: Wenn Sie unseren Landeshaushalt lesen, dann ist es in den Haus- (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) haltsstellen genau so, dass es zu einer Kürzung für die 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die NPD- Frauenhäuser gekommen ist. Fraktion. Möchten Sie sprechen? – Nein. Die FDP- (Dr. Gisela Schwarz, SPD: Nein!) Fraktion? – Bitte, Frau Schütz. Die Aufgabe der Frauenschutzhäuser ist immer noch eine Kristin Schütz, FDP: Sehr geehrte Frau Präsidentin! freiwillige auf der kommunalen Ebene und natürlich Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße die immer auf den Streichlisten vornweg gestellt. Das führt abermalige Debatte zum Thema „Häusliche Gewalt“, nämlich auch dazu, dass jedes Jahr noch bestehende denn dieses Thema ist wichtig. Seit der letzten Debatte im Frauenschutzhäuser wie beispielsweise bei mir in Görlitz November vergangenen Jahres ist viel passiert. Es ist um ihre Existenz fürchten müssen. Für betroffene Frauen, sogar so viel passiert, dass es nötig ist, meine Aussage aus die keine Frauenschutzhäuser mehr finden, ist diese der letzten Debatte zu korrigieren. Damals sagte ich Situation unerträglich. Doch statt den Frauen zu helfen, nämlich sinngemäß, dass ich insbesondere bei Frauen- handelt der Landesaktionsplan das Thema Frauenhäuser schutzhäusern und Kinderschutzeinrichtungen meine unter haushaltspolitischen Gesichtspunkten ab. Wer so Hoffnungen in den Landesaktionsplan zur Bekämpfung bereits in einem Aktionsplan zur Bekämpfung von häusli- häuslicher Gewalt setze. cher Gewalt argumentiert, ist nicht ernst zu nehmen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorgelegte Ich erwarte hier von der Staatsregierung weitergehende Landesaktionsplan hat meine Hoffnungen gerade in Lösungen. Alles andere ist ein klarer Rückschritt für die diesem Bereich enttäuscht. Diese Einrichtungen – so Koalition. stellen die Verfasser des Landesaktionsplanes immerhin (Beifall bei der FDP) fest – sind außerordentlich wichtig für die Opfer. Doch leider gibt es in Sachsen, wie beispielsweise im Landkreis Auch sonst bleiben die Empfehlungen des Landesaktions- Annaberg, keine Angebote für hilfebedürftige Frauen, von planes recht unkonkret. Ich vermisse die Aktionen, die in flächendeckend gar nicht zu sprechen. diesem Plan stecken sollen. In Punkt 6.6 findet sich zur Frau Schwarz, an Sie gerichtet: Wenn Sie von Koordinie- Problematik der Migranten folgender lapidarer Satz: „Da rungs- und Interventionsstellen sprechen und auch Bera- die Einrichtungen in der Regel nicht über die dafür tungsstellen benennen, so ist der Stellungnahme von Frau erforderlichen finanziellen Mittel verfügen, werden hier Staatsministerin Orosz zu entnehmen, dass diese ebenfalls Lösungsansätze benötigt.“ organisatorisch an die Frauenhäuser gebunden sein sollen. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Es gibt noch eine Wie denn, wo keine sind? Zwischenfrage, Frau Schütz. Möchten Sie die noch 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie eine zulassen? Zwischenfrage, Frau Schütz? Kristin Schütz, FDP: Bitte schön.

Kristin Schütz, FDP: Bitte schön. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Dr. Schwarz.

2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Dr. Schwarz, Dr. Gisela Schwarz, SPD: Frau Schütz, Sie sprachen bitte. davon, dass das Frauenschutzhaus in Görlitz in seiner Dr. Gisela Schwarz, SPD: Frau Kollegin Schütz! Ist Existenz bedroht ist. Wer entscheidet dort, dass das Ihnen bekannt, dass es durchaus zwischen verschiedenen Frauenhaus eventuell geschlossen wird? Landkreisen Vereinbarungen gibt, in denen sie sich Kristin Schütz, FDP: Wie ich gerade in meinen Ausfüh- gegenseitig die Finanzierung versprechen, zum Beispiel rungen gesagt habe: indem es eine freiwillige Aufgabe der dem Mittleren Erzgebirgskreis und Freiberg, damit also Kommune ist und es natürlich nach wie vor auf der ein professionelles Frauenschutzhaus in Freiberg vor- Streichliste bei freiwilligen Aufgaben immer ganz oben gehalten wird und es dort eine sehr gute Zusammenarbeit steht. gibt, und dass man sich auch hilft und gemeinsam finan- ziert? Dr. Gisela Schwarz, SPD: Ich will aber trotzdem wissen, wer das ist, der das dann entscheidet. Kristin Schütz, FDP: Das begrüße ich sehr, dass es diese Vereinbarung zwischen dem Mittleren Erzgebirgskreis 5741 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: wissen, was vor Ort gebraucht wird. Und Sie müssen auch Das Regierungspräsidium!) sehen – –

Kristin Schütz, FDP: Ich kann Ihnen gern über die 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte immer nur Haushaltssituation der Stadt Görlitz ausführen, über eine Frage stellen. Haushaltskonsolidierungskonzepte, Streichlisten oder Ähnliches. Aber das ist nicht der Hintergrund Ihrer Frage. Dr. Gisela Schwarz, SPD: Gut. Mein Ansatz dazu war ganz klar zu sagen, dass es näm- 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Schütz, Sie lich das Land auf die kommunale Ebene delegieren können gern in Ihrer Rede fortfahren. möchte und dort sagt: Kümmert euch mal, setzt einmal unsere Aktionen, die wir vorhaben, um! Es geht nicht an, Kristin Schütz, FDP: Ich werde jetzt weiter vortragen, Aufgaben zu delegieren, ohne finanzielle Mittel dahinter- denn ich habe das vorhin schon in der Art und Weise zustellen. beantwortet. (Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS) Die hier zitierten Lösungsansätze sind bei der Staatsregie- rung zu finden. Ich hätte vom Landesaktionsplan erwartet, 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Es gibt noch eine genau diese Lösungsansätze zu bringen. Von daher Zwischenfrage von Herrn Bandmann. Die würde ich noch stimmen wir dem Antrag, der jetzt von der Koalition aufrufen. Würden Sie die zulassen? eingereicht wurde, zu, in der Erwartung, dass wir konkre- Kristin Schütz, FDP: Bitte schön. te Aussagen zu dieser Problematik erhalten. Ich weiß, dass es in den meisten Fraktionen engagierte Kolleginnen Volker Bandmann, CDU: Frau Schütz, Sie sind ja neben und Kollegen gibt, die gegen häusliche Gewalt eintreten. Ihrem Mandat als Landtagsabgeordnete auch Mitarbeite- Insbesondere an Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kolle- rin der Görlitzer Stadtverwaltung. Ist Ihnen nicht bekannt, gen der Koalition, appellierend, müsste der vorliegende dass der Träger dieses Frauenschutzhauses, die Görlitzer Landesaktionsplan dringend zur Überarbeitung zurückge- Diakonie, bereits Dankschreiben für die Rettung dieser geben werden, damit die Betroffenen von häuslicher Einrichtung verschickt, sodass das im Raum stehende Gewalt endlich Hilfe erhalten können. Problem der Vergangenheit angehört? Ich wundere mich Wir werden unter diesem Gesichtspunkt auch nicht dem über diese Position, die Sie hier vertreten. Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kristin Schütz, FDP: Herr Bandmann, auch diese Frage zustimmen, da wir eher der Meinung sind, dass der Landesaktionsplan schon als Stein der Weisen gefunden möchte ich Ihnen gern beantworten. Nachdem der Träger wurde. Wir sehen es so, dass eine Weiterentwicklung des Diakonie seit Juli des vergangenen Jahres Mahnbriefe Landesaktionsplanes zur Bekämpfung häuslicher Gewalt geschickt und an sämtliche Stadträte appelliert hat, diese und eine periodische Berichterstattung zu dieser Thematik Aufgabe nicht den Bach runtergehen zu lassen und die dringend geboten sind. Dies ergibt sich wohl von selbst. kommunalen Mittel dafür bereitzustellen, hat man es endlich im November bzw. Dezember geschafft, sich in Vielen Dank. der Stadtratssitzung dazu durchzuringen. Da wird einem (Beifall bei der FDP) freien Träger ein ganzes Jahr lang ohne finanzielle Si- cherheit der Stadt eine Aufgabe übertragen, die er zu 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die Fraktion der erfüllen hat. Das kann nicht seine Aufgabe sein und er GRÜNEN erhält das Wort. Frau Abg. Herrmann, bitte. wurde ganz schön im Regen stehen gelassen. Elke Herrmann, GRÜNE: Frau Präsidentin! Liebe (Beifall bei der FDP – Volker Bandmann, CDU: Kolleginnen und Kollegen! Nein, Frau Schütz, wir sind Dann sollen sie im Januar keinen anderen nicht der Meinung, dass mit dem Landesaktionsplan der Eindruck machen!) Stein der Weisen jetzt in unserer Mitte liegt. Sie werden 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Dr. Schwarz das nachvollziehen können, wenn ich gesprochen habe. möchte gern noch eine Frage stellen. Erlauben Sie das? Der Bericht zu dem Antrag, der schon recht alt ist – Frau Schwarz ist darauf eingegangen –, zeigt eindrucksvoll, Kristin Schütz, FDP: Bitte. dass sich seit der Verabschiedung des Gewaltschutzgeset- 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte, Frau zes einiges im Land geändert hat. Insofern kann man ein Dr. Schwarz. Auge zudrücken und sagen, aufgrund dessen, was dort deutlich geworden ist, nehmen wir diesen Bericht zur Dr. Gisela Schwarz, SPD: Können Sie sich vorstellen, Kenntnis. Es wäre uns wesentlich lieber gewesen, wenn Frau Schütz, dass ich darauf gewartet habe, dass Sie wir anhand eines vorliegenden Landesaktionsplanes sagen, die Stadträte haben eine hohe Verantwortung, sich, hätten diskutieren können und nicht nur anhand eines eventuell gemeinsam mit einem Träger, zu bekennen. Es Planes, der lediglich den Mitgliedern des Innenausschus- ist die Aufgabe, an diejenigen zu appellieren, die genau ses bekannt ist und eigentlich heute nicht zur Debatte steht.

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Wir können in der Stellungnahme erkennen, dass die vention bei Vernachlässigung und Gewalt an Kindern. In Sensibilität für das Thema gewachsen ist. Häusliche diesen Bereichen können wir die Betroffenen nur schwer Gewalt ist keine reine Privatangelegenheit mehr. Die erreichen. Der Bericht zeigt, dass es möglich ist, von verschiedenen Professionen, die mit den Folgen häusli- Gewalt Betroffenen auch dann zu helfen, wenn die Verlet- cher Gewalt konfrontiert werden, gewinnen zunehmend zungen nicht im öffentlichen Raum stattfinden, sondern an Handlungskompetenz. Die Zusammenarbeit zwischen zum Beispiel in der Familie. Nach dem mehrfach erwähn- den verschiedenen Institutionen ist nicht einfach abzufor- ten Zeitungsbericht muss uns doch klar sein, dass eben dern; zunächst muss nämlich das Netz an Ansprechpart- nicht alle Familien der Hort der Friedfertigkeit sind. Wir nern vorhanden sein. Dann brauchen wir darauf aufbau- können das Problem nicht negieren und meinen: Wenn end die Koordination, Begleitung und Qualifizierung der wir nicht genau hinsehen, dann findet auch nichts statt. mit der Aufgabe Befassten. Das heißt, dass verantwortli- Die Situation erfordert von der Staatsregierung und von che Mitarbeiter sich kennen müssen. Frau Pfeiffer hatte ja uns allen die Übernahme von Verantwortung. Dazu erklärt, dass in Wurzen das Frauenschutzhaus gar nicht gehören auch die entsprechenden Rahmenbedingungen, nötig ist, weil die betroffenen Frauen nach Leipzig gehen das heißt Geld. können. Wenn es so ist, dass es in manchen Landkreisen Im Landesaktionsplan gegen häusliche Gewalt wird kein Frauenschutzhaus gibt, dann fehlt dort nicht nur das versucht, eine umfassende und ganzheitliche Perspektive Frauenschutzhaus, sondern ein wesentlicher Akteur im einzunehmen. Wir teilen diese Empfehlungen, auf die Netz dieser Verflechtungen. Ich kann das für Wurzen auch Frau Dr. Ernst eingegangen ist, im Allgemeinen. Sie nicht einschätzen, aber es ist die Frage zu stellen, warum spiegeln die fachliche Kompetenz des Lenkungsausschus- Frauen zum Beispiel nach Leipzig gehen. Die Angebote ses wider. Aber zwischen den Empfehlungen und den in Leipzig sind eben ausreichender, als es im Landkreis dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen klafft eine der Fall ist, wo es zum Beispiel keine Erziehungsbera- riesige Lücke. Ein Aktionsplan sollte die Basis für die tungsstelle gibt. Planung der Aktionen bieten. Er sollte Ressourcen nennen 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Herrmann, und Prioritäten setzen. Dazu gehören auch finanzielle gestatten Sie eine Zwischenfrage? Rahmenbedingungen. Ich möchte noch zwei Punkte herausgreifen. Ein zentraler Elke Herrmann, GRÜNE: Ja, ich gestatte eine Zwi- Punkt ist ein koordiniertes Netzwerk aus Polizei, Frauen- schenfrage. und Kinderschutzhäusern, Interventionsstellen, Täterbera- Angelika Pfeiffer, CDU: Frau Kollegin Herrmann, die tung und zum Beispiel Ehe- oder Lebensberatung. Es gibt rund zehn Landkreise ohne Frauen- und Kinderschutzhäu- Frauen wissen schon, wo sie sich beraten lassen können, ser und eben auch ohne Ehe- und Familienberatungsstelle. aber sie gehen von Wurzen – – Die Interventionsstellen sollen auf sieben – entsprechend 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte die Frage den Polizeidirektionen – ausgebaut werden, aber – Frau stellen. Ernst sagte es schon – in Abhängigkeit von der Haushalts- lage. Die aber kennen wir. Den Doppelhaushalt hat der Angelika Pfeiffer, CDU: Ja. Haben Sie während meiner Landtag im Dezember verabschiedet und aus dem Titel, Rede mitbekommen, dass die Frauen deshalb nach Leip- aus dem bisher Frauen- und Kinderschutzhäuser finanziert zig gehen, weil sie dort anonym sind und sich besser wurden, sollen jetzt zusätzlich die Interventions- und geschützt fühlen als in einer kleinen Stadt, in der jeder Täterberatungsstellen finanziert werden. Das heißt, real jeden kennt? Deshalb gehen sie nach Leipzig und nicht, werden die Mittel gekürzt. weil in Wurzen irgendetwas nicht funktioniert. Im Gegen- (Beifall der Abg. Kristin Schütz, FDP) teil, es funktioniert alles bestens. Wir haben dazu im Dezember in der Haushaltsdebatte 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte nur die Frage einen Änderungsantrag gestellt, der bei Ihnen leider nicht stellen. auf Zustimmung gestoßen ist.

Elke Herrmann, GRÜNE: Das habe ich sehr wohl 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Es gibt noch eine mitbekommen und gesagt, dass ich die Situation in Zwischenfrage von Frau Dr. Schwarz. Wurzen nicht einschätzen kann. Es besteht aber ein Problem, wenn in einem Landkreis gar kein Frauen- Elke Herrmann, GRÜNE: Ja, bitte. schutzhaus da ist und ein wesentlicher Akteur in dem Netz fehlt, der Frauen die Verbindung verschiedener 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte, Frau Angebote gewährleisten soll. Dr. Schwarz. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Netz und die Dr. Gisela Schwarz, SPD: Frau Kollegin Herrmann, damit verbundene Aufmerksamkeit für Gewalt in Famili- erinnern Sie sich, dass wir in den Haushaltsberatungen in en lässt sich auch auf andere Bereiche der Prävention den Ausschüssen gerade bei diesem Titel zusätzliches übertragen. Ich nenne nur das Problem der Zwangsprosti- Geld draufgelegt haben, damit alle sieben Interventions- tution und den Menschenhandel oder auch die Frühprä- und Koordinierungsstellen eingerichtet werden und wir

5743 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 davon ausgehen können, dass sie flächendeckend vorhan- Maße von der Bereitstellung der Mittel aus den kommu- den sind? Diesbezüglich kann man nicht von Kürzung nalen Haushalten abhängig ist. sprechen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie das wahrgenom- Aus einer interministeriellen Arbeitsgruppe entstand mit men haben. Kabinettsbeschluss vom 1. April 2003 der Lenkungsaus- Elke Herrmann, GRÜNE: Ich habe wahrgenommen, schuss zur Bekämpfung häuslicher Gewalt, dessen Ge- dass dort eine Änderung eingefügt worden ist. Trotzdem schäftsstelle meinem Haus, konkret dem Landespolizei- beinhaltet der Titel insgesamt eine Kürzung gegenüber präsidium, zugeordnet wurde. Wir verfügen damit über den Vorjahren. ein Koordinierungsgremium aus Vertretern der Ministe- rien des Inneren, für Soziales, für Kultus, der Justiz und (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: von Nichtregierungsorganisationen mit einem klaren Hört, hört!) Arbeitsprogramm. Zu Recht heißt es auf Seite 7 des Landesaktionsplanes Ich möchte Ihnen die Arbeitsgruppen des Lenkungsaus- bezüglich der Gremienarbeit: „Eine Kostenneutralität ist schusses kurz benennen: Eine Arbeitsgruppe befasst sich nicht möglich.“ – Das gilt auch für die gesamte Interven- mit der Finanzierung des Beratungsnetzes. Es gibt eine tionskette. Der Nutzen, den wir irgendwann aus den Arbeitsgruppe Kinder und Jugendliche, eine Arbeitsgrup- Einsparungen ziehen können, wird nur langfristig zu pe Gesundheit, eine Arbeitsgruppe Öffentlichkeit, eine berechnen sein. Damit die Kosten aber nicht explodieren, Arbeitsgruppe Polizeiliches Handeln in Fällen häuslicher müssen wir an dieser Stelle heute investieren. Damit Gewalt, eine Arbeitsgruppe Stalking, eine Arbeitsgruppe bleibt der Bericht der Staatsregierung unbefriedigend. Senioren und Menschen mit Behinderung und Pflegebe- Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, der, wenn dürftigkeit. der Antrag für erledigt erklärt wird, nicht zum Zuge Der Lenkungsausschuss sah von Beginn an im Aufbau kommen wird. Damit haben wir, wie ich bereits zu Be- von lokalen Netzen die optimale und effektive Lösung vor ginn sagte, nicht angenommen, dass der Landesaktions- Ort zur Bekämpfung häuslicher Gewalt. Dies bedeutet, plan der Stein der Weisen ist. Uns reicht es nicht, dass untereinander abgestimmte Maßnahmen aller Akteure für dieser einmalig vorgelegt wird, sondern wir wollen, dass einen verbesserten Operschutz bzw. ein konsequentes der Landesaktionsplan evaluiert wird und man erkennt, Handeln gegenüber den Tätern umzusetzen. Früher wurde was man mit dem Geld wirklich erreichen kann. Deshalb vor allem die differenziert geleistete einzelfallbezogene wollen wir, dass dieser Landesaktionsplan einmal in der Unterstützung der Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen Legislaturperiode vorgelegt wird. Wenn das über den und Opferhilfeorganisationen in den Blick genommen, Änderungsantrag heute nicht möglich sein sollte, wird es heute sind abgestimmte, umfassende und vernetzte von uns dazu einen eigenen Antrag geben. staatliche und nichtstaatliche Interventionen notwendig. Danke. Lokale Netzwerke bilden das Bindeglied zwischen staatli- (Beifall bei den GRÜNEN und der cher Intervention bei häuslicher Gewalt und den Bera- Linksfraktion.PDS) tungs- bzw. Betreuungsangeboten der freien Träger. Erste Erfahrungen konnten im Jahre 2003 im Einzugsgebiet der 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wird von den damaligen Polizeidirektion Grimma gemeinsam mit dem Fraktionen weiterhin das Wort gewünscht? – Das sieht dortigen Frauenhaus des Vereins „Wegweiser“ e. V. nicht so aus. Dann bitte für die Staatsregierung Herr gesammelt werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt arbei- Minister Dr. Buttolo. ten im Freistaat Sachsen in Anlehnung an die Strukturen der Polizeidirektionen sechs Koordinierungs- und Inter- Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister des Innern: Frau ventionsstellen. Eine weitere Beratungsstelle für die Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bereiche der Polizeidirektion Südwestsachsen und Chem- Abgeordneten! Im Oktober 2005 hat die Staatsregierung nitz, Chemnitzer Land ist im Aufbau. dem Landtag über den Stand der Bekämpfung häuslicher Die Erfahrungen zeigen: Lokale Netze als Präventions- Gewalt in Sachsen berichtet. Nach fast 15 Monaten ist die und Interventionsprojekte bedürfen einer institutionali- Staatsregierung um eine nochmalige Stellungnahme zu sierten Koordinierung in kommunaler Verantwortung. Der diesem Thema gebeten worden. Dieser Bitte komme ich Freistaat Sachsen begreift die Finanzierung eines solchen gern nach und werde Sie über die aktuelle Entwicklung Netzes als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für die das auf diesem Gebiet aus der Sicht der Staatsregierung Land und die Kommunen gleichermaßen Verantwortung informieren. Ich sehe diese Sicht äußerst positiv. tragen. Als fester Bestandteil der Beratungsstruktur haben Der Freistaat Sachsen hat sich schon frühzeitig dem sich in Ergänzung des Hilfenetzes für Opfer die Täterbe- Problem der häuslichen Gewalt geöffnet. Bereits im ratungsstellen etabliert. Diese bedeuten zum einen bei der Jahr 1990 entstanden erste Frauenhäuser in unterschiedli- Bekämpfung häuslicher Gewalt einen verbesserten cher Trägerschaft, von Beginn an finanziell vom Freistaat Opferschutz und zum anderen ein konsequentes Ein- unterstützt. Auch der neue Haushaltsplan trägt dem schreiten gegen den Täter, das heißt, man muss rechtzeitig Rechnung, wobei der Erhalt der Einrichtungen in hohem die Gewaltspirale unterbrechen.

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Zum gegenwärtigen Zeitpunkt werden hierzu über das Angelika Pfeiffer, CDU: Frau Präsidentin! Meine sehr Staatsministerium für Soziales zwei Modellprojekte verehrten Damen und Herren! Im Grunde genommen gefördert. Das ist zum einen in Markkleeberg die „Triade“ waren wir uns alle einig: Über alle Parteigrenzen hinweg und zum anderen in Dresden das „Männernetzwerk“ e. V. waren wir uns einig, dass wir häusliche Gewalt bekämp- Ein weiteres Täter-Opfer-Projekt läuft über den Justizbe- fen müssen. reich und wird von den Mitgliedern des Lenkungsaus- (Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU) schusses begleitet. Als Spiegelbild für die Effizienz von Maßnahmen wird Natürlich gibt es unterschiedliche Wege. Dass die Opposi- oft die polizeiliche Lagedarstellung herangezogen – ich tion das anders sieht als die Regierungsfraktionen, ist zitiere –: „Im Auswertungszeitraum 2005 wurde die auch klar; denn dazu sind Sie in der Opposition und sächsische Polizei zu 1 436 Einsätzen gerufen, die im deshalb bekommen Sie auch das Geld, um anderer Mei- Zusammenhang mit häuslicher Gewalt standen. Das nung zu sein. bedeutet einen Anstieg zum Vorjahr um 24,4 %. Der (Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS Anstieg kann im Wesentlichen damit begründet werden, und den GRÜNEN) dass die Betroffenen selbst, die Öffentlichkeit, aber auch die Einschaltung von Polizeibeamten zunehmend sensibi- Wichtig ist, dass wir uns darüber einig sind, dass wir lisiert sind und sich das Anzeigeverhalten hierzu verän- häusliche Gewalt bekämpfen müssen. dert hat.“ (Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) Ein weiterer Grund, den ich benennen möchte, ist die Es leiden Frauen darunter, es leiden Männer darunter und kontinuierliche und spezielle Weiterbildung der Polizei- es leiden Kinder und Jugendliche darunter. Bei alledem, beamten zum Gewaltschutzgesetz und der damit verbun- was wir noch tun müssen, und bei alledem, was wir schon denen Befugnisnorm, der sogenannten Wohnungsverwei- getan haben, können wir eine positive Bilanz ziehen. Ich sung. bitte Sie, unserem Antrag zuzustimmen. So wie im Polizeibereich sind im zurückliegenden Zeit- Danke. raum in anderen Bereichen Aktivitäten und Maßnahmen zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt ergriffen worden. (Beifall bei der CDU) Stellvertretend hierfür möchte ich benennen: Im Rahmen 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Ich gebe zu, dass einer Arbeitsgruppe des Lenkungsausschusses wird ein ich etwas irritiert bin. Frau Dr. Schwarz hatte den Antrag Maßnahmenkatalog erstellt, um die Diagnosekompetenz für erledigt erklärt, Sie bitten jetzt um Zustimmung. Ich von Ärzten im Hinblick auf häusliche Gewalt zu stärken, wäre sehr dankbar, wenn mir die Koalition sagt, was sie sie zu befähigen, Verletzungen juristisch verwertbar zu wünscht. – Herr Lehmann, bitte. dokumentieren und ihnen Informationen über Hilfs- und Unterstützungsangebote für Opfer häuslicher Gewalt zu Heinz Lehmann, CDU: Frau Präsidentin, ich bitte geben. Zu möglichen Hilfsangeboten und Ansprechpart- namens der Koalition um Abstimmung über diesen nern für Opfer häuslicher Gewalt bietet der Freistaat auf Antrag. seiner Internetseite des Sozialministeriums „Familien- freundliches Sachsen“ als auch seit Kurzem auf der 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gut. Wenn wir Internetseite der Polizei entsprechende Informationen und abstimmen lassen, darf ich zuvor auch den Änderungsan- Adressen an. trag der Fraktion der GRÜNEN aufrufen. Frau Abg. Herrmann, ich bitte Sie, den Antrag noch einzubrin- Noch einige Worte zum Landesaktionsplan zur Bekämp- gen, wenn Sie es wünschen. fung häuslicher Gewalt. Die Landesregierung hat entspre- chend der Forderung aus ihrer Koalitionsvereinbarung auf Elke Herrmann, GRÜNE: Frau Präsidentin! Liebe der letzten Kabinettssitzung vor den Weihnachtsferien Kolleginnen und Kollegen! Wider Erwarten komme ich einen Aktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt zur mit dem Änderungsantrag doch noch zum Zuge. Ich bin Kenntnis genommen. Der Plan analysiert die gegenwärti- vorhin bereits kurz darauf eingegangen. Wir wollen, dass ge Situation im Freistaat, stellt die rechtlichen Rahmen- über die Ergebnisse des Landesaktionsplanes zur Be- bedingungen dar, gibt – getrennt nach Zielgruppen – kämpfung häuslicher Gewalt einmal in jeder Legislaturpe- Frauen, Männern, Kindern und Jugendlichen, Senioren, riode berichtet wird. Wir haben heute hier sehr viel Kritik Menschen mit Behinderung und Migranten Empfehlun- an diesem Landesaktionsplan geäußert, und eine Evalu- gen mit präventivem und intervenierendem Charakter in ation wird zeigen, inwieweit unsere Kritik berechtigt war Krisensituationen. und ist, und sie kann dann auch Wege aufzeigen, wie man Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. anders damit umgehen kann. (Beifall bei der CDU) Ich bitte um Zustimmung. (Beifall bei den GRÜNEN) 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Das Schlusswort hat die Koalition. Frau Abg. Pfeiffer, bitte.

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2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es Redebe- (Vereinzelt Heiterkeit bei der CDU) darf? – Frau Dr. Schwarz, bitte. Wir können dem jedenfalls für unsere Fraktion ruhigen Dr. Gisela Schwarz, SPD: Frau Präsidentin! Meine Gewissens zustimmen. Insofern stimmen wir auch diesem Damen und Herren! Wir werden diesen Antrag ablehnen. Änderungsantrag zu. Es gab, wie Sie bemerkt haben, einige Irritationen; (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Abg. Michael Weichert, GRÜNE) Das ist nichts Neues in der Koalition!) 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es weiteren aber der Sinn der Abstimmung, die jetzt kommt, ist es ja, Redebedarf zum Änderungsantrag der Fraktion der dass noch einmal berichtet werden muss, da wir einen GRÜNEN? – Bericht vorliegen haben, der schon etwas älter ist und da (Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) der Landesaktionsplan nun auch erst einmal in die Debat- te des ganzen Landtages gegeben ist – deshalb die Ab- Möchten Sie sich noch einbringen, Herr Lichdi? – Das stimmung. Dazu bekommen wir in dieser Legislaturperi- sieht nicht so aus. Deshalb lasse ich nun über den Ände- ode noch einen Bericht, und es ergibt keinen Sinn, jetzt rungsantrag der Fraktion der GRÜNEN in der Drucksa- einen Beschluss für die nächste Legislaturperiode zu che 4/7722 abstimmen. Wer seine Zustimmung geben fassen, wie es hier gedacht ist, sondern es ist Aufgabe des möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer nächsten Sächsischen Landtages, sich der Thematik stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei differenziert oder anders zu nähern. einer Reihe von Stimmen dafür ist der Antrag dennoch mit Mehrheit abgelehnt worden. (Beifall bei der SPD und der CDU) Ich komme nun zum Antrag der Koalition und lasse über 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Dr. Ernst, die Drucksache 4/3031 abstimmen. Wer seine Zustim- bitte. mung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Frau Präsiden- Stimme? – Wenige Stimmenthaltungen und keine Gegen- tin! Im Grunde der Seele ist der Änderungsantrag jenseits stimmen, damit ist der Antrag mit Mehrheit angenommen von Gut und Böse. Natürlich ist es erst einmal nicht worden. Der Tagesordnungspunkt ist damit erledigt, schlecht und richtig, einmal in der Legislaturperiode zu meine Damen und Herren. berichten und vor allem Ergebnisse darzulegen. Das ist okay, keine Frage. Ich will nur sagen: Im Grunde sollte Ich rufe auf dies jede Regierung tun. Man weiß ja nicht, welche Regierung demnächst ab 2009 regieren wird; vielleicht sind wir das auch.

Tagesordnungspunkt 9 Keine Videoüberwachung in der Dresdner Neustadt! Drucksache 4/6999, Antrag der Linksfraktion.PDS, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Reihenfolge in der ersten Runde: Linksfraktion.PDS, (Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, CDU, SPD, NPD, FDP, GRÜNE, Herr Schmidt und die Linksfraktion.PDS) Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Ich erteile nun der Linksfraktion.PDS als Einreicherin das Wort. Bitte, Frau Darum erheben die Datenschutzbeauftragten aller Länder Abg. Bonk. regelmäßig Einspruch gegen diese Maßnahmen, und darum wenden auch wir uns dagegen. Julia Bonk, Linksfraktion.PDS: Vielen Dank, Frau (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundesre- publik erlebt die völlige Umkehrung des Präventionsbeg- Mit einem solchen Sicherheitskonzept revidieren willfäh- riffes. Der Gedanke von Prävention stand ursprünglich in rige Anhängerinnen und Anhänger solcher Überlegungen dem Kredo: Nicht nur die Straftat, auch den Menschen genau die Freiheit, von der sie immer so viel reden, die dahinter sollst du sehen. – Entsprechend dieser Überle- ihnen nämlich viel wert ist, wenn es um die Freiheit des gung sollten die sozialen und persönlichen Gründe für das Besitzes, die Freiheit des Handelns oder die vermeintliche Begehen von Straftaten im Vorfeld behoben werden. Freiheit, sich privat krankenversichern zu dürfen, geht. Stattdessen wird nun die Idee in die Gesellschaft geimpft, Das alles ist vermeintliche Freiheit – im Grunde Interes- Prävention würde bedeuten, polizeiliche Maßnahmen vor senvertreterpolitik für die Stärkeren in der Gesellschaft. der Straftat auf die gesamte Bevölkerung anzuwenden. Wenn es um die individuellen Freiheitsrechte der Bürge- Aber verdachtsunabhängige Eingriffsbefugnisse sind rinnen und Bürger geht, sind sie die Ersten, die die Schere unrechtsstaatlich. ansetzen und der Freiheit die Flügel stutzen. 5746 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS) sinkender Kriminalitätsrate Straßenraub und Gewalttätig- keiten in der Öffentlichkeit um 13 % zunahmen, während „Denn wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewin- die mutwillige Zerstörung öffentlicher Einrichtungen um nen, wird am Ende beides verlieren“, sagte schon 5 % stieg – trotz der in Großbritannien allgegenwärtigen Benjamin Franklin. Kameraüberwachung; oder, wie es ein Nachrichtenmaga- Meine erste Eingangsthese: Es geht bei dieser Debatte zin drastisch formuliert – ich zitiere –: „Die Leute klauen und bei der Videoüberwachung in der Neustadt nicht um jetzt einfach woanders.“ Kameraüberwachung dient also das technisch Machbare und im Grunde auch nicht nur nicht der Verbrechensprävention und in der Gesamtten- um die Dresdner Neustadt, sondern um die viel weiter denz nicht der tatsächlichen Kriminalitätsrate, auch wenn gehende Frage, was für eine Gesellschaft wir anstreben. in der Öffentlichkeit gern etwas anderes behauptet wird. Es geht darum, ob der Staat das Recht hat, sich in alle Fünftens – und daraus folgend – scheint der Innenminister Lebensbereiche seiner Bürger einzumischen, oder – wie also ein persönliches Steckenpferd zu reiten und die es der „Spiegel“ in seiner Ausgabe von diesem Montag Videoüberwachung in der Neustadt als Trojaner zu formuliert hat – ob wir uns von der aufgeklärten Gesell- programmieren, der demnächst weitere Innenstädte und schaft verabschieden wollen. Szeneviertel befallen soll. Die Missachtung des Votums Der Iststand in Sachsen: Derzeit werden vier öffentliche des Ortsbeirates gegen eine Videoüberwachung und das Plätze in Leipzig und zwei in Dresden mit stationären Überhören weiterer kritischer Stimmen spricht eine Kameras überwacht. Nebenbei bemerkt: Ausgerechnet deutliche Sprache. diese beiden Städte brauchten sich zu DDR-Zeiten nicht Merkwürdig ist des Weiteren, dass nach einem „SZ“- über eine ausreichende Überwachung zu beklagen. Die Artikel vom 12. Januar 2007 bereits im Oktober eine Frage ist, ob man nun daran anknüpfen möchte. Es gibt Kamera an der Ecke Alaunstraße/Louisenstraße montiert derzeit – auch nach umfangreicher Recherche – noch wurde. Diese wurde zwar angeblich mittlerweile wieder keine ernst zu nehmende unabhängige wissenschaftliche entfernt, aber seltsam ist es schon, dass mir der Innenmi- empirische Studie über die tatsächliche Wirksamkeit nister auf meine Kleine Anfrage noch im November 2006 dieser Maßnahmen. in seiner Antwort mitteilte – Zitat –: „Gegenwärtig wird Zweitens. Die Zahlen, mit denen der Innenminister bisher durch staatliche Stellen keine ständige Videoüberwachung in der Öffentlichkeit hantiert hat, sind wenigstens bedenk- in der Dresdner Neustadt durchgeführt.“ Aber es stellt lich zu nennen, da weder Erhebungszeiträume genannt sich die Frage: Wer hat denn da überwacht? – Oder werden noch Vergleichsdaten vorliegen, noch die notwen- wusste das Ministerium von nichts? Und der Minister? digen Beziehungen zur Kriminalitätsentwicklung insge- Ahnungslos im Elbtal wie weiland der westfernsehbefrei- samt in Sachsen oder zu der der jeweiligen Stadt herge- te Dresdner? Mit Verlaub, ich halte es für einen Skandal – stellt werden. und auch, wenn das ständig sein soll –, wie hier das Drittens. Der als Kompromiss vorgeschlagene Einsatz demokratisch gewählte Parlament und die Öffentlichkeit von Videokameras oder auch nur zeitweise eingeschalte- durch die Exekutive außen vor gelassen werden, und sei ter Technik ist abzulehnen, da eine öffentliche Kontrolle es durch eine – allerdings unwahrscheinliche – Wissens- der Einhaltung der Datenschutzrichtlinien so noch weni- lücke ger gewährleistet ist, zumal eine Studie, die vom briti- (Zuruf des Abg. Gottfried Teubner, CDU) schen Innenministerium in Auftrag gegeben wurde und jetzt in einem Dossier der Zeitung „Die Zeit“ zitiert oder durch eine sehr enge Auslegung des Fragebegriffs. wurde, belegt: Impulsdelikte, nämlich spontane, in erster Es stellt sich auch die Frage: Warum überhaupt jetzt eine Linie durch Alkoholmissbrauch verursachte Straftaten neue Verordnung? – An Brennpunkten oder eben nur bleiben von der Kameraüberwachung völlig unberührt. mobil zu überwachen ist nach dem Sächsischen Polizei- Das heißt, die Überwachung verhindert keine Krawalle gesetz § 38 Abs. 2 längst möglich. Eine Polizeiverord- und dient somit weder der Abschreckung noch der Her- nung können die allgemeinen Polizeibehörden, letztlich stellung von Ordnung und Sicherheit im intendierten nur die Stadt Dresden, erlassen. Was ist da also noch im Sinne. Busch, wenn der Innenminister davon spricht, eine (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Verordnung über die Überwachung von Szenevierteln erlassen zu wollen? Wir haben heute die erste öffentliche Mit der Einführung der stationären und/oder mobilen parlamentarische Debatte zu diesem Thema und ich Kameraüberwachung öffentlicher Räume war – viertens – fordere Sie, Herr Buttolo, auf, zu diesem Thema ein paar bisher stets die Verdrängung von unerwünschten Hand- Antworten auf den Tisch zu legen. lungen in andere Gebiete verbunden. (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Lohnend wäre es in diesem Zusammenhang, endlich die zahlreichen Untersuchungen in Großbritannien zur Sechstens. Kameraüberwachung kostet Geld – Steuergeld. Kenntnis zu nehmen, nachdem das Innenministerium hier Nicht nur die Anschaffung der Kameras ist teuer und zwar 78 % seines Kriminalitätsvorbeugungsetats in die nutzt letztlich eventuell vor allem den im Zentralverband Kameraüberwachung investiert, aber bei gleichzeitig der Elektronik- und Elektroindustrie organisierten Unter- nehmen.

