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SWR2 Literatur und Johann Wolfgang von Goethe – eine Gewissensehe Gegen Neid, Eifersucht, Diffamierung, Denunziation und gültige Rechtsordnung Von Gerwig Epkes

Sendung: Dienstag, 23. Mai 2017 Redaktion: Gerwig Epkes Regie: Gerwig Epkes Produktion: SWR 2017

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Weimar 19./20. April 1795 Mir wird die Zeit sehr lang. Ich wollte, ich wär noch bei Dir, ohne Dich ist doch alles nichts.

Goethe: Karlsbad, den 15. Juli 1795 Dem Fuhrmann, der Herrn von Oppels Küch und Keller hergebracht hat, gebe ich diess Blatt mit. Es ist mir bisher recht wohl gegangen, der Brunnen bekommt mir gut und fegt alles Böse aus; ich hoffe, recht ausgespült zu Dir zu kommen. Die Gesellschaft ist sehr zahlreich und angenehm, es gibt manchen Spaß und Äugelchen die Menge, wobei ich mich immer mehr überzeuge: Von Osten nach Westen, Zu Hause am besten.

Ein schöner Taft wird meinen kleinen Schatz erfreuen, sie sind so schön hier, dass einem die Wahl weh that. Und noch was, das Du gerne hast. Lebe wohl, grüße und küsse Gusteln. Adieu. liebe mich, wie ich am Ende aller Dinge nichts Besseres sehe, als Dich zu lieben und mit Dir zu leben. Hier kommt gleich etwas zum Vorschmack. G.

O-Ton Maier 8 Was man vielleicht, weil es auch den Nimbus Goethe hat, vielleicht nicht erwartet ist, dass sie einfach beide so menschlich sind und so nachvollziehbar. Ob das jetzt ist, dass sie zusammen schwärmen, was sie ihm zu essen kocht, was er sich wünscht, oder wenn sie zusammen durch den Garten gehen und sich daran freuen, was für beide so eine Art Paradies war, also beide haben diesen Garten geliebt, oder sich dann gegenseitig in ihrer Arbeit unterstützen und er sie fragt, wie ist das Theaterstück denn gelaufen, wie ist es angekommen, jeden einzelnen Schritt finde ich sehr nachvollziehbar und sympathisch.

Sprecher: Die Sachbuchautorin Katharina Maier

O-Ton Frühwald 1 Das Interesse an Goethes Hochzeit liegt daran, dass es eine unglaubliche Zeit war, in der Goethe geheiratet hat. Am Tag zuvor waren in der Nähe von Weimar, wo er damals mit seiner Frau lebte, weit mehr als 40.000 Soldaten gefallen in der Schlacht bei Jena und Auerstedt. Und am Tag nach der Schlacht schreibt Goethe an den Pastor einen Brief, er möchte ihn doch bitte nach Möglichkeit noch in dieser Woche verheiraten, und er wollte innerhalb von zwei Tage getraut werden, nachdem er vorher achtzehn Jahre unverheiratet mit seiner Frau gelebt hat. Und urplötzlich, hoppla hopp, wollte er nicht nur heiraten, sondern wurde er auch verheiratet. Und das ist für die Zeitgenossen natürlich ein Skandalon gewesen, dass da einer wenn 2 da Tausende von Menschen sterben, heiraten möchte und etwas vollziehen, was man nur in der schönsten Zeit seines Lebens tun sollte - und dann das Ganze nochmal rückwärts aufzuspulen und zu sehen, wann haben die beiden sich kennengelernt, warum hat er nicht geheiratet, warum hat er 1806 dann trotzdem geheiratet und wie ist diese Ehe ausgegangen? 28 Jahre verheiratet sein, davon 18 Jahre ohne Zeremonie. Und zehn Jahre mit Zeremonie. Das fand ich so spannend, dass ich wissen wollte, warum.

Sprecher: ... der Literaturwissenschaftler Wolfgang Frühwald.

Christiane Vulpius und Johann Wolfgang Goethe – eine Gewissensehe

Gegen Neid, Eifersucht, Diffamierung, Denunziation und gültige Rechtsordnung

Ein Feature von Gerwig Epkes

Sprecher: 1788 treffen sich Christiane Vulpius und Johann Wolfgang von Goethe im Park an der Ilm. 1788 stimmt, 12. Juli stimmt auch; aber im Park an der Ilm, stimmt das?

O-Ton Frühwald 2 Das ist so oft überliefert und zwar immer gleich überliefert, dass man davon ausgehen kann, dass es so gewesen ist. Und dieses ist der Hochzeitstag, den Goethe mit seiner Frau gefeiert hat. Und zwar jedes Jahr gleich als Hochzeitstag. Also, es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. Und vom 12. Juli an liebten sich die beiden und bekamen im Laufe ihres Lebens auch fünf Kinder miteinander.

Sprecher: Es beginnt also, wie ein Märchen. Eine arme junge, attraktive Frau, 23 Jahre, passt einen berühmten, mächtigen und weithin geachteten Mann, der kurz vor seinem 40. Geburtstag steht, im Park an der Ilm ab, um ihm eine Bittschrift ihres Bruders zu übergeben. Und wohl keineswegs schüchtern:

O-Ton Maier 1 Das kann schon sein, dass sie da nicht gerade schüchtern aufgetreten ist. Also ich kann mir vorstellen, sie war zu dem Zeitpunkt 23, hat also seit 5 Jahren auch eben in der Manufaktur gearbeitet, dass sie da vielleicht ganz selbstbewusst aufgetreten ist. Und das war vielleicht das, was ihn gerade angesprochen hat, kann man jetzt spekulieren. Sie war schon noch aus dem Bürgertum, aber so an der alleruntersten Ebene, aus dem Kleinbürgertum. Ihr Vater war am Weimarer Hof tätig, aber sehr viel Geld hat diese Stellung nicht gebracht. Dann hat er auch wegen eines Missverständnisses sein Amt verloren, als Christiane 17 war und dann hat Christiane ja was Ungewöhnliches gemacht, sie ist nämlich in eine Manufaktur gegangen und hat dort als Putzmacherin angefangen. Und das war für ein Mädchen aus dieser Schicht doch sehr ungewöhnlich. Aber Christiane hat eben diesen Schritt gemacht, um mit der Konvention zu brechen und Geld für die Familie ranzuschaffen. Ihr Bruder war Christian August Vulpius und der sollte später Bestsellerautor werden mit dem Buch Rinaldo Rinaldini, - hat sich dann später teilweise besser verkauft als Bücher von Goethe. Er hat also zu der Zeit in Jena studiert und wollte Theaterdichter werden 3 und da musste natürlich auch irgendwo Geld her, um das Studium zu finanzieren und das war eigentlich brotlose Kunst.

