63280 oktober–dezember 2009___4 7. jahrgang

Das Magazin des deutschen Musiklebens.

Bundesminister SPD-Kulturpolitikerin Thomas de Maizière Petra Merkel über über Schwierigkeiten kulturellen Austausch und Chancen der und das Projekt einer zusammengeführten Künstlerakademie in Kultur in Ost und West Istanbul 8,50 m „Prinzen“-Sänger Ministerpräsident Sebastian Krumbiegel Jürgen Rüttgers über aufwühlende über die Rolle von Wendetage und die Kulturpolitik und die erste gesamtdeutsche Zukunft des Kreativ- Erfolgsband standorts NRW ! zum Artikel auf Seite 32 EDITORIAL

RINGEN UM DEN

Christian Höppner Königsweg Chefredakteur

LICHT UND SCHATTEN EINER DIKTATUR: Die DDR war das Land mit der höchsten Orchester- dichte in der Welt. 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich die Orchesterlandschaft im wiedervereinten Deutschland kräftig verändert – wie die Karte des Musikinformationszentrums auf der linken Seite sehr anschaulich vor Augen hält*. Hinter den reinen Zahlen dieser Ausdünnung verbergen sich die Geschichten von Menschen und Gruppen. Die Kraftfeldmessung im Verhältnis von Staat und Zivilgesellschaft und das Werden und Vergehen im Selbstverständnis einer zusammenwach- senden Kulturnation sind in die Statistik unscheinbar, aber folgenreich mit eingerechnet.

„Markt / gesellschaftliche Verantwortung, zentral / föderal, gestern–heute–morgen“ – dies sind Zutaten in dem Stück Ein Kessel Buntes. Ingredienzen, die kulturelle Vielfalt auf ganz unterschiedlichen Ebenen immer wieder aufs Neue sichtbar werden ließen und lassen – oder eben auch nicht. In den glücklichen Fällen, die die Deutsche Einheit – neben den traurigen Beispielen – auch beschreibt, ging und geht es immer wieder um das Ringen um den Königsweg. Das unendliche Feld der Musik gibt – weit über die Orchesterlandschaft hinaus – immer wieder beeindruckende Beispiele im Miteinander von Menschen, die die Überzeugung von der existenziellen Bedeutung von Kultur für das Zusammen- leben in einer humanen Gesellschaft eint. Dass Bildung dabei immer mitgedacht wird, wenn von Kultur gesprochen wird, gehört zu den unausgesprochenen Selbstverständlichkeiten.

Im Zeitalter einer zunehmenden Marktliberalisierung muss sich eines erst wieder im Bewusstsein verankern: Kulturelle Vielfalt ist die Hefe im Teig einer jeden kulturellen Entwicklung. Das Erleben kultureller Vielfalt – ein Leben lang – ist die wichtigste Voraussetzung, um die fehlende Balance zwischen Marktliberalisierung und einer humanen Gesellschaft zu korrigieren. Die UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Kulturellen Vielfalt ist ein Instrument auf diesem komplexen Gebiet. Doch sie bedarf in der Kommunikation noch der Übersetzung der Kernbotschaften sowie der Impuls- gebung in der Umsetzung ihrer völkerrechtlich verbindlichen Aussagen.

Die Geschichte der DDR und die Geschichte von 20 Jahren Wiedervereinigung beschreiben die fundamentale Bedeutung kultureller Vielfalt. So oder so.

Ihr

Christian Höppner

* Mehr dazu im Artikel auf Seite 32.

 MUSIK ORUM 3 INHALT

IM FOKUS: MUSIK UND MAUERFALL Musik im stillen Widerstand Ulrike Liedtke über die „kleinen Unterwanderungen“ ostdeutscher 8 Komponisten in der Zeit der DDR

Konzertkarten an den Zahnarzt verschenkt? Diese und andere häufig gestellte Fragen zum Kulturalltag der DDR 11 Was der Westen vom Osten hätte lernen können Kulturelle Bildung nach der Wende: So ging es – und so hätte es auch gehen können. Von Hans Bäßler 13 Wegbereiter zum „einig Kulturstaat“ Wie Ost und West ab Herbst 1990 kulturell und in der Bildung verknüpft wurden, berichtet Thomas de Maizière im Gespräch 16 akzente porträt kulturen

„Kultur ist nicht mehr Luxus, Schule als freier Lebensraum: Brückenbau zwischen türkischer sondern elementar“ Karl Heinrich Ehrenforth zum 80. und deutscher Kultur Nordrhein-Westfalen will sich als Vorreiter Der Musikwissenschaftler und Musik- Gespräch mit Petra Merkel über das in Kreativität und Kultur positionieren. pädagoge Karl Heinrich Ehrenforth feiert Projekt der „Villa Tarabya“, einer Künstler- Für Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ist demnächst seinen 80. Geburtstag. akademie in Istanbul 48 deshalb kulturelle Bildung nicht nur eine Aus diesem Anlass beschreibt Hans Bäßler Voraussetzung für Vielfalt und den einen Mann, der stets dabei ist, teilnimmt, Tor zur Welt-Kultur Respekt gegenüber anderen Kulturen, Partei ergreift – und einen christlich- Wie sich Hamburg musikalisch global sondern wichtige „Investition“ in den anthropologisch geprägten Menschen, vernetzt. Von Julia Dautel 52 gesellschaftlichen Reichtum. Immerhin hat der zeitlebens neugierig war auf das sein Bundesland mit der Verdopplung „Andere“ und die „Anderen“. Und deshalb Klangsprache des Orients der Mittel für kulturfördernde Maßnahmen bis heute ein Suchender geblieben ist Karin Sporer und Helmut Bieler-Wendt neue Marken gesetzt 42 44 über das integrative Gütersloher Schüler- projekt „MusikWelten“ 54

 4 MUSIK ORUM „Erinnerungsort“ Nationalhymne Die Sorben und ihre Musik Die Geschichte der „Deutschlandlieder“ beschreibt Friedhelm Brusniak 19 Ulrich Pogoda bringt die Kultur einer slawischen Minderheit nahe 36 „Alles über einen Kammen scheren – zu einfach!“ Die DDR war ein Unrechtsstaat – aber hatte auch seine kulturellen Eine Ost-Idee kommt Highlights, weiß „Prinzen-Sänger“ Sebastian Krumbiegel 22 ganz groß raus! Andreas Bausdorf über das Gemeinsamer musikalischer Plattenbau Dirigentenforum als Beispiel für Gesamtdeutsche Klassik-Kooperation zu DDR-Zeiten. Von Hans Hirsch 26 das kulturelle Zusammenwachsen von Ost und West 38 Mehr Schutz für unsere Orchesterlandschaft Stephan Schulmeistrat über die krisenhafte Situation großer Klangkörper 32 Am Anfang war ein Name Wie Chöre nach der Wende Wenn Musik Staat machen soll wieder zusammenfanden 40 Klingende Symbolik: Manfred Heidler über Militärmusik im Osten 34 wirtschaft.recht dokumentation DMR aktuell Urheberrecht und Schule Wie orientiere ich mich als Lehrer im Paragrafendschungel? 41 bildung.forschung Ohne Blick durch die Fachbrille Zum Studienfach „Populäre Musik und Medien“ an der Universität Potsdam 56 Europaweit kommunizieren und voneinander lernen Musikberufe im Fokus Informationen aus den Projekten, Mitglieds- Aktuelle Ergebnisse des Music Education verbänden, Landesmusikräten und Fach- Die beim Expertenkongress „Zukunft der Network „meNet“ 58 ausschüssen des Deutschen Musikrats Musikberufe II“ verabschiedete 2. Rheins- Supplement nach Seite 40 berger Erklärung steckt das Feld der neuetöne künstlerischen und musikpädagogischen Synergie-Arbeit im Grünen Tätigkeiten ab 62 Neustart: das „netzwerk junge ohren“ 60 rubriken MUSIKORUM Editorial 3 oktober– dezember 2009___4 Nachrichten 6 Rezensionen: CDs und Bücher 64

Finale / Impressum 66 Das Magazin des deutschen Musiklebens

 MUSIK ORUM 5 NACHRICHTEN

© Initiative Musik Umfrage: Klassik ist wichtiges Kulturgut

Eine repräsentative Befragung der Bertelsmann Stiftung zum Thema „Klassik und Oper“ hat ergeben, dass mehr als zwei Drittel der Bevölkerung die Förderung von Klassik und Oper für eine wichtige Aufgabe in unserer Gesellschaft halten. Dabei sehen die Befragten vor allem Stiftungen, private Gön- ner und Mäzene in der Pflicht. Danach gefragt, was sich ändern müsse, damit sich mehr Menschen für klassische Musik interessierten, befürworteten nahezu drei Viertel niedrige Eintrittspreise für Konzert- und Opernabende, dicht gefolgt „Plan! Pop 09“ in Rostock: Impulse zur Förderung populärer Musik vom Wunsch nach mehr Veranstal- Insgesamt 200 Fachleute folgten der Einladung der Ini- um auf politischer und wirtschaftlicher Ebene Bereitstel- tungsangeboten, die Klassik und tiative Musik zu ihrer ersten Bundesfachkonferenz „Plan! lung adäquater Mittel, Ressourcen und Strukturen zu be- Pop verbinden. Der besonderen Pop 09“ in Rostock. Im Ergebnis setzten die Teilnehmer wirken. Ein zentrales Anliegen der Initiative Musik in den Unterstützung von musikalischen der Konferenz auf kontinuierliche Projekte und eine lang- kommenden Jahren sind der Aufbau und die Stärkung Fähigkeiten bereits im Kindesalter fristige Unterstützung der Musikförderung auf allen Ebe- einer funktionstüchtigen Struktur zur Förderung populä- maßen die Befragten ebenfalls gro- nen: kommunal, national und international. Dabei soll- rer Musik in allen Bundesländern. Das Bild oben zeigt die ße Bedeutung bei. ten die inhaltlichen Impulse aus der Szene selbst kommen, Konferenzteilnehmer am Rostocker Kongresszentrum.

 Rückgang bei Opern: Nach Angaben der schaftlichen Bedeutung des Festivals insgesamt „musik gewinnt!“ neuen Werkstatistik 2007/2008 des Deutschen Büh- 6,67 Millionen Euro. Danach fließt jeder Euro staat- neu ausgeschrieben nenvereins ging die Zahl der gespielten Werke in der licher Förderung fast vier Mal in die Wirtschaft des Zum dritten Mal können Schulklas- Oper erstmals seit einigen Jahren, wenn auch nur Landes Schleswig-Holstein zurück. Mehr sen darstellen, wie Musikunterricht um sechs Werke, zurück. Ungebrochen aktiv Musizierende als angenommen: das Arbeiten in der Gruppe und der die Dominanz der Klassiker: Die Zauber- Rund 16,5 Prozent der deutschen Bevöl- gesamten Schule positiv beeinflusst. flöte weist mit 40 Inszenierungen, 453 kerung spielen ein Musikinstrument. Das Ziel des Wettbewerbs ist, die Lust auf Aufführungen und 289964 Besuchern wie ist das Ergebnis einer neuen GFK-Studie, gemeinsames Singen zu fördern. Preise immer die höchsten Aufführungs- wie Insze- bei der im Auftrag der Society of Music werden am 12. Juni 2010 vom Verband nierungszahlen auf. Produktives Festival: Merchants (SOMM) insgesamt 11900 Perso- Deutscher Schulmusiker in Zusammen- arbeit mit dem WDR, der „Initiative Die direkten wirtschaftlichen Effekte des Schles- nen zum Thema „Musikinstrumente und Musi- Hören“, der Strecker-Stiftung Mainz wig-Holstein Musik Festivals betragen nach einer von zieren“ befragt wurden. 47 Prozent gaben an, und dem Deutschen Musikrat in Köln gerne ein Instrument erlernen zu wollen.  ()der TNS Emnid durchgeführten Studie zur wirt- vergeben. U www.musik-gewinnt.de personalia Hildegard Behrens † Detlef Altenburg menden Spielzeit gebeten. Intendant des Konzerthauses Berlin (Bild) wird erster Präsident Auch der Vertrag des verabschiedet worden. Seine Nach- Die Sopranistin Hildegard Beh- der neu gegründeten Inter- Stuttgarter Staatsoper- folge hat Sebastian Nordmann rens ist im Alter von 72 Jahren national Liszt Association, intendanten Albrecht übernommen. +++ Der Medien- völlig unerwartet während eines die zukünftig die globale Puhlmann wird nach jurist Guido Evers wurde zum 1. Aufenthalts in Japan verstorben. künstlerische und wissen- Entscheidung des Verwal- September in die Geschäftsführung Die große Wagner- und Strauss- schaftliche Auseinander- tungsrats der Württem- der Gesellschaft zur Verwertung von setzung mit dem Œuvre bergischen Staatstheater Leistungsschutzrechten (GVL) in Interpretin, die 1974 während der Proben zu Alban Bergs Woz- Franz Liszts fördern soll. © Busch/HFM Weimar nicht verlängert und endet Berlin berufen. Der 47-Jährige folgt +++ Zum neuen Vorsit- 2011. Als Nachfolger ist Peter Zombik, der der GVL zeck von Herbert von Karajan zenden des GEMA-Aufsichtsrats der Regisseur Jossi Wieler im weiterhin beratend zur Seite stehen entdeckt wurde, gastierte in ih- wurde der Komponist Jörg Evers Gespräch. +++ Neue Präsidentin wird. +++ Martin Ullrich hat ren Glanzrollen regelmäßig an gewählt. +++ Der Generalinten- des AIBM (Association Internatio- das Amt des Präsidenten der Hoch- den größten Opernhäusern wie dant des Theaters Bremen, Hans- nale des Bibliothèques, Archives et schule für Musik Nürnberg über- der Metropolitan Opera in New Joachim Frey, hat nach Streitig- Centres de Documentation Musi- nommen. +++ Peter Spuhler keiten über die hohen Produktions- caux) ist Barbara Wiermann wird ab der Spielzeit 2011/2012 York, der Covent Garden Opera kosten für das Musical Marie Antoi- von der Musikhochschule „Felix Generalintendant am Badischen London, der Wiener Staatsoper nette um eine vorzeitige Beendigung Mendelsson Bartholdy“ in Leipzig. Staatstheater und somit Achim und den Bayreuther Festspielen. seines Vertrags zum Ende der kom- +++ Frank Schneider ist als Thorwald ablösen.

 6 MUSIK ORUM Foto: Marco Ehrhardt

˜ Telemedienangebote Dreistufentest: eine Chance für die Öffentlich-rechtlichen Seit Inkrafttreten des 12. Rund- funkänderungsstaatsvertrags am 1. Juni sind die öffentlich-recht- lichen Rundfunkanstalten verpflich- tet, den Dreistufentest für alle ihre Telemedienangebote durchzufüh- ren. Der Test soll gewährleisten, dass das digitale Angebot dem gesetzlichen Auftrag entspricht und einen qualitativen Beitrag zum publizistischen Wettbewerb leis- tet. „Für den Deutschen Musikrat Frischer Wind und neue Töne in Schleswig-Holsteins Musikleben ist der öffentlich-rechtliche Rund- Das vom Landesmusikrat und dem Festival „chiffren“ neu sischer“ neuer Musik begeisterten. Die landesweit quali- funk nicht nur ein Spiegelbild, gegründete schleswig-holsteinische LandesJugendEn- fiziertesten Instrumentalschüler und Musikstudenten treffen sondern auch ein Seismograf für semble für Neue Musik (Bild oben) soll frischen Wind in sich jährlich in ein bis zwei Arbeitsphasen, um ein Kon- die kulturelle Vielfalt in unserem das norddeutsche Musikleben bringen. Ihr Debütkonzert zertprogramm einzustudieren. Sie werden durch nam- Land“, stellten hierzu Christian feierten die 18 jungen Musiker im September im Kieler hafte Musiker der Neue-Musik-Szene kompetent geschult. Höppner, Generalsekretär des Opernhaus, wo sie das Publikum mit einem breit gefä- Insgesamt gibt es in Deutschland bisher nur drei ähnliche Deutschen Musikrats, und Ulrike cherten Programm von zeitgenössischer, aber auch „klas- Jugendensembles für Neue Musik. Liedtke, die Vorsitzende des Rund- funkausschusses der Konferenz der Landesmusikräte, in einer gemein- Musikdownloads: Bundles Neue Sendereihe: SWR2 stellt Wiegenlieder vor samen Erklärung fest. Angesichts überflügeln Einzeltracks eines sich verändernden Nutzer- In seiner über ein Jahr laufenden weniger bekannte Kunstlieder zu verhaltens und der Konvergenz Bei den Musikdownloads deutet sich Sendereihe präsentiert „SWR2 Wie- hören. Die Kulturprogramme des der Medien sei es folgerichtig, dass eine Veränderung des Kaufverhaltens genlied“ ab 28. November Woche Hessischen, Norddeutschen, Saar- auch mit dem neuen Staatsvertrag an: In den ersten sechs Monaten des für Woche ein Wiegenlied zusam- ländischen und Westdeutschen die Telemedienangebote zum ori- Jahres überstieg der Umsatz mit so men mit Hintergrundinformationen Rundfunks sowie von Radio Bremen ginären Aufgabenbereich des öf- genannten Bundles laut Angaben des sowie Erläuterungen oder Kommen- werden die Wiegenlieder zeitver- fentlich-rechtlichen Rundfunks ge- Bundesverbands Musikindustrie erst- taren der Sänger zum jeweiligen setzt senden. Bereits am 19. Okto- hörten. mals die Erlöse aus dem Verkauf ein- Lied (samstags um 19.05 Uhr). ber erscheint im Carus-Verlag die „Der Dreistufentest eröffnet zelner Musikstücke. Neben allgemein bekannten Liedern erste von zwei Exklusiven Wiegen- nicht nur die Chance einer Pro- Von Januar bis Juni wurden in wie Der Mond ist aufgegangen, lieder-CDs mit den ersten 26 Lie- fessionalisierung und damit erhöh- Deutschland rund 3,1 Millionen Bund- Schlaf, Kindlein, schlaf oder Guten dern. ten Transparenz bei den Teleme- les verkauft, was einer Absatzsteige- Abend, gut Nacht sind auch einige U www.wiegenlieder.org dienkonzepten nach innen und rung von 55,1 Prozent und einer außen, sondern verbessert die sach- Umsatzsteigerung von 49,1 Prozent bezogene Argumentationsgrund- entspricht. lage in den Auseinandersetzungen ausgezeichnet auf europäischer Ebene“, heißt es Kulturhaushalt steigt Der Countertenor And- alle zwei Jahre vergeben in der Erklärung. Dieser Prozess zum fünften Mal in Folge reas Scholl (Bild) sowie wird und als bedeutendste erfordere Augenmaß, die Durch- der Oboist Heinz Holli- Auszeichnung im Bereich führung des Tests dürfe nicht zu Trotz der schwierigen konjunkturel- ger wurden mit den Solis- Chordirigieren gilt, ist die Lasten von Programminhalten len Rahmenbedingungen hat das Bun- tenpreisen der Kulturstif- venezolanische Dirigentin gehen und die notwendigen Gut- deskabinett erneut eine Steigerung tung Pro Europa geehrt. Pro Maria Guinand. +++ achter-Kosten müssten in vertret- des Kulturhaushalts für 2010 von Europa vergibt seit mehr Der „Klassikpreis“ 2009 barem Rahmen bleiben. „Ziel des 1,143 Mrd. Euro auf 1,162 Mrd. Euro als 20 Jahren Preise für von „Jugend musiziert“ Dreistufentests ist und bleibt ein beschlossen. herausragende Leistungen © IMGartists geht an zwei Duos aus für den Nutzer sinnvolles, quali- Staatsminister Bernd Neumann im Kulturbereich. +++ Die Nordrhein-Westfalen: Je tativ hochwertiges und zeitgemä- konnte damit zum fünften Mal eine Jury des Internationalen Gesangswett- 3000 Euro erhalten das Kölner Kla- ßes Online-Angebot als dritte Säule Steigerung des Kulturhaushalts errei- bewerbs „Competizione dell’Opera“ vier-Duo Yuhao Guo und Mark des öffentlich-rechtlichen Rund- chen – seit seinem Amtsantritt hat 2009 wählte beim Finalkonzert in Kantorovich und das Duo Na- funks.“ sich der Kulturhaushalt insgesamt um der Dresdner Semperoper die slowa- dège Rochat (Violoncello) und Die gesamte Mitteilung des 10,14 Prozent erhöht. Gerade in Zei- kische Sopranistin Mária Porub- Quoc-Vinh Nguyen (Klavier) Deutschen Musikrats: ten der Wirtschaftskrise setzten die Etat- cinová zur Gewinnerin des mit aus Köln und Erfstadt. Insgesamt 14 U www.musik-forum-online.de/ steigerung und auch die zusätzlichen 10000 Euro dotierten 1. Preises. „Jugend musiziert“-Bundespreisträger dreistufentest Programme ein deutliches Signal für +++ Die erste Preisträgerin des hatten sich für die Wertungsspiele die Kultur, erklärte der Minister. Helmuth-Rilling-Preises, der künftig um den „Klassikpreis“ qualifiziert.

 MUSIK ORUM 7 FOKUS

inst begründeten diese Kom- Ulrike Liedtke über die „kleinen Unterwanderungen“ Eponisten zeitgenössischer ostdeutscher Komponisten in der Zeit der DDR Musik eine Generation im Osten Deutschlands, von der man west- lich der Mauer zu hören glaubte, MUSIK IM dass ihre stilistisch unterschied- lichen Stücke allesamt seltsam verhalten, hintergründig, ja merk- stillen Widerstand würdig klangen.

Da erschienen Stücktitel absichtsvoll pro- der DDR. Wer erst einmal die Hürde der Auffassung, dass ein möglicher Gesprächs- vokant oder lächerlich zufällig gewählt, Klang- Mitgliedschaft erklommen hatte, nutzte Rei- partner momentan nur Genosse Honecker lich-Strukturelles war detailliert gearbeitet und sefreiheit für seine künstlerische Entwicklung, selbst sein könne.“ weit gereiste Musiker interpretierten Urauf- fand offene Türen zum Staatsapparat vor und Wie zu erwarten war, blieben die Reak- führungen. Man hatte aus der Abgeschieden- wurde unfreiwillig von ihm zum Vorzeigen tionen aus dem ZK Kultur nicht aus. Unter heit in eine Welt geschrieben, die halbseitig vereinnahmt. Eine Aussprache über die Stra- allen Umständen wollte man wissen, wer denn vernehmbar war. Sie nahmen sich zumeist tegie von Sektion Musik und Akademie in dieses Protokoll an den Spiegel lanciert hatte. überaus ernst, diese Stücke (oder auch die den 90er Jahren in Vorbereitung auf das Das Akademie-Plenum im Frühjahr verlief Komponisten?). Je seltener sie gespielt wur- Akademie-Plenum im Frühjahr 1990 erschien dann schon weniger spannend und machte den, um so mehr gewannen sie an Bedeu- in Auszügen im Spiegel. Bei folgendem Zitat erst recht die Ventilfunktion des Hauses deut- tung: die Komposition im Schreibtisch! Un- aus dem Protokoll vom 7. Februar 1989 zur lich. Jetzt hätte die Akademie Vorreiter einer erhört! Eine Entdeckung für diejenigen hundert Sitzung am 3. Februar stelle man sich vor, neuen Zeit werden können, wie sie es ein Jahre nach uns. Selbstvertrauen und Zuver- nicht etwa hehre Akademiemitglieder, son- Jahr zuvor durchaus war. Aber das Spiel mit sicht speisten sich aus zeitgeschichtlichen dern der Orchestervorstand eines kleinen den autoritären Worten funktionierte nur, so- Zusammenhängen. Schließlich war man – Theaters oder der Kultursachbearbeiter eines lange der Staat autoritär funktionierte. wenn auch unverstanden – durchaus bekannt. Ratszimmers hätte sich so geäußert: Es ging ihnen doch gar nicht so schlecht, Man traf sich in gemeinsamen Konzerten und „Die Mitglieder bedauern den nichtsou- den Komponisten! Schließlich organisierte der Versammlungen zum gemeinsamen Lamen- veränen Umgang mit Kultur und Kunst sei- Verband der Komponisten und Musikwis- tieren, Schimpfen, vielleicht auch Verändern tens der Parteiführung. Dort werde die Rol- senschaftler der DDR alljährlich DDR-Mu- der halben Welt. Wenig beachtete Verlags- le, die Kultur und Kunst für die Identitäts- siktage oder eine Internationale Musik-Bien- ausgaben trösteten über das unangenehme findung eines Volkes spielen können, nicht nale in Berlin. Dort konnte man gespielt Insidergefühl bei Aufführungen hinweg. Und erkannt. Misstrauen und Gängelei herrschen werden. Nur der Dresdener Jörg Herchet ver- doch war es gut möglich, so zu hören, zu vor, wirkliche Mitsprache wird Künstlern nicht weigerte sich der Mitgliedschaft im Verband. komponieren und zu leben. Selbst Schüler geboten. Entscheidungen entspringen keiner Er hatte das Statut, das kaum jemand mehr stellten sich ein, die, falls sie nicht einfach echten Konzeption und erscheinen daher oft ernst nahm, gelesen und war nicht bereit, sich weggingen, konsequent fortsetzten, wo die als willkürlich. Diskussionen am Detail (z. B. leiten zu lassen „von den Beschlüssen der Partei Altvorderen gerade standen. ‚Sputnik‘, sowjetische Filme, ‚Sinn und Form‘- der Arbeiterklasse, der führenden Kraft der Aber: Was ist ein Widerstand wert, der Artikel) schaffen unsinnigen Kraftaufwand am Gesellschaft, den Beschlüssen der Volksver- nicht laut wird, sich nicht durchsetzt? Ist die falschen Objekt, wesentliche Fragen werden tretungen und ihrer Organe“. Formulierung „er (oder sie) ging in die inne- dagegen nicht verhandelt. Bedauert wird re Emigration“ nicht viel vornehmer? „Stiller speziell auch die Führungsschwäche des Demokratie gespielt Widerstand“ mag wie ein kokettes Wortspiel Ministeriums für Kultur. Einhellig war man klingen, beschreibt aber Verhaltensmuster in der Auffassung, dass der Komponistenver- Das Verhältnis der meisten Komponisten Diktaturen und die in ihnen gelebte Mehr- band gegenwärtig ein hilfloses Gremium sei, zu ihrem Verband war ein ambivalentes. Na- schichtigkeit. Er beschreibt etwas vom „rich- die Verbandsführung nicht auf der Höhe der türlich wollte man gespielt werden. Man suchte tigen Leben im falschen“, wie Wolfgang Thierse Zeit … Einhellig wurde festgestellt, dass die anhand von Vorspielen und Werkanalysen sagt. Er impliziert auch Wagnisse und Zivil- Zeit vorbei sei, wo man sich hinter dem star- das Gespräch und redete vermutlich mehr courage, Geradlinigkeit, Ehrlichkeit und Treue ken Rücken von Leuten wie Eisler und Des- miteinander als heute. Die Veranstaltungs- gegenüber eigenen Schaffensprinzipien, zwi- sau verstecken konnte. Niemand dürfe sich broschüre der Internationalen Musikbienna- schen Staatstreue, Mitlaufen und Widerste- davor drücken, für seine Positionen mit kla- le von 1983 weist offenherzig zwei „politi- hen. ren Argumenten aufzutreten. Hier liege die sche Mitarbeiter“ aus. Welche Aufgaben hatten Wo alles innerhalb zentralistischer Struk- gesellschaftliche Verantwortung der Akade- sie? Immerhin stand dieser Biennale ein na- turen funktioniert, kommt auch der Musik miemitglieder. Man müsse die grassierende mentlich aufgeführter künstlerischer Beirat ein Treppchen auf der hierarchischen Leiter Mutlosigkeit überwinden und insbesondere zur Seite. 1987 werden die vier Jahre zuvor zu. Ganz oben stand die Kulturabteilung des das direkte Gespräch suchen. Da man sich als politische Mitarbeiter Ausgewiesenen ZK der SED. Weniger wichtig, weil abhängig dazu nicht außerhalb gegebener gesellschaft- nunmehr bezeichnet als „künstlerisches Be- von oben, war der Kulturminister. Für den licher Strukturen bewegen könne und wol- triebsbüro“ und „Organisatoren“. Das Bien- einzelnen Komponisten wichtig und erstre- le, hieße das, das Gespräch mit der Partei- nale-Programmheft informiert: „Die Programm- benswertes Ziel war die Akademie der Künste führung zu suchen. Allerdings war man der auswahl erfolgte durch berufene Gremien mit

 8 MUSIK ORUM Bestätigung der Abteilung Musik des Minis- lisch-Horn, Posaune und Kontrabass von 1972 tenverband als staatsgefährdend bezeichnet. teriums für Kultur und des Präsidiums des mit dem Titel So und so oder sein Piccoloflö- Man warte schon darauf, dass das Telefon Verbandes der Komponisten und Musikwis- ten- und Tubatrio von 1978 Durch Dick und aus Moskau klingele! Medek beschrieb in Ge- senschaftler der DDR.“ Peinlich genau fand Dünn. Schreibt einer aus der DDR heraus dächtsnisprotokollen Auseinandersetzungen das Gießkannenprinzip seine Anwendung. den Psalm 21 oder Glied der menschlichen um den Vorwurf, er schreibe unpolitische Bezirksverbände schlugen Kompositionen vor, Gesellschaft wie Christfried Schmidt, ein Musik, der 3. Satz seines Piccolo-Flötenkon- man spielte Demokratie. Quintett Einblicke – Ausblicke wie Thomas zertes weise zu überwindenden Eklektizismus Erfreulicherweise lassen sich all die klei- Müller oder ein Klaviersextett Kommen und auf. Und überhaupt: Wer Kaminstücke schrieb nen Unterwanderungen der platten politischen gehen bzw. ein Duo concertante miteinander und als Kompositionsanlass die Umwelt- Zielstellung nachvollziehen, die tatsächlich gute – gegeneinander wie Georg Katzer, so wur- situation in Bitterfeld nannte, musste sich doch Kompositionen ungeachtet des politischen den diese Textbotschaften aus den 80er Jah- über nichts wundern! Ansehens ihres Autoren zur Aufführung brach- ren durchaus nicht zufällig gewählt. Robert Nach der Ausreise von Tilo Medek schrieb ten. Erwünscht waren Friedensbekenntnisse Linke wählt mit seinem Zyklus Tod des Ha- Gerd Schönfelder, ehemaliger Intendant der aller Art wie Udo Zimmermanns Pax questu- sen einen absichtsvoll unsinnigen Titel, Bernd Dresdener Semperoper, für die Kulturwochen- osa, Friedrich Schenkers Friedensfeier, Rein- Franke bezeichnet seine Szene für Blechblä- zeitung Sonntag einen bösen Artikel über hard Wolschinas Kosmische Zeiten, Siegfried sergruppe Aus alt mach neu – oder – die Zei- Medek. Beide begegneten sich 1991 in Rheins- Matthus’ Laudate pacem oder Günter Kochans chen der Zeit. Seine Szene für acht Instrumente berg bei der Werkstatt „Musik im stillen Wi- Der große Friede. Nur wenige – wie etwa Karl von 1989 heißt Konform – Kontraform. Die derstand“, Schönfelder lehrte schon in Ham- Ottomar Treibmann in seiner Chorsinfonie Reihe ließe sich fortsetzen, ernst Gemeintes burg. Medek nannte Schönfelder „eine rollende Der Frieden – nutzten die Thematik, um gel- erscheint uns heute manchmal auch amü- Kugel, aber mit Kopf innen drin“. Die Ausei- tende Politlehre in Frage zu stellen. Erwünscht sant. nandersetzung war perfekt, aber nötig für beide.

© Bundesarchiv/Zimmermann

Nicht zufällig gewählte, subversive Textbotschaften aus den Achtzigern: die Komponisten Contra platte, politische Zielstellung: Bernd Franke (links beim Matrix-Herbstfestival 2003), Georg Katzer (Mitte) und Christfried Reiner Bredemeyer (2. v. r.) beim Komponis- Schmidt (links). © Matrix-Herbstfestival (Franke) / kunstberg-berlin.de (Schmidt) tenkongress im Februar 1987. waren auch Gemeinschaftskompositionen Während Musik politische Funktionen Auch die drei Wagner-Régeny-Schüler Me- jeder Art wie etwa die fünf Orchesterlieder übernahm, hatten Zitate und Collagen Hoch- dek, Neubert und Gerhard Rosenfeld begeg- Gedanken zum Parteitag, die Wolfgang Les- kultur. Günter Neubert zitiert Grétry in seinen neten einander zum ersten Mal wieder. Neu- ser, Friedrich Schenker, Udo Zimmermann, musikalischen Essays in Erinnerung an Paul bert sprach ernst und gefasst von seinen Reiner Bredemeyer und Ernst Herrmann Mey- Dessau für Englisch-Horn, Posaune, Kontra- Liedern, darunter eines mit dem Titel Wider- er schrieben. Hier war es Bredemeyer, der bass und Sprecher von 1982: „Alles in der stand, von der Hymne an die Menschheit, von dieses Anliegen durch eine Zitatkoppelung Gesellschaft wurde Konvention. Heute be- Laudate ninive. Rosenfeld beschrieb ein Sta- mit Texten von Gorbatschow und Lenin un- deutet, natürlich zu sein, die übliche Haltung si-Verhör, Christfried Schmidt stellte gute Stü- terwanderte. einzunehmen, nicht aber die wirklich ange- cke vor, die nie gespielt worden waren. „Wenn messene.“ Wie alles von Neubert wurde auch irgendjemand das Recht hat, den Mund auf- Staatsferne ausgelotet diese Komposition zu DDR-Zeiten außerhalb zumachen, dann habe ich es, und nicht die seiner Heimatstadt Leipzig uraufgeführt. Wendehälse“, schloss Schmidt seinen Bericht. Nachdenklich stimmt die Vielzahl der 1991 erzählte Tilo Medek von der Zeit vor Zum ersten Mal hörte er in Rheinsberg Orpheus-Stücke – der unerhörte Sänger mel- seiner Ausreise aus der DDR (siehe seinen sein 2. Streichquartett von 1970. Eingeladen det sich bei Ruth Zechlin, Gerd Domhardt Antrag auf der nächsten Seite!). Über Medek, waren nur Komponisten, die nicht Akade- und Friedrich Schenker zu Wort. Mehr und den Querulanten, der doch froh sein konn- mie-Mitglied gewesen waren. Christian Münch mehr gewannen außermusikalische Kompo- te, so oft gespielt zu werden, wurde die Lüge eröffnete seinen Vortrag mit den Worten: „Ich sitionsanlässe, weitläufig in Programmheften der Ausreisewilligkeit verbreitet. Er nannte gehöre zur Generation der unbekannten beschrieben, und beziehungsreiche Stücktitel Namen, manche erschreckten. Medek ver- Komponisten“. Warum eigentlich heute noch an Bedeutung, um zu provozieren, um zu wies auf Dokumente: sein Gedenkblatt für immer? versuchen, wie weit sich Staatsferne ausloten Dmitri Schostakowitsch (erschienen in Mu- ließ. Kammermusikkonzerte hatten ihr eige- sica 1/1976). Dass Medek die 15 Sinfonien Die Autorin: nes Publikum, das zwischen Noten und Text von Schostakowitsch als einen Beleg für die Dr. Ulrike Liedtke, Leiterin der Bundesmusikakademie Rheinsberg, ist Vorsitzende des Rundfunkausschusses zu lesen verstand. Noch unverbindlich er- wechselvollen Jahre sowjetischer Musikge- der Konferenz der Landesmusikräte und Präsidiumsmit- scheint Friedrich Goldmanns Trio für Eng- schichte bezeichnete, wurde im Komponis- glied des Deutschen Musikrats.

 MUSIK ORUM 9 FOKUS

Sehr geehrter Herr Staatsratsvorsitzender, auerfall. Reisefreiheit. seit dem Frühling wird das Gerücht ver- Dekrets den Bezirksparteileitungen der M Demokratie. ALLES hat sich streut, ich hätte einen Ausreiseantrag SED zugesandt worden (wie ich von Karl- verändert. Auch die Rahmenbe- gestellt. Bis zum heutigen Tage hält diese Marx-Stadt erfuhr). Werner Rackwitz, dingungen für Musik. 20 Jahre, Fama, ohne dass ich selbst etwas dazu damaliger Musikabteilungsleiter im Minis- Halbzeit der untergegangenen getan habe. Nun tritt das Umgekehrte bei terium für Kultur, versuchte den Rat des mir ein: Mit dem nahenden Sommer füllt Bezirks Potsdam davon abzubringen, mit DDR. sich das Maß des Überdrusses, läuft über mir zu arbeiten. Bei anderen Bezirken So lange ist das schon her? So kurz nur und lässt mich Ihnen heute mitteilen, dass erfuhr ich es nicht, oder im Falle des gab es die beiden deutschen Staaten neben- ich der DDR genügend Jahre meines Bezirkes Gera bat der Chef der Jenaer einander? Aber da waren doch Zeiten, die Lebens geschenkt habe und die Dunst- Philharmonie, als er mir den Auftrag für nicht aufhören wollten. Wie langmutig konnten glocke für mich und meine Familie ge- eine Orchesterkomposition geben wollte Menschen denn noch sein? Der Schreber- öffnet sehen möchte… und davon abgebracht werden sollte, um garten tröstete vielleicht zu viele. Das war, Diffamierungen und Enttäuschungen eine schwarze Liste, nach der so entschie- als Geografie zu den unsinnigsten Schulfä- wechseln seit zehn Jahren: Schrieb ich den werden müsse (das löste die angera- chern der Welt zählte, weil man ja nirgends 1967 „Lenins Dekret über den Frieden“, tene Sperre und es entstand der Streit hinkam. Dafür wusste man, wogegen man wurde es im gleichen Jahr verboten; als zwischen David und Goliath). war, was man hören und lesen musste und dass die Konzentration im abgeschlossenen Raum auch was Gutes hatte – für musikali- Tilo Medek in seinem Ausreiseantrag an Erich Honecker: sche Arbeit zum Beispiel. Aber mal ehrlich – schon 20 Jahre Westen? Zu intensiv waren die Wochen um den »Ich möchte 9. November 1989 – sie überstrahlen das, was danach kam. Die Entscheidungen vom Abend hatten sich beim morgendlichen Zei- die Dunstglocke tunglesen schon überlebt. Eigene Spontani- tät und fremde Strategie trafen aufeinander. geöffnet sehen« Es war die Zeit der Liedermacher, die in drei Minuten sagen konnten, wofür man in sinfo- 10. Juni 1977 nischer Länge keine Geduld hatte. Viele Opern- und Orchesteruraufführungen aus dieser Zeit misslangen, blieben ungehört oder gar unge- dasselbe Stück 1968 in Amerika ausge- Im gleichen Jahr kam „Das Dekret spielt. Im Konrad-Wolf-Saal der Akademie zeichnet wurde, meldet das Neue Deutsch- über den Frieden“ – zusammen mit der der Künste der DDR erläuterte Walter Mom- land dies am 1. September 1968 in seiner „Battaglia alla turca“ – im Allunionshaus per auf dem 1. Delegiertentreffen der Berli- Spalte „Aus dem Kulturleben“. Neun der Komponisten in Moskau zur sowjeti- ner SDP* am 3. und 4. Februar1990 eher Wochen später fiel das selbe Blatt in sei- schen Erstaufführung – bis heute blieb es beiläufig die Möglichkeiten eines gemeinsa- nem Bericht von der Zentralen Delegierten- jedoch weiter (glücklicherweise nur die men deutschen Staats durch Vereinigung Konferenz des Komponistenverbandes DDR betreffend) unerhört. gleichberechtigter deutscher Staaten oder über das gleiche Stück unter der Über- durch Beitritt. Ich notierte: „Man tritt daneben schrift „Auseinandersetzung mit Diver- oder drauf, aber niemals bei.“ Lang anhal- sionsversuchen“ (Neues Deutschland, 10. tender Beifall galt den Gästen aus Ungarn November 1968) her, stellte es in Zusam- und Polen. menhang mit den Ereignissen in der Der Rückblick ist komplex, viele Leben in Tschechoslowakei, nannte das Dekret und gleicher Zeit, Sichtweisen, ein Kaleidoskop. meine „Battaglia alla turca“ Stücke, „die Momentaufnahmen müssen erzählt werden, mit der kritiklosen Übernahme spätbürger- damit keine Details verloren gehen. Erzähl- licher Kompositionsmittel auch ideolo- tes ist subjektiv, es ist noch nicht lange her. gisch uns fremde Tendenzen einführen“, wunderte sich, „dass unser Rundfunk aus- FAQ: Von Zensur, Fernsehen, gerechnet dieses Werk (gemeint ist die Westreisen, Wunschträumen „Battaglia“, T. M.) schnell in einer Stereo- fassung produzierte. Inzwischen waren und anderen Erinnerungen vom Zentralkomitee angefertigte Warn- Das „Maß des Überdrusses“ füllte sich ˜ Warum wurde im Osten so wenig Stra- umschnitte eines internen Mitschnitts von und lief über: Komponist Tilo Medek winsky, Ravel, Sibelius gespielt? der Generalprobe der Uraufführung des (1944-2006). Bildquelle: chesternovello.com Weil sie Valuta kosteten. Es gab einen Valutafonds, am kleinen Theater etwa 2000

 10 MUSIK ORUM Häufig gestellte Fragen zum Kulturalltag in der DDR

VERSCHENKTEN WIRKLICH ALLE ARBEITER IHREKonzertkarten AN DEN ZAHNARZT?

© Flickr/Aloriel

Da waren doch Zeiten, die nicht aufhören wollten. Und doch zu Ende gingen.

sparen, kann die Bevölkerung Bananen und chester, 10 bis 15 Punkte = C-Orchester. Das »Wenn die Orchester Apfelsinen zu Weihnachten kriegen.“ Schosta- Leistungsniveau war zementiert, nicht gut für Valuta sparen, kann die kowitschs 1. Sinfonie kostete West. Arbeitsmoral und Berufsethik. Als ich in meinen Vorlesungen Porgy and ˜ Gab es Zensur auch im Musiktheater? Bevölkerung Bananen Bess behandelte, amüsierten sich die Studen- Ja, sicher, die Texte aller textgebundenen ten über meine Noten – die Texte waren in Stücke waren bei der Kreisleitung der SED und Apfelsinen zu Russisch, die Partitur war aus Moskau, grau- einzureichen, auch Verdi, Puccini, alles eben. es Papier, graue Druckerfarbe. Vermutlich hatte Da musste schon mal geändert werden, wenn Weihnachten kriegen« ein russischer Musiker zuvor Note um Note in Hänsel und Gretel Gott die Hand reichen für diesen Druck mit der Hand abgeschrie- sollte oder der Abendsegen nicht ins politi- ben. sche Konzept passte. In der Zauberflöte heißt Deutsche Mark pro Spielzeit einschließlich ˜ Entschied die Konzert- und Gastspiel- es in den heil’gen Hallen: „Dann wandelt er der Operetten. Mussorgskis Bilder einer Aus- direktion über Karrieren? an Freundes Hand vergnügt und froh ins bessre stellung musste man nicht in der Ravel-Inst- Ja, natürlich. Über outcomig und incoming, Land.“ Und in der 2. Strophe: „In diesen heil’gen rumentation spielen, die des Russen Sergej würde man heute sagen. Mauern, wo Mensch den Menschen liebt, Gortschakow war bezahlbarer. Prokofjews ˜ Konnte die DDR zu Recht stolz sein auf kann kein Verräter lauern, weil man dem Feind Peter und der Wolf hatte der Dirigent Max 88 Orchester? vergibt. Wen solche Lehren nicht erfreun, Pommer zum Glück für die DDR eingerich- Ja, aber auch auf bulgarische, rumänische, verdienet nicht ein Mensch zu sein.“ Sehr tet, so war er spielbar. Der DDR-Komponist polnische Gastmusiker in diesen Orchestern. guter Text, das verstand man! Paul-Heinz Dittrich verlegte dank Erfolgen ˜ Konnte man sich als Absolvent bewer- Der handschriftliche Zusatz „Was ihr sollt“ bei den Darmstädter Musiktagen bei Univer- ben um eine Orchesterstelle? unter dem Shakespeare-Plakat „Was Ihr wollt“ sal Edition in Wien und war nicht spielbar. Der Zentrale Bühnenachweis ließ nach führte zur Verhaftung. Orchesterleitertagung in Berlin beim Minis- Punktesystem vorspielen: 20 bis 25 Punkte ˜ Verschenkten wirklich alle Arbeiter ihre ter für Kultur: „Wenn die Orchester Valuta = A-Orchester, 15 bis 20 Punkte = B-Or- Konzertkarten an den Zahnarzt? !

 MUSIK ORUM 11 FOKUS „Experimente ankitzeln“ „Noch immer begreife ich die Ereignisse vom Herbst 1989 als Chance für Neues: mittun Nein. Die meisten Betriebe gingen zweimal und verändern. Den Blick in die Zukunft ermöglichen im Jahr ins Theater- oder Konzertanrecht. Das Investitionen in Wissenschaft, Bildung und Kultur. gehörte zum Kultur- und Bildungsplan der Kulturausschüsse etwa müssten gekoppelt arbeiten Kollektive. Bei der Jugendweihe spielte das mit den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Hochbau – städtische Sinfonieorchester -Ouver- das hieße in der Tat Förderung. Gerade bei türe oder Leonore 3. Das war schon schön halbvollen Kassen bedarf es der Experimente, feierlich, für die ganze Familie und für viele, der Werkstätten, der Ideen. Man muss sie nur die heute nicht mehr ins Theater kommen. ankitzeln, im Alltag regionaler Politik, die ˜ War das DDR-Fernsehen wirklich so dann richtig Spaß machen kann.“ staatsnah? Ulrike Liedtke, 1991 Nur so nah wie die Mitarbeiter dort. Noch heute bin ich stolz auf eine Penderecki-Sen- dung mit seinem Te Deum auf der Grund- lage eines altpolnischen Kirchenliedes, das als Solidarnosc-Lied mit neuem Text bekannt war. Aber: Wer hat das gesehen? Um 0.20 Uhr oder so? Im DDR-Fernsehen? Und wer verstand es? ˜ Konnte man, wenn man wirklich wollte, in den Westen reisen? Nein, wo Willkür entscheidet, gibt es kei- ne Regeln. ˜ Wie wurde zeitgenössische Musik ge- fördert? Zur Spielplanauswertung war eine Liste „Lieber schreibe zeitgenössischer Musik beim Rat des Bezirks ich nicht“ einzureichen – prozentual in folgenden, strikt Das MUSIKFORUM fragt bei Zeitzeugen zu unterscheidenden Kategorien: sozialisti- Beiträge zum Mauerfall an. Die Bereitschaft unter sche Länder – Sowjetunion – DDR – DDR- den Ost-Autoren: „mager“. Und die Reaktionen: Uraufführungen – BRD – nichtsozialistische mal ausweichend oder gar ablehnend, mal uninspiriert Länder. oder fast ängstlich. „Das ist zu komplex“, „Ich möchte ˜ Kann man auch vom Osten lernen? keinem wehtun“, „Jetzt weiß ich, dass er Stasi war“, Klar, aber nicht pur. Meine erste Musik- „Lieber schreibe ich nicht“. schulbegegnung im Westen war eine Katast- Wirklich schon 20 Jahre Wiedervereinigung? rophe: Gruppenunterricht, Musizieren nach Obwohl der Tariflohn noch immer nicht Lust und Laune, in kurzen Zeiteinheiten. Ich angeglichen ist, die wöchentliche Arbeits- war aus dem Privatunterricht guter Theater- stundenzahl ebenso nicht? … musiker hervorgegangen, weil meine Herkunft Aber die Vergangenheit zurück- als „Sonstige“ den Musikschulunterricht im tauschen will keiner. (ul) Arbeiter- und Bauernstaat nicht rechtfertig- te. Dennoch ging ich von Einzelunterricht hauptamtlich beschäftigter Lehrer nach fes- ten Lehrplänen aus, auf dem Klavier gab es nähe des Direktors entschied über vieles, auch Politik als Ergebnis von Menschheitsträu- das gleiche Soll im zweiten Jahr in Rostock über Investitionen. Jede Schule hatte drei men und fleißiger, ergebnisorientierter Klein- wie in Plauen. Leistungsorientiert, Solostel- Prozent ihrer Schüler zum Studium zu dele- arbeit. Sich einmischen, mitgestalten, Verbün- len großer Orchester wurden nach der Wende gieren. Das Fest junger Talente auf Kreis-, dete mit Zivilcourage finden, manchmal auch oft von ehemaligen Musikschülern aus dem Bezirks- und DDR-Ebene filterte aus. Mein gegen den Strom schwimmen. Und Musik Osten besetzt. Die Eltern zahlten 140 DDR- Sohn schied auf Regionalebene aus, weil in natürlich von Kindesbeinen an mit größter Mark im Jahr. Fachberater der Bezirksmusik- seiner Händel-Arie das Wort „Gott“ vorkam, Selbstverständlichkeit als gesellschaftliches schulen legten Prüfungsliteratur fest, Pflicht- später wurde er Thomaner. Die Bezahlung Entwicklungspotenzial. literatur, Wahlliteratur, Technik. Die Musik- der Musikschullehrer entsprach der von Leh- ˜ Woran ich mich sonst noch erinnere? schullehrer beklagten eine ganze Reihe Sit- rern an allgemein bildenden Schulen. Der An den Geschmack von schwarzem Tee zungen – Gewerkschaftsversammlungen, Par- Kantor als Lehrer an der Musikschule war bei fast täglichen Versammlungen der SDP*- teilehrjahr (egal, ob man Mitglied war), Schule zwar nicht erwünscht, kam jedoch vor, wenn Anfänger in meiner Hohenschönhausener der sozialistischen Arbeit, pädagogischer Rat. der Direktor Mumm hatte. Aber die Gesamt- Neubauwohnung. Da kam warmes Wasser Das alles war dennoch nicht so streng wie an anzahl der Schüler lag am Ende Europas. Weil aus der Wand, nach langen Sitzungen konn- einer Polytechnischen Oberschule. Hinzu das so war, hatte man die Unterrichtskabi- te ich mitten in der Nacht baden. Grandios. kamen Konzerte zum 1. Mai und am Staats- nette gegründet, in denen Honorarlehrer In der Leipziger Altbauwohnung zuvor ging feiertag. Die Schulen konnten Orchester bil- Gruppenunterricht als Grundform anboten. das nicht. Ulrike Liedtke den, Leiter mit Orchesterschulung gab es viele, Das erlebte ich nun im Westen. Orchester ebenso. Die Partei- und Staats- ˜ Was für Wunschträume hattet ihr? * Sozialdemokratische Partei in der DDR

 12 MUSIK ORUM Kulturelle Bildung nach der Wende: Hans Bäßler beschreibt, wie es ging – und wie es hätte gehen können! Oder:

WAS DER WESTEN VOM OSTEN HÄTTElernen KÖNNEN

mmer weiß man es erst hinterher besser und findet dann die gewundenen 3. Oktober 1990 – die erste große Feier der Erklärungen für eine Fehlentwicklung: Die anderen oder die Verhältnisse, alten und der neuen Bundesländer in Ham- I burg, die die Einheit besiegelte. Unmittelbar der Zeitdruck oder die nicht vorhandenen Räume oder aber ganz einfach: danach: Wahlen in den fünf neuen Bundes- das nicht vorhandene Bewusstsein – natürlich bei den anderen – waren ländern mit ganz unterschiedlichen politischen schuld. Eine schon im Privaten bekannte Form der Verdrängung, die sich in Konstellationen. der Politik ebenso breit gemacht hat, um von der eigenen Verantwortung Was sich eher hinter den Kulissen abspielte: abzulenken. die Einrichtung von Aufbaustäben der Ver- waltungen auf kommunaler und auf Landes- Warum diese eher grundsätzliche Einlei- lativ klar zu erkennen sein, wenn man sich ebene. Eine riesige Zahl von Westberatern tung, wenn wir doch überlegen wollen, was der schonungslosen Analyse stellt und den kam in Bundesländer, die eigentlich noch gar die Geschichte der Vereinigung der beiden Ergebnissen nicht ausweicht. Und wenn man keine waren. Die Kriterien, nach denen sie deutschen Staaten für die Bildung ganz all- bereit ist, aus diesen Fehlern zu lernen. ausgewählt wurden, waren dem Zufall über- gemein und für die Musikkultur im Beson- An den Start vor 20 Jahren erinnern wir lassen. Einige wurden von den „Paten“-Bun- deren gebracht hat? Die Eingangsüberlegun- und ja noch sehr genau: Die Botschaftslage desländern wegen ihrer fachlichen Kompe- gen nehmen vorweg, was auch als Conclusio in Prag und die Rede des Außenministers, tenz geschickt, andere sollten auf diesem Weg einen Sinn gehabt hätte. Denn wenn man die Flucht der DDR-Bürger über Ungarn in (weil sie beispielsweise nicht ganz regierungs- im Rückblick die Vereinigung beider deut- den Westen. Auch erinnern wir uns der atem- parteikonform waren) entsorgt werden, wieder schen Staaten im Hinblick auf die Kultur- und beraubenden Geschwindigkeit, mit der die Zwei- andere meldeten sich in den Ministerien und Bildungspolitik betrachtet, dann muss man plus-Vier-Verhandlungen und die deutsch- Ämtern selbst nach dem Motto: Wenn Sie sich schon fragen, warum damals so viele Fehler deutschen Verhandlungen „durchgezogen“ mich nehmen, bekommen Sie westliches gemacht wurden und warum sie sich heute wurden, stets in der Sorge, alles könne noch Know-how. wiederholen. Der Grund wird nur dann re- rückgängig gemacht werden. Und dann der Und so war es dann auch: Neben der Fachkompetenz tummelte sich die Karriereperspektive mit der un- beirrbaren Sehnsucht nach der (höheren) B-Besoldung, neben der imperialen Geste des Alles-Wis- senden gab es Menschen mit der Fähigkeit, zuhören und verste- hen zu wollen. Keine Frage: Diese waren in der Minderheit. Und doch: Sie waren nicht ganz un- wichtig für den Transformations- prozess. Denn sie hatten meist einen Draht zu den Menschen entwickelt, die aus der Bürger- bewegung kamen und die fried- liche Revolution erst ermöglicht haben. Und um es gleich zu sagen: Diese ausgesprochen sensiblen Menschen blieben

„Platt gemachte“ Ostkultur: Die Schweriner Philharmonie wurde drei Jahre nach dem Mauerfall (1992) aufgelöst. Quelle: Picasa / bearb.