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(Unruhe bei der FDP) weil sie alle Bürgerinnen und Bürger der Neustadt, in der auch ich lebe, unter einen Generalverdacht stellen – – Das müssen Sie mir gestatten. Das muss man der Vollständigkeit halber erwähnen. – Nicht nur das, sondern (Ach! bei der CDU – Dr. Johannes Müller, NPD: auch die monatlichen Wartungskosten – Herr Minister, ich Da sind wir bei des Pudels Kern!) gehe davon aus, dass Ihnen das bekannt ist, und erwarte – ja, meine Damen und Herren, natürlich, deswegen habe demzufolge auch eine Stellungnahme dazu – können sich ich auch erlebt, wie diese Diskussion in der Neustadt auf bis zu 2 500 Euro pro Kamera und Datenleitung aufgenommen worden ist –; und ich erwarte einfach, dass belaufen. die Bedürfnisse der Anwohnerinnen und Anwohner auch (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: in der Landespolitik eine Rolle spielen – Soll er Fernsehgebühren bezahlen!) (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Nicht zu reden von den Kosten für das Überwachungsper- Jetzt stöhnen die Voyeure!) sonal. – und weil sie unter dem Strich zu weniger Freiheit (Zurufe von der FDP) führen, ohne die Sicherheitslage zu verbessern. Ergo: Die eingangs genannten Ziele des Ministers werden mit – Da scheinen persönliche Erfahrungen vorhanden zu Sicherheit verfehlt. sein. – Die Frage ist, ob dieses Geld nicht sinnvoller für tatsächlich wirksame präventive Maßnahmen ausgegeben Nächster Punkt: Die Kameraüberwachung wird für den werden könnte denn für Überwachung, die am Ende im Innenminister schwer durchzusetzen sein. Schon die Kern ohnehin nichts hilft. hohen Kosten sind angesichts des zu erwartenden mäßi- gen Erfolgs kaum zu rechtfertigen und sein Einlenken, (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) nur mobil zu überwachen, kann bereits als Rückzug Siebentens. Das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger gewertet werden. Die Neustadt-Bevölkerung, der Ortsbei- wird sich aufgrund der vorgeschlagenen Maßnahmen rat und der Dresdner Ordnungsbürgermeister stehen nicht langfristig verbessern, da die Kameras keine Strafta- gegen die Videoüberwachung. Auch innerhalb der CDU ten verhindern und auch nicht direkt eingreifen können, bekommt Herr Buttolo für seinen Vorstoß von verantwort- wie es zum Beispiel Streifenpolizisten tun könnten. lichen Sachpolitikern offensichtlich keine Unterstützung. (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Sehr richtig!) Ja, doch, von Bandmann!) Im Gegenteil, der massive Eingriff in das Grundrecht der – Ich habe den Hinweis auf die Debattenbeiträge, die hier informationellen Selbstbestimmung führt zu unnatürli- noch kommen können, extra herausgenommen. – Aber chem und angepasstem Verhalten. diejenigen, die verantwortlich an der Erarbeitung von Konzepten beteiligt sind, stehen gegen die Videoüberwa- Der Verdacht drängt sich auf, dass es gar nicht um die chung. Verhinderung gewalttätiger Ausschreitungen geht, son- dern bestimmten Interessenvertretern möglicherweise gar 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie eine um die generelle Zurückdrängung sozial auffälligen Zwischenfrage von Herrn Piwarz, Frau Bonk? Verhaltens im Dienste derjenigen, die Immobilien besit- zen, eventuell im Dienste von „Haus und Grund“. Mit Julia Bonk, Linksfraktion.PDS: Natürlich. – Ist das die anderen Worten: Bunte Bevölkerung, Punks und Penner erste? stören das Image eines prosperierenden sauberen Viertels, und das kann wohl kein sozialpolitischer oder stadtplane- 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte, Herr Abg. rischer Ansatz sein. Piwarz. Häufig taugen Aufnahmen bei Dunkelheit – wenn ich Christian Piwarz, CDU: Sie haben mitgezählt, Frau mich in Ihre Logik hineinversetze – nicht einmal zur Bonk. Vielen Dank. – Frau Bonk, ich möchte Sie, da Sie Beweissicherung, vor allem dann, wenn andere Lichtquel- gerade die CDU in Dresden erwähnt haben, fragen, ob len, wie zum Beispiel Feuer, das Geschehen überlagern. Ihnen bekannt ist, dass der Arbeitskreis Sicherheit und So gesehen bei den letzten Vorfällen auch auf der Alaun- Ordnung der CDU in Dresden, dem der Ordnungsbürger- straße. Das heißt, noch nicht einmal die zweifelsfreie und meister angehört, eine Beschlusslage hat, beweissichere Identifizierung von Straftätern ist in jedem (Heiterkeit bei der Linksfraktion.PDS – Fall technisch gewährleistet. Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Von der FDJ!) Aber es geht, wie eingangs formuliert, nicht in erster Linie um die technischen Details; denn grundsätzlich sind in der es heißt, dass man sich unter anderem einsetzt für die Pläne des Innenministeriums, die ich dargelegt habe, einen – ich zitiere – „Einsatz mobiler Überwachungsanla- abzulehnen, weil sie nichts bringen, teuer sind, Grund- gen nach Lageeinschätzung über die im Einsatzgeschehen rechte beschneiden, soziales Verhalten normieren sollen, übliche Video- und Fotodokumentation hinaus“. Ist Ihnen das bekannt?

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(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Auch wenn alle in der Neustadt eine Lösung der Konflikt- Linksfraktion.PDS) situationen wünschen, die nicht allein in der Neustadt hervorgerufen werden, die in dem gesamtgesellschaftli- Ich frage weiter, ob Sie mit mir übereinstimmen, dass das chen Rahmen zu sehen sind, auch wenn sich alle diese kein Unterschied zur Meinung des Herrn Staatsministers Lösungen sonnabends und freitags wünschen, ist die ist. Stimmung in der Neustadt eindeutig gegen die Kamera- Julia Bonk, Linksfraktion.PDS: Das tut mir ohnehin überwachung. herzlich leid, wenn Sie solche Beschlusslagen haben. (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS und (Heiterkeit und Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) Aber letztlich ist da nichts anderes zu erwarten. Wir verlangen in unserem Antrag ein Maßnahmenkon- zept, betonen dabei aber: Wahrscheinlich wird dieses (Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS, nicht allein unter Federführung des Innenministeriums steht am Mikrofon.) erarbeitet werden können. Wirkliche Prävention schließt Der entscheidende Punkt ist, dass sich, was diesen Sach- sozialpolitische und stadtplanerische Erwägungen ein. Ich verhalt angeht, auch Vertreter Ihrer Fraktion in Arbeits- würde sagen: Vertrauen wir auch auf die Kräfte, die sich gruppen engagieren, zusammen mit Gewerbetreibenden, innerhalb der Neustadt entfalten! Denn, nicht zu verges- mit anderen Lokalpolitikern Lösungen unterhalb solcher sen: Die Dresdner Neustadt ist ein in sich starkes Viertel, Grundrechtsverletzungen oder Grundrechtsbeschneidun- das sich das nicht einfach gefallen lassen wird. Herr gen zu suchen, indem man vor Ort mit den Spätshop- Minister Buttolo, „Haus und Grund“ ist eben nicht die betreibern zu Lösungen kommt, um eventuelle Aggressi- Dresdner Neustadt. Auch der Neustädter Kreis Immobi- vitätspotenziale zu mindern. Das ist die Strategie, die bei lienbesitzerinnen und Immobilienbesitzer verfolgt seine Ihnen verfolgt wird, und grundsätzlich sind Sie ohnehin eigenen Interessen, nicht notwendig die eines oder expli- nicht mein Adressat. zit dieses Viertels. (Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, (Johannes Lichdi, GRÜNE: Keinesfalls! Es ist eine Linksfraktion.PDS) Unverschämtheit, das zu behaupten!) – Ja, ich wollte moderat bleiben. – Der Ortsbeirat, der 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie sich als gewähltes Vertretungsgremium in der Neustadt weitere Zwischenfragen – von Frau Dr. Ernst? gegen die geplante Videoüberwachung gewendet hat, Julia Bonk, Linksfraktion.PDS: Ja, natürlich. steht eindeutig dagegen. Wer das Wort vom Lösungen- vor-Ort-Suchen ernst nimmt, kann nicht einfach über 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte. diesen Ortsbeiratsbeschluss hinweggehen. Generell muss das Hineinregieren in die Angelegenheiten der Dresdner Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Danke, Frau Neustadt aufhören. Präsidentin. – Ich wollte Folgendes fragen: Frau Bonk, ist Ihnen bekannt, dass die CDU-Fraktion im Stadtrat die Das Kulturzentrum „Scheune“ hat zur kulturellen Nut- Videoüberwachung in der Neustadt abgelehnt hat, und zung des Platzes vor der „Scheune“ aufgerufen. In der wie bewerten Sie das? Neustadt hat sich ein breites Bündnis aus Kulturschaffen- den, Gewerbetreibenden, Anwohnerinnen und Anwohnern Julia Bonk, Linksfraktion.PDS: Es ist mir bekannt und gebildet. Es sammelt Unterschriften gegen die Video- auch, wie gesagt, die weiteren Aktivitäten, die von CDU- überwachung und plant weitere Aktivitäten. In einem Vertretern verfolgt werden, sind mir bekannt. Ich denke, Online-Meeting können sich alle Neustädterinnen und dass das ein Zeichen dafür ist, dass auch die Vertreter der Neustädter über die geplante Videoüberwachung infor- CDU lokale Lösungen suchen und versuchen, innerhalb mieren, austauschen und gemeinsame Aktivitäten dagegen der Neustadt und im Interesse der Neustadt diese Video- entwickeln. überwachung nicht durchzusetzen; denn wahrscheinlich Meine Damen und Herren! – Ich spreche explizit auch die wird auch der CDU klar sein, dass die Neustadt für Kollegen von den Fraktionen der SPD, der GRÜNEN und Videoüberwachung nicht zu haben ist und dass sich die der FDP an. – Weil die Neustadt ein Viertel ist, das auf Neustadt als ein starkes Viertel auch entsprechend dage- seine Unkonventionalität, seine Buntheit und seine gen erheben wird. Freiheit Wert legt, weil die politische Kräftekonstellation Ich komme zurück und fasse zusammen: Die entspre- auch in Dresden zu Ungunsten der Videoüberwachung chende Unterstützung – vielen Dank auch noch einmal des Innenministers ist, wird es uns vielleicht gelingen, die von der Seite – der städtischen CDU, des Ordnungsbür- permanenten Übergriffe staatlicher Überwachung und germeisters ist nicht gegeben und „Haus und Grund“, mit Repression an diesem Beispiel mit diesem Viertel und dem sich der Innenminister bislang getroffen und ausei- dieser Kameraüberwachung endlich einmal abzuwehren. nandergesetzt hat, ist als politische Kraft, das durchzuset- (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und zen, so leid es mir tut, wohl einfach zu wenig. des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

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Dieses Parlament, meine Damen und Herren, beschließt Bewohner der Gebiete am Stadtrand raten davon ab, die die Grundzüge des Regierungshandelns. Es kann hier eine Neustadt aufzusuchen, wenn es dunkel ist.“ Mehrheit gegen die Überwachung in der Dresdner Neu- (Lachen des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) stadt und gegen eine Verordnung für die Überwachung von Szenevierteln in Sachsen allgemein geben. Dies hat „Zu gefährlich, sagen sie.“ Ende des Zitats. eine landespolitische Bedeutung. Wir hier haben die Zwölf Jahre nach Erscheinen hat dieser Artikel nichts an Verantwortung, uns zusammenzufinden und zu beschlie- Aktualität verloren. ßen, dass es eine solche Verordnung nicht geben kann. Die Macht dafür liegt in diesem Haus. (Lachen bei der Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN) Als nächsten Schritt, das am Beispiel der Dresdner Neustadt zu verhindern, bitte ich Sie: Stimmen Sie unse- Als Szeneviertel hat die Neustadt einen maßgeblichen rem Antrag zu! Ich hoffe auf eine konstruktive Diskussi- Anteil on. (Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) (Beifall bei der Linksfraktion.PDS an der Vielfältigkeit und Attraktivität der Stadt Dresden. und den GRÜNEN) Sie ist ein fester Bestandteil vieler Besuchergruppen. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die CDU- Andererseits macht die Neustadt immer wieder negative Fraktion; Herr Abg. Bandmann, bitte. Schlagzeilen. Ich verweise nur auf die im Oktober vergangenen Jahres Volker Bandmann, CDU: Frau Präsidentin! Meine sehr stattgefundenen Randale, bei denen Gegenstände in Brand geehrten Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion gesetzt und Angehörige der Feuerwehr wie auch der bedeutet Freiheit Polizei mit Flaschenwürfen angegriffen wurden, auf die (Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Gleichheit!) sogenannte Bunte Republik Neustadt, auf die Ausschrei- tungen zum Jahreswechsel 2006/2007. Zu der in den ein Recht, das nicht verhandelbar ist. Es gehört zu den Medien stehenden Frage „Warum kriegen Sie die Neu- Grundrechten der Bundesrepublik Deutschland. stadt nicht in den Griff?“ kann ich nur sagen: Diese Frage (Zuruf des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS) ist berechtigt. Sie können davon ausgehen, dass wir die von Ihnen Meine Damen und Herren, dieser Entwicklung muss eingeforderten rechtsfreien Räume im Freistaat Sachsen entschieden Einhalt geboten werden. Die CDU-Fraktion nicht zulassen werden. im Sächsischen Landtag ist sich ganz klar einig, (Lachen und Zurufe von der Linksfraktion.PDS) (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Die CDU ist sich einig?!) Das, was Sie weiland dass wir den Innenminister unterstützen und dass wir (Glocke der Präsidentin) sogar noch mehr fordern, als er im Moment überhaupt im von Westfernsehen befreites Dresden nannten, ist, dass Blick hat. die Kampfgruppen der SED und ihre Prügelkameraden (Zuruf von der Linksfraktion.PDS: (Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS – Überholen ohne einzuholen!) Beifall des Abg. Peter Klose, NPD) Es kann nicht sein, dass sich Gruppen oder Einzelne über die Antennen von den Dächern geholt haben. Lassen Sie die rechtsstaatliche Ordnung hinwegsetzen und keinerlei sich das einmal von Ihren Genossen erzählen, Rücksicht auf Leben, Gesundheit und Eigentum anderer nehmen. (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Sie bauen Kameras wieder auf!) (Beifall des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU) um einfach einmal Klarheit zu haben in Ihrem unvollstän- Aus diesem Grund ist die Videoüberwachung an beson- digen Geschichtsbild. ders neuralgischen Punkten in der Dresdner Neustadt nicht verzichtbar. Es interessiert uns überhaupt nicht, was (Weitere Zurufe von der Linksfraktion.PDS) der Ortsbeirat oder irgendein anderer dazu sagt, Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Zeitschrift (Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS) „Merian“ schrieb 1995 in ihrem Heft über Dresden und die Dresdner Neustadt Folgendes – ich zitiere –: „Wer in sondern hier ist staatliches Handeln gefragt. Sie ist ein Dresden Neustadt sagt, meint immer die Äußere Neustadt, Bestandteil neben anderen präventiven Maßnahmen vielleicht, weil man öfter von ihr spricht als vom vorneh- gegen Randale, Gewalt und Vandalismus. men barocken Nachbarn, vielleicht, weil sie so anders ist, Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Wir haben im § 38 so unberechenbar und so schwer zu verstehen. Ein ‚Chao- des Polizeigesetzes eine Rechtsgrundlage dafür. Wir tenviertel’ nennen sie einige, ‚gemütlich’ andere. Und die müssen uns davor hüten, Videoüberwachung zu dämoni-

5750 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 sieren. Sie gewährleistet schließlich neben der Polizeiprä- nichtstraffälligen Bürger durch Videoüberwachung im senz vor Ort eine wirksame Abschreckungsmaßnahme öffentlichen Raum wird damit so gering wie möglich gegen Kriminalität sowie spontane Gewaltbereitschaft gehalten. und bietet bessere Möglichkeiten zur Strafverfolgung von Wenn ich Ihren Antrag lese, ist er ja irreführend. In Ihrem Gewalttätern. Antrag schreiben Sie, auf die Anwendung jeglicher Form Ich gebe Ihnen an einer Stelle recht: der Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume zu verzichten. Das ist etwas völlig anderes. Sie erwecken den (Johannes Lichdi, GRÜNE: Bravo!) Eindruck, als würde in den Räumen eine Überwachung Sie wird nicht jede Spontantat verhindern können. Aber stattfinden. Es geht um den öffentlichen Raum. Aber das eines können Sie sicher sein: Wir werden die Täter ist genau der Stil, mit dem Sie versuchen, die Öffentlich- schneller finden. keit in die Irre zu führen. (Zuruf des Abg. Im Übrigen gehe ich davon aus, dass dadurch dem viel- Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS) fach geforderten Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, welches durch die Videoüberwachung Dass dem so ist, lässt sich eindrucksvoll anhand von gefährdet erscheint, Rechnung getragen wird. Dass die Zahlen aus Leipzig ablesen. Die „Sächsische Zeitung“ hat Daten rechtzeitig gelöscht werden, davon ist selbstver- darauf verwiesen, dass bereits 1996 an besonders präg- ständlich auszugehen. nanten Stellen die Videoüberwachung in der Stadt einge- führt wurde und sich seitdem die Anzahl der registrierten Übrigens hat ein Vertreter der GRÜNEN in der Londoner Straftaten massiv verringert hat. So sank allein am Haupt- Stadtversammlung im Rahmen eines Gespräches mit uns bahnhof die Anzahl der registrierten Straftaten von 1 209 durchaus zutreffend geäußert, dass Videoüberwachung im Jahre 1996 auf 146 im vergangenen Jahr keine Frage der Freiheits- und Menschenrechte ist, son- dern eine Frage der inneren Sicherheit und der Verantwor- (Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) tung der Politik für ihre Bürger. In London kann man oder am Roßplatz im Zentrum von 1 160 im Jahr 1997 auf durchaus von einer flächendeckenden Überwachung aktuell 64 Straftaten. ausgehen. Von daher wäre es wünschenswert, unter Zuhilfenahme der Videoüberwachung und der jetzt schon An dieser erfreulichen Entwicklung hat die Videoüberwa- angewandten Mittel chung einen maßgeblichen Anteil. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie nach Einführung in der Neustadt (Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, auch dort den gleichen Effekt hervorrufen wird. Linksfraktion.PDS) Meine Damen und Herren, ich bin mir natürlich der seitens der Polizei eine effiziente und effektive Präventiv- Bedenken, welche im Zusammenhang mit der Video- arbeit zu leisten. Letztlich ist dies Vorbeugungsarbeit, die überwachung genannt werden, bewusst. Vorläufig ist es es ermöglicht, dass in Zukunft nicht mehr negative geplant, vier Standorte für die Videoüberwachung einzu- Schlagzeilen über Randale und Ausschreitungen in der richten, welche in der Vergangenheit besonders deutlich Neustadt und die damit verbundenen immensen Sach- und aufgrund von Krawallen und Kriminalität hervorgetreten Imageschäden erscheinen. sind. Ich weiß, dass der Sächsische Datenschutzbeauftrag- Dass sich Videoüberwachung weltweit bei der Ergreifung te eine dauerhafte Videoüberwachung ablehnt und sie nur von Tätern eignet, zeigen die jüngsten Beispiele: in der dann für verhältnismäßig erachtet, wenn sie als Ultima Türkei bei der Aufklärung des heimtückischen Mordes an Ratio, als letztes Mittel, eingesetzt wird und sich alle einem Journalisten, in Deutschland bei dem versuchten zuvor ergriffenen Maßnahmen als unzureichend und Anschlag mit den Kofferbomben, die Täter anschließend unwirksam erwiesen haben. Genau davon kann man im Libanon zu fassen, oder die zeitnahe Festnahme der ausgehen. Dem ist zu entgegnen, dass die Videoüberwa- Attentäter auf die Londoner U-Bahn. Wir wollen es erst chung zum einen neben dem verstärkten Auftreten von gar nicht so weit kommen lassen. Polizeistreifen zum Einsatz kommen soll und diese aktive Form der modernen Technik eben letztlich das menschli- (Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, che Auge ersetzt. Linksfraktion.PDS) (Heiko Hilker, Linksfraktion.PDS: Aktiv?) Daher hat der Schutz der Bevölkerung für uns Vorrang vor den Interessen von Krawallpropheten. Mit lediglich vier geplanten aktiven Kameras an bekann- ten Orten stellen wir sicher, dass derzeit keine flächende- (Unruhe bei den GRÜNEN) ckende Überwachung stattfindet, sondern sich die Über- Die CDU-Fraktion lehnt den Vorschlag der Linksfrakti- wachung punktuell auf Schwerpunkte konzentriert. on.PDS zum vollständigen Verzicht auf Videoüberwa- Wie Minister Buttolo in der letzten Sitzung des Innenaus- chung in der Neustadt ab. schusses bekannt gegeben hat, sollen die Kameras eben Herr Lichdi, auch nicht ständig, sondern nur zu Kriminalitätsschwer- punktzeiten aufzeichnen. Die Beeinträchtigung der (Johannes Lichdi, GRÜNE: Hier!)

5751 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 ich verstehe gar nicht, warum Sie sich so aufregen. War es Stefan Brangs, SPD: Diese Auffassung kann ich nicht nicht Ihr Kollege im Bundestag, der sich beschwerte, dass teilen, weil ich denke, dass es eine Reihe von Zusammen- die Videoanlage nicht lief, als sein Fahrrad verschwunden künften in der Dresdener Neustadt gegeben hat. Es gibt, war? glaube ich, sogar in der nächsten Woche wieder Zusam- menkünfte. Ich weiß, dass sich der Stadtrat damit beschäf- (Allgemeine Heiterkeit) tigt hat und dass sich die Stadtverwaltung mit der Polizei Wir wollen, dass Sie in einem solchen Fall Ihr Fahrrad verständigt hat. Dass der Innenminister dazu eine Mei- wiederfinden und Ihnen helfen, denjenigen zu finden, der nung hat, ist sein gutes Recht. Aber ich hätte es gern, dass Ihr Fahrrad genommen hat, oder Ihnen möglicherweise man zunächst wartet, was aus den Gesprächen vor Ort zeigen, wo Sie es vergessen haben. Freuen Sie sich doch herauskommt. darüber, anstatt dagegen zu opponieren! Aus diesen Gründen und weil die Stadtverwaltung, wie Ablehnung ist angesagt, und ich empfehle Ihnen, sich ich gerade ausführte, zurzeit gemeinsam mit der Polizei unserem Votum anzuschließen. und mit Politikern darüber spricht, was sinnvoll ist, Herzlichen Dank. sollten wir darüber nachdenken, wie wir mit diesen Vorschlägen umgehen. Ich weiß, dass diese Vorschläge so (Beifall bei der CDU und der Staatsregierung) weit gehen, dass man darüber nachdenkt, das Areal verkehrstechnisch zu verändern, dass man über ein Alko- 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Abg. Brangs holverbot nachdenkt oder im Moment sogar das Thema von der SPD-Fraktion, bitte. einer intensiven Beleuchtung diskutiert. Stefan Brangs, SPD: Frau Präsidentin! Liebe Kollegin- Bei den Debatten, die ich zumindest mitbekomme, ist nen und Kollegen! Lassen Sie mich zunächst etwas zu allen Beteiligten klar, dass die Videoüberwachung allein – dem sagen, was mich wirklich ärgert: Mich ärgert die isoliert betrachtet – die Situation nicht lösen kann. Inso- Tatsache, dass wir uns zunehmend mit Problemen be- fern sollten wir als Landespolitiker zur Kenntnis nehmen, schäftigen, die die Landeshauptstadt Dresden zunächst dass der Stadtrat am 1. März im Rahmen einer Aktuellen selbst klären sollte. Stunde darüber debattiert. Wir sollten zumindest die Chance lassen, dass diese Debatte zu einem vernünftigen (Beifall bei der CDU und der FDP) Konzept führt und dass dort gemeinsame Überlegungen Nach dem Stadionneubau, nach der Frage der Wald- angestrengt und Ideen entwickelt werden im Konsens der schlösschenbrücke haben wir jetzt ein neues Thema. Beteiligten und im Abwägen aller Problemlagen, die es Diesmal geht es um die Sicherheitslage der Äußeren dabei gibt, um die Situation tatsächlich in den Griff zu Neustadt. bekommen. (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS, Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist bekannt – das steht am Mikrofon.) haben meine Vorredner schon gesagt –, dass es eine Reihe von Stellen im Freistaat Sachsen gibt, die bereits jetzt auf – Kollege Hahn, ich habe ja noch gar nicht angefangen. – das Mittel der Videoüberwachung zurückgreifen, vor Die Situation in der Äußeren Neustadt können vor allem allem im öffentlichen Raum. Das sind nicht nur die diejenigen beurteilen, die dort leben, und sie sollten auch Stellen in Leipzig. Auch die Prager Straße ist davon nach Lösungen suchen. Das sind die Anwohner und die betroffen. Es gibt schon lange eine Debatte, die Anfang Gewerbetreibenden. Dabei habe ich eine andere Auffas- der Sechzigerjahre begonnen hat, über die Frage, wie sung als mein Vorredner. Das sollten durchaus auch die Videokameras im öffentlichen Raum eingesetzt werden kommunalpolitischen Beiräte bzw. das kommunalpoliti- sollten, welche tatsächlichen Aufklärungspotenziale zu sche Parlament, nämlich der Stadtrat, sein. erzielen sind und welche Rolle sie mit Blick auf die 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Möchten Sie jetzt Gewalt- und Kriminalitätsprävention spielen. die Zwischenfrage beantworten? Wichtig ist aber auch, dass die öffentliche Hand einen Teil dieser Aufgaben wahrnimmt. Im privaten Bereich – das Stefan Brangs, SPD: Bitte schön. Ich habe zwar noch heißt im Bereich der Kaufhäuser, der Center – wird schon nicht viel gesagt, aber wenn es schon eine Frage gibt, seit Jahrzehnten das Mittel der Videoüberwachung ge- bitte. nutzt. Der Einsatz von Videoüberwachung durch Private Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Kollege Brangs, gegenüber den Trägern der öffentlichen Hand hat um ein da schon Widersprüche in Ihren ersten Worten auftauch- Vielfaches zugenommen. Wenn man sich mit diesem ten, möchte ich gern folgende Frage stellen. Sie haben Thema beschäftigt, sollte man sich fragen, was Video- kritisiert, dass wir hier zum wiederholten Male Dresdner überwachung eigentlich leisten soll. Dazu gibt es eine Probleme diskutieren. Ich möchte Sie gern fragen, ob es Reihe von interessanten Erhebungen und ausführliche die Stadt Dresden ist, die dort Videokameras anbringen wissenschaftliche Begleitungen. Dort wird immer davon möchte, oder ob der Innenminister dieses Ansinnen hat gesprochen, dass es erstens darum ginge, die Prävention und es verfolgt und deshalb dieses Thema genau hier in von Deliktbegehungen damit einzuschränken, dass zwei- den Sächsischen Landtag gehört. tens die Erleichterung von Deliktaufklärungen damit

5752 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 einhergehen würde und dass es drittens die Erhöhung des dass dort, statistisch gesehen, jeder Brite rund 100 Kame- Sicherheitsgefühls der Bevölkerung an den überwachten ras am Tag sieht und von rund 100 Kameras aufgezeich- Orten zur Folge hätte. net wird. Wenn man aber die Kriminalitätsstatistik Wenn man das annimmt, scheint es Argumente zu geben, daneben legt und zwischen der Bundesrepublik und die eine Videoüberwachung an bestimmten Orten zu Großbritannien vergleicht, dann findet man keinen großen bestimmten Delikten tatsächlich als sinnhaft ansehen. Sie Unterschied. Das Argument, dass die Videoüberwachung kann – das ist das Entscheidende – in bestimmten Berei- automatisch dazu führt, dass die Kriminalitätsrate zurück- chen zu einer Erleichterung der Polizeiarbeit führen, wenn geht, diesen Beweis gibt es so eindeutig nicht. das eine mit dem anderen im Einklang steht. (Johannes Lichdi, GRÜNE: Sehr richtig!) Ich denke, dass auch erwiesen ist, dass es nur eine be- Was aber viel wichtiger ist – um noch einmal auf den grenzte Wirkung auf das Sicherheitsgefühl der Bevölke- Antrag zurückzukommen –: Den Antrag der PDS- rung gibt. Das hängt vor allem sehr stark mit der Wahr- Fraktion lehnen wir ab – das habe ich eingangs meiner nehmung dieser Kameras zusammen. Es gibt eine Reihe Rede schon gesagt –, weil ich ein wenig verärgert darüber von Untersuchungen und Befragungen, dass in einem sehr bin, dass kommunalpolitische Punkte, die auch dort kurzen Zeitraum genau dieses subjektive Sicherheitsemp- geklärt werden sollen, hier im Landtag ausdiskutiert finden abgenommen hat, weil man sich an diese Einrich- werden. Das ist eine Art Vereinnahmung des Landtags. tungen gewöhnt hat und es nicht dazu gekommen ist, dass Vor allem ist es so, dass gerade jetzt die Polizei, sicherlich man als abschreckende Maßnahme einen Erfolg damit auch das Innenministerium – davon gehe ich aus – in erzielen konnte. Insofern mag es durchaus sein, dass es Gesprächen sind, gemeinsame Konzepte zu erarbeiten, die sinnvoll ist, das Mittel der Videoüberwachung zum parallel zu der Frage der Videoüberwachung andere Beispiel bei einer ortsfesten Überwachung einzusetzen. Möglichkeiten erörtern, wie man das Problem in der Stichwort Parkplätze, bestimmte Denkmäler oder be- Neustadt tatsächlich in den Griff bekommen kann. stimmte Gegebenheiten vor Ort, wo zum Beispiel schutz- würdige Personen unterwegs sind und wo es Sinn macht, Ich würde gern wollen, dass wir zunächst diese Vorschlä- dass man dort, beschränkt mit Blick auf die Prävention, ge abwarten, dass wir uns genau ansehen, was das Ergeb- zu überwachen versucht. Das könnte an Brücken, in nis dieser Gespräche ist. Wenn diese Vorschläge tatsäch- Tunnelbereichen oder an schlecht einsehbaren Verbin- lich umsetzbar sind, gehe ich davon aus, dass sowohl die dungswegen der Fall sein. Dresdner Stadtverwaltung als auch der Innenminister diese Vorschläge aufgreifen werden. Wesentlich wichtiger erscheint mir die Tatsache, dass wir Die Neustadt – um das einmal klar zu sagen – ist ein beim Thema Videoüberwachung vor allem darüber lebendiges, teilweise sehr liebenswürdiges Viertel mit sprechen müssen, wie wir es erreichen, dass das Ganze sehr interessanten Menschen, und kein Chaotenviertel. Ich ein polizeilicher Erfolg wird. Wir müssen sicherstellen, glaube, dass es zur Versachlichung der Debatte beiträgt, dass genau eine solche Kameraüberwachung nur dann wenn wir hier nicht von Chaoten in der Neustadt spre- Sinn macht, wenn es nicht dazu kommt, dass wir negative chen, sondern Sie müssten in zahlreichen Fällen mit Beeinträchtigungseffekte haben. Es geht vielmehr darum, Ärzten und Rechtsanwälten reden, die sich dort niederge- dass wir positive Sicherheitsaspekte damit zusammen- lassen haben; denn es handelt sich hier um ein sehr bringen. Insofern macht es Sinn, dass man, wenn man interessantes und lebendiges Viertel. Wir sollten sehr über den Einsatz von Kameras spricht, eine Kosten- sorgsam mit den Ängsten und Nöten der Menschen Nutzen-Analyse macht. Was bringt ein solcher Einsatz? umgehen. Insofern bitte ich um eine Versachlichung der Wir sollten auch darüber nachdenken, ob diese positiven Diskussion. Präventionseffekte über einen langen Zeitraum mit einer solchen Maßnahme tatsächlich umgesetzt werden können. Herzlichen Dank. Dass der Ruf nach einer Kamera häufig aufgrund örtlicher (Beifall bei der SPD) Besonderheiten sehr schnell aufkommt, ist nachvollzieh- bar. Es ist für mich nachvollziehbar und wichtig, dass 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die NPD- man regelmäßig diese Abwägung zwischen der Überwa- Fraktion; Herr Abg. Apfel, bitte. chungsmaßnahme und dem Erfolg der Maßnahme, der Holger Apfel, NPD: Sehr geehrte Frau Präsidentin! damit einhergeht, treffen muss. Allein zu sagen, dass das Mittel der Videoüberwachung alle diese Punkte rechtfer- Meine Damen und Herren! Da sie unfähig sind, die tigen würde und dass eine Kameraanforderung alle diese entwurzelten Jugendbanden des Dresdner Szeneviertels Fragen von freiheitlichen Bürgerrechten usw. beiseite- Neustadt in den Griff zu bekommen, fordern die reaktio- nehmen könnte, dass der Einblick auch in die Privatsphä- nären Systemkräfte der Union wieder einmal die Repres- re nicht so wichtig sei, erscheint mir fraglich. Wenn man sionskeule; denn nichts anderes ist die Forderung nach sich auch die Beispiele anderer Länder ansieht – natürlich einer Videografierung eines ganzen Stadtteils. kann man das bei Großbritannien sehen, das hat ja auch Meine werten Damen und Herren Musterdemokraten! Die mein Kollege getan –, dann muss man feststellen, dass, NPD ist in den Landtag gewählt worden, zweifelsohne wenn man Großbritannien heranzieht, es in der Tat so ist, nicht, um Ihnen nach dem Munde zu reden, sondern um