Sprecher: Wie sich das Zusammenleben von Christiane Vulpius und Johann Wolfgang Goethe im Haus am Frauenplan, im Gartenhaus oder für ein paar Jahre im Jägerhaus vor den Toren , also nach dem 12. Juli 1788 gestaltete, darüber gibt es kaum direkte private Zeugnisse. Goethe hatte 1797 alle Briefe verbrannt, die sich Christiane und er während seiner längeren Reisen und Arbeitsabwesenheiten in den ersten 5 Jahren schrieben. Die Goetheforscherin Sigrid Damm erwähnt aber eine Rechnung aus dieser Zeit von Johann Christian Spangenberg, einem Schlosser, in dem er Honorare für Reparaturen von mehrmals gebrochenen Betten forderte. Also begnügen wir uns mit der Aussagekraft der Rechnung über das Liebesleben von Christiane Vulpius und Goethe.

O-Ton Frühwald (6) Goethe war jemand, der seinen Ruhm fein säuberlich vorbereitet hat. Und dazu gehörte eben nicht, dass man in sein Intimleben Einblick haben sollte. Das war sehr poetisch darüber, sagt er, zum Beispiel in den Römischen Elegien zum Beispiel oder in den Venezianischen Epigrammen. Das hat er zugelassenen. Aber das was sozusagen von Mensch zu Mensch von Mund zu Ohr gegangen ist zwischen seiner Frau und ihm, das wollte er, dass die Nachwelt davon keine Kenntnis nimmt. Und die Nachwelt war natürlich vor allem dann daran interessiert.

Sprecher: Aber, da 601 Briefe erhalten blieben, kann die Nachwelt doch noch manches erfahren. Von Christiane Vulpius sind sie vom Mai 1793 erhalten. Von Goethe vom September 1792 an. 247 von Christiane, 354 von Johann Wolfgang. Sie erzählen, wie Christiane Vulpius und Johann Wolfgang Goethe lebten - zumindest wie Goethe es durch die aufbewahrten Briefe vermittelt und vor allen Dingen, was für eine Frau Christiane Vulpius war.

O-Ton Maier 2 Grundsätzlich stellt sie sich als jemand dar, der sehr lebenslustig ist, der auch frei von der Leber schreibt; in dem Fall auch als jemand, der sehr, sehr arbeitsam ist, dass sie ständig beschreibt, was sie zu arbeiten hat, was sie heute im Garten gemacht hat, oder im Haus. Aber auch sehr viel über das Theater schreibt, also auch diese Lust am Kulturellen hat, am Kulinarischen auch, also jemand, der das Leben genießt, und auf der anderen Seite mehr so zwischen den Zeilen sieht man auch, dass da, ja, immer wieder große Sorgen aus den Briefen sprechen. Das mögen für die damaligen Verhältnisse Alltagssorgen gewesen sein, vier von ihren Kindern sind ja gestorben kurz nach der Geburt. Sie macht sich Sorgen um ihren Bruder, dessen finanzielle Situation sein ganzes Leben nicht besonders gut ist. Sie macht sich auch Sorgen um Goethe, wenn er viel unterwegs ist. Und leidet unter der Einsamkeit und unter ihrer Situation in Weimar. Sie war ja gesellschaftlich als die Geliebte Goethes nicht gerade gut angesehen. Aber, das merkt man mehr so zwischen den Zeilen oder in einzelnen Sätzen. Der überbordende Eindruck, den man von ihr bekommt ist, dass sie sehr lebenslustig ist. Und das Leben genießt. Vielleicht sogar wenn es ihr auch niemand gönnt. Sie genießt es trotzdem. Sie setzt sich hin und schreibt diese Briefe, soweit man das nachvollziehen kann, fast jeden Abend. Manchmal sind es nur ganz 4 kurze Notizen, die sie ihm schreibt, wo sie eben sagt, ich habe heut nur ganz wenig Zeit, weil wir eben alle Gardinen bügeln oder weil ich jetzt grad vom Krautland erst komm‘. Da schreibt sie ihm vielleicht nur ein paar Zeilen. Aber sie schreibt ihm. Und er schreibt ja auch zurück. Also das ist ne gegenseitige Korrespondenz, die die beiden haben, und ne sehr ausführliche Korrespondenz und das finde ich eben ganz bemerkenswert und ein Zeugnis für die Beziehung, die die beiden hatten, dass sie selbst, also wenn sie voneinander getrennt sind, eben diese Briefkorrespondenz und zwar diese intensive Briefkorrespondenz pflegen. Und von ihrer Seite tut sie es eben obwohl es ihr wahrscheinlich schwer fällt; obwohl sie für ne Seite Brief sich hinsetzen muß und konzentrieren muß, und es wahrscheinlich nicht aus lauter Freude am Schreiben macht, aber sie macht es, um mit ihm im Gespräch zu bleiben. Man kann dann aus den Briefen schließen, sie haben wahrscheinlich auch, wenn er zu Hause war, privat drüber geredet. Das ist offensichtlich ein Austausch, der da zwischen den beiden stattfindet. Ihre Orthografie war, man kann sagen, sehr eigenwillig. Also wir wissen nicht welche Schulbildung Christiane genossen hat. Sie hat auf alle Fälle Lesen und Schreiben gelernt und man merkt einfach auch, dass sie nach ihrem Gehör schreibt und dann muß man also noch in Erwägung ziehen, dass sie ja in Thüringen wohnt, aber sie schreibt nach einem Thüringer Dialekt. Und da wird dann eben aus einer Bibliothek die Biebeldäck zum Beispiel. Oder eben solche Sachen, die dann relativ schwer zu entziffern sind, weil man erstmal draufkommen muss, welches Wort eigentlich gemeint ist. Auf der anderen Seite kommt dann noch ihre Schreibsituation hinzu, dass sie erst am Ende eines langen Arbeitstages schreibt. Sie schreibt aber auch nachdem sie von einem Ball nach Hause gekommen ist. Oder vom Theater nach Hause gekommen ist. Da wird sie auch nicht so auf jedes Wort geschaut haben.