 MUSIK ORUM 13 FOKUS

© Sigrid Meixner / Buga mit ihren Vorstellungen letztlich auf der Strecke. Kulturzentrum Schwerin: Denn schnell schon verbündeten sich die Hier wurde in der Nachwen- neuen Macher mit den früheren Machern dezeit nicht nur die „neue“ (soweit sie der Überprüfung der Gauck-Be- Bildungspolitik konzipiert (unten: das Ministerium für hörde standgehalten hatten), weil sie bereits Bildung, Wissenschaft und in der DDR gelernt hatten zu organisieren, Kultur), das örtliche Staats- anzuweisen, zu überprüfen. Der Zeitdruck theater sorgt auch vorher war dann die meist gegebene Begründung schon für Aufsehen erregen- dafür, warum man nicht wirklich zuhörte, de Inszenierungen (rechts: sondern erst einmal nach dem West-Modell Szene aus Das siebte Kreuz handelte. nach Anna Seghers, 1980). Im Bereich der Bildung, in dem ich 1991 in Schwerin arbeitete, lagen genau diese unterschiedlichen tektonischen Schichten, Sedimente unterschiedlichster Erfahrungen, die aber nur eine eingeschränkte Rolle spiel- ten. Da gab es einen befristeten Aufbaustab, der sich aus Vertretern zweier verschiedener Bundesländer zusammensetzte und seit dem Sommer 1990 arbeitete. In ihm befanden sich auch Vertreter aus der Bürgerbewegung, Menschen mit großer Umsicht und dem gro- ßen bildungspolitischen Engagement, einen dritten Weg zu entwickeln, der auf die Feh- ler der alten DDR und auf die der Bundes- republik verzichtet. Neben diesem Aufbau- stab wurden aber sehr schnell weitere Fachleute eingestellt, die meist aus dem Westen kamen und ganz unterschiedliche Motivationen mitbrachten (s. o.). die schnelle Richtung eingeschlagen hätte: für Schule und Ausbildung (L.I.S.A.) nahm 1:1-Übertragung der Mit meinem aus Ost und West zusammen- am 1. August1991 seine Arbeit auf. Dass dies Bildungssysteme gesetzten Team versuchte ich, diesem äußerst gelang, ist im Wesentlichen zwei Komponenten ehrgeizigen Plan zu entsprechen, dass eine der Aufbauarbeit zu verdanken: zum einen Für die Bildungspolitik war diese Melan- neue Struktur zwischen dem 1. Februar und der unglaublich engagierten Arbeit des größ- ge von unterschiedlichen, eigentlich hetero- dem 1. August 1991 entstehen müsse. Un- ten Teils der Mitarbeiter im Aufbaustab, de- genen Interessenlagen nicht unproblematisch. sere Aufgabe: die Lehrerausbildung der 2. nen ein 15-Stundentag keine Angst bereite- Denn die Landesregierungen beschlossen Phase (Referendariat), die Lehrerfort- und die te, und auf der anderen Seite den beiden teilweise eine 1:1-Übertragung der Bildungs- Lehrerweiterbildung, die Landesbildstelle, die Landesregierungen in Schleswig-Holstein und systeme entsprechend der jeweiligen Partei- Lehrpläne und alle Weiterbildungsmaßnah- Hamburg, die sehr viel Geld und noch mehr couleur. In Mecklenburg-Vorpommern wurde men des Ministeriums. Fachkenntnis investierten. Ohne den persön- sehr energisch das dreigliedrige Schulwesen Zugegeben, es waren zwei Träume. Der lichen Einsatz bestimmter Beamter, die so gar eingeführt, in Brandenburg dagegen die süße Traum: Eine Idee zu verwirklichen, die nicht dem Klischee eines Beamten entspra- Gesamtschule und das Gymnasium, in Sach- anderswo schon einmal gedacht oder aus- chen, wäre dieses Aufbauwunder nicht möglich sen und Thüringen die Mittelschule und das probiert war (nämlich im Landesinstitut für gewesen. Denn es mussten täglich kreative Gymnasium (der vielleicht eigenständigste Praxis und Theorie der Schule Schleswig- Einzellösungen gefunden werden, die einen Weg, der sich trotz der Westberater durch- Holstein) und jetzt optimiert werden konn- relativ alltagstauglichen Übergang vom einen setzen konnte). Was man auch hätte machen te. Und gleichzeitig der Albtraum, damit in das andere System möglich machten. können, doch kam kaum jemand auf diese umgehen zu müssen, dass der politische Druck Schließlich waren das die beiden entschei- Idee: erst einmal – zumindest für ein halbes absurde Entscheidungen verlangte, in die an denden bildungspolitischen Probleme: Wie Jahr – sichten, dann einen Konsens mit den sich ausschließlich inhaltlich orientierte Bil- können wir Strukturen errichten, die mit denen Bürgern herstellen und schließlich behutsam dungsarbeit einzugreifen. Wir im Institut waren der anderen Länder der Kultusministerkon- das neue Schulsystem einführen. Darauf ka- der Meinung, dass die Pädagogik freigehal- ferenz kompatibel waren? Und wie können men leider nur zu wenige. ten werden müsse von parteipolitischer Gän- wir dafür sorgen, dass die veränderte Erzie- Die neue Landesregierung Mecklenburg- gelung – eine Vorstellung, deren Notwen- hungsphilosophie nicht auf die totale Ableh- Vorpommern holte mich im Herbst aus dem digkeit sich gerade einigen Ost-Kollegen gar nung bei den Lehrern stößt? friedlichen Schleswig-Holstein, um ein Insti- nicht erschloss. Doch diesen Aspekt, das habe Notwendig war deswegen so etwas wie tut für das Kultusministerium aufzubauen. In ich lernen müssen, muss man ertragen. Oder ein dritter Weg – fernab von den Verkrus- ihm sah man auch seitens der Landesregie- aber ihm begegnen. tungen, die beide Systeme in den Jahrzehn- rung so etwas wie die Avantgarde der Schul- Fast 20 Jahre später hält man es immer ten mitgebracht hatten. Und das war in den politik. Ich will nicht behaupten, dass ich nicht noch für kaum möglich: Das Landesinstitut ersten Monaten wirklich möglich: zu den-

 14 MUSIK ORUM ken, ohne Schablonen zu bemühen, ausschließ- DDR mit dichter kultureller sich in der unmittelbaren Wendezeit und im lich rational zu argumentieren! „Versorgung“ Wiederaufbau der neuen Bundesländer auch Hier fanden wir im Aufbaustab genau die vermittelte: dass es bei sehr vielen Menschen richtigen Partner, soweit sie aus der Bürger- Die Wende schlug auf unerklärliche Wei- – besonders aus der Bürgerbewegung – eine bewegung kamen oder sich zumindest ihr se brutal zu. Sehr schnell wurden kulturelle Selbstverständlichkeit kultureller Bildung und inhaltlich zugehörig fühlten. Dabei gab es ein Begegnungen „platt gemacht“. Es seien kei- kulturellen Selbstentwurfs gab. Weder der bit- Credo, das man heute noch allen Landesre- ne finanziellen Mittel vorhanden, hieß es. Was terböse Brecht-Satz – „Erst kommt das Fres- gierungen zurufen möchte: Die Politik ist dazu wie Spott klingen musste. Denn selbst die sen, dann die Moral“ – noch die verschärft da, pädagogische Grundüberzeugungen um- arme DDR konnte sich den „Luxus“ leisten, pessimistische Aussage von Gottfried Benn zusetzen – und nicht umgekehrt Grundüber- eine überraschend dichte kulturelle „Versor- – „Dumm sein und Arbeit haben, das ist das zeugungen aus politischen Vorgaben zu ent- gung“ zu ermöglichen (ein Beispiel: die Dichte Glück“ – gelten für diejenigen, die in der DDR wickeln. Hartmut von Hentigs hervorragen- der einzelnen Institutionen zwischen Wolgast groß geworden sind und kulturell gefördert des Buch Schule neu denken. Eine Übung in und Bad Elster). Es war während der gesam- wurden. praktischer Vernunft kam für uns leider zu ten DDR-Zeit selbstverständlich, das dichte Es wäre 1990 und danach ein Leichtes spät; es erschien erst 1993. Man hätte es 1990 Netz von Theatern und Konzerthäusern nie gewesen, die Selbstverständlichkeit einer vor- gebraucht, weil es noch einmal vorführt, was in Frage zu stellen; die Häuser wurden nicht handenen Struktur zu nutzen, um (allerdings es heißen kann, wenn man sich nicht immer nur vom „normalen“ Publikum genutzt, son- ganz neu!) kulturelles Verständnis zu wecken, am Geländer des „schon immer so Gewese- dern auch von den Betrieben – und das zu durch Kultur sensibler zu machen und mit nen“ festhält. Eintrittspreisen, die sich alle Bevölkerungs- der Musik beispielsweise Erfahrungsräume zu In unserem Zusammenhang allerdings soll schichten leisten konnten. Man mag sicher erschließen, die über den Tag hinausreichen, es „nur“ um die Frage der Kulturpolitik gehen, darüber streiten, ob nicht auch die Kultur pro- weil sie als existenzbestimmend vermittelt wur- die freilich nicht von der Bildungspolitik zu pagandistischen Zwecken diente. Aber des- den. Und genau hier hat aus meiner Sicht die trennen und deswegen in Schwerin in einem wegen abzulehnen, dass diese Form der Brei- Einigungspolitik versagt, teilweise aus Igno- Ministerium zusammengefasst ist. Wie viel tenbildung ein Ziel des Staats, eigentlich jeden ranz, teilweise aber auch, weil die Transfor- Kultur die allgemein bildende Schule haben Staats sein müsste, hieße gleichzeitig, jeder mationsprozesse nicht mit Augenmaß initi- dürfe, haben könne, haben müsse – das war kulturellen Barbarei Vorschub zu leisten. iert wurden, da immer noch die Meinung zu keinem Zeitpunkt die Frage der Ost-Kol- Wer als musikinteressierter „Westler“ den vorherrscht, Kultur sei nur ein Additum. legen. Für sie war es ganz selbstverständlich, Turm von Uwe Tellkamp aufmerksam gele- Es gab allerdings Politiker und Politik- dass man in der Schule die kulturelle Einbin- sen hat, wird überrascht darüber gewesen sein, berater, die diese Problematik früh gesehen dung in die Gesellschaft lernt. Die durch den welche wichtige Rolle die Musik in breiten haben. Doch im alltäglichen Entscheidungs- Lehrplan regelmäßigen Fahrten ins Theater, Schichten der DDR gespielt hat – aktiv wie stress und unter dem permanenten Druck in Konzerte, zu Museen gehörten in der DDR passiv. Gleich zu Beginn des Romans spielt des Finanzministers kamen Entscheidungen zum Bildungsauftrag, dem man nachzukom- das Streichquartett, eine wahrlich bürgerliche zustande, die irreversibel sind. Die Struktu- men hatte. Kultur war auch in einem Flä- musikalische Gattung, die zentrale Rolle, das ren für die kulturelle Bildung sind zerstört. chenland wie Mecklenburg-Vorpommern (die Thema der (musikalischen) Kultur als einer Diejenigen, mit denen man damals wie heu- früheren Bezirke Schwerin, Neubrandenburg Selbstverständlichkeit der Bildung des Men- te hätte zusammenarbeiten können, haben und Rostock) immer erreichbar durch eine schen ist auf Schritt und Tritt erkennbar, als sich resigniert zurückgezogen oder sind in gut organisierte Infrastruktur, die Busse be- Fluchtpunkt aus dem ganz alltäglichen ideo- Nischen tätig. Die weitere Geschichte ist längst reitstellte. Lehrer wurden auf die Exkursio- logischen Wahnsinn. bekannt. nen durch Fachberater in eigenen Fortbildungs- Fernab vom Kampf um das alltägliche Über- Viele hatten gehofft, dass man – wenn veranstaltungen vorbereitet. leben waren es die Künste, die dem Einzel- Kultur zum Staatsziel erklärt und ins Grund- Doch was wurde neben der schulischen nen seine innere Stabilität gaben und ihn oft gesetz aufgenommen worden wäre – noch Organisationsebene von Konzert- und Thea- auch immunisierten gegen das Gift der In- einmal einen Anlauf hätte nehmen können, tererfahrungen noch zerstört: die Philharmonie doktrination und die Unterordnung. Und nicht um in jeder Kommune, in jeder Region dafür in Schwerin, die Spartenreduzierung in Par- ohne Grund kann man Tellkamps Roman zu sorgen, dass bundesweit ein ganz selbst- chim, die Liquidierung des Orchesters in Neu- als groß angelegte Komposition verstehen, verständliches und auch auf die Zukunft hin- strelitz sowie zahlreiche Orchesterstellen durch mit Leitmotiven, mit einer eigenen rhythmi- weisendes kulturelles Bildungssystem vorhan- die Zusammenlegung der regional wichtigen schen Schärfung, mit einer Selbstverständ- den ist. Doch so ist es leider nicht. Orchester in Greifswald und in Stralsund. Man lichkeit der Bildung, wie wir sie nur in der Das langsame Sich-Entfernen von Kultur macht es sich zu leicht, wenn man immer bildungsbürgerlichen Variante kennen. greift um sich! Und die Erklärungen und Recht- nur die punktuellen Einsparungen sieht; kul- Kommen wir auf die Wendezeit zurück fertigungsversuche dafür verlaufen in den turpolitisch ist die Summe entscheidend: 45 und versuchen eine Brücke zu schlagen zwi- klassischen Mustern. Nicht einmal mehr für Prozent der Stellen wurden bis heute „auf schen der Zeit vor 1990 und nach 1990, die intelligente Begründungen reicht die Fantasie. Null gefahren“. Und der Ungeist aus der Nach- der Autor zunächst durch seine Reisen, aber wendezeit setzt sich inzwischen fort: Wenn auch durch seine Arbeitstätigkeit hat unmit- Der Autor: das neue Eckpunkte-Papier von Kultusminister telbar erfahren können. Wie ein Kontinuum Hans Bäßler, Professor für Musikpädagogik an der Hoch- Harry Tesch Realität wird, dann muss man hat sich die Kulturoffenheit des Einzelnen schule für Musik Hannover und Vizepräsident des Deut- allein schon aufgrund der Tarifsteigerungen gezeigt, ob in der Semperoper in Dresden schen Musikrats, arbeitete von 1990 bis 1991 in Schwerin mit massiven finanziellen Einschnitten und oder im Volkstheater in Rostock, am 1. Mai als Gründungsdirektor des Landesinstituts für Schule und Ausbildung Mecklenburg-Vorpommern (L.I.S.A.) und war gleichzeitig mit einer stark reduzierten per- 1989 in Leipzig im oder in anschließend Berater einer Reihe von Universitäten und sonellen Ausstattung der Häuser rechnen. Freiberg im Dom. Immer war zu spüren, was Hochschulen in den neuen Bundesländern.

 MUSIK ORUM 15 FOKUS

Seine Aufgabe im Herbst 1990: Ost und West kulturell und in der Bildung zu verbinden. Bundesminister Thomas de Maizière im Gespräch

WEGBEREITER ZUM »einig Kulturstaat«

unst kann sich nur in Freiheit aller Verantwortung von Ländern und Kom- tur- und Bildungsbereich Probleme, die eine „Kentfalten“, betont Bundes- munen auch der Bund für eine Übergangs- besondere Herausforderung für Sie darstellten? minister Thomas de Maizière. zeit mitfinanzieren dürfe, um den unter de Maizière: In der Tat hatte ich Ange- den Teilungsfolgen leidenden Ländern zu bote, auch in anderen ostdeutschen Bundes- Und weil dies so sei, hätten gerade helfen. Das hat er dann auch kräftig getan: ländern verantwortungsvolle Positionen zu Künstler den kulturellen Umbruch Der Bund legte damals schnell und unbüro- übernehmen. Nach entsprechenden Besu- durch die Wende „gut bewältigt“. kratisch ein Substanzerhaltungsprogramm, chen gefiel mit vor allem die Stadt Schwerin ein Infrastrukturprogramm und ein Denk- besonders. Das Schloss, die Seen, die Alt- Der heutige Bundesminister im Bundes- malschutzsonderprogramm („Dach und stadt, die Übersichtlichkeit – all das über- kanzleramt war nach der Wiedervereinigung Fach“) auf, um die marode kulturelle Infra- zeugte mich. 1990 gab es keine „leichten“ maßgeblich am Brückenschlag der Kulturen struktur zu unterstützen. Als „Leuchttürme“ Ressorts. Besonders faszinierend war in und Bildungssysteme beteiligt, wobei die Kon- förderte er Kultureinrichtungen von natio- Mecklenburg-Vorpommern, dass das dortige strukteure des Brückenbaus – wie Kritiker nalem und internationalem Rang. Auch Kultusministerium einen breiten Zuständig- immer wieder anmerken – fast ausschließ- wenn sich die Förderinstrumente mit den keitsbereich hatte – von der Kinderbetreu- lich nach westlichen „Bauplänen“ vorgingen. Jahren änderten: Das Engagement des ung über die Schule und Hochschule bis Mit de Maizière sprach Hans Bäßler über Bundes dauert an, er investiert weiterhin hin zu Kultur und Sport. In anderen Ländern die Schwierigkeiten und Chancen der Zu- beträchtliche Mittel in Bau- und Sanierungs- gab es dafür mehrere Ministerien. sammenführung der Systeme und der un- maßnahmen, er trägt bis heute Verantwor- In der Schulpolitik gab es in den ersten terschiedlichen kulturellen Selbstverständlich- tung für die „Leuchttürme“. Und er wird Monaten und Jahren insbesondere drei keiten von Ost und West. dies auch noch länger tun. Ich weiß, dass große Herausforderungen: Erstens galt es, die ostdeutschen Länder für dieses Engage- Vertrauen zu den Lehrern zu gewinnen 20 Jahre nach dem Mauerfall und ment des Bundes sehr dankbar sind. und das Vertrauen der Schüler und Eltern der Wiedervereinigung lohnt ein Blick auf die zu den Lehrern zurückzugewinnen. Viele Anfänge: Noch bevor Sie in Schwerin Staats- Nach der Vereinigung am 3. Oktober waren verunsichert. Das Schulsystem war sekretär wurden, schmiedeten Sie an der deut- 1990 wurden Ihnen in verschiedenen neuen in der DDR Kernbestandteil des Systems schen Einheit als Berater Ihres Vetters Lothar Bundesländern Führungspositionen angeboten. zur Aufrechterhaltung des Machtanspruchs de Maizière, dem letzten Ministerpräsidenten Warum gingen Sie gerade nach Mecklenburg- der SED. Die Schüler wurden nach Leistung, der DDR. Diese vermutlich aufregendsten Vorpommern – und dann auch noch in das aber auch nach politischer Zuverlässigkeit Verhandlungen nach dem Zweiten Weltkrieg Kultusministerium, wo politische Erfolge beson- für die Erweiterte Oberschule zugelassen. waren ja alles andere als einfach, weil zwei ders schwer zu erringen sind? Gab es im Kul- Vom 9. November 1989 bis zum 3. Okto- inkompatible Systeme zusammengeführt

werden mussten. Galten die Schwierigkeiten © Buga eigentlich auch für den Kulturbereich, von dem man ja immer glaubt, er sei unproblematisch, weil grenzüberschreitend? Thomas de Maizière: Die Probleme im Kulturbereich waren sogar gravierend. Natürlich war die Kultur ein einigendes Band zwischen Ost- und Westdeutschland. Aber auch hier musste der Wandel vom Zentralstaat zum föderativen System voll- zogen werden. Oder anders gesagt: Die Kultureinrichtungen mussten in die Verant- wortung der Länder und Kommunen über- führt werden. Ich bin heute noch stolz, dass es damals gelungen ist, den Artikel 35 des Einigungsvertrags zu schaffen, der von Deutschland als einem „Kulturstaat“ spricht und versprach, dass die kulturelle Substanz in den ostdeutschen Ländern keinen Scha- Blühende Kulturlandschaft? Als Thomas de Maizière in Schwerin mecklenburgische Kultur- den nehmen dürfe. Er legte fest, dass bei und Bildungspolitik in die Hand nahm, war das Idyll vom Umbruch der Wende erschüttert.

 16 MUSIK ORUM ber 1990 gab es praktisch Unterricht ohne Aufsicht. Man brauchte also Vertrauen für den Schulalltag. Die zweite Herausforde- rung bestand darin, die Organisation von Schule sicherzustellen. Schulpolitik ist Ländersache. Das Land Mecklenburg- Vorpommern war gerade erst gegründet. Ein Schulgesetz des Landes gab es nicht, nur ein vorläufiges. All das musste schnell zustande gebracht werden. Und drittens Unerschrocken vor ging es um die Anzahl der Lehrer und großen Aufgaben und deren Überprüfung. Die Lehrverpflichtung hoher Verantwortung: der Lehrer der DDR ohne politischen Bundesminister Thomas Unterricht war deutlich niedriger als in de Maizière – hier beim Tag der Sachsen 2009 den westlichen Bundesländern. Eine in Mittweida. Erhöhung des Lehrdeputats war daher Foto: Monika Rautschek unausweichlich und führte zu einem Lehrerüberhang. Die politisch besonders belaste- ten Lehrer mussten die Schule ver- lassen. Hier waren für alle Beteilig- ten menschlich und rechtlich beson- ders schwierige Entscheidungen zu treffen.

Politik besteht nicht nur aus Erfolgen. Darum darf man nach 20 Jahren fragen: Gab es auch etwas, das aus heutiger Sicht hätte anders laufen müssen? de Maizière: Ein Punkt, der hätte anders laufen müssen, war die An- erkennung von Bildungsabschlüssen. Das Problem war schon im Einigungs- vertrag angelegt. Dort war aus ost- deutscher Sicht nur folgender Kom- promiss möglich, nämlich, dass die Bildungsabschlüsse in ganz Deutsch- land nur anerkannt werden, wenn sie „gleichwertig“ sind. Es musste daher in mühsamen Prozessen, die sich bis weit in die 90er Jahre hinein- zogen, festgestellt werden, ob und wann ein in der DDR erfolgter Bildungsabschluss „gleichwertig“ ist. Da spielten sich die einen zum Richter über die anderen auf. Für die allermeisten ehemaligen DDR-Bürger war dieser Prozess entwürdigend. Besser wäre es ge- wesen, alle Abschlüsse vollständig anzuerkennen, soweit sie nicht reine SED- oder politische Ab- schlüsse waren, und dann im Übrigen nach Eignung und Leis- tung einzustellen und zu befördern. Dies ist leider nicht gelungen.

In den vielen Diskussionen über den richtigen Weg der Kultur- politik in den neuen Bundesländern

 MUSIK ORUM 17 FOKUS

»Die DDR hatte mit 88 Orchestern die größte ist immer wieder die sorgenvolle Frage – gerade auch von Künstlern – geäußert worden, Orchesterdichte der Welt. Zu solchen Strukturen wo denn die eigene kulturelle Identität bliebe. Hat Ihnen diese Frage auch Kopfzerbrechen bereitet? wird man nicht zurückkehren können« de Maizière: Die Wiedervereinigung brachte für viele Künstler und viele in Kul- Man muss anders ansetzen – bei der Sie haben heute noch enge Kontakte tureinrichtungen arbeitende Menschen un- musikalischen Bildung und Erziehung von in die Landeshauptstadt Schwerin, Ihrer ehe- bestritten einen großen Umbruch mit sich: Kindern vom frühen Kindesalter an. Singen maligen Arbeitsstätte. Können Sie im Rück- Bestimmte DDR-spezifische Einrichtungen und Musizieren müssen einen festen Platz blick noch Spuren aus der frühen Zeit der wie die Betriebs- oder FDJ-Kulturhäuser, in der Erziehung von Kindern haben und Wiedervereinigung entdecken, die ja von un- die Konzert- und Gastspieldirektionen wur- dürfen auch in den späteren Jahren nicht glaublicher Offenheit und einem manchmal den geschlossen. Trotz aller Bemühungen aus dem Stundenplan der schulischen Bil- auch sehr unkonventionellen Gestaltungswillen gab es Einschnitte in das kulturelle Netz. dung verdrängt werden. Wer nicht gelernt geprägt war? Die Kosten und Preise veränderten sich. hat, den Wert der Musik für sich zu empfin- de Maizière: Der Begriff „Spuren aus Die DDR hat gerade von den Künstlern den, der wird durch einen verordneten der frühen Zeit der Wiedervereinigung“ ein staatskonformes Denken gefordert. Konzertbesuch wahrscheinlich eher abge- klingt danach, als ginge es um Spuren aus Diese alten Schranken fielen weg. Die neue schreckt. Auch der Begriff der Hochkultur der Steinzeit. Die Entwicklung ist erst 20 Freiheit wurde von vielen als Chance emp- ist da übrigens eher abschreckend. Um so Jahre her. Was in diesen 20 Jahren – gerade funden. Kunst kann sich nur in Freiheit wichtiger finde ich es, dass die Theater und in Schwerin – passiert ist, kann man rund entfalten. 20 Jahre nach der Wiedervereini- Orchester auf die Schulen zugehen, dass es um das Schloss besichtigen. Nicht nur gung können wir davon ausgehen, dass die Austausch und Zusammenarbeit gibt. Da wegen der Bundesgartenschau. Es gibt wohl Künstler diesen Veränderungsprozess gut gibt es wunderbare Erfahrungen und Pro- keine vergleichbar kleine Stadt in Deutsch- bewältigt haben. jekte, in denen die Kinder merken: Das land, die auf so engem Raum Politik und hat etwas mit mir zu tun, das geht mich Kultur so eng miteinander verbindet. Das Lassen Sie uns auf einen wunden etwas an, das bereichert mich. sind keine Spuren der Wiedervereinigung. Punkt kommen, den man in der Schulpolitik Das ist das Ergebnis jahrhundertealter konstatieren muss: der Abbau der Erfahrungen Für Sie war Mecklenburg-Vorpom- Pflege von Kultur. Dass dies in den Jahren mit der Hochkultur. Schülern war es vor der mern nicht die einzige Station in den neuen nach 1990 einen besonderen Schutz be- Wende vergönnt, regelmäßig zu Theater-, Bundesländern. Anschließend arbeiteten Sie in kommen hat, auch mit viel Geld aus den Konzert- und Opernaufführungen zu fahren. Sachsen. Weil Sie Vergleichsmöglichkeiten westdeutschen Bundesländern, das kann Nach der Wende wurde diese regelmäßig er- haben, die Frage: Sehen Sie Unterschiede in und muss man heute dankbar wahrnehmen. fahrbare flächendeckende Versorgung beseitigt, beiden Bundesländern, was die Akzeptanz entweder weil Theater geschlossen wurden gegenüber der Kultur im Allgemeinen und Noch einmal nachgehakt: Was oder weil ganz einfach kein Geld mehr für die der Musikkultur im Besonderen angeht? würden Sie heute anders machen, wenn Sie Busfahrten zur Verfügung stand. Muss man de Maizière: Wenn ich heute Mecklen- die Gelegenheit hätten, die Entscheidungen sich eigentlich mit dem gegenwärtigen Status burg-Vorpommern und Sachsen in Bezug auf das Jahr 1990 zurückzudrehen? zufrieden geben oder sehen Sie eine Möglich- auf die Kultur vergleiche, so muss ich fest- de Maizière: Im Nachhinein ist man keit, zum Status quo ante zurückzukehren? stellen, dass in Sachsen die Kultur eine be- immer klüger. Niemand war auf die Wieder- de Maizière: Das ist ein sehr komplexes sonders herausgehobene Rolle spielt. Im vereinigung Deutschlands vorbereitet. Und Thema, das im Übrigen längst kein spezifisch Vergleich gibt der Freistaat Sachsen pro Ein- dann auch noch in diesem Tempo. Für ostdeutsches ist. Sicherlich gab es solche wohner am meisten für Kultur von allen einen Fehler halte ich im Nachhinein die kollektiven Theater- und Opernbesuche von Bundesländern aus. Das ist eine große lan- nahezu vollständige Übertragung des west- Schülern wie auch später von Brigaden. despolitische Leistung. Sie beruht allerdings deutschen Rechtssystems auf die ostdeut- Und richtig ist auch, dass das dichte Netz auch auf einem reichen historischen Erbe. schen Bundesländer. Damit ist eine Moder- der Theater und Orchester auf eine Struk- Sachsen ist urbaner als Mecklenburg-Vor- nisierungschance verpasst worden. Dieser tur gebracht werden musste, die für die pommern und hat drei große Zentren mit Fehler war vielleicht vermeidbar. Unver- Länder und Kommunen bezahlbar ist. Die Dresden, Leipzig und Chemnitz sowie viele meidbar war der Fehler, dass wir mit ande- DDR hatte mit 88 Orchestern die größte kleinere und mittelgroße Städte, die eine ren Bevölkerungszahlen gerechnet haben. Orchesterdichte in der Welt. Zu solchen lange kulturelle Tradition haben, wie z. B. Einen derartigen Einbruch in der demogra- Strukturen wird man nicht zurückkehren Meißen. Das ist in Mecklenburg-Vorpom- fischen Entwicklung konnte niemand vor- können. Ich glaube auch nicht, dass es mern historisch anders. Was die Musikkultur hersagen. Deshalb sind eine Reihe von heute weniger musikalische Angebote gibt angeht, kann sich Mecklenburg-Vorpom- öffentlichen Infrastrukturen, auch im Bil- als in der DDR, weil die Künstler jetzt wirk- mern aber wirklich sehen lassen. Es gibt dungsbereich, im Blick auf die tatsächliche liche Freiheit in ihrer Arbeit haben und eine, verglichen mit der Anzahl der Bevöl- Entwicklung der Kinder- und Schülerzah- diese auch ideenreich nutzen. Wohl glaube kerung, reichhaltige Orchester- und Chor- len nicht richtig dimensioniert worden. Das ich aber, dass es heutzutage eine andere landschaft. Es gibt große Erfolge bei „Jugend hat dann 15 Jahre später zu schmerzhaften Vielfalt des Musikangebots gibt. Außerdem musiziert“, überproportional viele Jugend- Einschnitten geführt. Ich wiederhole aber, haben wir generell in Deutschland ein völlig liche haben ein Instrument und machen dieser „Fehler“ war wohl unvermeidbar. verändertes Freizeit- und Medienverhalten Musik. Die Festivallandschaft hat sich etab- von Kindern und Jugendlichen. liert. All das freut mich sehr.

 18 MUSIK ORUM ang die deutsche Fußball- „Snationalmannschaft vor dem entscheidenden Spiel um den Gewinn der Weltmeisterschaft 1954 in Bern die deutsche Natio- nalhymne? Man erinnert sich nicht daran – […]

Gewiss, die Hymne durfte gesungen wer- den, das ‚Hoffmann-Haydnsche Lied’ war seit 1952 offiziell Hymne der Bundesrepublik. Allein, das gesungene Wir-Gefühl litt unter einer doppelten Hypothek. Die Nationalsozia- listen hatten die Hymne nicht nur zwangsweise an das Horst-Wessel-Lied und den ‚Hitler- Fußballweltmeisterschaften – Gradmesser für die Akzeptanz einer Nationalhymne? Gruß’ gekoppelt, sondern das Lied selbst durch 1954 litt das gesungene Wir-Gefühl noch – trotz Endspielerfolg – unter der Nazi-Vergangenheit. ihre Politik desavouiert.“1 Das Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben und Joseph Haydn verstummte.

Friedhelm Brusniak über die wechselvolle Geschichte der „Deutschlandlieder“ »ERINNERUNGSORT« Nationalhymne

So eröffnet Michael Jeismann 2001 sei- Rückblende für den badischen Abgeordneten Carl Theo- nen „Erinnerungsort“-Artikel „Die National- dor Welcker (1790-1869) miterleben.4 hymne“, als ob er geahnt hätte, dass die Im August 1841 weilte August Heinrich Das „“ ist – wie Hermann Deutschen bei der Fußballweltmeisterschaft Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) auf Kurzke treffend formuliert – „ursprünglich 2006 ein völlig neues Verhältnis zu ihrer . In seinen Lebenserinnerungen ein Lied der Sehnsucht“, denn „es beschreibt Nationalhymne finden würden. Er hatte richtig beschreibt er anschaulich, unter welchen keinen Istzustand, sondern einen Wunsch“, erkannt, dass das „glückliche Zusammentreffen Umständen er zur Dichtung des Deutschland- dass Frauen, Treue, Wein und Sang in der von deutscher Einheit und dem Gewinn der liedes angeregt wurde. Bei einem gemeinsa- Welt „ihren alten schönen Klang“ „behalten Fußballweltmeisterschaft im Jahr 1990“ „den men Mittagessen mit hannoverischen Lands- sollen“, da dieser offenbar bedroht sei. Da- Bann von der Hymne“ genommen hatte, der leuten waren Hochs auf „das einige Deutsch- gegen sollten die Deutschen nach Einigkeit, auf ihr lastete. Der Artikel schließt mit nach- land“ ausgebracht worden, und nach dem Recht und Freiheit streben, denn diese fehl- denklichen Worten, die auch heute noch gültig Abschied war Hoffmann „so eigen zu Mu- ten. Die dritte Strophe richtete sich deutlich sind: „Die Fahnen, die man 1989/1990 the“, dass er dichten musste. So entstand am gegen die deutschen Fürsten, die ihr Verspre- schwenkte, waren Fahnen der Freude. Die 26. August Das Lied der Deutschen, dessen chen nicht eingelöst hatten. So war das Lied Nation war anders erlebbar geworden – in- drei Strophen der „singende Dichter“ und „nicht affirmativ, sondern oppositionell“.5 sofern und auch weil der europäische Rah- „dichtende Sänger“ mit sicherem Instinkt für Campes Bemerkung hatte „exakt den patrio- men dem Nationalen das Aggressiv-Exklusi- die Wirkung populärer Melodien Joseph tisch-poetischen Erwartungshorizont von ve nahm, war jetzt ein politisches Verhältnis Haydns Kaiserquartett-Melodie „Gott erhal- 1840/41, auf den das ‚Deutschlandlied’ ant- zu ihr zu gewinnen. Wie nötig das war und te Franz den Kaiser, / Unsern guten Kaiser wortet“, erfasst: die „Rheinkrise“, auf die bleiben wird, haben die Jahre nach der Ver- Franz“ unterlegte.2 Als er am 29. August mit bekanntlich zahlreiche „Rheinlieder“ reagierten, einigung gezeigt. Die Hymne erklingt nicht seinem Hamburger Verleger Julius Campe vor allem (1809-1845) mit mehr als uneinlösbare Forderung. Sie ist heute am Strand entlang spazierte, bot er ihm das Der deutsche Rhein („Sie sollen ihn nicht ha- Erinnerung und Mahnung zugleich. Sie soll Lied für vier Louis d’Or an. Campe zahlte ben, / Den freien deutschen Rhein“) und Max nicht so sehr den anderen Völkern, sondern sofort und bemerkte, wenn es einschlage, kön- Schneckenburger (1819-1849) mit Die Wacht den Deutschen selbst in den Ohren klingen, ne es ein Rheinlied werden. Bereits am 4. am Rhein („Es braust ein Ruf wie Donner- wenn sie Recht und Freiheit fordert.“ September überbrachte ihm der Verleger den hall“).6 Das Lied der Deutschen hebt sich inso- Einblattdruck „mit der Haydnschen Melodie fern von solchen Beispielen ab, als es sich in Noten“.3 Am 5. Oktober konnte Hoffmann nicht nur um eine strophisch-metrische und von Fallersleben die Uraufführung seines Liedes melodiöse, sondern auch um eine politische anlässlich eines Ständchens der Hamburger Kontrafaktur handelt, da Hoffmann dem Typ Turner und der „Schäfferschen Liedertafel“ der „Königshymne“ (in der Rezeption der

 MUSIK ORUM 19 FOKUS

österreichischen Kaiserhymne) den „demo- den Dichter und durch Heuss selbst vor der erhoben sich die Abgeordneten des Bundes- kratisch geprägten“ Typ einer „Volkshymne“ Veröffentlichung sowie die ablehnende Hal- tags und „stimmten zum weitaus größten Teil (die dem Liedtyp „Landeshymne“ entspricht) tung namhafter Komponisten, die sogar dazu ‚Einigkeit und Recht und Freiheit’ an“.12 Wie entgegensetzt. Durch ein „affektiv totalisie- führte, dass Schröder eigene Kompositions- bereits 1922 und 1952 wurde dann zum rendes Nationalpathos“ (Eberhard Rohse) versuche unternahm (siehe Autograph auf der dritten Mal die Nationalhymnen-Frage ohne offenbarendes „Deutschland, Deutschland rechten Seite), ließen erahnen, dass die Zu- Mitwirkung des Parlaments entschieden. Nach über alles“ tritt „Deutschland“ selber nicht nur kunft dieser Hymne unter keinem guten Stern dem Vorbild von Heuss und Adenauer tausch- an die Stelle des Kaisers, sondern auch Got- stehen würde.8 Kurzke bringt das Problem ten Bundespräsident Richard von Weizsäcker tes und wird „so zum ‚über alles’ verabsolu- auf den Punkt, wenn er schreibt, dass die und Bundeskanzler Helmut Kohl am 19. und tierten Numinosum sakralisiert“. Behauptung, dass Deutschland „das Land der 23. August 1991 Briefe aus, in denen die drei theologischen Tugenden des Glaubens, dritte Strophe des „Deutschlandliedes“ mit Wegmarken der Hoffnung und der Liebe“ sei, aus der Si- der Melodie von Joseph Haydn als „(die) Na- tuation Ende der vierziger Jahre verständlich, tionalhymne für das deutsche Volk“ bestimmt Mit Enttäuschung musste Hoffmann von aber damals schon „unwahrhaftig“ war und wurde. Dass die Nationalhymnen-Debatte Fallersleben zur Kenntnis nehmen, dass bei es „heute erst recht“ wäre.9 Als klar war, dass damit keineswegs beendet war, zeigte sich der Reichsgründung 1871 nicht sein „Deutsch- die Bürger der Bundesrepublik die Schröder/ 2006, als die Gewerkschaft Erziehung und landlied“, sondern die Preußenhymne Heil Reuttersche Hymne nicht annehmen wür- Wissenschaft (GEW) die Abschaffung der dir im Siegerkranz Hymne des Deutschen den, lenkte Heuss ein. Hymne forderte und einen Sturm der Ent- Reichs wurde, zumal er sich zuletzt noch nach In einem Briefwechsel vom 29. April und rüstung, zugleich aber auch eine bis heute der Edition der Gedichte Walthers von der 2. Mai 1952 zwischen Bundeskanzler Ade- nicht abgeschlossene Diskussion auslöste.13 Vogelweide (1869), dessen Preislied er im Lied nauer und dem Bundespräsidenten wurde der Deutschen bekanntlich „anspielungsreich- eine Klärung in der Frage der Nationalhym- Die musikalische Erinnerung bedeutsam vergegenwärtigt“ hatte, große ne gesucht. Bei staatlichen Veranstaltungen Hoffnungen machte. Intensiviert durch den sollte von nun an die dritte Strophe des Das historische Datum von 20 Jahren „Langemarck-Mythos“ wurde das „Deutschland- „Deutschlandliedes“ gesungen werden. Der „Mauerfall“ und 200. Todestag Joseph Haydns lied“ nach dem Ersten Weltkrieg mit einer 1919 Briefwechsel wurde am 6. Mai 1952 im lenkt die Aufmerksamkeit auf den vielleicht hinzugefügten vierten „Trutz-Strophe“ als „Trotz- Bulletin des Presse- und Informationsamtes am wenigsten beachteten, für die Rezeption lied“ verstanden. In einer Kundgebung zum der Bundesregierung veröffentlicht, nicht im gerade des „Deutschlandliedes“ jedoch wohl Jahrestag der Weimarer Verfassung erklärte Bundesgesetzblatt, da es sich ja nicht um ein besonders in Erinnerung zu rufenden Aspekt: Reichspräsident Friedrich Ebert das „Deutsch- Gesetz handelte. In beiden deutschen Staa- die Melodie. Völlig zu Recht hat Jürgen Zeich- landlied“ am 11. August 1922 schließlich zur ten trat in den folgenden Jahren eine merk- ner darauf verwiesen, wie wichtig aufführungs- deutschen Nationalhymne. Als 1933 die Flaggen würdige Entwicklung ein: Während in der praktische Entscheidungen Erinnerungen ge- geändert wurden, verschwand bald darauf Bundesrepublik – nicht zuletzt unter dem Ein- prägt haben und prägen: „Die wahre Botschaft (1934) die vierte Strophe wieder. Die Kom- druck, dass bei der Fußballweltmeisterschaft einer Hymne steckt dann im musikalischen bination der „nun wieder kraft ihrer chauvi- 1954 in Bern deutsche Fußballfans die erste Detail. Eine Einspielung von ‚Einigkeit und nistisch und imperialistisch interpretierbaren Strophe des „Deutschlandliedes“ gegrölt hatten Recht und Freiheit’ kann sowohl demokra- ersten Strophe“ mit dem „Horst-Wessel-Lied“ – die Hymne verstummte und man „nur der tisch-liberal klingen wie auch nationalistisch führte nach 1945 dazu, dass der Alliierte Haydnschen Streichquartett-Fassung lausch- oder gar imperialistisch. Hier geht es nicht Kontrollrat das „Deutschlandlied“ verbot. te“, wurde seit Beginn der 1970er Jahre auch mehr um die Wahl der Strophe, sondern um Am 5. November 1949 erklärte der Mi- in der DDR die Becher-Hymne nicht mehr die Wahl von Instrumentation, Tempo, Met- nisterrat der DDR die neue Hymne von Jo- gesungen, sondern nur noch die Melodie von rum, Tonart, Stimmführung, Arrangement und hannes R. Becher (1891-1958) Auferstanden Hanns Eisler gespielt.10 Ausdruck einer Version. Sie prägen den po- aus Ruinen in der Vertonung von Hanns Eis- Bereits vor dem Mauerfall wurde jedoch litischen Gehalt einer Aufnahme.“14 Ungeachtet ler zur Nationalhymne; die Veröffentlichung Johannes R. Bechers Zeile „Deutschland, ei- des Für und Wider in der anhaltenden Hym- im „Neuen Deutschland“ erfolgte einen Tag nig Vaterland“ zu einem zentralen Motto und nen-Debatte täte es gut, auch die musikali- später.7 Daraufhin ließ als fand sich 1989 auf zahlreichen Transparen- schen „Erinnerungsorte“ gleichberechtigt mit- westdeutscher Bundeskanzler bei einer Ver- ten wieder.11 Konsequenterweise führte der zubedenken, wohl wissend, wie nachhaltig anstaltung in West-Berlin am 18. April 1950 DDR-Ministerrat am 4. Januar 1990 die Be- Musik wirkt. demonstrativ die dritte Strophe „Einigkeit und cher-Eisler-Hymne wieder als gesungene Staats- Recht und Freiheit“ des „Deutschlandliedes“ hymne der DDR ein. Doch als in den folgen- anstimmen. Bundespräsident den Wochen und Monaten vier Alternativen suchte stattdessen nach einer anderen Lö- für eine Nationalhymne des wiedervereinig- sung, indem er Rudolf Alexander Schröder ten Deutschland diskutiert wurden – die dritte Der Autor: (1878-1962) beauftragte, eine neue Natio- Strophe des „Deutschlandliedes“, die erste Univ.-Prof. Dr. Friedhelm Brusniak ist Ordinarius für nalhymne zu verfassen. In der Vertonung von Strophe der bisherigen DDR-Hymne, Bertolt Musikpädagogik am Institut für Musikforschung der Uni- versität Würzburg. Er studierte Schulmusik, Geschichte Hermann Reutter (1900-1985) erklang Schrö- Brechts Kinderhymne oder ein „Hymnenmix“ und Musikwissenschaft in Frankfurt am Main, absolvierte ders („Land des Glau- aus „Deutschlandlied“ und Becher-Eisler- beide Staatsexamina für das Lehramt an Gymnasien, pro- bens, deutsches Land“) erstmalig nach der Hymne –, fiel die Entscheidung zugunsten movierte in Frankfurt am Main und habilitierte sich für Silvesteransprache von Theodor Heuss am von „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Musikwissenschaft an der Universität Augsburg. Von 1989 bis 1999 war er als Wissenschaftlicher Leiter des 31. Dezember 1950. Doch die zahlreichen Als am 9. November 1989 die Mitteilung Sängermuseums Feuchtwangen tätig; 1994-2002 Präsi- Änderungen am Text dieser Hymne durch erfolgte, dass die DDR-Grenze geöffnet war, dent der Deutschen Mozart-Gesellschaft.

 20 MUSIK ORUM 1 Michael Jeismann: „Die Nationalhymne“, in: Etienne 4 [August Heinrich] Hoffmann von Fallersleben: Mein Rohse, a.a.O., S. 86; Heike Amos: „Deutsche National- François/Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungs- Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Bd. 3, Han- hymnen. Textverbot oder Textentzug? Zum Umgang mit orte III, München 2001, S. 660-664, hier: S. 660, das nover 1868, S. 210-212, 222. der Nationalhymne in der DDR 1949-1990“, in: Bernhard folgende Zitat S. 664. 5 Hermann Kurzke: „Das Deutschlandlied“, in: ders.: Frevel (Hg.): Musik und Politik. Dimensionen einer un- 2 Friedhelm Brusniak: „‚Singend dichten’. Hoffmann von Hymnen und Lieder der Deutschen, Mainz 1990, S. 42- definierten Beziehung, Regensburg 1997, S. 45-64, im Fallersleben als ‚politischer Liedermacher’“, in: Hans 63, hier: S. 44 f. Folgenden bes. S. 51 f. Bäßler/Ortwin Nimczik (Hg.): Stimme(n). Kongressbe- 6 Eberhard Rohse: „‚Das Lied der Deutschen’ in seiner 8 Klaus Goebel: „‚Neugierig, was ich zum Schluß gedich- richt 26. Bundesschulmusikwoche, Würzburg 2006, politischen, literarischen und literaturwissenschaftlichen tet haben werde’. Der Streit um die deutsche National- Mainz 2008, S. 213-226. Rezeption“, in: Hans-Joachim Behr/Herbert Blume/ hymne 1950-1952“, in: Erik Gieseking et al. (Hg.): Zum 3 vgl. Eberhard Schellhaus (Hg.): Die Nationalhymne. Eberhard Rohse (Hg.): August Heinrich Hoffmann von Ideologieproblem in der Geschichte, Lauf a. d. Pegnitz Text Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Melodie Fallersleben 1798-1998. Festschrift zum 200. Geburts- 2006, S. 119-137; ders.: „Schröders Schatzkammer“, in: Joseph Haydn. Eine Dokumentation zur Geschichte des tag, Bielefeld 1999, S. 51-100, hier und im Folgenden: FAZ Nr. 182 vom 08.08.2009, S. Z 4. Ich danke dem Deutschlandliedes; inliegend: Ein Faksimile des Original- S. 58 f., 69. Kollegen Prof. Dr. Klaus Goebel, Dortmund/Wuppertal, drucks von 1841, Stuttgart 1987. 7 Kurzke: „Die Hymne der DDR“, a.a.O., S. 151-162; für den Hinweis auf den Quellenfund und die Anregung zur Veröffentlichung. 9 Kurzke, a.a.O., S. 60. 10 Amos, a.a.O., S. 52 f., im Folgenden S. 62; Rainer Blasius: „Die Unwilligkeit zu singen. Deutschlandlied und Becher- hymne zwischen Tradition und Neuanfang. Verfremdung und Verschweigen“, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Flagge zeigen. Die Deutschen und ihre Nationalsymbole, und Bielefeld 2008, S. 73-77. 11 Andreas Rödder: Deutschland einig Vaterland. Die Geschichte der Wieder- vereinigung, München 2009, Vorwort. 12 Blasius, a.a.O., S. 76; Hubert Kleinert: „Mauerfall im Wasserwerk. Von grünen Problemen beim Absingen der National- hymne“, in: Neue Gesellschaft 46 (1999), S. 352-357. 13 Materialien hierzu finden sich im Archiv der Hoffmann-von-Fallersleben-Gesell- schaft und des Hoffmann-Museums in Wolfsburg-Fallersleben. Ich danke dem Präsidenten der HvF-Gesellschaft, Dr. Kurt G. P. Schuster, und der Museumsleiterin Dr. Bettina Greffrath für freundliche Aus- künfte. 14 Jürgen Zeichner: Einigkeit und Recht und Freiheit. Zur Rezeptionsgeschichte von Text und Melodie des Deutschland- liedes seit 1933, Köln 2008, S. 17 f.

. Vom deutschen Bürger nicht angenommen: Rudolf Alexander Schröders Hymne an Deutschland – hier ein Autograph. Deutsches Literaturarchiv Marbach, o. J., Best. Schröder. Erstveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Cornelius Borchardt, Ebersberg und DLA Marbach.

 MUSIK ORUM 21 FOKUS

r ist weder von blauem Blut noch umgibt ihn die Noblesse des EHochadels. Für die deutsche Popmusikszene ist er aber allemal ein veritabler Prinz: Sebastian Krumbiegel (43), Musiker, Sänger und Mitglied Die DDR war ein Unrechtsstaat, der Leipziger Kultband „Die Prinzen“. Für ihn gehört es ganz selbstver- ständlich zum Profil eines Künstlers, wach zu sein, an den (politischen) Entwicklungen teilzunehmen, sich punktuell einzumischen. »ALLES ÜBER

Engagement über das bloße Musikersein noch im Juni 1989 mit dem chinesischen hinaus: Krumbiegel war und ist immer „dran“ Staatspräsidenten. Und wer wusste schon, an den Themen der Zeit, ob als Bürger bei ob die Montagsdemonstrationen nicht ge- den Montagsdemonstrationen der Wende- nauso gewaltvoll beendet werden sollten. zeit, als Streiter gegen Rassismus und Gewalt, als Mitglied der Bundesversammlung, die im Sie studierten damals an der Leipziger Mai den Bundespräsidenten wählte – oder Musikhochschule… einem Mal in den Hintergrund, als die ers- als Musiker, der oft in satirischer Form gesell- Krumbiegel: Richtig, und da stand am ten Gerüchte zu uns drangen: Die Mauer schaftliche Trends und Phänomene in Lied- 9. Oktober im Foyer an der Tafel: „Heute sollte offen sein. Ich weiß noch, wir alle folien schweißt (Millionär, Schwein sein, Deutsch- nicht zur Demo gehen, heute wird geschos- dachten: Das ist ein Irrtum! land, Chronisch pleite, Frauen sind die neuen sen! Wer das Gespräch sucht, trifft sich um Männer). 18 Uhr im Bläserhaus in der Außenstelle Hat sich diese Schnelllebigkeit aus Im Gespräch mit Hans Bäßler lässt Krum- der Musikhochschule.“ Also bin ich mit den Tagen von 1989 auf Ihr künstlerisches biegel die aufregenden Tage des Mauerfalls einem Freund dort hingegangen – doch Tun ausgewirkt? und seine Zeit als Thomanerchorsänger Re- wir waren die Einzigen. Tatsächlich waren Krumbiegel: Wir haben damals politi- vue passieren und beschreibt die Entwick- wir beide auf eine Finte reingefallen: Alle sche Texte gesungen. Eine Textzeile über lung eines der erfolgreichsten „Musik-Expor- offiziellen, staatlichen Stellen waren nämlich Michail Gorbatschow hieß z. B.: „Guten te“ aus Deutschland-Ost. angehalten, die Menschen von den Demos Tag, lieber Michail, sag uns, was spielst Du fern zu halten. Und bei uns beiden hatten hier für ein neues Spiel? Bring uns doch Wie sind die Erinnerungen an die sie es mit der Falschmeldung, der wir auf- mal die Spielregeln bei.“ Das war provo- Wende im Herbst 1989? gesessen sind, geschafft. Als wir es merkten, kant, denn der Text war von den Macht- Sebastian Krumbiegel: Natürlich sind sind wir vom Bläserhaus zwar direkt in die habenden abgeleitet, die sich an die Devise Bilder des Mauerfalls vom 9. November Stadt gegangen, aber inzwischen war es 19 hielten: „Wenn der Nachbar renoviert, müs- um die ganze Welt gegangen, aber für mich Uhr geworden und das Wichtigste war sen wir noch lange nicht auch renovieren!“ als Leipziger ist der 9. Oktober dennoch eigentlich schon vorbei. Es waren noch Ein anderer Text lautete: „Denk ich an das emotional wichtigere Datum. Am 9. Massen unterwegs, aber den eigentlichen Deutschland in der Nacht, fühl ich mich so Oktober nahm ich nämlich – wie schon in 9. Oktober habe ich leider um eine Stunde alleine. Dann bin ich um den Schlaf gebracht, den zwei vorangegangenen Wochen – an verpasst. genau wie Heinrich Heine.“ Diesen Text den Montagsdemos teil. Ich bekam hautnah haben wir dann auf alle möglichen Länder mit, wie mit den Demonstranten umgegan- Aber dann der 9. November… durchdekliniert: „Denk ich an England in gen wurde: Wasserwerfer waren im Einsatz, Krumbiegel: …der mir noch gut in der Nacht, fühl ich mich kalt wie ein Glet- Menschen wurden zusammengeknüppelt Erinnerung ist. Ich war an diesem Tag im scher. Dann bin ich um den Schlaf gebracht, und abtransportiert. Das war ziemlich heftig. Kabarett im Academixer-Keller, direkt im genau wie Maggie Thatcher.“ Oder: „Denk Im Vorfeld des 9. Oktober ging das Gerücht Zentrum Leipzigs. Das war während meiner um, dass scharf geschossen werden sollte. Studienzeit ein beliebter Treff, in dem man Foto: Waltraud Grubitzsch immer noch bis in die frühen Morgenstun- den sitzen und mit den Kabarettisten und »Wasserwerfer, Musikern reden konnte, während alle ande- ren Kneipen bereits geschlossen waren. zusammengeknüppelte Das Besondere an diesem Kabarettabend war, dass er vom Fernsehen aufgezeichnet Menschen – das war wurde – und zwar nicht mehr vom DDR- Fernsehen, sondern schon vom Deutschen ziemlich heftig« Fernsehfunk. Ein Novum, immerhin war Kabarett im Osten zwar eine geduldete, Angeblich wurden die Krankenhäuser mit aber nicht in den Medien stattfindende Blutkonserven aufgestockt, weil man mit Nischenkultur. Wir fragten uns alle, ob die vielen Verletzten rechnete. Alle hatten Angst, Aufzeichnung des Stücks in dieser schnell- dass etwas passiert – mit dem Gedanken lebigen Zeit überhaupt noch aktuell sein an das kurz vorher geschehene Tian’anmen- würde, wenn sie – wie geplant – erst vier Als Chorsänger regelmäßig im „nichtsozia- Massaker auf dem Platz des himmlischen bis sechs Wochen später ausgestrahlt würde. listischen Wirtschaftssystem“ unterwegs: Friedens in Peking. Erich Honecker traf sich Doch solche Überlegungen rückten mit Thomaner Krumbiegel (links).