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Ihnen das um die Ohren zu hauen, was Sie nach Auffas- (, Linksfraktion.PDS: Lächerlich!) sung unserer Wähler verbrochen haben. Wir sind hier, um Solidarisches Miteinander, Achtung vor fremdem Eigen- den Finger in die Wunden zu legen, die die Politik der tum und der früher selbstverständliche Respekt vor Altparteien unserem Land seit Jahrzehnten zugefügt hat. älteren Menschen und vor der Würde des anderen wurden Sosehr wir um die Gewaltexzesse in der Dresdner Neu- einer skrupellosen, individualistischen Ellenbogengesell- stadt und um die aktuellen Sicherheitsdefizite im Allge- schaft geopfert. Diese Entwicklung bis hin zu einem meinen wissen, sind wir hier, um die grundsätzliche globalen Raubtierkapitalismus, der von Ihnen allen, so Fehleinstellung Ihrer Politik aufzuzeigen. Wir sind nicht wie Sie hier sitzen, nach Kräften angeschoben wird – das, hier, um bei Ihren dilettantischen Reparaturversuchen den meine Damen und Herren, ist der eigentliche Skandal! Erfüllungsgehilfen zu spielen. Dabei ist das Ergebnis Ihrer Politik buchstäblich mit Es ist nicht so, dass die Gewaltexzesse in der Neustadt Händen zu greifen. Dies ist Ergebnis einer zunehmend einfach vom Himmel gefallen wären. Sie haben eine amorphen, einer gestalt- und bindungslosen Spaßgesell- lange Vorgeschichte. Die CDU will den Bürgern Sand in schaft, die auf „Events“ und „Happenings“ hin lebt. Das die Augen streuen und so tun, als täte sie etwas gegen die sind auch die in diesen jugendlichen Banden untergründig gleichen kriminellen Elemente, die sie auf der anderen wirkenden psychologischen Mechanismen. Sie wollen Seite über Antirechtsprogramme finanziell fördert und mit den „Super-Event“, den ultimativen „Kick“. Fragen Sie denen ein Herr Rohwer und seine Dresdner CDU offen einmal Psychologen, die werden Ihnen unsere Auffassung paktiert, wenn es gegen die NPD geht. Am Rande, Herr bestätigen. Bandmann: Ihre Freunde vom Kulturbüro Sachsen e. V. Allein deshalb, weil Sie alle, wie Sie hier versammelt sammeln inzwischen Unterschriften gegen die von Ihnen sind, unserer Jugend Tag für Tag aufs Neue den unmittel- so präferierte Videoüberwachung. Herzlichen Glück- baren Lebenssinn rauben, weil Sie an die Stelle der wunsch! Tolle Verbündete haben Sie! deutschen Solidargemeinschaft eine multikulturelle, das (Beifall bei der NPD) heißt, eine wurzellose Globalgesellschaft setzen wollen, und genau deshalb bekommen Sie genau das, was Sie Meine Damen und Herren! So richtig und wichtig das auch verdienen: nämlich die ungebremste Aggression Anliegen ist, die Neustadt sicherer zu machen, zum sinnentleerter Individuen, meine Damen und Herren. Beispiel durch eine wesentlich stärkere Polizeibestreifung – der Gedanke ist doch lächerlich, man könnte mit ein (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: paar Kameras das Grundproblem beseitigen, das an uns Könnten Sie uns das auf Deutsch sagen?) nagt. Dem ist doch nun wahrlich nicht so. Schließlich Das Einzige, was Ihnen einfällt, meine Damen und Herren würde das Problem auf diese Weise nur regional verlagert. von der CDU, ist die Formatierung der Gesellschaft durch Zum Schluss sollen wahrscheinlich überall in unserem ausufernde Überwachungstechnik. Wie erbärmlich, Herr Land Kameras stehen. Da stellt sich die Frage, ob wir das Bandmann, Herr Dr. Buttolo! wirklich wollen. Die NPD-Fraktion will dies jedenfalls nicht, denn bei allem Bedürfnis für die Sicherheit in Doch nun noch einige Worte an die Linksfraktion.PDS, unserem Lande wäre das ein weiterer Sargnagel auf dem die Antragstellerin. Es ist schon lächerlich und grotesk, Weg in den Orwell’schen Überwachungsstaat. Dieser wenn sich ausgerechnet die Nachfolgeorganisation des Überwachungsstaat in den Händen der Buttolos und Überwachungs- und Bespitzelungsstaates DDR als Becksteins – da kann einem angst und bange werden. Hüterin der Freiheitsrechte aufspielt. Was steckt letztend- Schließlich wurde schon der 11. September skrupellos lich dahinter? Schließlich betreiben Sie doch nichts genutzt, um Freiheitsrechte unter dem Pseudodeckmantel anderes als lupenreine Klientelpolitik. Reflexartig haben von Sicherheitsinteressen auszuhebeln. Sie einen dürren Antragstext aus Ihrem roten Hut gezau- bert, und es ist völlig klar, warum. Sie wollen sich Ihre Machen wir uns doch, meine Damen und Herren, nichts antifaschistischen Radautruppen warm halten, damit Frau vor: Die immer wiederkehrenden Gewaltexzesse in der Klinger, Frau Köditz und ihr grüner Antifagenosse Lichdi Dresdner Neustadt und in vielen anderen Großstädten auch künftig genügend Personal für zwielichtige Aktionen sind nichts anderes als die direkte Folge der Zerstörungs- zur Verfügung haben. politik am deutschen Gemeinschaftsgeist, die von allen Systemparteien zu verantworten sind. (Beifall bei der NPD – Karl Nolle, SPD: Meine Damen und Herren! Die Tugenden, die einstmals Frau Präsidentin, wir brauchen einen Notarzt!) unser Volk kennzeichneten, wurden durch die US- – Bei Ihnen hilft das schon lange nicht mehr. amerikanische Umerziehungspolitik systematisch diskre- Früher, meine Damen und Herren, wurden marodierende ditiert. Banden mit Sold bezahlt. Heute verschafft man ihnen (Höhnisches Lachen bei der Linksfraktion.PDS) Rückzugsgebiete und finanziert sie skrupellos aus staatli- chen Steuergeldern. Sie werden durch die von den alliierten, lizenzierten, antideutschen Medien bis heute weiterhin systematisch (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: untergraben. So kommen Sie nie ins Fernsehen!)

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Meine Damen und Herren! So bedenklich die Planungen Nein, die Videoüberwachung auch an einzelnen ausge- der Landesregierung auf dem Weg in den Überwachungs- wählten Plätzen ist ein Grundrechtseingriff, ein Eingriff in staat auch sind – dem Antrag der Linksfraktion.PDS das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der können wir nicht zustimmen, betroffenen Bürger, die einer maschinellen Erhebung von Daten und deren Speicherung ausgesetzt werden. Hier (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: sollte man in der Tat abwägen, ob dieses Mittel geeignet Gott sei Dank!) und erforderlich ist, um den angestrebten Zweck zu da er, wie gesagt, reinste Klientelpolitik ist und berechtig- erreichen. te Sicherheitsaspekte nicht etwa freiheitlichen, sondern Ich teile insofern auch die Bedenken, die der Datenschüt- schlichtweg anarchistischen Erwägungen geopfert wür- zer in dieser Hinsicht geäußert hat, ob es tatsächlich das den. geeignete und damit mildeste, am geringsten beeinträchti- Aber eines, meine Damen und Herren, ist auch klar: Die gende Mittel ist, der Probleme Herr zu werden, meine grundsätzliche Staatskrise wird nicht etwa durch Polizei- Damen und Herren. kameras gelöst. Was wir dafür brauchen, ist eine umfas- (Beifall bei der FDP) sende Wiederbesinnung auf die bewährten Gemein- schaftstraditionen unseres deutschen Volkes. Die Datenerhebung und -speicherung bei der Videoüber- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. wachung betrifft anonym jeden, der sich auf diesen öffentlichen Plätzen bewegt, ohne dass er im Einzelfall (Beifall bei der NPD – Stefan Brangs, SPD: erkennen kann, ob der Eingriff nun stattfindet oder nicht. Keine NPD!) Das ist bei einer physischen Polizeipräsenz anders. Eine Polizeistreife wird wahrgenommen, sie wird erkannt, sie 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die FDP hat auch – wie Studien zeigen – in der Regel einen we- spricht der Abg. Dr. Martens. sentlich besseren Effekt, was die Kriminalitätsverhinde- Dr. Jürgen Martens, FDP: Herr Gansel, ich wäre eigent- rung angeht, als eine Videokamera. Die Videoüberwa- lich geneigt, mich in irgendeiner Weise dem zu widmen, chung von öffentlichen Räumen – das hat sich in der was Ihr Fraktionsvorsitzender gerade von sich gegeben Vergangenheit gezeigt – führt bisweilen, aber nicht hat. Es fällt mir aber schwer; ich glaube, er ist aus Verse- immer, zu Verdrängungseffekten, sodass sich die Krimi- hen bei der Taste einfach nur auf den Worthülsen- nalität dann an anderen Orten abspielt. Granatwerfer-Knopf gekommen. (Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, (Leichte Heiterkeit) Linksfraktion.PDS) Ich habe wirklich nicht auch nur den geringsten Bezug Es gibt auch Gewöhnungseffekte und sogenannte inverse zum Thema dieser Debatte finden können – deshalb fällt Effekte; das heißt, man sieht eine Kamera und weiß, man das heute hier leider aus. ist an einem unsicheren Ort mit entsprechenden Konse- quenzen für das Sicherheitsgefühl – wobei sich diejeni- (Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS, der gen, die sich darüber beschweren, wahrscheinlich keine SPD und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD: Gedanken über diesen inversen Effekt machen werden. Dann haben Sie nicht zugehört!) Nein, in der Tat geht es darum, dass Polizeipräsenz Es geht um ein Problem: Gewalttaten und Krawalle in der tatsächlich oft besser wäre als die Videoüberwachung, nur Äußeren Neustadt. Die gibt es, die gibt es nicht nur leider fehlen dafür oftmals die Stellen und das Geld. anlässlich der „Bunten Republik Neustadt“, sondern auch Stattdessen werden Videokameras hingestellt. Ich halte an ganz normalen Wochenenden. Das ist unbestreitbar; das in guten Teilen für ein Stück Alibipolitik. das können auch die Antragsteller nicht in Abrede stellen. (Johannes Lichdi, GRÜNE: Richtig!) (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wer es erlebt hat, wie die Polizeibeamten vor Ort in der Nein, das wollen wir auch nicht!) Dresdner Neustadt mit Diensten belastet sind, wie sie Dagegen setzt das Innenministerium nun auf eine Video- ausgestattet sind, welche Möglichkeiten sie haben, kurz- überwachung an vier Plätzen in der Äußeren Neustadt fristig – auch mit einer entsprechenden Mannschaftsstärke nach § 38 Polizeigesetz und sagt, damit wolle man versu- – auf solche Ereignisse einzugehen, der weiß, dass ihre chen, dieses Problems Herr zu werden. Arbeit nicht leicht ist und dass sie mit Videokameras allein nicht leichter gemacht wird, meine Damen und Ich habe da so meine Zweifel, meine Damen und Herren, Herren. auch die Auffassung der Staatsregierung und des Kollegen Bandmann, die Beeinträchtigung des nicht straffälligen (Beifall bei der FDP) Bürgers bestehe bei der Videoüberwachung einzig darin, Was wir brauchen, ist eine Durchsetzung des Rechts und dass unter Umständen so ein Verhalten in der Öffentlich- der rechtsstaatlichen Prinzipien. Wir sagen, Videoüberwa- keit wahrgenommen würde, vermag ich so nicht zu teilen; chung kann ein geeignetes Mittel sein – an einzelnen es ist etwas sehr verharmlosend und vereinfachend, wie Punkten, wenn es gar nicht anders geht. Aber dieser das Ganze hier serviert wird.

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Nachweis, dass es gar nicht anders geht, ist bisher nicht Ihnen, Herr Bandmann: Wer tatsächlich seinen zwölf geführt worden – das möchte ich ganz deutlich feststellen. Jahre alten Führer über die Neustadt zitiert und allen Den Antrag der PDS werden wir allerdings ablehnen. Ernstes behauptet, dass man sich nachts nicht in die Neustadt getrauen könnte – entschuldigen Sie, wie soll (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Was?!) ich es höflich ausdrücken –, der hat wirklich keine Ah- Denn das, was Sie in dieser Schlichtheit fordern, meine nung von diesem Stadtteil. Ich frage Sie: Wann waren Sie Damen und Herren, ist alles andere als sachgerecht. Sie zum letzten Mal in der Neustadt? Das ist eine derartige sagen pauschal, hier soll auf jegliche Form von Video- Verzerrung der Wirklichkeit – Sie haben es auf heute überwachung verzichtet werden. Nein, a priori bin ich bezogen –, die mich einfach nur zu der Auffassung bringt, nicht bereit, dies so zu unterschreiben. Stattdessen verlan- dass Sie die Neustadt nun wirklich nicht kennen gen Sie ein Konzept präventiver Maßnahmen unterhalb (Volker Bandmann, CDU: Das war ein Zitat!) der Schwelle grundrechtseingreifender Repressionsmaß- nahmen. – Fräulein Bonk: Videokamera ist keine Repres- und sich vielleicht auch deswegen zu diesem Themenbe- sionsmaßnahme, sondern eine Präventivmaßnahme. reich möglicherweise etwas sorgfältiger hätten äußern Repression sieht anders aus – nur so viel dazu, falls Sie können. sich in den Bereich Polizei und Rechtsstaat verirren Zum Zweiten, Herr Bandmann: Ich verwahre mich gegen sollten. die unterschwellige Unterstellung in Ihren Redebeiträgen, als ob diejenigen, die gegen eine Videoüberwachung in (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: der Neustadt eintreten, unterschwellig gemeinsame Sache Da haben Sie wohl mehr Erfahrung?) mit irgendwelchen Krawallmachern, Randalemachern Das Zweite ist die Frage der Prävention. Nein, es gibt oder sonstigen Personen machen und in deren Sinne Erscheinungen – nämlich in Form von Krawallen in der handeln würden. Das ist nicht der Fall. Herr Bandmann, Äußeren Neustadt –, bei denen mit Prävention nichts vielleicht wissen Sie es nicht, aber wir haben im Ortsbei- mehr getan ist. Da richte ich keinen Workshop für gewalt- rat – der auch sonst immer sehr kluge Beschlüsse fasst; freies Töpfern ein, sondern schicke halt mal zehn oder übrigens mit den Stimmen der Vertreter der CDU, wenn 20 Polizisten mit einer entsprechenden Einsatzausrüstung ich mich recht erinnere, ich war nämlich anwesend – die vorbei. Randale, die Silvester stattgefunden haben, ausdrücklich verurteilt; ich werde noch darauf zurückkommen. (Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) Da geht es um die Durchsetzung eines Mindestmaßes an 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie eine rechtlichen Normen. Auch diesem Punkt – das werden Sie Zwischenfrage? verstehen – können wir so nicht zustimmen. Johannes Lichdi, GRÜNE: Bitte, Herr Bandmann. Meine Damen und Herren, Video ist kein Allheilmittel; es beeinträchtigt Grundrechte – das wird bisweilen überse- 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte. hen. Es gilt hier – auch in der Neustadt –, den Rechtsstaat Volker Bandmann, CDU: Danke. – Herr Lichdi, da Sie durchzusetzen. Es kann nicht sein, dass Leute in manchen Teilen – aus welchen Gründen auch immer – glauben ja nicht selten ziemlich zerstreut sind: Ist Ihnen entgan- rechtsfreie Räume etablieren zu können. Aber wenn gen, dass ich das zitiert habe? Es ist ein Beitrag aus einer dagegen der Rechtsstaat durchgesetzt werden muss, dann Zeitschrift gewesen, wie andere, die von außen kommen, mit geeigneten Mitteln. Die Videoüberwachung allein diese Neustadt sehen. Es war ein Zitat – das wird ja noch wird das nicht richten. zulässig sein –, und dann sollten Sie es auch als solches darstellen. Vielen Dank. Johannes Lichdi, GRÜNE: Herr Kollege Bandmann, ich (Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD) habe sehr wohl wahrgenommen, dass Sie gesagt haben, 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die Fraktion der dass dieses Zitat aus dem „Merian“ 1995 stammt. Ich GRÜNEN; Herr Abg. Lichdi, bitte. habe aber auch sehr wohl wahrgenommen, dass Sie gesagt haben, dass das ja noch heute gelte, und sich dann (Jürgen Gansel, NDP: auf diese Krawalle oder Vorfälle im Dezember 2006 Der Kanarienvogel aus der Neustadt!) bezogen haben. Deswegen war mein Angriff auf Sie, ob – Dafür erhalten Sie jetzt einen Ordnungsruf. Sie die Neustadt bis heute nicht kennengelernt haben – offensichtlich waren Sie noch nicht da –, vollkommen (Jürgen Gansel, NPD: Für den Kanarienvogel?) zutreffend. – Ja, weil es eine persönliche Beleidigung ist. (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Bitte, Herr Abg. Lichdi. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Es gibt noch eine Johannes Lichdi, GRÜNE: Sehr geehrte Frau Präsiden- Zwischenfrage von Herrn Gerstenberg. tin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Johannes Lichdi, GRÜNE: Bitte.

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2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte. nicht um die Veränderung des gesellschaftlichen Klimas gehe. Sie führen diese Debatte nicht, sondern verdrängen Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Lieber Kollege sie. Das werfe ich Ihnen vor. Lichdi, wären Sie bereit, Kollegen Bandmann klarzuma- chen, dass auch der Merian-Verlag mit seinem Führer Weiter das Bundesverfassungsgericht: „Mit dem Recht seine Sicht auf die Neustadt korrigiert und deshalb vor auf informationelle Selbstbestimmung wäre eine Gesell- zwei Jahren eine Neuauflage herausgebracht hat und dass schaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsord- dort zum Beispiel eine junge Autorin namens Franziska nung nicht vereinbar, in der die Bürger nicht mehr wissen Gerstenberg diesen Stadtteil beschreibt? können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“ (Leichte Heiterkeit) Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Johannes Lichdi, GRÜNE: Herr Kollege Gerstenberg, kann nur durch Gesetz eingeschränkt werden. Nicht wir ich bitte vielmals um Entschuldigung – das war mir Kritiker sind also in der Pflicht, die Unzulässigkeit der entgangen. Aber natürlich weiß ich, dass deine Tochter Überwachung zu beweisen, sondern Sie, Herr Staatsmi- Franziska einen Beitrag geschrieben und es etwas anders, nister, müssen die Notwendigkeit der Videoüberwachung differenzierter dargestellt hat. in der Neustadt begründen. In ihrer Stellungnahme zum Antrag stellt die Staatsregie- Sehen wir uns die Rechtsgrundlage genauer an. Sie ist mit rung fest, dass die Videoüberwachung in der Neustadt § 38 Abs. 2 in Verbindung mit § 19 Abs. 1 Nr. 2 des unverzichtbar sei. Zitat: „Bisherige Erfahrungen haben Sächsischen Polizeigesetzes formal gegeben. gezeigt, dass die Videoüberwachung im öffentlichen (Zuruf von der Staatsregierung) Raum an Kriminalitätsschwerpunkten unter Beachtung der speziellen örtlichen Gegebenheiten grundsätzlich dazu – Meine lieben Herren Staatsminister, es ist mir bekannt, geeignet ist, im Bereich der allgemeinen Kriminalität dass dem so ist. Es ist interessant nachzulesen, was in präventiv zu wirken.“ – So weit die Glaubensüberzeugung § 19 Abs. 1 Nr. 2 steht. Demnach geht es um Orte, an des Innenministers. denen sich erfahrungsgemäß Straftäter verbergen oder sich verabreden. Wir sind es gewohnt, dass wir die Staatsregierung darauf hinweisen müssen, dass staatliches Handeln verfassungs- 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Bandmann rechtliche Grenzen hat. Wo ist die Basis für die vom hat noch eine Zwischenfrage. Innenminister herangezogene Argumentation? Johannes Lichdi, GRÜNE: Einen Moment, bitte. – Sie Die Staatsregierung wird nicht müde zu betonen, dass es haben damit bestätigt, dass Sie die gesamte Neustadt, nicht um die gezielte Überwachung der Bürgerinnen und nicht nur den Platz vor der „Scheune“, überwachen lassen Bürger geht, sondern gerade um ihren Schutz. Es gibt wollen. Das haben Sie im Innenausschuss gesagt. Sie aber nicht nur ein Sicherheitsbedürfnis, sondern auch ein definieren also die Neustadt insgesamt als Ort, an dem Bedürfnis nach Freiheit und Anonymität. Beides gegen- sich Straftäter aufhalten. Das ist die gesetzliche Voraus- einander auszuspielen ist zwar eine Spezialität der CDU, setzung. Genau dieser Punkt regt uns Neustädter so auf. wird dadurch aber nicht richtiger. Bitte. Videoaufnahmen sind personenbezogene Daten. Jeder hat das Recht, über diese selbst zu bestimmen – auch im 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Bandmann, öffentlichen Raum. Ich zitiere gern aus dem Volkszäh- bitte. lungsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Die Juristen mögen es mir nachsehen; aber ich denke, man kann es Volker Bandmann, CDU: Herr Lichdi, mit Ihrem Rede- nicht oft genug tun: „Wer nicht mit hinreichender Sicher- schwall heit überschauen kann, welche ihn betreffenden Informa- tionen in bestimmten Bereichen seiner sozialen Umwelt Johannes Lichdi, GRÜNE: Es tut mir leid, wenn Sie mir bekannt sind, und wer das Wissen möglicher Kommuni- intellektuell nicht folgen können! kationspartner nicht einigermaßen abzuschätzen vermag, Volker Bandmann, CDU: versuchen Sie doch offen- kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus sichtlich vom Thema abzulenken. Deswegen frage ich eigener Selbstbestimmung zu planen oder zu entscheiden. Sie: Ist Ihnen die Chronik der Neustadt-Randale nicht Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung noch deutlich vor Augen? Ist Ihnen bekannt, dass sie wäre eine Gesellschaftsordnung – –“ lautet: Das Bundesverfassungsgericht spricht von „Gesell- 20./21. Oktober 2006 – vor der Gaststätte „Scheune“ schaftsordnung“. Es wehrt sich also ausdrücklich gegen werden Holzbarrikaden errichtet, Mülltonnen angezündet, die simplifizierende, individualisierende Betrachtungs- sieben Festnahmen; weise, die Sie hier immer anstellen, nach dem Motto: da eine Kamera, da eine Kamera, da eine Kamera. Dass wir 14. Oktober 2006 – Mitternacht brennen wieder Müllton- in der Kantine und in der Straßenbahn eine Kamera nen, 100 Randalierer gehen mit Steinen und Knüppeln auf haben, ficht Sie nicht an. Sie tun immer so, als ob es hier Polizisten los, acht Festnahmen;

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17./18. Juni 2006 – zur Bunten Republik rotten sich Die Statistik spricht aber – anders, als Sie es suggerieren Sonntagnacht 150 Jugendliche zusammen, bewerfen und an die Presse weitergegeben haben – keine eindeutige Polizisten mit Flaschen, schießen mit Leuchtraketen, Sprache. Eine sinkende Kriminalitätsrate in überwachten 14 Randalierer verhaftet, sechs Polizisten teils schwer Gebieten bedeutet nicht, dass Kriminalität nicht stattfin- verletzt; det, sondern nur, dass sie nicht an diesem Ort stattfindet. 16. Juni 2005 – 40 linke Chaoten gehen auf 20 Rechte los, Sozialwissenschaftlich erforderlich und korrekt wäre es vier Schwerverletzte, darunter eine Frau, vier Autos gewesen, Vergleiche mit angrenzenden Gebieten und demoliert. Vergleiche zum gesamten Stadtgebiet zu ziehen. Das tun Sie wohlweislich nicht. Ich sage Ihnen: Das grenzt schon Herr Lichdi, ist Ihnen das alles nicht bekannt und wollen an Fehlinformation der Öffentlichkeit. Sie das alles bagatellisieren? Wie ist es tatsächlich? Die Kriminalitätsrate in Leipzig (Vereinzelt Beifall bei der CDU) sinkt insgesamt, auch in den nicht überwachten Berei- chen. Sie sinkt ungefähr im gleichen Takt wie in Gesamt- Johannes Lichdi, GRÜNE: Da klatscht der Herr Sachsen. Da wir glücklicherweise noch keine flächende- Schowtka. ckende Videoüberwachung haben, muss der Rückgang in (Dr. Fritz Hähle, CDU: Ich auch!) Leipzig andere Ursachen haben. Die Kriminalitätslage erfordert daher im Umkehrschluss logischerweise auch Da ich mich nachts in die Neustadt traue, ohne mich an keine Ausweitung der Videoüberwachung. Meines Erach- solchen Krawallen zu beteiligen, ist mir das sehr wohl tens platzt Ihr Nachweisballon wirklich wie – – Na ja, bekannt. okay. (Rita Henke, CDU: Und? Ist das in Ordnung?) Meine Damen und Herren! Eines ist vielleicht noch viel – Wollen Sie eine Frage anschließen? wichtiger; auch meine Vorredner haben es angesprochen. Im Übrigen irrt Herr Kollege Brangs. Herr Dr. Buttolo, (Dr. Fritz Hähle, CDU: Was schließen Sie daraus? Sie gehen in Ihrer Eigenschaft als Innenminister her und – Karl Nolle, SPD: Herr Bandmann wollte es wollen über Polizeirecht in einen Stadtteil hineinregieren, einmal gesagt haben!) von dem ich den Verdacht habe – Herr Bandmann hat es – Okay, dann fahre ich jetzt fort. Ich bitte darum, mir jetzt bestätigt –, dass er Ihnen schon seit Langem wegen vieler wirklich zuzuhören. Dinge ein Dorn im Auge ist. Sie benutzen jetzt diese Gelegenheit. Der Eindruck besteht jedenfalls in der Die Staatsregierung beruft sich auf Erfahrungen, dass die Neustadt. Das sage ich Ihnen. Das müssen Sie sich Videoüberwachung im Bereich der allgemeinen Krimina- anhören. lität präventiv wirke. Ich sage Ihnen: Diese Erfahrungen gibt es schlichtweg nicht. Es fehlen in Deutschland Ich frage mich schon, warum es nicht möglich gewesen verlässliche, einheitliche Studien. Einzig in Brandenburg sein soll, die Täter der vergangenen Silvesterrandale, hat die dortige Landesregierung Anfang letzten Jahres nachdem eine solche schon im Vorjahr stattgefunden dem Landtag einen Bericht zur Wirksamkeit der Video- hatte, rechtzeitig zu ergreifen, bevor sie marodierend überwachung an öffentlichen Plätzen vorgelegt. Herr durch die gesamte Neustadt ziehen konnten. Diese Frage Staatsminister, es wäre doch ein schönes Unterfangen, stelle ich mir. Ich habe Ihnen diese Frage im Innenaus- wenn Sie etwas Ähnliches für Sachsen in Auftrag geben schuss gestellt und harre Ihrer Antwort. Das sind doch die würden. Fragen, die wir uns stellen müssen. Wir brauchen nicht solche Scheindebatten zu führen, ob wir durch das Hin- (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS) hängen einer Kamera das Problem bewältigen würden. In Brandenburg wurde festgestellt, dass nur in bestimmten Ich weise noch einmal darauf hin: Die Neustadt ist ein Deliktgruppen und dort nur in bestimmten Fällen Erfolge Stadtteil, in dem sich viele Menschen sicher fühlen nachweisbar seien, so eher bei Eigentumsdelikten, weni- können, beispielsweise Studierende und Migranten, die ger bei Körperverletzungsdelikten. Auch wurde darauf sich in anderen Stadtteilen Dresdens oder Sachsens hingewiesen, dass sich in einigen Fällen ein anfänglicher insgesamt nicht sicher fühlen können. Reduzierungseffekt wieder umkehrt; meine Vorredner haben darauf hingewiesen. Die angeblich positive Erfah- (Dr. Fritz Hähle, CDU: Na, na, na!) rung definiert die Staatsregierung allein über den Ver- – So ist es leider! Reden Sie einmal mit den Leuten! gleich mit der Kriminalitätsrate vor und während der Dass Sie ausgerechnet in diesem Stadtteil mit Ihren Videoüberwachung in Leipzig; ich verweise auf den polizeistaatlichen Methoden zuschlagen wollen – ohne berühmten Artikel in der „Sächsischen Zeitung“ vom Berücksichtigung des Ortsbeirates, ohne Berücksichti- 17. Januar. Herr Bandmann, das sind übrigens keine gung der Meinung in der Stadt –, werden wir Ihnen nicht Angaben der „Sächsischen Zeitung“, sondern des Innen- durchgehen lassen. Wir werden härtesten Widerstand ministeriums; die „Sächsische Zeitung“ hat die Angaben leisten. nur wiedergegeben. Vielen Dank.

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(Beifall bei den GRÜNEN – bestimmung eintreten, nicht immer gleich fragen lassen, Volker Bandmann, CDU: Dummes Zeug!) ob sie etwas zu verbergen haben.