Christiane: Weimar 7.Juni 1793 Bald hätte ich Dir vergessen zu schreiben, dass der Kleine sich sehr freut über sein abc Buch und will das abc lernen, er sagt: 'Daß ich auch was kann, wenn der liebe Vater wiederkömmt.'

Weimar, 11. April 1795: Ich hätte mir nicht gedacht, dass Du so lange in Weimar bleiben würdest.

Weimar, 26. September 1796

Leben Sie recht lieb. In Eile. C.V.

Weimar, 29. Mai 1797

Mir geht es ganz wohl, ich bin noch immer vergnügt. Wenn Du nur bei mir wärst! Am Sonnabend bin ich auch mit der besten Laune in dem Petermännchen (nach dem Schauerroman von Christian Heinrich Spieß) gewesen trotz des abgeschmackten Stückes, und da, weil Du nicht da warst, alles ziemlich confus ging, zum Exempel: die Walter kam aus der Coulisse und ging auch so wieder hinein, und mehres dergleichen weiß der Teufel. Aber die kleine Götzen hat aufs erste ihre Sache artig gemacht. Nur daß man an dem armen Kind so viel gespart hatte; es war sehr schlecht angezogen, sie bekam aber derb applaudirt… 5

Weimar, 22. Mai 1798

Nun, mein allerbester, superber, geliebter Schatz, muß ich mich ein bißchen mit Dir unterhalten, sonst will es gar nicht gehen.

Weimar, 23.Dezember 1800 Da es freilich nicht möglich war, daß Du kommen konntest, so muß ich mich darin schicken; aber betrübt bin ich doch, denn wenn Du morgen nicht hier bist, so ist der ganze Spaß nichts.

Weimar, 1. Mai 1802

Ich bin recht fleißig im alten Garten und freu mich sehr über die Baumblüthe; denn wenn es so bleibt, als es aussieht, so kriegen wir dieß Jahr Obst, daß wir nicht wissen, wohin damit. Das macht mich schon recht glücklich, und ich mache schon Rechnung wie das Milch-Mädchen. Auf den Mittewoch werde ich doch hören, wenn Du kömmst? Komm ja die nächste Woche, damit Du noch etwas von der Baumblüthe zu sehen kriegest; im oberen Garten ist es prächtig. Leb wohl. Ich freu mich schon, Dich bald wiederzusehen.

Lauchstädt, 12. Juli 1803

Dienstag, den 12., frühe um 3 Uhr

Nach Tische gingen wir in die Allee, wo uns Herr von Nostiz und mehrere erwarteten und uns zum Thé dansant führten, wo es sehr schön war, und wo ich alles getanzet habe, was getanzt worden war, und wo ich auf der Stelle die neuen Schuhe durchgetanzt habe. Itzo habe ich 3 Tage hintereinander getanzet und nun bin ich erst recht dabei. Gestern, habe ich nachher erfahren, hatte sich ein Graf vorgenommen, mich mit einer Quadrille recht müde zu machen, denn es wurde sehr rasch getanzet. Aber ich ward nicht einmal müde; und man spricht hier sehr viel von mir wegen des Tanzen, und ich glaube, die Comtessen haben mitunter doch eine kleine Boßheit auf mich, lassen sich aber nichts merken. Nach dem Ball mußte ich mich umziehn, denn ich war wie aus dem Bade gezogen. … und der Herr Hofrath Schiller hatte auch kommen wollen, war aber auf dem Sopha eingeschlafen und kam nicht…

Weimar, 24. Mai 1810

Ist denn die Bettine in Karlsbad angekommen und die Frau von Eybenberg? Und hier sagt man, die Sylvie und Gottern gingen auch hin. Was willst Du denn mit all den Äuglichen anfangen? Das wird zu viel.

Weimar, 19. Januar 1811

Erstlich, da wir gestern geschlachtet haben, folgen hier 2 Leber-Würste, eine Blutwurst und ein kleines Preßköpfchen.

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Weimar, 25.August 1814 Lieber, guter Geheimrath, ich freue mich recht sehr, aus Deinen Briefen zu sehen, das Dir alles nach Wunsche geht, und Du mich wieder ein bißchen gelobt hast. Wie Du weg warst, befand ich mich gar nicht wohl;... Schreib uns recht bald, wann Du ohngefähr zu kommen denkst. Leb wohl, ich bin wie immer Dein, so lange ich lebe.

Sprecher: Ein Paarleben und Familienleben erzählen diese 601 Briefe, die Goethe nicht vernichtete, wie die aus den ersten fünf Jahren des Zusammenlebens mit Christiane. Über den Anfang, über die Geheimhaltung des Verhältnisses, über die Entdeckung, gibt es andere Schriftstücke. Nach der Rückkehr aus Italien schrieb Goethe an den Herzog im Februar 1789…

Goethe: "Ich habe mich schon wieder eingehamstert und bin wohl auch nach meiner Art recht vergnügt. Trutz Schnee und Himmelsgrau laß ich mir das Beste von Kunst und Natur fürtrefflich schmecken, und habe meine ganze Einrichtung ad intus verlegt."

Sprecher: Eine nicht ungeschickt versteckte Botschaft, die der Herzog wohl nicht richtig verstehen konnte. Und die gesamte Weimarer Gesellschaft war bis zum Frühjahr 1789 weitgehend ahnungslos. Der Herzog Karl August und seine Frau, der gesamte Hof und bekannte Persönlichkeiten, wie Herder oder Wieland. Und viele der 6000 Einwohner Weimars. Und das größte Vergnügen ist, über die Anderen Bescheid zu wissen, also, so ungefähr, also eigentlich wissen sie alles. Und doch schaffte es Johann Wolfgang von Goethe, seine Geliebte zu verstecken. Ein dreiviertel Jahr immerhin. Und wer fand es heraus?: der Zufall, der ja bekanntlich nicht miteinkalkuliert werden kann. In diesem Falle war der Zufall Fritz, ein Sohn von Charlotte von Stein.