 22 MUSIK ORUM sagt Sebastian Krumbiegel von den „Prinzen“, aber:

EINEN KAMM ZU SCHEREN, wäre zu einfach!«

ich an Frankreich in der Nacht, wird mir ganz Angst und Bang. Dann bin ich um den Schlaf gebracht, genau wie François Mitterrand.“ In der letzten Strophe kam der große Aha-Effekt: „Denk ich an Russland in der Nacht, fühl ich mich so geleimt. Dann bin ich um den Schlaf gebracht, weil sich gar nichts auf Gorbatschow reimt.“ Wir erzielten mit unseren Liedern immer große Lacher, jeder wusste genau, was da- mit gemeint war. Fast täglich mussten wir damals die Texte umschreiben wegen der © www.sebastian-krumbiegel.de schnellen politischen Veränderungen. Bei den Proben haben wir uns gegenseitig über die politischen Veränderungen informiert men würden. So waren die Spielregeln. Stress, den meine Eltern noch hatten. Man und entsprechend die Texte geändert. Des- Wir haben höchstens auf eine Lockerung muss also klug abwägen, damit unseren wegen war uns klar, dass die Kabarettauf- gehofft, sodass wir bereits mit 60 würden Kindern heute ein ausgewogenes DDR-Bild nahme an jenem Novemberabend bereits wieder reisen dürfen. gezeigt wird. in zwei Wochen kalter Kaffee sein würde. Mit diesen Gedanken stand ich damals Natürlich darf man nicht leugnen, dass mit einem Klassenkameraden am Hinter- die DDR ein Unrechtsstaat war. Aber ich Hatten Sie den Fall der Mauer ausgang der Philharmonie – und jeder wehre mich dagegen, wenn die DDR in erwartet? dachte an den kleinen Schritt, den wir hät- einem Atemzug mit dem „Dritten Reich“ Krumbiegel: Ich höre oft im Nachhinein, ten machen müssen, um in den Westen zu genannt wird. Solche Vergleiche werten dass viele Menschen die Veränderung ge- kommen. Am Ende haben wir es aber nicht das Leben der Leute in Ostdeutschland spürt haben wollen, weil etwas in der Luft gemacht. Das spricht auch dafür, dass unser einfach ab und kränken Menschen, die lag. Es hat natürlich gebrodelt. Aber keiner Leben in der DDR nicht so schrecklich war, auch Dinge geschaffen und ihr Leben hat wirklich gedacht, dass die Mauer fällt. dass wir unbedingt weg wollten – wobei gelebt haben, ohne von früh bis spät an Sowas war einfach unvorstellbar für uns alle. ich das zumindest für uns privilegierte Tho- die Stasi und die Mauer zu denken. Es ist Als wir dann davon erfuhren, gingen wir maner sage. ein sensibles Thema und ich will das auch eigentlich davon aus, dass die Mauer wieder Im Rückblick ist es immer schwierig, die nicht relativieren. Aber alles über einen zugemacht werden würde. Situation pauschal zu beurteilen. Einerseits Kamm zu scheren, wäre zu einfach. Mit dem Thomanerchor sind wir früher möchte man nichts „ostalgisch“ verklären: oft ins kapitalistische Ausland – ins „NSW“, Es gab schreckliche Dinge wie die Stasi und Wie hat sich der Kulturbetrieb nach ins „nichtsozialistische Wirtschaftssystem“ – Bautzen, die Mauer und den Todesstreifen. der Wende verändert und welche Auswirkun- gereist. Jedes Jahr um die Weihnachtszeit Man darf auch die starke Umweltverschmut- gen hatte dies für Ihre Gruppe? Wurden Sie waren wir z. B. in West-Berlin, um in der zung in der DDR, gerade in der Region um zu DDR-Zeiten über die Künstleragentur in Philharmonie die Weihnachtsoratorien zu Leipzig, nicht herunterspielen – der Schnee Berlin vermittelt? singen. So auch 1984, als ich in der 12. war schwarz, Wäsche konnte man nicht Krumbiegel: Nein, dafür waren wir Klasse war und meinen letzten Winter im raushängen und man hatte ein schwarzes noch zu unbekannt. Und deshalb waren Chor verbrachte. Auf dieser letzten Reise Taschentuch, wenn man sich die Nase ge- wir auch zu Ostzeiten als Musiker schon nach West-Berlin dachten wir viel darüber putzt hat. eigenständige Unternehmer. Wir haben nach, was wir in Zukunft machen würden, Andererseits kann man die ganze DDR- uns selbst um alles gekümmert, haben Ver- wenn wir nicht mehr einreisen dürften. Epoche nicht nur als triste, graue, schlimme anstalter angesprochen und Demokassetten Wir sind davon ausgegangen, dass wir das und schreckliche Zeit abtun. Gerade meine versendet. Im Nachhinein haben mir viele nächste Mal mit 65 nach West-Berlin kom- und jüngere Generationen hatten nicht den Leute gesagt, wir sollten froh sein, zu Ost-

 MUSIK ORUM 23 FOKUS

»Die Jugendclubs zu schließen, zeiten noch nicht so berühmt gewesen zu Das hat mir immer sehr gefallen und ich sein. So hatten wir nach dem Mauerfall die war wirklich ein Fehler war ein großer Fan. Tobias kannte ich per- Chance, „unbeschmutzt“ starten zu können sönlich, weil er bei den Thomanern mit und etwas Neues zu sein. der Kulturpolitik« meinem älteren Bruder in einer Klasse war. Ich weiß nicht, ob man das so sagen Und so kam es, dass ich ein kleiner Teil kann, Fakt ist aber, dass wir die erste gesamt- dieser Band wurde, die noch zu Ostzeiten deutsche Band waren, die erfolgreich war, oder im Club „Rabet“ hatten wir manchmal eine Platte machte. Während meiner Ar- die bundesweit Platten verkauft und die an einem Tag zwei Auftritte, nicht zuletzt, meezeit von 1985 bis 1987 bin ich, wenn Hallen gefüllt hat. Dieser Erfolg lag natürlich weil wir ohne großen Aufwand auskamen. ich Urlaub hatte, mit den „Kids“ auf Tour daran, dass wir originell waren und singen Wir haben jeweils eine halbe Stunde a cap- gegangen. konnten, aber auch daran, dass wir fleißig pella teils eigenkomponierte Lieder, teils Und dann kam der Mauerfall und ich waren und viele Klinken geputzt haben. Coverversionen von den Beatles, Stones, erinnere mich, dass ich wieder mal bei Und dann darf man nicht vergessen, dass Kinks und The Who gesungen. Und das einem Konzert dabei war. Zu dem Auftritt wir auch eine große Portion Glück hatten. ohne Mikrofone, was eine gute Schule für ist es jedoch nicht gekommen: Es war kein uns war, da wir mit der Kraft unserer Musik Mensch da. Das war frustrierend und sehr Wo sind Sie im Osten aufgetreten? und vor allem mit der Überzeugungskraft hart. Krumbiegel: In kleinen Clubs, in denen unseres Auftritts die Leute zum Schweigen etwa 200 Leute Platz hatten. Das Schöne bringen und dafür sorgen mussten, dass sie Wie ging es künstlerisch und wirt- war, dass wir damals ohne großen Aufwand uns zuhörten. Wir hatten nicht die Macht schaftlich weiter? auftreten konnten, denn in der DDR gab eines Mikrofons, mit dem man die Leute Krumbiegel: Am Anfang gab es auf es eine gute Infrastruktur für Jugendliche. niederbrüllen kann, oder die Macht der jeden Fall einen Einbruch: 1990 war ein Ohne etwas verherrlichen zu wollen: Das lauten Gitarre. einkommensloses Jahr. Wir hatten in diesem Netzwerk an Jugendkulturen war gut aus- Jahr nichts oder nur wenig zu tun. Dann gebaut – das gibt es heute so nicht mehr. Wie war es, als Sie sich nach der hatten wir das Glück und die Gelegenheit, Im Gegenteil: Nach der Wende wurde ein Wende auf eine völlig neue Situation einstellen zu einem Casting in die Berliner Hansa- Jugendclub nach dem anderen geschlossen. mussten? Studios zu fahren. Dabei haben wir George Davon zeugt auch unser Lied Aua, das wir Krumbiegel: Das erste Gefühl war groß- Glueck kennen gelernt, einen großen Ver- auf unserem Album Alles nur geklaut von artig. Wir waren sehr euphorisch. Meine leger, den ich sehr verehre, der uns wiede- 1993 veröffentlicht haben. In einer Strophe damalige Freundin und ich wollten uns rum mit Annette Humpe, der Frontfrau heißt es: „Dein Jugendclub hat zugemacht, gleich den Westen ansehen, doch gerade von „Ideal“, zusammenbrachte. du weißt nicht mehr wohin, bis jetzt hast als wir zwei Tage nach dem 9. November Annette besuchte uns Anfang 1990 in du’s nicht weit gebracht, du suchst nach losfahren wollten, fuhr uns in Leipzig ein Leipzig und machte mit uns gleich erste einem Sinn." Diese Textstelle entsprach der Jeep von der Kaserne in meinen Trabi. So Aufnahmen. Und dann ging alles Schlag Realität, denn die Kids trafen sich, nachdem musste unsere Entdeckungstour noch einen auf Schlag: Wir wurden ins Boogie Park die Clubs schlossen, z. B. an Tankstellen. Tag länger warten. Studio in Hamburg-Altona eingeladen, in In diese Stimmung grätscht dann die NPD Für uns als Band war die Öffnung sehr dem wir danach auch unsere ersten vier rein, die es sich zur Strategie gemacht hat, spannend und aufreibend zugleich, denn Platten aufgenommen haben. Ich weiß noch, die Jugendkultur zu unterstützen. Sie nutzen zunächst gab es für die Ostbands von heute wie froh wir waren. Das Budget für die die Situation aus, kümmern sich um die auf morgen keinen Markt mehr. Keiner erste Platte war ganz niedrig. Wir haben Jugendlichen und verteilen auf Schulhöfen wollte mehr die Ostmucke hören. Selbst die erste Platte, die sich am Ende weit über CDs. Sie rekrutieren ihre Nachkommen, etablierte Ostbands wie Karat, die Puhdys, eine Million Mal verkauft hat, mit allen weil sie genau wissen, wie sie die Jugend- City oder Silly spielten vor leeren Häusern, Nebenkosten für insgesamt 30000 Mark lichen ansprechen müssen. Die Jugendclubs während jede Band aus dem Westen, die produziert. Wolfgang, Tobias und ich haben zu schließen, war wirklich ein Fehler der hier rüberkam, die Massen erstmal anzog. nicht im Hotel gewohnt, sondern in einer Kulturpolitik. Verständlich, denn die Menschen wollten Wohngemeinschaft in Hamburg. Und wir natürlich das hören, was sie jahrelang nicht waren froh, dass dort der Kühlschrank ge- Wenn in der DDR eine Plattenbau- hören konnten. füllt war und wir kein Geld ausgeben muss- siedlung entstand, wurde darauf geachtet, die ten, denn wir hatten auch keines. Wohnumgebung durch den Bau von Kitas, Und wie erging es Ihnen als Ostband? Schulen, Einkaufs- und Freizeiteinrichtungen Krumbiegel: Wir hatten erstmal nichts Hatten Sie damals nicht auch Udo attraktiv zu machen. Welche Rolle spielten die zu tun. Von 1987 bis 1991 machten wir Lindenberg kennen gelernt? Jugendclubs? zu viert als „Herzbuben“ Musik, der Vor- Krumbiegel: Ja, Udo hat uns damals Krumbiegel: Es war alles staatlich ge- gängerband der „Prinzen“. Tobias Künzel, über den Hamburger Kiez geführt, uns alles lenkt und dadurch auch überprüfbar, und der 1991 als unser fünftes Mitglied zu den gezeigt: die dubiose Halbwelt mit der „Ritze“ ich muss ehrlich sagen, dass dies für uns ein „Prinzen“ stieß, war vorher in der Band und „Neger-Kalle“. Als wir mit ihm im Segen war. Die Clubs waren für uns zu- „Amor & Die Kids“, die sich zu Ostzeiten „Salambo“ [Nachtclub auf St. Pauli] waren, nächst gut, weil wir sie selbst als Konsu- als Art Geheimtipp etablieren konnte, auch sagt er: „Das ist mein Büro und hier sind menten genießen konnten. Und später, weil weil sie sehr direkte Texte gemacht haben. meine ganzen Geheimräte.“ Er hat alles für wir dort als junge Band auftreten konnten. Anders als viele andere ostdeutsche Bands uns bezahlt, da wir ja kein Geld hatten. Zwar Im Club „Metrum“, einem Flachbau mitten mit ihren blumigen, lyrischen Texten haben haben wir nicht wahnsinnig geschlemmt, im Plattenbaugebiet in Leipzig-Grünau, sie dem Volk wirklich aufs Maul geschaut. aber allein ein Bier kostete in so einem

 24 MUSIK ORUM »Sich selbst treu zu bleiben, ist das Wichtigste. Laden um die 20 Mark. Das wussten wir nicht und war damals eigentlich dagegen. damals nicht, und irgendwann war es uns Am Ende geht es nur um Ich fürchtete um unsere schöne a cappella- unangenehm, dass er alles zahlte, und wir Kunst. Damals musste ich im allerbesten wollten auch eine Runde geben. Er hatte Authentizität« Sinne lernen, Kompromisse einzugehen, einen Kaffee und wir jeder ein Bier – als und an denen bin ich auch gewachsen. die Rechnung kam, traf uns der Schlag: Heute liebe ich dieses Lied und freue mich, Wir sollten 85 Mark zahlen! noch“ 250 000 Mal verkaufte und die Plat- es zu singen. Und ich muss zugeben, dass tenfirma von einem Flop sprach, waren wir das Lied kein Hit geworden wäre, wenn es Wann ging es dann wirklich aufwärts? schon sehr erstaunt. Für uns war es ein so ein ruhiges, schwebendes Ding geblieben Krumbiegel: Bereits 1991. Im Jahr zu- toller Erfolg. Von den ersten vier Platten wäre. Annette Humpe hat uns – künstlerisch vor hatten wir die ersten Demos bei einem wurden immer über eine Million verkauft gesehen – sehr viel Input gegeben, ohne Freund von Annette Humpe in Leipzig auf- – das ist im Nachhinein echt unglaublich… uns völlig zu verändern. Wir haben oft genommen. Der hatte in seinem Schlaf- kreativ-künstlerisch miteinander gestritten, zimmer ein kleines Heimstudio eingerichtet. … zumal man bedenken muss, dass aber wir haben uns immer gegenseitig res- Vorm Kleiderschrank mit den Hemden der typische a cappella-Gesang der Prinzen pektiert. haben wir die ersten drei Lieder aufgenom- im Popbereich schon etwas Elitäres ist und man men, u. a. Gabi und Klaus. Als dieser Song damit an Grenzen der stilistischen Akzeptanz Sind die Prinzen von heute noch die als Single erschien und Anfang 1991 ziem- stoßen könnte. „Herzbuben“ von damals? lich schnell zum Hit wurde, schickte die Krumbiegel: Genau, aber wir waren Krumbiegel: Sich selbst treu zu bleiben, Plattenfirma uns sofort ins Studio, um eine schon immer Wanderer zwischen den ist das Wichtigste. Am Ende geht es nur LP aufzunehmen. Womit sich auch unsere Welten. Annette Humpe hatte uns damals um Authentizität, denn auf Dauer kann finanzielle Situation schnell änderte. Als ganz klar die Frage gestellt, ob wir Klein- man keine Rolle spielen. Ich auf jeden Fall meine erste GEMA-Abrechnung kam, habe kunst machen oder Popstars werden wollten. nicht, denn daran würde ich kaputt gehen. ich gedacht, dass sie sich verdruckt und aus Ich weiß noch, dass ich z. B. das Lied Ich Roy Black wollte z. B. im Herzen immer Versehen eine Kommastelle versetzt hätten, will dich haben auf der Bühne immer in Rock’n’Roller sein und hat bestimmt sehr weil es eine so unglaubliche Summe war. einem Lodenmantel gesungen und mich darunter gelitten, dass er Schlager gemacht dabei wie ein Exhibitionist aufgeführt habe. hat. Natürlich gibt es auch bei uns solche Seitdem ist Ihr Erfolg eigentlich unge- Das passte sehr gut, weil das Lied durch Grenzfälle, die manchmal zu Streit unter- brochen… die übereinander gelagerten Chöre etwas einander führen, weil der eine am liebsten Krumbiegel: Das würde ich so nicht sehr Bedrohliches und Mystisches hatte. Punkrock machen möchte und der andere sagen. Natürlich waren die ersten fünf bis Annette Humpe schlug vor, einen House- Klassik. Wir sind da, wie es Parteipolitiker sechs Jahre phänomenal. Aber wir haben Beat mit Drum’n’Bass, also Sounds, die da- ausdrücken würden, sehr pluralistisch und auch Höhen und Tiefen erlebt, wenngleich mals gerade den Dancefloor beherrschten, achten darauf, durch unseren Klangkörper auf hohem Niveau. Als sich eine Platte „nur drunterzulegen. Ich mochte das überhaupt stets erkennbar zu sein.

å Lesen Sie das komplette Interview in der Online- Ausgabe des MUSIKFORUM unter: www.musik-forum-online.de/ krumbiegel

„Erste gesamt- deutsche Erfolgs- band, die bundesweit Platten verkauft und die Hallen gefüllt hat“: »Ich musste im allerbesten Sinne lernen, Die Prinzen mit Kompromisse einzugehen, und an denen Sebastian Krumbiegel, Wolfgang Lenk, bin ich auch gewachsen« Henri Schmidt, Jens Sembdner und Tobias Künzel (v. l.). © dp-kreativ.de

 MUSIK ORUM 25 FOKUS

m es gleich klarzustellen: UHier geht es nicht etwa um Architektur und ihre mitunter problematischen Erscheinungs-

formen, sondern um die Möglich- Ergebnisse intensiver Zusammenarbeit: Karl Böhm, Carlos Kleiber und Giuseppe keiten musikalischer Vermittlung. Sinopoli machten legendäre Plattenaufnahmen mit der Staatskapelle Dresden.

GEMEINSAMER MUSIKALISCHER

Beim Begriff der musikalischen Vermitt- von Schellackplatten, später von Langspiel- möglichst mit den von ihm besonders geschätz- lung mag jeder echte Musikliebhaber vor allem platten (LPs), MusiCassetten (MCs) und Com- ten Interpreten, zuhause auf Platten hören an öffentliche Konzerte und Aufführungen pact Discs (CDs) – ganz generell auf das kann. Deren materielle Herstellung wie auch in Opern- und Operettenhäusern oder auch Musikleben des 20. Jahrhunderts in hohem ihre „Verpackung“ (Erstellung einer optisch Musicaltheatern denken, vielleicht auch an Maße ausgeübt haben. Auch sollte nicht über- attraktiven Plattentasche mit angemessener Sendungen in Rundfunk und Fernsehen. Seit sehen werden, dass mit dieser technischen Kommentierung) muss hier leider außer Acht über 100 Jahren bis in die jüngste Zeit hinein Hilfe erstmals ein Ansatz zu einer sachge- bleiben – der dafür in der Industrie gebräuch- haben jedoch in der gleichen vermittelnden rechten Geschichte der musikalischen Inter- liche Begriff der „Produktion“ wird im Plat- Absicht auch die so genannten „Tonträger“ pretation möglich geworden ist. Zur Ver- tenbereich anders verstanden: Er wird zusam- eine gewichtige Rolle gespielt, über deren meidung des arg künstlichen Tonträger- menfassend für all jene Arbeiten benutzt, die Zukunft – nach den neueren technischen Ent- Begriffs wird im Folgenden – wie schon in der Planung und Durchführung jeder Auf- wicklungen einigermaßen fragwürdig gewor- der Überschrift – zusammenfassend einfach nahme vorausgehen müssen. Dazu zählt für den – hier nicht weiter spekuliert werden von „Platten“ die Rede sein. den jeweiligen Produzenten vor allem eine soll. Nicht leugnen lässt sich der Einfluss, den Viele Aufgaben sind zu erledigen, bis der realistische Terminplanung mit den in Aus- solche Tonträger – sei es zunächst in Gestalt Musikfreund die von ihm gewünschten Werke, sicht genommenen Künstlern, die Auswahl

 26 MUSIK ORUM Die Musikkulturen im geteilten Deutschland waren nie ganz voneinander abgeschottet. Hans Hirsch berichtet über fruchtbare Kooperationen im Klassikbereich

»Plattenbau«

Foto: Wikimedia/Matthias Döll; bearbeitet

und Anmietung geeigneter Säle (wenn an den – wie jeder Musikliebhaber – auch in der – wichtig, bei ihren Planungen stets die Künstler oft wechselnden Aufnahmeorten – abhän- Zeit der deutschen Teilung niemals verges- der DDR im Auge zu behalten. gig etwa vom Sitz des Orchesters – kein ei- sen, dass in der DDR neben künstlerisch he- Anders als in den kapitalistischen Ländern genes Studio zur Verfügung steht), die Klä- rausragenden Einzelpersonen eine ganze Reihe mit ihren konkurrierenden Plattengesellschaf- rung etwaiger Rechtsfragen mit den Verlagen, von Institutionen mit großer musikalischer ten gab es in der DDR nur eine Firma: den bei Großprojekten (Opern, große Chorwer- Tradition existierten: Der Leipziger Thoma- in Berlin angesiedelten VEB Deutsche Schall- ke) Absprachen über die Solisten- und Chor- nerchor und der Dresdner Kreuzchor waren platten (VEB DS) mit seinem Vorläufer „Lied besetzungen mit den jeweiligen Dirigenten mit ihren häufigen internationalen Gastspie- der Zeit“. Sicher hätte man auch dort gern sowie Verhandeln und Abschluss entsprechen- len auch im Westen jedem musikalisch Inte- Aufnahmen in West-Berlin, München, Ham- der Verträge – und das alles nach Klärung ressierten lebendige Begriffe, ähnlich die Staats- burg, Köln oder Stuttgart geplant, nicht zu der wirtschaftlichen Gegebenheiten (Kosten kapelle Dresden, das Leipziger Gewandhaus- reden von Wien, London oder Paris. Dem versus Verkaufserwartungen) einer jeden Auf- orchester oder die Staatskapelle Berlin (zugleich stand jedoch entgegen, dass zur Bezahlung nahme. als Orchester der Lindenoper). So war es auch derartiger Projekte keine Devisen verfügbar Ein in der Bundesrepublik Deutschland für die primär westlich orientierten Produ- waren, während die Künstler im Westen sich lebender und arbeitender Produzent konnte zenten – bei welcher Plattenfirma auch immer für eine Honorierung in DDR-Währung kaum

 MUSIK ORUM 27 FOKUS © Siegfried Lauterwasser/DG

interessieren ließen; hinzu kam, dass VEB DS eine Art persönliche Exklusivität an den in der DDR ansässigen Künstlern für sich in Anspruch nahm. Eine – wenngleich zugegeben einseitige – Lösung des Dilemmas bestand in Kopro- duktionen westlicher Plattenfirmen mit je- nem VEB DS, wofür im Lauf der Jahre Modalitäten entwickelt worden waren, die für beide Seiten zunächst einmal wirtschaft- lich von Interesse waren. Man konnte sich die Produktionskosten teilen, wobei im Prin- zip VEB DS Orchester, Chor und Solisten Engagiert in einer aus der DDR sowie die Aufnahmetechnik Zeit zunehmender stellte und bezahlte, während die internatio- politischer Vereisung: Karl Böhm. nalen Solisten und/oder Dirigenten von der „Westfirma“ eingebracht und honoriert wur- den. Im Gegenzug teilten VEB DS und die Westfirma die Vertriebsrechte nach „kapita- „Deutsche Grammophon“ (DG) erschienen ler führte, konnte ich mit ihm zwar für 1967 listischen“ und „sozialistischen“ Ländern auf, – verantwortlich war und heute keinen ver- über Don Giovanni in Prag und für 1968 über was für keinen der Partner mit irgendwel- lässlichen Überblick über andere Aktivitäten Figaro in West-Berlin Einigkeit erzielen. Den chen Nachteilen verbunden war, da damals – auch anderer Firmen – mehr habe. Immerhin für 1969 angedachten in Dresden zu wegen des „Eisernen Vorhangs“ weder die möchte ich als erstes die 1971 von der eng- platzieren, war mir zu diesem Zeitpunkt Westfirmen in den östlichen Ländern noch lischen EMI veröffentlichte glanzvolle Dresdner allerdings noch nicht möglich. Erst viel spä- im Westen die östlichen Firmen über eigene Aufnahme von Wagners Meistersingern un- ter konnte ich Böhm davon überzeugen, dass Vertriebswege verfügten. So ist es auch nicht ter Herbert von Karajan (u. a. mit den DDR- er mit seiner prinzipiellen Weigerung die weiter verwunderlich, dass dieses Prinzip bei Solisten Theo Adam als Hans Sachs und Peter Falschen bestrafte; dass es gerade in einer Koproduktionen westlicher Firmen mit den Schreier als David) benennen. Zeit zunehmender politischer Vereisung darauf staatlichen Schallplattengesellschaften in Po- ankam, den betroffenen Menschen das Ge- len, der CSSR, Ungarn und der UdSSR ganz Koproduktionen unter fühl zu vermitteln, dass sie nicht allein gelas- ähnlich funktionierte. Karl Böhm sen werden; und dass Beethovens Freiheits- Aber auch künstlerisch haben solche Ko- oper Fidelio wie kein zweites Werk geeignet produktionen reiche Früchte getragen: VEB Bereits 1954 hatte die DG als erste west- sei, von der eigenen Anteilnahme Zeugnis DS gewann so für den eigenen Katalog – liche Firma gemeinsam mit VEB DS die Vio- abzulegen. unter dem Label ETERNA – internationale linkonzerte von Brahms, Mozart (KV 219) So kam es im März 1969 zu dieser denk- Künstler vom Rang eines Herbert von Kara- und Tschaikowsky mit David Oistrach und würdigen Aufnahme, abermals mit Theo jan oder Karl Böhm und Opernbesetzungen, der Staatskapelle Dresden unter ihrem da- Adam und Peter Schreier als Pizarro bzw. die der Firma auf Grund der bereits erwähn- maligen Chef Franz Konwitschny produziert. Jaquino. Als der Gefangenenchor auf dem ten Devisenprobleme sonst niemals zugäng- Und in den späten fünfziger Jahre war Karl Aufnahmeplan stand, hatten sich in der als lich gewesen wären. Die Westfirma hinge- Böhm für DG-Koproduktionen zur Dresd- Studio genutzten Dresdner Lukaskirche weit gen fand Zugang zu attraktiven Künstlern der ner Kapelle zurückgekehrt, der er von 1934 mehr Zuhörer eingefunden als zu anderen DDR und konnte infolge der günstigen Kal- bis 1943 als Generalmusikdirektor und Opern- Aufnahmesitzungen. Böhm war in dieser Frage, kulationsbasis künstlerisch bedeutsame Pro- direktor vorgestanden hatte: Im Frühjahr 1957 anders als manche seiner Kollegen, niemals jekte ins Auge fassen, die aus wirtschaftlichen wurde das Heldenleben von Richard Strauss kleinlich. „O welche Lust, in freier Luft den Gründen sonst vielleicht nicht hätten verwirk- aufgenommen, noch im Herbst desselben Jah- Atem leicht zu heben!“, sang der Leipziger licht werden können. Für die Orchester der res sein Don Juan, Till Eulenspiegel und seine Rundfunkchor. Eberhard Büchner ließ als erster DDR schließlich führte die Zusammenarbeit der Dresdner Staatskapelle gewidmete Alpen- Gefangener Gottvertrauen und Hoffnung mit internationalen Künstlern aus dem Wes- sinfonie; vor allem zu erwähnen sind dann anklingen und Günther Leib (beide aus der ten zu musikalischen Begegnungen und Er- im Dezember 1958 der Rosenkavalier und DDR) warnte „. . . wir sind belauscht mit Ohr fahrungen, die ihren Musikern sonst weitge- im Dezember 1960 die Elektra. und Blick“ – nicht wenige Zuhörer weinten. hend versagt geblieben wären; ganz zu Im August 1961 hatte der Mauerbau die schweigen von den menschlichen Brücken- Kapelle während eines Gastspiels bei den Konzertjubel in Dresden schlägen, deren Bedeutung in der Zeit des Salzburger Festspielen überrascht. Karl Böhm, Kalten Krieges kaum überschätzt werden kann. der das Orchester eben noch in Salzburg Damit war der Bann gebrochen. Da sich Wenn sich die folgenden Beispiele solcher dirigiert hatte (und das auch 1965 und spä- 1970 für DG die neue Möglichkeit eröffnet Koproduktionen unter weitgehender Vernach- ter mit großer Freude immer wieder tat), war hatte, auch mit den Wiener Philharmonikern, lässigung anderer DDR-Künstler fast allein vorerst nicht mehr zu weiteren Produktio- denen Böhm sich gleichfalls eng verbunden auf die Dresdner Staatskapelle beziehen, so nen in einem Staat zu bewegen, der entschlos- fühlte, Aufnahmen zu machen, kam es aller- nur deshalb, weil ich seit den späten sechzi- sen war, seine Bürger so grausam einzusper- dings erst im September 1973 mit Mozarts ger Jahren selbst für eine ganze Reihe dieser ren. Als ich im Frühjahr 1966 als Produzent Entführung aus dem Serail (ergänzt durch sei- Aufnahmen – im Westen unter dem Label mein erstes Planungsgespräch mit dem Künst- ne Musik zum Schauspieldirektor) zu einem

 28 MUSIK ORUM © Siegfried Lauterwasser/DG

weiteren Opernprojekt in Dresden, dem 1977 Idomeneo und 1979 La Clemenza di Tito folg- ten. Die wunderbar harmonische Atmosphäre bei der Titus-Aufnahme wurde noch dadurch verstärkt, dass Böhm sich zum ersten Mal nach seinem Abschied von Dresden im Jahr 1943 zu zwei öffentlichen Auftritten in der Stadt mit der Staatskapelle bereiterklärt hat- te. Der Jubel der Dresdner, die die Konzerte am 12. und 13. Januar 1979 im ausverkauf- ten Dresdner hören konnten, muss unbeschreiblich gewesen sein. VEB DS hatte mit Zustimmung der DG das Konzert live Legte für den Frei- mitgeschnitten und hieraus bald darauf Schu- schütz seine Scheu vor berts große C-Dur-Symphonie veröffentlicht. Plattenprojekten ab: Carlos Kleiber. DG, die eine Aufnahme des Werks mit Böhm und den Berliner Philharmonikern aus dem Jahr 1963 im Katalog hatte, entschloss sich dazu erst 1981 im Todesjahr des Dirigenten bei diesem Werk zu bedenkenden Dialoge studierung von Wagners Tristan, den ich zuvor – aber immerhin zugunsten des Dresdner Mit- (die bei der Aufnahme ohnehin von profes- schon in Stuttgart von ihm gehört hatte, in schnitts, obwohl zu diesem Zeitpunkt auch sionellen Schauspielern in der Regie von Joa- der Regie von August Everding Aufsehen erregt ein bei der Schubertiade Hohenems entstan- chim Herz gesprochen wurden). Dabei konnte und die internationale Reputation des Diri- dener Mitschnitt desselben Werks mit Böhm aus der DDR über Theo Adam als Kaspar genten beträchtlich gestärkt. Nach einigen und den Wiener Philharmonikern zur Dis- und Siegfried Vogel als Kuno rasch Einigkeit sinfonischen Produktionen mit den Wiener position stand. Die Dresdner Aufführung war erzielt werden, während es über Max, der Philharmonikern (, Schubert, Brahms) einfach um so viel hinreißender – ahnten Böhm im Allgemeinen ja eher den Mittelfach- bzw. und Anschlussproduktionen an seine Diriga- und die Musiker der Kapelle die buchstäb- Heldentenören zugeordnet wird, einige Dis- te an der Bayerischen Staatsoper München liche „Einmaligkeit“ des Ereignisses? Nur in kussionen gab. Aber wie soll ein Heldente- (wenngleich mit einigen Varianten in der Paris sollten sich das Orchester und sein frü- nor oder auch nur eine zum Heldischen nei- Besetzung: Fledermaus und La Traviata) hielt herer Chef noch einmal begegnen, als Böhm gende Stimme überzeugend eine Partie singen, ich es für unabweisbar, zumindest den Ver- dort im Januar 1981 eines seiner letzten Kon- deren Träger doch alles andere als ein Held such einer Plattenaufnahme des Tristan zu zerte überhaupt dirigierte. ist („… schwach war ich, obwohl kein Böse- unternehmen. wicht“)? Entspricht nicht eine lyrisch-sensib- Den Mitschnitt einer Bühnenaufführung Koproduktionen unter le Stimme, klug eingesetzt und vom Dirigen- des langen Werks, mit den üblichen Ermü- Carlos Kleiber ten entsprechend unterstützt, diesem labilen dungserscheinungen der Sänger spätestens Charakter viel besser? Für ein solches Rol- im dritten Akt, den nahezu unvermeidlichen „Jede nicht produzierte Platte ist eine gute lenverständnis erschien uns Peter Schreier als „Pauschallösungen“ im Orchester und all seinen Platte!“ Was tut man mit einem Künstler, der optimale Besetzung, vorausgesetzt, dass er sonstigen Unwägbarkeiten, lehnte Kleiber einem bereits bei ersten Kontaktgesprächen selbst das fraglos gegebene Wagnis einzuge- rundheraus ab. Für eine Studioproduktion er- mit ebenso großer Freundlichkeit wie Ernst- hen bereit war. So waren wir über die Maße wartete er zehn Termine mit einem in der haftigkeit eine solch eindeutige Antwort gibt? erfreut, als uns nach angemessener Bedenk- personellen Besetzung stets gleich bleiben- Ich weiß bis heute nicht, was den Dirigenten zeit tatsächlich Schreiers Zusage erreichte. den (!) Orchester allein und mindestens 20 Carlos Kleiber bewogen haben mag, seine Aber bis zur Verabschiedung des entspre- Termine mit dem vollständigen Ensemble, generelle Scheu vor Plattenprojekten gerade chenden Produktionsetats wollten bei DG da er sich eine Aufnahme des Werks aus Grün- beim Freischütz zu überwinden und schließlich noch einige hausinterne Hürden genommen den der psychologischen Stringenz und Glaub- für 1973 der Idee einer Aufnahme der Oper sein. „Herr Kleiber ist der unbekannte Sohn würdigkeit allenfalls in der originalen Reihen- in Dresden zuzustimmen. Hatte es mit der eines verstorbenen großen Dirigenten. Wir folge der Szenen vorstellen konnte. Das waren Tatsache zu tun, dass sein Vater Erich Klei- haben doch Karajan, Böhm, Jochum, Kube- eigentlich utopische Vorgaben – nicht nur, ber, der in diesen frühen Gesprächen stets lik, Bernstein vor der Tür; von den Jüngeren weil es bei Opernaufnahmen in der gesam- eine große Rolle spielte, in der ersten Hälfte Abbado, Barenboim, Maazel, Ozawa – alle ten Branche seit jeher üblich ist, den Auf- der fünfziger Jahre in enger Verbindung zur entweder unter Vertrag oder zumindest zu nahmeplan nach den Verfügbarkeiten der Staatskapelle gestanden und selbst auch den unserer Verfügung – was brauchen wir Herrn Sänger zu erstellen und sie die einzelnen Teile Freischütz in Dresden dirigiert hatte? Oder Kleiber?“ Es bedurfte einer beträchtlichen ihrer Partien, ganz gleich aus welchem Akt, mit dem Umstand, dass der junge Künstler Portion Überredungskunst und Sturheit, bis möglichst jeweils in einer Art „Block“ auf- sich seiner früheren Begegnungen und sei- ich mich mit meiner künstlerischen Überzeu- nehmen zu lassen (was Kleiber bei den zuvor ner Korrespondenz mit dem verdienstvollen gung endlich durchsetzen konnte – wobei stattgefundenen Aufnahmen von Fledermaus ehemaligen Orchesterdirektor Arthur Tröber mir die bereits angesprochenen günstigen wirt- und Traviata akzeptiert hatte). Schwerer wog erinnerte? schaftlichen Konditionen einer Koproduk- noch die Zahl von 30 Orchesterterminen, Zur Besetzung hatte Kleiber vor allem den tion mit VEB DS als Hilfsargument höchst deretwegen eine solche Idee schon aus wirt- Wunsch, ausschließlich deutsche Sänger zu willkommen waren. schaftlichen Gründen zum Scheitern verur- engagieren – und das nicht nur wegen der 1974 hatte Kleibers Bayreuther Neuein- teilt war. !

 MUSIK ORUM 29 FOKUS © Ludwig Schirmer/DG

Von Wundern und Wundervollem Wenn überhaupt, so war das wirtschaft- liche Problem nur durch eine Koproduktion zu lösen, für die nach den vorausgegange- nen positiven Erfahrungen bei Kleibers Frei- schütz und bei den Böhm-Aufnahmen vor allem wieder VEB DS und die Dresdner Staats- kapelle infrage kamen. Wenngleich die Ost- Berliner Kollegen angesichts der besagten 30 Orchestertermine diesmal einen Zuschuss zu den Produktionskosten in beträchtlicher Höhe Füllte Repertoire- verlangten, so waren sie andererseits doch Lücke mit der Neuen Wiener Schule auf: bereit (und in der Lage), nach detaillierter Giuseppe Sinopoli. Abstimmung über die möglichen Daten die Verfügbarkeit der Kapelle im gewünschten Umfang für insgesamt drei Perioden (August und Oktober 1980 sowie Februar 1981) und Produktionen unter Kompositionen mit der Staatskapelle über sogar die geforderte gleich bleibende Beset- Giuseppe Sinopoli einen Zeitraum von zunächst drei Jahren in zung zu garantieren. Dass sie sich darüber Dresden und bei auswärtigen Gastspielen in hinaus sogar dem Ansinnen beugten, die Pro- Für die zum 150. Geburtstag von Johan- einer gewissen Regelmäßigkeit aufzuführen. duktion von Kleibers bevorzugtem DG-Auf- nes Brahms für 1983 von DG geplante kom- Warum aber gerade dieses Repertoire? Wie nahmeteam mit Werner Mayer als Aufnah- plette Brahms-Edition hatte ich den Künst- sich aus den Aufführungsstatistiken seit Be- meleiter und lediglich unter Beistellung ihrer ler, der sich damals selbst noch vorwiegend ginn des 20. Jahrhunderts ergibt, kann man eigenen Mitarbeiter durchführen zu lassen, als Komponist verstand, zur Aufnahme sämt- in den Dresdner Programmen – trotz weit konnte angesichts ihrer sonst – auch poli- licher Chor-Orchesterwerke verpflichten kön- überdurchschnittlicher Aufgeschlossenheit für tisch – immer so nachdrücklich betonten nen; aus wirtschaftlichen Gründen handelte die zeitgenö Èische Musik – Stücke der drei Autarkie-Position nur als Wunder empfun- es sich dabei wieder um eine Koproduktion, Wiener Komponisten erstaunlicherweise nur den werden. diesmal wegen des von Giuseppe Sinopoli äußerst sporadisch finden. Es sprach für Sino- Viel Wundervolles wäre auch sonst von besonders geschätzten Tschechischen Phil- polis künstlerische Gewissenhaftigkeit, dass dieser Aufnahme zu berichten; wobei einige harmonischen Chors und der Tschechischen er eine solche Lücke im Repertoire der Ka- Probleme bei der Aufnahme des dritten Akts Philharmonie mit Supraphon in Prag. Nach pelle wie im Programmhorizont seines Pub- nicht unter den Tisch fallen dürften, die gleich- einem viereinhalbjährigen „Zwischenspiel“ als likums mit einer gewissen Systematik aufzu- wohl dazu führten, dass Kleiber ein Aufnah- Leiter der Hauptredaktion Theater und Musik füllen wünschte. mestudio danach nie wieder betreten hat. Bei beim ZDF in Mainz, das für mich keine Un- Natürlich stellte sich im Zusammenhang seinen nach dem Tristan veröffentlichten Plat- terbrechung, sondern nur eine Verlagerung mit einer möglichen Plattenaufnahme einmal ten handelt es sich entweder um einige we- der gewachsenen Künstlerkontakte mit sich mehr die Frage nach der wirtschaftlichen Fun- nige authentische Konzertmitschnitte von TV- brachte, war ich im Herbst 1989 zur Schall- dierung und Rechtfertigung eines solch künst- Aufzeichnungen oder um sog. Piratenauf- platte zurückgekehrt und war Geschäftsfüh- lerisch fraglos interessanten, aber in den Ver- nahmen ungeklärten Ursprungs. Die Dresd- rer („President“) der im Verbund von War- kaufserwartungen weit weniger attraktiven ner Aufnahmen von Freischütz und Tristan ner Music International New York/London Projekts. VEB DS als potenzieller Koproduk- sind somit seine erste und seine letzte Stu- im Dezember 1989 in Hamburg neu gegrün- tionspartner existierte nach der politischen dioproduktion gewesen. Hatte Richard Wagner deten Teldec Classics International (TCI) ge- Wende von 1989/90 nicht mehr. Hingegen derartiges vorausgeahnt, als er in der Entste- worden. Schon beim ersten Kontakt mit Sino- hatte die Dresdner Bank AG Frankfurt/M. hungszeit des Tristan notierte: „Dieser Tris- poli in meiner neuen Funktion waren wir uns gegenüber Sinopoli zu erkennen gegeben, dass tan wird was Furchtbares! Dieser letzte Akt!!! jedoch vollkommen einig darüber, dass eine sie aus Anlass ihres 1997 zu feiernden 125- – Ich fürchte die Oper wird verboten – falls Beschädigung seiner – ja seinerzeit noch von jährigen Firmenjubiläums eine längerfristige durch schlechte Aufführungen nicht das Ganze mir selbst in die Wege geleiteten – Identifi- substanzielle Förderung des prominenten Or- parodiert wird – : nur mittelmäßige Auffüh- kation mit DG in niemandes Interesse liegen chesters ihrer Ursprungsstadt ins Auge ge- rungen können mich retten! Vollständig gute könne. fasst habe (neben der finanziellen Unterstüt- müssen die Leute verrückt machen…“ Von So war ich nicht wenig überrascht, als mich zung des Aufbaus der Frauenkirche u. ä.), einer mittelmäßigen Darbietung des Werks der Künstler, der 1992 Chefdirigent der Säch- aus der der Dirigent seinerseits einen nam- wird bei der Aufnahme Carlos Kleibers ge- sischen Staatskapelle Dresden geworden war, haften Produktionskostenbeitrag zu leisten wiss keine Rede sein können – ob und wie im Herbst 1993 fragte, ob TCI an einer Pro- anbot. Als die hierauf basierenden Kalkula- verrückt sie die Hörer zu machen vermag, duktionsreihe mit ausgewählten Werken der tionen ein akzeptables Ergebnis zeigten – und möge jede und jeder bitte selbst entschei- sog. Neuen Wiener Schule (Schönberg, Berg, da das einschlägige Repertoire im TCI-Kata- den. Webern) interessiert sei. DG habe seinen log so gut wie völlig fehlte –, begannen wir Vorschlag wegen eines ähnlichen Projekts mit noch im Dezember 1993 mit der konkreten Claudio Abbado und den Berliner Philhar- Planung. Bereits im August 1995 konnte die monikern abgelehnt. Er habe die Absicht, diese Live-Aufzeichnung der Dresdner Erstauffüh-

 30 MUSIK ORUM rung (!) von Arnold Schönbergs Gurreliedern der Aufnahme fand diese Besetzung durchaus mit einer glanzvollen internationalen Sänger- Zuspruch. Von einhelliger Begeisterung ge- besetzung, mit Klaus-Maria Brandauer als Spre- prägt waren freilich die Reaktionen auf das cher, mit Chören aus Dresden, Leipzig und Spiel der Staatskapelle unter Giuseppe Sino- Prag und mit der Staatskapelle in einer Be- polis überlegen feinfühliger und inspirieren- setzungsstärke, wie sie die Semperoper sicher der Leitung; wobei der unglaubliche Farben- nie zuvor erlebt hatte, die zunächst auf acht reichtum des Orchesters und die nie ver- CDs angelegte Reihe triumphal eröffnen. Selbst nachlässigte homogene Klangschönheit selbst das Fernsehen des MDR ließ sich die voll- bei massiven musikalischen Entladungen ständige Übertragung eines solchen Ereignis- ebenso gerühmt wurde wie die kammermu- ses nicht entgehen. sikalische Delikatesse des Spiels der Musiker Die Internetausgabe des MUSIK- Da Sinopoli die erste Zusammenarbeit mit in den zarteren Teilen der Komposition. Dass FORUM bietet weitere, ergänzende TCI bei den auch aufnahmetechnisch außer- diese – nicht nur für die Platte – so überaus und dokumentierende Beiträge. ordentlich komplizierten Gurreliedern einen fruchtbare Zusammenarbeit am 20. April 2001 Lesen Sie nach unter: sehr positiven Eindruck vermittelt hatte, schlug durch den Tod des Dirigenten während ei- www.musik-forum-online.de er mir noch vor Ende des Jahres 1995 den ner Aida-Aufführung in der Deutschen Oper Mitschnitt einer Neuinszenierung von Richard Berlin ein so plötzliches Ende fand, war nicht Neu eingestellt sind folgende Artikel und Informationen: Strauss’ Frau ohne Schatten vor, die er in der nur für seine Freunde ein schmerzlicher Ver- Regie von Hans Hollmann und mit Rosalie lust. — Unter dem Titel „Die dornige Rose als Bühnen- und Kostümbildnerin dirigieren Weil Koproduktionen mit VEB DS die Basis wird wieder geehrt – ein Rockspekta- wollte. Nach der Zerstörung des Semperbaus der erwähnten DG-Aufnahmen darstellten kel und zugleich Bildungsprojekt von im Februar 1945 war an Aufführungen die- und TCI die nach 1989 entfallenen wirtschaft- Format zum Mauerfall“ schreibt Daria ses Werks mit seiner exorbitanten Orches- lichen Vorteile jenes Modells bei Sinopolis Czarlinska über Musiker, die die DDR- terbesetzung in den Ausweichquartieren der Wiener-Schule-Projekt und der „Frau“ mit dem Rockmusik neu erklingen lassen: Dresdner Oper mit ihren beschränkten räum- Sponsorship der Dresdner Bank ausgleichen www.musik-forum-online.de/czarlinska lichen Verhältnissen überhaupt nicht zu den- konnte, mag der Eindruck entstehen, die Plat- ken. Und da man beim Wiederaufbau des tenfirmen seien ohne solche „Subventionen“ — Das komplette Interview mit Hauses den Orchestergraben in den ursprüng- nicht sonderlich an dem Dresdner Orches- Sebastian Krumbiegel, dem Sänger der lichen Dimensionen von 1878 rekonstruiert ter interessiert. Das trifft in keiner Weise zu. „Prinzen“ (Seite 22 in diesem Heft), hatte, konnten Opern, die ein überdurch- Zahlreiche nach 1989 entstandene Aufnah- über die DDR und sein Künstlerleben schnittlich großes Orchester verlangten, auch men für internationale Klassik-Labels bewei- finden Sie unter: nach 1985 allenfalls in reduzierter Besetzung sen das Gegenteil, und auch TCI hatte 1996 www.musik-forum-online.de/krumbiegel aufgeführt werden, was für die „Frau“ nicht mit der repräsentativen Dresdner Produktion infrage kam. Inzwischen war jedoch entschie- der fünf Klavierkonzerte Beethovens (mit — Im Rahmen des Expertenkongresses den worden, den Graben wieder so umzu- András Schiff als Solist und Bernhard Haitink zum Thema „Zukunft der Musikberufe“ bauen, dass auch das Musizieren in größerer als Dirigent) sowie auch mit der Aufnahme (siehe 2. Rheinsberger Erklärung auf Besetzung möglich würde – und so sollte mit von Wagners Siegfried-Idyll und der orches- Seite 62) hielt Karl-Jürgen Kemmel- der geplanten Neuinszenierung der Frau ohne tralen Ring-Ausschnitte mit Donald Runnic- meyer ein Referat über das hochschul- Schatten im November 1996 nicht nur das les* die hohe künstlerische Einschätzung der übergreifende Projekt „ExplorAging“ Werk nach einer mehr als 50-jährigen Pause Kapelle unter Beweis gestellt. Dennoch bleibt und erste Schlussfolgerungen für die (!) wieder in den Dresdner Spielplan aufge- festzuhalten, dass der gemeinsame musikali- Musikkultur. In voller Länge nachlesbar nommen, sondern auch der erweiterte Or- sche „Plattenbau“, mit welchen Partnern auch ist es unter: chestergraben sozusagen offiziell eingeweiht immer, wirtschaftlich schwierige Projekte www.musik-forum-online.de/musikberufe werden. zumindest erleichtert, mitunter fraglos sogar Abermals waren zunächst wirtschaftliche erst ermöglich hat. Fragen zu klären, wofür sich aber mit Hilfe * Runnicles, früherer Chefdirigent der San Francisco des bereits erwähnten Sponsorship der Dresd- Opera und künftiger Chefdirigent der Deutschen Oper  Im nächsten MUSIKFORUM: ner Bank erneut eine vertretbare Lösung fin- Berlin, war – nach zeitweiliger Übernahme des in Bayreuth den ließ. Wegen des beabsichtigten Mitschnitts ursprünglich von Sinopoli dirigierten Tannhäuser – damals • Interview mit Vera Reiner, ehemaliger von Aufführungen in der Semperoper einig- auch der Ring-Dirigent der Wiener Staatsoper. Sekretär des Musikrats der DDR, über die Aufgaben und Organisation des ostdeutschen te man sich mit dem Intendanten Christoph Der Autor: Musikrats und das Musikleben in der DDR. Albrecht auf eine Sängerbesetzung, die nicht Prof. Dr. Hans Hirsch, Kaufmann, Musikwissenschaftler • Gespräch mit Eckart Lange, Präsident des nur den fraglos hohen Ansprüchen seines und Medienmanager, war von 1970 bis 1982 Produktions- Landesmusikrats Thüringen, zum Thema direktor der Deutschen Grammophon, danach bis 1985 Hauses entsprach, sondern auch auf dem noch Musik und Mauerfall. weit schwierigeren Plattenmarkt konkurrenz- Vizepräsident der PolyGram Classics Recording Opera- tions. Zwischen 1985 und 1989 leitete er die Hauptredak- fähig sein sollte. So konnte, auch nach Ab- • Winfried Richter, Vorsitzender des tion Theater und Musik beim ZDF. Weitere Funktionen: Verbands deutscher Musikschulen, berichtet stimmung mit Sinopoli, eine Reihe zugkräfti- 1989–1996 Geschäftsführer (1994 President) Teldec Clas- über die Musikschule der Zukunft im Hinblick ger Namen für die Hauptrollen gewonnen sics International, 1997–1998 Berater Warner Classics auf aktuelle Diskussionen wie Finanz- und International, danach freier Berater. Seit 1979 hat Dr. werden, während die übrigen Partien aus dem Wirtschaftskrise, Ganztagsschule und Warte- Hirsch eine Professur an der Hamburger Hochschule für listen an Musikschulen. ja durchweg hochkarätigen Ensemble des Musik und Theater (Diskologie/Medienkunde, Kultur- Hauses besetzt wurden. Nach Veröffentlichung management).

 MUSIK ORUM 31 FOKUS

Krise vor allem in Ostdeutschland: Stephan Schulmeistrat beschreibt die aktuelle Situation der großen Klangkörper

Mehr Schutz FÜR UNSERE ORCHESTERLANDSCHAFT

ie Orchesterkultur zählt seit jeher zu den großen und bedeutenden DBereichen des Musiklebens in Deutschland. Dennoch sehen die Berufsorchester in Deutschland einer ungewissen Zukunft entgegen, denn spätestens ab 2010 wird die Finanz- und Wirtschaftskrise auch die öffent- lichen Haushalte erreichen. Andererseits haben schon seit Beginn der Landkarte mit Krisenszenario: 1990er Jahre Orchesterauflösungen und -fusionen ihre Spuren hinterlassen Orchester in Deutschland ! siehe Umschlag- – in besonderem Maß in den neuen Bundesländern. seite 2 in diesem Heft.

Deutschland – Land der großen Klang- insgesamt 12159 Musikern aktuell noch an dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr körper: Ensembles wie die Berliner Philhar- 10037 beschäftigt (siehe Tabelle auf der rech- 2019 und der Einführung der kürzlich be- moniker, das Symphonieorchester des Baye- ten Seite oben). schlossenen „Schuldenbremse“ im Jahr 2020 rischen Rundfunks, die Sächsische Staatskapelle Die jüngste Fusion betraf das Rundfunk- festgehalten werden, so könnte dies empfind- Dresden oder die Münchener Philharmoni- sinfonieorchester Saarbrücken, das zur Sai- liche Folgen für Deutschlands Kulturinstitu- ker gehören zu den international renommier- son 2007/2008 mit dem Rundfunkorches- tionen haben. Betroffen wären dann insbeson- testen Ensembles und begeistern Musiklieb- ter Kaiserslautern in der Deutschen Radiophil- dere die neuen Bundesländer, wo ein Großteil haber in der ganzen Welt. Doch die Vielfalt harmonie aufgegangen ist. Mit dem Zusam- der Kulturfinanzierung wegbrechen würde. der Orchester ist stark gefährdet. Das Wort menschluss des Philharmonischen Staatsor- Letztlich kann nur ein Umdenken der vom „Orchestersterben“ macht längst die chesters Halle mit dem Orchester des Opern- Verantwortlichen und die gezielte Anspra- Runde und findet seine Bestätigung in der hauses Halle zur Staatskapelle Halle wurde che neuer Zielgruppen den Orchestern ei- Landkarte der deutschen Ensemblelandschaft zum Ende der Spielzeit 2006/2007 mit 152 nen Ausweg aus der Krise bahnen. Insofern (siehe Umschlagseite 2 in diesem Heft), auf der Planstellen das nach dem Gewandhausorches- sollte die gegenwärtige Situation als Heraus- die roten Punkte für aufgelöste Klangkörper ter größte Ensemble in Deutschland geschaffen. forderung verstanden werden, Deutschlands nicht mehr zu übersehen sind. Allerdings wird gegenwärtig schon über eine Orchester noch stärker im öffentlichen Leben Verkleinerung dieses Orchesters nachgedacht. zu verankern und ihre Bedeutung für unsere Planstellen fallen den Spar- Und auch in Mecklenburg-Vorpommern ist Gesellschaft einmal mehr herauszustellen. vor kurzem ein Eckpunktepapier verabschiedet zwängen zum Opfer Weitere Informationen zum Thema finden Sie im worden, das weitere Straffungen der Orches- Themenportal „Konzerte & Musiktheater“ des Gerade im Osten Deutschlands kam es terstrukturen im Land bis 2020 vorsieht. Deutschen Musikinformationszentrums unter: nach der Wiedervereinigung zu einer weit- ! Mehr Fakten im Kasten rechts. U www.miz.org reichenden Anpassungs- und Konsolidierungs- Literatur: welle. Hier wurden 20 Orchester abgewickelt Orchesterlandschaft als und weitere 17 Klangkörper miteinander ver- Jacobshagen, Arnold: Strukturwandel der Orchester- Weltkulturerbe? landschaft. Die Kulturorchester im vereinigten Deutsch- schmolzen. Vor allem in Sachsen-Anhalt, Sach- land, Köln 2000 sen und Berlin fielen viele Klangkörper den Vor dem Hintergrund der anhaltenden Mertens, Gerald: Kulturorchester, Rundfunkensembles Strukturreformen zum Opfer. In der Bundes- Strukturreformen hat die Delegiertenversamm- und Opernchöre, Einführungsbeitrag im Themenportal hauptstadt wurden gleich vier traditionsrei- lung der Deutschen Orchestervereinigung „Konzerte & Musiktheater“ des Deutschen Musikinfor- che Klangkörper aufgelöst, zuletzt im Jahr 2004 (DOV) sich jüngst dafür ausgesprochen, die mationszentrums, www.miz.org die Berliner Symphoniker, die seitdem nur deutsche Orchesterlandschaft in das UNESCO- Schulmeistrat, Stephan: „Die Orchesterlandschaft in Deutschland – ein ‚Weltkulturerbe‘?“, in: Jacobshagen, noch als Projektorchester existieren. Dabei Weltkulturerbe aufzunehmen und sie als ein- Arnold u. Reininghaus, Frieder (Hg.): Musik und Kultur- fiel etwa ein Drittel der Planstellen den Spar- zigartiges Zeugnis kultureller Tradition dau- betrieb. Medien, Märkte, Institutionen (Handbuch der zwängen zum Opfer. erhaft zu schützen. Denn die heraufziehende Musik im 20. Jahrhundert, Band 10), Laaber 2006 Aber auch vor den alten Bundesländern Krise der öffentlichen Haushalte wird den Der Autor: machte das Orchestersterben nicht Halt: Seit Fortbestand der deutschen Orchester spätes- Stephan Schulmeistrat ist seit 2003 wissenschaftlicher der Wende wurden insgesamt elf Ensembles tens ab 2010 auf eine harte Probe stellen, da Mitarbeiter des Deutschen Musikinformationszentrums aufgelöst oder miteinander fusioniert, allein – so hat es die Vergangenheit bereits gezeigt und dort u. a. mitverantwortlich für die Redaktion des sechs davon in Nordrhein-Westfalen. Hier – bei defizitären Haushalten in der Regel zuerst Musik-Almanachs. Er studierte Musikwissenschaft, Kunst- geschichte und Romanistik an der Universität Köln und wurde fast jede sechste Musikerplanstelle ge- an den so genannten freiwilligen Aufgaben, absolvierte parallel eine Ausbildung zum nebenberuf- strichen. So sind bundesweit von ehemals wie der Kultur, gespart wird. Sollte zudem lichen Kirchenmusiker.