2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wer wünscht von Die Krawalle und Auseinandersetzungen müssen sowohl den Abgeordneten noch das Wort? – Bitte, Frau stadtplanerisch als auch gesamtgesellschaftlich aufgear- Abg. Bonk. beitet werden. – Ich hoffe, Sie hören mir zu. – Prävention wäre, diese Ursachen zu bekämpfen. In dem Moment, da Julia Bonk, Linksfraktion.PDS: Frau Präsidentin! klar ist, dass Videoüberwachung die Probleme nicht löst, Meine Damen und Herren! Es ist wirklich schade, mit wie sondern verdrängt, ist der Einsatz von Kameras eben wenig Sachlichkeit seitens der Regierungskoalition ein keine Prävention, sondern Repression gegen die Men- solches Thema hier behandelt werden kann. schen, die sich dort aufhalten. Herr Brangs, es ist vielleicht eine feine Ausflucht, wenn (Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Zuruf von der Sie sagen, Sie würden dem Antrag nicht zustimmen, weil CDU: Sie wissen gar nicht, was Repression ist!) Sie es für ein lokalpolitisches Problem halten. Es ist aber Freiheit ist ein Recht, so ist Herr Bandmann eingestiegen, leider auch nicht mehr als eine Ausflucht. Die SPD vor und er werde keine rechtsfreien Räume im Land Sachsen Ort hat sich klar gegen die Videoüberwachung gewandt. ermöglichen. Ich muss fragen, ob es keine Räume der Uns ist klar, dass es sich in erster Linie um ein Dresdner Freiheit mehr in diesem Land geben soll. Leider ist nichts Problem handelt, in zweiter Linie um das des Stadtteils. von anderer Qualität zu erwarten gewesen. Aber da, wo es Aber nicht nur. Es ist bekannt geworden, dass die Ausei- eben bedenklich wird, sind Ihre Zungenschläge bedenk- nandersetzungen, die dort stattfinden, nicht in erster Linie lich. Sie haben offensichtlich auch nicht zugehört, wenn von Neustädterinnen und Neustädtern hervorgerufen Sie sagen, es sei Vorbeugungsarbeit. Verdachtsunabhängi- werden, sondern durch ein bestimmtes Potpourri, das sich ge Eingriffsbefugnisse für die Polizei sind eben keine dort bildet. Vorbeugungsarbeit, sondern im Grundsatz ein Eingriff in (Zuruf des Abg. Volker Bandmann, CDU) Grundrechte. Sie sind in der Tendenz unrechtsstaatlich. – Ja, Herr Bandmann, aber Politik kann man nicht nur mit Ich möchte noch kurz auf die Stellungnahme des Innen- dem Gruselmärchenbuch machen, sondern vor allem ministers eingehen. Er hat geschrieben: Die Beeinträchti- dadurch, dass man die Ursachen von Problemen analy- gung des nicht straffälligen Bürgers besteht nur darin, siert. dass unter Umständen sein Verhalten in der Öffentlich- keit, aber nicht seiner Privatsphäre von anderen wahrge- Wir möchten das gern auf städtischer Ebene machen. Die nommen wird. Polizeiverordnung des Ordnungsbürgermeisters des Stadtrates ist diskutiert worden. Es gab ein Alkoholverbot. Wir haben ja im Moment eine relativ starke gesellschaft- Der Ortsbeirat hat sich positioniert. Es wird über die liche Diskussion zu diesem Thema. Darum liefert uns Umgestaltung der Straße usw. diskutiert. Aber die Video- wieder ein „Spiegel“-Artikel interessante Informationen, überwachung will niemand in der Stadt; sie kommt von und zwar über die Erkenntnisse, die in Wien durch Akti- der Landesebene. Deshalb war es leider notwendig, das vistinnen vom Chaos-Computerclub gewonnen werden Thema auf die Tagesordnung des Landtages zu setzen. konnten. In Österreich darf die Polizei seit Anfang 2005 Wir müssen uns hier damit beschäftigen. öffentliche Plätze per Videokamera überwachen. So schraubte die Wiener Polizei eine neig- und drehbare Ich gehe davon aus, dass Kollege Brangs das Protokoll Kamera an einen Laternenmast auf dem Schwedenplatz. aufmerksam lesen wird. Er hat viel von Videoüberwa- Es ginge darum, die Sicherheit zu erhöhen und den chung gesprochen und davon, dass er sie problematisch Drogenhandel einzudämmen, also allerlei Argumente, die findet. Leider ist noch nicht hundertprozentig absehbar, man in verschiedener Zusammensetzung auch immer was mit solchen Daten alles gemacht werden kann. Sie wieder hört, so hieß es. kennen die technischen Fortschritte. In Mainz wird zurzeit ein Projekt erprobt, wonach durch Vergleich von Kamera- Der Verein Quintessenz, der sich der Wiederherstellung bildern mit den biometrischen Personenfotos, die zurzeit der Bürgerrechte im Informationszeitalter verschrieben erfasst werden, die Identifikation jeder Person zu jedem hat und in dem zwei Genannte vom Chaos-Computerclub Zeitpunkt an überwachten Orten möglich sein soll. Das ist mitarbeiten, hat sich das genauer angeschaut. Sie hatten definitiv ein Eingriff in das Recht auf informationelle über Infrarot die Möglichkeit zu beobachten, in welche Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger. Richtungen die Kameras gelenkt wurden. In dem Mo- ment, als es im öffentlichen Raum nichts zu beobachten (Zuruf von der CDU: Haben Sie etwas zu gab – so haben eindeutig auch die Mitschnitte der Poli- verbergen? – Heftiger Widerspruch des zeikamera gezeigt –, wurde einfach in private Wohnungen Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP) hinein gefilmt. Da, wo Datenerfassung ist, findet man – So kann man nicht darüber diskutieren. Zum Rechts- auch Missbrauch. Darum muss die Zivilgesellschaft und staat gehört eine bestimmte Privatsphäre, die für die muss der Rechtsstaat genau darauf achten, welche Daten Bürger gewährleistet sein muss. Darum müssen sich er von seinen Bürgerinnen und Bürgern erhebt und diejenigen, die für das Recht auf informationelle Selbst- welche nicht.

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Die Problemlösung muss weiterhin natürlich in Dresden- wachung im Bereich der Dresdner Neustadt ist nicht Neustadt betrieben werden. Aber das ist die landespoliti- verzichtbar und weder Anwohnern noch anderen Bürgern sche Grenze. Ich bin ehrlich gesagt auch von dem ange- kann zugemutet werden, die vorliegenden Ausschreitun- kündigten Abstimmungsverhalten der FDP als klassische gen länger hinzunehmen. Die Ausschreitungen verletzen Bürgerrechtspartei enttäuscht, sich heute hinzustellen und elementare Rechte des Bürgers, nämlich das Recht auf zu sagen, ja, Videoüberwachung ist kein Allheilmittel, Freiheit, Gesundheit, das Recht auf Eigentum und Sicher- aber auf der anderen Seite: Videoüberwachung ist nicht heit. In der Abwägung überwiegt das Gemeinwohlinteres- alles, und damit auch einzugestehen, dass Videoüberwa- se gegenüber dem Grundrechtseingriff in die informatio- chung ein Mittel ist, das man bereit ist zu akzeptieren. nelle Selbstbestimmung.“ Deswegen unserem Antrag nicht zuzustimmen ist leider (Beifall bei der CDU) der Abschied von der Bürgerrechtspartei FDP. Ich habe in der Tat Unterstützung durch nichtstaatliche (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Organisationen. Positiv zu meinem Vorgehen hat sich der Wir haben ganz bewusst eine absolute Formulierung in Verband Sächsischer Wohnungswirtschaften geäußert, unseren Antrag eingebracht, weil wir sagen, es muss ebenso „Haus und Grund“. zivilgesellschaftliche, sozialpolitische und stadtplaneri- Im Weiteren wird im Zusammenhang zum Antrag der sche Lösungen unterhalb dieser Grundrechtsverletzungen Linksfraktion.PDS klargestellt: Der Einsatz der Video- geben. Darum kann ich einfach mit den Anwürfen nichts überwachungstechnik stellt eine von mehreren präventi- anfangen. ven Maßnahmen dar, die Gegenstand eines polizeilichen (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Gesamtkonzepts sein werden. Die Nutzung von Video- überwachungstechnik schließt Konzepte anderer Träger 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wird weiter der Kriminalprävention unter Beteiligung der Polizei vonseiten der Fraktionen das Wort gewünscht? – Das ist nicht aus. nicht der Fall. Die Staatsregierung, bitte; Herr Dr. Buttolo. Rechtsgrundlage, Herr Lichdi, da stimme ich Ihnen zu, Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister des Innern: Frau für die präventive polizeiliche Videoüberwachung ist in Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! der Tat der § 38 Abs. 2 des Polizeigesetzes des Freistaates Zunächst noch einmal zum Inhalt des Antrages der Links- Sachsen. Der Verfassungsgerichtshof des Freistaates hat fraktion.PDS. Sie fordert in Ziffer 1 den Verzicht auf mit Urteil vom 20. Juli 2003 die Vereinbarkeit gerade jegliche Form der Beobachtung öffentlich zugänglicher dieses § 38 des Sächsischen Polizeigesetzes mit der Räume im Dresdner Stadtteil Neustadt mit optisch- Sächsischen Verfassung festgestellt. Wesentlicher Inhalt elektronischen Einrichtungen. In Ihrer Ziffer 2 verlangen des Urteils ist: Der Eingriff in das Recht auf informatio- Sie die Vorlage eines Konzeptes präventiver Maßnahmen nelle Selbstbestimmung ist verfassungsrechtlich gerecht- unterhalb der Schwelle von Videoüberwachung zur fertigt. Verhinderung von Gewalttaten und Vandalismus in der Meine Damen und Herren! Der Bereich „Kulturzentrum Dresdner Neustadt an den Sächsischen Landtag. Scheune“ in der Dresdner Neustadt ist Ausgangsort In Ihrer Begründung führen Sie aus, die Videoüberwa- wiederholter Ausschreitungen. Es gab Rohheitsdelikte. Es chung löse nicht die Probleme, sondern verdränge an gab Sachbeschädigungen. Die Auswertung der Polizeidi- andere Orte. rektion Dresden hinsichtlich des Vergleichs des Straftatan- falls der Alaunstraße und des näheren Umfelds zur (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: So ist es!) „Scheune“, des Bereiches Louisen- und Hauptstraße – Warten Sie erst einmal ab! ergab ein erhöhtes Aufkommen jeweils von mehr als 60 % in den Jahren 2005 und 2006. Des Weiteren begründen Sie, der Bedarf für ein abge- stimmtes Konzept präventiver Maßnahmen sei notwendig. Die gravierenden Ausschreitungen am 15. und 16. sowie Sie stellen weiterhin fest, die Videoüberwachung stelle am 20. und 21. Oktober 2006 und der erhebliche Einsatz ein untaugliches Mittel dar und wäre ein Eingriff in das der Polizei zur Normalisierung der Lage waren aus- Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. schlaggebender Anlass für die Entscheidung zum Einsatz von Videoüberwachungstechnik. Ich möchte mich an In meiner Stellungnahme vom 20. November habe ich dieser Stelle ausdrücklich bei der Polizei für diese Einsät- ausgeführt, dass auf die Videoüberwachung – – ze bedanken. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Minister, darf (Beifall bei der CDU) ich Sie kurz unterbrechen. Ich bitte die jungen Leute auf der Tribüne, die Mützen abzunehmen. – Danke sehr. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich die Polizei in der Tat eine andere Tätigkeit wünscht, als nur bei Randa- Herr Minister, bitte. len eingesetzt zu werden. Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister des Innern: In Der Bereich der „Scheune“ stellt nach Auswertung der meiner Stellungnahme vom 20. November 2006 habe ich PD Dresden einen Kriminalitätsschwerpunkt dar. So zum Antrag ausgeführt: „Die Anwendung der Videoüber- wurde sofort mit vorhandener Technik reagiert; die

5760 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 kurzfristig davon ausgehende Maßnahme ist aber nicht Diese Analyse legt fest, wie empirisch genau und sozial- geeignet. Zu dieser operativ eingesetzten Technik der wissenschaftlich zuverlässig so etwas zu erheben sei. Ist Polizei gehört aber, dass diese Technik nicht ständig in Ihnen diese bekannt und sind Sie bereit, diese auf den Fall der Umgebung der „Scheune“ eingesetzt werden kann. Leipzig anzuwenden?

Die Erarbeitung des Gesamtkonzeptes der PD Dresden, Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister des Innern: Herr insbesondere die Auswahl von Standorten zur Video- Lichdi, diese Studie ist mir nicht bekannt. Das gebe ich in überwachung und die Beschaffung der hierfür erforderli- dieser Runde zu. Ihnen sollte aber zu denken geben, dass chen Technik, auch die Vorlage des Gesamtkonzeptes, die Zahlen, die ich gerade vorgetragen habe, fern von erwarte ich von der PD Dresden im Frühjahr 2007. Mit jeglicher wissenschaftlicher Deutung schon für sich selbst dem Gesamtkonzept der PD, insbesondere mit dem sprechen. Einsatz der präventiven Maßnahme Videoüberwachung, wird ein Kriminalitätsrückgang im Umfeld der „Scheune“ (Beifall bei der CDU) erwartet. Johannes Lichdi, GRÜNE: Eben nicht! Einen Rückblick, welche Erfahrungen wir durch die PD Leipzig gesammelt haben, möchte ich Ihnen geben. Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister des Innern: Herr Wir haben an mehreren Standorten in Leipzig Videoüber- Lichdi, eben nicht. Ich erlaube mir trotzdem, noch einmal wachungen. Ich nenne das Gebiet Richard-Wagner-Straße eine Zahlenrelation zu wiederholen. Vielleicht verstehen in Leipzig. Hier hatten wir 1996 1 209 Delikte zu ver- Sie dann, was ich sage. Leipzig, Martin-Luther-Ring 1997 zeichnen. 1 607 Delikte – Seit dem Beginn der Videoüberwachung im Jahr 1996 bis (Widerspruch des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) zum heutigen Zeitpunkt hatten wir folgende Entwicklung: – offensichtlich können Sie es nicht nachvollziehen – Wir hatten im Jahr 2006 lediglich 146 Delikte an diesem und 2006 30 Delikte. Standort: von 1 209 Delikten herunter auf 146 Delikte. Am Leipziger Roßplatz gab es 1997 1 160 Delikte, 2006 Nun noch einmal zum Connewitzer Kreuz. Wir konnten 64 Delikte. Am Leipziger Martin-Luther-Ring waren es in der Silvesternacht 2006 für die Strafverfolgung auch 1997 1 607 Delikte, 2006 30 Delikte. In Leipzig Conne- die Erkenntnisse der Videoüberwachung nutzen. Fünf witzer Kreuz verzeichnete die Polizei im Zeitraum vom Tatverdächtige konnten festgestellt und vorläufig festge- 01.04.2002 bis zum 12.05.2003 328 Delikte und im Jahr nommen werden. Spürbare Verdrängungsprozesse im 2006 32 Delikte. Wir hatten an diesem Standort zwi- Bereich der Eigentums- und Gewaltkriminalität wurden schenzeitlich die Überwachung mit Kameras eingestellt, durch die Polizei nicht festgestellt. Dies ist kein kurzfris- mussten aber, da ein Kriminalitätsanstieg zu verzeichnen tiger Effekt, sondern beruht auf Erfahrungen aus dem war, die Videotechnik wieder einsetzen. Es funktioniert Einsatz von Videotechnik seit zehn Jahren. also. Ich darf an dieser Stelle noch einmal zusammenfassen. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie noch Der Bereich „Scheune“ stellt für die Stadt Dresden einen Kriminalitätsschwerpunkt dar. Die Maßnahmen der eine Zwischenfrage von Herrn Lichdi? PD Dresden, wie die erhöhte Polizeipräsenz, haben auf Dr. Albrecht Buttolo, Staatsminister des Innern: Dauer nicht den gewünschten Erfolg gezeigt. Die Video- Natürlich, Herr Lichdi. überwachung stellt eine Maßnahme der Kriminalitätsprä- vention dar. Sie ist Teil einer Präventionsstrategie. Die Johannes Lichdi, GRÜNE: Vielen Dank. – Herr Staats- Videoüberwachung am Kriminalitätsschwerpunkt Leipzig minister, wollen Sie mir wirklich nicht bei der Einschät- führte zu einer Verringerung des Straftatenaufkommens. zung zustimmen, dass eine sozialwissenschaftlich solide Ein möglicher Verdrängungseffekt schließt prinzipiell die Erhebung der Wirksamkeit von Videoüberwachung Überwachungsmaßnahmen nicht aus. Aus diesem Grund, erfordern würde, dass man größere Flächen, zum Beispiel meine Damen und Herren, bitte ich Sie, den Antrag die ganze Stadt Leipzig, betrachtet und Stellen, an denen abzulehnen. überwacht wird, mit denen vergleicht, an denen nicht Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. überwacht wird? Die von Ihnen genannten Zahlen sind sicher nicht zu bestreiten und ich möchte sie auch nicht (Beifall bei der CDU) bestreiten. Ich behaupte nur, dass sie überhaupt nicht aussagekräftig sind, da Sie das falsche Nachweismodell 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Das Schlusswort für die Wirksamkeit anwenden. hat die Linksfraktion.PDS. Frau Abg. Bonk, bitte. (Volker Bandmann, CDU: Frage!) Julia Bonk, Linksfraktion.PDS: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich greife das Anliegen von Lesen Sie einmal in der englischen Studie nach. Kollegen Lichdi noch einmal auf. Der Vorher-Nachher- – Dann frage ich so: Ist Ihnen die englische Studie des Vergleich der Zahlen ohne Betrachtung, wie sich die Home Office von Prof. Gill und anderen bekannt, die Kriminalitätsverlagerung in einem größeren gebietlichen genau das im Sinne einer Metaanalyse untersucht haben? Rahmen entwickelt hat, ist einfach unseriös. Das ist eine

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Art und Weise zu argumentieren und Politik zu machen, verdachtsunabhängige Datenerfassung auf Bürgerinnen mit der man ein Ergebnis durchdrücken will, und zwar auf und Bürger ausweitet und schon als solches abzulehnen absolut unaufklärerische Weise, indem man mit falschen ist. Darum haben wir so einen deutlichen Antrag ge- Zahlen versucht in der Öffentlichkeit Stimmung zu schrieben, in dem wir sagen: Videoüberwachung ist für machen. uns kein Mittel, zu Lösungen im Stadtteil zu kommen, was nicht bedeutet, dass es sich um einen Töpferkurs (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS – handelt, sondern um reale sozialpolitische und stadtplane- Dr. Fritz Hähle, CDU: Das sind rische Veränderungen. Deswegen bitten wir um Zustim- keine falschen Zahlen!) mung. Es wird sich zeigen, wie sich die Fraktionen Meine Damen und Herren, wir haben ausgeführt, dass positionieren. Ich bin ganz sicher, dass das auch im Impulsdelikte, wie sie in der Dresdner Neustadt vorge- Stadtteil Dresdner Neustadt wahrgenommen wird. kommen sind, durch Videoüberwachung im Kern nicht (Beifall bei der Linksfraktion.PDS – verhindert werden. Diese Überwachungsmaßnahme stellt Volker Bandmann, CDU: einen Eingriff in die – ich sage noch einmal, wie man es Soll das eine Drohung sein?) ausspricht, Herr Innenminister – informationelle Selbstbe- stimmung der Bürgerinnen und Bürger der Neustadt dar. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Meine Damen und Man stellt sie unter Generalverdacht. Lösungen für die Herren! Ich stelle nun die Drucksache 4/6999 zur Ab- Auseinandersetzungen, die dort stattfinden und die keiner stimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. will, müssen im Stadtteil mit Unterstützung von Polizei, – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Kulturschaffenden und Anwohnern gefunden werden. Die Stimmen dafür ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt Neustadt ist ein von seiner Identität her sehr starkes und worden. buntes Viertel, was im Charakter durch die Videoüberwa- chung verändert und gefährdet werden kann. (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Das war ziemlich knapp!) Überhaupt ist die vom Innenministerium angeschobene Videoüberwachungsdiskussion in ein Maßnahmenpaket Der Tagesordnungspunkt ist damit beendet. von Bundes- und Landesregierungen einzuordnen, das Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 10 „Antifa“-Umtriebe stoppen – „Kulturbüro Sachsen e.V.“ dichtmachen! Drucksache 4/7612, Antrag der Fraktion der NPD

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die nierungskulisse passen, im politischen Geschehen aber Reihenfolge lautet: NPD, CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, längst zum Alltag gehören. FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Der vorliegende NPD-Antrag wird deshalb sicher nicht Ich erteile nun der NPD-Fraktion, Herrn Abg. Apfel, das der letzte dieser Art gewesen sein. Wie aktuell er ist, zeigt Wort. nicht nur der in unserem Antrag geschilderte Fall um das (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Der Antrag sogenannte Kulturbüro Sachsen – eine besonders unappe- ist eine Unverschämtheit! – Jürgen Gansel, NPD: titliche Hetzorganisation im linksextremen Sumpf. Dieses Das können Sie gleich am Mikro sagen!) sogenannte Kulturbüro warnte dieser Tage davor, dass NPD und Junge Landsmannschaft Ostpreußen auf der Holger Apfel, NPD: Frau Präsidentin! Meine Damen und Suche nach Räumlichkeiten seien, und rief dabei in Herren! Erst letzte Woche hatten wir in der Nachbarschaft Blockwartmanier dazu auf, einen ziemlich großen Bahnhof: das Treffen der Innen- und Justizminister Europas. Sie werden sich daran erin- (Widerspruch des Abg. nern, worum es bei diesem Treffen ging: unter anderem Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD) um ein Verbot von Killerspielen, die Verbesserung des die Augen offenzuhalten und die Vermietung von Räum- Datenaustausches der Polizei und die bessere Kommuni- lichkeiten zu verweigern. kation der europäischen Justizbehörden. (Widerspruch des Abg. Karl Nolle, SPD) (Karl Nolle, SPD: Vor allem um Kinderpornos!) Besonders schäbig, meine Damen und Herren, mutet Wir erinnern uns aber auch daran, dass die Schirmherrin dabei das Verhalten der DEHOGA an. Die Dachorganisa- der Konferenz, Justizministerin Zypries, vor Jahresfrist tion des Gaststätten- und Hotelgewerbes macht sich zum eine treibende Kraft bei der Verabschiedung des soge- Spießgesellen dieser Diffamierungskampagne und hat nannten Antidiskriminierungs- bzw. Gleichstellungsgeset- nichts Besseres zu tun als die Warnung der Kulturbüro- zes war. Da hätten Frau Zypries und ihre Kollegen in Blockwarte im Rahmen eines Hot-Warnschreibens an ihre Dresden ein paar durchaus denkwürdige Beobachtungen Verteiler weiterzuleiten. Dazu muss man wissen, dass das machen können, die so gar nicht zur hehren Antidiskrimi- Hot-Warninformationssystem eigentlich zur internen 5762 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007

Warnung vor Zechprellern und säumigen Kunden gedacht kann ich natürlich nachvollziehen, dass es sich da als ist. Mehreren Hoteliers ging diese Diffamierungsaktion Berufsdenunziant ganz gut verdienen lässt. Nur, der Spaß der DEHOGA entschieden zu weit und sie wandten sich hört doch wohl dort auf, wo diese Brunnenvergifter die an uns. Rechte anderer beschneiden, ein Klima der Gewalt Meine Damen und Herren! Sie werden von meiner Frak- schaffen, die öffentliche Ordnung aushöhlen – mit einem tion nicht hören, dass wir als Opfer der Stigmatisierungs- Wort: wo der Gesetzesbruch beginnt. und Ausgrenzungsversuche aus der linksextremen Ecke – Als politische Partei – man muss das manchen in diesem auch aus diesem Hause – nun in ein weinerliches Lamen- Haus immer wieder in Erinnerung rufen – hat die NPD to ausbrechen. Da haben wir schon andere Dinge erlebt. wie jede andere Partei den gesetzlichen Auftrag, an der Das dürfen Sie mir glauben und da können wir mit ein Willensbildung im Land mitzuwirken. Wo kommen wir paar Wichtigtuern aus der Sächsischen Schweiz noch hin, wenn man eine missliebige Partei vom öffentlichen ganz gut leben. Diskurs ausgrenzt oder an der Durchführung ihrer Ver- Uns geht es aber darum, den Menschen die Augen zu sammlungen hindern will? In einem Rechtsstaat sollte öffnen, dass Demokratie, Freiheit, Meinungsvielfalt längst dies eigentlich von allen sogenannten Demokraten als nichts anderes als hohle Phrasen in diesem Staat sind. unwürdig verurteilt werden. (Karl Nolle, SPD: Mir kommen die Tränen!) (Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD) Wenn wir auch wissen, dass Sie, die Sie tatkräftig linke – Die Unterstützung solcher Subjekte macht Ihre ab- Chaoten unterstützen, eigentlich die falscheste Adresse grundtiefe antidemokratische linksfaschistische Gesin- sind, die man sich vorstellen kann, ändert das nichts an nung offenkundig, Herr Nolle. unserem Appell zur Wiederherstellung rechtsstaatlicher (Zurufe des Abg. Karl Nolle, SPD) verfassungskonformer Verhältnisse in diesem Land. Wir bleiben dabei: Hetz- und Diffamierungsaktivitäten, Meine Damen und Herren! Wo kommen wir hin, wenn wie die des sogenannten Kulturbüros und einer Reihe sich ständig selbsternannte Tugendwächter der Political ähnlicher Organisationen, sind illegal. Sie gehören end- Correctness ein Bespitzelungsamt anmaßen, das es lich unterbunden. Erst recht unterbunden gehört, dass die eventuell in der DDR gab oder heute in einer islamischen Aktivitäten dieser kriminellen Organisationen auch noch Mullah-Diktatur, für einen freiheitlichen Rechtsstaat aber mit Steuergeldern finanziert werden. unwirklich ist? Wo kommen wir hin, wenn Aktivitäten geduldet werden, die auf die systematische Ausgrenzung (Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD – – auch wenn es Ihnen nicht passt – der inzwischen in Weitere Zurufe von der SPD) mehreren Länderparlamenten vertretenen, nicht verbote- Sollten sich Innenbehörde und Polizei weiterhin nicht nen Partei abzielen? Wo kommen wir hin, wenn wir imstande sehen, diese Feststellung zu treffen und solche weiterhin dulden, dass solche illegalen Aktivitäten auch Aktivitäten wirksam zu unterbinden, dann wird gegebe- noch mit Millionen an Steuergeldern unterstützt werden? nenfalls der Verfassungsgerichtshof einzuschalten sein. Ist für Sie wirklich nicht nachvollziehbar, dass mit öffent- Anders geht es offenbar nicht. lichen Mitteln, die von den Bürgern erst einmal mit viel Arbeit und viel Schweiß erwirtschaftet werden müssen, (Zurufe von der SPD und der Linksfraktion.PDS) hier eine Infrastruktur der Ausgrenzung hochgezogen Nun würde ich mir vor allen Dingen aus den Reihen der wird, eine Logistik der politischen Gewalt? CDU eine lebhafte Zustimmung zu unserem Antrag Wie weit sich ein solches Klima in Sachsen breitgemacht wünschen. Sie brauchen sich nämlich keiner Illusion hat, zeigt der bereits genannte Vorfall um das Kulturbüro. hinzugeben, meine Damen und Herren der Union: Gebe Da sitzen irgendwo in Pirna hauptberufliche Denunzian- es die NPD als rechtes Schreckengespenst nicht, dann ten an ihren Bildschirmen und haben den ganzen Tag wären Sie schon längst noch stärker im Visier der Antifa. nichts anderes zu tun als auszuspähen, ob und was die Man muss es so deutlich sagen, weil sich die CDU in politische Konkurrenz unternimmt. Dresden bekanntlich nicht schämt, mit den Mauermörder- parteien von PDS, KPD und DKP zusammenzuarbeiten (Karl Nolle, SPD: Leider noch viel zu wenig!) und im Kampf gegen Rechts mit Rotfaschisten und Ehrlich, Frau Klinger, Frau Köditz oder Herr Lichdi, ich Linksextremisten, Halbkriminellen eine fast selbstmörde- persönlich wäre mir menschlich viel zu schade für so ein rische Solidarität an den Tag zu legen. Dasein als BRD-Blockwart, Jeder normale Mensch fragt sich doch, warum die CDU (Beifall bei der NPD) ausgerechnet mit denen zusammenarbeitet, die noch heute der Ansicht sind, dass Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl aber ich finde es dennoch bemerkenswert, was für Cha- und deutsche Teilung gut und richtig waren. Es spricht rakterlumpen sich in Ihrem politischen Umfeld herum- Bände, wenn sich der Vorsitzende Herr Rohwer auf treiben. Wenn man aber sieht, dass Ihr dubioses Kulturbü- Beschwerdebriefe über dieses fragwürdige Bündnis und ro allein im Jahre 2006 sage und schreibe 142 000 Euro seine Unterschrift unter die gemeinsame Erklärung aus öffentlichen Geldern für Polithetze erhalten hat, dann gegenüber einem Bürger zu entschuldigen versucht – ich

5763 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 zitiere –: „Stellen Sie sich doch einmal die öffentliche eine nette, harmlose Partei von bösen Antifa-Initiativen in Reaktion dazu vor, wenn wir diesen nicht unterschrieben ihrer Existenz bedroht. hätten.“ (Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD) Meine Damen und Herren! Politiker wie Herr Rohwer gehören zu jenen bürgerlichen Feiglingen, die nicht viel Auf Schritt und Tritt wird sie verfolgt, gedemütigt und Schneid haben, der aufgezwungenen Political Correctness öffentlich als gefährlich angeprangert. der Linken die Stirn zu bieten, selbst wenn es der eigenen (Karl Nolle, SPD: Das ist traurig!) Partei schadet. Sie lassen sich vor die politische Karre der Roten spannen. Diese politische Dummheit ist bemer- Mit ihr werden Dinge angestellt, die – so heißt es im kenswert. Antrag – „über das Maß des im Wettstreit der Meinungen Zulässigen hinausgehen“. Das Schlimme ist: Die Initiati- Sie und Ihresgleichen tragen die politische Verantwor- ven, die hier im Wettbewerb der Meinungen unermüdlich tung, dass das politische Koordinatensystem in diesem illegale Mittel zum Einsatz bringen, werden auch noch Land immer weiter nach links rückt und die konservative mit Staatsknete alimentiert. Die Agenten des Verfassungs- Wählerklientel für Nationale dafür umso stärker öffnet. schutzes fahren demnach mit Geldkoffern durch Sachsen (Lachen des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) und stecken jedem für die Bekämpfung dieser netten, harmlosen Partei ein paar Euroscheine zu. Es ist kein Wunder, dass bei der letzten Landtagswahl über 40 000 Wählerinnen und Wähler der Union zur NPD (Jürgen Gansel, NPD: Danke, dass Sie den gegangen sind. Herr Rohwer, sollten Sie jemals eine Antragstext noch einmal vortragen!) Gesinnung gehabt haben, so sind Sie inzwischen so blind Damit ist dieser kurze Ausflug beendet. Sie können sich vor der Political Correctness der Antifa, dass Sie nicht vorstellen, was kommen muss, wenn man sich in diese erkennen, dass deren Keule heute gegen jeden geführt Gedankenwelt länger als fünf Minuten hineinversetzt: wird, der sich nicht vor ihren Karren spannen lässt. Heute Man bekommt Verfolgungswahn, Paranoia und entwickelt – wir haben bereits darauf hingewiesen – sind es soge- den sich der Realität entziehenden Welthass einer Sekte. nannte Rechtsextreme, morgen bürgerliche Patrioten, die ins Kreuzfeuer der antifaschistischen Hysterie geraten. (Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Karl Nolle, SPD: Ich sage doch, Dennoch, danken werden Ihnen diese Anbiederung weder ein Arzt muss her!) Ihre neuen Freunde der politischen Linken noch erst recht nicht Ihre konservative Wählerschaft. Wie es Ihnen Wenn man sich aber der Realität zuwendet, die sich insbesondere Ihre Freunde des Kulturbüros danken, haben außerhalb der Fraktionsräume der NPD befindet, wird wir gerade vorhin im Rahmen der Diskussion zur Video- schnell deutlich, wie lächerlich der Popanz ist, den die überwachung erleben dürfen; auch der heutige Hinweis in NPD in diesem Antrag aufbaut. Der konkrete Anlass für den „DNN“, dass eben genau dieses Kulturbüro das von den Antrag ist eigentlich ein sehr erfreulicher. Es geht um Ihnen so hoch gepriesene Projekt der Videoüberwachung einen Hinweis des Deutschen Hotel- und Gaststättenver- der Dresdener Neustadt massiv bekämpft und hierfür bandes an seine Mitglieder in Sachsen, dass am 21. Ja- Unterschriften sammelt., besagt das. nuar 2007 ab 14:00 Uhr die Jahresauftaktveranstaltung der NPD stattfinden soll. Dieser Hinweis kam auf Initiati- Vergessen Sie nicht, meine Damen und Herren der CDU, ve eines Mobilen Beratungsteams zustande. In dem dass Ihre Partei schon einmal von den Kommunisten Schreiben wird darauf hingewiesen, dass die Empfänger, herzlich umarmt wurde, nämlich 1946 bei der Gründung also die Besitzer von Hotels und Gaststätten, in ihren des antifaschistisch-demokratischen Blocks. Das Ergeb- Räumen Veranstaltungen nur mit Vertrag und mit Zweck- nis, das folgte, ist bekannt: Es begann der Weg in ein bestimmung stattfinden lassen sollten. Ich möchte an totalitäres System. Sind Sie schon wieder gesunken, dieser Stelle der DEHOGA und dem Beratungsteam meine Damen und Herren der CDU? Herzlichen Glück- meinen ausdrücklichen Dank für diese Aktion ausspre- wunsch, Herr Rohwer, herzlichen Glückwunsch, Herr chen und das mit dem Wunsch verbinden, dass auch Hähle! andere Organisationen diesem Beispiel folgen sollten Vielen Dank. (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion.PDS, der (Beifall bei der NPD – Karl Nolle, SPD: FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung) Ist immer noch kein Arzt da für den Apfel?) Warum war diese Aktion nötig? Sie war nötig, weil die Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Koalition das NPD zu feige ist, Räume unter ihrem eigenen Namen Wort; Herr Dulig, bitte. anzumieten. Es werden Mittelsmänner eingesetzt oder die Veranstaltung wird als Geburtstagsfeier getarnt. Deshalb Martin Dulig, SPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe ist es doch sinnvoll, die Vermieter darauf aufmerksam zu Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie bitten, sich machen, mit wem sie es wirklich zu tun haben. Offenbar mit mir auf einen kurzen Ausflug in die Gedankenwelt hat diese Aktion zu massivem Unmut in der rechtsextre- des vorliegenden Antrags zu begeben. Wenn Sie mitma- men Szene geführt, denn ein Foto vom Autor des Aufrufs chen, wird dabei Folgendes herauskommen: Hier wird