O-Ton Frühwald 3 Der Fritz von Stein, das war der jüngste Sohn der Charlotte von Stein, war ein Pflegesohn von Goethe. Und besaß deswegen auch einen Schlüssel zum Gartenhaus von Goethe. Und als er eines Tages die Türe aufsperrte, kam ihm Christiane entgegen. Und der Sohn erlebte zu seiner Überraschung eben Goethes Frau in diesem Haus. Und er hatte nichts davon gewusst und hat seiner Mutter davon erzählt. Und die Mutter hat nun wirklich Goethe heftige Vorwürfe gemacht. Obwohl man ziemlich genau sagen kann, dass Goethe mit Frau von Stein zwar ein Liebesverhältnis hatte, aber kein intimes Verhältnis. Und da kommt eine junge frische Frau mit einer Körpersprache nun, die für Goethe etwas ganz Neues war. Und für ihn war sie die Römerin. Die Römerin mit der man ja nicht nur geistig verkehren konnte, sondern mit der man auch fleischlich und leiblich verkehren konnte und er vergleicht ihren Körper, den Körper der Christiane Vulpius, mit den Figuren, die er ja gerade noch in Rom und Italien gesehen hat. Also Goethe hat wahrscheinlich mit dieser Christiane zum ersten Mal ein persönliches und auch sexuell gefestigtes Liebesleben geführt. Und das ist etwas ganz anderes als das Leben, das er mit Charlotte von Stein geführt hat.

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Sprecher: Ausgerechnet. Der Sohn der Frau, der Goethe so viel verdankte und zu der er in sehr enger Beziehung stand - bis er dann nach Italien reiste. Ohne jemandem etwas zu sagen. Auch seinem Herzog nicht. Und Frau von Stein deshalb auch nichts. Das war im September 1786 und zurück kam er Mai 1788. Wir können uns vorstellen, welche Erwartungen Frau von Stein hegte. Und dann das. Sie erzählte es Caroline Herder und die wiederum berichtete ihrem Mann am 8. März 1789, der sich in Rom aufhielt:

Caroline Herder: Ich habe nun das Geheimnis von der Stein selbst, warum sie mit Goethe nicht mehr recht gut sein will. Er hat die junge Vulpius zu seinem Klärchen und lässt sie oft zu sich kommen usw. Sie verdenkt ihm das sehr. Da er so ein vorzüglicher Mann ist, auch schon 40 Jahre alt, so sollte er nichts tun, wodurch er sich zu den anderen so herabwürdigt.

Sprecher: Aber Goethe, nach einem längeren Briefwechsel und einigen Begegnungen, schreibt Charlotte von Stein:

Goethe: Aber das gestehe ich gern, die Art wie du mich bisher behandelt hast, kann ich nicht erdulden. Wenn ich gesprächig war, hat du mir die Lippen verschlossen, wenn ich mittheilend war hast du mich der Gleichgültigkeit, wenn ich für Freunde thätig war, der Kälte und Nachlässigkeit beschuldigt. Jede meiner Minen has du kontrolliert, meine Bewegungen, meine Art zu seyn getadelt und mich immer mal a mon aise gesetzt... Wo sollte da Vertrauen und Offenheit gedeihen, wenn du mich mit vorsätzlicher Laune von dir stießest. Ich möchte gern noch manches hinzufügen, wenn ich nicht befürchte, dass es dich bei deiner Gemütsverfassung eher beleidigen als versöhnen könnte... Ich gebe die Hoffnung nicht ganz auf dass du mich wieder erkennen werdest. Leb wohl.

Sprecher: Goethe hatte ihr vor diesem Brief vorgeschlagen, statt Liebende, Freunde zu bleiben. Dass Charlotte von Stein darauf nicht eingehen konnte, war sicherlich nicht überraschend für ihn. Da aber nun Christiane schwanger war, hatte er sich entschieden. Für Christiane gegen alle Widerstände, die er vom Hof und der Weimarer Gesellschaft erwarten musste. Und einer der Gründe, warum er dem Brief einen zweiten nachsandte, mag die Schwangerschaft und die zu gegenwärtigen Schwierigkeiten gewesen sein.

Goethe: ...Nur mag ich dich gerne bitten: Hilf mir selbst, dass das Verhältnis das dir zuwider ist, nicht ausarte, sondern stehen bleibe wie es steht. Schencke mir dein Vertrauen wieder, sieh die Sache aus einem natürlichen Gesichtspunckte an, erlaube mir dir ein gelassnes wahres Wort darüber zu sagen und ich kann hoffen es soll alles zwischen uns rein und gut bestellen.

Sprecher: Das erfüllte sich nie. Wie auch? Goethe lebte also in wilder Ehe. Seiner Zeit nannte man das eine Gewissensehe: 8

O-Ton Frühwald (4): Ich hab' mir immer gedacht, was heißt das eigentlich eine Gewissensehe? Lichtenberg hat eine Gewissensehe geführt. Johann Georg Hamann hat eine Gewissensehe geführt. Goethe hat eine Gewissensehe geführt. Bei Schiller kommt sowas niemals vor, eine Gewissensehe. Sondern der war verheiratet oder nicht verheiratet. Und da gab's auch nichts anderes. Gewissensehe heißt im juristischen Jargon der Zeit, eine Ehe, die normalerweise von der Obrigkeit genehmigt ist, die aber im geheimen geführt werden darf, ohne dass die Öffentlichkeit davon etwas weiß. Das heißt eigentlich Gewissensehe. Seit Hamann und Lichtenberg, die Goethe beide kannte und mit denen er auch im Briefverkehr stand, seit diesen beiden gibt es eine Gewissensehe als eine Ehe, die nicht von der Obrigkeit genehmigt ist, und die trotzdem auf Treue und lebenslanger Bindung besteht und ausgeht.

Sprecher: Was Goethe da tat, war revolutionär, er stellte sich gegen die gesellschaftlichen Regeln. Und hinzu kam, dass Cristiane Vulpius schwanger war. Was ein weiteres großes, ernstes, gesellschaftliches Problem war.

Frühwald O-Ton 5 Es ist meine Revolution gewesen, hat er gesagt. Und da hat er natürlich auch recht. Also er weiß genau, dass diese Französische Revolution, die die Monarchien gestürzt hat und die Demokratien eingeführt hat, dass diese Revolution etwas Ähnliches war, was er mit der Weimarer Hofgesellschaft vollbracht hat, dass er sich eine Frau nach seinem Gusto gewählt hat. Und dass er mit dieser Frau wirklich in Treue zusammengelebt hat, 28 Jahre seines Lebens.