 32 MUSIK ORUM Insgesamt 133 öffentlich finanzierte Sympho- fentlicher Trägerschaft existieren einige we- ditionen zurückblicken. Zu nennen ist vor al- nie- und Kammerorchester existieren gegen- nige privatwirtschaftlich organisierte Klang- lem das Gewandhausorchester Leipzig, des- wärtig in Deutschland und stehen für eine im körper, zum Beispiel die Deutsche Kammer- sen Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert reichen internationalen Vergleich außergewöhnlich philharmonie Bremen, oder auf bestimmte und das als das älteste bürgerliche Orchester hohe Dichte an professionellen Klangkörpern. Musikepochen oder Stile spezialisierte En- im deutschen Raum gilt. Sie garantieren nicht nur ein flächendecken- sembles, die keine oder nur in geringerem Eine Besonderheit der Orchesterlandschaft des und breites Musikangebot, sondern wer- Umfang öffentliche Zuwendungen erhalten. in Deutschland liegt in ihrer dezentralen Or- den auch über die Grenzen Deutschlands hi- Ebenso wie die Kammerorchester ohne über- ganisationsstruktur. Die Klangkörper sind nicht naus als wichtige Kulturbotschafter wahrge- wiegend staatliche Förderung sind diese Klang- nur in den Metropolen und Großstädten an- nommen. körper in der Karte nicht berücksichtigt. gesiedelt, sondern mehr oder weniger gleich- Die deutsche Orchesterlandschaft gliedert mäßig im ganzen Bundesgebiet verteilt, bis sich in 84 Theater-, 30 Konzert- und 12 Rund- hinein in die ländlichen Regionen. So ist je- funkorchester sowie sieben öffentlich finan- Deutschland – des dritte Orchester in einer Kommune mit zierte Kammerorchester. Allgemein werden deine Orchester unter 100000 Einwohnern beheimatet, jedes diese Klangkörper als „Kulturorchester“ be- Fünfte in Städten mit 100000 bis zu 200000 zeichnet, so der tarifvertragliche Terminus, der Die Fülle an professionellen Berufsorches- Einwohnern. Ballungszentren wie das Ruhr- nichts anderes bedeutet, als dass diese En- tern ist zum Teil auf die deutsche Geschichte gebiet sind dafür exemplarisch: Die Städte sembles überwiegend öffentlich, also aus Steu- des 18. und 19. Jahrhunderts zurückzuführen. Bochum, Duisburg, Essen, Dortmund, Wup- ergeldern oder Rundfunkgebühren, finanziert So haben die heutigen Staatsorchester und pertal und Hagen unterhalten mit relativ klei- werden. Die Größe der Orchester variiert von -kapellen ihren Ursprung in ehemals höfischen nen Einzugsgebieten jeweils ihre eigenen Or- relativ kleinen Ensembles bis hin zu großen Orchestern, die nach dem Ende des Ersten chester. In Recklinghausen und Gelsenkirchen Institutionen wie dem Bayerischen Staatsor- Weltkriegs in staatliche Trägerschaft übernom- konzertiert seit 1996 ein gemeinsames Orches- chester mit 141 Planstellen oder dem Gewand- men wurden und heute in der Regel von den ter. Gerade auch die Länder Sachsen und hausorchester Leipzig, das mit 185 Musikern Bundesländern finanziert werden. Die meis- Thüringen verfügen im Bundesdurchschnitt das derzeit größte unter den deutschen Or- ten Klangkörper jedoch sind kommunale Ein- über außerordentlich hohe Orchesterdichten. chestern bildet. Neben den Orchestern in öf- richtungen, die oft auf nicht minder lange Tra- Stephan Schulmeistrat

 MUSIK ORUM 33 FOKUS

usik ist nicht isoliert zu M betrachten, sondern sie ist Teil eines gesellschaftlich-politi- schen Bezugssystems. Sie beruht somit auf „sozialen, politischen Organisationsformen“1, unterliegt politischen Bedingungen und hat politische Folgen.

Militärmusik organisiert sich nicht selbst, sondern wird unter den bestehenden poli- tisch-gesellschaftlichen Gegebenheiten orga- nisiert und wird so zur klingenden Symbolik der bestehenden Gesellschaftsordnung. Oder wie Fred K. Prieberg es in seiner Betrachtung zur Musik in der DDR verdeutlichte: Sie war abhängig von Partei und Staat, denn sie soll- te Staat machen.2 Klingende Symbolik der Gesellschaftsordnung: Deutsche Militärmusik repräsentierte und Manfred Heidler über Militärmusik in der DDR propagierte in der Vergangenheit – nach der damals vorgegebenen politischen Lesart der DDR – die Interessen der jeweils herrschen- }n Klassen und Schichten und trug so zu deren WENN MUSIK Festigung und Bestätigung bei, bis hin zu ih- rem Missbrauch als Träger aggressiver natio- SOLL nalistischer und faschistischer Ideologien. Staat machen Dagegen wurde die Militärmusik der DDR dem Klassenauftrag einer sozialistischen Volksarmee verpflichtet und konzentrierte sich auf die „progressiven historischen Traditio- Truppenteilen auf kulturellem Gebiet und des militärischen Zeremoniells sicher und hatte nen dieses Genres“. Diese sozialistische Aus- trugen so dazu bei, die Verbindung mit der die Marschmusik in der NVA weiter zu ent- richtung spiegelte sich in vielen Märschen, Bevölkerung der Deutschen Demokratischen wickeln. Zudem stand ihr mit dem Verband Liedern und konzertanten Kompositionen, Republik zu festigen und die ideologische der Komponisten und Musikwissenschaftler die in der DDR hauptsächlich im Auftrag des Erziehung ihrer Angehörigen zu Patriotismus der DDR die notwendige musikalische Kom- Zentralen Orchesters der Nationalen Volks- und fester Disziplin positiv zu beeinflussen. petenz zur Schaffung einer damals zeitgemäßen armee (NVA) entstanden sind und von die- Im Laufe der Jahrzehnte ihres Bestehens ver- sozialistischen Militär- und Blasmusikliteratur sem beispielgebend produziert wurden.3 dichtete sich diese Aufgabenstellung für die zur Verfügung, die dann jährlich zumeist von Damit gehörte diese progressive Spielart Militärmusik der NVA unter dem allgegen- den Zentralen Orchestern von NVA und von deutscher Militärmusik selbstverständ- wärtigen ideologischen Einfluss von Partei und Volkspolizei bei den Berliner Musik-Bienna- lich und unverzichtbar zur Selbstinszenierung Politorganen, indem sie durch ihren musika- len mit Uraufführungen ihre attraktivste Prä- des „Arbeiter- und Bauernstaats“ DDR und lischen Auftrag das geistige und kulturelle sentationsplattform zwischen Estradenkonzer- war klingende ideologische Klammer zwischen Leben der NVA förderte, die sozialistische ten, Konzertsaal, Rundfunk und Fernsehen SED-Einheitspartei und der ihr unterstellten Wehrerziehung besonders der Jugend ver- der DDR fand. NVA hinter Mauer und Stacheldraht im an- stärkte und auch die Freundschaft und Waf- Der 20. Jahrestag der deutschen Wieder- deren Teil Deutschlands. fenbrüderschaft mit den sozialistischen Län- vereim ÷gung und die derzeit beklagte Ge- Denn die Losung lautete: „Die Führung dern – hier unter besonderer Betonung von schichtsvergessenheit in unserer Gesellschaft durch die Sozialistische Einheitspartei Deutsch- Sowjetunion und Roter Armee – klingend gegenüber der DDR lassen gerade diese lands ist die wichtigste Quelle der Kraft und verdeutlichte. weitgehend verdrängte Thematik als Teil der Stärke der Nationalen Volksarmee.“4 Und deutschen (Militär-)Musikgeschichte für eine daher ließen sich ihre Politorgane und die Ideologisch aufgeladen Analyse mehr als lohnend erscheinen. Deutsch- Parteiorganisationen vom „Programm des deutsche Systemkonkurrenz und 40 Jahre Sozialismus, von der geschichtlichen Aufga- Als Repertoire dienten ihr dabei u. a. die differente (Militär-)Musikentwicklung in den be der Sozialistischen Einheitspartei Deutsch- überlieferten Arbeiter- und Kampflieder der beiden deutschen Staaten erscheinen unter lands und des ersten deutschen Staates der sog. „frühbürgerlichen Revolutionen“ zwischen den Vorzeichen des diesjährigen Jubiläums- Arbeiter und Bauern leiten“.5 Ihre und die Bauern- und Spanischem Bürgerkrieg sowie Musikkorps der so genannten bewaffneten die im staatlichen Auftrag neu geschaffenen Bild oben: Organe – Grenztruppen, Volkspolizei und sozialistischen Soldatenlieder, die zumeist Parade der Nationalen Volksarmee am 1. Mai Staatssicherheit – förderten die militärische ideologisch aufgeladene Texte zu Gehör brach- 1973 – mit Pauken und Trompeten. Ausbildung mit ihren Mitteln, dienten den ten. Funktional stellte sie die Durchführung © Archiv Zentrum Militärmusik

 34 MUSIK ORUM jahres als ein besonders lohnendes Objekt zwischenzeitlich etablierte und anerkannte Fußnoten: einer sachlich-historischen Aufarbeitung dieses Veranstaltungsreihe zur deutschen Militärmu- 1 Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln ausgeblendeten Kapitels deutscher Militärmu- sik zwischen Geschichte und Gegenwart fort- 1968, S. 10. 2 vgl. Fred K. Prieberg, a.a.O. sik. Der politische Systemwechsel des Jahres geführt werden. Sie hat mit dem Symposi- 3 vgl. Peter Wicke und Wieland Ziegenrücker: Rock-Pop- 1989/90 hat zwar tiefe Furchen in der ge- um zur Militärmusik der DDR nach der auf Jazz-Folk. Handbuch der populären Musik, 2. Auflage, samtdeutschen Wahrnehmung hinterlassen, den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Leipzig 1985, S. 298. 4 eine gesellschaftliche Aufarbeitung blieb aber konzentrierten Thematik des vergangenen BAMA: VVS-A7374724 AZNr. P 1474. Instruktion für die leitenden Parteiorgane (Politorgane) und für die bisher zumeist im Ansatz stecken und erscheint Jahres wieder eine musikhistorisch lohnende Parteiorganisation der SED in der Nationalen Volksarmee so bis heute leider überfällig. Materie aufgegriffen. (Parteiinstruktion), Beschluss des Politbüros des Zentral- Vor diesem Hintergrund ist das diesjähri- Die Veranstaltungsreihe „Militärmusik im komitees der SED vom 14. 11. 1967, S. 14 der Akte. ge Symposium des Militärmusikdienstes der Diskurs“ wird in einer eigenen Publikations- 5 ebd. Bundeswehr zu sehen, das sich Ende Sep- reihe des Militärmusikdienstes unter gleichem Der Autor: tember mit dem Thema „Musik und Staat – Titel dokumentiert. Hier sind bisher vier Bände Hauptmann Dr. Manfred Heidler (*1960) trat 1979 nach Militärmusik der DDR“ diesem besonderen erschienen.* Die Beiträge des Symposiums einer Berufsausbildung zum Drucker in den Militärmusik- Aspekt deutsch-deutscher Vergangenheit wid- „Musik und Staat – Militärmusik der DDR“ dienst der Bundeswehr ein. Er studierte an den Musik- mete. Die inhaltliche Bandbreite der im Kon- werden als Band V im September 2010 fol- hochschulen Düsseldorf, Detmold und Trossingen (Tenor- horn/Posaune, Instrumentalpädagogik und Dirigieren). text von Zeit- und Militärgeschichte, Musik- gen. Dem Dienst als Musikfeldwebel beim Heeresmusikkorps 2 und Sozialwissenschaft, der Musizier-praxis, der Bundeswehr folgte die Ausbildung zum Musikdienst- aber auch der Medizin erörterten Veranstal- * Erhältlich sind die Einzelbände zur „Militärmusik im offizier. Ab 1994 studierte er Musikwissenschaft, Psycho- tungsthemen zentrierte den Blick auf die Wech- Diskurs“ über die Fördergesellschaft des Bundeswehr- logie und Erziehungswissenschaft an den Universitäten sozialwerks e. V. mbH, Ollenhauerstr. 2, 53113 Bonn, Heidelberg und Düsseldorf und promovierte 2004 mit selwirkung von Musik und Staat, der nach- Tel.: 0228/9472400, [email protected] seiner Arbeit „Musik in der Bundeswehr. Musikalische haltig das Wirkungspotenzial von Musik der Bisher sind erschienen: Bewährung zwischen Aufgabe und künstlerischem An- NVA und der bewaffneten Organe, darüber Bd I.: Hans Felix Husadel – Werk, Wirken, Wirkung spruch“ an der Robert-Schumann-Hochschule in Düssel- hinaus auch der Blasmusik in der DDR frei- Bd. II: Musik und Krise dorf. Von Dezember 2005 bis März 2007 war Heidler Bd. III: Funktionalisierung und Idealisierung in der Musik Chef des Luftwaffenmusikkorps 2 in Karlsruhe. Seit Sep- zulegen vermochte. Bd. IV: Musik in Fremdwahrnehmung und Eigenbild tember 2007 nimmt er besondere Aufgaben im Zentrum Dabei wurde der Bogen geschlagen von Militärmusik der Bundeswehr in Bonn wahr der musikalischen Präsentation ausgewähl- und wirkt seit dem Wintersemester 2007/08 ter Werke von DDR-Komponisten über Ze- als Lehrbeauftragter im Fach Musikwissen- remonial- und Funktionsmusiken der NVA schaft an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf. bis zu Beiträgen von Zeitzeugen aus dem Bereich der staatlich organisierten Musikpflege der Amateur- und professionellen Blasmu- sik. Das Symposium beleuchtete außerdem . Schriftenreihe des Militärmusik- die sinfonisch-bläserische Klangtradierung zwi- dienstes der Bundeswehr schen DDR und Bundesrepublik und infor- und Flyer zu dem im September durchgeführten Symposium. mierte zum weitgehend unbekannten Kapi- Grafik: Andreas Striebe tel von bläser-spezifischer Musikermedizin in der DDR.

Erlebte Geschichte verblasst Dass dabei vor allem den Zeitzeugen breiter Raum für ihre Beiträge eingeräumt wurde, war dem Generalthema geschuldet, da mit dem zeitlichen Abstand von 20 Jahren deut- scher Einheit auch dieser Teil von erlebter eigener Geschichte zu verschwinden droht und zudem weitgehend unbeachtetes Quel- lenmaterial in diesem speziellen Fall seiner Erschließung harrt. Die gewählte Themen- stellung ermöglichte so sowohl grundsätzliche Fragen zur Verbindung von Musik und Staat als auch die Diskussion konkreter Phänome- ne von Militärmusik und ihrer aktiven Wir- kung in unterschiedlichen politischen Syste- men. Durch die Zusammenarbeit zwischen dem Militärmusikdienst der Bundeswehr, dem Musikwissenschaftlichen Institut der Robert- Schumann-Hochschule Düsseldorf und der Erziehung zu Patriotismus und fester Disziplin musikalisch beeinflussen: das Zentrale Orchester Gruppe Wehrpsychologie konnte so eine der Nationalen Volksarmee bei einem Fernsehkonzert im Jahr 1977. © Archiv Zentrum Militärmusik

 MUSIK ORUM 35 DIE Sorben UND IHRE MUSIK

Die Kultur einer Minderheit vor und nach dem Mauerfall. Von Ulrich Pogoda

as sorbische Volk lebt seit und Psalmen auch eine Übersetzung des klei- Identität, Sprache und Musik bewahrt: Detwa 1500 Jahren in der nen Katechismus vom Martin Luther enthal- Sorbische Frauen in ihren Trachten (Bild oben). © Stiftung für das Sorbische Volk Lausitz und konnte seine Sprache ten war. Es war übrigens das erste gedruckte Buch in sorbischer Sprache. In den darauf und Identität, aber auch seine folgenden Jahrzehnten kam es zu weiteren Musik trotz eines Jahrhunderte Herausgaben sorbischer Übersetzungen von schen Gesangsfeste und Spiritus Rector des währenden Assimilierungsprozes- kirchlichen Schriften. bis heute lebendig gebliebenen sorbischen ses als einzige verbliebene autoch- Nach dem verheerenden 30-jährigen Krieg, Chorwesens hinterließ vor allem mit seinem tone slawische Minderheit in der zu einer erheblichen Dezimierung der Oratorienzyklus Pocasy ein musikalisches Werk Deutschland bewahren. sorbischen Bevölkerung und Schrumpfung von nationaler Bedeutung. des sorbischen Sprachgebiets führte, folgte die Ein weiterer wichtiger Impulsgeber war allmähliche Ausprägung eines bürgerlichen Bjarnat Krawc-Schneider (1861-1948), der Den Nachfahren der Milzener und Lusi- nationalen Bewusstseins unter vielfältiger bei keinem Geringeren als bei Felix Draese- zer wäre es sicherlich ähnlich wie den ande- Unterstützung der slawischen Nachbarn und ke in Dresden Komposition studierte. Er setzte ren westslawischen Stämmen zwischen Elbe deutschen Wohlgesinnten. Es traten mehr und das Erbe Kocors in der 1. Hälfte des 20. Jahr- und Oder ergangen, wenn es ihren geistigen mehr intellektuelle Persönlichkeiten hervor, hunderts fort und legte den Grundstein für Vertretern nicht gelungen wäre, nach dem die sorbische Literatur, Musik und Kunst sowie eine bislang einmalige Musikepoche in der Vorbild des national gesinnten aufstreben- Geisteswissenschaften begründeten. Mit Ein- sorbischen Geschichte, die unmittelbar nach den Bürgertums im zersplitterten Deutsch- richtung der wissenschaftlichen Gesellschaft dem 2. Weltkrieg ihren Anfang nahm. In sei- land und in den slawischen Ländern des „Macica Serbska“ 1847 war auch eine Platt- nen letzten Lebensjahren sorgte Krawc-Schnei- Habsburger Reiches Mitte des 19. Jahrhun- form der geistigen Entwicklung im sorbischen der maßgeblich für die Ausbildung zahlrei- derts ein nationales Bewusstsein zu entwi- Volk entstanden. cher sorbischer Kinder, die unmittelbar nach ckeln. Kriegsende in einer Nacht- und Nebelaktion Erste Grundlagen einer einheitlichen Schrift- Erste sorbische Komponisten mit Bussen in die grenznahen tschechischen sprache schuf zum Beispiel der niedersorbi- Orte Varnsdorf und Ceska Lipa gebracht sche Theologe Albin Mollerus (1541-1618) Wegbereiter und Begründer einer natio- wurden. Dort erlernten sie in Intensivkursen bereits 1574 mit der Veröffentlichung eines nal orientierten sorbischen Kunstmusik war Sorbisch sowie Tschechisch und erhielten von ihm selbst verfassten wendischen Ge- der Komponist und Dirigent Korla Awgust Unterricht in den Fächern sorbische Geschichte sangbuchs, in dem außer den 120 Chorälen Kocor (1822-1904). Der Initiator der sorbi- und Literatur – mit dem Resultat, dass sie

 36 MUSIK ORUM FOKUS

später erheblich das wissenschaftliche, poli- tenden Exodus sorbischer Identität und Spra- CD-Projekte durch Lizenzübertragungen bei tische und kulturelle Leben mitgestalteten. che trotz der vielleicht auch gut gemeinten, Bedarf unterstützt. Nach Kriegsende bekamen Kunst und ideologisch ausgerichteten sozialistischen Na- Natürlich ist den sorbischen Komponis- Literatur des von der Nazidiktatur arg gebeu- tionalitätenpolitik in der DDR nicht aufhal- ten die Neuorientierung nicht leicht gefal- telten und unterdrückten Sorbentums einen ten. Insbesondere in den Regionen außer- len, zumal sie sich durch den Wegfall eines bis dahin nie gekannten Aufschwung. Es ent- halb der katholischen Enklave zwischen Baut- verordneten, staatlich subventionierten Auf- standen zahlreiche Bildungseinrichtungen und zen und Kamenz ließ sich der Assimilierungs- tragssystems in der gleichen Situation wie alle Institute, ein Verlag, kulturelle Einrichtungen, prozess nicht bremsen. Die Ursachen dafür Komponisten in den neuen Bundesländern der sorbische Rundfunk, das Deutsch-sorbi- sind historisch bedingt und überaus komplex, befanden. Und doch sind in den vergange- sches Volkstheater mit allen Sparten und ein auch die rücksichtslose Wirtschafts- und Ener- nen 20 Jahren hunderte neuer sorbischer sorbisches Ensemble, bestehend aus einem giepolitik der DDR ist nicht frei von Schuld Werke entstanden, obwohl sich die Anzahl Chor mit Solisten, einem Ballett und einem am Niedergang. sorbischer Komponisten erheblich verringert Orchester. Nunmehr waren auch eigenstän- hat. Immerhin sind in letzter Zeit – trotz der dige Voraussetzungen für kreatives musikali- Ungebrochene Kreativität Abwanderung vieler junger, talentierter Sor- sches Schaffen gegeben. 1957 kam es zur ben – einige junge sorbische Komponisten Gründung des Arbeitskreises sorbischer Kom- Die Quantität an musikalischer Kreativi- und begabte Gesangssolisten hinzugekommen, ponisten und Musikschaffender und damit tät der Sorben zu DDR-Zeiten war erstaun- die Hoffnung für die Zukunft wecken. begann die Ära eines vielfältigen, professio- lich und war ganz offensichtlich begünstigt Erfreulich ist auch, dass Lausitzer Orches- nellen und auch progressiven Musikschaffens. durch die genannten Aspekte sozialistischer ter wie z. B. die Neue Lausitzer Philharmo- In den Folgejahren wuchs die Zahl der Kulturpolitik, wenngleich vieles davon nach nie in Görlitz und das Staatstheater Cottbus akademisch ausgebildeten sorbischen Kom- dem Mauerfall in der Versenkung verschwun- wachsendes Interesse für neue sorbische Musik ponisten, die auch gleichberechtigte Mitglie- den ist, vermutlich auch nicht ganz zu Un- signalisieren, was sich durch Kompositions- der des Komponistenverbandes in der DDR recht. Trotz der neuen gesellschaftlichen Be- aufträge zu bestimmten Anlässen und regel- waren, auf mehr als ein Dutzend. Zu Ihnen dingungen nach dem Untergang der DDR mäßige Aufführungen in den Konzertreihen gehörten Jan Raupp, Dieter Nowka, Jan Paul hat die Kreativität in der sorbischen Musik belegen lässt. In Konzertprojekten wie den Nagel, Jan Bulank, Detlef Kobjela oder Juro keinen Abbruch erlitten: Im neu gegründe- alljährlichen sorbischen Rundfunkkonzerten Mietschk, die auch überregional und inter- ten sorbischen Künstlerbund wurden Kon- des rbb oder dem Cottbuser Musikherbst hat national aufhorchen ließen. Das fruchtbare zertprojekte auf den Weg gebracht. Als Glücks- sorbische Musik einen hohen Stellenwert. Schaffen spiegelte sich alljährlich in zahlrei- fall für die neue sorbische Musik erwies sich Dennoch gibt es von Seiten der Domo- chen Konzerten und Festivals mit einer Viel- die Bautzener Pianistin Liana Bertok, die sich wina, dem Dachverband der Sorben, und von zahl von Uraufführungen wider. Darüber hi- inzwischen auch als Komponistin profilieren der Stiftung für das sorbische Volk nicht immer naus sorgten die Mitglieder des Arbeitskreises konnte. Mit ihrer Konzertagentur „Konsonanz“ das nötige Selbstverständnis für die finanzi- für die Veröffentlichung zahlreicher Lieder- schaffte sie es, trotz mancher Bedenken und elle Unterstützung und Förderung neuer sor- bücher und Musikalien für den sorbischen bürokratischer Hemmnisse eine Vielzahl von bischer Musik, Literatur und Kunst, und es Schulunterricht, leiteten sorbische Chöre und Konzerten mit sorbischer Musik zu verwirk- fehlt an Einsicht, dass die Existenz einer le- Musikgruppen an und pflegten regen Kon- lichen, Werke anzuregen und für ihre Urauf- bendigen sorbischen Hochkultur für die Zu- takt zu Komponistenverbänden in Polen, in führungen zu sorgen. Außerdem ist es ihr ge- kunft der sorbischen Sprache und Identität der Tschechoslowakei und anderen osteu- lungen, als Initiatorin und Produzentin – mit unumgänglich ist. So wird der sorbische Künst- ropäischen Ländern, soweit es politisch be- Unterstützung der Stiftung für das sorbische lerbund bislang mit anderen sorbischen Ver- dingt möglich war. Volk – mit zahlreichen sorbischen CD-Editio- einen, die zum Beispiel sorbische Volkskunst Natürlich profitierte auch die sorbische nen ausgewählte sorbische Kammermusik, und sorbisches Brauchtum pflegen, gleich- Musik von den großzügigen Subventionen Kunstlieder, Orchester- und Bühnenwerke gestellt. Unter den gegebenen Verhältnissen der DDR-Kulturpolitik, die hinsichtlich ihrer mit namhaften Künstlern, Dirigenten und ist es kaum möglich, z. B. freischaffend als ideologischen Einflussnahme aber nicht un- Orchestern zu dokumentieren und zu veröf- sorbischer Komponist seinen Lebensunter- umstritten war. Und dennoch: Das aufblü- fentlichen. Auch hat der öffentlich-rechtliche halt zu bestreiten. hende sorbische Musikleben und das nicht Rundfunk in Brandenburg (rbb) mit seinem Eine Vielzahl von finanziellen und perso- minder vorhandene Potenzial an sorbischen sorbischen Programm seit seinem Bestehen nellen Problemen gibt es auch in den sorbi- Schriftstellern, Lyrikern, bildenden und dar- mehrere hundert Werke der ernsten sorbi- schen Bildungsstätten und Institutionen, so- stellenden Künstlern konnten den fortschrei- schen Musik produziert und die erwähnten dass für die Zukunft vieles offen bleibt.

Der Autor: Ulrich Pogoda ist Komponist und Musikredakteur für sorbische Musik beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb). Er setzt sich seit Langem für die sorbische Kultur ein. Eigenständiges bewahren: Chor und Orchester des Sorbischen National- ensembles. Foto: Matthias Bulang

 MUSIK ORUM 37 FOKUS

icht die schlechteste Hinter- Das DIRIGENTENFORUM: Andreas Bausdorf über ein Beispiel „Nlassenschaft der ehemaligen für das kulturelle Zusammenwachsen von Ost und West DDR.“ Dieser Satz – er bewertet nicht mehr und nicht weniger als eine Förderidee im deutschen EINE OST-IDEE KOMMT Musikleben – muss provozieren und will es auch, denn natürlich beschreibt er die heutige Realität ganz groß raus! nur unzureichend.

Außerdem könnte man dem Autor, Pe- tige Voraussetzung für die Umsetzung dieses Academy unter Leitung von Pierre Boulez ter Gülke, unterstellen, er betrachte die un- Vorhabens war die Einbindung der Orches- geführt. Es war ein besonderes Ereignis für tergegangene DDR mit Wehmut. Doch auf termusiker in Person des Vorsitzenden der die jungen Dirigenten, sich mit Boulez, einer ihn, der 1983 als Generalmusikdirektor der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), Rolf der prägendsten Musikerpersönlichkeiten Staatskapelle Weimar auf übergroßen Druck Becker. unserer Zeit, über Partituren auszutauschen der Stasi in den Westen floh, trifft dies ge- Über 60 deutsche und internationale Or- und von seinen Hinweisen in den Proben wiss nicht zu. Vielmehr weist Gülke auf den chester wirkten seitdem bei den Veranstal- mit dem Academy-Orchestra und den Mu- eher seltenen Umstand hin, wie eine ehemals tungen des Dirigentenforums mit, weltbekann- sikern des ensemble intercontemporain zu ostdeutsche Fördermaßnahme erhalten blieb, te Dirigenten und Dirigierpädagogen konnten profitieren. Auch die Bregenzer Festspiele deren Weiterentwicklung ihm in den Folge- für die Leitung der Kurse gewonnen werden boten sich als Partner an, sodass im Sommer jahren zur Herzensangelegenheit wurde. und haben jungen Dirigenten Chancen zur 2009 erstmals ein Meisterkurs mit zeitgenös- Vom Gewandhauskapellmeister Kurt Weiterentwicklung eröffnet. Assistenzen wur- sischer Musik in deren Reihe „Kunst aus der Masur initiiert, wählte eine ständige Jury in den vermittelt, Empfehlungen an Orchester Zeit“ stattfinden konnte. der DDR jene Talente aus, die durch den ausgesprochen und mit dem Deutschen Di- Daneben entwickelten sich in wenigen Besuch von Dirigierseminaren besondere rigentenpreis eine Auszeichnung etabliert, die Jahren Kooperationen zu den neuen Staaten Förderung erhielten. Unter Leitung von Diri- zum Abschluss der Förderung für großange- der Europäischen Union wie Slowenien und genten wie Kurt Sanderling, Heinz Rögner legte öffentliche Aufmerksamkeit sorgt. Estland. Insbesondere die inzwischen im vierten und Rolf Reuter sammelten die jungen Ta- Dies alles hat inzwischen internationale Jahr bestehende Partnerschaft mit dem est- lente in der Zusammenarbeit mit den Or- Aufmerksamkeit erzeugt und zu ersten Ko- nischen Teater Vanemuine in Tartu (Dorpat), chestern aus Halle, Gotha und Altenburg jene operationen wie mit der Lucerne Festival die auf Initiative des ehemaligen estnischen Erfahrungen, die nur mit professionellen

Orchestern möglich sind. Von der Direktion Foto: Priska Ketterer für Theater und Orchester (DTO) institutio- nell getragen, gelang es Klaus Harnisch, dank tatkräftiger Unterstützung von Hannelore Thiemer und Andreas Eckhardt, in der be- wegten Wendezeit ein Konzept für die Fort- setzung der Dirigierseminare zu erarbeiten, welches sich der Deutsche Musikrat als neu gegründetes Projekt „Dirigentenforum“ zu ei- gen machte. Rasch stießen mit Hansjoachim Reiser, Klaus Hashagen und Klauspeter Seibel die Verantwortlichen für die beim Deutschen Mu- sikwettbewerb in der Bundesauswahl Kon- zerte Junger Künstler (BAKJK) angesiedelte Dirigentenförderung hinzu. Seit den fünfzi- ger Jahren hatte man dort zahlreichen jun- gen Dirigenten Auftrittsmöglichkeiten ver- schafft und sich zu Beginn der siebziger Jahre entschieden, unter Wettbewerbsbedingungen einen Dirigenten auszuwählen, den man für Konzertengagements empfahl und mit einem Stipendium unterstützte. Im neu gegründe- ten Dirigentenforum fand man nun unter Vorsitz von Jörg-Peter Weigle zusammen und entschied sich gemeinschaftlich für eine För- derstruktur, deren Basis die Veranstaltung von Austausch über Partituren: Dirigentenforum-Förderer Pierre Boulez mit dem Dirigier- oder Meisterkursen bilden sollte. Wich- Stipendiaten Christoph Altstaedt bei der Lucerne Festival Academy 2007.

 38 MUSIK ORUM Stipendiaten Hendrik Vestmann entstand, Foto: Jörg Heupel könnte ein Beispiel für die zukünftige Wei- terentwicklung des Förderprogramms sein. Jährlich treffen sich dort junge Künstler aus Deutschland und Estland, erarbeiten gemein- sam ein Konzertprogramm und lernen so nicht nur in musikalischer Hinsicht mit- und von- einander, sondern kommen auch in inten- sivsten Austausch über ihre Herkunftsländer. Mit Eri Klas, ehemals Professor an der Sibe- lius Akademie in Helsinki und nun in glei- cher Funktion an der Musikakademie in Tal- linn, liegt die Leitung des Meisterkurses in Händen eines Mannes, der in Estland, wenn er sich denn aufstellen ließe, von über 80 Prozent der Bevölkerung zum Präsidenten gewählt würde. Kann man das glauben? Man kann, denn Eri Klas ist als ehemaliger Ama- teurboxer nicht nur Mitglied des nationalen Olympischen Komitees, sondern ebenso UN- Botschafter seines Landes, war Chef der Orchester in St. Petersburg, Stockholm und Rotterdam und leitet regelmäßig das im Abstand von fünf Jahren stattfindende Sän- gerfest in Tallinn, zu dem 25000 Menschen des 1,4-Millionen-Volks zusammenkommen, Dem Nachwuchs zugewandt: Kurt Masur beim Beethoven-Meisterkurs 2008 mit um gemeinsam zu singen. Diese Veranstal- dem Nachwuchsdirigenten Andreas Hotz. tung hat, so lernt man, identitätsstiftenden Charakter für ein Volk, das sich gegenüber seinem übergroßen Nachbarn Russland allzu hinaus werden Stipendiaten zur American sonnen und seit 1991 beständig weiterent- oft als ausgeliefert und nicht recht wahrge- Conducting Academy von David Zinman in wickelt wurde, noch zu einem wichtigen Ins- nommen empfindet. Plötzlich drehen sich die Aspen oder als Fellows zum legendären Tan- trument auswärtiger Musikpolitik werden. Gespräche um Gas-Pipelines in der Ostsee, glewood Festival des Boston Symphony Or- Wir alle, nicht nur das Musikland Deutsch- obwohl man doch eigentlich gemeinsam chestra mit James Levine eingeladen. Ob die land, werden davon profitieren. musizieren wollte. Doch schnell rückt die Position des Assistenzdirigenten beim Gus- Musik wieder in den Vordergrund, denn täglich tav-Mahler-Jugendorchester zu besetzen ist Der Autor: sechs Stunden Orchesterproben sind in Est- oder die Mitwirkung in der Jury des „Young Andreas Bausdorf ist Projektleiter des Dirigentenforums. land keine Seltenheit. Conductors Award“ der Salzburger Festspie- Weitere Interessenten wie das Sinfonie- le besetzt wird, die Beratung durch das Diri- orchester im schwedischen Malmö, zum gentenforum wird gesucht und offensichtlich wiederholten Male das Orchester des Opern- geschätzt. Stipendiaten des hauses Graz oder jenes aus Innsbruck fragen Kurt Masur hat mit seinen Ideen und DIRIGENTENFORUMs an. Mit dem Chœur de Radio France wird Anregungen die gesamte Entwicklung des und Gewinner über eine Kooperation beraten, sodass sich Dirigentenforums mitgeprägt und sich dau- internationaler Preise: auch für die im Jahr 2007 mit Unterstützung erhaft dem Nachwuchs zugewandt, wie zuletzt des einzigartigen RIAS Kammerchors begrün- mit den Beethovenmeisterkursen in den Jah- 1. Preis Solti-Wettbewerb Frankfurt/ dete Förderung für junge Chordirigenten schon ren 2006 und 2008 in Bonn. Um auch den Main 2006: Shi-Yeon Sung internationale Perspektiven abzeichnen. Eu- Talenten eine Chance zu eröffnen, die aus 1. Preis Roshdestwensky-Wettbewerb ropäische Hochschulen wie die Zürcher Ländern mit ungleich schwierigeren Verhält- Sofia 2006: Simon Gaudenz Hochschule der Künste schließen Koopera- nissen für eine musikalische Karriere stam- 2. Preis Mahler-Wettbewerg Bamberg tionsabkommen, um ihren Studenten durch men, hat Masur für die Beethovenmeister- 2007: Shi-Yeon Sung Stipendien die Teilnahme am Dirigenten- kurse des Jahres 2009 eine internationale 1. Preis Jesus-Lopez-Cobos-Wettbe- forum zu ermöglichen. Ausschreibung angeregt. Angesichts rasanter werb Teatro Real Madrid 2008: Hört man den Partnern aufmerksam zu, Entwicklungen in den Schwellenländern macht Eun-Sun Kim so scheinen die vom Deutschen Musikrat er damit deutlich, wie wichtig kultureller Aus- 1. Preis Donetella Flick Competition entwickelten Förderstrukturen einzigartig und tausch für unser Land ist. London 2008: David Afkham außergewöhnlich. Betrachtet man außerdem Folgte der Deutsche Musikrat erneut Masurs 1. Preis Dmitri Mitropoulos Wettbe- die internationalen Wettbewerbserfolge der Impulsen und baute das Dirigentenforum zu werb Athen 2009: Kevin John Edusei Stipendiaten in den letzten Jahren, dann fin- einem internationalen Netzwerk aus, so könnte 2. Preis Malko-Wettbewerb Kopen- det die Förderung weitere Bestätigung von eine Förderidee, die unter den begrenzen- hagen 2009: Francesco Angelico außen (siehe Preisträger-Kasten rechts!). Darüber den Bedingungen der ehemaligen DDR er-

 MUSIK ORUM 39 FOKUS

in Zufall stand Pate bei einer Wie Chöre nach der Wende wieder zusammenfanden. Ebis heute anhaltenden, Bun- Von Ernst Folz desländer übergreifenden, engen Zusammenarbeit zwischen den Chorverbänden Niedersachsen- AM ANFANG WAR EIN Name Bremen und Sachsen-Anhalt.

Kaum war die Mauer gefallen, da plante Situation, dass Chorsänger ihrem Hobby für den Aufbau einer landesweiten Verbands- die in Bernburg an der Saale ansässige Chor- nachgehen konnten, ohne die diversen sons- struktur, die sich eng am Vorbild des Chor- vereinigung „Friedrich-Silcher-Chöre“ eine tigen Verpflichtungen erfüllen zu müssen, die verbandes Niedersachsen-Bremen ausrichtete. Chorfahrt ins benachbarte Niedersachsen. ja sehr viele Leute vom Eintritt in eine Chor- Bereits am 22. September 1990 gründete sich Diesem 1889 gegründeten Traditionschor war vereinigung abhalten. während einer Festveranstaltung in Dessau es gelungen, auch während der DDR-Zeit In den Gesprächsrunden, die man in ei- der Chorverband Sachsen-Anhalt, Günther seine Vereinsstruktur zu erhalten, und nun nem ehemaligen Agrarinstitut in Neugatters- Arlt wurde sein erster Präsident. suchte man eine Verbindung zu einem Chor leben bei Bernburg abhielt, wurde allen Be- Ganz bewusst sieht sich der Verband in gleichen Namens. Es konnte ein Kontakt mit teiligten klar, dass viele Chöre (darunter über- der Tradition der bereits 1830 gegründeten dem Männerchor „Silcherbund“ in Lüneburg durchschnittlich viele leistungsfähige Chöre) „Anhaltischen Provinzialliedertafel“, der ältesten hergestellt werden. Schon zum Jahresende in Anbetracht der grundsätzlich veränderten deutschen Chorsängervereinigung, einem der 1989 kam man zu gemeinsamem Musizie- Lage nach der Wende schnell in Existenznöte Gründungsmitglieder des Deutschen Sänger- ren in der Heidestadt zusammen. Hier trafen geraten könnten; als Ausweg sah man den bundes. Trotz eines schwierigen Neubeginns, sich zwei Chorbegeisterte, die sehr schnell Aufbau einer Verbandsstruktur an. Um dies der viele dringend zu lösende Probleme auf- auf die veränderte Situation in Deutschland zu beschleunigen, gründete sich im April 1990 warf, entnahmen die Verantwortlichen aus reagierten: Günther Arlt, der Sprecher des in Bernburg der „Sängerbund Anhalt“, dem dieser großen Tradition die Verpflichtung, sich Bernburger Chors, und Wolfgang Fascher, sich Chöre aus den damaligen Kreisen Aschers- auch der Geschichte des Chorsingens in Sach- Präsident des Chorverbandes Niedersachsen- leben, Ballenstedt, Bernburg und Köthen sen-Anhalt zuzuwenden. Man gründete um- Bremen. Fast automatisch ergab sich die Fra- anschlossen; der „Sängerbund Anhalt“ wur- gehend ein Chorarchiv. In kurzer Zeit konn- ge: „Wie geht es jetzt bei euch in Sachsen- de als Sängerkreis vorübergehend Mitglied te sehr viel historisches Material zusammen- Anhalt weiter?“ im Chorverband Niedersachsen-Bremen. getragen und vor möglichem Verlust bewahrt Die Chorvereinigung aus Bernburg, die Im zweiten Schritt sammelte Günther Arlt werden – eine Aktivität, die heute nicht hoch von ihrer Gründung an bis zum 2. Weltkrieg die Adressen aller in Sachsen-Anhalt arbei- genug eingeschätzt werden kann. Mitglied im damaligen Deutschen Sängerbund tenden Chöre und lud die Interessierten zu Es waren solche Ereignisse und private war, suchte nun wieder einen Anschluss an einem Informationstreffen ein. Das Treffen Aktivitäten, die maßgeblich dazu beigetragen den Dachverband zu finden. Es wurde ein bestätigte die oben genannte Analyse. Die haben, dass nach Jahrzehnten der Trennung Informationsgespräch verabredet, eine Ge- Versammlung artikulierte Informationsbedarf und unterschiedlicher Entwicklung die Men- sprächsrunde mit Vertretern der Chöre aus in allen Bereichen der Vereinsführung, so beim schen wieder zueinander fanden, kulturelle dem Raum zwischen Magdeburg und Halle Vereins- und Versicherungsrecht, bei GEMA- und persönliche Netzwerke bildeten. Musik und dem Chorverband Niedersachsen-Bre- Fragen, bei der Förderung durch öffentliche und Gesang haben hier in ganz besonderer men folgte. und private Geldgeber und bei Fragen zur Weise ihre verbindenden Elemente bewie- Eine Analyse der Situation in beiden Län- Gemeinnützigkeit und Öffentlichkeitsarbeit. sen. dern zeigte erhebliche Unterschiede zwischen Bei allen an der Gesprächsrunde Beteiligten Und die damals entstandene Verbindung den Chören östlich und westlich der langen kam der Wunsch nach enger Zusammenar- hat Bestand: Nach wie vor kooperieren die Grenze zwischen den beiden Bundesländern. beit und gemeinsamem Vorgehen auf. beiden Nachbarverbände in allen musikali- In weiten Bereichen gewannen die Vertreter In der Folge wurde eine Serie von Infor- schen und organisatorischen Fragen. Jährlich aus Niedersachsen und Bremen den Eindruck, mationsveranstaltungen jeweils an Wochen- werden gemeinsame „Chortreffen in Harz dass viele Chöre im Osten Voraussetzungen enden von Freitag bis Sonntag in Neugatters- und Heide“ veranstaltet, und natürlich wird für ihre Arbeit hatten, von denen Chorfreunde leben geplant. Es wurden Fachleute aus Nie- es zum 20. Jubiläum der Wiedervereinigung im Westen meist nur träumen konnten. Ein dersachsen und Bremen zur Durchführung am 3. Oktober 2010 auch eine gemeinsame Großteil der Chöre in Sachsen-Anhalt bestand einer Seminarreihe angesprochen und ein Großveranstaltung in Duderstadt im Eichs- damals aus Chören, die Betrieben, Gewerk- Themenkatalog erstellt. Das Echo in Sach- feld geben, also direkt an der ehemaligen schaften und gesellschaftlichen Organisatio- sen-Anhalt auf die Angebote war unerwar- Demarkationslinie. Motto: „Jetzt singt zusam- nen angegliedert waren. Diese stellten den tet groß, und dies nicht nur bei den Spre- men, was zusammengehört.“ Chören die gesamte erforderliche Infrastruktur chern der Chöre, sondern auch bei deren Der Chorverband Sachsen-Anhalt wurde für eine erfolgreiche Arbeit zur Verfügung. musikalischen Leitern. Man erkannte die eines der ersten Mitglieder des im gleichen Sie hatten hoch qualifizierte Chorleiter, Notwendigkeit von enger Kooperation, es Jahr entstandenen Landesmusikrats. Übungs- und Vortragsräume standen ihnen entstand bei vielen Chören spontan der unentgeltlich zur Verfügung. Das einzelne Mit- Wunsch, eine landesweite übergeordnete Der Autor: glied brauchte sich in diesen Chören kaum Chororganisation zu bilden. Prof. Kapt. Ernst Folz ist Vorsitzender des Landesmusik- rats Bremen, Vorsitzender der Konferenz der Landes- um organisatorische und finanzielle Proble- Und so führten diese Informationsreihen musikräte im Deutschen Musikrat und Präsidiumsmitglied me zu kümmern. So ergab sich häufig die praktisch ganz automatisch zu Entwürfen des Deutschen Musikrats.

 40 MUSIK ORUM Rhein-Mosel-Musikpreis: Oktober 2009 Francesco Angelico rief zur „wilden Jagd“ Informationen aus den Projekten und Mitgliedsverbänden des Deutschen Musikrats – und gewann Francesco Angelico, Stipendiat des Dirigentenforums, gewann den mit 5000 Euro dotierten Rhein-Mosel-Musikpreis. Im Benefizkonzert der Rheini- schen Philharmonie Koblenz, in dessen Rahmen der 2. Rhein-Mo- sel-Musikpreis sowie die Position des „Conductor-in-progress“ verge- ben wurden, war für Abwechslung gesorgt. Die jungen Dirigenten lie- ßen Besen erwachen (Paul Dukas: Der Zauberlehrling, dirigiert von An- Hoon Song), zur wilden Jagd rufen (César Franck: Der verfluchte Jäger, dirigiert von Francesco Angelico) und Hexen tanzen (Anton Dvorák: Die Mittagshexe, dirigiert von Jes- ko Sirvend). Das Publikum wurde in der Konzertpause zur Abstim- mung gebeten und entschied sich für Francesco Angelico. Die drei Kandidaten hatten sich zuvor in einem Auswahldirigieren behauptet und anschließend vier Tage lang mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie das Kon- zertprogramm erarbeitet. Das Or- chester konnte sich in dieser Zeit ein genaues Bild von den poten- ziellen Assistenten ihres Chefdiri- 250 Musiker auf einer Bühne: Kinder aus Sterkspruit an der Grenze zu Lesotho musizieren gemeinsam mit den Musikern genten Daniel Raiskin machen. des Bundesjugendorchesters und Bundesjazzorchesters. © BJO Denn neben dem vom Publikum

© Herbert Piel ˜ Bundesjugendorchester und BuJazzO auf Südafrika-Tournee abgehen“, sagt die 17-jährige Julia aus Francesco Berlin. Angelico Herz, Farben, explodierende Bühnen Anlässlich des 20-jährigen Mau- erfalls und im Vorfeld der Fußball- Es war Begeisterung pur für ein Deutschland zu. Soweto, eines der weltmeisterschaft besuchten das Bun- Land der Gegensätze, die die jun- größten zusammenhängenden Schwar- desjugendorchester und das Bundes- gen Musiker mit nach Hause nah- zenviertel Südafrikas, am Rand von jazzorchester in diesem Sommer Süd- men: Bundesjugendorchester (BJO) Johannesburg gelegen, zählt zu den afrika. Im Gepäck waren vor allem und Bundesjazzorchester (BuJazzO) ärmsten Regionen des Landes – doch jüngere und frisch komponierte Werke vergebenen Musikpreis lag die Ent- absolvierten eine gemeinsame die Herzlichkeit hier ist außergewöhn- für groß besetztes Sinfonieorchester scheidung über die Position des Sommertournee durch Südafrika lich: Es dauert nur wenige Minuten und Bigband: „Jazz und Klassik auf „Conductor-in-progress“ beim Or- voller bunter Impressionen. und die Jugendlichen aus Nord und eine Bühne zu bringen, dies war uns chester. Das Publikum habe eine Soweto – ein staubiger Ort der Süd stehen gemischt in kleinen Grup- schon seit langem ein Anliegen. Und gute Wahl getroffen, denn auch das Geschichte: Einfache Wellblechhüt- pen beisammen. Die ersten Musiker wenn man sieht, wie begeistert das Orchester stimmte für Francesco ten, bunt bemalt, davor Frauen und des BuJazzO packen ihre Instrumen- Publikum in Deutschland und hier in Angelico, wie Lothar Hänsel, Vor- Kinder, die – in der überraschend pral- te aus, die Cellisten des BJO folgen Südafrika die Werke aufnimmt, dann sitzender des Orchestervorstandes, len Wintersonne sitzend – Orangen und eine Gruppe von einheimischen ist diese Kombination ein Modell mit mitteilte. Angelico wird nun bei ver- feil bieten. Aber auch ein Ort im Auf- Schülern tanzt dazu eine Mischung Zukunft“, sagt der Projektleiter des schiedenen Projekten dem Chef- bruch: Wir stehen vor einer großen aus HipHop- und Volkstanz. Bundesjugendorchesters, Sönke Lentz. dirigenten assistieren und mehre- Baustelle. Die Baustelle gehört zu ei- In diesem Fall sogar ein Modell mit re Konzerte in Koblenz dirigieren. nem Schulgelände, hier soll ein neues „Wie cool die hier sind!“ Auszeichnung: Vor der Abreise nach Musikzentrum in dem von Enge und Südafrika gaben die Ensembles drei Armut gekennzeichneten Gebiet ge- Im Handumdrehen haben sie den Konzerte in Berlin, Bonn und Stutt- INHALT: baut werden. In der Schule selbst zunächst noch etwas steifen Besuchern gart unter der Leitung von Dennis herrscht in diesem Moment totale Eu- die ersten Bewegungen beigebracht Russell Davies. Neben Wolfgang Neues aus den Projekten phorie: „Das ist das erste Mal, dass und auf dem gesamten Gelände wird Dauners Komposition Second Prelu- Seiten 1–10 uns weiße Musiker besuchen, ich bin musiziert, getanzt, gelacht, geklatscht. de to the Primal Scream und Moritz so gespannt“, sagt ein junges Mädchen „Einer von den Schülern hat uns sogar Eggerts Illumination wurde auch das Neues aus den Verbänden, in Schuluniform und stürmt mit ei- zwei afrikanische Lieder beigebracht. Werk Refractions des jungen Kompo- Fachausschüssen und ner Schulkameradin an der Hand auf Das ist einfach unglaublich, wie cool nisten Niels Klein uraufgeführt. Landesmusikräten einen großgewachsenen Musiker aus die hier sind und wie sie auf die Musik ! Fortsetzung auf S. 2 Seiten 11–16 ˜ Bundesjugendorchester

Ruzickas musikalische Klangströme Peter Ruzicka Das kulturelle Schaffen von Kul- Ein Strudel, mitreißend und be- turmanager, Dirigent und Kompo- geisternd, den das Orchester gemein-

PROJEKTE nist Peter Ruzicka ist vielfältig. Mit sam mit dem Solisten Fazil Say fort- dem Bundesjugendorchester wird setzen wird. Beethovens 3. Klavier- er jetzt als Dirigent sein eigenes konzert steht mit dem Weltstar, der Werk Maelstrom erarbeiten. eine kulturelle Brücke zwischen Ori- „Meinem Orchesterstück liegt die ent und Okzident schlägt und dem Vorstellung eines beständigen Wech- Werk unter anderem in der Geburts- sels musikalischer Klangströme zu- stadt Beethovens seine besondere grunde“, erklärt Ruzicka. „Deren un- Würze geben wird, auf dem Pro- terschiedliche Dichte und Intensität gramm. Mit Le Sacre du Printemps von erzeugen einen Strudel von Ereignis- Igor Strawinsky wird Orchester und Konzerte: 8. Januar 2010 Hamburg (), zuständen, bis die Musik in einem epi- Dirigent an „Maelstrom“ anknüpfen 9.1. Wiesloch (Palatin), 10.1. Nürnberg (Meister- logartigen Abschnitt gleich einem ‚lan- und unerhörte „Klangströme“ von singerhalle), 11.1. Bonn (Beethovenhalle); gen Blick‘ verlischt.“ mächtiger Intensität erklingen lassen. Tickets an allen lokalen Vorverkaufsstellen.

˜ BJO und BuJazzO in Südafrika In Südafrika standen für die knapp Unterstützt wurde die Tournee vor schen Musikern beider Länder. Er ist 130 Musiker fünf repräsentative Kon- Ort vom südafrikanischen Partner es auch, der das Musikschulprojekt Explodierende Bühnen zerte im Mittelpunkt: Unter der Lei- MIAGI („music is a great investment“), in Soweto maßgeblich mit betreut. „Die tung des Crossover-Spezialisten Bernd dessen Schwerpunkt auf der musika- Konzertreise von BJO und BuJazzO Forts. von Seite 1 Ruf gaben die Musiker Konzerte in lischen Arbeit mit Kindern aus sozia- wird für uns alle unvergesslich blei- Für eben dieses Werk wurde Niels Pretoria, Johannesburg, Bloemfontein, len Randgebieten liegt. Robert Brooks, ben. Es war eine wilde, aber tolle Zeit. Klein, der zu den profiliertesten jun- Port Elisabeth und Kapstadt. Solist der Leiter von MIAGI und selbst Sänger, Ich wünsche mir, dass diese Reise eine gen Musikern der aktuellen deutschen Reise war der junge, in Kiel gebore- war kürzlich mit seinem Jugendorches- Fortsetzung findet – hier wie dort. Vor- Jazzszene gehört, beim Abschlusskon- ne Pianist und Stipendiat der Deut- ter in Deutschland bei Young.Euro. geschmack auf einen wichtigen, noch zert des Festivals Young.Euro.Classic schen Stiftung Musikleben, Caspar Classic zu Gast und stand nun auch bevorstehenden Höhepunkt.“ ¿ im Konzerthaus am Gendarmenmarkt Frantz: Mit seiner Interpretation von hinter den persönlichen Treffen zwi- Anke Steinbeck mit dem Europäischen Komponisten- George Gershwins Rhapsody in blue preis ausgezeichnet. gewann er die Sympathie des Publi- Für den Komponisten, aber auch kums für den ganzen Konzertabend. Nationale Jugendorchester weltweit live zu hören für die beteiligten Musiker eine be- Nicht selten kam es während der Das gemeinsame Konzert von Bundesjugendorchester und Bundesjazz- sondere Ehre: „Es ist nicht zu glau- Konzerte zu Begegnungen mit ein- orchester in der Stuttgarter Liederhalle am 26. August wurde vom SWR im ben! Mein herzlicher Dank gilt den heimischen Musikern: „Noch einer Rahmen des ARD-Radiofestivals nicht nur in alle deutschen Kulturprogram- jungen Musikern des BJO und des mehr und dann explodiert die Büh- me übertragen, sondern gleichzeitig über Societatea Romana de Radio- BuJazzO sowie Meastro Dennis Rus- ne“, lacht Julia einige Tage später nach difuzione, Latvijas Valsts Radio, Australian Broadcasting Corporation, Dan- sell Davies, die mein Werk unglaub- dem Konzert in Bloemfontein, als es marks Radio, British Broadcasting Corporation, Polskie Radio, Radio Belge, lich gut umgesetzt haben“, sagte Klein auf der Bühne zu spontanen Jam-Ses- Langue Francaise (RFI) und Balgarsko Nationalno Radio ausgestrahlt. bei der Preisverleihung. sions kam.