5764 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 mit seiner Adresse findet sich auf einer Web-Site einer distanzieren? Die etwas saloppe Diskussion à la „Kultur- freien Offensive wieder. büro dichtmachen“ ist offensichtlich an die Kameraden Damit sind wir wieder beim Wettstreit der Meinungen, draußen im Lande gerichtet, die die NPD an sich binden den Sie für sich einklagen, und dem, was darüber hinaus- will. Wie gewohnt, beschäftigt sich die NPD also nicht geht. Fotos auf Websites mit Adressen gehen meiner mit den Problemen der Menschen, sondern mit sich selbst Meinung nach deutlich darüber hinaus. Das ist der Aufruf, und hier, wie schon so oft – leider viel zu oft – mit parla- politische Gegner mit Mitteln zu bekämpfen, die nichts mentarischen Dienstleistungen für die gewalttätigen mit Wettstreit zu tun haben, sondern mit Gewalt. Kameraden draußen. Das hat sie auch bitter nötig nach dem Abgang von Menzel und Paul – jeder weiß Bescheid. (Beifall bei der SPD, der Linksfraktion.PDS, der Was mir aber wichtiger ist: Ich nehme Ihren Antrag gern FDP und den GRÜNEN – Jürgen Gansel, NPD: als Hinweis darauf, dass die Arbeit des Kulturbüros Was ist denn mit den Venceremos-Seiten?) erfolgreich ist und insbesondere die mobilen Beratungs- Sie würden doch jeden, der eine andere Meinung hat, am teams wirksam arbeiten. Ich glaube, das freut alle in liebsten den Ihnen angegliederten Schlägertrupps über- diesem Hause – außer Ihnen. antworten, damit diese ihnen einmal beibringen, was (Beifall bei den GRÜNEN, richtige Meinung ist. der Linksfraktion.PDS und der SPD) Nun zum Geld! Der Freistaat unterstützt mit dem Pro- gramm „Weltoffenes Sachsen“ Initiativen im Kampf Was fordert nun die NPD? Die NPD greift im Grunde – gegen Rechtsextremismus. Darüber bin ich sehr froh; wie schon so oft – das Landesprogramm für Demokratie denn dieses Geld ist sinnvoll angelegt und trägt dazu bei, und Toleranz an. Wir haben die Koalition immer bei der die Demokratie in diesem Land zu stärken. Finanzierung des Landesprogramms unterstützt und werden dies weiterhin sehr gern tun, und ich bin sehr froh (Jürgen Gansel, NPD: Das sehen und sage es an dieser Stelle ausdrücklich, dass wir hier die Steuerzahler vielleicht anders!) einen Konsens der Demokratinnen und Demokraten Gerade das Kulturbüro mit seinem Mobilen Beratungs- feststellen können, und wir sollten ihn alle gegenüber der team leistet eine herausragende Arbeit. Und die NPD? Sie NPD bewahren. bekommt Geld vom Staat, um die Demokratie zu be- Sie tun in Ihrem Antrag aber so, als ob Landesmittel kämpfen. verschwendet würden. Dabei passt Ihnen einfach der Zweck dieses Programms nicht. Das verwundert auch (Jürgen Gansel, NPD: nicht; denn das Programm ist ja auf die Förderung von Um sie erst einmal herzustellen!) Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz in Sachsen Sie wird vom deutschen Steuerzahler alimentiert, um die gerichtet, und genau das wollen Sie nicht. Sie stehen für Bundesrepublik zu beseitigen. Ein neues Deutsches Reich die Diktatur einer selbst ernannten Elite, zu der Sie sich ist das Ziel, für das die NPD Steuergelder ausgeben darf. aus allein Ihnen bekannten Gründen selbst zählen. Sie stehen gegen Weltoffenheit, Sie wollen aus der EU (Johannes Lichdi, GRÜNE: Für Luxuskarossen!) austreten und Sachsens kulturelles und wirtschaftliches Sie darf das, weil wir in einer Demokratie leben, in einer Aufblühen nach Ihren völkisch bornierten Vorstellungen starken Demokratie, und das wird auch so bleiben, egal, abwürgen, und Sie stehen gegen Toleranz. was die NPD veranstaltet. (Jürgen Gansel, NPD: Vielen Dank. „Blühende Landschaften“ – Helmut Kohl!) (Beifall bei der SPD, der CDU, der Wenn Sie die Macht hätten, würden Sie mit Polizei- Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN) staatsmitteln gegen Ihre politischen Gegner vorgehen, so wie es Ihre Vorfahren auch getan haben. Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Linksfrakti- on.PDS das Wort. – Nicht. Dann frage ich die FDP- Sie fordern offenbar ein vereinsrechtliches Verbotsverfah- Fraktion. – Ebenfalls nicht. Die GRÜNEN? – ren. Sie haben sich natürlich nicht die Mühe gemacht, Herr Lichdi, bitte. sich im Gesetz kundig zu machen. Gemäß § 3 des Ver- einsgesetzes kann ein Verein verboten werden, wenn seine (Jürgen Gansel, NPD: Kanarienvogel, die Zweite!) Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider- laufen oder sich gegen den Gedanken der Völkerverstän- Johannes Lichdi, GRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsi- digung richten. Das ist ein Verbotsansatz gegen Ihresglei- dent! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die NPD chen, aber nicht gegen die zivilgesellschaftlichen Initiati- beglückt uns in ihrer tiefen politischen Krise wieder mit ven. Sie offenbaren damit doch nur Ihr Demokratiever- einem Antrag aus der Schublade – Zitat –: „Alle sind böse ständnis – Demokratie in Anführungszeichen gesetzt. Was zu uns, obwohl wir doch die wahren Demokraten sind!“ Ihnen politisch nicht in den Kram passt, wird einfach Aber ich frage mich: Warum ist der Titel des Antrages verboten. Aber gleichzeitig gerieren Sie sich hier in eigentlich in Anführungszeichen gesetzt? Zitiert die NPD diesem Lande als die verfolgte Unschuld und die wahren jemanden? Will sie sich etwa von ihrem eigenen Antrag Kämpfer für die Meinungsfreiheit. Mir kommen die

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Krokodilstränen, aber wirklich! Sie fordern – so wörtlich Präsident Erich Iltgen: Wird von den Fraktionen noch – eine strafrechtliche Überprüfung des – Zitat – „öffentli- das Wort gewünscht? – Bitte, Herr Gansel. chen Aufrufes zur Blockade des Zugangs der NPD zu Versammlungsräumen“. Wie der Begründung zu entneh- Jürgen Gansel, NPD: Sehr geehrter Herr Präsident! men ist, haben Sie insbesondere Hinweise des Mobilen Meine Damen und Herren! Wie schon gehört, erhielt das Beratungsteams Pirna an die Gastronomie und Hotellerie sogenannte Kulturbüro Sachsen e. V. allein 2006 aus dem in der Sächsischen Schweiz geärgert. einschlägigen Landesprogramm die Summe von 142 000 Euro. Was hat das MBT getan? Herr Kollege Dulig hat es gesagt: Es hat lediglich die Gastwirte und Hotelbesitzer (Karl Nolle, SPD: Das war viel zu wenig!) darauf hingewiesen, dass die NPD Anmietungen unter Dabei steht das Kulturbüro stellvertretend für eine ganze Verschleierung des wahren Veranstalters und des Veran- Reihe von zwielichtigen Organisationen, für deren Kampf staltungszwecks vornimmt. Das MBT hat geraten, in den gegen Rechts dreist das Geld des sächsischen Steuerzah- Verträgen ausdrücklich eine Zweckbestimmung der lers zweckentfremdet wird. Veranstaltung sowie bei Zuwiderhandlung ein Kündi- gungsrecht und – für Sie hoffentlich besonders schmerz- (Dr. Jürgen Martens, FDP: Prima!) haft – eine Vertragsstrafenregelung aufzunehmen. Das Kulturbüro ist dabei nur eine von offiziell Meine Damen und Herren von der NPD, dies ist schlicht 67 Initiativen allein im Freistaat Sachsen, die keinen ein Hinweis auf die Rechtslage – nicht mehr. Von Boykott anderen Daseinszweck haben, als national gesinnte und oder sonstigen schlimmen, gar rechtswidrigen Geschich- heimatbewusste Deutsche zu bespitzeln, zu denun- ten kann nicht die Rede sein, und – Sie wissen es viel- zieren, – leicht nicht – das MBT folgt dabei einer Handreichung, (Karl Nolle, SPD: Nicht wahr!) die von der DEHOGA Thüringen in Zusammenarbeit mit der Thüringischen Staatsregierung entwickelt wurde. Dies – ihnen das Leben schwer zu machen und, unterstützt ist auch nicht im Entferntesten strafrechtlich relevant. vom Kartell der Blockparteien und der Systemmedien, ein Vielmehr bewahrt das MBT die Gastronomie vor einem Ausgrenzungsklima gegen ein mittlerweile nicht unerheb- Fehltritt, der sich für diese massiv geschäftsschädigend liches Meinungslager in unserem Volk zu erzeugen. Hier auswirken würde. wird namens einer angeblich demokratischen Zivilgesell- schaft nichts anderes als eine Pogromstimmung erzeugt – (Holger Apfel, NPD: Warum denn? bezahlt auch von dem Steuergeld der 191 000 Sachsen, Weil Ihre linkskriminellen Banden dann kommen!) die vor zweieinhalb Jahren für die NPD votierten. Bei Wir halten dies für richtig und möchten dem MBT für diesen 67 Organisationen handelt es sich – obgleich sie seine Tätigkeit danken. vorgeben, für Demokratie, Toleranz und Menschenwürde einzutreten – um ein linksextremes und oftmals auch (Beifall bei den GRÜNEN und der SPD) linkskriminelles Feuchtbiotop, in dem es sich Hunderte Alles, was Sie hier vorbringen, ist schlicht und ergreifend linker Pädagogen, Soziologen und gescheiterter Studen- rechtlicher Quatsch. Sie erkennen nicht den Unterschied tenexistenzen behaglich eingerichtet haben. Für Deutsch- zwischen den Anforderungen an ein Parteienverbot und landhasser gibt es in dieser Republik hoch dotierte Posten, der rechtmäßigen Bezeichnung und Behandlung Ihres- und für brave Arbeitnehmer, die nach 30-jähriger Berufs- gleichen als verfassungswidrig. Sie sind natürlich verfas- tätigkeit arbeitslos werden, gibt es Hartz IV. Wunderbar! sungswidrig, auch wenn Sie nicht verboten sind. Die Mit dieser Politik werden Sie von den etablierten Parteien Beratungsleistungen des Kulturbüros bewegen sich damit in Sachsen aber Schiffbruch erleiden. rechtlich völlig einwandfrei im Raum. (Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD) Das Größte ist, nachdem ich Ihre Begründung gelesen Das Gespenstische an diesem staatsalimentierten Antifa- habe, dass Sie sich nun auch – wie Herr Apfel in seiner Zirkus ist, dass man es hier mit einem geradezu klassi- Rede kundgetan hat – auf das Allgemeine Gleichstel- schen Fall von orwellschem Neusprech zu tun hat; denn lungsgesetz berufen. Meines Wissens haben Sie das in der Praxis zielt der hochhehre Kampf gegen Rechts – seinerzeit in Ihrer verklemmten, schwulenfeindlichen oder wie immer diese Initiativen ihr Tun auch sonst Haltung abgelehnt. Im Übrigen würde ich gern einmal das bemänteln – doch nicht auf mehr Pluralismus, mehr Diskriminierungsmerkmal erfahren, das verletzt sein soll. Demokratie und mehr Freiheit; sondern diese Initiativen Ich frage mich: Fühlen Sie sich etwa wegen des Merk- zielen, ganz im Gegenteil, auf immer weniger Meinungs- mals der ethnischen Herkunft in Ihrer Eigenschaft als pluralismus, auf weniger Demokratie und weniger Frei- „deutsche Arier“ diskriminiert? Nein, meine Damen und heit. Wollen Antifa-Vogelscheuchen ihre sogenannte Herren, verschonen Sie uns bitte mit diesem Quatsch, Kaffeefahrt vom Juni 2005, bei der in mehreren sächsi- damit wir uns den echten Problemen zuwenden können. schen Städten systematisch Straftaten begangen worden Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. sind, allen Ernstes als Dienst an Pluralismus und Freiheit (Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS, verstanden wissen? Nein, wir haben es hier mit gemeinge- der SPD und der FDP) fährlichen Geistesverwirrten zu tun, die den Rechtsstaat

5766 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 zielstrebig in einen neototalitären Linksstaat zu verwan- dieser Woche „Spiegel online“. Erst jetzt wurde nämlich deln suchen und deshalb auch unverhüllt Druck auf die bekannt, dass ein Mitarbeiter – hört, hört!, die altbekannte Mitglieder des Hotel- und Gaststättenverbandes ausüben, PDS-Floskel – des brandenburgischen Landeskriminal- damit ja keine Veranstaltungsräumlichkeiten für national amts im November letzten Jahres als Privatmann an einer gesinnte Menschen zur Verfügung gestellt werden. Genau nationalen Demonstration teilgenommen hatte. In seiner das hat das Kulturbüro gemacht und dabei willfährige Behörde, in der er im Bereich der organisierten Kriminali- Erfüllungsgehilfen bei der DEHOGA im Raum Dresden tät arbeitete, tritt er laut Aussagen von anderen Beamten gefunden. offen als NPD-Anhänger auf, so „Spiegel online“. Gegen den LKA-Mann wurde nun wegen seiner NPD- (Karl Nolle, SPD: Wunderbar!) Sympathien ein Disziplinarverfahren eingeleitet, Für diese Einschüchterungsversuche können die Antifa- (Karl Nolle, SPD: Wunderbar! – Alexander Delle, schisten mit dem Segen der CDU sogar auch noch irrwit- NPD: Schon mal etwas von Meinungsfreiheit zige Summen aus öffentlichen Fördertöpfen abgreifen. gehört, Herr Nolle? – Zuruf des Abg. Die NPD-Fraktion gibt sich nicht der Illusion hin, dass in Stefan Brangs, SPD) diesem Haus mit dem Appell zur Sicherstellung eines gleichberechtigten Ideenwettbewerbs viel zu erreichen ist. obwohl Juristen einen komplizierten Rechtsstreit erwar- Wer nämlich einen antifaschistischen Sumpf trockenlegen ten, weil der Beamte keinerlei Dienstpflichtverletzung will, der darf halt nicht die Antifa-Frösche fragen. beging. Wir Nationaldemokraten sind dennoch guter Dinge. Wir Was glauben Sie, die Weissens und die Duligs, eigentlich, werden nämlich trotz der unglaublichen Summe von wo wir unsere Anhänger überall noch haben, wenn selbst offiziell 180 Millionen Euro – 180 Steuermillionen, die ein Landeskriminalamt davon nicht ausgenommen ist? seit 2000 von diesem ach so freiheitlichen Staat in den Was meinen Sie, Herr Buttolo, wie viele NPD- Kampf gegen Rechts geflossen sind – immer mehr. Ja, Sympathisanten es wohl in Ihrem Ministerium gibt? meine Damen und Herren, wir werden immer mehr, und (Heiterkeit und Beifall bei der NPD) immer mehr Deutsche tragen ihr Herz auf dem rechten Fleck. Dass nationales Denken längst in der Mitte des Volkes angekommen ist, können auch die Spießgenossen vom (Beifall bei der NPD – Widerspruch bei der SPD) Kulturbüro Sachsen mit ihrer ganzen Staatsknete nicht ändern. Präsident Erich Iltgen: Gestatten Sie eine Zwischen- frage? Lassen Sie mich zum Schluss vielleicht eine etwas kühn anmutende These aufstellen: Der Kampf gegen Rechts (Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD) schadet der CDU mehr als der NPD. Indem die Union nämlich linkskriminelle Elemente mitfinanziert und sie im Jürgen Gansel, NPD: Bitte sehr. sogenannten Bündnis „Dresden für Demokratie“ ganz Präsident Erich Iltgen: Bitte, Herr Dulig. offen mit dem linksradikalen Narrensaum von KPD und DKP paktiert, verprellt die Union auch in Sachsen endgül- Martin Dulig, SPD: Wenn Sie angeblich immer mehr tig ihre rechtskonservativen Wähler. Wie mein Kollege werden und wenn die Politik der von Ihnen so gescholte- Apfel schon in Erinnerung rief, haben bereits vor zwei- nen etablierten Parteien dazu beiträgt, dass immer mehr in einhalb Jahren bei der Landtagswahl 40 000 rechtskon- Ihren Schoß kommen, warum regen Sie sich dann eigent- servative Wähler der CDU den Rücken gekehrt und ihre lich immer auf? neue politische Heimat in der NPD gefunden.

Jürgen Gansel, NPD: Wir als NPD regen uns deswegen Lehnen also auch Sie von der Union unseren Antrag ab! darüber auf, weil die selbst ernannten Demokraten Es wird Ihnen mehr schaden als uns. (Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) (Beifall bei der NPD) sich mit ihrem steuerfinanzierten Gebaren als die wahren Präsident Erich Iltgen: Wird von den Fraktionen noch Antidemokraten entlarven. das Wort gewünscht? – Ich frage die Staatsregierung. – Dann bitte das Schlusswort. Herr Apfel. Wir werden immer mehr, und das freut uns auch, und Ihre Aktivitäten leisten uns dabei eine von Ihnen ganz sicher (Zuruf von der SPD: Noch so ein Demagoge! – nicht gewollte Hilfestellung. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Er kann es auch bleiben lassen, er muss ja nicht reden! – (Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD) Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD) Um zu dem Befund zu kommen, dass wir immer mehr werden, muss man nicht einmal die aktuellen Studien des Holger Apfel, NPD: Herr Präsident! Meine Damen und Soziologen Wilhelm Heitmeyer gelesen haben, die wir in Herren! Sie können sicher sein, wir wären nicht böse, der Fraktion aber selbstverständlich mit großer Freude wenn wir uns Anträge wie diesen heute zur Debatte studiert haben. Ein Beispiel aus dem Leben lieferte in stehenden ersparen könnten. Können wir aber nicht, da

5767 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 der Alltag in Sachsen immer wieder neue Beweise liefert, ihnen die Ausübung ihres Versammlungsrechts unmöglich wie stark Hetze, Ausgrenzung und tätliche Gewalt gegen zu machen oder sie vom öffentlichen Diskurs fernzuhal- volkstreue Deutsche inzwischen den öffentlichen Raum ten, indem vorsorglich Wirte und Hoteliers scheinheilig vergiften. eingeschüchtert werden. Wie stellt sich die Staatsregie- Die NPD hat bereits ausführlich dokumentiert, in wel- rung zu alledem? Ist dieser Zustand mit dem Anspruch chem Ausmaß linksextreme Gewaltgruppen mit öffentli- eines Rechtsstaates vereinbar? Finden Sie es in Ordnung, chen Geldern unterstützt werden und in welchem Ausmaß dass mit staatlichen Mitteln laufend Aktionen krimineller sich gar gewählte Abgeordnete dieses Hauses mit krimi- Minderheiten gegen eine Landtagspartei subventioniert nellen Gewalttätern verbünden. Die NPD hält dieses werden? Gebaren nicht nur für fragwürdig, sie hält es für rechts- Das, meine Damen und Herren, würde meine Fraktion, widrig. Das betrifft nicht nur die missbräuchliche Ver- aber sicherlich auch viele Bürger – zumindest jene wendung öffentlicher Mittel für den Gesinnungskampf 191 000, die ihr Kreuz bei der NPD gemacht haben – gegen eine legale Partei; es betrifft auch die Mitwirkung brennend interessieren; und deshalb hätten wir gern auch der Kommunen bei solchen Aktivitäten, die sich nach dafür eine Erklärung, eine Erklärung, damit wir künftig unserem Rechtsverständnis jedweder Aktionen zur Aus- klarer sehen, ob wir es eigentlich in Sachsen wirklich grenzung und Diffamierung politischer Konkurrenz zu noch mit einem Rechtsstaat zu tun haben oder ob wir enthalten haben. nicht längst in einer totalitären Gesinnungsdiktatur Das alles ist an sich nichts Neues. Wir haben unsere angekommen sind. Position zum sogenannten Landesprogramm „Weltoffenes Herzlichen Dank. Sachsen“ schon öfter bekundet und wir werden das (Beifall bei der NPD – Zuruf des Abg. Karl Nolle, künftig ebenfalls tun, wann immer es einen Grund dafür SPD – Gegenruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD) gibt. Nur, das kann es natürlich nicht gewesen sein, meine Damen und Herren. Deshalb wollen wir von der Staatsre- Präsident Erich Iltgen: Meine Damen und Herren! Ich gierung konkret wissen – und es ist bezeichnend, dass sie stelle nun die Drucksache 4/7612 zur Abstimmung. Wer sich mal wieder feige heraushält –, wie sie zur ständigen der Drucksache zustimmen möchte, den bitte ich um das Verletzung der Rechte politisch Andersdenkender in Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält diesem Lande steht, zur ständigen Aufforderung, Strafta- sich der Stimme? – Bei wenigen Stimmen der Zustim- ten gegen Patrioten zu begehen, mung ist diese Drucksache mit großer Mehrheit abgelehnt (Zurufe von der SPD) worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 10 beendet. Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 11 – Keine Unterzeichnung des Glückspielstaatsvertrages Drucksache 4/7614, Antrag der Fraktion der FDP – Sofortige Aussetzung der Entscheidung über den Abschluss des „Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland“ Drucksache 4/7185, Antrag der Linksfraktion.PDS

Die Fraktionen können dazu Stellung nehmen. Es beginnt gleichen Thema vor. Damals wurde die Dringlichkeit die Fraktion der FDP. Danach Linksfraktion.PDS, CDU, abgelehnt und der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, NPD, FDP, GRÜNE und Staatsregierung, wenn Union, Herr Lehmann, begründete dies damit, dass die gewünscht. Frage des Glückspielstaatsvertrages auch ohne den PDS- Antrag im Geschäftsgang sei. Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte die Fraktion der FDP, das Wort zu nehmen. Herr Dr. Martens, bitte. „Wir haben“, so Herr Lehmann, „dazu im Wirtschaftsaus- schuss im I. Quartal 2007 eine Anhörung anberaumt und Dr. Jürgen Martens, FDP: Sehr geehrter Herr Präsident! Sie sind eingeladen, sich daran zu beteiligen.“ Meine Damen und Herren! Mit dem heutigen Entschlie- ßungsantrag der FDP möchten wir erreichen, dass die Damit meinte er uns alle. Die Anhörung aber – das lassen Unterzeichnung des Staatsvertrages zum Glücksspielwe- Sie mich bitte anfügen – macht nur dann Sinn, wenn der sen in Deutschland von der Sächsischen Staatsregierung Ministerpräsident bis zu diesem Zeitpunkt nicht bereits zunächst ausgesetzt wird. Die Gründe dafür sind vielfäl- seine Unterschrift unter den Staatsvertrag gesetzt hat. tig. Einer davon ist ein rein zeitlicher Grund. Bei der Eine Anhörung post factum würde ihren Zweck verfehlen. letzten Landtagssitzung im Dezember 2006 lag ein Das könnten wir uns dann sparen. Dringlichkeitsantrag der Linksfraktion.PDS zu dem (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Richtig!)

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Die Regierungschefs der Länder haben am 13. Dezember Dann passiert noch etwas ganz Seltsames: Nordrhein- des letzten Jahres mit 15 gegen eine Stimme den Entwurf Westfalen verkauft sein Internetangebot und macht es zu des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland Geld. Anders Sachsen. Während Nordrhein-Westfalen zustimmend zur Kenntnis genommen. Sie haben nicht nur 20 Millionen Euro für dieses Internetangebot, diese den Staatsvertrag zustimmend zur Kenntnis genommen; Plattform erlöst hat, ist in Sachsen überhaupt nichts sie haben auch einige andere Verabredungen getroffen, passiert. Man macht einfach dicht, und das war es, wäh- zum Beispiel, was Sachsen zu tun hätte mit dem hier rend Niedersachsen inzwischen über einen Privaten das ansässigen Glücksspielwesen und wie sich die Länder Internetangebot wieder aufgemacht hat. gegenseitig die Lasten aufteilen, das heißt, den Schaden- Meine Fraktion, meine Damen und Herren, sieht immer ersatz ausgleichen, wenn das Ganze in die Hose gehen deutlicher, dass hier die falschen Entscheidungen getrof- sollte. Das ist auch gleich in der Protokollnotiz festgehal- fen werden und dass die Entscheidungen, die beim ten worden. Aber, nun gut. Das ist ein anderes Problem. Staatsvertrag getroffen werden, außerdem noch rechtlich Darauf werden wir sicherlich noch im Einzelnen kom- fraglich sind. Bereits die europarechtliche Seite ist mehr men, wenn es soweit ist, nämlich dann, wenn die Scha- als schwierig. denersatzklagen wegen des bisherigen Vorgehens gegen private Sportwettenanbieter vorliegen. Es gibt ein Schreiben der Kommission vom 04.04.2006 an die Bundesregierung, in dem diese aufgefordert wird, Meine Damen und Herren! Es ist ein Gebot der politi- innerhalb einer gesetzten Frist Stellung zu nehmen, wie schen Fairness, zu dem Antrag die Anhörung im sie die Vereinbarkeit des strafrechtlichen Schutzes des Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr am staatlichen Wettmonopols mit Artikel 49 des Gemein- 2. März 2007 abzuwarten, bevor die Staatsregierung schaftsvertrages bewerten will. Dazu schreibt die durch die Unterzeichnung des Staatsvertrages über das Kommission: „Nach ständiger Rechtsprechung des Glücksspielwesen vollendete Tatsachen schafft. Der Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft schreibt Staatsvertragsentwurf, der ein striktes Staatsmonopol im Artikel 49 EGV des Vertrages die Aufhebung von Glücksspielangebot insgesamt beinhaltet, wirft allerdings Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit vor. Alle auch inhaltlich – das haben wir hier wiederholt zum Maßnahmen, die die Ausübung solcher Freiheiten unter- Ausdruck gebracht – erhebliche Bedenken auf. Sie sind binden, die sie behindern oder weniger attraktiv machen, verfassungsrechtlicher, kartellrechtlicher und europarecht- müssen als solche Beschränkungen angesehen werden. licher Art. Sie sind gegenüber Artikel 49, der die Dienstleistungs- Das ist nicht nur die Meinung der FDP, die ich hier freiheit garantiert, vertragswidrig.“ wiedergebe. Der Ministerpräsident des Landes Schleswig- Das ist die Position der Kommission. Aber dieser Staats- Holstein, bekanntermaßen Mitglied der Christlich- vertragsentwurf will das weiter festschreiben. Das ist nun Demokratischen Union Deutschlands, hat dem Entwurf harter Tobak. Hier wird sehenden Auges in einer Situati- auch nicht zugestimmt. Nach Äußerungen anderer on, in der die Kommission bereits den Finger auf den schleswig-holsteinischer Landtagsabgeordneter ist damit Punkt gelegt hat, noch einmal Gas gegeben, und zwar in zu rechnen, dass auch die Landesregierung Schleswig- die falsche Richtung. Hinterher sitzen Sie dann da und Holstein dem Staatsvertrag die Zustimmung verweigern jammern, wenn das ganze Ding vor den Baum gefahren wird. Unterschreibt Schleswig-Holstein den Vertrag nicht, ist. Die Kosten darf dann der Steuerzahler zahlen, zwar dann wird der Staatsvertrag in 15 von 16 Bundesländern möglicherweise aufgeteilt zwischen den einzelnen Bun- gelten. Eine Konsequenz hieraus könnte bereits sein, dass desländern, aber nichtsdestotrotz: Sie fahren hier, wenn bwin seinen Geschäftssitz von Neugersdorf in Sachsen Sie das unterzeichnen, sehenden Auges in eine Situation, nach Schleswig-Holstein verlegt. die für alle Beteiligten letztlich nur noch mit Schaden (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Ja!) endet und die dem Anliegen einer Sportförderung wenig dienlich ist. Dann wäre das Vorgehen der Sächsischen Staatsregierung in dieser Frage das, was man ein klassisches Eigentor So viel zur ersten Runde. Deswegen bitten wir um Zu- nennt stimmung zu unserem Antrag auf Aussetzung der Unter- zeichnung des Staatsvertrages. (Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS) Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Linksfrakti- – und das in einer Region mit knapp 20 % Arbeitslosig- on.PDS das Wort. Dr. Hahn, bitte. keit. Das ist dann schon eine bemerkenswerte Ignoranz. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Herr Präsident! Das Vorgehen der Bundesländer in Sachen Glücksspiel ist Meine Damen und Herren! Innerhalb des letzten Jahres insgesamt wenig durchdacht, aber es ist abgestimmt. Das befasst sich der Sächsische Landtag nun bereits zum zeigt auch der Fall des Internet-Spielbetriebes. So hat das dritten Mal mit der Thematik Sportwetten bzw. Glücks- Bundeskartellamt die Länder im November aufgefordert, spielstaatsvertrag. Wenn ich mir die bisherige Haltung der die Angebote bundesweit zu öffnen. Und was machen die Staatsregierung und der Koalitionsfraktionen ansehe, Länder? Sie schließen die Angebote ganz einfach. dann befürchte ich, es wird auch nicht das letzte Mal sein, dass wir uns damit beschäftigen müssen.

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Im Juni 2006 hatten wir das Thema erstmals auf der bedroht wäre. Auch deshalb halten wir die Forderung der Tagesordnung des Landtages. Einige Wochen später ging FDP nach einer generellen Liberalisierung des Wettspiel- es dann vor allem um die Verbotsverfügung des Sportwet- betriebes für absolut kontraproduktiv. Gefährdet werden tenanbieters bwin im ostsächsischen Neugersdorf. Wir dadurch nicht nur zahlreiche Arbeitsplätze, sondern auch haben das für unverständlich, unnötig und auch rechtlich erhebliche Einnahmen der Länder. äußerst fragwürdig gehalten. Auf drohende Schadener- Lassen Sie mich auch hier die entsprechenden Zahlen satzforderungen ist eben bereits hingewiesen worden. Wir noch einmal wiederholen. Die 16 Bundesländer haben haben deshalb von Anfang an das Anliegen der FDP- derzeit Einnahmen aus Steuern, Abgaben und Gewinnaus- Fraktion unterstützt, endlich Rechtssicherheit für die schüttungen bei Lotto, Sportwetten und anderen Glücks- existierenden und auch für künftige Veranstalter von spielen von jährlich etwa 5 Milliarden Euro. Ein wesentli- Sportwetten zu schaffen. An dieser Haltung hat sich cher Teil dieser Gelder wurde bislang zur Finanzierung natürlich nichts geändert. von Aufgaben in den Bereichen Kultur, Jugend, Sportför- Wir alle kennen das Urteil des Bundesverfassungsgerich- derung und Wohlfahrtspflege verwendet, die bei Wegfall tes vom 28. März 2006. Die Entscheidung der Karlsruher der Zuschüsse in vielen Fällen nicht mehr sichergestellt Richter betrifft eben nicht nur Sportwetten, sondern werden könnten. letztlich den gesamten Lotto- und Totobereich. Sie kann Von daher sind die Einnahmen aus dem Wettspielbetrieb auch erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die Länder für die Länderhaushalte unverzichtbar und ein weitgehen- haben. Nach dem Entscheid von Karlsruhe muss bis zum der Erhalt des staatlichen Monopols ist deshalb aus 31. Dezember dieses Jahres Klarheit hergestellt sein, sei unserer Sicht geboten. Allerdings – diesen Punkt will ich es über eine gesetzliche Regelung durch den Deutschen noch einmal betonen – sollte es für jene Unternehmen, die Bundestag oder eben über einen Staatsvertrag der Länder. auf der Grundlage von DDR-Lizenzen aus der Wendezeit Von daher haben wir im Zuge der Selbstbestimmung nicht bereits vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes grundsätzlich etwas gegen einen Staatsvertrag. Entschei- existiert haben, einen dauerhaften Bestandsschutz geben. dend ist aber natürlich, wie dieser ausgestaltet ist und was die Bestimmungen konkret beinhalten. Dies gilt umso mehr, als auch diese Anbieter in den zurückliegenden Jahren durchaus ihren Beitrag für das Mit den im vorliegenden Fall beabsichtigten Regelungen Gemeinwohl geleistet haben. Allein bwin gab im haben wir erhebliche Probleme; zum Teil sicherlich Jahr 2005 rund 25 Millionen Euro für Werbung und andere als die FDP. Im Ziel, den jetzt vorliegenden Sponsoring aus. Der Etatansatz für 2006 lag bei Entwurf für den Staatsvertrag zu verhindern und das 56 Millionen Euro. Durch die Verbotsverfügung des förmliche Ratifizierungsverfahren zu stoppen, sind wir Freistaates war dann allerdings die tatsächlich ausgeschüt- uns mit den Liberalen aber einig. tete Summe deutlich geringer. Leidtragende waren Anders als die FDP-Fraktion wollen wir allerdings das Hunderte Amateursportvereine, die eingeplante und staatliche Monopol für das Wettspiel nicht grundsätzlich dringend benötigte Zuwendungen dadurch nicht erhalten zu Fall bringen und die potenziellen Kunden den diversen haben. Auch deshalb muss das Verbot schnellstmöglich privaten Anbietern zuführen, sondern wir wollen bei zurückgenommen und darf nicht noch via Staatsvertrag Erhalt des staatlichen Monopols Ausnahmeregelungen nachträglich sanktioniert werden. und Öffnungsklauseln zulassen, die nicht zuletzt den (Beifall der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion.PDS) Erhalt derjenigen privaten Anbieter ermöglichen, die aufgrund fortbestehender Lizenzen aus DDR-Zeiten Die Linksfraktion.PDS, meine Damen und Herren, hatte – Sportwetten in Deutschland anbieten dürfen. Dazu gehört Herr Martens hat darauf hingewiesen – bereits im De- eben auch die bereits mehrfach erwähnte Firma bwin. zember in einem Dringlichen Antrag gefordert, die Be- Wir können derzeit nicht erkennen, dass durch die im schlussfassung über den Staatsvertrag auszusetzen und Entwurf des Staatsvertrages enthaltenen Bestimmungen Neuverhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen, die nicht die uneingeschränkte Fortexistenz von bwin und damit nur von Schleswig-Holstein geäußerten schwerwiegen- der Erhalt der rund 60 Arbeitsplätze in Neugersdorf den, auch verfassungsrechtlichen Bedenken auszuräumen. gesichert werden kann. Das Gegenteil ist der Fall. Des- Dieser Antrag kam durch Mehrheitsentscheid der Koaliti- wegen lehnen wir den Staatsvertrag in der gegenwärtigen on unter Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Landta- Fassung eindeutig ab. ges leider nicht auf die Tagesordnung, sodass es keine Möglichkeit mehr gab, die Abstimmung zum Vertragstext (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) in der Ministerpräsidentenkonferenz am 13. Dezember Meine Damen und Herren! Es geht auch nicht allein um noch zu verhindern. Arbeitsplätze in Sachsen. Denn bundesweit gibt es derzeit Unser Antrag ist gleichwohl nach wie vor ebenso aktuell etwa immerhin 25 000 Lottoannahmestellen mit den wie jener der FDP. entsprechenden Arbeitsplätzen. Bereits vor einem halben Eine förmliche Unterzeichnung des Glücksspielstaatsver- Jahr habe ich darauf hingewiesen, dass bei Aufgabe des trages muss verhindert werden, und zwar nicht nur wegen staatlichen Monopols – wie es die FDP fordert – nahezu inhaltlicher Differenzen, sondern auch aus grundsätzli- jede zweite dieser Annahmestellen von Schließung chen politischen Erwägungen. Der Vertragsentwurf sieht

5770 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 offenkundig immer noch vor, dass der Staatsvertrag (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: mit Bindungswirkung für alle Vertragsparteien zum Stimmt ja nicht!) 1. Januar 2008 auch dann in Kraft treten soll, wenn bis Es hat die bundesdeutschen Landesfürsten aufgefordert, dahin nach entsprechender Beschlusslage in den Landta- den Staatsvertrag zum Glücksspiel neu zu fassen. Das gen lediglich 13 Ratifizierungsurkunden hinterlegt sind. Gericht erklärt: „Der Gesetzgeber ist gehalten, den Be- Das bislang übliche Einstimmigkeitsprinzip soll hierbei reich der Sportwetten bis zum 31. Dezember 2007 neu zu offenbar ausgehöhlt werden. Dies lehnen wir entschieden regeln. Ein verfassungsgemäßer Zustand kann sowohl ab. Wir wollen auch keinen Präzedenzfall zulassen, der durch eine konsequente Ausgestaltung des Wettmonopols letztlich den Einfluss aller Landtage in Deutschland erreicht werden, die sicherstellt, dass es wirklich der schwächen würde. Wir als Linksfraktion wollen dies Suchtbekämpfung dient, als auch durch eine gesetzlich nicht, und eigentlich dürfte dem auch keine andere demo- normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher kratische Fraktion zustimmen. Veranstaltungen durch private Wettunternehmen.“ Die Ich fasse zusammen: Der vorliegende Glücksspielstaats- Ministerpräsidenten von 15 Ländern haben diesen Auftrag vertrag ist sowohl aus inhaltlichen als auch aus verfas- angenommen und einen neuen Staatsvertrag entworfen. sungsrechtlichen Gründen nicht beschlussreif. Er muss Inhalt des Vertrages: Das Monopol bleibt. grundlegend überarbeitet und darf demzufolge nicht durch Die Wettlobby sieht das natürlich anders: Das Monopol den Ministerpräsidenten unterzeichnet werden. Der muss weg. Private Wettanbieter mobilisieren alle Res- Verfassungsauftrag von Georg Milbradt ist, Schaden vom sourcen, um den Staatsvertrag doch noch zu kippen. Von Freistaat Sachsen abzuwenden, und nicht, neuen Schaden der FDP und ihrem Vorsitzenden, Guido Westerwelle, zu verursachen. Deshalb werden wir dem Antrag der bekommen sie dabei politische Schützenhilfe. Für FDP-Fraktion zustimmen. Westerwelle ist es klar: Die Sportwettendiskussion ist Zugleich werbe ich für die Annahme unseres Antrages, eine Frage der Weltanschauung. Auf einem FDP-Forum in der in seinen Grundzügen unverändert aktuell ist und in Berlin erklärt er: „Sollen bloß, weil einige Probleme mit den Punkten 2 und 3 zudem deutlich über die Forderun- dem Wetten haben, gleich alle darauf verzichten?“ Ich gen der Liberalen hinausgeht. Beide Anträge ergänzen denke, die Frage ist berechtigt. Sie ist auch Kern des sich und es sollten daher auch beide angenommen wer- Urteils des Bundesverfassungsgerichtes. Die Frage des den. Wettmarktes ist demnach eine Frage zwischen persönli- Herzlichen Dank. cher Freiheit und dem Schutz vor Spielsucht. (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Sie, verehrte Kollegen von der FDP, haben die Antwort wahrscheinlich bereits gefunden und lesen jetzt munter in Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion der CDU Ihren Zeitungen. Nicht, Herr Dr. Martens? Das zeigt auch das Wort. Herr Rohwer, bitte. Ihr Antrag. Ihnen geht es um die Wirtschaft und daher fordern Sie den Ministerpräsidenten auf, den Staatsvertrag Lars Rohwer, CDU: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine zum Glücksspiel nicht zu unterzeichnen. Negative Folgen sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Dresden im des Wettens? Kennen Sie nicht. Spielsucht? Laut Ihrem Juni 1788: Dem Landesfürsten reicht es – – Parteichef ist das nur ein Problem von Wenigen – ver- (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: nachlässigbar, unbedeutend. Da ist die CDU, ja!) Ist es wirklich so einfach? Nein, natürlich ist es nicht so einfach. Vor 300 Jahren war das Glücksspiel in Sachsen – Manchmal ist es gut, in die Geschichte zu schauen, Herr wegen der negativen Folgen verboten. Heute ist es wegen Dr. Hahn. Hören Sie doch erst einmal zu. der negativen Folgen begrenzt erlaubt. Aber im Gegensatz Dem Landesfürsten reicht es; schon mehrmals hat er das zum kurfürstlichen Sachsen erkennt der Freistaat Sachsen Würfeln und Kartenspielen in den Wirtshäusern seiner an, dass er den Menschen nicht vorschreiben kann und Residenz verboten. Geändert hat sich nichts. Die Landes- will, was die Menschen mit ihrem Geld – abgesehen von kinder würfeln munter weiter und spielen sich teilweise Steuern und Abgaben – tun. Auch er fühlt sich wie der um Haus und Hof. Das ist schlecht für das Land und sächsische König verpflichtet, die negativen Folgen zu daher schlecht für den sächsischen Landesherrn. Die begrenzen. Allerdings wird diese Pflicht des Landesvaters Landesherrschaft scheint gegen Windmühlen zu kämpfen dadurch versüßt, dass das Glücksspiel den Staatssäckel und versucht am 18. Juni 1788 mit der Veröffentlichung füllt. neuer Strafen und der Ausschreibung von Belohnungen Heute zählen also drei Punkte: erstens die Freiheit des für das Anzeigen von Glücksspielen einen neuen Anlauf. Einzelnen, zweitens der Schutz des Einzelnen vor den Viel gebracht hat das dann auch nicht. Folgen des Glücksspiels und drittens die Steuereinnahmen Auch 300 Jahre später muss sich der sächsische Landes- des Staates. Eines dieser Elemente finde ich in Ihrem vater mit dem Glücksspiel auseinandersetzen. Im Antrag nicht, liebe Kollegen von der FDP: die Verantwor- März 2006 hat das Bundesverfassungsgericht erklärt: tung des Staates für den Schutz des Einzelnen. Kein Wort Rien ne va plus – nichts geht mehr. dazu.