Sprecher: Und die Schwangerschaft, der sogenannte "anticipierte Beischlaf"?

Frühwald O-Ton 8 Man muss bedenken, dass selbst Brautleute, die miteinander ein Kind hatten, ehe sie verheiratet waren, damals bestraft wurden. Dass insbesondere die Frauen, wenn sie ein uneheliches Kind zur Welt brachten, bestraft wurden, und dass Goethe sich all diese moralischen und rechtlichen Schwierigkeiten sich und seiner Frau wirklich angetan hat und trotzdem an dieser Frau festgehalten hat. Also, das ist ein Kriminalroman eigener Qualität.

Frühwald O-Ton 9 Aber das mit der Hochzeit, wo es nicht um leibliche Strafen geht, sondern nur um Bußen, allerdings dann auch um Gefängnisstrafen und selbstverständlich um Ächtung innerhalb der Gesellschaft, das hat er auf sich genommen. Und der hatte einen Freund im Staatsrat und der hieß Johann Gottlieb Voigt, und dieser Voigt war wirklich sein bester Freund. Der hat ihm beigestanden in all diesen Nöten, weil Christiane ein uneheliches Kind nach dem anderen auf die Welt brachte. Fünf uneheliche Kinder und für jedes war eigentlich Busse fällig und Voigt hat diese Busse jeweils abgewendet und er hat ihm auch blitzschnell die Heiratserlaubnis gegeben, nicht erwirkt – denn der Herzog war gar nicht da, als Goethe heiratete, er stand im Felde gegen Napoleon, und Voigt hat ihm blitzschnell die Heiratserlaubnis gegeben, damit er heiraten konnte. Und dem Herzog hat man das ganze erst nach

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Weihnachten des Jahres 1806 mitgeteilt. "Ich habe in dieser Situation geheiratet, Sie werden es mir' nachsehen".

Sprecher: Soweit sind wir noch nicht. Wir befinden uns noch Jahre vor der Hochzeit. Und der Adel zerriss sich das Maul über "ihren Goethe", über sein Liebchen, weil er sich zu Christiane bekannte. Und der Weimarer Hof bestrafte ihn. Goethe musste aus dem Haus am Frauenplan ausziehen und im sogenannten Jägerhaus wohnen.

O-Ton Frühwald 13 Ob der Fürst den Goethe rausgeworfen hat oder ob es nicht die Damen seines Hofstaates waren, das ist noch umstritten. Ich glaube eher letzteres. Die Damen ließen ihm nämlich - und das ist überliefert – aktenkundig ließen ausrichten, es wäre Ihnen unangenehm, wenn sie seinen Balg und seinen Bastard, also, das uneheliche Kind, August, täglich vor Augen haben müssten. Und deswegen wäre es Ihnen lieber, wenn er nicht im Haus am Frauenplan wohnte. Und da der Fürst auf Harmonie bedacht war, nicht dauernd die Vorwürfe haben wollte, hat er Goethe ein Haus vor den Toren der Stadt Weimar angeboten. Der Herzog hat immerhin seine Freundschaft so weit an Goethe bewährt, dass er ihm dieses Quartier gegeben hat.

Sprecher: Goethe ist öffentlich bestraft. Verlor jedoch nicht seine Stellung. Er behielt seine Autonomie. Ein Sieg des Individuums durch Goethe. Ein großer Sieg für die damalige Zeit. Und es bedurfte noch vieler gesellschaftlicher Kämpfe, bis jeder und jede frei in der Wahl des Partners / der Partnerin wurde. Also, 1789 gewann Goethe. Und es folgte ein dreijähriger Kampf, bis der Herzog ihn wieder ins Haus am Frauenplan zurückzuziehen erlaubte.

O-Ton Maier 13 NEU Ich kann mir vorstellen, dass er den Sinn der Ehe einfach nicht eingesehen hat als eine Institution, dass er sich dagegen gesperrt hat. Es gibt Aussagen die sein Sekretär Riemer über Goethe macht, kann man das ein bisschen rückschließen. Er soll auch gesagt haben, über Christiane, sie ist immer meiner Frau gewesen. Also ihm selber war dieser Trauschein nicht wichtig. Es war wahrscheinlich auch eine Art Rebellion gegen die Gesellschaft von Weimar. Ich interpretier das so, dass diese Ehe etwas war, das er dieser Gesellschaft nicht geben wollte. Das ist aber natürlich alles eine sehr, sehr selbstzentrierte Sicht von ihm, wenn es so war, Christiane hat natürlich viel mehr Konsequenzen tragen müssen als er.

Sprecher: Auch vor seiner Mutter hielt Goethe seine Beziehung mit Christiane einige Zeit geheim. Erst im August 1797 stellte er sie seiner Mutter, der Frau Rath, in vor.

O-Ton Frühwald 10: Er wußte nicht wie die Frau Rath reagieren würde darauf. Dass sie so freundlich reagierte, wie sie darauf reagiert hat, beweist eigentlich nur, dass Goethe seine Mutter gar nicht so nah gekannt hat, wie wir meinen, dass er sie hätte kennen sollen. Denn diese Frau Rath hat sich ungeheuer gefreut, dass Goethe einen, wie sie sagte, einen Bettschatz hat. Und als sie diese Christiane kennenlernte und alle ihre 10

Frankfurter Freunde in ihr Lob eingestimmt haben, und gesagt haben, das ist ein frische junge Frau, die redet wie ihr der Schnabel gewachsen ist, und wir freuen uns für deinen Sohn, dass er diese Frau gefunden hat, und keine irgendwelche arrogante Adlige von hohem Stande, wir freuen uns. Da war die Frau Rath, die in Frankfurt lebte, ganz auf der Seite ihres Sohnes und hat sich über jedes Kind und jede Geburt gefreut und über jeden Todesfall mitgetrauert. Also die beste Freundin in der Familie Goethe von Christiane Vulpius war Goethes Mutter.