BJO und BuJazzO proben unter der Leitung von Begegnung vor einer Schule in Soweto: Die deutschen Musiker werden vom Temperament und der Neu- Crossover-Spezialist Bernd Ruf in Johannesburg. gier der südafrikanischen Jugendlichen überrascht – man musiziert, singt, tanzt und lacht. © BJO

DMR aktuell 2 PROJEKTE ˜ Bundesjazzorchester „Drums ’n’ Brass in Outerspace“ – BuJazzO meets Splash

Eine Formation der „außerirdi- nen, Trommeln, Becken und Metall- schen“ Art bot das Bundesjugend- schrott, kontrastiert mit „spacigen“ orchester (BuJazzO) zusammen mit Klängen. der Formation „Splash“, dem Per- Der bereits mehrfach ausgezeich- kussionsensemble NRW. nete junge Komponist, Arrangeur und Gemeinsam traten die beiden Ju- Bigbandleiter Niels Klein, der gerade gendorchester als Vorboten zu „Euro- mit seiner Auftragskomposition für die pas junger Klang“, einer Initiative im beiden Nationalen Jugendorchester, Rahmen der Kulturhauptstadtaktivi- Refractions (Lichtbrechungen), den täten 2010, nach einem gemeinsa- Komponistenpreis der Young Euro men Workshop am 20. September Classics in Berlin gewann (siehe auch BJO macht Filmmusik für ZDF und ARTE: Szenenfoto aus dem Filmklassiker auf dem Jazzfestival Viersen auf. Mit Artikel zur Südafrika-Tournee von Bun- „Nathan der Weise“, rechts: Komponist Rabih Abou-Khalil. gebündelten Energien entfalteten die desjugendorchester und BuJazzO auf ˜ Bundesjugendorchester Nachwuchstalente ihre experimentel- Seite 1), ist im zweiten Halbjahr 2009 len Möglichkeiten auf der Suche nach Dirigent des BuJazzO und wird bei dem „Sound Of The Universe“. diesem Gemeinschaftsprojekt von Ste- „Nathan der Weise“ live vertont Nicht nur das kompositorische fan Froleyks und Ralf Holtschneider, Konzept Progressions von Niels Klein, den künstlerischen Betreuern von Eine Uraufführung besonderer Art lerischer Leiter der „Europäischen Film- auch der Sound von Splash überschritt Splash, unterstützt. Die beiden Orches- erwartet Zuhörer und Zuschauer philharmonie“, dirigiert das Konzert konsequent alles bisher Gehörte. Me- ter werden in dieser Formation am am 24. Oktober in der Philharmo- mit dem Bundesjugendorchester, das lodiöse Phasen mit „Drive“ steigerten 22. Oktober unter der Leitung von nie im in München: Zu sich seit einigen Jahren besonders im sich in ohrenbetäubende Höhepunkte Klein und Marko Lackner im Witte- hören und zu sehen ist der 1922 Rahmen grenzüberschreitender und mit Trommelwirbeln auf Vibrapho- ner Saalbau zu hören sein. entstandene Film „Nathan der zeitgeschichtlich bedeutender Projekte Weise“ mit Musik des Komponis- engagiert. ten Rabih Abou-Khalil und dem Ein Dreiviertel-Jahrhundert nach Bundesjugendorchester live zum seiner letzten Kinovorführung soll mit Film. diesem Vorhaben der Stummfilm Das Projekt steht unter Schirm- „Nathan der Weise“ erstmals wieder herrschaft von Frank-Walter Steinmeier einem großen Publikum zugänglich und wird durch das Auswärtige Amt gemacht werden. Angesichts der welt- und das Goethe-Institut gefördert. weit eskalierenden Konflikte zwischen Weitere Konzerte in Osteuropa sind den drei großen monotheistischen geplant. Der Film ist bis heute die ein- Religionen, die unsere Gegenwart in zige Verfilmung des großen Lessing- bisher nicht gekanntem Maße bestim- Dramas. Die Hauptrollen sind mit Wer- men, soll der Film im Rahmen sinfo- ner Krauß als Nathan und Carl de nischer Filmkonzerte auf eindrückli- Vogt als Tempelherr prominent be- che und universal verständliche Weise setzt. Der Regisseur Manfred Noa für mehr Toleranz und Achtung der setzte die Geschichte in großen Sze- kulturellen und religiösen Vielfalt in nen um – im Stil der monumentalen einer globalisierten Gesellschaft wer- Historienmalerei des 19. Jahrhunderts. ben. Der Film ist nach wie vor von unge- Als Kooperationsprojekt von ZDF/ brochener Aktualität und wirft einen ARTE wird die Filmmusik von Abou- modernen Blick auf Lessings „Drama- Khalil zusätzlich im Studio eingespielt tisches Gedicht“ aus dem Jahre 1779. und der Film mit der neuen Musik- Noas Verfilmung thematisiert den fassung auf ARTE präsentiert. Darüber Irrsinn der Glaubenskriege und en- hinaus ist eine Neuauflage der DVD det am Schluss mit dem Appell zur „Nathan der Weise“ in HD-Qualität Toleranz. mit der Musik von Rabih Abou-Kha- „Spacige“ Klänge: BuJazzo und Splash beim Konzert in Viersen. Foto: Felix Eichert Der deutsch-libanesische Kompo- lil in der „edition filmmuseum“ ge- nist Rabih Abou-Khalil erhielt den plant. Kompositionsauftrag zu einer sinfo- Nathan der Weise ist eine Co-Pro- nischen Filmmusik für Orchester, duktion von ZDF und ARTE, Deutsch- Neue Töne: „Progressions“ in Potsdam Streich-Trio und Solisten. Für die landradio Kultur und 2eleven l l zeit- Aufführung seines Werkes zu „Na- genössische musik projekte, in Ko- Am 13. September, dem Tag des offenen Denkmals, präsentierte das than der Weise“ wählte Rabih Abou operation mit dem Filmmuseum BuJazzO in der Reihe „Grundton D“ des Deutschlandfunks und gleich- Khalil als Solisten Michel Godard an München, Arbeitsstelle für Lessing- zeitig im Rahmen der Potsdamer Jazztage das Programm Progressions der altertümlichen Serpent, Jarrod Rezeption Kamenz, ENJA Musikver- von und mit Niels Klein. Wer gefällige Big Band Musik erwartet hatte, Cagwin, einen der führenden US- lage und dem Bundesjugendorches- wurde vom zeitgenössischen, jungen Jazz überrascht. Auf Niels Kleins amerikanischen Percussionisten, so- ter/Deutscher Musikrat, gefördert Musik muss man sich einlassen, denn spätestens mit seiner Aufspaltung wie das Jagdish Mistry String-Trio. Der durch das Auswärtige Amt, das Goe- der Band in improvisierende Untergruppen entsteht ein „gegenwärti- Komponist wird selbst als Solist an the-Institut und der Landeshauptstadt ger“, jedoch ungewohnter Klang, der neuartige Formen und Farben der arabischen Kurzhalslaute Oud zu München. hervorbringt. Ausschnitte aus den Aufnahmen vom Deutschlandfunk hören sein. Frank Strobel, internatio- Tickets sind erhältlich unter: sind im Internet unter www.bujazzo.de zu hören. ¿ nal bekannter Filmdirigent und künst- www.muenchenticket.de ¿

DMR aktuell 3 ˜ Edition Zeitgenössische Musik Viel Applaus für Musiker des European Workshop Wert und Unwert: „Pelze & Restposten“ „Czesz´ aus Warschau“ … for Contemporary Music 2009 unter Leitung von „Die Rolle des Komponisten be- stände, sie sind unbequem und mithin Rüdiger Bohn. steht darin, das, was uns diessei- ätzend. Sie haben keine Berührungs- tig umgibt, zu kommentieren.” So ängste. Schmutz, Müll, Trash, Billig- PROJEKTE das Credo des 1974 in Kassel gebo- keit, Low-Tech, Schrott, Kitsch und renen und heute in Berlin leben- Ramsch – all dies, das Profanste des den Komponisten Martin Schütt- Profanen, ist Material von Schüttlers ler. Musik, seinen schroffen, harten Kom- Diesseitige Umgebung meint die positionen, die auch sanfte, milde, linde, Wirklichkeit der Straße, das ganz geradezu elegante Passagen kennen. normale Leben, das, was über den Irritationen. Störungen. Er- und Auf- individuellen Tellerrand des Privatkos- klärungsversuche. Unvereinbares steht

mos hinausreicht, das, womit wir tag- unvereint nebeneinander, übereinan- Foto: Olaf Wegener täglich konfrontiert sind. Diesseitig- der. Die CD Pelze & Restposten, Mar- keit ist für Schüttler, der bei Nicolaus tin Schüttlers erste Porträt-CD, ein A. Huber an der Folkwang Hochschule dialektisches Wortspiel über Luxus- in Essen Komposition studiert hat, das artikel und Massenware, über Wert Gegenbild zur Abseitigkeit, zur von und Unwert, über Qualität und Quan- der Außenwelt abgeschotteten (Künst- tität und nicht frei von Selbstironie, ler-)Existenz. Die Ergebnisse seiner äs- präsentiert ausgewählte Kompositio- ˜ European Workshop for Contemporary Music 2009 thetischen Selbstverantwortung und nen aus den Jahren 1998 bis 2009. Verortung, seiner Situationsanalysen Stefan Fricke ¿ mit den Mitteln des produzierenden … „Hallo Warszawa“: Ensemble-Werkstatt Musikers sind kraftvoll und energe- tisch. Sie greifen mit vollen Händen für Neue Musik traf sich zum siebten Mal und beißen mit bleckenden Zähnen Zum siebten Mal veranstalteten der „European Workshop for Contem- hinein in die real existierenden Zu- Deutsche Musikrat und das Festi- porary Music“, das auf den Internet- val Warschauer Herbst eine En- Seiten der neuen musikzeitung (nmz) semblewerkstatt für Neue Musik, veröffentlicht wurde: www.nmz.de bei der junge Instrumentalisten aus In dem Blog kann man nachlesen, Deutschland, Polen und anderen wie junge Instrumentalisten Schritt für europäischen Ländern gemeinsam Schritt die neuen Werke erarbeiteten, ein Konzertprogramm mit zeitge- wie sie Musikern aus anderen Län- nössischer Musik erarbeiten. dern begegneten, Komponisten ken- Der Probenphase vom 17. bis 24. nen lernten und schließlich ihr Kon- September folgten Konzerte am 24. zertprogramm in Warschau und September im Rahmen des Warschau- Dresden präsentierten. er Herbstes und am 6. Oktober beim Weitere Informationen zum Eu- Festival Ton-Lagen im Festspielhaus ropean Workshop for Contempora- Hellerau/Dresden. ry Music und zum Konzertprogramm Neuerscheinung: Martin Schüttler - Keine Berührungsängste: Komponist Erstmals schrieben die Musiker in 2009 unter: WER 6575 2 (VÖ: 1. November). Martin Schüttler. Foto: Anika Neese diesem Jahr ein Online-Tagebuch zum www.musikrat.de/ewcm ¿

Mobile Ausstellung „Klangkunst – Grafik: Nicola Kohlhaas a German Sound“ reist nach Polen

Vom 1. bis 17. Oktober 2009 von Jens Brand, hans w. koch, Ros- wurde die mobile Ausstellung witha von den Driesch/Jens-Uwe „Klangkunst – a German Sound“ Dyffort, Frauke Eckhardt, Ulrich erstmals im Festspielhaus Heller- Eller, Rolf Julius, Christina Kubisch, au bei Dresden im Rahmen des Tilman Küntzel, Franz Martin Festivals für Neue Musik „Ton- Olbrisch und Erwin Stache gezeigt. Lagen“ gezeigt (siehe Ankündi- Auf den Internet-Seiten des gung im Musikforum 3/2009). Deutschen Musikrats sind ausführ- Als nächstes reist das Exponat liche Informationen zum Genre ins polnische Lódz und wird dort ab Klangkunst in Deutschland, zu den dem 26. November in der Philhar- Künstlern, Fotos der Exponate monie präsentiert. Kuratiert von sowie die kommenden Ausstellungs- Johannes S. Sistermanns und Ste- termine zu finden: fan Fricke werden in dieser Kom- www.musikrat.de/klangkunst pakt-Ausstellung Klangkunstwerke ¿

DMR aktuell 4 PROJEKTE ˜ PopCamp Hüpfend zum besseren Performer

Die fünfte Staffel PopCamp war zum Profimusiker deutlich verkürzen vom 6. bis 12. September zu Gast wollen. in der Bundesakademie Trossin- Wie schon in den vergangenen gen. Die fünf Bands Abel & Cain, Jahren können die Bands vom Know- Baby Benzin, Christian Troitzsch, how der Medienrechtsanwälte Michael Frieder und Luis & Laserpower von Rothkirch und Oliver Heinz und reisten aus Hamburg, Düsseldorf, vom individuellen Medientraining mit Leipzig, Mannheim und Stuttgart Anke Rümenapp profitieren und un- an, um sechs Tage mit den Dozen- ter Anleitung von Annette Marquard Live im ten kreativ und theoretisch zu ar- ihr gesangliches Können ausbauen. Oli- Tuttlinger beiten. ver Rüger ist Produzent und steht den Rittergarten: Die Sonne scheint, die Wiese ist Bands beim Songwriting und Arran- Abel & Cain. saftig grün, gleich dahinter beginnt ein gement zur Seite. Kai Thomsen wirft Waldstück: 18 Männer und eine Frau aus Marketingsicht einen Blick auf die hüpfen lachend und johlend über die Bands und unterstützt sie beim Er- den in großer Runde die theoretischen Am Samstagmorgen nach einer Wiese. Ja, richtig, wir sind hier im Pop- stellen eines Businessplans. Neu im Hürden des Musikbusiness genom- Feedbackrunde machten sich alle auf Camp, genauer gesagt beim Perfor- Dozententeam ist dieses Jahr Jens Fi- men, nachmittags und abends saßen die Reise. Es gibt viel zu verdauen, zu mance-Training mit Bettina Habekost. scher-Rodrian, musikalischer Leiter der die Bands mit den Dozenten in ihren erarbeiten, weiterzudenken und um- Sie ist eine der sieben Dozenten, die Blue Man Group Berlin, der den Bands Räumen und arbeiteten an Songs. zusetzen. Demnächst, Ende Novem- den Erfolg versprechenden Nach- kreativ auf die Sprünge hilft. Zwischendurch gab Annette Marquard ber, während der zweiten Arbeitsphase wuchsbands mit ihrem Input den Weg Das Performance-Training an der eine Gesangsstunde, Bettina Habekost in Rheinsberg bei Berlin, werden die frischen Luft ist natürlich nur probte Performance und Anke Rü- Fortschritte unter die Lupe genom- ein Ausschnitt der vielfältigen menapp trainierte mit jeder Band men und zum Abschluss am Freitag, Möglichkeiten der jungen Mu- individuell ihre Kommunikation nach 4. Dezember, mit einem großen Kon- siker, sich neue Blickwinkel zu außen. Bis in die Nacht wurde die zert im Kesselhaus der Kulturbraue- erschließen. Bevor die Werk- Gelegenheit genutzt, sich auszutau- rei in Berlin präsentiert. ¿ zeugkästen der Dozenten für schen und die Experten nach Tipps Marleen Mützlaff die Bands geöffnet wurden, zu befragen. PopCamp-Fotos: Jonathan Gröger rockten diese erstmal standes-

gemäß die Bühne des Ritter- © Musikmesse Frankfurt gartens in Tuttlingen, damit die Coaches einen ersten musika- lischen Eindruck der Bands ge- winnen konnten. Nicht nur die Dozenten waren begeistert, jedes Jahr mehrt sich das Pop- Camp-Stammpublikum im Club. Nach diesem gelungenem Auftakt am ersten Arbeitspha- sentag tüftelten die Musiker mit ihren Mentoren in den verblei- benden fünf Tagen von früh bis spät, sei es im Plenumssaal, an der frischen Luft oder in den Auf dem Weg zum Profi: Christian Troitzsch. Proberäumen. Vormittags wur-

˜ SchoolJam Neue Bewerbungsphase läuft an

Nachdem die Sieger aus dem vergangenen Jahr, die Band „Heavy Ride“ (Bild oben), ihren Auftritt bei „Rock am Ring“ bereits im Mai erfolgreich hinter sich gebracht haben und jetzt durch Deutsch- land touren, können sich jetzt wieder alle Schüler der Klassen 5 bis 13 sowie alle Jugendlichen in der Ausbildung bis 21 Jahre auf www.schooljam.de sowie per Post für SchoolJam, Deutschlands größtes Schülerbandfestival, bewerben. Alle Schulbands in ganz Deutschland haben die Chance, bei einem der 15 RegioFinals vor vollem Haus zu spielen, um einen Platz auf dem Spielplan bei „Rock am Ring“ zu ergattern. Noch bis zum 1. Dezember haben die Schulen und Bands Zeit, ihre Demos einzuschicken oder auf www.schooljam.de hochzuladen. Als Gewinne werden Musikinstrumente, ein Auftritt bei Rock am Ring, Bandausstattung sowie eine mehrtägige Tour durch Südfrankreich und die USA vergeben. Kreativarbeit im PopCamp: Jens Fischer-Rodrian (2. v. l., Music Director der Weitere Infos unter: www.schooljam.de ¿ Blue Man Group) mit der Stuttgarter Band Frieder.

DMR aktuell 5 Foto: Peter Kanneberger/www.lichtundphoto.de

PROJEKTE

Tosender Applaus für Kolja Legde: Der junge Musiker präsentierte sich als Einheit von Komponist und Interpret in der Kategorie „Eigenes Werk“ mit seinem Stück Colchico.

Kammermusikfesttage in Neubrandenburg mit „Jumu“-Preisträgern 2011 wird „Jugend musiziert“ in Meck- lenburg-Vorpommern zu Gast sein. Kon.centus, der Musikschulzweck- ˜ verband der Region Neubrandenburg/ WESPE – Wochenende der Sonderpreise Neustrelitz, entzündet schon jetzt ers- te Leuchtfeuer: Die „Kammermusikfest- Bestechende künstlerische Leistungen auf neuen Pfaden tage Neubrandenburg“ werden in die- sem Jahr erstmals exklusiv von preis- Ende September begaben sich 157 „WESPE“ erhalten. Das „Wochenen- Sparkasse Freiburg, die Bertold Hum- gekrönten „Jugend musiziert“-Ensemb- Bundespreisträger von „Jugend mu- de der Sonderpreise“ wurde vom 25. mel Stiftung, der Verband deutscher les gestaltet. Intensive Vorbereitung auf siziert“ für drei Tage auf neue Mu- bis 27. September in Freiburg durch- Musikschulen (vdm), die Hindemith das Konzert hatten die Musiker im Rah- sik-Pfade. Sie waren aufgrund ih- geführt. Stiftung, die Irino Foundation Tokio, men des 45. Deutschen Kammermu- rer hervorragenden künstlerischen Zu Unrecht vergessene Werke der Deutsche Musikverleger-Verband sikkurses erhalten, die traditionsreichste Leistungen im vorangegangenen sollten (wieder)-entdeckt und neue (DMV), die Stadtwerke Schwerin, die Fördermaßnahme für Bundespreisträ- Bundeswettbewerb nach Freiburg Werke komponiert werden; eine Aus- Stadt Erlangen und ZONTA Interna- ger „Jugend musiziert“. zum „Wochenende der Sonder- einandersetzung mit ihrem musikhis- tional stifteten Sonderpreise im Ge- In Neubrandenburg konzertieren: preise“ – kurz: WESPE – eingela- torischen und gesellschaftspolitischen samtwert von 25000 Euro. Elisabeth Wentland (Flöte), Raphael Klo- den worden. Kontext war gewünscht. Gefordert war Mit WESPE möchte „Jugend mu- ckenbusch (Oboe), Andreas Lipp (Kla- Als Höhepunkt des zweitägigen im Wettbewerb die jeweils beste In- siziert“ die Auseinandersetzung mit rinette), Jonas Finke (Horn) und Lucia Wettbewerbs erhielten 48 von ihnen terpretation eines Werks der zeitge- Neuer Musik fördern und für den Flores (Fagott) mit dem Quintett in e- im Rahmen eines sehr gut besuchten nössischen Musik, eines eigenen mündigen Interpreten werben, der sich Moll op. 67/2 von Franz Danzi, Andre- Abschlusskonzerts Geldpreise in ei- Werks, eines Werks der klassischen jenseits von Markttrends oder vorherr- as Lipp (Klarinette), David Rheinert (Vi- ner Gesamthöhe von 25 000 Euro und Moderne, eines speziell für „Jugend schendem Publikumsgeschmack, auf oloncello) und Elias Corrinth (Klavier) Urkunden aus den Händen der Son- musiziert“ komponierten Werks, des neue, unbekannte Pfade begibt. Denn mit „8 Stücken für Klarinette, Viola und derpreisstifter. Werks einer Komponistin und eines produktive Neugier und Kreativität Klavier“, op. 83 von Max Bruch, ein Nach dem Ende des Bundeswett- Werks der „verfemten Musik“. sind die Hauptwesensmerkmale ei- Streichquartett mit Marie Schreer (Vi- bewerbs 2009 im Mai hatte „Jugend Die Jury zeigte sich am Ende der nes künftigen Künstlers oder Kunst- oline), Johanna Ell (Violine), Anthea musiziert“ alle ersten, zweiten und beiden Wettbewerbstage beeindruckt kenners. Thoma (Viola) und Dorothea Ell (Vio- dritten Bundespreisträger eingeladen, von den musikalisch-künstlerischen Gedankt sei den Partnern für die loncello) und dem Streichquartett B- sich unter interpretatorischen Aspekten Leistungen der Teilnehmer, insbeson- Durchführung von WESPE 2009: Der Dur op. posth. 168, D 112 von Franz mit Werken der Musikliteratur, vor dere von der Qualität der Wettbe- Stadt Freiburg, „MehrKlang Freiburg“ Schubert sowie Elisabeth Wentland allem des 20. und 21. Jahrhunderts, werbsbeiträge in der Kategorie „eige- im Netzwerk für Neue Musik, einem (Flöte), Raphael Klockenbusch (Oboe), auseinanderzusetzen und das Ergeb- nes Werk“. Förderprojekt der Kulturstiftung des Andreas Lipp (Klarinette) und Julia Rind- nis ihrer intensiven Beschäftigung im 48 junge Musiker wurden mit Bundes, der Musikhochschule und der erle (Klavier) mit Caprices sur des airs Rahmen des Wettbewerbs WESPE Sonderpreisen ausgezeichnet. Das Sparkasse Freiburg. Details zu den Danois et Russes op. 79 von Camille zunächst vor einer Jury, dann auch Bundesministerium für Familie, Seni- Kategorien, Sonderpreisstiftern, Teil- Saint-Saens. dem Konzertpublikum zu präsentie- oren, Frauen und Jugend, die Gesell- nehmern und Ergebnissen von „WES- Das Konzert findet am 21. Novem- ren. 157 Musiker hatten die Zulas- schaft zur Verwertung von Leistungs- PE 2009“ unter: ber (19 Uhr) im Kammermusiksaal Neu- sung zu den sechs Kategorien von schutzrechten, die Stadt Freiburg, die www.jugend-musiziert.org ¿ brandenburg, Ziegelgasse 5a, statt.

DMR aktuell 6 PROJEKTE ˜ Deutscher Musikwettbewerb Erfolgreicher Wettbewerbssommer Der Deutsche Musikrat konnte sich Das Flügelschlag-Quartett (2x Kla- in den letzten Wochen über viele vier und 2x Schlaginstrumente, Sti- bedeutende Auszeichnungen und pendiat des DMW 2008) erhielt beim berufliche Erfolge der Preisträger Internationalen Wettbewerb für zeit- des Deutschen Musikwettbewerbs genössische Kammermusik in Krakau (DMW) freuen. einen 1. Preis. Auch die beiden Preis- Sie spiegeln das hohe Niveau wi- träger der Kategorie Klavier solo beim der, auf dem die jungen Künstler DMW 2008 in Bonn waren erneut agieren und bestätigen den DMW in erfolgreich. Alexander Schimpf wur- der Auswahl der Preisträger und Sti- de beim Internationalen Klavierwett- pendiaten sowie in der Art seiner bewerb 2009 Wien mit dem ersten Förderung, die u. a. in der Vermitt- Preis ausgezeichnet, Alexej Gorlatch lung von insgesamt bis zu 300 Kon- erspielte sich beim Internationalen zerten pro Jahr und der Produktion AXA Klavierwettbewerb im Mai 2009 einer Debut-CD in der Edition Pri- den 1. Preis und den Sonderpreis für mavera besteht. die beste Interpretation eines zeitge- Nils Mönkemeyer (Preisträger des nössischen Werks.

Foto: Felix Broede Deutschen Musikwettbewerbs 2006) Der Oboist Thomas Hecker, 2008 erhält in diesem Jahr einen ECHO- Preisträger des DMW, erhielt eine Erhält den ECHO-Klassik: DMW-Preisträger Klassik. Als Nachwuchskünstler des Solostelle für Oboe im Deutschen Nils Mönkemeyer wird in diesem Jahr für seine Jahres (Bratsche) wird er ausgezeich- Symphonieorchester Berlin. Johannes CD „Ohne Worte“ ausgezeichnet. net für seine CD „Schubert/Mendels- Fischer (Schlaginstrumente, Preisträ- sohn/Schumann – Ohne Worte“ ger des DMW 2007) wurde zum (Sony Classical/Sony Music). Mönke- Sommersemester als Professor an die meyer wird ab Oktober als Professor Musikhochschule Lübeck berufen. für Bratsche an der Hochschule für Soeben erschien seine Preisträger-CD Musik Carl Maria von Weber in Dres- mit Werken von Xenakis, Hirs, Eckert den unterrichten. und Mack in der Edition Primavera Unter den 59 Preisträgern, die am (Deutschlandradio/Genuin/DMR). 18. Oktober in der Dresdner Sem- Auch die Laureaten eines Förder- Neue englisch- peroper ausgezeichnet werden, sind preises, der in Folge des Deutschen auch Alban Gerhard (Violoncello, Musikwettbewerbs 2009 noch aus- sprachige Broschüre Kammermusik-Einspielung des Jahres stand, wurden nun bekannt gegeben: Die komplette Angebotsvielfalt –19. Jh.) und Wolfgang Bauer (Trom- Das Duo Peter-Philipp und Hansja- des Deutschen Musikinforma- pete, Instrumentalist des Jahres), die cob Staemmler (Duo Violoncello/ tionszentrums auf einen Blick: Anfang der 1990er-Jahre Preisträger Klavier) erhält in diesem Jahr den Das bietet die kompakte Infor- des DMW waren. Förderpreis der Marie-Luise Imbusch- mationsbroschüre des MIZ, die Gabriel Adriano Schwabe (Violon- Stiftung. Die in Lübeck ansässige Stif- jetzt auch in einer englischspra- cello, Preisträger des DMW 2007) tung zeichnet jährlich u. a. Musiker chigen Version vorliegt. überzeugte im Juni in der Londoner für ihre herausragenden Leistungen Täglich beantworten die Mit- Wigmore Hall eine angesehene Jury beim Deutschen Musikwettbewerb arbeiter des MIZ Anfragen von Mu- und gewann den Pierre Fournier aus. Das Preisträgerkonzert findet am sikliebhabern, Berufsmusikern, Wis- Award 2009, der eine Einladung zu 31. Oktober 2009 in der Musikhoch- senschaftlern, Journalisten und Kul- einem Rezital in der Wigmore Hall schule Lübeck statt. turinstitutionen. Ein Fünftel aller sowie weitere bedeutende Kammer- Der DMW gratuliert den jungen Mails und Anrufe kommt dabei ¿ musik- und Solistenengagements be- Künstlern zu ihren Erfolgen. aus dem Ausland – ein deutliches Überblick über das gesamte MIZ- inhaltet. Anne Kersting Zeichen für den großen Informa- Angebot – jetzt auch auf englisch. tionsbedarf über das Musikleben in Deutschland. und Fachbeiträge, kulturpolitische Als Teil eines weltweit agieren- Dokumente und tagesaktuelle den Netzwerks von Musikinfor- Nachrichten ebenso wie die Ver- mationszentren ist das MIZ seit mittlung vertiefender und weiter- seiner Gründung in engem Aus- führender Literatur oder die indi- tausch mit Musikdokumentations- viduelle Beratung durch die Mit- stellen und anderen relevanten arbeiter vor Ort. Dabei wird das Einrichtungen in der ganzen Welt. vielfältige Spektrum der Musikkul- Künftig können sich Interessenten tur abgebildet: von der musikali- aus dem Ausland noch einfacher schen Bildung und Ausbildung über und schneller über das vielfältige das Laienmusizieren, die Musik- Angebot des MIZ informieren. förderung und die professionelle Dabei hilft eine neue englischspra- Musikausübung bis zu den Medi- chige Broschüre, die einen Über- en und der Musikwirtschaft. blick über das gesamte Angebot Die neue Informationsbroschü- des MIZ bereit stellt. re kann kostenlos beim MIZ an- Dieses umfasst aktuelle Daten gefordert werden. ¿ Erfolg in Krakau: Das Flügelschlag-Quartett gewann beim Internationalen und Fakten, Strukturinformationen Manuel Czauderna Wettbewerb für zeitgenössische Kammermusik einen 1. Preis. Foto: Deutscher Musikwettbewerb/Michael Haring

DMR aktuell 7 ˜ Bundesauswahl Konzerte Junger Künstler Vorgestellt: die BAKJK-Künstler und ihre Programme (1)

Seit August sind 30 Musiker, In einer vierteiligen Serie stellt die 53. Konzertsaison der BAKJK

PROJEKTE davon elf in Ensembles und ein DMR aktuell die verschiedenen eröffneten. Solist, im Rahmen der 53. Bun- Künstler und ihre Programme vor – Für die Saison 2009/2010 wur- desauswahl Konzerte Junger in dieser Ausgabe das Quartett den bisher 230 Konzerte von 144 Künstler (BAKJK) auf Deutsch- sonic.art, das Duo Hecker-Simowitsch Veranstaltern gebucht. Das sind pro landtournee. und den Solisten Alexander Schimpf, Ensemble durchschnittlich fast 20 die mit ihren Konzerten im August Konzerte.

Duo Hecker-Simowitsch Oboe / Klavier Alexander Schimpf (*1981) Klavier solo

Mitglieder: Thomas Hecker (*1985), Janka Simowitsch (*1987) Ausbildung: Pianistische Ausbildung bei Prof. Wolfgang Manz in Hanno- ver sowie Studium bei Prof. Winfried Apel in Dresden und Bestehen: Das Ensemble formierte sich im Anschluss an den Prof. Bernd Glemser in Würzburg; Meisterklassendiplom Deutschen Musikwettbewerb 2008 für die 53. BAKJK. Programme in Programm I: Auswahl von Stücken der Komponisten Ausbildung: Hecker: Unterricht bei Almut Rönnecke am Robert- der BAKJK: Domenico Scarlatti, , Felix Mendelssohn Schumann-Konservatorium Zwickau (1995-2000) und bei Bartholdy, Henri Dutilleux und Franz Liszt; Christoph Gerbeth in Dresden (2000-2004). Seit 2004 Programm II: Stücke von Joseph Haydn, Claude Debussy Studium bei Klaus Becker an der Hochschule für Musik und Franz Schubert; und Theater Hannover; Programm III: Kompositionen von , Simowitsch: Ab dem Alter von 12 Jahren Jungstudium bei Isaac Albéniz sowie Adrian Sieber und Sergej Prokofjew; Prof. Karl-Heinz Will und Prof. Bernd Zack an der Hoch- Programm IV: Stücke von Johann Sebastian Bach, Claude schule für Musik und Theater Rostock und seit Oktober Debussy und Frédéric Chopin. 2005 Vollstudium an der HMT Rostock bei Prof. Matthias Kirschnereit, Prof. K.-H. Will und Prof. B. Zack. Preise: 2. Preis im Internationalen Klavierkonzertwettbewerb „Città di Cantù“ 2008 (Italien); Programme in Schumann und Freunde mit Stücken von Robert Schumann, Preisträger des Deutschen Musikwettbewerbs 2008 in der der BAKJK: Felix Mendelssohn Bartholdy, Clara Schumann und Johan- Kategorie Klavier solo; nes Brahms; 1. Preis des Internationalen Beethoven-Klavierwettbewerbs Französischer Abend mit Werken von Camille Saint-Saëns, in Wien 2009 Claude Debussy, Eugène Bozza, Francis Poulenc, Maurice Ravel und Henri Dutilleux; Bisherige Konzerthalle Bamberg, Dresdner Lukaskirche, Beethoven- Europareise mit Kompositionen von Wolfgang Amadeus Konzerte: halle Bonn, Festival MIDEM 2006 in Cannes, Auditorium Mozart, Carl Nielsen, Béla Bártok, Amilcare Ponchielli, du Louvre in Paris, Brucknerhaus Linz, Großer Saal des Francis Poulenc, Frédéric Chopin und Benjamin Britten. Wiener Musikvereins; außerdem spielte Schimpf beim Oberstdorfer Musiksom- Preise Hecker: Preisträger des Deutschen Musikwettbewerbs mer, bei den Kasseler Musiktagen, den Ludwigsburger (Auswahl): 2008 in der Kategorie Oboe; Schlossfestspielen und dem Heidelberger Frühling. Simowitsch: Stipendiatin des Deutschen Musikwettbe- werbs 2008 in der Kategorie Klavier solo; Kritik: „Den Pianisten interessiert das Innenleben der Werke.“ Beide sind in der Bundesauswahl Konzerte Junger Künst- (Haßfurter Tagblatt, Oktober 2007) ler verzeichnet. „…Die verschiedenen Ausdrucksebenen der Sonate zwi- schen Gesang und Fugato fügt er durch eine bruchlose Weitere Hecker war von Januar bis Juni 2009 als Solooboist im Aufmerksamkeit für kleinste Nuancen und große Bögen Informationen: Gewandhausorchester Leipzig unter Vertrag. Seit August zusammen. Eben deshalb macht es ungeheuren Spaß, ist er Solooboist im Deutschen Symphonie-Orchester Berlin. dem Musiker zuzuhören: Weil die über jeden Zweifel er- Internet: Informationen zu Janka Simowitsch auf der Website: habene Technik niemals vergessen lässt, dass es bei aller www.jankasimowitsch.de großen Musik um poetische Inhalte geht...“ (Nordbayeri- Kommende 29. Oktober, Hannover; 30. Oktober, Varel; 31. Oktober, scher Kurier Bayreuth, 11.5.2009) Konzerte: Sulingen; 1. November, Hanau; 8. November, Gießen; Aufnahmen: Die Produktion der Debut-CD in der Edition Primavera 6. Dezember, Ochtrup des Deutschen Musikrats (Deutschlandradio Kultur/Genuin) ist für 2009 geplant. Internet: www.alexander-schimpf.de Kommende 24. Oktober, Bramsche-Malgarten Konzerte: 25. Oktober, Bonn 29. November, Sulzbach a. M.

DMR aktuell 8 PROJEKTE ˜ Dirigentenforum Trainingsworkshop für Kinderkonzerte „Warum sieht der mit dem Stab tät gefragt. Unterschiedliche Veran- in der Hand aus wie ein Pinguin?“ staltungsformen wie Konzerte für fragte ein kleines Mädchen in ei- Kinder, Konzerte von Kindern, Kon- nem Kinderkonzert erwartungsvoll zerte mit Kindern, Tage der offenen seinen Vater. Berufskleidung für Konzerthaustür etc. wurden vorgestellt Musiker und Taktstöcke kannte es und durch eigene Ideen ergänzt. Über nicht – Spaß im Konzert hatte es die passende Musikauswahl wurde trotzdem. beratschlagt: Woher weiß man, ob ein Kinderkonzerte, Education-Projek- Stück für Kinder geeignet ist und wie te, Kooperationen mit Schulen und kann man es altersspezifisch aufbe- vieles mehr sind inzwischen fester reiten, damit es Gehör bei seinem Bestandteil der deutschen Theater- und jungen Publikum findet? Mitmach- und Orchesterlandschaft. Insbesondere Mitspielaktionen aller Art wie Body- sonic.art Saxofonquartett Dirigenten als Führungspersonen im Percussion, elementares Instrumental- Musikbetrieb müssen sich daher mit spiel, Improvisation mit Stimme, Spra- Mitglieder: Ruth Velten (*1980), Alexander Doroshkevich (*1980), dem immer wichtiger werdenden che und Instrumenten, Malen zur Martin Possega (*1980), Annegret Schmiedl (*1978) Thema der Musikvermittlung ausein- Musik etc. wurden ausprobiert und Ausbildung: Seit 2006 studiert das Quartett Kammermusik (Konzert- andersetzen. diskutiert. Ideenreichtum war auch bei examen) an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Im September gab es für die Sti- der Entwicklung potenzieller Inhalte Berlin bei Prof. Eberhard Feltz, Prof. William Forman pendiaten des Dirigentenforums erst- für Begleitveranstaltungen von Kin- und Prof. Wayne Foster-Smith. mals einen Workshop zur Konzept- derkonzerten wie Einführungskurse entwicklung und Moderation von oder künstlerisch-praktische Schul- Programme in rhythm is it! mit Kompositionen von György Ligeti, Philip Kinder- und Familienkonzerten. Un- workshops gefragt. der BAKJK: Glass, Perry Goldstein, Dmitri Schostakowitsch, Michael ter der Leitung von Barbara Stiller, Ein Einblick in bewährte Arbeits- Nyman und Mike Mower; Professorin für Elementare Musikpä- bündnisse für konzertpädagogische crossover mit Stücken von Alexander Glasunow, Erkki- dagogik an der Hochschule für Künste Vermittlung rundete die Kurs-Thema- Sven Tüür, Malte Giesen (Preisträger des 1. Kompositions- Bremen, und Christian Schruff, frei- tik ab. Im Zentrum des Workshops wettbewerb des DMW) und Antonín Dvorák; Die Kunst der Fuge mit Werken von Johann Sebastian Bach; à la française mit Stücken von Jean Françaix, Florent Schmitt, Fabien Lévy und Claude Debussy. Bei der Musikauswahl legen sonic.art besonderen Wert auf Originalkompositionen für Saxofonquartett. So liegt ihr Schwerpunkt auf der Interpretation zeitgenössischer Werke. Preise: Preis des Deutschen Musikwettbewerbs in der Kategorie „Ensembles in freier Besetzung“ 2008; 1. Preis sowie Grand Prix des internationalen Kammer- musikwettbewerbs für zeitgenössische Musik Krakau/ Polen 2007; 2. Preis des Gianni Bergamo Classic Music Award Schweiz 2009 Stipendien: Deutsche Stiftung Musikleben, Friedrich-Jürgen-Sellheim- Gesellschaft Hannover, Verein Yehudi Menuhin – Live Music Now, Celibidache Stiftung Kritik: „…Vom Erfolg solcher Ensembles wie sonic.art wird dereinst der Erfolg der abhängen…“ (Die Welt, 14.7.2008) „…Mit jedem Takt, jedem Satz, jedem Stück wuchs das Staunen über die klangliche Vielfalt des Ensembles und Fit gemacht für Kinderkonzerte: die Dirigentenforum-Stipendiaten Daniel die Virtuosität seiner Mitglieder, deren lustbetontes Huppert, Maria Benyumova und Cornelius Volke. Foto: Andrea Will Musizieren zu durchaus lustvollem Hören anstiftete. Dazu kamen ein präzises Zusammenspiel, ein homogener beruflicher Rundfunkjournalist und standen immer wieder die Rolle des Klang, saubere Intonation, gute Tempi, perfekte Rubati Moderator von Kinder- und Jugend- Dirigenten und die Frage, wo Gren- und Accelerandi. Kurz: Alles stimmte.“ (Elbe-Jeetzel- konzerten, wurden die Bereiche Kon- zen und Potenziale liegen, wenn mu- Zeitung, 20.4.09) zertdramaturgie, Kommunikation und sikalische Leitung und Musikvermitt- Rhetorik mit dem Ziel erörtert, die lung in Personalunion vereint werden. Aufnahmen: In diesem Jahr erscheint die Debut-CD des Ensembles in Teilnehmer auf ihre Tätigkeit als Am Ende hielt jeder Teilnehmer der Edition Primavera des Deutschen Musikrats (Genuin). Musikvermittler vorzubereiten. sein individuelles Konzept für kom- Internet: www.sonicartquartett.de Zunächst setzten sich die Work- mende Kinderkonzerte in Händen. shopteilnehmer mit den Grundlagen Einige Workshopteilnehmer werden Kommende 29. Oktober, Rotenburg/Wümme der allgemeinen Musikvermittlung auf Vermittlung des Dirigentenforums Konzerte: 14. November, Weimar auseinander. Bei der Entwicklung ei- die Gelegenheit haben, dieses mit 18. November, Bad Homburg nes Konzepts für ein Kinderkonzert einem der zahlreichen Partnerorches- 4. Dezember, Kassel war jedoch nicht nur theoretisches ter umzusetzen. ¿ Wissen, sondern vor allem Kreativi- Andrea Meyer-Borghardt

DMR aktuell 9 ˜ Deutscher Chorwettbewerb ein anständiges Konzert im Hessischen Hoch’s Konservatorium im Frankfurter gehört, bekam jeder Dozent wie in Ostend, bei dem die Ergebnisse dieses Heinz Schenks Kultsendung „Zum landesweit ausgeschriebenen Workshops Swing & Scat mit Engeln und Bembel Blauen Bock“ ein Paket mit Bembel, des Deutschen Musikrats jetzt vorgestellt Mit einem Teilnehmerrekord ist Rammstein Songs „Engel“ zweifellos Äppelwoi und geripptem Glas über- wurden, nicht so viele sichtlich vergnügte, die 3. Masterclass des Deutschen einer der Höhepunkte der ersten reicht. Einhellige Meinung der Teil- ja geradezu enthusiasmierte Sänger auf Chorwettbewerbs (DCW) für Konzerthälfte. nehmer: Dieser Workshop sollte öfter der Bühne erlebt, deren Hochstimmung PROJEKTE Swing und Scat Vocals in Ilben- Im zweiten Teil kamen Teilneh- stattfinden. Eine Fortsetzung ist in zwei sich ohne Umschweife auf das Publi- stadt und Frankfurt am Main zu mer und Dozenten zum Zuge: Jeder Jahren geplant. Herwig Barthes kum übertrug. Wer bislang der Meinung Ende gegangen. Dozent dirigierte ein Stück aus sei- — „Hochstimmung“ – Wolfgang war, Scat-Gesang sei etwas aus der Mode 50 Jazz-Vokalisten und -chorlei- nem Repertoire. Krönender Abschluss Sandner schrieb in der Frankfurter All- gekommen und eigentlich mit Ella Fitz- ter brachten vom 9. bis16. August nicht waren nicht nur ein packender Scat- gemeinen Zeitung (17. August): gerald zu Grabe getragen worden, hät- nur das Kloster Ilbenstadt im Nidda- Battle über das Uptempo-Stück „Was auch immer in dieser einen Wo- te beim Besuch der Veranstaltung eines tal zum Swingen und Grooven, als „Cloudburst“ mit Kirby Shaw, Roger che der Meisterklasse für Swing- und Besseren belehrt werden können. Und sie mit den derzeit weltbesten Jazz- Treece, Bob Stoloff, Matthias Becker Scatgesang im Kloster Ilbenstadt im wer Chorgesang noch immer mit älte- sängern und -dozenten zusammen- und Andrea Figallo sondern auch eine Niddatal passiert ist: Seraphisch, melan- ren Herrschaften assoziiert, die überkom- arbeiteten. Auch beim Abschlusskon- a cappella-Improvisation aller Dozen- cholisch, bierernst oder gar akademisch menes deutsches Liedgut aus besonders zert am Dr. Hoch’s Konservatorium ten über den Otis Redding Klassiker steif kann es nicht zugegangen sein. Sonst feuchten Kehlen intonieren, müsste nun Frankfurt mit allen Teilnehmern und „Stand by me“. Und wie es sich für hätte man im Abschlusskonzert am Dr. ebenfalls neu nachdenken.“ ¿ dem Gastgeberchor „Soundsation“, selbst mehrfacher DCW-Preisträger, sprang der Funke schnell auf das Pub- likum über. Enthusiasmierte Zuvor feilten Kirby Shaw (USA), Sänger: Bob Stoloff (USA), Roger Treece Der künstleri- (USA), Andrea Figallo (I), Wolfgang sche Leiter Schäfer (D) und Reinette van Zijtveld- Matthias Becker Lustig (NL) an den Stücken, die für traf in der das Seminar vorbereitet werden 3. Masterclass mussten und boten Workshops zu auf äußerst Spezialthemen an. Matthias Becker, temperament- selbst international renommierter Jazz- volle Stimmen. vokalist und Jazzchorleiter, übernahm Fotos: Jan Karow wie bei den vorangegangenen Work- shops die Gesamtleitung. Den Auftakt beim Abschlusskon- zert machten die Gastgeber „Sound- sation“ mit dem Lionel Richie-Hit Hello, gefolgt vom Swing Klassiker Singin’ in the rain. Danach auf der Bühne:

˜ Deutscher Orchesterwettbewerb Seminaroffensive für Dirigenten Passend zur Bundestagswahl im echte Marktlücke in diesem Bereich. Superwahljahr 2009 hatten nicht Die Dirigenten der Sinfonieorches- nur die Dirigenten des Deutschen ter trafen sich vom 9. bis 11. Okto- Orchesterwettbewerbs (DOW), ber in Potsdam. Gemeinsam mit Karl- sondern alle Interessierten in Heinz Bloemeke und dem Jugend- Deutschland die Qual der Wahl: sinfonieorchester der Städtischen Sie konnten sich zwischen vier Musikschule „J. S. Bach“ Potsdam, das hochkarätigen Veranstaltungen den vergangenen DOW in Wupper- zum Thema Dirigieren entschei- tal mit sehr gutem Erfolg absolvierte, den. erarbeiteten sie ein anspruchsvolles Lehrer und Arrangeur für vokalen Den Auftakt bildete am Wochen- Programm (Dvorák, 9. Sinfonie, 1. Satz; Groove: Der US-Sänger Kirby Shaw ende der Bundestagswahl das Semi- Beethoven, 1. Sinfonie, 1. Satz; Felix machte deutsche Vokalisten fit. nar für Gitarrenensembles und Zupf- Mendelssohn Bartholdy, Violinkon- orchester an der Universität in Han- zert, 1. Satz). die „Str8 Voices“, ein Vokalensemble, nover. Das Mandolinen- und Gitar- Vom 16. bis 18. Oktober war Leitete Workshop für Gitarren- bestehend aus Studenten der Musik- renorchester Empelde, selbst mehr- Nürnberg die Hauptstadt der Akkor- ensembles: Mario Solera. hochschule Hannover. Eine Neuerung, fach erfolgreicher DOW-Teilnehmer, deonisten. Fachkundig begleitete Ste- denn bei diesem Workshop konnten fungierte dabei als Workshop-Orches- fan Hippe (Komponist und Dirigent) gierkurs für Blasorchesterdirigenten sich zum ersten Mal auch Ensembles ter. Die DOW-Organisatoren Helmut die Teilnehmer bei ihrer Probenar- statt. Probenorchester war der Orches- anmelden. Sie wurden täglich von Schubach und Herwig Barthes hat- beit mit dem Nürnberger Akkordeon- terverein Harmonie Ormesheim (Saar- einem der Weltklassedozenten ge- ten den international renommierten orchester Willi Münch. Dieses Orches- land). coacht. Bis zuletzt hatten die geradli- Gitarristen und Pädagogen Mario So- ter hatte beim DOW 2008 den ersten Teilnehmen konnten nicht nur nigen Stimmen aus Hannover mit lera aus Costa Rica als Leiter gewin- Platz erreicht. Dirigenten der bisherigen Deutschen Andrea Figallo an Nuancen gefeilt: nen können. Der Schwerpunkt der Parallel dazu fand in Bliesmengen- Orchesterwettbewerbe und der Lan- So war ihre teils ironische und au- Veranstaltung lag auf der Erarbeitung Bolchen im Saarland unter der Lei- deswettbewerbe, sondern alle an Or- genzwinkernde Interpretation des lateinamerikanischer Musik – eine tung von André Reichling der Diri- chesterarbeit Interessierten. ¿

DMR aktuell 10 VERBÄNDE ˜ VDKD Musikpreis für Ruben Cossani Der mit 10000 Euro dotierte Mu- sikpreis des Verbandes der Deut- schen Konzertdirektionen (VDKD) geht in diesem Jahr an die Band Ruben Cossani. Die Auszeichnung wird jährlich wechselnd an förderungswürdige jun- ge Musiker, Bands oder Ensembles aus den Bereichen der E-Musik oder U-Musik vergeben, die zur Entwick- lung eines innovativen, hochwertigen und vielfältigen Musiklebens in Deutsch- land beitragen. Die Preisverleihung fand im Rahmen der VDKD-Jahres- tagung am 28. September im Berli- ner Admiralspalast statt. Die Lauda- tio auf die Band aus Hamburg hielt Heinz Canibol, Chef des Hamburger Labels 105music. Mitsponsor und Me- dienpartner des Preises ist das Bran- chenmagazin „musikmarkt + musik- markt LIVE!". In der Begründung der Jury hieß Melodisch-geistreiche Ohrwürmer: Ruben Cossani. © VDKD es: „Ruben Cossani besitzen einen ausgeprägten Sinn für Melodien und Harmonien, Gesang und instrumen- rung, und überzeugt auch bei Live- die Instrumente. Gegründet wurde Köln/Münster) sowie Markus Lohmül- tale Darbietung sind perfekt vereint. Auftritten.“ Ruben Cossani Ende 2007, ihr De- ler („musikmarkt + musikmarkt LIVE!“, Die deutschsprachigen Texte sind Ruben Cossani sind Michel van büt-Album „Tägliche Landschaft“ er- München) und Martin Schrüfer (Kon- geistreich und klug und berichten aus Dyke, Konrad Wissmann und Leo- schien 2008. Am 4. September folg- zertmagazin „event“). Der Preisträger den verschiedensten Situationen des nard Valentin Lazar. Die Songs wer- te das neue Album „Alles auf einmal“. wurde aus Vorschlägen ermittelt, die Lebens. Ruben Cossani spielen mit den von dem Komponisten, Produ- Unter dem Vorsitz von Michael die Mitglieder des VDKD bis zum 15. Elementen aus der Musikgeschichte zenten und Musiker Michel van Dyke Russ, Präsident des VDKD, gehörten Mai dieses Jahres einreichen konnten. und schaffen eingängige, moderne und geschrieben, die gesamte musikalische der Jury des Musikpreises 2009 an: Im Jahr 2005 wurde der Preis erstmals originelle Pop-Songs, wahre Ohrwür- Arbeit wird auf das Trio verteilt. Die Karsten Jahnke (Karsten Jahnke Kon- vergeben, bisherige Preisträger sind mer, ohne dabei floskelhaft zu sein. Bandmitglieder wechseln sich nicht zertdirektion, Hamburg), Pascal Fun- Madsen (2005), Joseph Moog (2006), Die Band besitzt eine junge, dynami- nur beim Part des Leadsängers ab, ke (Funke Media, Hamburg), Andre- Triband (2007) und Koryun Asatry- sche Ausstrahlung, gepaart mit Erfah- sondern tauschen untereinander auch as Möller (Konzertbüro Schoneberg, an (2008). ¿ „Wer ist wo“: Künstlerliste veröffentlicht ˜ European Piano Teachers Association Die aktuelle Künstlerliste des EPTA auf den „Wegen der Romantik“ Verbandes der Deutschen Konzertdirektionen (VDKD) Der Jahreskongress 2009 der Euro- zenbuch Nr. 6 von Franz Liszt“ vor. ist erschienen. pean Piano Teachers Association Weitere Beiträge beschäftigen sich mit Unter dem Titel „Wer ist (EPTA) findet vom 30. Oktober bis Klaviermusik von Zdenek Fibich (Ra- wo“ informiert die Ausgabe 1. November in der Clara-Schu- doslav Kvapil), Norbert Burgmüller 2010 über mehr als 2000 mann-Musikschule Düsseldorf statt (Tobias Koch), Theodor Kirchner Künstler und deren Vertretun- und steht diesmal unter dem The- (Klaus Oldemeyer) und Friedrich Kiel gen, die im VDKD zusammen- ma „Haupt- und Nebenwege der (Dietmar Schenk, Oliver Drechsel). geschlossen sind. Die Künstler- Romantik“. Das ausführliche Programm ist liste ist nach Musikstilrichtun- Mit Vorträgen und Konzerten wird erhältlich bei der Geschäftsstelle der gen, Instrumenten und Ensemb- der Kongress romantische Hauptströ- EPTA, Schanzenstraße 24, 34130 legrößen gegliedert und ermög- mungen beleuchten, aber auch auf Kassel, oder kann im Internet einge- licht Veranstaltern, Tourneeun- manchen zu Unrecht vergessenen sehen werden: ternehmern und anderen Inte- Komponisten aufmerksam machen. www.epta-deutschland.de ressierten einen einfachen Zu- Für den Einführungsvortrag zum The- Die European Piano Teachers griff auf Künstler aus dem ge- ma „Poetische Eröffnungen. Charak- Association wurde 1978 von der samten Spektrum der musika- teristische Anfänge romantischer Kla- Tastenpädagogin Carola Grindea in lischen Unterhaltung von der vierwerke“ konnte Ulrich Mahlert England gegründet. Die deutsche Klassik über den Jazz bis in gewonnen werden. Claudia Malzfeldt EPTA-Sektion, die sich 1979 bildete, sämtliche Sparten der U-Musik. Die der Geschäftsstelle des Verbandes kos- spricht über vierhändige Klaviermu- führt jährlich einen Kongress und ein Publikation enthält außerdem ein Mit- tenfrei zu erhalten und auf dessen sik von Felix Mendelssohn Barthol- Seminar durch. Dabei werden künst- gliederverzeichnis aller dem VDKD Internetpräsentation auch online zu- dy, Albert Brussee (EPTA Niederlan- lerische und wissenschaftliche Fragen angeschlossenen Agenturen, Konzert- gänglich. de) stellt in Wort und Ton „Entde- dargestellt, diskutiert und praktisch veranstalter und Stiftungen. Sie ist bei [email protected], www.vdkd.de ¿ ckungen und Geheimnisse im Skiz- erprobt. ¿

DMR aktuell 11 ˜ Verband deutscher Musikschulen „Leopold“ für gute Kindermusik

Zum siebten Mal hat der Verband sitzende Reinhart von Gutzeit bestä- deutscher Musikschulen zusam- tigte: „Seit es den ‚Leopold‘ gibt, ha- men mit dem Bundesjugendminis- ben wir eine zunehmende Qualität