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Ist es wirklich so einfach? Nein, wie für Ihren Parteivor- Ministerpräsidenten, nach wie vor so wichtig. Hier sitzenden ist die Frage der Sportwetten auch für uns eine erarbeiten wir uns die Grundlage dafür, unter Berücksich- Frage der Weltanschauung. Aber im Gegensatz dazu tigung aller Faktoren die richtige Entscheidung zu treffen. betrachten wir alle drei politischen Elemente des Glücks- So ist es hier in Sachsen und in allen anderen Bundeslän- spiels: Schutz der Freiheit des Einzelnen, Schutz des dern, deren Ministerpräsidenten bereits den Füller gezückt Einzelnen und die wirtschaftlichen Folgen. Es mag sein, haben. dass eine Liberalisierung des Wettmarktes Arbeitsplätze Schließlich fünftens. Es ist bei aller Bedeutung des schafft und Steuern bringt. Studien wie die des Ifo- Parlamentes verfassungsrechtlich problematisch, das Institutes behaupten das. Aber auf welcher Grundlage und Handeln eines Ministerpräsidenten von einer Ausschuss- aus welchem Blickwinkel kommen Studien zu diesem anhörung abhängig zu machen. Genau das fordern Sie ja Ergebnis? Aussagen über die volkswirtschaftlichen in Ihrem Antrag. Auf ein solches abenteuerliches Glücks- Folgen der Spielsucht sucht man hier vergebens. Daten spiel lassen wir uns als Koalition nicht ein. Daher lehnen zur Spielsucht werden erst gar nicht in die Analyse der wir Ihren Antrag ab. volkswirtschaftlichen Kennzahlen einbezogen; dabei liegen sie vor. Doch nun noch zum Antrag der Linksfraktion.PDS. In einer Umfrage unter Wettspielern fand beispielsweise (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: das Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politik- Der ist richtig!) beratung heraus, dass 16 % der Spieler für circa ein Auch den werden wir aus den genannten Gründen ableh- Drittel der getätigten Einsätze verantwortlich sind. Genau nen, vor allem, nachdem Herr Dr. Hahn gerade eben dieser Anteil besaß die Merkmale, die nach geltenden wunderbare Pirouetten gedreht und gesagt hat, dass er der Standards Spielsucht definieren. Wie gehen wir damit FDP inhaltlich nicht zustimmt. Aber trotzdem stimmen um? Welche Folgen hat das für die Neugestaltung des Sie dem Antrag der FDP zu. Das war spannend. Wettmarktes? Das alles sind Fragen, die in der Anhörung im März geklärt werden können; Fragen, die neben den Überhaupt, werte Kollegen von der Linksfraktion.PDS, positiven Effekten auch die negativen Folgen des Wett- warum treten Sie ausgerechnet jetzt so auf die Bremse? marktes berücksichtigen; Fragen einer Anhörung, die Bislang stimmten Sie, Herr Dr. Hahn – das haben Sie nach Meinung von FDP und PDS ein totgeborenes Kind gerade noch einmal wiederholt –, doch dem Staatsmono- ist. pol zu, (Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Linksfraktion.PDS) Ja, aber bwin soll auch bleiben!) Ein totgeborenes Kind: Mit der Unterzeichnung des so auch in der 59. Sitzung des Landtags, in der Sie von Staatsvertrages, würde der Ministerpräsident vollendete der Staatsregierung schnellstmöglich eine klare und Tatsachen schaffen – so der Tenor des FDP-Antrages. handhabbare gesetzliche Regelung fordern. (Zuruf des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP) (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Ja, aber mit bwin!) Wo ist das Problem? Erstens. Staatsverträge werden von Regierungen ausgehandelt und den Parlamenten zur Heute geht es Ihnen auf einmal viel zu schnell. Heute Ratifizierung vorgelegt. So funktioniert Demokratie und haben Sie Bedenken. Dass aber vor dem Bundesverfas- so funktioniert es auch in Sachsen, Herr Dr. Martens. sungsgericht ein klares Datum für eine gesetzliche Rege- lung gesetzt wurde, nämlich Ende 2007, scheint für Sie Zweitens. Die Regierung hat die Pflicht, bei der Vorberei- keine Rolle zu spielen. Deswegen frage ich mich schon, tung eines solchen Vertrages diesen umfassend zu prüfen. ob Sie wirklich in der Diskussion noch so frei sind und ob Das ist auch erfolgt. Gerade wegen der laufenden Rechts- Sie wirklich wissen, was Sie wollen. verfahren und der sich ändernden technischen Wirklich- keit ist die Befristung des Staatsvertrages auf vier Jahre Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der sächsische Landes- aufgenommen worden. vater besaß vor 300 Jahren nur eine Handvoll von Bera- tern – kein Wunder, dass er das Glücksspiel und die damit Drittens. Dass Sie von der FDP mit dem Inhalt des Staats- zusammenhängenden Probleme nicht in den Griff bekam. vertragsentwurfes ein politisches Problem haben, ist uns Der sächsische Landesvater von heute hat das Glück und allen bekannt. Aber unser Ministerpräsident steht nun auch das Privileg, seine Vorstellung vor einem Parlament einmal unter Zugzwang, in diesem Jahr eine Neuregelung zu präsentieren, um eine gemeinsame Lösung zu finden. des Staatsvertrages zu verabschieden. Dass die Staatsre- Warten wir also ab, bis es so weit ist. In Finanzfragen ist gierung hier rechtzeitig tätig wird, ist ihre verdammte es immer schon gut gewesen, auf Georg Milbradt zu Pflicht und Schuldigkeit. setzen. Viertens. Die Staatsregierung ist außerdem verpflichtet, Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. uns als Parlament ausführlich darzulegen, warum dieser Staatsvertrag notwendig ist. Aus diesem Grund ist die (Beifall bei der CDU) Anhörung im März, unabhängig von der Unterschrift des

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Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion der SPD Ich möchte der Einfachheit halber darauf verweisen, dass das Wort. Herr Brangs, bitte. man das im Internet nachlesen kann. Dort sind meine Reden nachzulesen, und wir haben an dieser Stelle Zeit Stefan Brangs, SPD: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen gespart. und Kollegen! In der Tat ist das schon eine etwas seltsame Angelegenheit. Wir haben mehrfach über dieses Thema Zweiter Hinweis. Sie sprechen davon, dass heute eine debattiert. Kollege Martens hat es ja durchaus richtig Entscheidung gefällt werden müsse, weil sonst Ihr Antrag dargestellt. Es gab Anträge im Juni, den FDP-Titel zur Anhörung im Wirtschaftsausschuss im März überflüs- „Rechtssicherheit für Veranstalter von Sportwetten“, es sig sei. Das ist Ihre Entscheidung, wie Sie mit der Anhö- gab im September einen Antrag „Hintergründe des Verbo- rung umgehen. Ich hatte bisher angenommen, dass es tes von privaten Sportanbietern durch sächsische Behör- nicht ausschließlich um eine sofortige Aussetzung der den“. Jetzt der dritte Antrag. Entscheidung zum Glücksspielvertrag geht. Ihr Antrag geht da weiter. Ich hatte bisher angenommen, dass Sie Dieses Mal ist dieser Antrag allerdings noch gemeinsam, Interesse an dieser Anhörung haben, Sie haben sie ja fast kann man sagen, mit der Linksfraktion.PDS einge- selbst gewollt. Wenn Sie sagen, dass Sie sie nicht mehr bracht, die sich jetzt klar dazu bekannt hat, dass sie der wollen, dass sie nicht mehr nötig ist, dann sollten Sie Auffassung ist, beiden zustimmen zu müssen. Ich habe in diese zurückziehen, und wir haben mehr Zeit für andere meinen letzten Reden immer den Hinweis darauf ge- Dinge in der Anhörung. Insofern ist das Ihre und nicht bracht, dass es ja eine enge Verquickung zwischen bwin unsere Entscheidung, und uns das vorzuwerfen halte ich und der FDP gibt. Es gibt eine Reihe von Veranstaltungen, für etwas konstruiert. die von bwin gesponsert werden. Ich muss jetzt feststel- len, dass scheinbar auch die Linksfraktion.PDS Interesse Ein dritter Hinweis. Sie haben es selbst schon gesagt, dass daran hat, dass sie zu Veranstaltungen mit bwin kommt. es eine Reihe von Regierungschefs gibt, die bereits erklärt haben, dass sie einem solchen Entwurf zustimmen wollen. (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Es ist hier von 15 Stimmen die Rede. Was mir noch Wir können auch Geld brauchen!) einmal wichtig erscheint, ist die Tatsache, dass unter den – Ich kann ja verstehen, dass Sie Geld brauchen können. Bundesländern, die bereits zugestimmt bzw. Zustimmung signalisiert haben, drei Länder sind, in denen die FDP an Präsident Erich Iltgen: Gestatten Sie eine Zwischenfra- der Landesregierung beteiligt ist: Das sind Baden- ge, Herr Brangs? Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Diese Länder haben den Entwurf des Staatsvertrages Stefan Brangs, SPD: Ja, natürlich. schon formulierend und zustimmend zur Kenntnis ge- nommen. Sven Morlok, FDP: Kollege Brangs, Sie haben gesagt, dass es eine Reihe von Veranstaltungen der FDP gäbe, die Insofern denke ich, dass die Argumente ausgetauscht sind. von bwin gesponsert würden. Könnten Sie diese bitte Ich habe etwas zur Steuerungsfunktion des Staates in aufzählen? dieser Frage gesagt, auch zur Verpflichtung des Staates, zur sozialverantwortlichen Verpflichtung, die es gibt. Ich Stefan Brangs, SPD: Das kann ich gerne tun. Es gibt auf bin in der Tat der Auffassung, dass der Staat, gerade was Bundesebene eine Veranstaltungsreihe, zu der Guido die Spielsucht anbelangt, hier wesentlich unabhängiger Westerwelle eingeladen hat. Diese ist auf einem Papier agieren kann als betriebswirtschaftlich organisierte gedruckt worden, auf dessen Rückseite der Hinweis auf Rechtsformen, die natürlich zur Gewinnmaximierung bwin enthalten ist. Im Eingangsbereich zu diesen Veran- auch sinnhafter- und notwendigerweise ihre Ziele formu- staltungen zu Fragen des Wettmonopols ist der Anbieter lieren. bwin als Mitveranstalter aufgetreten. Beim letzten Mal Ein Punkt, der immer wieder zu kurz kommt. Es gibt ja hatte ich es dabei; ich kann es Ihnen gern geben, ich eine klare Zahl, die im Raum steht: Das sind die brauche es nur aus meinem Büro zu holen. 550 Millionen Euro, die aus diesen Einnahmen für den Präsident Erich Iltgen: Gestatten Sie eine weitere Breitensport und den Leistungssport der Länder durch den Zwischenfrage? Bund zur Verfügung stehen. Hier gibt es eine klare Ansa- ge. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es weitere Sport- Stefan Brangs, SPD: Nein. anbieter gibt, die außerhalb des staatlichen Wettmonopols Wenn man sich diesen erneuten Versuch ansieht, muss stehen und bereit sind, diese Verpflichtung ebenfalls man sich wahrscheinlich nur darüber wundern, warum die einzugehen. Ich kann mir natürlich noch besser vorstellen, FDP erneut hier zu Felde zieht. Ich habe die Verstrickun- dass sie noch etwas mehr drauflegen. Wenn es diese gen und Zusammenhänge dargestellt, will aber auch mit Verpflichtungserklärung gäbe, könnte man sich mit der Blick auf die Zeit versuchen, noch einmal klar zu sagen, Sache noch einmal auseinandersetzen. Alle Stellungnah- dass sich an der Position der SPD, die wir hier schon men von Wettanbietern, die auch den Leistungs- und mehrfach vorgetragen haben, was auch die Frage des Breitensport fördern wollen, gehen allerdings in eine staatlichen Wettmonopols und die Frage des Staates in andere Richtung. diesem Zusammenhang anbelangt, nichts geändert hat.

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Ich glaube, dass die Argumente ausgetauscht sind. Die Anforderungen sich die Anbieter von Wettspielen zukünf- SPD-Fraktion wird die Anträge der FDP und der Links- tig zu unterwerfen haben. fraktion.PDS ablehnen. Meine Damen und Herren! Nicht jedes Wettspiel macht Schönen Dank. krankhaft spielsüchtig. So ist zum Beispiel bislang kein Fall bekannt, wonach das Lottospielen zu einer extrem (Beifall bei der CDU) psychischen Abhängigkeit geführt hat und sich als Folge Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion der NPD einer solchen Abhängigkeit eine Beschaffungskriminalität das Wort. Herr Delle, bitte. entwickelt hätte. Insofern hat eine jüngst veröffentlichte Studie, auch wenn sie vom Verband der Lottovermittler in Alexander Delle, NPD: Sehr geehrter Herr Präsident! Auftrag gegeben wurde, eine gewisse Glaubwürdigkeit. Meine Damen und Herren! Der Vorgang um den Ab- Dieser Studie zufolge ist eine krankhafte Spielsucht bei schluss des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Lottospielen nicht bekannt, wohl aber ist sie bei Geld- Deutschland macht das ganze Dilemma des bundesrepub- spielautomaten, Pferdewetten und Casinospielen nach- likanischen Politikbetriebes deutlich. Das Urteil des BVG weisbar. vom 28. März 2006 schreckt die Landesregierungen auf, Ein Werbeverbot für Wettspiele muss also differenziert weil sich das staatliche Wettmonopol in seiner bisherigen betrachtet und geregelt werden. Erst wenn diese rechtli- Form nicht weiter aufrechterhalten lässt. Hektisches chen oder konzeptionellen Fragen geklärt sind, kann man Treiben setzt in den Finanzverwaltungen ein, und binnen die Frage beantworten, ob das staatliche Wettmonopol weniger Monate wird ein neuer Staatsvertrag aus dem Hut tatsächlich weiter aufrechterhalten werden kann und gezaubert. Schnell einigt man sich, und nach acht Mona- muss. ten soll dann ein neuer Staatsvertrag endgültig unter- zeichnet sein. Für die NPD-Fraktion muss aber sichergestellt sein, dass gemeinnützige Zwecke mindestens im gleichen Umfang Das Tempo ist beeindruckend. Aber ist in dieser Frage wie bisher gefördert werden – vor allem im Breitensport wirklich eine tragfähige Lösung gefunden worden? Sind –, dass Spielsucht und problematisches Spielverhalten die Landesregierungen hier nicht Getriebene gewesen, die wirksam bekämpft und begrenzt werden, dass dem aus Angst vor Einnahmeausfällen hektische Aktivitäten Verbraucher- und Jugendschutz angemessen Rechnung entfalteten und so ein fragwürdiges staatliches Wettmo- getragen wird, dass keine Anreize für Folge- und Begleit- nopol weiter aufrechterhalten wollen? Schnelligkeit sollte kriminalität von Wettspielen geschaffen werden und dass nicht mit Handlungsfähigkeit verwechselt werden. die Arbeitsplätze, zum Beispiel von bwin, erhalten blei- Dass sich immer mehr handwerkliche und rechtliche ben. Fehler bei der Gesetzgebung bemerkbar machen, wurde Deshalb wird meine Fraktion den beiden Anträgen zu- im letzten Jahr deutlich. Bundespräsident Horst Köhler stimmen. hatte zwei Gesetzen – dem über die Privatisierung der Luftsicherheit und dem über die Verbraucherschutzinfor- Herzlichen Dank. mation – wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit (Beifall bei der NPD) die Unterschrift verweigert. Ein drittes, das Luftsicher- heitsgesetz, stoppte das BVG. Auch bei dem vorliegenden Präsident Erich Iltgen: Ich erteile der Fraktion der Staatsvertrag ist es fraglich, ob die dort getroffenen GRÜNEN das Wort; Herr Weichert, bitte. Vereinbarungen mit den verfassungs- und kartellrechtli- chen Normen vereinbar sind. Michael Weichert, GRÜNE: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen ganz knapper Redezeit nur Der neue Staatsvertrag soll zum 01.01.2008 in Kraft drei Argumente, warum wir den Anträgen zustimmen. treten. Warum also diese Eile? Es bleibt doch eigentlich ausreichend Zeit, um zum Beispiel die öffentliche Exper- Erstens. Das Mindeste, was ich von der Koalition und der tenanhörung am 2. März 2007 hier im Ausschuss für Staatsregierung in dieser Sache erwarte, ist, mit der Wirtschaft, Arbeit und Verkehr abzuwarten. Man könnte Unterzeichnung bis nach der Anhörung im Wirt- auch noch einmal über die Alternative zum staatlichen schaftsausschuss zu warten. Wettmonopol gründlich nachdenken, denn in dem Urteil (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Richtig!) des BVG haben die Verfassungsgerichte ja ausdrücklich auf die Öffnung der Märkte für private Anbieter als Alles andere ist eine Missachtung des Landtages, seiner Alternative zum staatlichen Wettmonopol hingewiesen. Gremien und unserer Arbeit. Die Voraussetzungen und Bedingungen auf dem Wett- (Beifall bei den GRÜNEN, markt haben sich stark verändert, und gerade das Internet der Linksfraktion.PDS und der FDP) hat hier eine neue Ausgangslage geschaffen. Wir sollten Wir haben es nämlich, Herr Brangs, aufgrund des Laden- grundsätzlich über einen wirksamen Mechanismus disku- schlussgesetzes vom Januar auf den März verschoben. So tieren, der die neuen technischen Möglichkeiten berück- viel Rücksicht kann man schon erwarten. sichtigt und den Zugang zum Wettmarkt kontrollieren kann und dabei klar definiert, welchen organisatorischen

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Zweitens. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus lung, durch ein anderes Modell als ein Monopolmodell dem letzten Jahr umzusetzen wird durch diesen Staatsver- würde man diese Summen nur annähernd erreichen, ist trag nicht erreicht. Kern des Urteils ist nämlich die Abwä- illusionär. gung zwischen dem Anspruch auf freie Ausübung eines (Beifall bei der CDU und der SPD) Gewerbes und dem Problem der Spielsucht. Das Bundes- verfassungsgericht hat eindeutig entschieden, dass in der Man kann der Meinung sein, dass aufgrund der techni- Güterabwägung der Schutz der Gesundheit Vorrang vor schen Möglichkeiten, insbesondere des Internets, und der wirtschaftlichem Erfolg und Freiheit hat. Das bedeutet europarechtlichen Rahmenbedingungen auf Dauer das aber eben nicht, mit dem Argument der Bekämpfung der Monopol nicht haltbar ist; aber zumindest sollte man es so Spielsucht die lästigen privaten Wettanbieter loszuwer- lange wie möglich halten – auch im Interesse gerade der den. Das ist nämlich nicht seriös; das ist Zockerei. Destinatäre, des Sports und der Kultur. Drittens. Im März wird der Europäische Gerichtshof über (Beifall bei der CDU, der SPD das grenzüberschreitende Glücksspiel entscheiden. Dann und der Staatsregierung) werden wir ein zweites Urteil in der Hand haben, um die Gesetze rund um das Glücksspiel neu zu regeln. Wer jetzt Ich kann mich – wie die FDP – auf den Standpunkt voreilig handelt, wird mehr Unsicherheit als Sicherheit stellen, Glücksspiel ist ein Gewerbe wie jedes andere; nur schaffen. Sie gehen mit diesem Staatsvertrag das Risiko sind die Vorstellungen, dann würden die staatlichen ein, dass er wertlos wird, bevor er in Kraft tritt. Einnahmen im Wesentlichen in Deutschland oder in Sachsen stattfinden, illusionär. In demselben Augenblick, Ihre Fähigkeiten, Gesetze und Verordnungen im Einklang in dem Sie den Sektor wettbewerbsmäßig organisieren, mit gültigem Recht zu gestalten halte ich inzwischen für müssen Sie nach der Dienstleistungsrichtlinie zulassen, ziemlich eingeschränkt – Herr Bundespräsident Köhler ist dass Anbieter aus dem Ausland im Inland anbieten kön- Zeuge dafür. nen. Ich wundere mich schon über die Position der NPD, (Beifall bei den GRÜNEN, der FDP und des Abg. die ständig über Europa wettert, aber offensichtlich diesen Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS) Zusammenhang nicht gesehen hat. Ich wundere mich auch über die PDS; denn wenn man ein Präsident Erich Iltgen: Wird von den Fraktionen noch staatliches Monopol machen will, kann es einem doch nur das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann die recht sein, wenn es ein Monopol ist. Ich kann aber nicht Staatsregierung; bitte, Herr Ministerpräsident. sagen, ich lasse ein paar Private zu. Prof. Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident: Herr (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Präsident! Meine Damen und Herren, insbesondere der Es gibt Bestandsschutz!) Oppositionsfraktionen! Ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Ein Blick in die Sächsische Verfassung klärt Ihre und Dann müssten Sie nämlich andere auch zulassen. Ihre meine Zuständigkeit. Ich kann den Staatsvertrag unter- Position, Herr Hahn, bedeutet: Es gibt kein Monopol. Ein schreiben, bedarf aber der Genehmigung des Landtages. „Monopol“ sozusagen mit ein paar Konzessionären, die aber nicht erweiterungsfähig sind, ist kein Monopol und (Einzelbeifall bei der CDU) würde sofort aufgehoben. Wenn Sie ein Monopol haben Diese Genehmigung des Landtages müssen Sie in Form wollen, müssen Sie schon in den sauren Apfel beißen, eines Ratifikationsverfahrens erteilen. Dieses Gesetz dass dann das andere nicht möglich ist. kommt – wenn überhaupt – frühestens im März in diesen Hier wird immer über Arbeitsplätze gesprochen: Natürlich Landtag. Sie haben also genügend Zeit, den Staatsvertrag gibt es Arbeitsplätze bei den privaten Anbietern, nur sind und das Gesetz zu behandeln, und können davon Ihre die überwiegend schon heute im Ausland, und auch die Zustimmung oder Ablehnung abhängig machen. Steuern werden überwiegend im Ausland gezahlt. Der Sitz von bwin ist in Gibraltar, die Rechenzentrale in Wien. (Beifall bei der CDU und der Staatsregierung) Was wir in Neugersdorf haben, ist im Grunde die Abwick- Die Frage, ob ich den Staatsvertrag unterschreibe, hängt lung der restlichen über die Post erfolgten Wetten. von meiner Beurteilung des vorliegenden Staatsvertrages (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: ab, ob er den Zielen Sachsens dient oder nicht. Es sind 60 Arbeitsplätze!) Ich habe den Eindruck, dass das, was vorliegt, das Beste Wenn alle übers Internet gehen, brauchen Sie Neugersdorf ist, was im Augenblick erreichbar ist. nicht. Nur, Herr Hahn, über die Arbeitsplätze, die im (Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD) Augenblick in dem System existieren – nämlich rund 3 000 –, Es ist eben gesagt worden – unwidersprochen –: Wir reden für die gesamte Bundesrepublik von Staatseinnah- (Staatsminister Dr. Horst Metz: Allein in Sachsen!) men von 4 bis 5 Milliarden Euro, die im Wesentlichen in – in Sachsen –, spricht keiner. Wenn Sie das staatliche Sport, Kultur und ähnliche gemeinnützige Zwecke flie- Wettmonopol streichen, ist die bisherige Quersubventio- ßen, auch in Sachsen. Wenn diese Gelder wegfallen, wird nierung in vielen Zigarrenläden überhaupt nicht mehr es natürlich weniger Sportförderung geben. Die Vorstel-

5775 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 möglich, und die Arbeitsplätze bei der Sächsischen Länder in vielerlei Hinsicht abhängen, sollten die Solida- Lottogesellschaft werden auch gestrichen. Wenn Sie über rität der Länder in dieser Frage nicht brechen, vor allen Arbeitsplätze sprechen, bitte ich, den Saldo richtig zu Dingen, wenn sie in unserem eigenen Interesse liegt. ziehen. (Beifall bei der CDU und der SPD) Ich kann ja, liebe FDP, Ihrer Meinung sein – ich bin es zwar nicht –, aber dann sollten Sie klipp und klar sagen, Deswegen werde ich den Staatsvertrag unterschreiben. in Ihrem Modell gibt es diese Einnahmen in Zukunft nicht Herr Dr. Hahn, im Übrigen ist auch der Beschluss gefasst mehr, weil das ein ganz normaler Wirtschaftsbetrieb ist worden – das haben Sie ganz vergessen –, ein Notifizie- wie jeder andere auch, der aufgrund der Bedingungen des rungsverfahren durchführen zu lassen, um die europa- europäischen Marktes im Wesentlichen im Ausland rechtliche Seite zu klären. Damit soll verhindert werden, stattfinden wird. dass wir einen Staatsvertrag bekommen, der zwar nach deutschem Recht gültig wäre, das heißt vor dem Bundes- (Holger Zastrow, FDP: In Schleswig-Holstein!) verfassungsgericht Bestand hätte, aber europarechtlichen Die Vorstellung, man könnte sogar mit einem liberalisier- Maßstäben – Dienstleistungsfreiheit und Wettbewerb – ten Modell mehr Einnahmen erreichen, klingt nur unter möglicherweise nicht genügen würde. zwei Bedingungen logisch: Entweder es wird noch mehr Genau daran orientieren wir uns. Die Zeit ist verdammt kassiert, also mehr für den Staat zurückgehalten – das knapp, wenn wir alle Prüfungen durchführen wollen und hieße, dass die Gewinnquoten schlechter werden müssten; wenn es noch gelingen soll, bis zum 31.12. im Sächsi- ganz im Gegenteil, wenn Sie in einem privaten Bereich schen Landtag eine Entscheidung hinzubekommen. Wenn anbieten, müssen doch die Gewinnquoten höher sein, Sie uns zumindest die Chance dazu geben wollen, dann damit die Leute zu diesen Anbietern wechseln. Oder das muss das Verfahren möglichst schnell in Gang gesetzt Zweite ist, es gelingt Ihnen, eine rasante Marktvermeh- werden; sonst hätte sich die Frage durch Zeitablauf rung durchzuführen – dann sind wir genau bei dem erledigt. Thema Spielsucht. (Beifall bei der CDU, der SPD und des Ihre Position geht also nicht auf – zumindest wenn Sie die Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE) staatlichen Einnahmen im Hinterkopf haben. Das ist die Situation. Deswegen, Herr Hahn, ist die einzige Möglich- Präsident Erich Iltgen: Wird von den Fraktionen das keit, das, was im Augenblick auf dem Tisch liegt und auf Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. das sich zumindest 15 Länder geeinigt haben, anzuneh- Dann kommen wir zu den Schlussworten. Ich bitte zuerst men und hier im Landtag zu prüfen und zu beraten, ob es die Fraktion der FDP, das Schlusswort zu nehmen. akzeptabel ist. Dr. Jürgen Martens, FDP: Herr Präsident! Meine Denn eines ist auch klar: Wird der 31.12.2007 nicht mehr Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, für eines erreicht, ist die Frage, über die wir diskutieren, eine muss ich Ihnen danken: Sie haben die Debatte auf den theoretische, weil dann Kern, auf das Wesentliche gebracht. Es war nicht mehr (Staatsminister Dr. Horst Metz: … alles weg ist!) die weinerliche Rede von Suchtprävention und den armen Menschen, die es vor dem Zocken zu schützen gelte. Sie das Monopol unwiederbringlich vorbei ist. Das ist genau haben klargemacht, worum es geht: um das Geld. das, was die FDP will: Sie möchte die Sache so weit wie möglich nach hinten schieben, ständig neue Bedenken Es geht um die Einnahmen, die die Länder – auch der machen, um auf diese Art und Weise – schlicht durch Freistaat Sachsen – aus dem staatlichen Monopol für Zeitablauf – ihr Modell zu bekommen. Lotto, Glücksspiel und Sportwetten erwirtschaften. (Beifall des Abg. Stefan Brangs, FDP – (Ministerpräsident Prof. Dr. Georg Milbradt: Holger Zastrow, FDP: Wir hätten es Für den Sport!) längst machen können!) – Für den Sport, natürlich. Jetzt komme ich zu der Frage der Solidarität der Länder Es bleibt aber dabei, dass es ein Monopol ist. Ein Mono- untereinander. Natürlich kann ich den Versuch unterneh- pol ist alles andere als zukunftsfest. Die europarechtliche men, die Gesamtheit der Länder zu schädigen, das heißt, Lage – das haben Sie selbst eingeräumt – wird dieses vier Milliarden Euro wegfallen zu lassen, um mich für Monopol schleifen. Was macht die Sächsische Staatsre- einen Judaslohn besserzustellen. Wenn die Kollegen in gierung im Verbund mit 14 von 16 anderen Landesregie- Schleswig-Holstein diesen Weg gehen wollen, so sollen rungen? Sie versucht, dieses Monopol, und sei es nur für sie das tun; ob sie damit erfolgreich sein werden, bezweif- eine letzte Minute, zu verlängern. Das ist gleichzusetzen le ich. Moralisch ist das nicht. mit Intensivstation, Zwangsbeatmung und Herz-Lungen- (Beifall bei der CDU und des Maschine. Das Arbeiten an einem Zukunftsmodell bedeu- Abg. Stefan Brangs, SPD) tet es nicht. Meine Position zu dieser Frage lautet schlicht und ein- (Beifall bei der FDP und des fach: Wir als Sachsen, die wir von der Solidarität der Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

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Es handelt sich um den Versuch, die Milchkuh bis zum Es ist absurd, eine Anhörung, die ausdrücklich das Ziel Letzten zucken zu lassen. Das wird aber nur begrenzt verfolgt, den Inhalt eines Staatsvertragsentwurfs zu funktionieren. Eine zukunftsgerichtete Politik in dieser verändern, dann noch durchzuführen, wenn die Ausarbei- Frage sähe anders aus. tung des Textes bereits abgeschlossen und der Vertrag Man könnte sich hier mit Konzessionsmodellen beschäf- schon unterzeichnet ist. Dabei bleiben wir. tigen, die privaten Anbietern mit ihren Dienstleistungen (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der FDP) auf einem weiterhin regulierten Markt den Zugang zu den Verbrauchern ermöglichten. Ja, Herr Ministerpräsident, wir sind für einen schnellen Staatsvertrag, aber nicht um den Preis der Brüskierung Auch das Argument der Niedrigsteuergebiete verfängt des Parlaments. Bis zum 31. Dezember ist ausreichend nicht; denn auch mit dem Konzessionsmodell lässt sich Zeit. diese steuerbezogene Abwanderung umgehen. Herr Rohwer und Herr Brangs, ich will noch einmal Lassen Sie es mich – unabhängig davon, dass Monopole klarstellen, worin der Unterschied zur Position der FDP für die Suchtprävention ungeeignet sind – in aller Deut- besteht. Die FDP will das staatliche Monopol beseitigen. lichkeit sagen: Monopole sind ordnungspolitisch falsch. Wir wollen es erhalten und zugleich den derzeitigen Sie sind antiquiert und unzweckmäßig. Unternehmen Bestandsschutz bieten. Letzteres geht nur, Wir können natürlich darum bitten, dass die Staatsregie- wenn der Staatsvertrag in seiner jetzigen Form nicht in rung, insbesondere der Ministerpräsident, vor der Unter- Kraft tritt. Hier, und nur hier, treffen wir uns mit der FDP. zeichnung die Anhörung abwartet. Genauso brauchen Sie Da wir aber nicht über die Gründe, sondern über den sich nicht danach zu richten. Sie können fragen: Was Antrag abstimmen und da auch der Antrag der FDP macht denn der Landtag beim Ratifikationsgesetz? fordert, den Staatsvertrag nicht zu unterschreiben, können Gleichwohl soll niemand glauben, die Unterzeichnung wir diesem Antrag selbstverständlich zustimmen. durch die Ministerpräsidenten hätte für einen solchen Eine letzte Bemerkung, Herr Ministerpräsident. Es ist Staatsvertrag keine Präjudizwirkung. Genau diese wollen schon interessant, zu welchen Themen der Regierungs- wir nicht. chef hier im Landtag das Wort ergreift. Ich darf Sie darauf Es ist auch nicht unmoralisch, Herr Ministerpräsident, aufmerksam machen: Wir werden morgen im Landtag wenn wir ein solches Anliegen haben. Wir haben es doch eine Debatte zur Wirtschaftsförderung haben, über die gerade von Ihnen gehört: Das spielt sowieso keine Rolle; strukturschwachen Regionen reden und über öffentliche denn es geht hier gar nicht um Moral, sondern um das Beschäftigung streiten. Ich bin sehr gespannt, ob Sie dann Geld. auch hier nach vorn gehen und dazu das Wort ergreifen werden. (Beifall bei der FDP) Herzlichen Dank. Präsident Erich Iltgen: Für die Linksfraktion.PDS (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) Herr Dr. Hahn. Präsident Erich Iltgen: Herr Ministerpräsident, bitte. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Brangs, nur Prof. Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident: Ich noch einmal zur Klarstellung: Linksfraktion und Links- möchte nur zwei Anmerkungen machen. partei haben bisher kein Geld von bwin bekommen. Wir Herr Dr. Martens, wenn Sie ein Konzessionsmodell sind dennoch für den Erhalt der Arbeitsplätze in Neugers- realisieren, dann müssen Sie ausländischen Anbietern die dorf. Möglichkeit geben, vom Ausland aus hier anzubieten. Im (Stefan Brangs, SPD: Und was ist Übrigen ist das der Kern der Prüfung, die der Europäische mit den staatlichen Lottoannahmestellen?) Gerichtshof in Bezug auf Italien vornimmt. Da dort im Rahmen eines Konzessionsmodells ein Italiener zugelas- Herr Ministerpräsident, wir bleiben dabei: Eine weitge- sen worden ist, argumentiert die Europäische Kommissi- hende staatliche Zuständigkeit für den Wettbereich bei on, dass dann konsequenterweise auch Anbieter aus dem Bestandsschutz der Konzessionen aus der Endzeit der Ausland zugelassen werden müssten. Dann kommt genau DDR ist rechtlich möglich. Der Einigungsvertrag bietet das heraus, was ich hier gesagt habe: Sie haben nicht hier unseres Erachtens eine ausreichende Handhabe. mehr die Möglichkeit, diese Umsätze in Deutschland zu Noch eines, Herr Ministerpräsident: Natürlich werden besteuern. Staatsverträge von der Regierung ausgehandelt. Fakt ist aber auch: Stätte der politischen Willensbildung ist auch (Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD, in Sachsen das Parlament, also unser Landtag. Wir haben und bei der Staatsregierung) das Recht, auf das Agieren der Regierung Einfluss zu Seien Sie doch bitte so ehrlich, dass Sie nicht ein Konzes- nehmen, sei es bei Abstimmungen im Bundesrat oder bei sionsmodell, sondern ein Wettbewerbsmodell haben der Gestaltung von Staatsverträgen. Das ist Verfassungs- wollen. Man kann durchaus dieser Meinung sein; Sie lage. sollten es aber ehrlich sagen.