Sprecher: Am 25.12.1789 wurde Christiane Vulpius' und Johann Wolfgang von Goethes erster Sohn, August (Walter), geboren. Vier weitere Kinder bekam das Paar, während es in einer Gewissensehe lebte. Drei starben kurz nach der Geburt. Ein Kind wurde tot geboren. Am 14.Oktober 1791. Es war das zweite Kind. Die Tochter Caroline starb 12 Tage nach der Geburt. Noch im Mai und Juni 1793 schrieb Christiane an Goethe:

Christiane: Ich bin recht wohl mit meiner Krabskrälligkeit. Und nun noch eine Bitte an Dich. In Jena und Weimar habe ich einige große Bequemlichkeit zu den Pfuiteufelchen gesehen. Das sind so weiße Saloppen von klarem weißen Zeuge ohne Streifen, ganz glatt; sie werden es in Frankfurt schon wissen. Wenn Du mir so was schicken wolltest, aber bald, sei aber ja nicht böse, dass ich Dich schon wieder plage. Leb recht wohl und behalte mich recht lieb, ich liebe Dich unaussprechlich. Gehe ja nicht in den Krieg und denke an mich. Adieu, mein Bester.

Weimar, den 17./18. Juni 1793 Das Pfuiteufelchen hat sich gemeldet, und es wird wohl seinen Besuch im Oktober machen. Da bist Du doch wohl wieder da. Ach ja, da läßt Du mich nicht allein! habe mich nur lieb und denke an mich, ich habe Dich ja jeden Augenblick im Sinn und denke nur immer, wie ich im Haushalt alles in Ordnung bringen will, um Dir mit etwas Freude zu machen, weil Du mich so glücklich machst. Leb wohl, behalte mich lieb und denke an mich, ich und der Kleine küssen Dich tausendmal. Schreibe mir bald wieder. Du schriebst mir in einem Briefe, es wäre Zwirn dabei, aber ich habe keinen bekommen.

O-Ton Maier 11 Diese Intimsprache das ist so eine Mischung. Teilweise ist es auch so eine Flirtsprache. Also wenn Christiane sagt, sie ist hasig, oder sich auch Goethes Hase nennt, das hat immer so ein bisschen eine sexuelle Komponente. Also das signalisiert sie ihm schon ihre sexuellen Bedürfnisse. So was wie „gramseln“ ist dann ein Wort, was sich entwickelt hat, wenn Christiane traurig ist, oder wenn sie eben auch unter dieser Entfernung leidet. Die Meerweiblichkeit ist einfach ein Wort der beiden mit dem sie ihm sagt, dass sie gerade ihre Tage hat. Ja, die Pfuiteufelchen und die Krabskrälligkeit, hat schon fast ein bisschen was, makaber ist nicht das richtige Wort, aber was von schwarzem Humor. Das sind nämlich die unehelichen Kinder, die Christiane von Goethe hat. Also so lang sie schwanger ist und die Kinder noch keinen Namen haben, nennt sie die eben Pfuiteufelchen oder Krabskrälligkeit, weil die ja auch einem illegalen Verhältnis, also einer Nichtehe, entsprungen sind. Dann gibt es natürlich noch diese berühmten Schlampampsstündchen, die immer 11 wieder erwähnt werden. Also schlampampsen was das genau ist, ob das ein paar Stunden sind, wo sie zusammen spazieren gehen und die sie ganz allein miteinander verbringen oder ob es tatsächlich Schäferstündchen sind, das wird nicht hundertprozentig klar.

Christiane: Weimar, den 10. November 1795 Es tuth mir leid, dass ich Dir nicht schreiben kann, dass wir beide wohl sind. Ich bin recht wohl, so dass ich ausser Bette sein kann. Aber das Kleine ist seit zwei Tagen sehr matt und schläft den ganzen Tag. Und wenn es essen und trinken soll, so muss man es aufwecken. Und da ißt es auch. Der Doctor und die Liebern trösten zwar gut, aber ich leugne es nicht, ich bin ängstlich dabei. Ich wollte Dir, mein Lieber, erst nicht schreiben, aber es ist doch besser, Du weißt es, und deshalb schicke ich Dir einen Boten. Herzog hat heute 2 mal geschicket, ob Du noch nicht zurück wärst. Der Gustel läßt Dich schönstens grüßen und freut sich, Dich bald wiederzusehen. Sei so gut und schreibe mir ein Wort zu meinem Trost. Leb wohl, zu Ende der Woche erwarte ich (Dich). Behalte mich lieb.

Sprecher: 6 Tage später starb das dritte Kind, Carl.

O-Ton Frühwald 11 In dieser Familie gab es wohl eine Rhesusunverträglichkeit, die man heute durch Blutaustausch ohne weiteres reparieren kann, die man aber damals nicht einmal dem Namen nach gekannt hat und deswegen nichts reparieren konnte. Bei Rousseau gibt es den berühmten Hinweis, die Hälfte all unserer Kinder stirbt, ehe sie das achte Lebensjahr errungen hat. Und in manchen Gegenden des Deutschen Reiches damals wurden den Kindern erst Namen gegeben, sie wurden erst getauft, wenn sie die Pocken hinter sich hatten. Dann rentierte es sich, sich um diese Kinder zu kümmern, sonst war es nur ein Sterben und man musste die Frauen vor diesem Tod und dem Schrecken beschützen und man musste die Kinder davor schützen.

Sprecher:

So offen und ehrlich Christianes und Goethes Beziehung auch war, sie schloss Eifersucht nicht aus, wie Briefe aus dem Jahre 1792 zeigen:

Goethe: Im Lager von Verdun, den 10.September 1792. Behalte mich ja lieb! Denn ich bin manchmal in Gedanken eifersüchtig und stelle mir vor: das Dir ein anderer besser gefallen könnte, weil ich viele Männer hübscher und angenehmer finde als mich selbst. Das mußt Du aber nicht sehen, sondern Du mußt mich für den besten halten, weil ich Dich ganz entsetzlich lieb habe und mir ausser Dir nichts gefällt. Du mußt mir wohl ein bißchen Eifersucht und Sorge vergeben...Solang ich Dein Herz nicht hatte, was half mir das Übrige, jetzt da ichs habe, möcht ichs gern behalten. Dafür bin ich auch Dein.

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Sprecher: Und noch 1803 im Juli, als sich Christiane Vulpius zu Kur in Lauchstädt aufhielt, mußte sie ihn beruhigen.