VERBÄNDE terium am 11. September im WDR bei den Kindermusik-Produktionen Funkhaus Köln den Medienpreis feststellen können. Beeindruckend „Leopold“ verliehen. beim diesjährigen Wettbewerb war Sieben von 19 nominierten CDs auch die große Bandbreite mit Welt- wurden mit dem „Leopold“ ausge- musik, Jazz, Rock- und Popmusik bis zeichnet, weitere zwölf aus über 160 hin zu sehr guten Klassik-CDs. Es ist eingereichten Wettbewerbsbeiträgen alle zwei Jahre eine große Freude, sich erhielten das Prädikat „Empfohlen vom mit den Produktionen auseinander- Verband deutscher Musikschulen“. zusetzen, die kreative Künstler für ein Der „Leopold“ – überreicht von Mi- junges Publikum entwickelt haben.“ nisterialdirigent Johannes-Wilhelm Rörig und dem VdM-Vorsitzenden Gute Musik hat prophy- Winfried Richter – ging in diesem Jahr laktische Wirkung an die CD-Produktionen „Arnold Schönberg: Die Prinzessin und Afri- Partner des „Leopold“ sind das ka“ (Cybele Records), „Schmetterlings- Kulturradio WDR 3 und die Initiati- küsschen“ (Edition SEE-IGEL), „Wir ve Hören. „Kreativität, emotionale ˜ 25 Jahre Musikakademie Marktoberdorf Kinder vom Kleistpark machen Mu- Intelligenz, geistige Vitalität und sinn- sik“ (Elena Marx & Jens Tröndle), „Die liche Ausdruckskraft sind erwiesene verhexte Musik“ (New Classical Ad- Effekte des Umgangs mit guter Mu- Die Mischung unterschiedlicher venture), „Inspektor Maus“ (Panama sik“, erläuterte WDR3-Programmchef Records), „Wer hat Angst vor Mister und Vorstand der Initiative Hören, Karl Musikstile macht’s Werwolf?“ (Terzio) und „Pelemele! Karst. „Gute Musik hat somit prophy- Marktoberdorf hatte Grund rerfortbildung „Lehrer singen – Kin- Rockwürste“ (Tone De Cologne). laktische Wirkung – für jeden Einzel- zum Feiern: 1984, also vor 25 der klingen“ in Zusammenarbeit Zum fünften Mal entschied auch nen und für die Gesellschaft. Eine Jahren, wurde hier die Bayerische mit der Regierung von Schwaben; die Zielgruppe selbst: Die Klasse 8em Gesellschaft, die sich nur wenig um Musikakademie als zweite der ein Kurskonzept, dass die Voraus- des Humboldt-Gymnasiums Köln prä- die musischen Grundkompetenzen drei bayerischen Akademien ge- setzung für die Einführung von mierte die Kinderlieder-CD „Luftmusik ihrer Mitglieder bemüht, riskiert geis- gründet. Chorklassen in Bayern ist. Karl und Feuerfarbe“ (Ökotopia Verlag) tige Bewegungsarmut, sinnliche Ver- Untergebracht im ehemals kur- Zepnik, künstlerischer Leiter des mit dem Sonderpreis „Poldi“. „Der Me- kümmerung, materielle Fixierung und fürstlichen Schloss inmitten der reiz- Hauses, war maßgeblich an der dienpreis ‚Leopold – Gute Musik für am Ende auch den Verlust ihrer vollen Allgäuer Voralpenland- Entwicklung und Umsetzung be- Kinder’ hat es sich zur Aufgabe ge- Wettbewerbsfähigkeit. Ohne Ideen ist schaft, erfreut sich das Haus seitdem teiligt. Resultat ist, dass es im neu- macht, qualitätvolle, für unterschied- kein Staat zu machen!" größter Beliebtheit. Rund 130 000 en Schuljahr erstmals zehn Chor- liche Altersstufen geeignete Hörme- Der Medienpreis „Leopold“ gilt als Besucher nutzten bis heute die klassen an bayerischen dien zu fördern und Eltern zu helfen, eine der wichtigsten deutschen Aus- idealen Probebedingungen und das Grundschulen geben wird. die richtigen CDs für ihre Kinder zu zeichnungen für Musiktonträger für sorgfältig ausgewählte Kursange- Ganz im Sinne der eigenen finden“, so Bundesjugendministerin Kinder. Bewertet werden künstleri- bot. Grundsätze feierte man das Jubi- Ursula von der Leyen. Der Juryvor- sche und technische Qualität, Fanta- Großer Wert wird in Markt- läum in Marktoberdorf mit etwas sie und Originalität. Der Preis wird oberdorf auf die kontinuierliche Neuem. Wolfram Buchenberg seit 1997 alle zwei Jahre vergeben. Weiterentwicklung der Kurse und wur-de beauftragt, ein Stück nach Der „Leopold“ im Internet: Seminare gelegt. Man ist offen für den Leitsätzen der Akademie zu www.medienpreis-leopold.de ¿ innovative Ansätze und fördert die- schaffen: die Verbindung unter- se konsequent. Dabei entstanden schied-licher musikalischer Berei- Top-Seminare wie die „Internatio- che und Stile zu einem großen Gan- nal Summer Academy for Young zen. Gloria, der Titel des Werks Artists“, der Meisterkurs für hoch- für Big Band und Chor, wurde im begabte Streicher und Pianisten Rahmen des Festkonzerts am 25. und das legendäre Drum-Camp Juli in der St. Martins Kirche Markt- „Rhythm“, das die weltbesten oberdorf, gleich neben der Aka- Schlagzeuger und Percussionisten demie gelegen, uraufgeführt. Karl nach Marktoberdorf holt. Weite- Zepnik und Harald Rüschenbaum re Schwerpunkte sind Seminarrei- studierten das Werk ein. Mitwir- hen wie „wind-richtung“, das en- kende waren das Mendelssohn Vo- gagierte Bläser, Dirigenten und calensemble, der Carl Orff-Chor Komponisten sinfonischer Blasmu- Marktoberdorf, der Jugendchor des sik fördert, oder Angebote aus dem Chorverbands Bayerisch-Schwa- Bereich Vereinsmanagement. Da- ben und das Landes-Jugendjazz- neben hat auch der Jazz eine Hei- orchester Bayern. Ein unvergess- mat gefunden: Bayerns junge Szene liches Erlebnis zu Ehren dieser trifft sich hier zu Workshops und besonderen Bildungseinrichtung im dem Landeswettbewerb „Jugend Süden Bayerns. 19 Kindermusikproduktionen hat der Verband deutscher Musikschulen zusam- jazzt“. Informationen zur Akademie: men mit dem Bundesjugendministerium dieses Jahr ausgezeichnet – alleine Neuestes Projekt ist die Leh- www.modakademie.de ¿ sieben davon mit dem Medienpreis „Leopold“. Foto: Claudia Wanner

DMR aktuell 12 LANDESMUSIKRÄTE ˜ Landesmusikrat Bayern Chorklassen-Start an bayerischen Schulen

Das Netzwerk Musik in Bayern des Vermittlung stimmphysiologisch rich- Bayerischen Musikrats präsentierte tiger Einsing- und Vorsingtechniken, sein Modellprojekt „Chorklassen damit sich die Kinderstimme unter an Grundschulen in Bayern“ auf fachgerechter Anleitung gesund und dem Fachkongress „Bildungskom- natürlich entwickeln kann und die pass Klasse Chor!“ im Rahmen der Kinder verstärkt Freude am Singen ChorVision 2009 Ende Juli in gewinnen. Alle Fortbildungsinhalte Marktoberdorf (siehe auch Beitrag wurden darauf ausgerichtet, die Leh- auf der linken Seite!). rer zur Entwicklung und Pflege der „Chorklassen an Grundschulen in natürlichen Kinderstimme in Sing- und Bayern“ ist Teil einer Gesamtkonzep- Spielkreisen und in Chören zu befä- tion, die darauf zielt, Grundschulkin- higen. Die Vermittlung erfolgte im dern in der 1. und 2. Klasse über den Plenum und in Kleingruppen durch Weg der Erfahrung der eigenen Stim- bundesweit tätige, in ihrem Fachge- me als ureigenes Instrument eine biet anerkannte Dozenten. möglichst breite musikalische Basis- bildung zu ermöglichen, worauf in den Verdopplung der wöchentlichen Chorklassenkinder aus Markt Rettenbach und Marktoberdorf zeigten zum Jahrgangsstufen 3 und 4 sowie an Musikunterrichtsstunden Auftakt der ChorVision 2009 begeistert ihr musikalisches Können. weiterführenden Schulen jede Art Am Rande des Fachkongresses musikalischer Betätigung aufbauen „ChorVision 2009“ erhielten die ers- Singen in Chorklassen auf Lehrer und mer der „ChorVision 2009“ einen un- kann. Diese Gesamtkonzeption ge- ten Absolventen dieser Fortbildung Schüler hat. mittelbaren Einblick in die Ausbildung lingt Dank der Kooperation mit ver- von Ministerialrat Michael Weiden- In einer Präsentation durch die „Lehrersingen, Kinder klingen“ und schiedenen Institutionen und Verbän- hiller ein Zertifikat, das die Grund- Projektleiterin Christiane Franke und in den Alltag einer Chorklasse in der den des Musiklebens in Bayern sowie schullehrer zur Leitung von Chorklas- mit einem Film erhielten die Teilneh- 1. Jahrgangsstufe. ¿ der Förderung durch die Staatsminis- sen befähigt. „Chorklassen in Bayern“ terien für Unterricht und Kultus und umfasst die Ausweitung des regulä- ˜ Wissenschaft, Forschung und Kunst. ren Musikunterrichts in der 1. und 2. Landesmusikrat Brandenburg Wesentlicher Bestandteil dieses Klasse Grundschule von zwei auf vier Modellprojekts ist eine von Karl Zep- Stunden pro Woche. 2008 bewillig- Chorwettbewerb mit besten Ergebnissen nik, Gesangspädagoge und künstleri- te das Staatsministerium für Unter- scher Leiter der Musikakademie Markt- richt und Kultus dieses Projekt für 20 Ende Juni fand der 5. Landeschor- Rostock, Peter Vagts und Detlef Sta- oberdorf, ausgearbeitete Fortbildung Klassen an Grundschulen im Regie- wettbewerb Brandenburg erfolg- noschefsky aus Berlin bewerteten die „Lehrer singen, Kinder klingen“ für rungsbezirk Schwaben, um zu erpro- reich seinen Abschluss. Nachdem Leistungen der Chöre in Templin. Grundschullehrer. Der Startschuss ben, wie sich vertieftes Singen auf sich bereits am 9. Mai in Schönei- Als Ergebnis des Landeschorwett- dazu fiel erstmalig zum Schuljahr Lehrer und Schüler auswirkt. che die Kinder- und Jugendchöre bewerbs wurden drei Chöre aus Bran- 2007/2008. An 20 Seminartagen, Zum Schuljahr 2008/2009 star- zum Wettstreit getroffen hatten, denburg aufgrund ihrer sehr guten verteilt über zwei Schuljahre, lernten teten die ersten Chorklassen in Markt präsentierten sich nun im Multi- Leistungen zum 8. Deutschen Chor- 42 Lehrer aus dem Regierungsbezirk Rettenbach und in Marktoberdorf. kulturellen Centrum Templin ge- wettbewerb delegiert: das A cappel- Schwaben den natürlichen Umgang Weitere werden im Schuljahr 2009/ mischte Chöre, Frauen- und Män- la-Ensemble „vokalverkehr“ aus Schön- mit der eigenen Stimme und mit der 2010 folgen. Mit diesem Chorklas- nerchöre sowie Vokalensembles eiche unter Leitung von Leopold Kinderstimme. Zu den wesentlichen sen-Start wird im Rahmen einer Eva- einer Fachjury und der Öffentlich- Hoepner, „PopKon“ aus Cottbus un- Fortbildungsinhalten zählten Erwach- luation unter der Federführung von keit. ter Leitung von Ilja Panzer und der senenstimmbildung, altersgemäße Bernhard Hoffmann von der Univer- Insgesamt beteiligten sich 27 Chöre Frauenchor „Junges Vokalensemble Literaturauswahl, Grundlagen der sität Regensburg ermittelt, welche kon- mit rund 900 Sängern am Landes- Potsdam“ unter der Leitung von Gab- Hörschulung und -erziehung sowie die kreten Auswirkungen das vertiefte chorwettbewerb, der gleichzeitig Aus- riele Tschache. wahlverfahren für den Deutschen Chor- wettbewerb ist. Besonderes Anliegen dabei ist die Begegnung der Chöre. Übergabe der Zelter- Das gegenseitige Vergleichen, Ken- plaketten 2009 nenlernen und Hören neuer Litera- tur bringen Anregungen und Inspira- Am 16. Mai wurden innerhalb des tionen. In Templin wurde davon rege 10. Chorfests des Brandenburgi- Gebrauch gemacht und nicht nur im schen Chorverbands in Rheinsberg Saal, sondern auch draußen im Frei- die Zelterplaketten 2009 verliehen. en gemeinsam gesungen. So kamen Von den 133 in diesem Jahr in die zahlreichen Zuschauer auf ihre der Bundesrepublik verliehenen Zel- Kosten und konnten bei den öffent- terplaketten gingen zwei nach Bran- lichen Wertungssingen die große Band- denburg. Im Auftrag von Bundesprä- breite und Vielfalt der deutschen und sident Horst Köhler und Ministerin internationalen Chormusik erleben. Johanna Wanka überreichte ein Ver- Als besondere Gäste konnten Ul- treter des Ministeriums für Wissen- rich Schoeneich, Bürgermeister von schaft, Kunst und Kultur die Zelter- Templin, der auch Schirmherr der plakette an die Chöre CV Bäcker- und Veranstaltung war, sowie Michael Männerchor Cottbus und Chorge- Blume als Vertreter des Deutschen meinschaft Schöneiche 1909. Die „Lehrer singen, Kinder klingen“: Grundschullehrer aus dem Regierungsbezirk Musikrats aus Bonn begrüßt werden. Laudatio hielt die LMR-Vizepräsidentin Schwaben erwarben in einer zweijährigen Ausbildung die Befähigung zur Lei- Die Juroren Christian Frank aus Wei- und Direktorin der Musikakademie tung von Chorklassen. mar (Vorsitz), Ursula Stigloher aus Rheinsberg, Ulrike Liedtke. !

DMR aktuell 13 Jugend komponiert: Musik erfinden und gestalten Foto: LMR NRW Der diesjährige Wettbewerb „Ju- Landesmusikrat Brandenburg mittler- gend komponiert“ war ausgeschrie- weile seit 15 Jahren durchführt. ben für Klavier, Saxofon und Ge- Die Kompositionswerkstatt zum sang (Sopran oder Bariton). Wettbewerb „Jugend komponiert“ Der Jury gehörten Theo Brandmül- fand während der Pfingstwerkstatt für ler, Max E. Keller und Arne Sanders Neue Musik in Rheinsberg statt. Die an. Das Kuratorium vergab auf Grund Aufgabe der Werkstatt besteht vor der Bewertungen die Preise in der Al- allem darin, die von den jungen Leu- tersgruppe I (10 bis 17 Jahre) an David ten komponierten Stücke mit den Osten (1. Preis), Meredi Arakelian (2. Dozenten (Helmut Zapf als Kurslei- Preis) sowie zwei 3. Preise an Dai ter, Johannes K. Hildebrandt aus Hwang und Michael Witte. In der Al- Weimar und Lothar Voigtländer aus LANDESMUSIKRÄTE tersgruppe II (18 bis 25 Jahre) erhielt Berlin) zu erarbeiten, Fehler zu korri- den 1. Preis Aziz Lewandowski, den gieren sowie die Stücke auf ihre Spiel- 2. Preis Kaspar Querfurth und den 3. barkeit hin zu überprüfen. Preis Niklas Heide. Die Preise sind Auch 2010 soll der Wettbewerb Kompositionsstipendien, die dankens- „Jugend komponiert – Musik erfin- werterweise von der GEMA-Stiftung den und gestalten“ Kinder und Jugend- zur Verfügung gestellt wurden. Die liche ermuntern, ihre eigenen klang- Preisträger erhalten Unterricht bei den lichen Vorstellungen zu formen. Die Aufnahmen im Singmobil: Die Singkampagne machte auch in Lippstadt Halt. Komponisten Sebastian Stier, Steffen Ausschreibung erfolgte vom Landes- Reinhold, Arne Sanders sowie Hel- musikrat Brandenburg für die Instru- ˜ Landesmusikrat Nordrhein-Westfalen mut Zapf. mente Trompete, Kontrabass, Marim- Auch die Sparkassenstiftung Ost- bafon und Alt-Saxofon. Einsende- Kinder-Wettbewerb: „Wer singt, gewinnt!“ prignitz-Ruppin und das Ministerium schluss ist der 14. Februar 2010. Mehr für Wissenschaft, Forschung und Kultur Informationen unter: In 169 Städten und Gemeinden vorgelegt, die fünf Teams auswählt. unterstützten dieses Projekt, das der www.Landesmusikrat-Brandenburg.de des Landes Nordrhein-Westfalen Zu gewinnen gibt es eine Reise zu veranstaltete der Landesmusikrat „Ritter Rost“ nach Düsseldorf oder NRW an den Wochenenden zwi- Köln sowie „Ritter Rost“-Bücher und schen dem 14. August und dem -CDs. Am 1. November findet die Ab- 6. September den Wettbewerb schlussveranstaltung des Wettbewerbs „Wer singt, gewinnt!“ für Kinder im RWE-Pavillon der Philharmonie im Alter zwischen sechs und zehn Essen statt. Der Wettbewerb, der für Jahren. das Singen werben will, ist ein För- Kindergruppen zwischen drei und derprojekt des Ministerpräsidenten des zwölf Kindern konnten in einem der Landes Nordrhein-Westfalen. Weitere acht durch das Land fahrenden Sing- Informationen unter: mobile ihren Gesang aufnehmen las- www.wersingtgewinnt.de sen. Die Beiträge werden einer Jury GEMA vs. Google: LMR auf Autorenseite Einige Landesmusikräte stellen sich nisten und Textdichter nach Trans- im Lizenzkonflikt zwischen der parenz und angemessener Vergütung GEMA und Google hinter die seitens YouTube/Google durch die Komponisten und Textdichter. GEMA. Ein Vertrag zwischen der Verwer- Der wirtschaftliche Wert einer frei tungsgesellschaft und der Google- zugänglichen Bereitstellung von Mu- Tochter YouTube über eine Pauschal- sikvideos im Internet und insbesondere Ulrike Liedtke, Vizepräsidentin des Landesmusikrats Brandenburg, zeichnete vereinbarung zur Zahlung von Li- auf YouTube bestimmt sich im Grunde die jungen Komponisten beim Abschlusskonzert „Jugend komponiert“ im zenzgebühren lief zum 31. März aus. nach den dort im Umfeld erzielbaren Schlosstheater Rheinsberg aus. Foto: Jana Einecke Bislang konnten sich die Parteien nicht Werbeeinnahmen. Ohne die von auf einen neuen Vertrag einigen. Komponisten und Textdichtern ge- Orchesterleitung als Zusatzausbildung Dies führt zu Einschränkungen bei schaffenen musikalischen Inhalte funk- der Nutzung von gestreamten Mu- tioniert das Geschäftsmodell dieser Der Landesmusikrat Brandenburg tion und Schlagtechnik, Umsetzung sikvideos oder Clips, die mit Musik Plattformen nicht. unterstützt seit 2009 im Rahmen dirigentischer Inhalte mit dem Studio- von GEMA-Künstlern unterlegt sind. Werden die Urheber nicht in an- einer Kooperation mit der Univer- orchester „Landespolizeiorchester“, Es führt aber auch dazu, dass weiterhin gemessener Größenordnung an die- sität Potsdam und dem Landes- Reflektion und Auswertung mit er- Musik von deutschen Urhebern auf ser Verwertung beteiligt, droht ange- polizeiorchester Brandenburg die fahrenen Berufsmusikern, Planung, YouTube zu hören ist, für die kein sichts der rasanten Entwicklung der Zusatzausbildung Orchesterleitung Bewerbung, Organisation und musi- Entgelt mehr entrichtet wird und bei Mediennutzung eine existenzielle für Studenten des Fachbereichs kalische Leitung eines Werkstattkon- denen die Urheber also geschädigt wer- Schädigung der wichtigsten Säule Musik (Lehramt). zerts. den. unseres Kulturlebens, nämlich der Der Kurs beinhaltet folgende Ar- Das diesjährige Werkstattkonzert Der Landesmusikrat Nordrhein- kreativen Schöpfung von Inhalten. beitsschwerpunkte: Erarbeitung diri- fand am 8. Juli im Probensaal des Lan- Westfalen, der Sächsische Musikrat, Dies würde im Übrigen die gesetz- giertechnischer Grundlagen, Orches- despolizeiorchesters Brandenburg statt der Bayerische Musikrat, der Landes- lich gesicherte Teilhabe der Urheber terpartiturkunde, Instrumentenkunde, und wurde vom zahlreich erschiene- musikrat Hamburg und der Landes- am wirtschaftlichen Potenzial ihrer Erarbeitung gehobener Orchesterlite- nen Publikum begeistert aufgenom- musikrat Baden-Württemberg unter- Werke unterwandern. ratur hinsichtlich musikalischer Inten- men. ¿ stützen die Forderung der Kompo-

DMR aktuell 14 LANDESMUSIKRÄTE NeuKommaGut 2009 ˜ LMR Schleswig-Holstein Fair, nachhaltig, live und direkt: Lübeck erstrahlt im Mit diesen Vorsätzen fördert das Programm „NeuKommaGut“ des Trompetenklang Landesmusikrats NRW junge Rockbands aus der Region. Der Präsident des Landesmusik- In Kooperation mit der c/o pop rats Schleswig-Holstein, Klaus Vol- als durchführendem Festival erhalten ker Mader, zog eine positive Bi- die Bands ein maßgeschneidertes För- lanz des „Internationalen Tages der derprogramm, das (Medien-)Öffent- Trompete“. lichkeit schafft und unmittelbaren Kon- Teil des Programms waren neben takt zu Multiplikatoren und Fans der Uraufführung der Lübeck-Fanfa- herstellt. re von Wolf Kerschek Auftritte etli- In der Manöverkritik zum Popför- cher Trompetenensembles – von der derprogramm nach den Festivals von Bigband bis zu einer Barock-Trom- 2008 wurde von einigen Musikern petengruppe. Workshop und Festgot- vorgeschlagen, die Bands zum Teil als tesdienst der Posaunenmission und Tag der Trompete: In Lübeck glänzte das Blech. Foto: Torben Dieckert Vorgruppen vor bekannten Bands das Galakonzert mit den Trompetern einzusetzen, um der Gefahr einer Matthias Höfs, Hans Gansch und Eric peter bestens im Griff: Gemeinsam Das „Instrument des Jahres – die Debüt-Geschlossenheit der Pro- Aubier und den Lübecker Philharmo- mit den Studenten der Trompeten- Trompete“ wird noch für eine zwei- grammplätze zu begegnen. Dieses nikern rundeten den Tag ab. klasse von Matthias Höfs, der Jazz- te Uraufführung sorgen, denn am 24. wurde im Programm von 2009 an- Überall glänzte das Blech, als sich Abteilung der Hochschule für Musik Oktober wird in Lübeck ein weiteres gegangen und Bands bei der c/o pop ca. 100 Trompeter zur Uraufführung und Theater Hamburg, Hans-Jörg Pack- Werk Kerscheks für die Trompete 2009 als Vorbands von bekannten der Lübeck-Fanfare im Publikum vor eiser mit einer Gruppe Barocktrom- präsentiert: Dann spielen Matthias Gruppen platziert, darunter Stan- der Bühne des Landesmusikrats ver- petern und natürlich den drei Stars Höfs, ein Jazz-Trio und das Landesju- kowski & Band und Voltaire in Kon- sammelten und voller Begeisterung der internationalen Trompetenszene gendorchester Schleswig-Holstein das zerten in der Kölner Philharmonie. mitspielten. Landesposaunenwart Da- gelang eine überwältigende Urauffüh- Konzert Adventures of a trumpet. www.neukommagut.de niel Rau hatte „seine“ Publikumstrom- rung. Info: www.instrument-des-jahres.de ¿ Silberne Stimmgabel für Musikvermittler Lars Vogt ˜ Landesmusikrat Thüringen Der Landesmusikrat NRW ehrte D 899. Die Feierstunde war verbun- Befragung zu Wahlprüfsteinen Lars Vogt für seine Verdienste um den mit der Jahresmitgliederversamm- die Musikvermittlung und zeich- lung des Landesmusikrats und einer Die gemeinsamen Wahlprüfstei- Landeschorwettbewerb nete ihn mit der „Silbernen Stimm- Veranstaltung zur kulturen Vielfalt: ne der Ständigen Konferenz der Am 5. Landeschorwettbewerb Thü- gabel“ aus. Der Weltmusikjournalist Birger Ge- kulturellen Fachverbände Thürin- ringen nahmen 19 Chöre teil. Der Im Brahms-Saal der Musikhoch- sthuisen stellte eine Studie vor, die er gens, an deren Entstehung der Jugendchor des „Otto-Schott-Gymna- schule Detmold überreichte ihm LMR- für den Landesmusikrat über die Mu- Präsident des Landesmusikrates siums“, der Kammerchor der Hoch- Präsident Werner Lohmann am 22. sikformen der Einwanderer in NRW Thüringen maßgeblich beteiligt schule für Musik „Franz Liszt“ Wei- August die Auszeichnung und wünsch- erarbeitet hat und die jüngst im Klar- war, wurden von den Parteien mar, der Philharmonische Jugendchor te ihm die stetige Fortsetzung seines text-Verlag erschienen ist. Pit Budde schriftlich und in einer öffentlichen der Musikschule Erfurt, der Knaben- Engagements. Lars Vogt bedankte sich ergänzte dies um ein Referat über die Pressekonferenz am 10. August in chor der Jenaer Philharmonie, der beim Publikum musikalisch mit Franz kulturelle Vielfalt in der musikalischen Erfurt beantwortet. ¿ Kinderchor der „Schola Cantorum“ Schuberts Impromptu Op. 90, Nr. 4 Bildung in NRW. Die Ständige Konferenz der kul- Weimar, das Vokalensembles „Via la turellen Fachverbände wird die neue musica Tiefenort“ und das Jazz-En- Regierung im Januar 2010 befragen, semble „viermalzwei“ aus Weimar wie es um die Erfüllung ihrer Wahl- werden den Freistaat Thüringen beim versprechen steht. LMR-Präsident größten Deutschen Laienchorwettbe- Eckart Lange war an der Weiterent- werb 2010 in Dortmund vertreten. wicklung des Thüringer Kulturkon- zepts beteiligt, das vom Thüringer Kabinett noch im Juni verabschiedet 20. Jubiläum wurde. Auf Lange geht auch das im Für sein 20-jähriges Bestehen im Juli August 2009 gestartete Pilotprojekt 2010 gibt der Landesmusikrat Thü- für Schüler zurück: das „Thüringen- ringen seinen überarbeiteten Musik- Zertifikat“ als Bestätigung erfolgreicher plan heraus. Die Festveranstaltung wird Teilnahme an einer Ausbildung in einer im Rahmen des Tages der Musik am kulturellen oder kunstpädagogischen 20. Juni 2010 in der Kongresshalle Einrichtung. Es ergänzt den bestehen- Weimar begangen. Die aus diesem den Kulturpass sinnvoll. Anlass entstehende Komposition von Christian Frank wird an diesem Tag Erfolgreich bei „Jumu“ von allen vier Landesjugendensembles 76 Jugendliche vertraten den Freistaat uraufgeführt. Thüringen beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in Essen. Zwölf Abschied von Ursula Krauß junge Musiker kehrten mit einem 1. Ursula Krauß beendete nach 19 Jah- Preis, 18 mit einem 2. Preis und 21 ren ihre Geschäftsführertätigkeit beim mit einem 3. Preis zurück. 25 Teil- Landesmusikrat Thüringen. Seit 1. Sep- Für seine Verdienste geehrt: LMR-Präsident Werner Lohmann zeichnete den nehmer erhielten das Prädikat „mit tember wird Constanze Dahlet als Pianisten Lars Vogt aus. Foto: studio157.de sehr gutem Erfolg teilgenommen“. Nachfolgerin eingearbeitet. ¿

DMR aktuell 15 ˜ Landesmusikrat Rheinland-Pfalz band der Pfalz eine Chorgala im Kul- Eingebunden in das Festival war turzentrum. Beendet wurde der Tag der 8. Landeschorwettbewerb, in dem mit einem Nachtkonzert am Wirkungs- sich 21 Chöre und Vokalensembles Chorstimmen zum 30. Jubiläum ort der Hildegard von Bingen in der aus Rheinland-Pfalz einer hochkarä- Hildegardiskirche. tig besetzten Jury stellen. Das Vorsin- Am Wochenende vom 18. bis 20. Erstes Highlight des „Festivals der gen fand in der Grundschule am Mäu- September erklangen in Bingen tau- Chorstimmen“ war das Eröffnungs- Der Sonntag begann mit der Be- seturm statt. Nach dem Mitmachkon- sende Chorstimmen. Der Landes- konzert mit dem Kammerchor Con- teiligung der Festivalchöre an den ört- zert am Sonntag wurden an die Teil- musikrat Rheinland-Pfalz beging sono aus Köln in der Basilika St. Martin. lichen Gottesdiensten und der Gestal- nehmer des Wettbewerbs die Urkun- sein 30-jähriges Jubiläum und fei- Der Samstag war bestimmt von der tung eines ökumenischen Gottes- den und Sonderpreise verliehen. erte dies mit der Durchführung Aktion „Singen auf öffentlichen Plät- dienstes in der Hildegardiskirche. Es eines „Festivals der Chorstimmen“ zen“. Mit Platzkonzerten an verschie- folgte ein Singen auf öffentlichen Plät- Dank der Unterstützung der Stadt unter der Schirmherrschaft des denen Orten der Innenstadt und am zen, bis die Veranstaltung dann mit Bingen, des Ministeriums für Bildung, rheinland-pfälzischen Ministerprä- Rhein-Nahe-Eck präsentierten sich einem Mitmachkonzert und „Fest- Wissenschaft, Jugend und Kultur, der sidenten, Kurt Beck. Im Rahmen Chöre aus nah und fern, von denen lichen Chören zum Haydn-Jahr“ mit Lotto Stiftung Rheinland-Pfalz und das Festivals fand außerdem der sich etliche auch an anschließenden dem Heidelberger Kantatenorchester dem Kultursommer Rheinland-Pfalz 8. Chorwettbewerb des Landes Gottesdiensten in der Stadt beteilig- und der Ingelheimer Kantorei in der waren alle Veranstaltungen für das Rheinland-Pfalz statt. ten. Abends gestaltete der Chorver- Basilika St. Martin endete. Publikum kostenfrei. ¿

˜ DMR-Bundesfachausschüsse jeweils spezifische praktische und Musik und Gesellschaft theoretische Grundlagen. […] Beschluss vom 18./19.9.2009: 4) Projekte zur Förderung Musi- Die UNESCO-Konvention zum Er- Zu Bildung, Musikberufen und Vielfalt kalischer Bildung setzen im Interesse halt und zur Förderung kultureller Aus- einer nachhaltigen Wirksamkeit zwin- Folgende Beschlüsse fasste das gesellschaftlich organisierten Fachver- drucksformen bildet die Grundlage gend eine angemessene, an einschlä- Präsidium des Deutschen Musik- bänden einen Weg zu finden, der jedem für die musikpolitische Arbeit des gigen Tarifen orientierte Honorierung rats auf Antrag von Bundesfach- Kind, unabhängig seiner ethnischen DMR. Ziel ist es, Bewusstsein für den der Fachkräfte voraus, denn nur so ausschüssen: oder sozialen Herkunft den Zugang Wert kultureller Vielfalt zu schaffen kann man qualifizierte Fachkräfte für zu einer qualifizierten und kontinu- und Impulse für die Nutzung dieser das Projekt gewinnen und einer ierlichen Musikalischen Bildung sichert. Konvention als gesellschaftspolitisches Musikalische Bildung/Musikberufe Wertschätzung für deren Arbeit Aus- Dazu schlägt der Deutsche Musikrat Handlungsinstrument zu setzen. Im Beschluss vom 22./23.5.2009: druck verleihen. […] einen Nationalen Gipfel zur Musika- Zentrum soll die Kommunikation der Immer mehr Kindern in Deutschland 5) Projekte zur Förderung Musika- lischen Bildung vor, der von der Bun- drei gleichberechtigten Grundsäulen bleibt der Zugang zur Welt der Mu- lischer Bildung sollten von Fachleuten deskanzlerin einberufen werden sollte. der Konvention, sik verschlossen, weil kürzungsbedingt evaluiert werden, denn dadurch kön-

BUNDESFACHAUSSCHÜSSE / LANDESMUSIKRÄTE 1. Schutz und Förderung des kul- zu wenig Unterrichtsplätze in der au- nen Probleme und Chancen in den turellen Erbes, ßerschulischen Musikerziehung zur Musikalische Bildung Blick kommen und optimierende 2. Schutz und Förderung zeitge- Verfügung stehen und der Musikun- Beschluss vom 18./19.9.2009: Maßnahmen entwickelt werden. […] terricht in der allgemein bildenden Qualitätskriterien für Projekte zur nössischer künstlerischer Ausdrucks- Schule zu oft ausfällt bzw. fachfremd Förderung Musikalischer Bildung: Beschluss vom 18./19.9.2009: formen (einschließlich der bekannten erteilt wird. Projekte zur Förderung Musikalischer Der Deutsche Musikrat kritisiert den Jugendkulturen), Die Verkürzung der Schulzeit und Bildung können im Grundsatz rich- Beschluss der Kultusministerkonferenz 3. Schutz und Förderung der Kul- die damit zusammenhängende Ver- tungweisende Impulse setzen … und vom 16. Oktober 2008, die Fächer turen anderer Länder in unserem Land, dichtung des Schulalltages behindern auf der Grundlage einer funktionie- Musik Kunst und Bewegung in der stehen und die Anregung, die in einem immer stärkeren Maße renden bildungskulturellen Infrastruk- Lehrerinnen- und Lehrerbildung zu Konvention für die Arbeit vor Ort als musikalische Aktivitäten von Kindern tur ein bedeutsamer Innovationsfak- einem Bereich Ästhetische Bildung zu- Berufungsgrundlage in der musikpo- und Jugendlichen, wie zum Beispiel tor sein. Voraussetzung dafür sind u. a. sammenzuführen. Mit diesem Be- litischen Zieldefinition und Umsetzung die Ensemblearbeit innerhalb und die nachfolgend aufgeführten Quali- schluss wird einer Entprofessionalisie- zu nutzen. außerhalb der allgemein bildenden tätskriterien. rung Vorschub geleistet. ! Die kompletten Beschluss-Texte unter: Schule. 1) Projekte zur Förderung Musi- Mit der Auflösung des Fachs Musik www.musik-forum-online.de/bundesfach- Neben dem immer stärker wer- kalischer Bildung sollten auf Nachhal- und der Etablierung des Fächerver- ausschuss denden Fachlehrermangel verschlech- tigkeit hin angelegt sein, denn Bildung bundes „Mensch – Natur – Kultur" tert sich die soziale Situation der In- benötigt Zeit, d. h. Projektentwürfe in der Grundschule in Baden-Württem- ˜ IMPRESSUM DMR aktuell strumental- und Vokallehrer drama- sollten in diesem Sinne an bereits berg hat sich ein drastischer Rückgang tisch. […] bestehende Maßnahmen anknüpfen der musikbezogenen Anteile im Un- Herausgeber: Die zunehmende Eventisierung der und mögliche Anschlussmaßnahmen terricht vollzogen. Vor diesem Hin- Deutscher Musikrat e. V. Musikalischen Bildung durch unzäh- in den Blick nehmen. tergrund wehrt sich der Deutsche Schumannstraße 17, 10117 Berlin lige Projekte kann zwar Impulse set- 2) Projekte zur Förderung Musi- Musikrat dagegen, dass problemati- [[email protected]] und Deutscher Musikrat gemeinnützige zen, aber die unabdingbare Kontinu- kalischer Bildung sollten ohne Zeit- sche didaktische Innovationen zu ei- Projektgesellschaft mbH ität und Qualität —vom Kindergarten druck im Dialog mit Fachleuten mit nem Rückgang musikbezogener Kom- Weberstraße 59, 53113 Bonn über die allgemein bildende Schule musikpädagogischer Kompetenz ent- petenzen von Schülerinnen und [[email protected]] bis zur Musikschule und dem Musik- wickelt werden, denn diese können Schülern führen. Der DMR kritisiert, Verantwortlich i. S. d. Pressegesetzes: verein nicht ersetzen. Chancen und Probleme der Projekt- dass mit dem KMK-Beschluss vom Christian Höppner Musisch-ästhetische Prägungen für entwürfe aus fachlicher Sicht beur- 16. Oktober 2008 einer Entprofessi- Redaktionsleitung: Christian Höppner das Individuum sind aber unabding- teilen. […] onalisierung der Musiklehrerausbil- [[email protected]] bar für das Zusammenleben in unse- 3) Projekte zur Förderung Musi- dung Vorschub geleistet wird. […] Dr. Peter Ortmann [[email protected]] rer Gesellschaft. […] kalischer Bildung sollten in der Durch- Deswegen fordert der DMR die Redaktion: Der Deutsche Musikrat fordert des- führung auf Fachkräfte zurückgreifen, Ministerpräsidenten und die Fachmi- Ariane Hannus [[email protected]] halb auf der Grundlage seines 2. Ber- deren Studium und Werdegang fach- nister der Länder dringend auf, den Susanne Fließ [[email protected]] liner Appells Bund, Länder und Ge- lich genau zu dem Projekt passt, denn Beschluss […] nicht umzusetzen, und Schlussredaktion/Produktion: meinden auf, gemeinsam mit den Aus- für die unterschiedlichen Praxisfelder appelliert an die Kultusministerkon- Werner Bohl, BWM: e-Publishing bildungseinrichtungen und den zivil- der Musikalischen Bildung braucht es ferenz, den Beschluss zu revidieren. [[email protected]]

DMR aktuell 16 WIRTSCHAFT.RECHT

m Paragrafendschungel des Wie orientiere ich mich als Lehrer im Dickicht der Paragrafen? I deutschen Urheberrechts die Ingo Dachwitz und Daniel Possler geben Rat Übersicht zu behalten, ist für Nicht-Juristen oft nicht leicht – gerade für Bildungseinrichtungen gibt es viele Sonderregelungen. Doch wo informiert man sich als Urheberrecht Lehrer über seine Rechte und Pflichten in Fragen des geistigen UND SCHULE Eigentums?

Für Musiklehrer K. gehören moderne So ist etwa die Seite der Landesakademie für auch der Frage nach, welche Ansprüche Schü- Musikstücke genauso in den Unterricht wie Fortbildung und Personalentwicklung an Schu- ler an Werken besitzen, die sie im Musik- die klassischen Stücke der großen Kompo- len Baden-Württemberg2 nicht ganz auf dem oder Kunstunterricht geschaffen haben. Zu- nisten. Doch darf er seinen Schülern auch neuesten Stand, enthält dafür aber eine nütz- dem bietet eine praktische Checkliste von aktuelle Pop-CDs vorspielen oder gar als Kopie liche Liste mit Links zu Text-, Film- oder Fallbeispielen bei aller Ausführlichkeit gleich- zu Arbeitszwecken mit nach Hause geben? Audioquellen, die lizenzfrei nutzbar sind und zeitig einen prägnanten und schnellen Über- Herr K. ist sich nicht sicher und die Suche somit bedenkenlos im Unterricht eingesetzt blick über rechtliche Situationen. nach einer Antwort gestaltet sich nicht leicht. werden können. Die diversen juristischen Fachbücher sind meist Orientierung ersetzt keinen ausgesprochene „Fach“-Bücher, in denen der Aktualität ist wichtig Bezug zur Schule oft nur am Rande herge- Rechtsbeistand stellt wird und die für den Laien in vielen Mehr Sicherheit – weil mehr Aktualität – Bei einem dieser Onlineportale ist auch Fällen schwer verständlich sind. Eine Ausnah- bieten aber andere Onlineportale. „Lehrer- Musiklehrer K. fündig geworden, doch sollte me bildet das Buch „Urheberrecht in der Online“ informiert beispielsweise unter der er im Zweifelsfall nicht den Weg zu seinem Schule“ des Juristen Stefan Haupt.1 Das Werk Rubrik „Recht und digitale Medien“3 sehr Rechtsbeistand scheuen. Alternativ bieten auch behandelt konkret die Situation von Schu- umfangreich und täglich aktualisiert über der Bundesverband der Musikindustrie len im Umgang mit geistigem Eigentum. Es rechtliche Fragen von Schule im Internet und (www.musikindustrie.de) oder die GEMA ist 2006 im Münchner Verlag Medien und geistigem Eigentum. Hier finden sich neben fachkundige Beratung an. Denn selbst wenn Recht erschienen. diversen Fallbeispielen, einem Stichwortver- alle hier genannten Internetseiten staatlich zeichnis – von A wie Abmahnung bis Z wie oder staatlich gefördert sind und in Teilen Ohne das Internet Zitatrecht – und Themenartikeln auch Vor- von Juristen mit erstellt wurden, können sie geht es nicht lagen und Mustertexte zur praktischen Um- nur – diesen Hinweis findet man immer wieder setzung der gesetzlichen Anforderungen. – eine Orientierung bieten, jedoch nicht die Die große Stärke der Fachbücher: Sie sind Nicht ganz so aktuell, aber ähnlich um- professionelle Rechtsberatung ersetzen. rechtlich korrekt und daher verlässlich. Die fangreich präsentiert sich die Seite „Urheber- Suche nach aktuellen Informationen gestal- recht in der Schule“.4 Sie ist das Ergebnis ei- Ausführliche Linkliste unter: tet sich allerdings schwierig, da die Gesetzge- ner Projektarbeit der Technischen Universität U www.playfair-music.de bung zum Urheberrecht in den vergangenen Ilmenau in Zusammenarbeit mit dem Thü- Jahren einigen Änderungen unterworfen ringer Institut für Lehrerfortbildung und Ste- wurde (zuletzt mit dem so genannten 2. Korb, fan Haupt, der als Fachmann auf dem Ge- der 2008 in Kraft getreten ist). Daher macht biet auch das oben bereits genannte Buch es Sinn, bei der Suche auch das Internet mit- geschrieben hat. Die Website bietet neben einzubeziehen. Diese vermeintlich unprofes- Informationen rund um den Gebrauch von 1 Stefan Haupt: Urheberrecht in der Schule, München sionelle Quelle wartet mit einigen sehr gut Medien im Unterricht oder auf anderen Schul- 2006. 2 http://lehrerfortbildung-bw.de/sueb/recht/index.htm recherchierten Websites auf. Bei der ersten veranstaltungen auch Hinweise zur Gestal- 3 www.lehrer-online.de/recht.php?sid=19569566394898 Suche mit Google oder über den Deutschen tung der Schul-Homepage. Ergänzt wird das 358624870767077460c Bildungsserver fallen zwar noch viele unbrauch- Angebot durch einen beispielhaften Fragen- 4 www.urheberrecht.th.schule.de/index.html bare Ergebnisse an, doch auf den zweiten katalog, Material zu den Grundlagen des Ur- 5 www.medieninfo.bayern.de/download.asp? Blick lassen sich in der Informationsflut hilf- heberrechts, das auch im Unterricht zum Ein- DownloadFileID=02b96a0b8dff80d1aefdd94be33364b8 reiche Portale finden. satz kommen kann, und nicht zuletzt ein Auch hier gilt, auf die Aktualität zu achten. umfangreiches Angebot an Musterschreiben Die Autoren: So ermöglichen einige Seiten zwar einen um- – beispielsweise für das Impressum der Schul- Ingo Dachwitz und Daniel Possler unterstützen als fassenden Überblick mit praxisnahen Beispielen homepage. wissenschaftliche Hilfskräfte das Projekt Play Fair – für die Anwendung der Urheberrechts-Ge- Die Akademie für Lehrerfortbildung und Respect Music, das die Hochschule für Musik und Theater Hannover in Zusammenarbeit mit dem Bundes- setzgebung in Schulen, sind in Teilen aber Personalführung Bayern informiert in einem verband Musikindustrie und dem Verband Deutscher nicht auf dem neuesten Stand. Gerade die 30-seitigen Papier ebenfalls ausführlich und Schulmusiker durchführt. neueste Änderung von 2007/08 haben vie- aktuell über das Medienrecht in Bildungsein- le Ratgeberportale noch nicht nachvollzogen. richtungen.5 Dabei geht sie unter anderem

 MUSIK ORUM 41 AKZENTE

Nordrhein-Westfalen will Vorreiter in Kreativität und Kultur sein. Im Gespräch: Ministerpräsident Jürgen Rüttgers

»KULTUR IST NICHT MEHR LUXUS, SONDERN

ulturelle Bildung ist eine Welche Rolle spielt die Zielstellung attraktiv. Erst dann gewinnen sie auch einen „K wesentliche Voraussetzung einer Wissens- und Kreativgesellschaft für Ihre ökonomischen Mehrwert. für kulturelle Vielfalt und die politische Arbeit? Jürgen Rüttgers: Eine maßgebliche: Die „Eventisierung“ insbesondere in Achtung anderer Kulturen.“ Ideen und Kreativität sind das wichtigste der musikalischen Bildung baut Potemkinsche Für den nordrhein-westfälischen Wirtschaftsgut des 21. Jahrhunderts. Darin Dörfer auf, die den Blick darauf verstellen, Ministerpräsidenten Jürgen Rütt- sind sich die Experten einig. Und das spie- dass an den Orten kultureller Basisbegegnung gers ist sie sogar eine wichtige gelt sich auch in unserer Politik wider. – wie Kindergarten, Schule und Musikschule – „Investition“ in gesellschaftlichen Lange Zeit galten Kunst und Kultur gewis- Musikunterricht kürzungsbedingt nicht oder Reichtum. sermaßen als Luxusprodukte erfolgreichen nur sehr lückenhaft erteilt werden kann. Wirtschaftens. Was wir jetzt erleben, ist ein Welche Pläne haben Sie, um diese Nachhaltig- Rüttgers vertritt eine mehr und mehr Paradigmenwechsel: Eine funktionierende keitslücke an der Basis zu schließen? ambitionierte „Pro Kultur“-Politik. Seine Lan- Wirtschaft ist immer mehr auf Kunst und Rüttgers: Wir haben die kulturelle Bil- desregierung hat nicht nur die kulturelle Bil- Kultur angewiesen. Kunst und Kultur rücken dung in das Zentrum unserer Kulturpolitik dungsarbeit in den Fokus der Kulturförde- damit ins Zentrum wirtschaftlicher Prosperi- gerückt. Dazu dient unter anderem die rung gesetzt, sondern mit der Verdopplung tät. Sie sind nicht mehr nur Luxus oder Verdoppelung des Kulturförderetats. Unsere der Mittel für kulturfördernde Maßnahmen Zugabe. Sie sind elementar. Denn symboli- Vision ist es, jedes Kind im Laufe seiner (bis Ende der Legislaturperiode) auch neue sche Deutungen spielen eine immer größe- Schullaufbahn mit allen Kunstsparten in Marken gesetzt. re Rolle für den wirtschaftlichen Erfolg – Berührung zu bringen. Wir schicken dazu Christian Höppner sprach mit ihm über gerade in der globalisierten Wissensgesell- im Rahmen eines Landesprogramms syste- die Rolle der Kulturpolitik, die entsprechen- schaft. Sie lebt davon, dass Produkte und matisch Künstler aller Sparten in die Schulen. den Aktivitäten und Vorhaben des Landes Dienstleistungen, dass städtische Räume und Und wir haben das erfolgreiche Projekt und die Zukunft des Kreativstandorts Nord- ganze Regionen eine besondere Bedeutung „Jedem Kind ein Instrument“ begonnen, rhein-Westfalen. erhalten. Erst dann werden sie für Menschen das jedem Kind im Ruhrgebiet die Mög- lichkeit geben soll, ein Instrument eigener Wahl nicht nur kennen zu lernen, sondern auch spielen zu lernen. Nach dem Kultur- hauptstadtjahr wollen wir es auf das ganze Land ausweiten. Und oberstes Prinzip des Projekts ist, dass überall dort, wo es statt- findet, zwingend daneben auch „normaler“ Musikunterricht erteilt werden muss. „Jedem Kind ein Instrument“ ist also kein Ersatz für ausfallenden Musikunterricht, sondern eine Ergänzung.

Welche ungenutzten Kreativpotenziale sehen Sie für Nordrhein-Westfalen? Rüttgers: Schon heute sind zwischen 20 und 30 Prozent aller Erwerbstätigen in den hochentwickelten Ländern im kreativen Sektor tätig – also in Wissenschaft, Forschung, Technik, aber auch in Kunst, Ästhetik, De- sign, Musik und Kultur. Und dieser Trend nimmt stetig zu. Hier sehe ich ein enormes Potenzial. Wir wollen in Nordrhein-West- falen bei dieser Entwicklung ganz vorne mit dabei sein. Das Bundesland hat die besten Voraussetzungen, eine der kreativs- Kinder sollen mit Kunst und Kultur in Berührung kommen: Darum schickt die Landes- ten Regionen Europas zu werden. Essen regierung von Jürgen Rüttgers – im Bild bei der Eröffnung des Osthaus Museums in Hagen – konnte in seiner erfolgreichen Bewerbung Künstler aller Sparten in die Schulen. Foto: Ralph Sondermann zur Europäischen Kulturhauptstadt 2010

 42 MUSIK ORUM teidigt werden, wenn die Menschen Zugang © Staatskanzlei des Landes NRW dazu finden, ob durch Teilhabe oder aktives Tun. Kulturelle Bildung ist eine „Investition“ in kulturelle Vielfalt und den damit verbun- denen gesellschaftlichen Reichtum. elementar« Sind die drei Grundsäulen der UNESCO-Konvention – unser kulturelles Erbe, die zeitgenössischen künstlerischen damit werben, dass die Metropole Ruhr Ausdrucksformen und die Kulturen anderer nicht weniger als 200 Museen, 100 Kultur- Länder – im eigenen Bundesland im Gleich- zentren, 100 Konzerthäuser, 120 Theater, gewicht? Wie können Sie gegebenenfalls 250 Festivals und Feste, 3500 Industrie- einen Ausgleich bewirken? denkmäler und 19 Hochschulen zu bieten Rüttgers: Die Landesregierung wird bis hat. Wo sonst gibt es das schon auf so Ende dieser Legislaturperiode die Mittel für engem Raum? Unsere Unternehmen zeigen, die Kulturförderung in Nordrhein-Westfalen dass die Zukunft in der kreativen Ökono- verdoppeln. Neben der kulturellen Bildung mie nicht den reinen Dienstleistungen ge- unterstützen wir damit besonders Program- hört, sondern in einer hochgradig wissens- me zur Künstler- und Kunstförderung sowie basierten Spitzenproduktion und in unter- Maßnahmen zum kulturellen Substanzer- nehmensnahen Dienstleistungen liegt. halt. Freilich fördert nicht nur das Land Kunst und Kultur, die wesentlichen Träger Wie definieren Sie kulturelle Vielfalt? der kulturellen Einrichtungen und Instituti- Rüttgers: Unter kultureller Vielfalt ver- onen – wie Stadttheater, Orchester, stehe ich den Reichtum kultureller Ausdrucks- Bibliotheken etc. – sind die Kommunen. »NRW soll zum formen in der Gegenwart einschließlich der Mit ihnen und zahlreichen privat und Kultur der Migranten sowie die Pflege und ehrenamtlich getrage-nen Initiativen sind wir kreativen Zentrum Bewahrung des kulturellen Erbes aus der im ständigen Dialog, um die verschiedenen Vergangenheit. Die freie Entfaltung des Aspekte des kultu-rellen Lebens gemein- Europas werden« einzelnen Individuums ist dafür eine ebenso sam weiter zu ent-wickeln. Jürgen Rüttgers unveräußerliche Bedingung wie der leben- Im Übrigen weiß ich nicht, ob „Gleich- dige Austausch zwischen den verschiede- gewicht“ in der Kultur überhaupt ein wün- nen Kulturen und Generationen. schenswerter Zustand ist. Ich halte viel von Kommunikation, Partnerschaft und Wett- drei Persönlichkeiten aus der nordrhein- „Kulturelle Bildung bewerb. Die drei genannten Handlungsfel- westfälischen Kreativwirtschaft das „Cluster- der haben wir dabei gemeinsam im Auge. management Kreativwirtschaft“ übertragen. ist eine Investition in Darüber hinaus stellt auch das Wirtschafts- kulturelle Vielfalt“ Stehen die Fördermaßnahmen für die ministerium erhebliche Mittel zur Förde- Kreativwirtschaft, gemessen an der gesamt- rung der Kreativwirtschaft zur Verfügung. Welche Rolle kann die UNESCO- gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Außerdem wird die Kulturhauptstadt 2010 Konvention zum Schutz und zur Förderung Bedeutung, in einem gesunden Verhältnis? einen großen Schub nach vorne bringen, der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in Falls nicht: Welche Entwicklungsmaßnahmen hat sie doch allein für Projekte der Kreativ- Zukunft für Ihre politische Arbeit spielen? sind geplant? wirtschaft in Dieter Gorny einen eigenen Rüttgers: Die UNESCO-Konvention Rüttgers: Wir wollen Nordrhein-West- „Programmdirektor“. Schon jetzt ist zu spü- lenkt den Blick darauf, dass kulturelle Viel- falen zum kreativen Zentrum Europas ren, wie stark künstlerische Großprojekte falt gegenseitige Achtung voraussetzt. Das machen. Das bedeutet für uns dreierlei: wie die RuhrTriennale oder Großereignisse halte ich für eine grundlegende Aussage. Wir müssen erstens dafür sorgen, dass wie die Love Parade die öffentliche Wahr- Freie Meinungsäußerung, Informations- und Kreativität in Schule und Erziehung so früh nehmung positiv beeinflussen. Hier sind Kommunikationsfreiheit sowie die Möglich- wie möglich gefördert und gestärkt wird. vor allem auch die kreativen Köpfe vor Ort keit für jeden Einzelnen, seine kulturellen Wir müssen aber zweitens vor allem in die gefragt. Interessen und Ausdrucksformen selbst zu Vernetzung der kreativen Köpfe investieren. wählen, sind die Basis für eine Kulturpolitik, Kooperation ist der Schlüssel zum Erfolg. Was ist Ihr persönlicher, privater Bei- die Vielfalt als zentralen Wert betrachtet. Das gilt für Wirtschaft und Wissenschaft. trag zur Beförderung der Kreativgesellschaft? In Nordrhein-Westfalen hat die Landes- Das gilt für Leitmärkte und Branchen. Und Musizieren oder malen Sie selbst? regierung in dieser Legislaturperiode bei der das gilt für die regionale Zusammenarbeit. Rüttgers: Als Kind habe ich Geige ge- kulturellen Bildungsarbeit einen Schwer- Und wir müssen drittens daran arbeiten, lernt. Dabei habe ich gemerkt, dass einem punkt ihrer Kulturförderung gesetzt. Kultu- dass die kreativen Stärken Nordrhein-West- die Musik nicht geschenkt wird, sondern relle Bildung ist eine wesentliche – wenn falens bei uns selbst, aber auch im In- und dass das viel Üben und Arbeit bedeutet. nicht die wichtigste – Voraussetzung für Ausland besser wahrgenommen werden. Jetzt erlaubt der Alltag mir vor allem passive kulturelle Vielfalt und die Achtung anderer Für die beiden letzten Ziele hat unsere Kunsterlebnisse – die aber auch sehr be- Kulturen. Beides kann nur geschätzt und ver- Wirtschaftsministerin Christa Thoben soeben reichernd sein können.