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Klar ist auch: Dieses Modell kann für die Beteiligten nur Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Frau Präsidentin! funktionieren, wenn mehr gewettet wird. Wir wollen ja in Ich kann das von hier aus machen. Ich möchte nicht im unserem Modell zum Beispiel durch die Einschränkung Raum stehen lassen, dass der Ministerpräsident hier den oder Ausgrenzung des Internetangebotes oder durch die Eindruck erweckt, nachdem der Staatsvertrag unterzeich- Verringerung von Werbung genau dem Schutz, den das net ist, hätte das Parlament noch alle Möglichkeiten, auf Bundesverfassungsgericht gefordert hat, nachkommen. die Inhalte Einfluss zu nehmen. Wir können als Parlament Das ist in Ihrem Bereich nicht machbar. nur noch Ja oder Nein sagen. Wenn der Staatsvertrag Zur zweiten Frage: Herr Hahn, was Sie eben gesagt unterschrieben ist, dann gibt es für uns keinerlei Möglich- haben, ist ziemlicher Unsinn. Sie haben doch die Mög- keit mehr, daran etwas zu ändern. Deshalb ist die Debatte lichkeit, im Ratifikationsverfahren alles, aber auch alles jetzt nötig und auch die Aussetzung der Unterzeichnung, vorzutragen, weil es meine Aufgabe und die der Regie- damit überhaupt noch eine Chance besteht, Dinge zu rung ist, die Verträge auszuhandeln. Am Verhandlungs- korrigieren. tisch sitzt nicht der Landtag. Das geht auch gar nicht. Insofern ist der Eindruck, den der Ministerpräsident hier Sonst bekommen Sie nie einen Vertrag. Es war schon versucht hat zu hinterlassen, unzutreffend. – Das wollte schwierig genug, diesen Vertrag auszuhandeln. Er soll ja ich noch einmal klarstellen. gerade durch die Befristung auf vier Jahre die Möglich- (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) keit eröffnen, in Ruhe über die verschiedenen Modelle nachzudenken, ohne in die zeitliche Klemme zu geraten, 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Herr Dr. Martens. nämlich nach dem 31.12. dieses Jahres überhaupt nicht mehr nachdenken zu können, weil die Alternative Mono- Dr. Jürgen Martens, FDP: Danke, Frau Präsidentin. Nur pol weggefallen ist. noch eine Anmerkung zu dem, was Herr Ministerpräsi- dent gerade zum Konzessionsmodell gesagt hat. Natürlich Präsident Erich Iltgen: Gestatten Sie eine Zwischenfra- lassen sich damit auch Einnahmen von ausländischen ge? Anbietern generieren, sofern die Konzession hier verge- ben wird. Prof. Dr. Georg Milbradt, Ministerpräsident: Nein. – Herr Hahn, ich habe so den Eindruck: die Populisten unter Eines ist ein Widerspruch: sich, wenn ich die Anträge und die Begründungen gehört (Ministerpräsident habe. Prof. Dr. Georg Milbradt: Nein!) (Beifall bei der CDU und der SPD) Wenn Sie die Spielsucht bekämpfen wollen und gleichzei- Wenn Sie wirklich der Meinung sind, ein staatliches tig hohe Einnahmen wollen, dann geht das nur durch das Wettmonopol ist notwendig, Staatsmonopol. Das ist klar. Es gibt entweder die Be- kämpfung der Spielsucht oder das Streben nach möglichst (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: hohen Einnahmen, und sei es in der Form eines Mono- Mit einer Ausnahme!) pols. Beides gleichzeitig geht nicht. dann gibt es kein Monopol mit einer Ausnahme. (Beifall bei der FDP) (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Einigungsvertrag!) 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es noch weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Dann Nein, so einfach ist es nicht. Wenn Sie eine Zulassung lasse ich jetzt abstimmen. von Privaten ermöglichen, dann müssen Sie auch andere Konzessionen erteilen. Wir beginnen mit der Drucksache 4/7614, Antrag der Fraktion der FDP. Wer dieser Drucksache die Zustim- (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: mung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Wir haben doch schon eine!) Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Sie müssen auch anderen eine Konzession erteilen und einer Reihe von Stimmen dafür ist der Antrag mit Mehr- können es nicht auf bwin reduzieren. Das wissen Sie heit abgelehnt worden. auch. Aber weil Sie die Wahrheit nicht sagen wollen, Ich rufe die Drucksache 4/7185 auf, Antrag der Linksfrak- fordern Sie hier ein kräftiges Sowohl-als-auch, während tion.PDS. Wer möchte die Zustimmung geben? – Gibt es die Fragestellung heißt: Entweder-oder. Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einer Reihe von Stimmen dafür ist auch dieser Antrag mit Mehrheit (Beifall bei der CDU und der SPD) abgelehnt worden. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Wird von den Meine Damen und Herren! Ich schließe diesen Tagesord- Fraktionen noch einmal das Wort gewünscht? Die Bera- nungspunkt 11. tung ist wieder eröffnet. – Herr Dr. Hahn, gleich vom Mikrofon aus. Ich rufe auf

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Tagesordnungspunkt 12 Erteilung von Astronomieunterricht als eigenständiges Unterrichtsfach an Mittelschulen und Gymnasien Drucksache 4/7613, Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Linksfraktion.PDS und FDP

Die Reihenfolge der Stellungnahmen in der ersten Runde: Astronomie aus. Diese Sachverständigen machten außer- die GRÜNEN, Linksfraktion.PDS, FDP, CDU, SPD, NPD dem deutlich, welche fächerübergreifenden und fachver- und die Staatsregierung, wenn gewünscht. bindenden Potenziale in diesem Fach stecken. Darüber hinaus wurde in der Anhörung deutlich, was die Fachleute Ich erteile nun der Fraktion GRÜNE das Wort. Bitte. vor Ort immer wieder erleben: Das Interesse der Schüler Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE: Frau Präsidentin! für Astronomie ist groß. Da im Astronomieunterricht die Meine Damen und Herren! Eine gute Botschaft möchte Fragen nach dem Ursprung und der Entwicklung des ich gleich voranstellen. Wenn Sie heute dem vorliegenden Universums eine zentrale Rolle spielen, kann man einem Antrag zustimmen, was ich immer noch hoffe – ich finde, gewissen Desinteresse von jungen Menschen an der Sie können auch einmal zuhören, bevor Sie zustimmen –, naturwissenschaftlichen Bildung hiermit entgegenwirken. kostet das den Freistaat keinen Cent zusätzlich. Jedenfalls Die hohe Lernmotivation bei der Astronomie befördert haben wir und Tausende Einreicher von Petitionen für den damit die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften Erhalt des Astronomieunterrichts als eigenständiges schlechthin. Hier wird die herrschende Schulpolitik Unterrichtsfach vom Kultusministerium gehört, dass, wie widersprüchlich. vermutet, Sparmöglichkeiten nicht zur Streichung des Das Kultusministerium hat sich doch gerade die verstärk- Faches führen würden. te Förderung der Naturwissenschaften auf die Fahnen Ich stimme den Kritikern unseres Antrages durchaus zu. geschrieben, wie wir zuletzt auch bei den Beschlüssen zur Die Argumente sind alle ausgetauscht und, Herr Colditz, Oberstufenreform gesehen haben. Genau in dem Moment, ich kann auch gut verstehen, dass Sie den Streit langsam in dem Sie eine verstärkte Hinwendung zu Naturwissen- nicht mehr hören können. Das Problem ist doch aber, dass schaften verkünden, schaffen Sie das einzige Fach ab, das gewichtige Argumente für den Erhalt des Astronomieun- die Motivation für die Naturwissenschaften und das terrichtes sprechen. Interesse an technischen Berufen völlig unzweifelhaft befördert. Lassen Sie mich, auch wenn Sie es schon tausendmal gehört haben, noch einmal zusammenfassen. (Unruhe – Glocke der Präsidentin – Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU) (Unruhe – Glocke der Präsidentin) – Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen, Herr – Danke. – Bereits vor dem Beschluss über die Abschaf- Hähle, beantworte ich sie gern. fung des eigenständigen Unterrichtsfaches Astronomie, nämlich im Jahr 2001, hat ein Gutachten des Comenius- Zuletzt haben sich im Dezember mehr als 100 Professoren Institutes die Beibehaltung des Faches empfohlen. Es war zu Wort gemeldet, die noch einmal festgehalten haben: im Auftrag des Kultusministeriums erstellt worden und Astronomie ist Bestandteil der All-Gemeinbildung und ergriff Partei für den Fortbestand des Schulfaches Astro- entfaltet ihr pädagogisches Potenzial besonders dann, nomie in der Klassenstufe 10 der Mittelschule und des wenn sie gegen Ende der Sekundarstufe I als reguläres Gymnasiums, weil dieses Fach ein hohes Maß an Eigen- Unterrichtsfach in Erscheinung tritt. ständigkeit besitzt und nicht unbeschadet in die Systema- Nicht umsonst – so die Professoren weiter – sei internati- tik anderer Fächer integriert werden kann. Dennoch onal eine Aufwertung astronomischer Bildung zu beob- setzten sich die Verantwortlichen im Mai 2002 über die achten. So verweist die Studie „Science on stage“ aus Empfehlungen hinweg und strichen das Fach in den neuen dem Jahre 2005 auf die Attraktivität dieses Faches und Lehrplänen. Als Ende 2002 diese Pläne bekannt wurden, seine enormen Möglichkeiten für den Schulunterricht. liefen die Experten Sturm und werden seitdem durch ein breites Bündnis von Eltern, Schülern, Landtagsabgeord- In vielen europäischen Ländern von Finnland bis Frank- neten aus allen Parteien, vielen naturwissenschaftlichen reich soll Astronomie in den Schulen eine bedeutendere Gremien und Organisationen, Physik- und Astronomieleh- Rolle zukommen. Im Gegensatz zu diesem europäischen rern unterstützt. Nur das Kultusministerium stellt sich Trend gibt es in Sachsen eine Tendenz, den Fortschritt, stur. den sich das Land bei der Etablierung des Faches an den höheren Schulen gegenüber anderen Bundesländern und Im Rahmen der Beratung zu unserem Astronomie-Antrag anderen europäischen Ländern erworben hat, teilweise im vergangenen Jahr hat es eine Sachverständigenanhö- aufzugeben. rung gegeben. Die Mehrheit sprach sich damals für die Beibehaltung des eigenständigen Unterrichtsfaches Nebenbei bemerkt: Einem Vorschlag der Internationalen Astronomischen Union folgend, soll das Jahr 2009 zum 5779 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007

Internationalen Jahr der Astronomie erklärt werden. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die Linksfrakti- Genau 400 Jahre zuvor, im Jahr 1609, hat Galileo Galilei on.PDS hat das Wort. Frau Falken, bitte. erstmals ein Teleskop für astronomische Beobachtungen eingesetzt. Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Staatsminister Die Professoren schließen mit der Forderung, statt rück- Flath sprach am 20. Juli 2006 in diesem Hohen Hause die wärts zu gehen sollte Sachsen das Pflichtfach Astronomie Hoffnung aus, das letzte Mal eine Diskussion zum Thema bewahren und weiter qualifizieren, die Ausbildung von Astronomie führen zu müssen. Ich habe extra noch einmal Astronomielehrern wieder aufnehmen und seine hervor- nachgeschaut, Herr Flath. ragenden Erfahrungen anderen Ländern zur Verfügung stellen. Das wäre ein bedeutender Beitrag zur Förderung Wir wussten damals schon, dass Sie irren werden, denn zukunftsorientierter Bildung in Deutschland und darüber die Diskussion über Astronomie wird hoffentlich in hinaus. diesem Land nie versiegen und weiter eine wesentliche Rolle spielen. Die Diskussion im Plenum könnten wir Meine Damen und Herren! Welche Argumente sprechen allerdings beenden, wenn Sie, Herr Staatsminister Flath, nun für eine Abschaffung des eigenständigen Astrono- Ihrer Fraktion gestatten, dem Antrag zuzustimmen und mieunterrichts? Im Wesentlichen habe ich in der Anhö- den Fraktionszwang in diesem Punkt einfach einmal rung der Experten und in der inhaltlichen Auseinanderset- aufzuheben. zung folgende Bedenken gehört: (Beifall bei der Linksfraktion.PDS – 1. Bei der jetzigen Regelung bleiben die Hauptschüler, Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das denen sich die CDU besonders verpflichtet fühlt, außen steht noch in den Sternen! – Dr. Fritz Hähle, CDU: vor. Diesem Argument haben wir Rechnung getragen, Was reden Sie für einen Unfug?!) indem wir in Punkt 3 unseres Antrages die Einberufung einer Lehrplankommission fordern, die die Integration – Das werden wir ja nachher sehen, Herr Hähle. astronomischer Inhalte in den Hauptschulgang vorberei- Nun aber noch einmal zum Sachverhalt. Meine Kollegin tet. Ich glaube, dass wir Ihnen damit einen gangbaren Frau Günther-Schmidt hat schon einige inhaltliche Punkte Weg aufzeigen, wie man den Status quo noch verbessern benannt. Ich möchte die Punkte trotzdem noch einmal und wie Sachsen damit seinen Ruf als innovationsfreudi- wiederholen, falls wir Bürgerinnen und Bürger am Radio ges Bildungsland festigen kann. haben, die zuhören. Ab dem Schuljahr 2007/2008 soll 2. Wir hören immer wieder das Argument, dass eine nach dem Willen des Kultusministeriums der Astrono- Stunde Astronomieunterricht sowieso zu wenig sei. Herr mieunterricht als eigenständiges Unterrichtsfach in den Colditz nickt und irrt im gleichen Moment. Wenn wir 10. Klassen an Mittelschulen und Gymnasien nicht mehr dieser Argumentation folgen, heißt das, Herr Colditz, Sie existieren. Die naturwissenschaftliche Bildung hat einen erkennen an, wie wichtig das Fach Astronomie ist. Anstatt sehr hohen Stellenwert im Freistaat Sachsen. Wir haben zu sagen, wir behalten es, gehen Sie los und streichen das in verschiedenen Diskussionen bereits im Landtag auch noch diese eine Stunde. Das ist widersprüchlich. einhellig über alle Fraktionen hinweg festgestellt. Ein Unterrichtsfach, das nicht neu zu bilden ist, sondern 3. Es war zu hören, dass es außer der Astronomie noch fächerverbindend und fächerübergreifend die naturwis- andere wissenschaftliche Fächer gibt. Die Begehrlichkei- senschaftliche Bildung in großem Maße fördern kann, ten sind groß. Aber wir wollen die Kirche im Dorf lassen; es geht nicht darum, neue Fächer einzuführen, sondern ein (Beifall bei der Linksfraktion.PDS) bewährtes Unterrichtsfach zu erhalten. soll im Freistaat Sachsen abgeschafft werden. Der Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sprechen heute Staatsminister wird uns heute sicherlich wieder zahlreiche nicht über eine Revolution im sächsischen Bildungswe- Themen benennen, die von der Astronomie in den neuen sen. Wir wollen ausnahmsweise nicht das gesamte System Lehrplänen in anderen Unterrichtsfächern ihren Nieder- verändern, sondern nur ein bewährtes Unterrichtsfach schlag finden. retten und weiterentwickeln. Wenn Sie unserem Antrag Wir begrüßen es sehr, dass auch in anderen Unterrichtsfä- folgen, stärken Sie nicht nur die Astronomie als eigen- chern Astronomie einen größeren Stellenwert erhält, ständiges Fach, sondern vermeiden auch, dass es im selbst in der Grundschule. Doch nach unserer Auffassung Physikunterricht untergeht. Wir werden eine namentliche und nicht nur danach reicht dies nicht aus. Lassen Sie Abstimmung zu unserem Antrag beantragen. Liebe mich einige Argumente nennen, die aus verschiedenen Kolleginnen und Kollegen von der CDU- und der SPD- Bereichen klar für die Astronomie sprechen. Bereits am Fraktion, es ist keine Schande, sich zu irren und diesen 22.10.2001 gab es ein Gutachten aus dem Comenius- Irrtum zu erkennen und heute zuzustimmen. Denken Sie Institut. Übrigens, haben Sie es inzwischen wiedergefun- noch einmal darüber nach! den? Sie hatten uns doch einmal erklärt, das gäbe es nicht Danke schön. mehr. (Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS (Zuruf und Lachen des und der FDP) Staatsministers Steffen Flath)

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– Gut. Zum damaligen Zeitpunkt war es das Comenius- auch eher dafür sind, dass der Astronomieunterricht Institut. Eine andere Formulierung hätten Sie mir jetzt beibehalten wird. Heute haben Sie die Möglichkeit, mit auch angekreidet. Im Gutachten dieses Institutes ist einer namentlichen Abstimmung – damit möchte ich die festgelegt worden, dass die Beibehaltung des Astrono- Forderung meiner Kollegin Günther-Schmidt bekräftigen mieunterrichts einstündig in der 10. Klasse notwendig ist – das für sich ganz individuell zu entscheiden. und qualifiziert werden sollte. Oha! Im Mai 2002 gab es Herr Hähle, ich bin gespannt, ob Sie Fraktionszwang bereits von sechs Sachverständigen Fachurteile für den haben. Erhalt des Astronomieunterrichts. Wenn Sie das immer noch nicht berührt, dann müsste Sie eigentlich die Petiti- Danke schön. onsflut, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Sächsischen (Beifall bei der Linksfraktion.PDS, Landtag sehr berühren. Inzwischen sind es 34 580 Unter- der FDP und den GRÜNEN) schriften, die sich für den Erhalt des Astronomieunter- richts als Fach in Petitionen bekennen. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die FDP- (Beifall bei der Linksfraktion.PDS Fraktion Herr Abg. Herbst, bitte. und den GRÜNEN) Torsten Herbst, FDP: Frau Präsidentin! Meine sehr Über 34 000 – man muss sich das einmal auf der Zunge geehrten Damen und Herren! Bis vor circa zwei Wochen zergehen lassen! konnten wir in Sachsen noch den Kometen McNaught mit bloßem Auge beobachten. Im Mittelalter haben einige In der Anhörung im Schulausschuss gab es ein klares damit noch das Ende der Welt verbunden, heute wird Bekenntnis für den Erhalt des Astronomieunterrichts. Ich kaum noch jemand angsterfüllt gen Himmel blicken. hoffte und hoffe es immer noch, dass auch der Professo- renbrief, den Sie im Dezember erhalten haben, eine sehr (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: intensive Aussagekraft hatte. Ich will nicht alle Schreiben, Also das Ende des Astronomieunterrichts!) die wir in der letzten Zeit erhalten haben, nennen, aber für Die geplante Abschaffung des Astronomieunterrichts im mich ist noch wichtig zu erwähnen, dass auch die Fachbe- Freistaat Sachsen wird uns nicht ins Mittelalter zurück- rater der Auffassung sind, dass der Astronomieunterricht werfen, doch viele Kinder werden im Gegensatz zu erhalten bleiben soll. unserer Generation – der Generation, der die meisten in (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: diesem Parlament angehören – kaum erfahren, was alles Hört, hört!) hinter den Himmelsphänomenen, wie Kometen, Sonnen- finsternissen und Polarlichtern, steckt. Es sind gerade Das wäre doch zumindest nachdenkenswert. Ich bin diese Phänomene, die das Interesse von Schülern an immer davon ausgegangen, dass auch die Vertreter der Naturwissenschaften auf sehr plastische Weise wecken. In CDU-Fraktion den sächsischen Wählerinnen und Wählern kaum einem anderen Fach wird Physik, Geografie, verpflichtet sind und ihre Interessen im Sächsischen Geschichte so anschaulich und interdisziplinär unterrich- Landtag vertreten. Bei den gerade benannten zahlreichen tet wie in Astronomie. Sie wissen, viele Schulen in Bürgerinnen und Bürgern aus Sachsen ist klar und deut- Sachsen haben sogar eine eigene kleine Sternwarte. Das lich zu erkennen, dass das Interesse nicht darin liegt, den sind Vorteile, die wir nicht einfach verschenken sollten. Astronomieunterricht abzuschaffen, sondern das Gegen- teil ist der Fall. Astronomie und Raumfahrt sind aber auch eine sächsi- sche Erfolgsgeschichte. Sie werden sich erinnern: Wir fordern Sie auf, die falsche Entscheidung von 2002 Sigmund Jähn war der erste deutsche Raumfahrer. Er war rückgängig zu machen. Herr Flath, Sie haben im Kultus- Vogtländer, aber er war vor allem auch ein Sachse. ministerium in letzter Zeit häufig Entscheidungen korri- giert und den Bildungsbereich verändert. Ich möchte nur (Beifall bei der FDP und der Linksfraktion.PDS) an die Reform der gymnasialen Oberstufe erinnern. Sie Sächsische Unternehmen und die TU Dresden sind in der wissen, dass wir dazu zum Teil andere Auffassungen Raumfahrtforschung äußerst erfolgreich. Warum ausge- haben. Warum, Herr Staatsminister, wenn es so viele rechnet das Kultusministerium mit einem Teil dieser Stimmen für den Astronomieunterricht gibt, können Sie Tradition bricht, bleibt uns ein großes Rätsel. Rätselhaft nicht auch hier eine Korrektur in Ihren Entscheidungen, bleibt aber auch, warum dem Rat des Comenius-Institutes die bereits von 2002 sind, treffen? Lassen Sie bitte Ihr nicht gefolgt wurde, das die Abschaffung des Faches parteipolitisches Geplänkel weg und entscheiden Sie Astronomie als Pflichtfach ablehnen will. heute einmal über diesen Antrag mit Ihrem ganz normalen Menschenverstand. Ich will eines klar sagen: Wir stellen uns nicht grundsätz- lich gegen eine Neuregelung des Astronomieunterrichts; (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und aber, Herr Flath, wir bezweifeln, dass die beschlossene vereinzelt bei den GRÜNEN) Integration in den Physikunterricht die bessere Lösung ist. Ich weiß, dass sich auch Kollegen der CDU-Fraktion in Ich glaube, die Aussagen der Experten in der Anhörung ihren Wahlkreisen, in Besuchergruppen und anderen waren eindeutig, auch die der Experten, die die CDU- Veranstaltungen dazu bekannt haben, dass sie eigentlich Fraktion geladen hatte.

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Für die FDP ist klar: Naturwissenschaftliche Bildung haben, ausführlich und für jedermann nachvollziehbar muss insgesamt wieder einen höheren Stellenwert erhal- mehrfach dargestellt wurden, will ich sie noch einmal ten. Ich möchte an dieser Stelle an die Diskussion zur punktuell benennen. Oberstufenreform erinnern. Ich glaube, diesbezüglich Meine Damen und Herren! Bereits im Jahre 2002 hat das waren wir uns in der Tendenz einig. Kultusministerium im Zusammenhang mit den neuen Die Naturwissenschaften werden, wenn es bei der Ab- Lehrplänen die neu ausgerichteten Stundentafeln für die schaffung des Faches Astronomie bleibt, immer mehr in Mittelschulen und Gymnasien beschlossen. Maßgabe für theoretische Einzelteile zerlegt anstatt interdisziplinär diese Entscheidung war unter anderem, fächerverbinden- vernetzt. Es ist zu befürchten, dass damit insgesamt die des Unterrichten besser umzusetzen und vernetztes Attraktivität sinkt. Meine Damen und Herren der Koaliti- Denken bei den Schülerinnen und Schülern zu befördern on, ich glaube nicht, dass Sie das wollen. – ein Anliegen, das seitens der Opposition doch wohl Der jetzige Unterricht im Fach Astronomie ist mit einer immer wieder benannt und auch befördert wurde. Nur das Wochenstunde nicht optimal strukturiert und sicherlich Strickmuster dieser Auseinandersetzung scheint offen- auch nicht einfach zu handhaben. Doch die Abschaffung sichtlich nicht zu passen. wäre der falsche Weg für diese Herausforderung. Wir Hergeleitet aus diesen Überlegungen wurde festgelegt, glauben, dass die astronomische Bildung eine zu große dass die Ziele und Inhalte des bislang nur einstündig und Bedeutung besitzt, als dass man sie als bloßes Anhängsel nur in Klasse 10 unterrichteten Faches in andere Fächer in den Physikunterricht abschieben kann. integriert und damit schon in früheren Jahrgangsstufen unterrichtet und vermittelt werden sollen. Vielen Dank. Meine Damen und Herren! Allein diese Grundsatzüberle- (Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS gungen machen deutlich, dass es nicht darum ging und und den GRÜNEN) auch nicht darum geht, astronomische Bildungsinhalte aus 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Für die CDU- dem Lehrstoff unserer Schulen zu streichen, im Gegenteil, Fraktion Herr Colditz, bitte. dieses Angebot wird inhaltlich und zeitlich aufgewertet. Welches sachliche Argument, Frau Günther-Schmidt, Thomas Colditz, CDU: Frau Präsidentin! Meine Damen spricht dagegen, dass zukünftig Hauptschüler, die die und Herren! Bei aller kontroverser Sichtweise auf das zur Schule nach der 9. Klasse verlassen, astronomische Diskussion stehende Anliegen kann und will ich nicht Bildungsinhalte vermittelt bekommen? Sie sprechen leugnen, dass das entwickelte Engagement für den Erhalt unablässig davon, dass das gegliederte Schulsystem in eines eigenständigen Schulfaches Astronomie beeindru- Sachsen angeblich Hauptschüler benachteiligt. Wenn wir ckend ist. dem aber punktuell schulorganisatorisch entgegenwirken, argumentieren Sie dagegen. (Beifall bei der CDU, der Linksfraktion.PDS und der FDP) (Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, steht am Mikrofon.) Meine Damen und Herren! Ich will das Engagement in dieser Debatte in keiner Weise diskreditieren, aber es Sie wissen ganz genau – möglicherweise ist das Ihre muss trotzdem möglich sein, dass es unterschiedliche Frage –, wenn im Hauptschulbildungsgang dazu eine organisatorische Varianten bei der Wissensvermittlung Regelung der Lehrplankommission getroffen werden gibt, über diese zu diskutieren und letztlich darüber zu sollte, dass das an der Stundentafel scheitert. Wir bewe- entscheiden. gen uns schon jetzt bei 35 Wochenstunden und sind damit Meine Damen und Herren von der Opposition! Es ist international an der Obergrenze dessen, was wir unseren normal, dass Sie sich dieses Engagement zu eigen machen Schülerinnen und Schülern zumuten wollen. Somit macht – vielleicht weniger aus fachlich-inhaltlichen Gründen als das, was Sie vorschlagen, keinen Sinn. vielmehr vor dem Hintergrund von populistischer Kritik 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie eine an einer Entscheidung des Kultusministeriums. Zwischenfrage? (Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE) Thomas Colditz, CDU: Selbstverständlich. Bei aller Anerkennung des Engagements von Lobbyisten für den Astronomieunterricht fehlt mir dennoch das 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Günther- Verständnis dafür, dass die inhaltliche Auseinanderset- Schmidt, bitte. zung von Außenstehenden mit einer zunehmenden Ag- Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE: Herr Colditz, ist gressivität und mit mangelnder Seriosität verbunden war. Meine Damen und Herren, wenn Sie sich einige Briefe Ihnen bekannt, dass Mitglieder der Lehrplankommission vergegenwärtigen, die wir als Abgeordnete bekommen natürlich über unseren Antrag geschaut und uns unter- haben, dann ist das eine Sache, die nicht akzeptabel ist. stützt haben. Es wäre technisch möglich, deshalb haben wir den Punkt 3 aufgenommen. Dieser Punkt erfüllt genau Obwohl die Sachargumente, die zu einer Neustrukturie- Ihre Forderung, dass die 9. Klasse der Hauptschule rung astronomischer Bildung an unseren Schulen geführt Astronomieunterricht erhält. Haben Sie das gelesen?