Christiane: Leb wohl und behalte mich lieb. Denn hier unter allen denen ist kein Mann wie Du; wenn man sie näher kennt, kann man sie alle nicht achten. Lustig aber bin ich und habe Dir sehr viel zu erzählen... Wie Du gibt es keinen Mann in der ganzen Welt. Wegen der Augen kannst Du ganz außer Sorge sein; aber Äuglein gibt es, dass man sich nicht zu retten weiß. Heute Abend ist Ball, und ich bin schon 10 Tänze engagirt. Leb wohl, ich muss schließen. Behalte mich so lieb wie ich, Dein Dich ewig liebender Schatz.

O-Ton Maier 10 Also die Äuglein das war das Flirten. Wenn man also jemand anderem Äuglein macht. Und das wurde dann auch erzählt. Da wurde dann auch drüber gelacht. Aber wenn es eben die Augen werden, dann heißt das Vorsicht! Und sie sagt dann schon mal so etwas wie: Pass auf, die Augen musst Du für mich aufheben. Sie haben sich anscheinend gegenseitig auf die Finger geschaut.

Sprecher: In dem kleinen Kurort Lauchstädt verbringt Christiane viele Sommerurlaube. Da fühlt sie sich wohl.

Christiane: Lauchstädt, Montag, 11. Juli 1803, frühe um 7 Uhr. Was mir Dein lieber Brief gestern vor Freuden gemacht hat, kann ich Dir gar nicht beschreiben.... Es wurde "Der argwöhnische Liebhaber" gegeben. Die Einnahme war 202 Taler. Becker und Haide wurden herausgerufen. Nach der Komödie speisten wir im Salon, wo ich mit einer Fräulein von Biedersee Bekanntschaft machte und mit mehreren Damen, die ich noch werde alle kennen lernen. Überhaupt, man ist hier sehr artig gegen mich; ich kann sagen, man ist artiger gegen mich als gegen andere Leute. - Mich hat es sehr gefreut, dass so viel Weimarer hier sind, die dieses alles mit ansehen.

Sprecher: Die Weimarer, allen voran Charlotte Schiller, die Christiane Vulpius "an ein rundes Nichts" erinnerte und sie nannte sie „ein Nichts von Leerheit und Plattheit… Welcher Dämon hat ihm diese Hälfte angeschmiedet.“ … "eine toll gewordene Blutwurst" sagte Bettine von Arnim.. Und Herder schrieb voller Empörung seiner Frau: „Ein armes Mädchen - ich könnte mir's um alles nicht erlauben.“ Als Trinkerin wurde Christiane verleumdet.

O-Ton Frühwald 14 Also es war größtenteils Eifersucht und Neid, dass diese Frau, ausgerechnet diese Frau, sich diesen Goethe schnappt, wie man gemeint hat. In Wirklichkeit war es umgekehrt. Denn die Christiane war eine sehr junge Frau und Goethe war schon, naja, über vierzig, also, und hatte zwar in der Poesie Erfahrung mit Frauen. Aber im Leben war sie nicht so groß. Man weiß nicht, was in Italien geschehen ist. Da war 13

Goethe viel schweigsam wie immer. Aber das Christiane die erste in Deutschland auch körperlich geliebte Frau war, daran scheint mir überhaupt kein Zweifel zu bestehen.

Sprecher: Am 24.Juli 1797 bestimmte Goethe testamentarisch seinen Sohn August zum Universalerben. Und

Goethe: ...seiner erstgedachten Mutter hingegen vermache ich den Nießbrauch alles dessen, was ich den hießigen Landen zur Zeit meines Todes besitze, dergestalt das sie zeitlebens in dem ungestörten Besitz desselben bleibe... doch unter der Bedingung das sie auf die Erziehung unsres Sohnes mütterlich das nöthige verwende.

Sprecher: Vier Jahre später stellte Goethe im Frühjahr bei Herzog Carl August den Antrag, seinen Sohn August mit einem Legitimationsdekret zu begnadigen und in den Stand ehelich gezeugter Kinder zu versetzen. Am 12. Juli 1801 wird dem Antrag entsprochen. 1802 stirbt drei Tage nach der Geburt, das vierte Kind, Kathinka. Und vier Jahre später heiratet Johann Wolfgang von Goethe, Christiane. Am 19.Oktober 1806. 18 Jahre, nachdem er mit ihr in wilder Ehe gelebt hatte. Sie geschützt hatte, seine herausragende Stellung bei Hofe ausschöpfend. Diese wilde Ehe, die der Kompromiss zwischen seiner Ablehnung kirchlicher Institutionen und seinem künstlerischen Freiheitswunsch war, geschuldet den Bedingungen, die er sich schaffen mußte, um kreativ sein zu können. Und dann am 19. Oktober gilt das alles nicht mehr? Knall auf Fall, alles über den Haufen werfen und heiraten?

O-Ton Frühwald 12a / 12b Also was passiert ist, weiss man nicht sehr genau. Man weiß natürlich, dass in sämtliche Quartiere in Weimar damals französische Soldaten einquartiert wurden. Bei den höheren Herrschaften Offiziere nach Möglichkeit. Bei den anderen niedrige Soldaten. Dass diese Soldaten geplündert haben, dass sie nicht nur geplündert haben, sondern dass sie die Häuser auch in Brand gesteckt haben. Also es war eine Schreckensnacht, die Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1806. Eine Schreckensnacht in der auch wohl Goethe in Lebensgefahr geraten ist. Denn als er meinte, es sei bereits alles vorüber, kamen noch einige marodierende Soldaten zurück, haben nach dem Hausherrn gerufen und der Hausherr war starr vor Schrecken und hat gar nichts getan, sich nicht verteidigt, sondern stand nur da, sodass sie ihm lebensgefährlich nahe auf den Leib gerückt sind. Und da war Christiane da. Die Christiane wusste, was die wollten. Die hat denen ein paar silberne Leuchter in die Hand gedrückt und hat mit Hilfe eines bei ihnen einquartierten Soldaten, auch eines französischen Soldaten, aus dem Haus gedrängt. Es wird behauptet, dass Goethe aus Dankbarkeit für diese Lebensrettung Christiane geheiratet hat. Aber ich glaube, er hat einfach gesehen, was selbst ihm geschehen konnte. Dass er durch die Zeitläufte an Leib und Leben gefährdet war. Und wenn er nicht mehr da gewesen wäre, dann wäre seine Frau eine Frau mit einem unehelichen Kind gewesen. Nicht verheiratet mit ihm, nicht erbberechtigt. Und das wäre ein fürchterliches Dasein für Christiane gewesen. Viel schlimmer als es dann wirklich geworden ist. Also er hat sofort jetzt heiraten wollen, damit diese Frau 14 und sein Sohn gesichert sind und als verheiratet Menschen und als ein eheliches Kind, der August, in die Geschichte eingeht. Er hat seinen Sohn testamentarisch anerkannt. Und hat seinen Sohn wiederum mit Hilfe seines Freundes Voigt, hat seinen Sohn auf umgetauft. Sonst hätte er ja August Vulpius geheißen und hat auf diese Art und Weise seinen Sohn gesichert ehe er seine Frau gesichert hat. Dass er sie beide gesichert hat, das geschah erst mit dieser Heirat am 19. Oktober 1806, nachdem Weimar am 14./15. Oktober geplündert und gebrandschatzt worden ist.