 MUSIK ORUM 43 PORTRÄT

atürlich will man es nicht Nwahrhaben, wenn man ihn heute in einer Diskussion oder während eines Vortrags erlebt. Aber es stimmt: Karl Heinrich Hans Bäßler zum 80. Geburtstag des Musikwissenschaftlers Ehrenforth wird im November 80! und Musikpädagogen Karl Heinrich Ehrenforth

Sein leicht geneigter Kopf beim Zuhören, seine sehr direkte Aus- und Ansprache, sei- ne Schnelligkeit im Erkennen auftretender Probleme – so verhielt er sich eigentlich immer, SCHULE ALS so trat er stets auf. Keine Gebrechlichkeit, kein gedankliches Sich-Schleifen-Lassen, statt- dessen stets den Eindruck erweckend und einlösend, dass er dabei ist, teilnimmt, Partei Lebenswelt ergreift. Doch wofür ergreift er Partei, wofür steht er?

Beruf – Berufung Nur wenn bereits bei jungen Menschen der vaten Schule trieb ihn um. Schon damals (oder: kritische und tröstende Horizont von Musik noch damals) waren es die institutionellen Für den Menschen. aufgearbeitet und erfahrbar gemacht wird, Verkrustungen, die sich widerständig gegen Das Offene im Dialog – vermutlich wür- wird man eine Chance haben, vor der Ge- den eigentlichen Erziehungsauftrag stellten. de Ehrenforth selbst eine derartige Formel schichte zu bestehen. Diese Geschichte aber Obwohl von einem anderen Denkansatz als nehmen, wenn er seine eigene Position auf wird von ihm selbst verstanden als immer Hartmut v. Hentig kommend, kann man die den Punkt bringen sollte. Sein Ansatz kommt wieder neu zu entdeckende; Geschichte be- frühe Kritik beider durchaus miteinander ver- aus einer tiefen Erfahrung: dass nämlich Musik, darf der Hermeneutik, der sorgfältigen Aus- gleichen: In der Substanz beziehen sich bei- dass Kunst immer nach dem Dialogischen legung daraufhin, was sie pro me sagt, sonst de, geprägt von den eigenen frühen Erfah- und damit nach der Re-Actio ruft. Die Di- wäre sie nur eine Aneinanderreihung von rungen im Nationalsozialismus, auf ein päda- mension des Rufs ist es, gleichzeitig aber auch Daten, die sich in ihrer relativen Zufälligkeit gogisch herausforderndes Menschenbild, das der Appell, die von der Kunst ausgehen und ergeben. den Einzelnen in seinem So-Sein fördert, ihn zu ihr hinführen. Das klingt theologisch – und Der in seinen musikpädagogischen Schriften nicht aber gleichschaltet. Dass sich dement- ist es auch: Die Existenz betreffend, greift dieses nicht explizit aufgearbeitete theologische sprechend die Strukturen ändern müssen, in Denken auf die Philosophie Heideggers und Horizont dieses Ansatzes ist für den Leser und mit denen ein Schüler aufwächst, ist sicher Gadamers zurück und erhält durch die spe- aber immer wieder indirekt präsent, was keine ganz neue, aber immer wieder neu zu zifische Brechung bei Fuchs und Ebeling sei- durchaus zu Irritationen und Missverständ- entdeckende Strategie. ne theologische Spezifizierung: Was ist, was nissen führen konnte und ihn immer wieder Mit der Schulgründung selbst wurde es hält den Menschen in seinem So-Sein, „wo unbequem machte: Ehrenforths Musikpäda- nichts, wohl aber mit der schulpolitischen bist du, Adam?“ Diese Fragen wurden nicht gogik verlangte den großen Atem von der Arbeit in der Hamburger Schulbehörde. erst in den 50er Jahren gestellt, die das Ehren- Anthropologie bis hin zur einzelnen konkre- Gerade in der Aufbruchzeit der Endsechzi- forth’sche Bewusstsein besonders prägten, son- ten Unterrichtseinheit. Es sind darum die Mu- ger gestaltete Ehrenforth den Musikunterricht dern bereits zu Beginn des vergangenen Jahr- sikwerke, die für ihn immer wieder im Vor- in Sitzungen, Konferenzen, Kommissionen hunderts im Zusammenhang mit der allge- dergrund des Denkens stehen, nicht so sehr neu – wobei er wie die meisten seiner Gene- meinen kulturellen und existenziellen Ver- die Verfahrensweisen, die ihm eine unterge- ration zunächst eher werkorientiert arbeite- unsicherung. ordnete Rolle zu spielen haben, Werke wie te. Doch sollte sich dies bald ändern: Seine Wenn man – wie Ehrenforth – die Krise die h-Moll-Messe, Ein Überlebender aus War- erste herausragende Veröffentlichung Verste- des abendländischen Bewusstseins, insbe- schau, Brahms‘ 1. Sinfonie. Sie vertreten eine hen und Auslegen schlug im Jahr 1971 in eine sondere der Geisteswissenschaften, in eine Botschaft, die herausfordert, infrage stellt, be- musikpädagogische Szene ein, die auf der Su- Parallelität zur verheerenden politischen Ent- stärkt, Leid artikuliert, Gemeinschaft konsti- che war, hilflos zwischen Lieddidaktik und wicklung der Genozide und Weltkriege setzt, tuiert. Ihren Kern zusammen mit den Schü- Popularmusik, zwischen Kunstwerkorientie- dann kann man schon zu Recht am Men- lern zu entdecken, ist dementsprechend die rung und Popkultur, zwischen politisch- schen verzweifeln oder doch zu Recht fra- musikpädagogische Herausforderung. aufklärerischer und aufführungsorientierter gen: Worin besteht das spezifisch Mensch- Schwerpunktsetzung. Sie schlug ein, weil sie liche jenseits seiner biologischen Funktionen? Der VDS – eine Berufung? politisch nicht zu verorten war, sondern statt- Und wo ist dann noch, ähnlich der Frage dessen so etwas wie eine Selbstvergewisse- Adornos, der Ort für die Künste, speziell der Früh schon, nämlich in den 50er Jahren, rung sein wollte. Musik? Kann die Musik den Wahnsinn mensch- erkannte Ehrenforth, dass Veränderungen zwar Ehrenforths Bezugsystem war Gadamers licher Wirrnis aufhalten? in den Köpfen beginnen mögen, dass sie aber Wahrheit und Methode, eine philosophische Und genau an diesem Punkt setzt auch sehr schnell in einem politischen Rahmen Grundlegung dessen, worauf wir uns als Ehrenforths musikpädagogisches Credo an: gesehen werden müssen; die Idee einer pri- Menschen überhaupt beziehen können, näm-

 44 MUSIK ORUM Immer dabei, teilnehmend, Partei ergreifend: Karl Heinrich Ehrenforth. Fotos: Hans Bäßler

Das Ehrenforth’sche Credo: Nur wenn bereits bei jungen Menschen der kritische und tröstende Horizont von Musik aufgearbeitet und erfahrbar gemacht wird, wird man eine Chance haben, vor der Geschichte zu bestehen

lich auf den Dialog mit dem anderen. Gada- tung in der Laienpädagogik zurück, in der forth sich so manches Mal fragen musste, wie mers Kunsttheorie ist ihm ebenso wie später auch der nur teil- oder unkundige Schüler er diese „unter einen Hut“ bekommen kann. Christoph die Leitlinie, weil sich hier die genauso in das Gespräch mit dem Werk tre- Noch schwieriger allerdings wird es, wenn Dialogizität modellhaft vermitteln lässt: Es gibt ten kann. er selbst eine dezidierte Meinung vertritt. nicht das Kunstwerk an sich, sondern es gibt Davon sind die Lehrpläne ebenso wie der Davon unten mehr. eine wahrzunehmende Botschaft, die sich in konkrete Unterricht meilenweit entfernt (ge- Es sollte in diesem Zusammenhang nicht einer ständigen Wandlung befindet. wesen). Ein Umdenken aber könnte, das war unerwähnt bleiben, dass eine besondere Klip- Nun könnte man meinen, auch hier han- Ehrenforths Hoffnung, die vom VDS über- pe zu umfahren war: die menschliche Eitel- delte es sich um erkenntnistheoretische Pro- nommen wurde, durch eine entsprechende keit, die selbst Schulmusikern nicht immer legomena zu einer aktualisierten Kunstwerk- Zentrierung der Motti der verschiedenen Bun- fremd war und hin und wieder heute auch didaktik, doch eben das ist gerade nicht der desschulmusikwochen geschehen, in die er ist. Komme ich in einer Veranstaltung auf Fall. Die politischen Implikationen seines sehr viel Sorgfalt steckte. Nicht immer kön- dem Kongress vor? Wie oft komme ich im Ansatzes sind es, die Ehrenforth, inzwischen nen Außenstehende verstehen, was da etwa Programmheft vor, komme ich an prominen- Hochschullehrer in Detmold, dazu bewegen, vier Jahre vor einer Bundesschulmusikwoche ter Stelle des Kongressablaufs vor? Die Krö- im Bundesvorstand des Verbandes deutscher beginnt, während man einerseits die gegen- nung inneren Drucks: Sitze ich auf dem Po- Schulmusiker (VDS) zunächst als Grundsatz- wärtige durchführt, die nachfolgende vorbe- dium in einer Runde zum Tagungsthema? referent mitzuarbeiten. Seine Überzeugung: reitet und die übernächste plant: Die Ent- Hier gilt es auszugleichen, abzuwägen, zu be- Ein Berufsverband kann mehr in den Köp- scheidung darüber, in welches Bundesland, rücksichtigen – und sich als Bundesvorsitzen- fen von Lehrerinnen und Lehrern bewirken in welche Stadt der Kongress geht, welcher der unbeliebt zu machen! als jedes noch so gut gemeinte Seminar. Denn: Landesverband überhaupt fähig und imstande Die Durchführung dann am Ende einer Statements eines so großen und bedeutsa- ist, eine Großveranstaltung durchzuführen. langen vierjährigen Vorbereitung: das perma- men Verbandes, akzentsetzende Kongresse Doch wirklich schwierig sind nicht nur Fra- nente Bangen, es könne etwas schief gehen. (die so genannten Bundesschulmusikwochen), gen der Finanzierung (das alles war in den Die Räume, die Referenten, die auftreten- Verhandlungen mit Ministerien zum Thema 70er und 80er Jahren alles andere als ein- den Gruppen. Immer wieder könnte etwas „Musikunterricht“ bewirken gerade auch Denk- fach), sondern auch die komplexen Abstim- aus dem Ruder laufen! Und immer wieder richtungen oder zumindest Denkimpulse. Die mungen über das Thema, das anschließend klappt am Ende doch alles irgendwie, nicht Hermeneutik Ehrenforths ernst genommen in den vielen Einzelveranstaltungen kleinge- zuletzt dank der vielfältigen Hilfe von ver- lehrt, Werke zu befragen, wobei die Mach- arbeitet werden muss. Da stoßen dann oft schiedenen Seiten. Nur weil der Vorlauf von art, die Struktur, die eine stützende Funktion bereits musik- und schulpolitische Positionen Ehrenforth und seinem Team immer minu- einnehmen, nie im Zentrum stehen. Damit aufeinander, von denen auch ein durchaus tiös geplant wurde, ging eigentlich nichts schief, aber erhält die Musikpädagogik ihre Zielrich- auf Ausgleich bedachter Kollege wie Ehren- was er zu verantworten hätte. !

 MUSIK ORUM 45 PORTRÄT

Nur einige Schlaglichter mögen die gro- gen, so deutlich artikuliert, dass man sich hätte dagogik damit umzugehen habe. Hier konn- ßen Kongresse der achtziger Jahre beleuch- wünschen können, dass er irgendwann einmal te man wieder einmal erkennen, dass die The- ten: Aus heutiger Sicht stellen sie in ihrer von in den nachfolgenden Jahren hätte Realität matik Ehrenforths und des Bundesvorstan- Ehrenforth entwickelten Thematik einen roten werden können. Doch bis heute gelang nicht des nicht originär aus der Musik selbst kam, Faden durch die schwer zu verortenden ge- die Öffnung der Schule zur kulturellen Bil- sondern aus dem existenziellen Umfeld ei- sellschaftlichen Auseinandersetzungen des dung insgesamt, obwohl diese Forderung nes jeden einzelnen, aus seiner Lebenswelt. Jahrzehnts dar. Diese gesellschaftliche Aus- inzwischen zum festen Bestandteil der Poli- Was ist die Zeit, in der wir leben, wie gestal- einandersetzung aber ist es, die das Fach erst tik des Deutschen Musikrats gehört, der 2004 ten wir unsere Zeit, welche Funktion hat die überlebensfähig macht. Dass ein Bundesvor- mit seinem Kongress zur „Musik in der Ganz- Musik in der Zeit? Wie gliedert Musik die sitzender dabei seine eigenen Überzeugun- tagsschule“ einen Versuch unternommen hat. Zeit? Wenn das Spezifikum des Menschen gen zur Leitlinie der Konzeption macht, ist Liest man heute noch einmal den Bericht- seine Zeitlichkeit ist, dann stellt sich auch die nicht ein Zufall, sondern gehört zu den Auf- band von 1982, dann ist man überrascht und Frage nach seiner Begrenztheit, nach den gaben, die diejenigen, die ihn wählen, auch kann sich nur wundern, wie gering eigent- Einschnitten der Zeit, nach dem Kairos. von ihm erwarten. lich die Bemühungen in den übrigen Veran- Die Gestaltungsohnmacht von Verbänden staltungen waren, diese ehrenforthsche Vor- mag immer wieder zu beklagen sein – die Die Kongresse gabe auch konkreter auf dem Kongress zu Notwendigkeit des Hinweises gehört gleich- spezifizieren. Selbst dort, wo in den Themen- zeitig zu ihren Aufgaben. Und da ist es gut, Musikerziehung als Herausforderung der formulierungen das Übergreifende auftaucht, wenn auch der VDS darauf hinweist, wie lang- Gegenwart (Braunschweig 1980) ist von einem Umdenken, gar der Überwin- sam die Balance zwischen Spiel und Fest, Arbeit Mindestens an eine Veranstaltung werden dung der Dichotomie nicht wirklich die Rede. und Gestaltungswillen diffundiert. Alles ist sich die Teilnehmer sicher noch erinnern: Doch gleichzeitig (!) werden hier zahlreiche immer irgendwie möglich. Dem setzen sich nämlich an einen zentralen Vortrag Ehren- andere Themen behandelt, die die Debatte auch Kongresse wie diese entgegen. forths zur Frage der Positionsbestimmung eines der nachfolgenden Jahre weiter beschäftigen Eine Auffälligkeit, wenn man sich heute Verbandes, der sich nicht in den alltäglichen sollte: Interkulturelle Bildung, Rockmusik, noch einmal mit diesem Kongress beschäf- verbandstechnischen Fragen verschleißen darf, Musik und Bewegung, Musikpädagogik als tigt: Ehrenforths Lebensweltkonzeption, die sondern der immer wieder den Dialog mit Wissenschaft. er ab Herbst 1986 sehr genau auf dem hus- der Theologie, der Philosophie und den Küns- serl-waldenfelsschen Konzept für die Musik- ten insgesamt suchen muss. Was der heuti- Medieninvasion (Kassel 1984) pädagogik umsetzte, hatte bereits in entge- gen Debatte manchmal abgeht, weil sie sich Oben hatten wir ja schon einmal darüber gengesetzter Weise Günter Kleinen in seinem ausschließlich mit dem Tagesgeschäft befasst, gesprochen: Nicht alles, was bei einem Kon- Vortrag „Musikalische Lebenswelten“ ausge- ist die eigentlich zentrale Frage: Wie ist die gress schief geht, geht auch zu Lasten des führt. Er argumentiert in einem Vortrag em- musikalische Bildung fundiert? Warum und Bundesvorsitzenden. Wenn beispielsweise ein pirisch: „Lebenswelten sind im Kern durch zu welchem Zweck gibt es überhaupt eine in der Literatur als kompetent sich auswei- die subjektive Sicht der Dinge charakterisiert.“ schulisch verantwortete Erziehung? Was später sender Referent auf einmal Seilzüge von der Ehrenforth dagegen argumentiert anders: Er zu seinem Hauptwerk, der Geschichte der Decke fahren lässt, um (das war seine Ab- sucht gerade nach dem überindividuellen Kern musikalischen Bildung. Eine Kultur-, Sozial- und sicht) die Fenster der Kasseler Stadthalle zu des die Menschen Verbindenden. Was zunächst Ideengeschichte in 40 Stationen noch einmal verdunkeln, dann liegt dies nicht an der schlech- wie ein harmloses „Ja – Aber“ aussieht, hat nachgezeichnet wurde, konnte sich bereits ten Planung! doch konkrete Folgen, insbesondere in der hier sehr gut erkennen lassen. Die Ortsbe- Dieser Kongress bleibt aber noch immer Politik: Wenn ich feststellen kann, dass jeder stimmung der musikalischen Bildung ist nicht in Erinnerung, weil in einer aufwühlenden Mensch auf die musikalische wie auf andere aus sich selbst heraus ableitbar, sondern ent- Podiumsdiskussion darüber nachgedacht Bildung angewiesen ist, weil Musik anthro- steht stets im Dialog. wurde, wie viel mediale Unterstützung der pologisch eine unverrückbare Existenzartiku- Musikunterricht haben dürfe oder haben lation ist, dann muss sie auch Teil der allge- Schulische Musikerziehung und Musikkultur müsse. In Kassel schieden sich die Geister: meinen Bildung sein, die der Staat garantieren (Berlin 1982) Die Auseinandersetzung zwischen der mu- muss. Um sich wirklich mündig in den Räu- „Die schulische Musikerziehung leidet unter sikpädagogischen Hermeneutik auf der ei- men „Arbeit – Freizeit – Fest“ zurechtzufin- dieser bis heute ungelösten Dichotomie, ei- nen und der Handlungsorientierung auf der den, bedarf es gerade auch des Schutzes ner Zweiteilung der Kultur nach Schule und anderen Seite sollte sich eigentlich auf die musikalischer Erfahrungen. Freizeit, nach Beruf und Hobby. Will man sie Ausbildung von Musiklehrern beziehen. Statt- überwinden, … dann sind die historischen dessen war es die nachgeholte Debatte der Spielräume fürs Leben. Musikerziehung in Wurzeln als Bedingungen dieser Spaltung frei- zweiten Hälfte der 70er, die nur unterschwellig einer gefährdeten Welt (Karlsruhe 1988) zulegen.“ So Ehrenforth in der Eröffnung des ge-führt worden war. Karlsruhe – das war der Ort, der durch Kongresses. Doch der eigentliche Knalleffekt eine Initiative Ehrenforths den VDS in ein seiner Rede wurde damals so gut wie gar Arbeit – Freizeit – Fest (Ludwigshafen 1986) neues politisches Feld hineinbrachte: Die Kes- nicht bemerkt: „Die Schulpolitik versagt sich Kühn war die Entscheidung Ehrenforths tenbergmedaille, mit der gezielt Politiker, einer Forderung der Stunde, wenn sie nicht schon, aber nicht ohne Wirkung: Der Lud- Künstler oder Persönlichkeiten des öffentli- alles unternimmt, damit Schule wieder freier wigshafener Kongress bezog tatsächlich den chen Lebens ausgezeichnet werden, die mit Lebensraum wird, den man nicht wie eine Sonntag in das Programm mit ein – allerdings Musikpädagogik nichts zu tun haben. Auf Kaserne fluchtartig verlässt, wenn es klingelt.“ nicht als Arbeitstag, sondern als Fest mit ei- dieser Bundesschulmusikwoche wurde Hanna- Hier wurde ein hentigscher Gedanke noch nem Gottesdienst in Speyer und vielen Vor- Renate Laurien (CDU), die unkonventionel- einmal auf die musikalische Bildung bezo- trägen und Diskussionen, wie die Musikpä- le Berliner Schulsenatorin, geehrt, die Lau-

 46 MUSIK ORUM datio hielt der nordrhein-westfälische Kultus- In Grenzen – über Grenzen hinaus den Erfahrungen der jeweils anderen umzu- minister Hans Schwier (SPD). So sehr wir (Lübeck 1990) gehen, sich von jedem musikpädagogisch- gelernt haben, die Schismata der (Bildungs-) „Heute in vier Wochen wird Deutschland imperialen Gehabe zu befreien. Politik zu betonen, so sehr müssen wir fest- geeint. Damit schlägt auch Europa ein neues Was sich in Lübeck vom 5. bis 8. Septem- stellen, dass es in Wirklichkeit eine partei- Kapitel seiner Geschichte auf.“ Das waren ber abspielte, war die Veränderung des öf- übergreifende Koalition gibt, die sich jenseits die ersten Worte zur Eröffnung der Bundes- fentlichen Raums; viele Schulen hatten sich unsäglicher Strukturdebatten (Dreigliedrigkeit schulmusikwoche 1990 am 5. September in in die Programmgestaltung eingeklinkt, die kontra Gesamtschule) Gedanken darüber der Lübecker Petri-Kirche. Den Lübecker Medien berichteten täglich über einzelne macht, wie man Kindern und Jugendlichen Kongress bezeichnete Ehrenforth selbst einmal Veranstaltungen, auch die Landespolitik en- heute mit den vorhandenen Instrumenten als den Höhepunkt in seinem VDS-Leben – gagierte sich auf herausragende Art. Entschei- der Bildungspolitik eine qualitativ anspruchs- ein Kongress, der unmittelbar vor der deut- dend aber war in diesem Fall: Eine Ortsbe- volle Bildung garantiert – auch im Fach Musik schen Wiedervereinigung mit ca. 1800 Teil- stimmung war nicht mehr auszumachen: und ganz im Sinne Kestenbergs! Die nach- nehmern aus der Bundesrepublik und der Handelte es sich um Arbeit, um Freizeit? Nein, folgenden Preisträger lesen sich dann auch Noch-DDR stattfand. es war in der Tat ein einziges Fest zwischen wie eine spannende Geschichte der Bildungs- Dabei war alles so anders in Zusammen- Menschen, die sich bislang nicht kannten und landschaft Deutschland: der Dirigent Gerd arbeit mit dem Institut für Praxis und Theo- die berührt waren davon, dass politische Albrecht, der Komponist Diether de la Mot- rie der Schule in Schleswig-Holstein geplant. Grenzziehungen nie endgültig sein müssen te, der Pädagoge Horst Rumpf, der Unter- Ein kleiner Kongress sollte es werden, der – und dass diese Überzeugung bereits in der nehmer Knut Grotrian-Steinweg, der Verle- überschaubar über Innovationen fächerüber- Kunst vorgelebt wird. ger Peter Hanser-Strecker, der Bankier und greifenden und grenzüberschreitenden Ar- Stiftungsvorstand Bernhard von Loeffelholz, beitens des Schulfachs Musik nachdenken soll- Was bleibt der Liedermacher Gerd Schöne, der Verband te. Diese Grenzüberschreitung und -über- Deutscher Musikschulen und der WDR3- windung war in den Jahren 87/88 ausschließ- Karl Heinrich Ehrenforths musikpädago- Wellenchef Karl Karst. lich didaktisch-methodisch gedacht; doch die gische Leistungen wird man nicht annähernd Es ist Ehrenforth zu danken, dass er durch politische Wirklichkeit, die Ereignisse des in einem kleinen Text wie diesem würdigen diese ja ausschließlich symbolische Initiative November 1989 veränderten die Botschaft können, nicht einmal seinen hohen Arbeits- die deutsche Öffentlichkeit darauf aufmerk- total. Der VDS sah sich auf einmal in der einsatz, sein Mitdenken und Mitgestalten für sam machte, wie vielfältig die Unterstützung Situation eines Brückenbauers zwischen un- einen und in einem Verband kann man an- für die schulisch-musikalische Bildung sein terschiedlichen Erfahrungen als Musiklehrer nähernd präzise artikulieren. Aber man kann kann und dass sie sich eben nicht allein auf in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen. Linien aufzeigen, die durchgängig erkennbar die Lehrer und die Schulverwaltungen redu- Ehrenforth war es auch, der immer wieder sind, Linien, die grundsätzliches Denken mit zieren lässt. die Notwendigkeit anmahnte, behutsam mit konkreten Schritten verbinden. Ehrenforth gehört einer Generation an, die vor dem Hin- tergrund der Katastrophe der NS-Zeit die eigene Handlungsorientierung aus den grund- sätzlichen Ortsbestimmungen heraus artiku- liert. Das heißt auch, dass jeder zu anderen Schlüssen dann kommen mag, wenn er sei- ne auf gänzlich andere Grundentscheidun- gen basiert weiß. Insofern mag es dem einen oder anderen fremd erscheinen, dass durch alles Denken Ehrenforths eine christliche Anthropologie erkennbar ist, die beispielsweise der Neuen Musik gegenüber durchaus in Distanz treten kann und sich näher bei der h-Moll-Messe Bachs oder der 1. Sinfonie von Ehrenforth Johannes Brahms weiß. wird stets Seinen Standpunkt aber hat er zu keinem Zeitpunkt verabsolutiert, sondern war immer ein Suchender dialogfähig – und das, weil er bis heute neu- gierig ist auf den Anderen und das Andere. bleiben… Von daher wird auch er stets ein Suchender bleiben; denn das Suchen ist Teil der Lebens- welt überhaupt.

Dieser Artikel erschien erstmalig in der nmz-Beilage „Transpositionen“ 03/09.

 MUSIK ORUM 47 ie soll ein Beitrag Deutsch- S lands im Kulturhauptstadtjahr Künstlerakademie in Istanbul soll dem Beispiel der 2010 sein, zugleich eine zentrale Brücke zwischen den Kontinenten und ein Aushängeschild für deut- ZWISCHEN sche Kultur im Ausland: Brückenbau die Künstlerakademie Villa Tarabya in Istanbul.

Im kommenden Jahr werden die Metro- ausschuss. Seit 2002 bin ich im Bundestag meine alte Idee von einer Kulturakademie pole am Bosporus und die Region Ruhr ge- und habe daher die Diskussionen über wieder aufgenommen habe. Dann suchte meinsam den Titel der Europäischen Kultur- einen EU-Beitritt der Türkei direkt begleiten ich einen Ort, an dem Künstler, wie in der hauptstadt tragen. Eine gute Gelegenheit, um können. Dabei habe ich mich immer Villa Massimo in Rom, für einen bestimm- Gemeinsamkeiten der beiden Kulturen neu gefragt, warum es in der Türkei keine so ten Zeitraum leben können. Und dafür bot zu entdecken, „den künstlerischen Blick auf wunderschöne Einrichtung wie die Villa sich das Gelände Tarabya geradezu an – die Türkei zu verändern und kulturelle Ko- Romana, die Villa Aurora oder die Villa die historische Sommerresidenz der deut- operationen zu ermöglichen“ (Bundesaußen- Massimo gibt, in denen deutsche Künstler schen Botschaft in Istanbul; nicht nur weil minister Frank-Walter Steinmeier). einige Monate in Rom, Florenz oder Los es eine Residenz mit Diplomatenstatus ist, Petra Merkel, SPD-Abgeordnete im Deut- Angeles verbringen können. Denn gerade sondern auch weil sie gut gelegen ist: schen Bundestag und Mitglied des Haushalts- im europäischen Teil der Türkei sind un- direkt am Bosporus, in einem Vorort von ausschusses, spricht mit Christian Höppner glaubliche Ansätze der europäischen Iden- Istanbul. Außerdem plant man dort den über die Villa Tarabya, die Chancen des kul- tität zu spüren. Hierin liegt eine Chance: Bau einer U-Bahn, sodass die Künstleraka- turellen Austauschs und Deutschlands Aus- Wir können versuchen, Auseinanderset- demie später auch infrastrukturell gut an- sichten, zu einer Kreativgesellschaft zu wer- zungen auf der politischen Ebene durch gebunden wäre. Mein Kollege Steffen Kam- den. eine Stärkung des Kulturbereichs zu über- peter und auch Außenminister Frank-Walter brücken. 2003/2004, auf dem Höhepunkt Steinmeier waren gleich von der Idee be- Sie sind gemeinsam mit Ihrem Kolle- der Debatten zum EU-Beitritt der Türkei, geistert. Auch das Goethe-Institut wird bei gen Steffen Kampeter, dem haushaltspoliti- war es leider nicht möglich, eine derartige diesem Projekt mitmachen und uns mit schen Sprecher der CDU/CSU-Bundestags- Kultureinrichtung durchzusetzen, da damals seiner hervorragenden Verbindung zur fraktion, Initiatorin der Künstlerakademie die Sanierung des Haushalts im Vorder- kulturellen Szene in Istanbul, Ankara und „Villa Tarabya“ in Istanbul. Ist dies ein Beispiel grund stand. anderen Städten der Türkei unterstützen. für das Funktionieren der inzwischen abge- In dieser Legislaturperiode bin ich mit Es ist gelungen, die Mittel für die Villa Tarab- wählten großen Koalition im Detail? Maria Böhmer, der Integrationsbeauftragten ya in dieser Legislaturperiode freizugeben. Petra Merkel: Es ist ein Zeichen der der Bundesregierung, drei Tage in Ankara 2010, wenn Istanbul und Essen Kultur- guten Zusammenarbeit in der großen und Istanbul gewesen und war so ergriffen hauptstädte sind, soll das Projekt Tarabya Koalition im Kulturbereich im Haushalts- von diesen Regionen der Türkei, dass ich starten.

Blick auf die Villa Tarabya vom Bosporus:

© Petra Merkel

Im Haus links sollen Künstler unterkommen. Das Gebäude rechts wird vom deutschen Botschafter genutzt.

 48 MUSIK ORUM römischen Villa Massimo folgen. Gespräch mit der SPD-Haushaltspolitikerin Petra Merkel

TÜRKISCHER UND DEUTSCHER KULTUR

Welche politischen Zielvorstellungen dass dies trotz der Kulturunterschiede und tin bin dafür. Diesen Streit haben wir be- verbinden sich mit dem Projekt neben den zu Sprachbarrieren gelingt. Die politische Ziel- wusst beiseite gelassen, weil wir wollen, dass erwartenden Auswirkungen für den kulturel- setzung ist ganz eindeutig: Wir wollen Brü- dieses Projekt gelingt. Wir wollen ermögli- len Austausch ? cken bauen zwischen der deutschen und chen, dass deutsche Künstler viel über die Merkel: Im Vordergrund stehen die der türkischen Kultur. Außerdem wollen Kultur der Türkei erfahren und auch etwas deutschen Künstler, die die Möglichkeit wir die deutsche Tradition mit der in Istan- von unserer deutschen Kultur vermitteln. haben werden, in Tarabya zu leben. Wir bul und der Türkei vorhandenen deutschen Darüber hinaus bin ich der Meinung, dass wollen, dass sie in Istanbul und auch in und europäischen Kultur stärker verankern. die Türkei ein wichtiger Partner für uns ist, anderen Regionen der Türkei mit türki- und dass sich in der Türkei nur etwas ver- schen Künstlern gemeinsam arbeiten. Sie Sehen Sie in diesem Projekt auch ändert, wenn die Perspektive für einen EU- sollen Angebote der Kunstakademien und ein Signal für einen baldigen EU-Beitritt der Beitritt wirklich gegeben ist. Denn ohne Universitäten nutzen und gemeinsam mit Türkei? diese Aussicht ist die Gefahr groß, wieder türkischen Künstlern Ateliers nutzen oder Merkel: Mein Unions-Kollege Kampeter in alte Traditionen und Muster zurückzu- in türkische Projekte einsteigen. Wir hoffen, ist gegen den Beitritt, ich als Sozialdemokra- fallen. Und das will niemand, auch die augenblickliche Regierung der Türkei nicht.

Fand das Projekt – auf dem Weg Deutsche Kultur in Istanbul: Villa Tarabya von der Idee bis zum jetzigen Zeitpunkt der Umsetzung – auch Gegenstimmen oder Das Konzept der geplanten deutschen Kulturakademie in Istanbul orientiert Hindernisse? sich an der Villa Massimo in Rom und soll einen neuen Ort des künstlerisch- Nur insofern, dass wir vor der kulturellen Austauschs schaffen. Eröffnet wird die Villa voraussichtlich 2010, Merkel: Schwierigkeit stehen, das Gelände so ge- dem Jahr, in dem sowohl Essen und das Ruhrgebiet als auch Istanbul den Titel schickt wie möglich aufzuteilen, weil auch „Europäische Kulturhauptstadt“ tragen. Um das Projekt zu verwirklichen, hat das Orient-Institut Istanbul auf dem Gelände der Haushaltsausschuss Ende 2008 einen Etat von insgesamt sechs Millionen in Tarabya untergebracht werden soll. Euro zur Verfügung gestellt, vornehmlich um den Bau der sanierungsbedürf- tigen Anlage zu finanzieren, die seit 1880 Residenz der deutschen Botschaft in Welche Institutionen sind am Projekt Istanbul ist. Für die Vergabe der jährlich 14 Stipendien, die an Künstler aus beteiligt? dem Bereich bildende Kunst, Architektur, Film und Musik vergeben werden Merkel: Selbstverständlich partizipiert sollen, sind das Auswärtige Amt und der Beauftragte der Bundesregierung für das Auswärtige Amt mit Außenminister Kultur und Medien zuständig. Frank-Walter Steinmeier: Die Liegenschaft Tarabya gehört zum Außenministerium, während das Goethe-Institut Erfahrungen hat mit „Artists-in-Residence“-Programmen. Diese Erfahrung wird gerade in der Türkei wichtig sein, damit die Künstler vor Ort stärker integriert sind. So auch bei der Villa Tarabya. Eine solche Künstlerakademie benötigt die Zusammenarbeit verschiedener Kräfte: Deswegen arbeiten der Beauftragte für Kultur und Medien, das Auswärtige Amt und für das Orient-Institut auch das Bundesministerium für Bildung und For- schung zusammen.

Gerade bei kulturellen Begegnungs- programmen, speziell im Bereich der Musik, gibt es Defizite. Welche Chancen sehen Sie, diese auszugleichen? Merkel: Ein Ausbau wäre sicherlich Beispielgebend für den kulturellen Dialog: die Villa Massimo in Rom. © Villa Massimo wünschenswert. Denn gerade Musik ist eine

 MUSIK ORUM 49 der einfachsten Formen der Verständigung, man braucht keine Sprachkenntnisse, um miteinander zu musizieren oder Musik zu »Wenn man mit fremden „erleben“. Es gibt zum Glück ja bereits zahlreiche Projekte: Viele Bundesländer Ländern kooperieren will, besitzen z. B. Wohnungen, in denen sie für eine bestimmte Zeit Künstler unterbringen. ist es leichter, dies über den Zur Türkei gibt es vielfältige Verbindun- gen, besonders mit Berlin – eine der größten Kulturweg zu organisieren, „türkischen Städte“ außerhalb der Türkei. Menschen, die durch ihre Herkunft türki- weil das die erste gemeinsame sche Anbindungen und Wurzeln haben, bereichern uns und unsere Kultur mit ihrer Sprache ist« Sichtweise. Ich denke da z. B. an den Petra Merkel deutsch-türkischen Regisseur Fathi Akin oder an diverse deutsch-türkische Theater- projekte wie z. B. von Shermin Langhoff mit dem Ballhaus Naunynstraße. Es gibt so © Petra Merkel viele Möglichkeiten der Begegnung, die man nutzen kann. Wenn man mit fremden liegen in der Länderhoheit. Der Bund kann gewählte Präsidentin des Chorverbands Ländern kooperieren will, ist es leichter, aber Impulse für entsprechende Modelle Berlin habe ich erfahren, dass zum Beispiel dies über den Kulturweg zu organisieren, geben. Im Auftrag meiner Fraktion habe ich der „FELIX“ (Qualitätszeichen des Deut- weil das die erste gemeinsame Sprache ist, in der Föderalismuskommission II über schen Chorverbands) Kindertagesstätten die man versteht. Eine kulturelle Begeg- Lockerungen des Kooperationsverbots ge- für das gemeinsame Singen auszeichnet. nung löst etwas Verbindendes aus und ist stritten, aber die Länder haben sich vehe- Und auch in der Grundschule war schon eine gemeinsame neue Erfahrung. ment dagegen gesträubt. Meine Kollegen immer neben der Frage der Bildung auch aus den Landesparlamenten glauben nicht, die der Erziehung wichtig. Zusätzlich sollte Sie und Steffen Kampeter sind beide dass der Bund diese Aufgabe besser bewerk- in den Schulen ein gemeinsames Leben Haushaltspolitiker und beschäftigen sich doch stelligen könnte als die Länder. stattfinden. Die Schule darf nicht auf die sehr intensiv mit Kulturprojekten. Woher Wir müssen in allen Parteien darüber Durchführung des Unterrichts reduziert kommt die Affinität zu diesem Thema? nachdenken, wie wir uns mit einem födera- werden, sondern muss Schülern und Leh- Merkel: Kultur ist für mich ein Schlüssel, len System so aufstellen, dass wir in Europa rern die Möglichkeit bieten, sich auch anders der nicht nur das Gute und Schöne erlebbar gut bestehen können. Im Kulturbereich zu begegnen. Mit solchen zusätzlichen Be- macht, sondern der auch einen direkten wird der Bund immer wieder Angebote gegnungen könnte man erkennen, welche Zugang zur Geschichte und zum Menschen machen, z. B. über die Bundeskulturstiftun- Fähigkeiten Kinder noch haben. Dies könnte öffnet. Kulturangebote gehören zum großen gen, die Modellcharakter haben können zu Respekt vor dem Kind beitragen. Das Bereich der Bildung, zu denen ich persön- (z. B. das Projekt „Jedem Kind ein Instru- Kind würde deswegen nicht nachsichtiger lich eher einen Zugang gefunden habe als ment“). Alles andere müssen aber die Län- bewertet, aber der Umgang miteinander zu manch anderen Angeboten unserer der regeln. Die Diskussionen in der Födera- würde verbessert werden und es würden Stadt. Der leichte Zugang zum Thema war lismuskommission haben gezeigt, dass Voraussetzungen und Motivation geschaf- sicher bei mir der Auslöser für mein Enga- Träume für mehr Einfluss des Bundes uto- fen, die das Lernen erleichtern. gement in diesem Bereich. Darüber hinaus pisch sind. Ganztagsschulen würden bedeuten, dass habe ich mit dem Thema beruflich über die Schule Freizeitangebote wie Musikunter- die Hauptstadtkultur zu tun, die vom Bund Sehen Sie die Gefahr, dass solche richt oder Sportprogramme in weiten Tei- finanziert wird und in meinem Etat liegt. Prinzipien Zugänge zur Kultur und Bildung len integrieren muss. So könnte die Schule Sonst haben wir aber auf der Bundesebene verstellen? Wie kann man dem entgegenwir- belebt und zu einem wirklichen Lebens- – aufgrund der Kulturhoheit der Länder – ken? mittelpunkt werden – nicht nur für Kinder nur dann mit Kultur zu tun, wenn sie von Merkel: Ich sehe in der Entwicklung und Jugendliche, sondern auch für Lehrer, nationaler Bedeutung ist. unserer Schulen eine große Chance: Im Eltern und die Menschen aus dem Umfeld. internationalen Vergleich müssen sich diese Und das wäre wichtig. Und wenn ich mich Bund kann nur Bildungs- von der Grundschule an zu Ganztagsschu- umsehe, dann sind doch schon viele Schu- modelle anbieten len entwickeln. Bereits in den Kindertages- len genau auf diesem Weg. stätten sollte der Fokus darauf liegen, Kin- dern möglichst viele Bildungs- und Kultur- Wie können Sie mit Ihrer politischen Inwieweit kann der Bund zukünftig angebote angedeihen zu lassen. Schule Arbeit dazu beitragen, dass Deutschland sich Impulse für nachhaltige Bildungsangebote für und Kindergarten sollten mehr bieten als zu einer Wissens- und Kreativgesellschaft Kinder und Jugendliche im Bereich der Musik Wissensvermittlung und bloße Betreuung. wandelt? setzen? Deshalb gibt es bereits in den Kindertages- Merkel: Mein Wahlkreis Charlotten- Merkel: Laut unserem Grundgesetz kann stätten vermehrt Bildungsangebote mit burg-Wilmersdorf ist derzeit dabei, einen der Bund im Augenblick keine Impulse der eigenen Konzepten, die speziell für kleine gemeinsamen Campus für die Technische Nachhaltigkeit setzen. Kultur und Bildung Kinder entwickelt worden sind. Als frisch Universität und die Universität der Künste

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zu entwickeln. Genau so etwas ist die diese Krise ist wieder schärfer hervorgetre- Chance. Die Verbindung von Kreativität ten, dass unser System, in dem es nach mei- und technischem Wissen schafft etwas ner Auffassung staatliche Pflichtaufgaben Neues und lässt Arbeitsplätze in der Krea- im Kulturbereich gibt, gut ist. Diese Ver- tivwirtschaft entstehen. Wir müssen viel pflichtung wird weiter bestehen, wenngleich öfter vernetzen und Vorhandenes neu wir es sicherlich in den nächsten Jahren kombinieren. Auch für die Schulen lassen schwerer haben werden, Sonderprojekte sich Kooperationen mit anderen Institutio- zu finanzieren. nen arrangieren, vielleicht auch mithilfe Ich kann mich gut erinnern, wie wir der Bundeskulturstiftung. Jedes Kind muss zum Erhalt von denkmalgeschützten Ge- nach besten Möglichkeiten in seinen Fähig- bäuden kurzfristig 40 Millionen aus dem keiten gefördert werden. Das darf keine Boden gestampft haben, oder wie wir die Utopie bleiben. Bisher ist es gerade bei uns UNESCO-Weltkulturerbestätten noch mal in Deutschland nicht gelungen, allen Kindern mit einem Sonderprogramm bedacht haben – unabhängig von der sozialen oder ethni- – so etwas wird man derzeit nicht mehr schen Herkunft – gleiche Chancen zu bie- hinbekommen. Man darf Investitionen im ten und für unsere Gesellschaft zu gewinnen. Kulturbereich nicht vernachlässigen, denn Man kann sich in dieser Gesellschaft nur durch ihre Kleinteiligkeit garantieren Kultur- zurechtfinden, wenn man die Möglichkeit projekte auch Arbeitsplätze. Handwerker hat, daran teilzuhaben. Dass viele diese und Betriebe vor Ort profitieren von ihnen Möglichkeit nicht haben, finde ich erschre- – auch deshalb braucht man gerade in ckend. Krisensituationen die Kultur.

Welche Rolle spielt die UNESCO- Im Frühjahr 2009 sind Sie zur Konvention zur Erhaltung und Förderung Präsidentin des Chorverbands Berlin gewählt kultureller Vielfalt in Ihrem Wahlkreis? worden – könnten Sie in Interessenkonflikte Merkel: Die Inhalte der UNESCO- zwischen dem zivilgesellschaftlichen Engage- Konvention spielen auch vor Ort eine Rolle. ment und Ihrer politischen Arbeit geraten? Es gibt beispielsweise viele Bildungsprojekte Merkel: Diese Gefahr sehe ich weniger. speziell für Kinder und Jugendliche mit Ich glaube, man kann sich als Politikerin Migrationshintergrund, die in der Schule bei der Vorstandsarbeit in einem Verband überfordert sind. Es ist auffällig, dass viele nur dann sinnvoll einbringen, wenn man dieser Kinder aus dem Schulsystem heraus- das parteipolitisch übergreifend macht. fallen. Ich hoffe, dass wir irgendwann solche Auch ich gebe den Mantel meiner Partei- Projekte nicht mehr nötig haben, weil sich zugehörigkeit natürlich nicht an der Garde- das Schulsystem geändert hat, aber derzeit robe ab, aber ich versuche, die Interessen müssen Angebote noch sein. Wir müssen des Verbands zu vertreten. Der Verband uns endlich als Einwanderungsland begrei- kann nur gewinnen, denn in seinem Inte- fen und die unterschiedlichen Kulturen in resse nutze ich meine Kontakte zur politi- unserem Land pflegen. Wir haben Erwar- schen Ebene, wodurch sich manchmal tungen an die Zuwanderer und diese haben Türen schneller öffnen lassen. Erwartungen an uns. Aber die Unterschied- lichkeit der Kultur – als einem Teil des Musizieren oder singen Sie selbst? Menschen – kann man niemandem neh- Merkel: Ich habe es mir vorgenommen. men. Wenn ich nicht mehr politisch tätig bin, gründe ich einen Chor! Und auch heute Der Bundestag hat sich nicht darauf versuche ich bereits, diesen Bereich zu verständigen können, Kultur als Staatsziel ins unterstützen. Wenn wir z. B. auf der politi- Grundgesetz aufzunehmen. Seit der Wirt- schen Ebene jemanden verabschieden schaftskrise gibt es mannigfaltige Befürchtun- oder im Freundeskreis ein Fest ausrichten, gen, dass zuerst an der Kultur gespart wird. dann stelle ich dafür immer den Chor zu- Sehen Sie auch diese Gefahr? Haben Sie sammen, auch wenn ich das natürlich nur Empfehlungen, dem entgegenzuwirken? unprofessionell und wirklich nur aus Spaß Merkel: Ich bedauere, dass wir es nicht an der Freude machen kann. Für alle, die geschafft haben, Kultur ins Grundgesetz dabei sind, ist es immer wieder ein Erlebnis: aufzunehmen. Dieses Ziel steht bei mir und Wenn man die ersten Töne gemeinsam meiner Fraktion weiter auf der Tagesord- singt, ist das ein Gefühl der Öffnung – nung. Die Krise hat uns bewusst gemacht, man bekommt etwas Gemeinsames hin, wie riskant der Trend ist, Kultur immer das verbindet! Was gibt es Schöneres? mehr über Sponsoring laufen zu lassen, während der Staat sich zurückzieht. Durch Das Interview wurde im Juni dieses Jahres geführt. Wie sich Hamburg musikalisch global vernetzt. Von Julia Dautel TOR ZUR Welt-Kultur

Partnerschaft mit Partnerstädten: Schüler der Hamburger HipHop-Academy zusammen mit Tänzern aus Marseille. © Kulturpalast im Wasserwerk e.V.

amburg, das sich trotz Seit dem 20. Jahrhundert bestand ein be- In der globalisierten Medienwelt erlauben H hanseatischem Understate- sonderer Fokus auf dem Austausch mit den grenzenübergreifende Kommunikationswe- ment gerne auch „Tor zur Welt“ Partnerstädten Marseille, St. Petersburg, Shang- ge einen direkten Austausch von Bürgern und hai, Osaka, Prag, Chicago und Leon. Wurde Künstlern untereinander, so dass der Kultur- nennt, hat sich immer als welt- in den Anfängen vor allem versucht, Ham- austausch immer weniger von staatlichen In- offen ausgerichtete Metropole burg und Deutschland durch Kulturexporte stitutionen koordiniert werden muss. Rolle verstanden. Durch frühe inter- im Ausland zu präsentieren, hat in den ver- der Politik sollte es aber weiterhin sein, Ent- nationale Zusammenarbeit in gangenen Jahren entsprechend der Neuaus- wicklungen zu unterstützen, Kooperationen Hafen und Handel begründet, richtung der deutschen auswärtigen Kultur- anzuregen, Künstler international zusammen- entwickelte sich auch im kultu- politik ein Umdenken stattgefunden. Denn zubringen und ihre Projekte, so sie langfristig es hat sich gezeigt, dass es vielen frühen Pro- und gegenseitig angelegt sind, im Rahmen rellen Bereich ein intensiver jekten, die häufig groß angelegt und einseitig des Möglichen finanziell zu unterstützen. Austausch mit und ein großes durchfinanziert waren, an Nachhaltigkeit und Neben der eindeutigen positiven Auswirkung Interesse an anderen Ländern Gegenseitigkeit fehlte. Dies gilt im Bereich solcher Projekte auf die kulturelle Verständi- und Regionen. der Musik ebenso wie in den anderen kultu- gung insgesamt bedeutet der internationale rellen Sparten. Heute steht nicht mehr nur Kulturaustausch auch immer einen positiven Kulturvermittlung an erster Stelle, sondern Impuls für Entwicklung und Rolle des Künstlers ein der zwischenstaatlichen und zwischen- in seiner eigenen Heimat. menschlichen Verständigung dienender Dia- log und Austausch.

 52 MUSIK ORUM Zur „China Time 2008“ hat die Behörde für Kultur, Sport und Medien beispielsweise den jungen Shanghaier Jazz-Star Coco Zhao mit seiner Band nach Hamburg eingeladen. Dieser von der Behörde finanzierte Besuch hat eine Vielzahl von Kontakten des chinesi- schen Musikstars zu Musikern in Hamburg nach sich gezogen. Die Folgeprojekte laufen nun per Facebook und Myspace direkt zwi- schen den Musikern ab.

Netzwerke, Projekte, Freundschaften Als 2008 die Hamburger HipHop-Aca- demy anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft in Marseille gastierte, sorg- ten vor allem die Workshops mit jungen Mu- sikern aus Frankreich für den Aufbau von spannenden Netzwerken zwischen den Part- nerstädten. Ein weiteres bekanntes Beispiel einer solchen fruchtbaren Beziehung einzel- ner Künstler ist die enge Freundschaft zwi- schen Udo Lindenberg und dem Shanghaier Moderator, Schauspieler und Barbesitzer Lin Dongfu. Die „Lin Brothers“, wie sich die bei- den seit ihrer ersten Begegnung 2002 in Shanghai nennen, halten seitdem den Kon- takt zueinander und entwickeln neue Pro- jekte für beide Städte. Doch ist es nicht nur die junge Szene, die einen Wandel erlebt. Auch etablierte Institu- tionen wie die Hamburger Symphoniker unter Chefdirigent Jeffrey Tate und Intendant Da- niel Kühnel, beide überregional und interna- Kontaktbörse „China Time 2008“: tional viel beachtet, und Hamburger Chöre Der Star der Shanghaier Jazz-Szene, Coco wie Monteverdi, Kinderchor Cantemus und Zhao, vor seinem Auftritt im Rahmen des Kanemaki konnten durch langfristig angelegte Kulturtreffens. © Hamburg Marketing GmbH Kooperationen mit Kulturschaffenden und Institutionen in anderen Ländern bei ihren Tourneen große Erfolge feiern. Dass sie dazu lokale Hits der Partnerländer in ihr Reper- perationen zu feiern und einer breiten Auch für die eigene Stadt und ihre inter- toire aufnehmen, wie zum Beispiel das Lied Öffentlichkeit zu präsentieren, bieten die nationalen Mitbürger birgt die Beschäftigung vom Gelben Fluss, das der Monteverdi-Chor Jubiläen von Städtepartnerschaften. So wur- mit anderen Kulturen spannende Erkennt- in China vor ausverkauften Sälen zum Bes- den in diesem Jahr in Hamburg, pünktlich nisse über das Eigene, das Fremde und das ten gab, steigert die Begeisterung vor Ort. zum traditionellen japanischen Kirschblüten- Verbindende. 2001 wurde beispielsweise in feuerwerk über der Alster, aus Anlass des der Laeiszhalle der indische Kathak gemein- Deutschland und China – 20-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft sam mit dem spanischen Flamenco präsen- von Hamburg und Osaka mehr als 100 Ver- tiert. Nicht ohne Grund: Beide Tänze haben gemeinsam in Bewegung anstaltungen mit Japan-Bezug organisiert, da- sich aus dem gleichen Ursprung entwickelt. Grundsätzlich ist auch eine Einbettung des runter die Einladung von „Jugend musiziert“ Kulturaustauschs in längerfristig angelegte an fünf junge Musiker aus Osaka, die – ne- Veranstaltungsformate sinnvoll. So konnten ben dem Hamburger Kanemaki-Chor – die mehrere Hamburger Bands bei der vom Jubiläumsempfänge im Rathaus musikalisch Die Autorin: Auswärtigen Amt initiierten Reihe „Deutsch- begleitet haben. Julia Dautel, Sinologin, lebte mehrere Jahre in Shanghai land und China – Gemeinsam in Bewegung“, in der Volksrepublik China. Heute ist sie zuständige Refe- rentin für den Kulturaustausch mit Asien und Amerika in die von 2007 bis 2010 läuft, vor großem der Behörde für Kultur, Sport und Medien Hamburg. Publikum auftreten und sich darüber hinaus mit chinesischen Musikern austauschen und in kleineren Clubs gemeinsam spielen. Eine weitere gute Gelegenheit, bestehende Koo-

 MUSIK ORUM 53 ie westliche und orientalische Karin Sporer und und Helmut Bieler-Wendt über das DMusiktradition unterscheiden integrative Gütersloher Projekt „MusikWelten“ sich erheblich voneinander: Rhyth- mus, Tonsysteme und Instrumente werden als sehr verschieden emp- SCHÜLER ENTDECKEN DIE funden. Dennoch gibt es gemein- same Wurzeln zwischen beiden Welten. Klangsprache des Orients Auch gab es über die Jahrhunderte immer wieder Berührungspunkte zwischen beiden Musikkulturen, und manche als typisch west- lich angesehenen Entwicklungen ließen sich Musik der Jugendkulturen und entwickelten bar werden kann und wie Lehrkräfte und zu ihren orientalischen Ursprüngen zurück- sich eigenständig weiter. Schüler sich fremde Klänge und damit Zu- verfolgen. Letztlich ist uns der Orient musi- Im Musikunterricht an allgemein bilden- gang zu deren Welten und ihren Menschen kalisch jedoch fremd geblieben, unsere Hör- den Schulen wird der Musik aus anderen Kul- aneignen können, bietet das Gütersloher gewohnheiten sind fest im westlichen Ton- turräumen in der Regel wenig Aufmerksam- Projekt „MusikWelten“. Sein Ziel ist es, die und Rhythmussystem verankert. Denn Mu- keit geschenkt. Kinder mit Migrationshinter- Beschäftigung mit außereuropäischer Klang- sik ist keine universelle Sprache, die unmit- grund finden die Musikkultur ihrer Eltern- sprache in die musikalische Ausbildung von telbar verstanden werden kann. Sie tritt in häuser im Musikunterricht kaum wieder, und Jugendlichen einzubeziehen. äußerst unterschiedlicher Weise in Erschei- wer nur die westliche Musikkultur kennt, wird Die durchweg positiven Erfahrungen ei- nung. Verständnis und Wertschätzung von im Musikunterricht dem Orient so gut wie ner bis ins Jahr 1995 zurückreichenden Zu- Musik wollen gelernt sein. nie begegnen. Die Überwindung der Kluft sammenarbeit verschiedener Ensembles der Anne-Frank-Schule Gütersloh mit dem Kom- ponisten Helmut Bieler-Wendt aufgreifend, erteilte das Kultursekretariat NRW Güters- loh Bieler-Wendt den Auftrag, in diesem Sinn eine Sammlung von Stücken für Bläserklas- sen zu erstellen. Das Repertoire für Bläser- klassen besteht üblicherweise aus Arrange- ments der europäischen Klassik, aus US- und südamerikanisch orientierten Pop- und Mu- sicalmelodien sowie eigens für Bläserbeset- zung komponierter Literatur, die in der Re- gel einfachste Rhythmen aufweist und in der Dur-Moll-Tonalität verankert ist.