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Thomas Colditz, CDU: Frau Günther-Schmidt, Sie nur eine Stunde in der Woche und nur ab Klasse 10 haben wahrscheinlich in den letzten Minuten meiner Rede unterrichtet wird. Das muss doch bitte schön über andere nicht mehr zugehört. Ich habe gerade deutlich gemacht, Fächer gemacht werden, die über die Jahre hinweg und dass man, wenn man ein zusätzliches Fach ab Klasse 9 auch mit einem größeren Stundenvolumen vermittelt einführen möchte, ganz einfach an Grenzen stößt, die die werden. Das ist doch ganz einfach und logisch. Wochenstundentafel vorgibt. Sie würde dann gesprengt (Beifall bei der CDU und des Staatsministers werden. Das ist das, was wir nicht wollen. Wir befinden Steffen Flath – Prof. Dr. Peter Porsch, uns, wie gesagt, schon an der Obergrenze im internationa- Linksfraktion.PDS: Weil nicht sein darf, len Vergleich. Das kann und soll nicht der Weg sein. was nicht sein kann!) Meine Damen und Herren! Was ist dagegen einzuwenden, wenn der Hauptteil der integrativen Vermittlung astrono- – Herr Porsch, immer wenn Ihnen die Argumente ausge- mischen Wissens und Könnens im Fach Physik angesie- hen, fangen Sie an zu witzeln. Das finde ich nicht immer delt ist und damit Wechselwirkungen zwischen physikali- korrekt. schen und astronomischen Lernbereichen garantiert (Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, werden? Warum argumentieren Sie gegen fächerverbin- Linksfraktion.PDS) dendes und vernetztes Denken, obwohl Sie anderenorts genau das befürworten? Meine Damen und Herren! Die Neuregelung ermöglicht vielfältige Vernetzungsmöglichkeiten der Vermittlung Ich kann mich an Diskussionen erinnern, liebe Kollegin- astronomischer Bildungsinhalte mit anderen schulischen nen und Kollegen der Opposition, in denen Sie die Auflö- Angeboten, so zum Beispiel im natur- und gesellschafts- sung ganzer Stundentafeln an unseren Schulen gefordert wissenschaftlichen Unterricht am Gymnasium oder auch haben. Von diesen Überlegungen ist aber jetzt nichts mehr komplex- und praxisorientiert an den Neigungskursen übrig. unserer Mittelschulen. Mit der zeitlichen Ausblendung der Vermittlung entsprechender Wissensinhalte wird zudem 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gestatten Sie noch auch einer kumulativen Wissensvermittlung Rechnung eine Zwischenfrage? getragen. Selbstverständlich bleibt in diesem Zusammen- Thomas Colditz, CDU: Ja, bitte. hang die Nutzungsmöglichkeit von Schul- und Kleinpla- netarien uneingeschränkt möglich. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte sehr, Frau Schließlich möchte ich noch auf das Argument der Stun- Falken. denplanung eingehen, meine Damen und Herren. Das Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS: Herr Colditz, ich SMK hat hierzu bereits 2004 ausgeführt – ich zitiere –: kann mich nicht mehr genau erinnern, aber kann es sein, „Kritiker behaupten, mit der Reform würde der Umfang dass Sie an der Anhörung gar nicht teilgenommen haben? astronomischer Bildung von 30 Unterrichtsstunden auf 16 Stunden an Mittelschulen bzw. 18 Stunden am Gymna- Thomas Colditz, CDU: Ja, das ist richtig. Ich konnte an sium reduziert werden.“ Das können wir heute in der der Anhörung nicht teilnehmen. Presse von den Befürwortern der Aktion „Pro Astro“ nachlesen. Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS: Ich weiß, ich Diese Zahlen sind falsch, denn sie berücksichtigen nur die hatte es schwach in Erinnerung, dass Sie daran nicht Anteile, die künftig in der Klassenstufe 9 bzw. 10 vorge- teilnehmen konnten. Gerade in der Anhörung – – sehen sind. Betrachtet man die verpflichtenden astrono- 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Frau Falken, mischen Inhalte der weiteren Klassenstufen allein in den könnten Sie bitte eine Frage stellen? Ich weiß, dass es Fächern Physik und Geografie, so ergibt sich für die schwer ist, aber Sie müssen eine Frage stellen. Mittelschule ein obligatorischer Unterrichtungsumfang mit astronomischen Bildungsinhalten von circa Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS: Meine Frage hatte 24 Stunden und am Gymnasium von circa 27 Stunden. ich eigentlich schon im Einstieg gebracht. Stimmen Sie Berücksichtigt man dies punktuell auch für Fächer wie mir zu – Sie haben sicherlich das Protokoll gelesen –, Mathematik, Biologie, Chemie, Geschichte, Ethik und dass die Mehrheit der Sachverständigen deutlich darge- Religion, wird dieses geltende Stundenvolumen noch auf stellt hatte, dass das Fächerverbindende und Fächerüber- 30 ausgeweitet. Die unterrichtliche Organisationsform greifende im Astronomieunterricht die bestmöglichen wird sich zwar ändern, der hohe Stellenwert aber, den die Varianten bietet? astronomische Bildung und Wissensvermittlung an Mittelschulen und Gymnasien im Freistaat hat, bleibt (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: erhalten. Diese Tatsache ist nicht zu leugnen, deshalb Das steht in jedem Brief!) lehnen wir auch den Antrag erneut ab. Thomas Colditz, CDU: Frau Falken, ich gehe einmal auf Meine Damen und Herren, ein Wort zum Schluss: Es wird diesen Aspekt ein. Das ist ein sachlicher Bezug, den Sie immer wieder das Argument vermittelt, der Schulaus- herstellen. Wenn ich fächerübergreifend wirksam unter- schuss – Frau Falken hat wiederum versucht, es in der richten will, dann kann ich das nicht mit einem Fach, das Argumentation herüberzubringen – habe sich gegen das

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Votum von Sachverständigen gestellt. Ich habe, wie Verlauf der Woche verteilen muss. Wir wissen mittlerwei- gesagt, an dieser Anhörung im letzten Jahr nicht teilneh- le durch die modernen Erkenntnisse der Bildungswissen- men können, aber ich habe mir das Protokoll der Anhö- schaften recht genau, warum das so ist und dass wir die rung und die eingegangenen Stellungnahmen sehr genau Lernprozesse in der Schule doch etwas besser organisie- angeschaut. Wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck ren sollten. Statt die Vielzahl der Fächer zu erhalten oder vermittelt wird, dass in Sachsen astronomische Bildung zu vermehren – man könnte mit guten Gründen weitere aus den Schulen verbannt wird, ist die getroffene Stel- Fächer fordern, wie Gesundheitsbildung, Medienkunde, lungnahme von Fachexperten zweifellos richtig. Nur ist Persönlichkeitspsychologie usw. –, legen uns diese das, worüber man meint hier urteilen zu müssen, eben Erkenntnisse über das Lernen eher nahe, die Fächer nicht zutreffend. Es geht nicht um die Abschaffung zusammenzufassen und ganzheitlicher, problem- und astronomischer Wissensvermittlung, sondern um eine weltbezogener zu vermitteln. Änderung der Unterrichtsorganisation bei der Vermittlung Natürlich führt dies immer wieder zu einer systemati- dieses Wissens. Nichts anderes ist vorgesehen, und dies schen Behandlung eines einzelnen Faches; aber es ist sollte jeder, der sich damit auseinandersetzt, endlich nicht die Aufgabe der Schule, die Wissenschaften den einmal zur Kenntnis nehmen, insbesondere die Oppositi- Schülern systematisch zu vermitteln, sondern es ist die onsfraktionen in diesem Hause. Aufgabe, auf der Grundlage systematischen Wissens in (Beifall bei der CDU und der SPD) den Fächern bei den Schülern eine grundlegende, umfas- sende und exemplarisch vertiefte Lebenskompetenz 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die SPD-Fraktion; auszubilden. Herr Dulig, bitte. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Damit bin ich – Sie Martin Dulig, SPD: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe haben es vielleicht erwartet – wieder bei einem Thema Kolleginnen und Kollegen! Da wir uns zum wiederholten der veränderten Lernkultur, der wichtigsten Aufgabe und Male mit dem Thema Astronomie als Unterrichtsfach Herausforderung, vor der wir nicht nur im sächsischen beschäftigen, ist vieles schon gesagt worden, und es muss Schulwesen stehen. Die Veränderung der Lehrpläne geht nur das wiederholt werden, was für die Entscheidung über eindeutig in die richtige Richtung, und wenn wir hinsicht- den Antrag wichtig ist. Ich meine damit, dass es für uns lich des Aspektes des weltbezogenen und damit notwen- alle sicher unumstritten ist, dass Astronomie als Fach digerweise fächerübergreifenden Lernens Ernst machen viele Potenzen in sich birgt. wollen, ist es kaum dienlich, dies wieder mit einzelnen Fächern zu tun. Die Reduzierung der Fächer ist ein Die Frage, die sich aber sofort stellt, ist, ob Astronomie richtiger Schritt. Natürlich ist es auch eine Verpflichtung das einzige Fach ist. Wenn ich allein auf Geografie und ein Auftrag, nämlich den Wandel der Lernkultur schaue, sehe ich dort mindestens die gleichen Potenzen; offensiv zu betreiben, die Schulen hierbei stark zu unter- denn Geografie ist bei Weitem mehr als Erdkunde. Sie stützen und auch den administrativen Rahmen entspre- vereint die zwei großen Bereiche der physischen Geogra- chend anzupassen. Aber nur, weil wir hier Defizite sehen, fie und der Anthropogeografie. Der erste Bereich umfasst werden wir doch nicht in die andere Richtung gehen. Nur die Disziplinen Geoklima-, Boden-, Hydro- und Vegetati- weil die Astronomielehrer eine gute Lobbyarbeit geleistet onsgeografie; der zweite Bereich umfasst Bevölkerungs-, haben – volle Anerkennung! –, werden wir doch nicht Siedlungs-, Wirtschafts-, politische und historische unsere Überzeugung über Bord werfen. Geografie. Wenn man so will, umfasst Geografie als Disziplin alle Natur- und Gesellschaftswissenschaften. (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Oh!) Damit will ich nur sagen, dass es auch andere Fächer Ich erwähnte die mögliche Einführung eines Faches neben der Astronomie gibt, die zumindest das gleiche Gesundheitskunde. Was meinen Sie, wie leicht es für uns Potenzial haben. wäre, für dieses Fach, das es immerhin noch gar nicht Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es muss nicht wieder- gibt, eine breite Unterstützung von allen Seiten zu organi- holt werden, dass die Lehrpläne verbindliche Bezüge aus sieren? Hundert Professoren wären sicher schnell gewor- astronomischen Inhalten aufweisen und darüber hinaus ben. die neue Lehrplangeneration offen für weitere Themen Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verantwortliche Politik und Problemstellungen – auch astronomischer Art – ist. muss sich sehr wohl auch auf öffentliche Meinungen Wenn es einen guten Astronomielehrer und ein entspre- konzentrieren und auf diese hören. Aber wenn wir sie chendes Interesse der Schüler gibt, kann die Schule in einfach nur nachvollziehen würden, bräuchten wir kein einer intensiven Projektwoche Astronomie bei entspre- Parlament, und wir würden die politische Macht ganz chenden Vorbereitungen in den beteiligten Fächern schnell und gänzlich an Massenmedien abgeben. Ich wahrscheinlich einen ähnlichen, vielleicht sogar nachhal- glaube nicht, dass dies am Ende eine oder einer der tigeren Bildungseffekt erzielen, als wenn die Stunden anwesenden Demokratinnen und Demokraten wirklich über das Schuljahr „verkleckert“ werden. will. Wenn ein Fach als Ein-Stunden-Fach neben vielen ande- Insofern werden wir aus den oben ausgeführten und in der ren Fächern erteilt wird, ist es ein Fach mehr, auf welches letzten Diskussion zum Thema genannten Gründen dem ein Schüler seine Aufmerksamkeit und sein Interesse im

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Antrag nicht zustimmen. Wir sehen aber die Diskussion regierung jetzt selbst die wenigen Möglichkeiten, die sie um den Astronomieunterricht als einen Auftrag an, den überhaupt noch hat, nämlich im Bildungsbereich, so – ich Prozess des Wandels der Lernkultur insgesamt zu be- möchte fast sagen, gegen jede menschliche Vernunft – schleunigen und hinsichtlich der Astronomie die Schulen einsetzt, braucht sich wirklich niemand mehr über Poli- verstärkt auf die Möglichkeit entsprechender Projekte zu tikverdrossenheit und mangelndes Vertrauen in die Politik verweisen, in deren Rahmen dann auch gut und effizient zu wundern. der Besuch einer Sternwarte eingebunden werden kann. In einem Offenen Brief aus Sohland, geschrieben von Des Weiteren wollen wir von dieser Stelle aus alle Schu- einem Mathematik-, Geografie- und Astronomielehrer, len ermuntern, im Rahmen ihres Ganztagsangebotes für wird erwähnt, dass sich auch Herr Dr. Rößler, CDU, bei interessierte Schüler astronomische Kurse anzubieten. einem Besuch in der dortigen Sternwarte für den Erhalt Damit wird am Ende auch der Astronomie nachhaltigere des Faches Astronomie ausgesprochen hat. Wir möchten Verbreitung gesichert als durch ein reguläres Ein- deshalb – wie vorher die GRÜNEN – für diesen Antrag Stunden-Fach. Ja, und auch die sich in ihrer Existenz namentliche Abstimmung beantragen, um zu sehen, wie bedroht fühlenden Astronomielehrer fänden in diesem CDU-Abgeordnete mit ihrem Versprechen gegenüber Rahmen sicher genug Arbeit und Aufmerksamkeit durch Wählern umgehen. die Schüler. (Dr. Fritz Hähle, CDU: Wir haben niemals Vielen Dank. astronomische Versprechen abgegeben!) (Beifall bei der SPD, der CDU, der Noch ganz kurz zum Antrag selbst. Mit Punkt 3 dürfte Linksfraktion.PDS, der FDP und den GRÜNEN) auch die Forderung des Kultusministeriums – es wurde bereits gesagt – nach Vermittlung von astronomischem 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Die NPD- Wissen im Hauptschulgang befriedigt worden sein. Fraktion; Frau Abg. Schüßler, bitte. Meine Damen und Herren! Wir wünschen uns also eine Gitta Schüßler, NPD: Frau Präsidentin! Meine Damen Sternstunde in diesem Hohen Haus und hoffen, dass sich und Herren! Eigentlich ist zum Astronomieunterricht alles diesmal auch die Koalition einen Ruck gibt, damit der gesagt. Die Argumente sind ausgetauscht, und spätestens Astronomieunterricht nicht in einem schwarzen Loch seit der Anhörung im April 2006 müsste jedem unvorein- verschwindet. genommenen Beobachter klar sein, dass der Erhalt des Danke für die Aufmerksamkeit. Astronomieunterrichtes in der bisherigen Form die bessere Lösung ist – jedem, außer unserer Staatsregie- (Beifall bei der NPD) rung, konkret: dem Kultus. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es vonseiten Es gibt unzählige Petitionen zum Erhalt des Astronomie- der Fraktionen noch Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. unterrichtes, Gutachten von Experten, Offene Briefe und Die Staatsregierung scheint auch nicht sprechen zu nicht zuletzt die bereits erwähnte Anhörung, in der sich wollen. immerhin sieben von neun Sachverständigen für ein eigenständiges Schulfach Astronomie ausgesprochen (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: haben. In dieser Anhörung sagte zum Beispiel Herr Auch das ist bezeichnend!) Dr. Peter Freudenberger – ich zitiere –: „Es ist leider so, Gut. – Dann haben wir jetzt dreimal ein Schlusswort. Wir dass es einige Berater gibt, die oft aus Bundesländern und beginnen mit der Fraktion der GRÜNEN. Frau Günther- Institutionen kommen, die gute Erfahrungen zu eigen- Schmidt, bitte. ständigem Astronomieunterricht in der Sekundarstufe I in Deutschland ignorieren.“ Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese Ignoranz wird offen- Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kolle- sichtlich von Herrn Staatsminister Flath geteilt. In dem gen von der CDU-Fraktion, ich möchte es Ihnen jetzt von 114 Professoren aus dem gesamten Bundesgebiet nicht ersparen, Sie an Ihren eigenen Maßstäben zu mes- unterzeichneten Protest – Sie erinnern sich sicherlich – sen. Heute Morgen, Herr Schiemann, haben Sie und Ihre steht nicht nur der in den letzten Tagen wieder oft zitierte Kollegen sich buchstabengetreu an die Aussagen von Satz: „Die Astronomie ist diejenige Wissenschaft, die die Sachverständigen in einer Anhörung gehalten und damit Menschheit am stärksten mit ihrer Vergangenheit und begründet, warum Sie eine Absenkung des Wahlalters auf zugleich mit ihrer Zukunft verbindet“, sondern es ist auch 16 Jahre ablehnen. von einer Zwangsabschaffung die Rede. Wir hatten eine Anhörung, Ihre eigenen Sachverständigen Genau dieser Zwang ist es doch, der die Bürger in diesem haben sehr differenziert, sehr seriös und sehr nachvoll- Land der Politik entfremdet; ein Zwang, der wider besse- ziehbar dargelegt, warum die Abschaffung des eigenstän- res Wissen und gegen den Willen von Eltern, Schülern digen Unterrichtsfaches Astronomie nicht zielführend ist, und Fachleuten ausgeübt wird. Die NPD-Fraktion hat oft und trotzdem beharren Sie darauf, dass dieses Fach genug die mangelnden politischen Gestaltungsmöglich- abgeschafft wird. Ich kann dem nicht folgen. keiten auf Landesebene angesprochen. Wenn die Landes-

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(Zurufe der Abg. Dr. Fritz Hähle und viel! Die SPD gibt sich zunehmend staatstragend, gibt Thomas Colditz, CDU) Überzeugungen drein in der Bildungspolitik, und Sie werden überhaupt keinen Nutzen daraus haben. Es sitzen Es ist nicht nachvollziehbar und es hat nicht immer der heute auf der Tribüne Menschen, die Petitionen geschrie- recht, der am lautesten rufen kann. Sie müssen es sich ben haben, die sich wirklich massiv für den Erhalt dieses gefallen lassen, dass Sie jetzt mit Ihren eigenen Maßstä- Unterrichtsfaches eingesetzt haben, und ich muss Ihnen ben gemessen werden. Es ist nicht richtig, was Sie tun. sagen: Selbst wenn wir heute in der Abstimmung eine Sie können noch einmal darüber nachdenken. Niederlage erleiden, hat die Mehrheit offenbar nicht Herr Colditz, Sie haben aus meiner Sicht keinerlei über- immer recht. zeugende Argumente gebracht, Sie haben das Thema rein (Unruhe – Glocke der Präsidentin) technisch anhand der Stundenplanung, anhand der Wo- chenstunden aufgezogen. Das ist doch nicht seriös. Danke schön. Welche Bildungsphilosophie soll denn dahinterstehen? (Beifall bei den GRÜNEN Ich kann es nicht nachvollziehen. So kann man in Sachsen keine Bildungspolitik machen. und der Linksfraktion.PDS) Martin Dulig, Geografie als Kronzeugen heranzuziehen, 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Es hat ein Miss- wenn es um die Abschaffung des Faches Astronomie geht, verständnis gegeben. Herr Minister Flath wollte doch halte ich für mehr als unglücklich; denn wir alle wissen, sprechen und ist nur kurz verhindert gewesen. Ich darf das dass Geografie und Geschichte zukünftig zur Wahl jetzt zulassen. Die Staatsregierung kann jederzeit spre- stehen. chen. Bitte, Herr Minister. (Thomas Colditz, CDU, steht am Mikrofon.) Steffen Flath, Staatsminister für Kultus: Frau Präsiden- Das heißt, die Schüler können sich aussuchen, wo sie ihre tin, vielen Dank. – Ich möchte mich bei den Abgeordne- Wissenslücken ausbauen möchten. Das halte ich für ten entschuldigen. So kann man auch mal beginnen. Ich außerordentlich gewagt. – Aber ich würde zur Not auch war nämlich einen Augenblick unaufmerksam und ließ eine Zwischenfrage zulassen. mich draußen aufhalten. Vielen Dank, dass ich jetzt noch zu Wort kommen darf, denn ich möchte nicht, dass dann 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Ich wollte Sie vielleicht hinterher gesagt wird, der Minister hätte sich gerade fragen. Das ist sehr freundlich. – Bitte. gedrückt.

Thomas Colditz, CDU: Vielen Dank. – Frau Günther- (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Schmidt, ist Ihnen entgangen, dass ich darauf hingewie- Das würden wir nie tun!) sen habe, dass es nicht darum geht, astronomische Bil- – Das würden Sie nie tun. Das halten wir mal fest, Herr dung aus den Schulen zu verbannen, sondern letztlich Dr. Hahn. darum, die Organisationsform, die Vermittlung von astronomischen Bildungsinhalten zu ändern? Ist Ihnen das Ich schließe mich den Ausführungen des Herrn Abg. ganz einfach entgangen? Colditz und des Herrn Abg. Dulig an. Darin wurde noch einmal sehr ausführlich auf die Sache eingegangen. Ich Ich habe auch von fächerverbindendem Unterricht ge- will lediglich daran erinnern, dass im Frühjahr 2002 – es sprochen. ist fast fünf Jahre her – das Kultusministerium, weil die Lehrpläne zu reformieren waren, vor der Entscheidung 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Bitte nur die Frage stand, ob man dabei bleibt, einstündig Astronomie in der stellen! Klassenstufe 10 zu unterrichten – mit dem auch schon Thomas Colditz, CDU: Ist Ihnen entgangen, dass das angeführten Nachteil, dass Hauptschüler überhaupt nichts letztlich auch ein Beitrag dazu war, wie auch die neuen von Astronomie in der Schule mitbekommen –, oder ob inhaltlichen Aspekte des Lehrens und Lernens dort eine man den Weg wählt, Astronomie als integratives fächer- Rolle spielen? verbindendes Fach einzubauen – es wurden auch Physik und Geografie genannt –, und das auch schon in unteren Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE: Herr Colditz, das ist Jahrgangsstufen. Damals wurde nach Abwägung – natür- gerade der Punkt, auf den ich Sie immer wieder anspre- lich gab es sehr unterschiedliche Meinungen, das ist che. Sie haben verstanden, worum es geht, nur ziehen Sie selbstverständlich – eine sachgerechte, eine richtige die völlig falschen Schlüsse daraus. Entscheidung getroffen. (Beifall der Abg. Prof. Dr. Peter Porsch und Das Thema ist häufig hier im Parlament thematisiert Julia Bonk, Linksfraktion.PDS) worden, zuletzt im vergangenen Sommer. Im Juni hatten wir eine Anhörung. An dieser Anhörung habe ich teilge- Noch einmal zur Lernkultur. Ich halte es für ein vorge- nommen. Auch dort gab es Für und Wider. Die Anhörung schobenes Argument zu sagen: Wir können nicht für den wurde im zuständigen Ausschuss ausgewertet und das Erhalt eines Faches kämpfen, denn wir kämpfen für eine Thema wurde vor der Sommerpause hier im Parlament neue Lernkultur. – Was dabei herausgekommen ist, das sehen wir seit knapp zweieinhalb Jahren: wirklich nicht 5786 Sächsischer Landtag 4. Wahlperiode – 70. Sitzung 24. Januar 2007 behandelt, mit dem Ergebnis einer Mehrheitsentschei- Entscheidung, Herr Staatsminister, nicht wirklich sachge- dung. recht war; vielleicht im Jahre 2002, aber nicht heute. Und Es ist nicht so, Frau Günther-Schmidt, dass wir etwa es gäbe die Möglichkeit, diese zu verändern. einen Status quo hätten, sondern die überarbeiteten Herr Dulig, auch wenn Sie – und Sie wissen, dass wir Lehrpläne, die völlig veränderten Lehrpläne, sind in der genau wie Sie dazu stehen – eine veränderte Lernkultur Einführung und damit hat dieser Prozess längst begonnen. haben wollen, bitte, nur mit Veränderungen von Lehrplä- Meine herzliche Bitte ist – das hat auch nichts mit Stur- nen und Streichen von Unterrichtsfächern werden wir heit zu tun –, wenn im Jahr 2002 eine Entscheidung im keine veränderte Lernkultur erhalten. Ministerium getroffen wurde und wenn hier im Parlament (Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD) vor einem halben Jahr die abschließende Entscheidung getroffen wurde, das einfach zu respektieren. Ich bitte Wir wissen, dass es auch 2007/2008 die Wahlmöglichkeit auch heute wieder darum, dass es vielleicht die letzte geben wird. Es wird an den Mittelschulen Streichungen in Debatte dazu sein sollte, und ich bitte um Ablehnung Geschichte und Geografie geben. Ich hoffe, dass in der dieses Antrages. Legislaturperiode bis 2009 nicht noch mehr Streichungen Danke schön. in Unterrichtsfächern mit der Begründung passieren: Wir wollen eine bessere Lernkultur. Das kann es ja wohl (Beifall bei der CDU, der SPD wirklich nicht gewesen sein! und der Staatsregierung) (Beifall bei der Linksfraktion.PDS, den GRÜNEN 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Entsprechend der und des Abg. Torsten Herbst, FDP) Geschäftsordnung frage ich jetzt die Fraktionen, ob sie Eine letzte Bemerkung zu Lobbyvertretern. Herr Dulig, noch eine Erwiderung vorbringen möchten. Die Debatte Lobbyvertreter treffen sich ja wohl sehr häufig in der ist praktisch wieder eröffnet, nachdem der Minister Koalition und im Kultusministerium. Wir haben das sehr gesprochen hat. – Es sieht nicht so aus. deutlich gesehen. Dann habe ich noch eine sachliche Richtigstellung. (Zuruf der Abg. Rita Henke, CDU) (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Lobbyvertreter mit 34 580 Unterschriften Schlusswort haben wir noch!) (Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Es gibt nur ein Schlusswort. Es sind drei Minuten, ist mir Hört, hört!) gesagt worden und Sie hätten sich wohl geeinigt, weil es nur ein Antrag ist. Sie hätten sich geeinigt, dass nur einer sind, glaube ich, schon ein bisschen mehr als die Lobby- spricht. vertreter der Astronomielehrer. Ich denke, es geht weit darüber hinaus, als dass es nur die Astronomielehrer (Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wo denn? betrifft. Wo steht das in der Geschäftsordnung? Es sind drei Fraktionen! – Dr. Fritz Hähle, CDU, Ich weiß nicht, ob es Ihnen bekannt ist: Astronomielehrer steht am Mikrofon.) sind zurzeit dabei, den Physiklehrern in Fortbildungs- maßnahmen den Astronomieunterricht beizubringen, Gut. Dann prüfen wir das jetzt noch einmal. – Herr damit sie den dann in ihrem Physikunterricht unterrichten Dr. Hähle, dann muss ich Sie bitten, noch die Sekunde zu können. warten. (Zuruf des Staatsministers Steffen Flath) Gut, ich denke, wir fangen jetzt hier miteinander keinen großen Streit an. Vielleicht sollte man darüber diskutieren, – Ich habe nicht gesagt, dass es falsch ist. Habe ich wie man das in Zukunft handhabt. Da ich Sie vorhin gesagt, dass es falsch ist? Nein, gar nicht aufregen! aufgerufen habe, gebe ich Ihnen jetzt das Wort. Ich denke, Das heißt, Astronomielehrer versuchen schon, ihre Inhalte das ist kein Problem; danach noch die FDP. weiter fortzuführen. Es ist nicht so, dass die Astronomie- Cornelia Falken, Linksfraktion.PDS: Sehr geehrte Frau lehrer blocken und Lobbyarbeit machen, sondern Astro- Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es nomielehrer sehen den bildungspolitischen Verlust, den mir auch egal, ob es ein Schlusswort ist oder eine Erwide- wir hier für unsere Jugendlichen haben. rung. Trotzdem denke ich, dass es schon notwendig ist, Diese Problematik Lobbyvertreter war, glaube ich, doch das eine oder andere noch einmal anzusprechen. ein großer Fehlgriff. Der Staatsminister Herr Flath sagte, es sei eine sachge- Danke. rechte Entscheidung. Eine sachgerechte Entscheidung (Beifall bei der Linksfraktion.PDS erwarte ich eigentlich von Sachverständigen, erwarte ich und den GRÜNEN) von den Fachlehrern, erwarte ich von all denen, die sich jetzt melden und sagen: Sachgerecht ist das nicht, denn 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Möchte sich die sachgerecht wäre, wenn wir die Astronomie erhalten FDP-Fraktion auch noch äußern? – Das ist nicht der Fall. würden. Deshalb bin ich der Auffassung, dass diese

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Dann bitte ich jetzt Herrn Dr. Hähle um die sachliche Meine Damen und Herren Abgeordneten, ich möchte Richtigstellung. Ihnen gern noch etwas zum Schlusswort sagen, weil wir morgen mit dem Nichtraucherantrag in eine gleiche Dr. Fritz Hähle, CDU: Frau Präsidentin! Meine Damen Situation kommen werden. Wir haben im Präsidium und Herren! Ich bin dankbar, dass ich diese sachliche beschlossen: 3 Minuten Schlusswort und nicht je Fraktion Richtigstellung noch unterbringen kann. Die Abg. 3 Minuten. Frau Falken hat behauptet, dass es einen Fraktionszwang in der CDU-Fraktion gäbe, speziell auch in dieser Frage. Das heißt, wenn wir schreiben „je 3 Minuten“, dann erhöht sich auch die Redezeit im Redeblock. Ich bitte das (Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS) zu bedenken. Es war also richtig, dass nur einer am Ende Ja, es mache sich sogar daran fest, ob hier die Kollegin- ein Schlusswort halten kann, wenn ein Thema in einem nen und Kollegen der Koalition jetzt in dieser Frage mit Antrag untergebracht ist. Wenn mehrere Fraktionen Ja oder Nein stimmen, ob es Koalitions- oder Fraktions- zusammen einen Antrag stellen, dann gibt es nur ein zwang gäbe. Schlusswort. Das ist morgen die gleiche Situation. Ich bitte, das jetzt so zur Kenntnis zu nehmen. Wir können (Sebastian Scheel, Linksfraktion.PDS: das gern noch einmal beraten. Alle einer Meinung!) Jetzt rufe ich zur namentlichen Abstimmung auf und ich Ich sage mal, es gibt ja immerhin auch die Möglichkeit – bitte meine Schriftführerin, diese vorzunehmen. und von dieser werden wir Gebrauch machen –, dass wir (Unruhe im Saal – Glocke der Präsidentin) uns haben überzeugen lassen von den Argumenten des Kultusministers, des Abg. Dulig, des Abg. Colditz Ich bitte auch um entsprechende Ruhe, weil wir die (Lachen bei der Linksfraktion.PDS) Stimmen mitzählen müssen. – Danke. und dass uns die Argumente der Oppositionsredner wenig Iris Schöne-Firmenich, CDU: Ich rufe auf zur namentli- überzeugend vorkamen. chen Abstimmung in der 70. Sitzung am 24.01.2007 über die Drucksache 4/7613. Wir beginnen mit dem Buchsta- (Beifall bei der CDU) ben P. 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Noch eine sachli- (Namentliche Abstimmung – siehe Anlage) che Richtigstellung. Bitte, Herr Dr. Hahn. Ist jemand im Saal, den ich vergessen habe aufzurufen? – Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Ja, sehr verehrte Das ist nicht der Fall. Danke. Frau Präsidentin, nun ist eine weitere sachliche Richtig- 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Ich bitte, die stellung vor der Abstimmung nötig. Stimmen auszuzählen und das Ergebnis noch abzuwarten. Kollege Hähle hat eben erklärt, es gäbe keinen Fraktions- und keinen Koalitionszwang. Da möchte ich darauf Meine Damen und Herren! Mir liegt jetzt das Ergebnis verweisen, dass wir heute eine Debatte zum Wahlalter zur Abstimmung über die Drucksache 4/7613 vor. Mit Ja 16 Jahre hatten und in dieser Diskussion die SPD aus- stimmten 43, mit Nein 59 Abgeordnete. Stimmenthaltun- drücklich erklärt hat, dass sie eine andere Position als die gen gab es keine. Damit hat der Antrag keine Mehrheit CDU hat und allein wegen des Koalitionszwangs nicht für erhalten, das heißt, er ist abgelehnt worden. Somit schlie- die Anträge der Opposition stimmt. Eines von beiden ße ich den Tagesordnungspunkt. kann nur richtig sein. Die Tagesordnung der 70. Sitzung ist abgearbeitet. Die nächste Sitzung ist morgen, am Donnerstag, dem (Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der FDP) 25. Januar 2007, 10:00 Uhr. Die 70. Sitzung ist geschlos- 2. Vizepräsidentin Andrea Dombois: Gibt es jetzt noch sen. Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg. weitere sachliche Richtigstellungen vor der Abstimmung? (Schluss der Sitzung: 18:54 Uhr) – Das scheint nicht der Fall zu sein.

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Anlage Namentliche Abstimmung in der 70. Sitzung am 24. Januar 2007 Gegenstand der Abstimmung: Drucksache 4/7613 Namensaufruf durch die Abg. Iris Schöne-Firmenich, CDU, beginnend mit dem Buchstaben P

Ja Nein Stimm- nicht Ja Nein Stimm- nicht enth. teilg. enth. teilg. Altmann, Elke x Lichdi, Johannes x Apfel, Holger x Prof. Dr. Mannsfeld, Karl x Baier, Klaus x Dr. Martens, Jürgen x Bandmann, Volker x Mattern, Ingrid x Bartl, Klaus x Matthes, Gesine x Prof. Bolick, Gunter x Menzel, Klaus-Jürgen x Bonk, Julia x Dr. Metz, Horst x Brangs, Stefan x Prof. Dr. Milbradt, Georg x Bräunig, Enrico x Morlok, Sven x Clauß, Christine x Dr. Müller, Johannes x Clemen, Robert x Neubert, Falk x Colditz, Thomas x Nicolaus, Kerstin x Dr. Deicke, Liane x Nolle, Karl x Delle, Alexander x Orosz, Helma x Despang, René x Patt, Peter Wilhelm x Dombois, Andrea x Pecher, Mario x Dulig, Martin x Dr. Pellmann, Dietmar x Eggert, Heinz x Petzold, Jürgen x Dr. Ernst, Cornelia x Petzold, Winfried x Falken, Cornelia x Pfeifer, Wolfgang x Flath, Steffen x Pfeiffer, Angelika x Dr. Friedrich, Michael x Pietzsch, Thomas x Fröhlich, René x Piwarz, Christian x Gansel, Jürgen x Prof. Dr. Porsch, Peter x Gebhardt, Rico x Dr. Raatz, Simone x Gerlach, Johannes x Rasch, Horst x Dr. Gerstenberg, Karl-Heinz x Rohwer, Lars x Dr. Gillo, Martin x Dr. Rößler, Matthias x Grapatin, Andreas x Roth, Andrea x Gregert, Helmut x Dr. Runge, Monika x Günther, Tino x Scheel, Sebastian x Günther-Schmidt, Astrid x Schiemann, Marko x de Haas, Friederike x Dr. Schmalfuß, Andreas x Dr. Hähle, Fritz x Schmidt, Jutta x Dr. Hahn, André x Schmidt, Mirko x Hähnel, Andreas x Schmidt, Thomas x Hamburger, Georg x Prof. Dr. Schneider, Günther x Hatzsch, Gunther x Schön, Jürgen x Heidan, Frank x Schöne-Firmenich, Iris x Heinz, Andreas x Schowtka, Peter x Heitmann, Steffen x Schulz, Regina x Henke, Rita x Schüßler, Gitta x Herbst, Torsten x Schütz, Kristin x Hermenau, Antje x Dr. Schwarz, Gisela x Hermsdorfer, Thomas x Seidel, Rolf x Herrmann, Elke x Simon, Bettina x Hilker, Heiko x Steinbach, Christian x Iltgen, Erich x Strempel, Karin x Dr. Jähnichen, Rolf x Teubner, Gottfried x Jurk, Thomas x Tillich, Stanislaw x Kagelmann, Kathrin x Tischendorf, Klaus x Kienzle, Alfons x Weckesser, Ronald x Klinger, Freya-Maria x Wehner, Horst x Klose, Peter x Weichert, Michael x Köditz, Kerstin x Weihnert, Margit x Kosel, Heiko x Prof. Dr. Weiss, Cornelius x Krauß, Alexander x Werner, Heike x Dr. Külow, Volker x Windisch, Uta x Kupfer, Frank x Winkler, Hermann x Lauterbach, Kerstin x Prof. Dr. Wöller, Roland x Lay, Caren x Zais, Karl-Friedrich x Lehmann, Heinz x Zastrow, Holger x

Ergebnis der Abstimmung: Jastimmen: 43 Neinstimmen: 59 Stimmenthaltungen: 0 Gesamtstimmen: 102

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HERAUSGEBER: HERSTELLUNG: VERTRIEB: Sächsischer Landtag Sächsischer Landtag Sächsischer Landtag Informationsdienst Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 Parlamentsdruckerei 01067 Dresden Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 Bernhard-von-Lindenau-Platz 1 01067 Dresden 01067 Dresden Tel.: 0351-4935341 www.landtag.sachsen.de Tel.: 0351-4935269 Fax: 0351-4935488 Fax: 0351-4935481

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