Sprecher: Nach der Heirat wurde es eine Ehe mit noch längeren Abwesenheiten Goethes. Christiane war immer mehr alleine. Ihr Wunsch nach Nähe blieb unerfüllt.

O-Ton Maier 3 Es gibt so die These, die in der Goethe-Christiane-Forschung im Raum ist, und die ist jetzt nicht ganz von der Hand zu weisen, dass er nach der Heirat gesagt hat, also nach 1806, gut, jetzt bist du offiziell meine Ehefrau, und kannst an den Bällen teilnehmen, kannst auch nach Karlsbad fahren und du kannst dir alles erhalten, mach was du willst und ich mache, was ich will. Also dass das Leben nach der Heirat sich vielleicht noch mehr in die Richtung entwickelt hat, dass es ein Leben nebeneinander geworden ist. Und zwar mit Entfernung, weil eben Goethe wahrscheinlich, je älter er wurde immer mehr die Einsamkeit zum Schaffen eingefordert hat. Und Christiane wahrscheinlich mit den Jahren auch gelernt hat das zu akzeptieren und vielleicht auch selbst was draus gemacht hat. Jeder hat dann sein eigenes Leben geführt. So, glaube ich, kann man sagen.

Sprecher: Doch die Treue zu Christiane hatte Bestand. Trotz mancher Versuchung.

O-Ton Frühwald 15 Anscheinend war es doch so, dass es, ich meine in Goethes näheren Bekanntschaften mit Frauen, auch in der Zeit, in der er von zu Hause abwesend war, nur eine wirkliche Versuchung gegeben hat. Und die hieß Marianne von Willemer. Die junge Marianne von Willemer, eine geborene Marianne Jung, hat Goethe wirklich in Versuchung geführt, seiner Frau untreu zu werden, aber er ist es nicht geworden. Und es gibt große Gedichte, in denen dieses Ringen mit sich, ob meiner Frau treu oder ob der anderen treu, diese Beziehung gut dargestellt sind. Und wenn man diesen Gedichten glaubt, und man kann eigentlich nicht anders, denn sie sind ehrlich geschrieben, dann war Goethe ein treuer Ehemann, auch wenn er sich in Marianne von Willemer verliebt hat.

Sprecher: Und was bleibt von dem Vorwurf, Goethe hätte seine Frau auf dem Sterbebett allein gelassen?

O-Ton Frühwald 17 Mir ist plötzlich aufgefallen, weil man immer sagte und weil auch mich das gestört hat, dass diese Christiane vor Schmerzen geschrien hat - sie starb an Nierenveragen, an Urämie, - und es muss ein sehr schmerzhafter Tod gewesen sein -, sie hat so geschrien, dass die Wärterinnen sogar von ihrem Bett geflohen sind, weil 15 sie diese Schmerzensschreie nicht mehr anhören konnten, und dass in einer solchen Situation der Mann, der im gleichen Hause wohnt, nicht ans Bett seiner Frau geht, das konnte ich nur schwer verstehen. Aber wenn man genauer zusieht, dann war damals eine sehr starke Grippewelle, die über Weimar hereingebrochen war. Goethe lag mit Fieber im Bett, ist am Todestag seiner Frau wieder einigermaßen genesen, aber nicht nur er lag mit Fieber im Bett, sondern das gesamte Hausgesinde lag im Bett, und es gab niemand, der sich um die Küche kümmerte, der um das Essen sich kümmerte, der sich um Christiane in ihrer Todeskrankheit kümmerte. Und es waren drei Schauspielerinnen, die an diesem Tag Goethe besucht haben, bzw. nicht ihn, sondern seine Frau besucht haben, und am Bett seiner Frau gewacht haben und die Schmerzen, so gut es ging, gelindert haben. Allen voran eine Dame, die mit Christiane befreundet war seit Kindertagen, namens Karoline Jagemann. Also diese drei Frauen, die Christiane besucht haben, die zeigen doch, dass Goethe nicht aus Feigheit nicht ans Bett seiner Frau gegangen ist, sondern dass das schon so etwas wie Krankheitsgründe waren. Die drei Frauen schreiben das auch. Es ist in diesem Haus alles durcheinander. Wir sitzen in der Küche, weil selbst die Dienstmagd erkrankt ist. Also es war eine richtige Fieberwelle die das Haus überfallen hat. Ob das eine Entschuldigung ist, dass er nicht am Bett seiner Frau saß, oder nicht. Es ist jedenfalls eine Erklärung. Also, das Ganze war anders, als wir uns das vorstellen. Und eine voreilige moralische Entwertung von Goethes Verhältnis zu seiner Frau, die wäre mit Sicherheit falsch.

Goethe: Heidelberg, 26./27. September 1815 Überall finde ich nur Gutes und Liebes; bin überall willkommen, weil ich die Menschen lasse, wie sie sind, niemandem etwas nehme, sondern nur empfange und gebe. Wenn man zu Hause den Menschen so vieles nachsähe, als man auswärts thut, man könnte einen Himmel um sich verbreiten; freilich ist auf der Reise alles vorübergehend, und das Druckende läßt sich ausweichen.

13. Juli 1796: Heut ist die Französische Revolution 7 Jahr und mein Ehstand 8 Jahre alt. (Goethe an Schiller).

Sie ist immer meine Frau gewesen.

Christiane: Leb wohl, ich bin wie immer Dein, so lange ich lebe.

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