Zugriff auf arabisch- türkische Musiktradition Demgegenüber haben unter den Völkern des vorderen Orients und Nordafrikas ins- besondere Araber, Perser und Türken nicht nur drei feste Staatswesen, sondern auch drei große Musikkulturen geschaffen. Sie sind durch ihr reiches Repertoire, eine fundierte Musik- theorie sowie die schriftliche Fixierung ihrer Musikgeschichte gekennzeichnet. Mit der „Music Monsters“: die Bläserklasse 7d der Anne-Frank-Gesamtschule Gütersloh mit dem Sammlung „MusikWelten“ wird nun das Re- Komponisten Helmut Bieler-Wendt, dem stellvertretenden Schulleiter Michael Möhlen, Liz pertoire für Bläserklassen durch eine erste Mohn, Peter Ausländer von der AG Musik-Szene-Spiel OWL, Bürgermeisterin Maria Unger Sammlung von sechs Stücken der arabisch- und der musikalischen Leiterin Gudrun Pollmeier. Foto: Thomas Kunsch/Bertelsmann Stiftung türkischen Musiktradition erweitert. Dabei soll die Musik zu ihren Ursprüngen zurückver- Dennoch ist die Klangsprache des Orients zwischen den beiden Welten ist in allen Le- folgt werden. bei uns präsenter, als wir es oft wahrnehmen. bensbereichen eines der großen Themen Dazu wurde – unterstützt durch Stefan Die Menschen aus dem orientalischen Kul- unserer Zeit. Auch in der musikalischen Bil- Pohlit in Istanbul, einem profunden Kenner turraum, die in den letzten Jahrzehnten nach dung sind somit Konzepte gefragt, die auf europäischer wie arabischer Musiktraditionen Mitteleuropa gekommen sind, haben auch diesen Prozess einwirken. – Musik ausgewählt, die auf in beiden Kultu- ihre Musik mitgebracht. Bestandteile arabi- Eine Möglichkeit, wie kulturelle Vielfalt ren realisierbaren tonalen und rhythmischen scher Musiktradition fanden ihren Weg in die auch im Musikunterricht sichtbar und hör- Modellen basiert, um sie so dem Musizieren

 54 MUSIK ORUM Foto: Ulrich Bever

Annäherung an fremde Kulturen: allgemein bildenden Schulen sowie Schüler die Bläserklasse der Anne-Frank-Schule bei in Bläserklassen können das Material bei der der Uraufführung der „MusikWelten“. Stadt Gütersloh oder der AG Musik-Szene- Spiel in Ostwestfalen-Lippe anfordern. Damit erhalten Schüler die Möglichkeit, im direkten Vergleich die Spezifik der jewei- Informationen und Bestellung über: • Stadt Gütersloh, Theater und Konzerte, Karin Sporer, ligen Musik zu erfahren. Sie erleben, wie man Tel. 0 52 41-82 27 09, Fax 0 52 41-82 23 22, sich durch aktive Auseinandersetzung das E-Mail: [email protected] Fremde zueigen machen kann, das damit • AG Musik-Szene-Spiel OWL,Tel. 0 57 33-27 20, Bestandteil des eigenen musikalischen Reper- E-Mail: [email protected] toires wird. Durch dieses Wissen sind auch U www.ag-musik-owl.de eine Öffnung für den fremden Kulturraum insgesamt, eine Transferleistung auf andere, in unseren deutschen Bläserklassen zugäng- zunächst fremde Inhalte und Annäherung an Die Autoren: lich zu machen. Menschen anderer Kulturen zu erwarten. Karin Sporer studierte Kulturwissenschaften und ästhe- tische Praxis mit Schwerpunkt Musik an der Universität Diese Sammlung mit Transkriptionen von Auch Kindern mit Migrationshintergrund wird Hildesheim sowie am Bath University College. Nach Originalkompositionen, speziellen Bearbeitun- damit eine Möglichkeit geboten, der Musik verschiedenen Positionen im Umfeld von zeitgenössi- gen für die Bläserklassen und Begleitmateri- ihres eigenen kulturellen Hintergrunds zu scher Musik und kulturpädagogischen Projekten in alien ermöglicht eine intensive Beschäftigung begegnen, was im schulischen Musikunter- Berlin und Köln ist sie heute stellvertretende Leiterin des Konzert- und Theaterprogramms und begleitender mit zunächst fremden musikalischen Struk- richt ansonsten bislang nicht vorgesehen ist. Projekte der Stadt Gütersloh. turen, aber auch mit Hintergrundinformatio- Zudem ist die Übertragung der Musik von Helmut Bieler-Wendt lebt als Komponist, Musiker und nen zu ihrer Herkunft in Bezug auf Geschichte, „MusikWelten“ auf andere Instrumentenklas- freischaffender Musikpädagoge in Tübingen und Karls- Gegenwart und Geografie. sen (Streicher, Gitarre) möglich, die dadurch ruhe. Er leitet Workshops für Kinder und Jugendliche an Die Bläserklasse 7d des Jahrgangs 2007/ angeregt werden, sich mit orientalischer Musik unterschiedlichen Schulen und Bildungseinrichtungen in ganz Deutschland und ist seit 1998 Vorstandsmitglied 08 hat im Juni des vergangenen Jahres – unter zu beschäftigen und entsprechendes Reper- des Instituts für Neue Musik und Musikerziehung Leitung von Gudrun Pollmeier – die ersten toire anzufragen. Leiter von Bläserklassen an (INMM) in Darmstadt, seit 2004 dessen Vorsitzender. dieser Stücke uraufgeführt. Das Erlernen der Literatur stellte in der ersten Modellklasse an der Anne-Frank-Schule zunächst eine große ANZEIGE Herausforderung für die Schüler dar, die sie aber mit Engagement und Ehrgeiz gemeis- tert haben. Im Laufe des Projekts haben sich die Mitglieder der Bläserklasse die Musik des orientalischen Kulturraums erschlossen und verfügen nun über ein erweitertes Repertoire mit vielfältigen Facetten dieser Musik. Nachdem das Material zunächst nur auf CD-ROM vorhanden war, kam der Wunsch nach einer Druckausgabe als Voraussetzung für eine erfolgreiche Verbreitung des erprobten Materials auf. Mit Förderung durch die Liz Mohn Kultur- und Musikstiftung, unterstützt durch die Arbeitsgemeinschaft Musik-Szene- Spiel in Ostwestfalen-Lippe und die Stadt Gü- tersloh, ist nun ein weiterer wünschenswer- ter Baustein des Projekts möglich geworden, der das Material in eine Form bringt, die über den Inhalt hinaus anregend gestaltet und für den Gebrauch einfach zu handhaben ist. Über eine reine Drucklegung hinaus wer- den so auch weitere Informationen zu Mu- sik aus dem orientalischen Kulturraum zu- gänglich, mit einer Analyse grundlegender Unterschiede zur Musiksprache Mitteleuro- pas, einem historischen Überblick zum mu- sikalischen Austausch zwischen Orient und Okzident sowie Informationen zur Bedeu- tung von Melodik und Rhythmus, zu orien- talischen Instrumenten sowie zu dem Ver- hältnis zwischen Improvisation und Kompo- sition. BILDUNG.FORSCHUNG

Michael Ahlers zum Studienfach „Populäre Musik und Medien“ an der Uni Paderborn und die neue Generation der Young Creative Professionals OHNE BLICK DURCH DIE Fachbrille

s ist bislang in Deutschland Ausbildung von Schlüsselqualifikationen wie im Kultur- und Musikjournalismus (19 Pro- E einmalig: das Studienangebot z. B. von berufsfeldbezogenen englischen zent) arbeiten wollen. Lediglich vier Prozent „Populäre Musik und Medien“ an Sprachkompetenzen. der Befragten gaben an, sich eine Karriere Der aufbauende MA-Studiengang „Popu- im wissenschaftlichen Umfeld vorstellen zu der Universität Paderborn. läre Musik und Medien“ ermöglicht generell können. Dies änderte sich unter den befrag- eine wissenschaftlich-analytische, inter- und ten Jahrgängen auch nicht wesentlich im Die in Zusammenarbeit mit der Hochschule transdisziplinäre Vertiefung im Bereich der Verlauf ihres Studiums. Vielmehr gaben 77 für Musik Detmold durchgeführten Bache- Analyse und Reflexion populärer Musik. Dabei Prozent im Jahrgang 2005 (81 Prozent im lor- und Masterstudiengänge „Populäre Mu- ist es seit der erfolgreichen Reakkreditierung Jahrgang 2007) an, sich nicht umorientieren sik und Medien“ begannen im Wintersemes- möglich, einen eigenen Schwerpunkt zur Pro- zu wollen, sondern primär einen Arbeitsplatz ter 2002/2003 (Bachelor/BA) bzw. 2005/ filschärfung auszubilden: eine Intensivierung im Bereich der „Musik- und Medienindust- 2006 (Magister/MA). Der wissenschaftliche der wirtschaftswissenschaftlichen und me- rie“ zu suchen. Am Ende ihres Studiums ver- und interdisziplinäre Studiengang wird be- dienökonomischen Anteile in Richtung Pop- standen sich die Absolventen interessanter- treut vom Fach Musik der Universität Pader- musik-/Kulturmanagement bzw. wirtschafts- weise vor allem als Musikvermittler, Medien- born, dem Musikwissenschaftlichen Seminar wissenschaftlicher Popularmusikforschung praktiker oder „Popmusiker“ (siehe Grafik Detmold/Paderborn, den Fächern Wirtschafts- oder eine Vertiefung der kulturwissenschaft- unten). Dies ändert sich derzeit dahingehend, und Medienwissenschaften der Universität lichen Studienanteile in Richtung Journalis- dass die Studierenden bereits in den ersten Paderborn sowie dem Erich-Thienhaus-Ins- mus oder medienkultur- und musikwissen- Semestern zwischen einem betriebswirtschaft- titut für Tonmeister an der Hochschule für schaftlich fundierter Popularmusikforschung. lichen oder kulturwissenschaftlichen Studien- Musik Detmold. Dank der einmaligen Kons- profil wählen müssen und hierdurch indivi- tellation der Institute und Fächer konnte die- Präferenz: Medienpraktiker duelle weitere Planungen stärker gesetzt bzw. ser außergewöhnliche, von Grund auf fach- gesteuert werden können. übergreifende Studiengang realisiert werden. Zwei bisher erfolgte Studienabschluss- Der weitere Ausbildungs- und Berufsweg Die Universität Paderborn und die Hochschule befragungen der Bachelor-Jahrgänge in den der Bachelor-Studierenden führt – einerseits für Musik Detmold reagierten mit den Stu- Jahren 2005 und 2007 ergaben, dass die über das eigene, konsekutive Master-Pro- diengängen „Populäre Musik und Medien“ Studierenden zu Beginn ihres Studiums vor gramm an der Universität Paderborn oder (BA/MA) auf die bis dato im universitären allem in den Berufsfeldern Musikmanagement andererseits über unterschiedlich akzentuierte Bereich immer noch weitgehend fehlende, (35 Prozent der Befragten, Mehrfachantworten Master-Programme bundesdeutscher oder in- aber zugleich um so dringendere Verknüp- möglich), Artist and Repertoire (35 Prozent), ternationaler Universitäten – dann auch zum fung zwischen musik-, medienkultur- und wirt- Veranstaltungsmanagement (31 Prozent) oder großen Teil in die Kreativwirtschaft. Über das schaftswissenschaftlicher Forschung und musikalischer Medienlandschaft. Der Erwerb entsprechender wis- Ich verstehe mich heute (2007) als … senschaftlicher Kompetenzen dient den Studierenden einerseits als Vo- raussetzung für einen beruflichen Einstieg in die Musik- und Medien- industrie sowie andererseits als Grund- lage für die Erforschung populärer Musik und ihrer medialen Bedingun- gen auf hohem Niveau. Neben den einzelnen Gebieten der Musik- und Medienwissenschaft umfasst der ins- gesamt sechs Semester dauernde BA- Studiengang (siehe Struktur auf der rechten Seite!) auch nahe Bereiche der späteren Berufspraxis. So stehen grundlegende Funktionsweisen der Fächer Management, Musikproduk- tion und Musikvermittlung/Musik- journalismus auf dem Stundenplan der Studierenden. Dazu kommt die

 56 MUSIK ORUM Adelheid Foto:Rutenbur

ges

Theorie und Praxis: Bachelorstruktur des Studienangebots „Populäre Musik und Medien“ und Studierende des Kurses „Angewandte Musiklehre und Arrangement“ an ihren Arbeitsplätzen.

Alumni-Netzwerk des venten des Studien- Studiengangs erbrachte eine gangs „Populäre Musik und im Zuge dieses Artikels nach- Medien“ bearbeitet werden. gefragte Rückmeldung zur derzeitigen Die wissenschaftliche Erforschung Beschäftigungssituation, dass die Ehemaligen von Teilbereichen der Musik-, Medien-, Wirt- im redaktionellen Bereich von MTV/VIVA schafts- und Kulturwissenschaft wird so von als Promotion-Mitarbeiter, Online-Redakteure Studienaufenthalt an einer internationalen einer neuen Generation von Forschern mit oder Marketing-Mitarbeiter bei Major-Plat- Universität nachweisen müssen, ergeben sich vorangetrieben, denen der Blick durch „eine tenfirmen wie Universal, Warner oder Sony hier bereits gegen Studienende erste Kon- Fachbrille“ fremd und eine inter- oder trans- sowie bei unabhängigen Plattenfirmen, als Wer- takte, die nicht selten nach erfolgreichem Ab- disziplinäre Herangehensweise an Fragestel- betexter oder selbstständige Redakteure für schluss zur Anbahnung von Volontariaten und lungen stärker vertraut ist. Musikzeitschriften oder als Mitarbeiter im weiteren Praktika oder gar zu befristeten und Livemusik-Sektor arbeiten. – sicherlich seltener, aber bereits vorgekom- Mehr Informationen: Das Bild ist hier äußerst heterogen, zeugt men – zu unbefristeten Arbeitsverhältnissen U http://kw.uni-paderborn.de/institute- aber von einer weit reichenden Akzeptanz führen. einrichtungen der Studierenden und ihrer eingebrachten Für den Master-Studiengang und dessen Qualifikationen auf Seiten der Kreativwirt- Absolventen liegen bislang noch keine quan- schaft. Aufgrund der Tatsache, dass alle Stu- titativen Daten vor, da derzeit erst der zwei- Der Autor: dierenden in ihrem fünften Bachelor-Semes- te Jahrgang vor seinem Abschluss steht. Dr. Michael Ahlers arbeitet seit 2005 zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, derzeit als Akademischer ter entweder ein mindestens dreimonatiges Momentan entstehen jedoch bereits vier Rat im Studiengang „Populäre Musik und Medien“ an Pflichtpraktikum oder einen alternativen Dissertationsprojekte, die von Master-Absol- der Universität Paderborn.

 MUSIK ORUM 57 BILDUNG.FORSCHUNG

Carola Schormann präsentiert aktuelle Ergebnisse des

Europaweit KOMMUNIZIEREN UND

ber welche Kompetenzen soll nissen über vermeintlich Verstandenes füh- culum sowie Lehr-, Lern- und Prüfungsfor- Üein Musiklehrer in Europa ren können: Man denke nur an die inhalt- men beschrieben und aktuelle Herausforde- heutzutage verfügen? Wie ist sein liche Besetzung des in Deutschland historisch rungen diskutiert. Diese Dokumentation kann gewachsenen Begriffs „Schulmusiker“, die für als Argumentationshilfe für einen angemes- Arbeitsfeld – der Musikunterricht einen nichtdeutschen Europäer nicht ohne senen Stellenwert der Musiklehrerbildung – in das Schul- und Bildungssystem Weiteres nachvollziehbar ist. Es ging dabei sowie für ihre verantwortungsvolle Ent-wick- integriert? Diesen und anderen aber nicht nur um musikpädagogische Spezial- lung ebenso dienen wie als Grundlage für Fragen widmete sich das Music begriffe oder länderspezifisch bildungspoli- eine vertiefte inhaltliche Diskussion und das Education Network meNet, das tisch besetzte Begriffe, sondern auch um Schul- Erkennen und Aufgreifen von eigenen Stär- jüngst Ergebnisse vorlegte. typen oder Schulabschlüsse. ken und neuen Ideen. Die themenzentrierte Projektarbeit fokus- sierte fünf verschiedene musikpädagogische 3. Lernergebnisse in der Dem Netzwerk stellte sich ein umfang- Arbeitsfelder aus einer europäischen Perspek- Musiklehrerbildung reicher Themenkatalog: Welche Musikcurri- tive: cula gibt es überhaupt in Europa? Finden sich Über welche Kompetenzen muss ein künf- auch gemeinsame Ziele und Absichten? 1. Allgemein bildender tiger Musiklehrer in Europa verfügen und wie Welche Kriterien für die Kompetenzentwick- Musikunterricht soll das Fach Musik in der Schule unterrich- lung zu lebenslangem Lernen gibt es in der tet werden? Dies scheint zunächst einmal eine Musiklehreraus- und -weiterbildung? Und wie In den 20 betrachteten europäischen Län- abenteuerliche Frage zu sein, ist doch die unterstützt die EU eigentlich musikbezoge- dern gibt es unterschiedliche Ideen über Musik- Musiklehrerbildung und die äußerst unter- ne Schulpartnerschaften oder Projekte? unterricht. Diese werden anhand der folgen- schiedliche Bedeutung der Musik in den Schul- An dem EU-geförderten Netzwerk betei- den Kriterien präsentiert: Von der politischen systemen kaum miteinander vergleichbar. Aber ligten sich 26 Institutionen aus elf europäi- Struktur eines Landes über die Or- schen Ländern (Belgien, Deutschland, Estland, ganisation des Schulsystems und meNet stellt Modelle guter Unterrichtspraxis Griechenland, Großbritannien, Niederlande, des Musikunterrichts werden die aus verschiedenen europäischen Ländern vor: Österreich, Schweden, Slowakei, Slowenien Curricula jeweils vorgestellt, kom- An der britischen Tiverton High School (Bild) und Spanien). Hinzu kamen ca. 90 Institu- mentiert und zukünftig zu erwar- nutzen die gesamten Jahrgänge der 8. und 9. tionen aus 23 Ländern als weitere assoziier- tende Veränderungen und Ent- Klasse – über 500 Kinder – die Software „Giga- te Partner des Netzwerks. Die allesamt im wicklungen aufgezeigt. Praxisbei- jam“ als Teil ihrer Musikerziehung. Damit werden musikpädagogischen Feld aktiven Projektmit- spiele erläutern und Fotoimpres- Schüler in der Entwicklung ihrer Fähigkeiten an arbeiter sammelten, bündelten, diskutierten sionen illustrieren die Datensamm- Schlagzeug, Gitarre, Bass und Keyboard unter- und verbreiteten schließlich auf vielfältige lung. stützt. © meNet Weise Wissen über musikalische Bildung in Schulen und über die Musiklehrerausbildung 2. Musiklehrer- in Europa mit dem Ziel, ein tragfähiges und bildung in Europa nachhaltiges Netzwerk zur musikalischen Bildung zu schaffen. Durch die Bologna-Deklarati- Die Projektmitarbeiter, die aus extrem on befindet sich die Musiklehrer- unterschiedlichen musikpädagogischen Kon- bildung in einem starken Wand- texten kamen, arbeiteten neben regelmäßi- lungsprozess. Die hier dargestellten gen Meetings mittels einer gemeinsamen Konzepte der Musiklehrerbildung Internet-Plattform zweisprachig auf deutsch in Europa ermöglichen es, die und englisch. Die konsequente Zweisprachig- besonderen Traditionen und die keit und die von den Projektkoordinatoren strukturellen Bedingungen sowie des Instituts für Musikpädagogik der Univer- die Ideen und Chancen der ver- sität für Musik und Darstellende Kunst Wien schiedenen Länder sichtbar wer- präferierte prozessoffene Strategie führte den zu lassen. Erläutert wird die deshalb als Nebenprodukt zu einem musik- politische und institutionelle Ver- pädagogischen Glossar. Denn auf den ersten ankerung der Musiklehrerbildung Blick vertraute Begriffe und Terminologien sowie der Grad ihrer Ausdifferen- bilden unterschiedliche Denkweisen ab, die zierung nach Schultyp und -stu- bei genauem Hinsehen leicht zu Missverständ- fe. Außerdem werden das Curri-

 58 MUSIK ORUM Music Education Network meNet erfahrenen Musiklehrern Informationen ein- geholt werden können. Außerdem wurden mittels einer Umfra- ge inhaltliche, strukturelle und organisatori- VONEINANDER LERNEN sche Details zu den Musikprojekten zusam- mengestellt, um wichtige, für die Zukunft nutzbare positive wie negative Erfahrungen, besondere Auswirkungen oder Arten des Weiterlebens solcher Projekte erfassen zu gerade hier liegt die Herausforderung, wenn beruflichen Entwicklung unterstützt werden können. Eine differenzierte Analyse der Aus- es gilt, allgemeine und grundlegende Maxi- können. Es wird gezeigt, wie Grundgedan- wertung der Befragung von teilnehmenden me über alle Unterschiede hinweg zu formu- ken des lebenslangen Lernens in musikbe- Schulen durch Fragebögen, die mit einer lieren. Dabei geht es nicht um eine Standar- zogene Studienpläne, aber auch in Leitbild- Rücklaufquote von 73 Prozent hoch war, findet disierung der Musiklehrerbildung, sondern um diskussionnen einbezogen werden können. sich auf der unten angegebenen Homepage. die Anregung zum Nachdenken, um wech- Der diesbezüglich im Rahmen des Pro- Die durchgeführten Projekte zeigen die Vielfalt selseitige Mitteilung, um Transparenz und jekts erarbeitete Text soll vor allem dazu die- der Möglichkeiten, die sich direkt oder indi- Verständigung. Die hier erarbeitete Formu- nen, die Musiklehrerausbildung nach Grund- rekt im kunstübergreifenden Sinn im Um- lierung von Lernergebnissen, die auch als ge- sätzen des lebenslangen Lernens auszurichten. feld der musikalischen Bildung realisieren las- druckte Broschüre erhältlich ist, ist nicht als sen. Sie sind auch ein Spiegelbild europäischer formale oder inhaltliche Grundlage für Stu- 5. Comenius-Projekte musikalischer Schulkultur, musikpädagogischer dienpläne gedacht, kann jedoch kritische Wertschätzungen und Selbstbilder und sind Diskussionen darüber anregen und bereichern. Das Comenius-Programm ist ein Förder- auch (musik-)politisch interpretierbar. programm der EU, das schulische Bildung Alle Projektergebnisse sind im Internet 4. Lebenslanges Lernen in unterstützt. Zu den wichtigsten Projekttypen abrufbar (www.menet.info) und auch auf Studium und Beruf gehören Schulnetze, in denen mehrere Schulen DVD (englisch/deutsch) erhältlich. Dem auf verschiedener Länder zu einem gewählten der Inhaltsebene bisher vorherrschenden Hier wurden Leitgedanken des lebenslan- Thema arbeiten, und Regio-Partnerschaften, Mangel an Kenntnissen und an Verständnis gen Lernens für die Ausbildung von Musik- die bilaterale Projekte zwischen lokalen und darüber, was Musikunterricht in der Schule lehrern zusammengestellt. Sie sollen vor al- regionalen Schulbehörden beinhalten. Hin- und Musiklehrerausbildung unter den ver- lem veranschaulichen, wie Lehrende in ihrer zu kommen multilaterale Projekte zur län- schiedenen Bedingungen in Europa ausmacht, selbst bestimmten und im Rahmen ihrer derübergreifenden Verbreitung von Lehrkon- stehen nun Ergebnisse zur Verfügung, die es zepten und schließlich Netzwerke ermöglichen, europaweit nicht nur fundiert als groß angelegte Initiativen, die über musikalische Bildung zu kommunizie- alle Ebenen eines Fachs mitei- ren, sondern auch voneinander zu lernen, nander verbinden und länderüber- sich gegenseitig anzuregen und sich aufeinan- greifende Kooperationen stärken. der zu beziehen. Besonders hervorzuheben meNet ist ein solches Netzwerk sind die vorgeschlagenen Lernergebnisse in für die musikalische Bildung. der Musiklehrerausbildung, denn sie sollen Alle bis zum Jahr 2007 abge- im Kontext von Curriculum-Revisionen als schlossenen Comenius-Projekte im Impuls zur Weiterentwicklung verstanden Fachbereich Musik wurden gesam- werden. Die Ergebnisse regen insgesamt dazu melt und nach jenen Ländern ge- an, erweitert und ergänzt zu werden und so ordnet, die die Koordination in- langfristig nachhaltig zu wirken. nehatten. Die so entstandene Sammlung und strukturierte Dar- Weitere Informationen: stellung hat nicht nur informati- Leuphana Universität Lüneburg ven Charakter, sondern kann als Institut für Kunst, Musik und ihre Vermittlung Inspirationsquelle dienen. Sie zeigt U www.leuphana.de die faszinierende Vielfalt länder- [email protected] übergreifender Musikprojekte. Genauer kommentierte Bei- Die Autorin: spielprojekte ermöglichen es, neue Prof. Dr. Carola Schormann ist Direktorin des Instituts Projekte sachgemäß zu konzipie- für Kunst, Musik und ihre Vermittlung an der Leuphana Universität Lüneburg und lehrt seit 2000 als Mitglied der ren und angemessen durchzufüh- Visiting Faculty regelmäßig am Colorado College, Colo- ren. Eine weitere Liste enthält alle rado Springs, USA. Sie war von 1999 bis 2009 im Vor- während der Projektlaufzeit von stand der European Association for Music in Schools (EAS) meNet aktuell durchgeführten mu- und Delegierte im Europäischen Musikrat. Daneben lehrte sie an Hochschulen in der Slowakei, in Norwegen, sikbezogenen Projekte, die eben- Schweden, Österreich, Polen und Litauen. Im meNet- falls nach koordinierenden Län- Projekt leitete sie die Arbeitsgruppe „Comenius“. dern geordnet sind und immer Kontaktdaten enthalten, damit bei

 MUSIK ORUM 59 NEUE TÖNE

wei Jahre nach seiner Gründung ist das „netzwerk junge ohren“ Zumgezogen. An seiner neuen Wirkungsstätte in Berlin-Mitte laufen netzwerk junge ohren startet nun die Fäden zusammen – immer im Streben, den Netzwerkgedanken lebendig zu gestalten und Innovationspotenziale freizusetzen. Als Forum für Experten und Praktiker der Musikvermittlung bietet das Netzwerk Akteuren aus Musik, Bildung, Kulturpolitik und -wirtschaft reichhaltige SYNERGIE- und ortsungebundene Möglichkeiten der Information, Kommunikation und Präsentation.

Das Netzwerkbüro befindet sich jetzt unter bundesweiten Kommunikations- und Präsen- einem Dach mit verschiedenen Ensembles tationsstrukturen rufen, die bis in den inter- (Profiorchester und Laienchöre), einer Kin- nationalen Kontext reichen. Die Arbeit der dertagesstätte und einem Tonstudio – schon Pilotphase seit 2008 zeigt, welche Bewegun- in diesen Nachbarschaften kündigen sich neue gen sich in der Landschaft der Musikvermitt- Projektideen an. Das klangvolle und geselli- lung abzeichnen. Die Sichtung und Erfassung ge Sommereinzugsfest lockte am 5. Septem- von Projekten und Informationen und die ber Teilnehmer, Partner, Freunde, Förderer Kontaktaufnahme zu Kulturinstitutionen, Ver- und Neugierige von Nah und Fern in die Neue anstaltern, Orchestern, Einrichtungen der Fort- Grünstraße 19 und läutete die zweite Spiel- und Weiterbildung, Verlagen und der Mu- zeit des netzwerk junge ohren ein. Das blickt sikindustrie sowie zu festen oder freien Pro- auf ein lebendiges und dynamisches Jahr zurück tagonisten vor Ort haben zu sichtbaren Schrit- – voller Ideen und Pläne für den Ausbau des ten geführt. Die Teilnehmerzahl ist auf gut Angebots. 120 Institutionen und Personen unterschied- Im Mai 2007 wurde das netzwerk junge lichster Art gewachsen – mit täglich steigen- ohren gegründet. Die operative Arbeit star- der Tendenz. Das Büro wird vermehrt als tete im Frühjahr 2008 und führt seitdem im Anlaufstelle für Informationen genutzt, Pro- deutschsprachigen Raum Akteure zusammen, jekte, Konzepte, Ideen und Künstler werden die sich zum Ziel gesetzt haben, Musik in ausgetauscht, beraten und vernetzt, und nicht unterschiedliche gesellschaftliche Kontexte zu zuletzt schaffen die co-veranstalteten Sym- bringen und sie Menschen unabhängig von posien, Tagungen und Workshops Gelegen- Bildung, Alter und Herkunft zugänglich zu heiten, querab vom jeweiligen alltäglichen machen. Das Team setzt sich genre-übergrei- Geschäft zusammenzukommen, sich auszu- fend für die Professionalisierung von Musik- tungen niederschlagen. Dabei tritt das Netz- tauschen und neue Ideen auf den Weg zu vermittlung ein und lädt alle Aktiven im Feld werk auch als Mitinitiator und Co-Veranstal- bringen. der Musikvermittlung ein, Teilnehmer des ter in Erscheinung. Die in diesem Prozess tragenden Säulen wachsenden Netzwerks zu werden. Dazu Ein institutioneller und zugleich unabhän- des netzwerk junge ohren sind die von der gehören Orchester und Ensembles, Künst- giger Rahmen für Strukturarbeit im Bereich Trägerschaft bereitgestellten Netz-, Institu- ler, Vermittler und Organisationen, Musik- musisch-kultureller Bildung zu sein und eine tions- und Verbandsstrukturen, die einem theater, Bühnen und Konzerthäuser ebenso differenzierte Öffentlichkeit für das Thema polyfonen Ansatz gerecht werden und den wie Festivals und Messen und nicht zuletzt zu schaffen – unter dieser Prämisse wurde Aufbau flexibler Strukturen ermöglichen. Mit Institutionen der Aus- und Weiterbildung, das netzwerk junge ohren von unterschied- der Ausschreibung und Vergabe des „junge Verlage und Tonträgerhersteller. lichen Institutionen und Verbänden in Deutsch- ohren preis“ (jop!) verfügt das Netzwerk zudem land, der Schweiz und Österreich ins Leben über ein aussagekräftiges Instrument zum Das Netzwerk für gerufen. Es geht dabei zurück auf die Initiati- Aufspüren von Strömungen und Tendenzen. Musikvermittlung ve „Konzerte für Kinder“ der Jeunesses Mu- sicales Deutschland (2000), die Bedarfsana- Der „junge ohren preis“: Musikvermittlung ist und bleibt Praxis, die lyse „Netzwerk Junge Ohren“ im Auftrag der Ausgezeichnetes für von methodischen, theoretischen, konzeptio- Deutschen Orchestervereinigung, Jeunesses nellen und nicht zuletzt von situativen Über- Musicales Deutschland und des Deutschen Nachwuchs-Publikum legungen begleitet und gesteuert wird. Das Musikrats (2004) und nicht zuletzt auf den Jährlich wird der jop! an herausragende netzwerk junge ohren versteht sich als per- „Kongress Musikvermittlung“ in Wildbad- Konzert- und Musiktheaterprojekte für jun- sönlicher Ansprechpartner seiner Teilnehmer Kreuth (2006). ges Publikum vergeben. Eine international und bietet neben der Plattform im Internet besetzte Jury – bestehend aus Künstlern, Hoch- (www.jungeohren.com) individuell zuge- Individuelle Unterstützung schuldozenten, Verlegern, Veranstaltern und schnittene Unterstützungsleistungen. Das Kulturmanagern – zeichnet seit 2006 bei- Internet stellt dabei als jederzeit zugängliche Mit voller Kraft im April 2008 gestartet, spielhafte Projekte im Bereich Musikvermitt- Kommunikations- und Informationsressource bestätigt sich nach gut einem Jahr, wie hoch lung aus. Er richtet sich an qualitativ hoch- eine Basis für weit reichende Entwicklungen, das Bedürfnis nach Vernetzung ist und wie wertige und professionelle Musikvermitt- die sich in neuen Projekten und Veranstal- viele kommunal strahlkräftige Projekte nach lungsprojekte, die über traditionelle Konzert-

 60 MUSIK ORUM ist Musikvermittlung – nach dem Verständ- nach Umzug in die zweite Spielzeit. Von Ingrid Allwardt nis der Netzwerkmacher – eine Praxis, die ihre Vielfältigkeit aus dem Gegenstand Mu- sik und seinen Korrespondenzen selbst be- zieht und gleichzeitig ein neues, auch wissen- schaftlich zu durchdringendes Feld entfaltet. ARBEIT IM »Grünen« Musikvermittlung bietet mit diesem Ver- ständnis die Chance zu weitgreifender Re- flexion über die Musik selbst und gibt in die- sen Gedanken Kunde von Begegnungen und Menschen, ihren Wünschen, Träumen, Ängs- publika hinaus junge Menschen jeden Alters, Stellenwert und Perspektiven ten und Leidenschaften – ihren Lebenswel- verschiedener Sozialisation und Nationalität der Vermittlungsarbeit ten, in denen Konkretion und Abstraktion ansprechen. Er leistet darin einen Beitrag zur gleichermaßen vorkommen, die ihre sinnli- Nachfrageförderung und bestärkt Kulturins- Aus der Perspektive des netzwerk junge che Präsenz aber nie aufgeben können. In titutionen darin, ihre Angebote im Verhält- ohren heraus berührt und verbindet Musik- diesem Sinn ist Musikvermittlung eine Form nis von Spitzen- und Breitenkultur immer vermittlung sehr unterschiedliche Bereiche der Hörschulung. Im Bewusstsein eines krea- wieder zu überdenken und neue Zielgrup- in Praxis und Theorie: Künstlerisch-ästheti- tiven Umgangs mit der Schulung von auditi- pen anzusprechen, ohne dabei in ihrem künst- sche Prozesse gehen einher mit Bildungspro- ver Aufmerksamkeit entwickelt die Musik- lerischen Anspruch nachzulassen. zessen. Rahmenbedingungen bilden sich vor vermittlung bereits eigene künstlerische For- Seit 2007 ist der Preis im netzwerk junge dem Hintergrund von Kulturpolitik, Finan- mate. Sie experimentiert mit unterschied- ohren beheimatet, was zu einem sprunghaf- zierung und Projektmanagement. Musikver- lichen Ansätzen, Formen und Methoden. Ihr ten Anstieg der Bewerbungen bei gleichzei- mittlung situiert sich per se in Netzwerken – Ziel sollte die Verbesserung der Situation nicht tiger Steigerung der Qualität der Bewerbun- jeder einzelne Musikvermittler ist in diesem nur für Musik, sondern auch für eine aktive gen geführt hat. 2009 wurden 112 Projekte Feld ein Knotenpunkt, an dem sich Verbin- Hörhaltung sein, die weit über den Bereich eingereicht. Der Preis richtet sich gezielt an dungen treffen. Vor diesem Hintergrund wird der Musik hinausreicht und sich in die ver- Angebote zur Rezeption von Musik und un- versucht, die individuellen Knotenpunkte in schiedensten Bereiche gesellschaftlichen Le- terstützt Projekte, die das (Musik-)Hören in einen lebendigen Austausch zu bringen, der bens auswirkt. ihren Mittelpunkt stellen, und fügt darin dem seinerseits bestehende Verbindungen zutage Aus der Motivation, derartige Ansätze zu Wettbewerbswesen eine besondere Facette treten lässt, neue Kontakte und Optionen stärken und ihnen in unterschiedliche gesell- hinzu. eröffnet und Synergieeffekte fördert. Dabei schaftliche Kontexte zu verhelfen, hat das netz- werk junge ohren seine Arbeit aufgenommen. Das Team freut sich täglich über die vielen un- terschiedlichen Ansätze, die mal laut, mal leise in Erscheinung tre- ten. Und hofft, mit der vernet- zenden Tätigkeit Spielräume zu ermöglichen und entstehende Vielfalt nachhaltig zu stützen. All das ab sofort aus dem „Grünen“ – aus der Neuen Grünstraße in der Mitte Berlins.

Die Autorin: Prof. Dr. Ingrid Allwardt studierte Schulmusik und Germanistik und ist als Professorin an der HafenCity Universität Hamburg tätig. Seit November 2007 ist sie Geschäftsführerin des netzwerk junge ohren in Berlin.

Klangerforschung mit der Geräuschekiste: Das netzwerk junge ohren verleiht seit 2006 den „junge ohren preis“ für innovative Musikvermittlungs- projekte. Im vergangenen Jahr ging der Sonderpreis an die Berlin-Neuköllner „Ohronau- ten“ und die Klanginstallation Foto: Kiên Hoàng Lê „Nachttropfendrache“ (Bild).

 MUSIK ORUM 61 DOKUMENTATION

Die 2. Rheinsberger Erklärung, verabschiedet beim Expertenkongress „Zukunft der Musikberufe II“, steckt das Feld der künstlerischen und musikpädagogischen Tätigkeiten ab

as Bewusstsein für die „Deigenen Traditionen und Werte unser Musikkultur muss geschärft werden“, heißt es im Abschluss-Satz der 2. Rheinsberger Erklärung zur „Zukunft der Musik- berufe“, die Anfang Juni in der Musikakademie Rheinsberg beschlossen und verabschiedet wurde.

Die Erklärung wurde innerhalb des drei- tägigen gleichnamigen Expertenkongresses von 25 Vertretern aus Bühnen- und Podiums- Musikberufe berufen, musikpädagogischen Berufen, aus dem Musikmanagement, den Printmedien, dem Rundfunk und anderen Berufsfeldern IM FOKUS der Musik erarbeitet und stellt eine Ergän- zung zur 1. Rheinsberger Erklärung aus dem Jahr 2007 dar, auf deren Empfehlungen sie Blick nach vorne: aufbaut.* Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrats, hielt das Leitreferat Deutschland hat nach wie vor im Aus- Die Qualität der Berufstätigkeit wird we- der Expertenkonferenz. Fotos: Marie Prott land das Image, eines der führenden Mu- sentlich von der Ausbildung mitbestimmt. Die sikländer der Welt zu sein: immer wieder gestellte Frage „Ist unsere heutige Wie der Endbericht zur Kreativ- und Kul- Ausbildung noch zeitgemäß?“ war auch auf turwirtschaft 2009 feststellte, hat sich die Lage dem Expertenkongress in allen Diskussionen kunft die Regel sein: Sie bieten Freiraum für im erwerbstätigen Markt der Kreativ- und gegenwärtig. Diese Fragestellung erhält eine Kreativität und neue Darbietungsformen sowie Kulturwirtschaft erheblich positiver entwickelt besondere Aktualität vor dem Hintergrund neue Perspektiven für wirtschaftlichen Erfolg. als in der Gesamtwirtschaft. Dabei spielen der weltweiten Musikverbreitung, der Schwie- ˜ Bei den musikpädagogischen Beru- die Berufsqualifizierung sowie die Berufsaus- rigkeit des Schutzes des Urheberrechts im digi- fen besteht eine Diskrepanz zwischen gesell- übung eine besondere Rolle. Der Kongress talen Zeitalter, der demografischen Verän- schaftlicher Erwartung und Ausgestaltung des beschäftigte sich mit folgenden Berufsfeldern derungen sowie der mit der Wirtschaftskrise konkreten Berufsprofils: Musikalische Bildung in der Musikkultur, die zum Erhalt und zur verbundenen Sorge der Öffentlichen Hand muss für jeden Menschen möglich sein. Die Weiterentwicklung der Musikkultur beitra- um den Erhalt der kommunalen Orchester Absolventenzahlen können den Bedarf nicht gen, gleichwertig nebeneinanderstehen: und der so genannten freiwilligen Leistun- decken, insbesondere fehlen Musiklehrer für ˜ künstlerische Berufe des Konzertwesens, gen in der Musikkultur. allgemein bildende Schulen. ˜ musikpädagogische Berufe in verschie- denen Arbeitsfeldern und Der Expertenkongress in Rheinsberg Künstlerische Berufe ˜ Berufe der Musikwirtschaft. fokussierte sich auf zwei Berufsfelder: (Bühne, Konzert) ˜ Die Diskussion um die künstlerischen Die Vernetzung und Kooperation die- Berufe (Konzertwesen) konzentriert sich Die profunde künstlerische Ausbildung am ser drei Berufsfelder ist zur Weiterent- derzeit zu einseitig auf die Tätigkeit als Or- Instrument oder für die Stimme ist unerläss- wicklung der Musikkultur wesentlich zu chestermusiker und Solist. Demgegenüber liche Vorraussetzung. Künstlerische Studien verbessern! steht die Tatsche, dass der größte Teil der brauchen Raum, um sich auf die hochgradi- Absolventen künstlerischer Studiengänge an ge künstlerische Kompetenz und Interpreta- Musikhochschulen in freien Ensembles tätig tionsfähigkeit zu konzentrieren. Ergänzende ist, sich neue Märkte und Nischen erschlie- Kenntnisse zur Vorbereitung auf die Berufs- * siehe: Karl-Jürgen Kemmelmeyer (Hg.): Zukunft der ßen muss, ebenso andere Tätigkeiten zur Exis- wirklichkeit müssen angeboten werden: Stu- Musikberufe, Dokumentation und Auswertung des tenzsicherung verbinden muss und auf diese dierenden wird auf diese Weise die Möglich- Expertenkongresses Rheinsberg 9. bis 11. März 2007; mit einer ergänzenden Materialsammlung (ifmpf Anforderungen nicht ausreichend vorberei- keit gegeben, sich zu einem selbstgewählten Forschungsbericht Nr. 23), Hannover 2009, S 130 f. tet ist. Patchwork-Existenzen werden in Zu- Zeitpunkt oder an der Übergangsphase zum

 62 MUSIK ORUM Berufseintritt entsprechende Kompetenzen sind charakterisiert durch künstlerische und ˜ Durchlässigkeit (Modularität) der ver- erschließen zu können. Der Erfahrungsaus- pädagogische Eignung. Als unverzichtbar wird schiedenen Studiengangsprofile zur Erhöhung tausch mit Alumni kann hierbei hilfreich sein, angesehen, dass Berufsfeldentwicklungen und der Mobilität von Studierenden. während wiederum Alumni an den Hoch- Ausbildungsentwicklungen in geeigneter Form schulen die Möglichkeit erhalten müssen, korrespondieren. Wie schon bei den künst- Darüber hinaus hat der Expertenkongress Kompetenzen für neue Berufsanforderungen lerischen Berufen gilt es hier gleichfalls eine nochmals betont: zu erwerben. Für die Hochschullehrer bedeutet Balance zwischen der Sicherung des musik- Für alle Musikberufsausbildungen ist die dies, verantwortlich gegenüber ihren anver- kulturellen Erbes und innovativen Musikpä- Vermittlung künstlerischer Erfahrung uner- trauten Studierenden zu handeln und ihnen dagogischen Konzepten bzw. Vermittlungs- lässlich! Der Begriff „Musikvermittlung“ muss die erforderlichen Berufskompetenzen zu formen zu finden. Wegen des permanenten differenzierter diskutiert und verstanden vermitteln. Wandels der Musikkultur und der Zielgrup- werden! Künstlerische Tätigkeiten verlangen je nach pen musikpädagogischer Tätigkeiten ist die ˜ Künstler vermitteln durch ihre Auftrit- Aufgabenfeld unterschiedliche Kompetenzen: regelmäßige Weiterbildung unverzichtbar, die te, durch Spiel und ggf. ergänzende Modera- So unterscheiden sich z. B. Kompetenzen ei- von den Hochschulen in Kooperation mit tion Musikerfahrung. nes Pop- und Rockmusikers (z. B. Performance, den vielfältigen Akteuren des Musiklebens ˜ Pädagogen vermitteln musikalische Arrangement, Medienkenntnis) von Berufs- geleistet werden muss. Kompetenz (musikalische Bildung) an unter- profilen der so genannten „Klassik“ wesent- Für musikpädagogische Berufe ist auf dem schiedliche Altersgruppen und leiten zum lich in Bezug auf ihre Markterschließung. Hintergrund des demografischen Wandels eine Musiklernen an. Für ausübende Musiker ist folgendes Kom- neue Zielgruppe entstanden, z. B. die „Best ˜ Manager vermitteln Künstler. petenzprofil durch die Hochschulen anzustre- Agers“, die über Geld, Zeit und Bildung ver- ben: fügt und für deren Interesse am Musiklernen Künstler, Pädagogen und Wirtschaft ar- ˜ musikalische Exzellenz neue Vermittlungsformen entwickelt werden beiten noch zu wenig vernetzt zusammen! ˜ Professionalität im eigenen Beruf müssen. Daher empfiehlt der Expertenkongress den ˜ Kommunikationsfähigkeit mit Zielgrup- Musikalische Bildung findet stets im sozia- Aufbau regionaler Netzwerke, bei denen Mu- pe/Publikum, mit Vertragspartnern, mit Me- len Kontext statt, z. B. durch frühfördernde, sikschule, Musikverein, allgemein bildende dien, mit Institutionen zur Weiterbildung gewaltpräventive und integrative Projekte. Schule, Kirche und Musikwirtschaft sich zu- ˜ Fähigkeit zur Selbstorganisation und Musikpolitisch werden folgende Forderun- sammenschließen, um kurzfristig nachhaltige Selbstvermarktung gen erhoben: Maßnahmen zur Verbesserung der regiona- ˜ Bewusstsein über die eigene Lebens- ˜ vor dem Hintergrund des Defizits po- len Musikkultur zu entwickeln. Dies steigert und Karriereplanung in unterschiedlichen Le- sitive und motivierende Werbung für musik- auch die Konkurrenzfähigkeit der Regionen. bensphasen pädagogische Berufe ˜ Kenntnisse der rechtlichen Rahmenbe- ˜ angemessene Vergütung in Bezug auf Das Bewusstsein für die eigenen Tra- dingungen (GEMA, KSK, Urheberrecht, GVL, Berufsanforderung und Ausbildungshinter- ditionen und Werte unserer Musikkul- Vertragsrecht, Steuerpflicht usw.) grund als Teil eines funktionierenden Wirt- tur muss geschärft werden! ˜ Flexibilität gegenüber den Anforderun- schaftskreislaufs gen der jeweiligen Tätigkeit sowie Grund- ˜ Verbesserung der Zusammenarbeit von Referat von Karl-Jürgen Kemmelmeyer über das verständnis in Randgebieten, wie z. B. Post- musikalischen Bildungseinrichtungen hochschulübergreifende Projekt „ExplorAging“ und production ˜ Sensibilisierung der Kultusministerkon- die ersten Schlussfolgerungen für die Musikkultur in ˜ Bewusstsein für die Notwendigkeit der ferenz für die Bedeutung und – in Konse- voller Länge im Internet unter: sozialen Absicherung quenz – Verstärkung der Musikpädagogik und U www.musikforum-online.de/musikberufe ˜ Offenheit und Sensibilität für neue Ent- Didaktik an Hochschulen wicklungen in der Musik und Aufführungs- technik sowie für die Präsenz in neuen Me- dien ˜ Ausformung einer eigenen künstleri- Dossier zum Thema „Zukunft der Musikberufe“ schen Ausdrucksfähigkeit, einer authentischen Persönlichkeit sowie Inszenierung eines un- Für den Kongress „Zukunft der Musikberufe“ hat das Deutsche Musikformationszent- verwechselbaren Images und Erscheinungs- rum (MIZ) aktuelle Daten, Fakten und Hintergrundinformationen zum Thema zusam- bildes mengestellt und aufbereitet. Das so entstandene Dossier gibt einen detaillierten Einblick ˜ Kenntnisse von Techniken zum Erhalt in die Infrastruktur der musikalischen Aus- und Fortbildung und dokumentiert die Entwick- der eigenen Leistungsfähigkeit. lung der Studierenden- und Absolventenzahlen an künstlerischen und wissenschaftlichen Hochschulen. In zahlreichen Übersichten spiegeln sich darüber hinaus die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssituation in Musikberufen – von der freiberuflichen künstlerischen Tätig- Musikpädagogische Berufe keit über die Situation der Orchester und Musiktheater bis zur Musikwirtschaft. Musikpoli- Musikpädagogische Berufe dienen der tische Dokumente, Positionspapiere, Untersuchungen und Fachpublikationen fokussieren Weitergabe der Musikkultur an zukünftige zentrale Diskussionsfelder und regen zur intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema Generationen. Sie dienen sowohl der künst- an. Das Zentrum des Dossiers bildet eine topografische Darstellung der Ausbildungsland- lerischen Tätigkeit, der Generierung eines schaft für künstlerische Musikberufe, die das MIZ in Kooperation mit dem Leipniz-Institut in Publikums, dem Erhalt einer musikalischen Leipzig erstellt hat (mehr dazu in der nächsten Ausgabe des MUSIKFORUM). Breitenkultur, der Musikwirtschaft und dem Das Dossier ist abrufbar unter: U www.miz.org/musikberufe.html sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Sie

 MUSIK ORUM 63 REZENSIONEN TONTRÄGER vokalmusik / kammermusik

Rastlose Liebe Kagel / Schubert Die großen Sänger Ein Spaziergang durch das romantische Leipzig Ein Kagel-Schubert-Projekt Jürgen Kesting Vokalensemble Amacord: Wolfram Lattke (Tenor), Martin Lattke (Tenor), Sax Allemande Hoffmann & Campe, Hamburg 2008, Frank Ozimek (Bariton), Daniel Knauft (Bass), Holger Krause (Bass) FARAO classics B 108038 2614 S., 328 Euro Raumklang-Verlag, Edition Apollon Classics, Bestell-Nr.: RKap 10108

Es ist immer schön, wenn eine Neu- Beim Hören der Stücke begeis- Dass sich Franz Schuberts Streichtrios Vier Jahre Arbeit wurden investiert: erscheinung auf dem CD-Markt durch tern in erster Linie die hohe Textver- in Saxofon-Besetzung sinnvoll musi- Die großen Sänger heißt Jürgen Kes- hervorragende Interpretation und ständlichkeit, die absolut synchronen zieren lassen, möchte man zunächst tings Opus summum, das seit seinem Klangqualität begeistert. Das im Au- Absprachen und die lupenreine In- nicht glauben. Die Gruppe „Sax Alle- ersten Erscheinen 1986 als ultimati- gust erschienene Werk Rastlose Liebe tonation. Manch einer möge die Art mande“ mit Frank Schüssler, Arend ves Standardwerk gilt. Kesting schreibt von Amacord lässt das ein oder an- und Weise als „akademisch“ bezeich- Hastedt und Markus Maier am Sop- eine Geschichte des Singens und der dere Liebhaberherz auch schon beim nen, aber man hört stets neben der ran-, Alt- und Baritonsaxofon über- Sänger. Das klingt wenig spektaku- Auspacken der CD höher schlagen: Kultiviertheit der Stimmen und des windet dieses Vorurteil. Die drei ver- lär, ist es aber doch. Weil der Autor Hat man die Schutzfolie mit den vie- Klangs eine große Freude am Musi- mögen für Schuberts Musik einen in den 36 Kapiteln der Neuausgabe len Aufklebern „CD-Tipp“ von diver- zieren selbst und am Ausleben der überraschend durchsichtigen, wendi- sein unglaublich fundiertes Wissen sen Rundfunkstationen entfernt, ist Stilistik. Chorklang und Dynamik sind gen und klar artikulierten Ton zu ent- dokumentiert, die Bandbreite des man eingeladen, die nostalgische Auf- hervorragend gestaltet. Ein Pathos des wickeln, der die Eignung ihrer Instru- Gesangs in aller Welt entfaltet, ge- machung des Booklets zu genießen. Klangideals, das sie anstreben, und mente zu filigraner Kammermusik schichtliche Entwicklungen aufzeigt, Die Hülle bietet sich im Layout ei- kleine „Gags“ zeigen, dass Amacord beweist. Marktmechanismen benennt – vor nes alten Pergamentbriefs dar und man bewusst die gegebenen Möglichkei- Inhaltliche Spannung gewinnt die allem aber, weil er mit Leidenschaft ist nach mehrfachem Falten, einer ten der Interpretation einsetzt – nicht vorliegende CD durch die Ineinander- Stimmen beschreibt. Kesting nutzt sein Zeichnung der Thomaskirche (von akademisch, sondern eher musikan- verblendung der schubertschen Mu- immenses begriffliches Instrumenta- Felix Mendelssohn Bartholdy) und tisch „durchdacht“: ein gewolltes Glis- sik mit Stücken Mauricio Kagels, die rium, um musikalische Eindrücke in einem Stadtplan Leipzigs schließlich sando, ein bruststimmenlastiges Vibra- dieser auf Anregung von „Sax Alle- nachvollziehbare Sprache umzuset- zum eigentlichen Kunstwerk vorge- to, ein französisch-übertriebener Ak- mande“ aus dem szenischen Werk zen. Dabei ist er ein unerbittlicher stoßen. Anbei ist ebenfalls noch ein zent, ein Seufzen oder ein Schweine- Der mündliche Verrat extrahierte und Analysator, dem kein Detail entgeht. sehr umfangreiches Beiheft mit vie- grunzen erheitern an textlich passen- zu einer gleichnamigen Suite zusam- Und weil „sängerischer Stil immer in len Hintergrundinformationen zu den Stellen den Hörer und repräsen- menstellte. der Symbiose von Technik und Mu- Komponisten und Werken sowie ana- tieren den Spaß des Ensembles an Eigenwillige Korrespondenzen er- sik“ liegt, kritisiert Kesting, wo zu kri- lytischen Ansätzen in Bezug auf Kom- den Liedern und Texten. Die Tempi geben sich, wenn nun das unvollen- tisieren ist. Einige Einschätzungen position und Form. und Zäsuren wirken frisch und den- dete Streichtrio B-Dur D 471 den hätten sich, so der Autor, gegenüber Die Sänger vom 1992 gegründe- noch sängerisch akzentuiert; insgesamt Rahmen bildet für einen Wechsel der der Erstausgabe verändert, andere ten Vokalquintett Amacord, ehema- sehr organisch. Einziger Kritikpunkt Sätze des zweiten Schubert-Trios D nicht. lige Thomaner, haben Chorsätze von wäre, dass die Interpretationen an 581 mit Kagels Miniaturen, die „Zu- Und so kommt René Kollo wei- Komponisten zusammengestellt, die mancher Stelle zu „oberstimmenlas- stände beim Hören von Schauerge- terhin schlecht weg, gebührt Kurt Moll zwischen 1810 und 1850 in Leipzig tig“ sind, was die Homogenität des schichten“ evozieren sollen: manchmal nach wie vor die Krone als „König wirkten. Die Kompositionen Mendels- sonst so klaren und ausgewogenen nachtmahrisch dunkel klingend, dann der Bässe“. Der Ära der Callas sind sohns, Schumanns, Steinackers und Männerchorgesangs etwas stört. in zerrissenen Unisono-Figuren vor- gar hundert Seiten gewidmet! Aber von anderen handeln von vergebli- Durch angenehm dezente Kirch- wärtstreibend, dazwischen aber – auch vor der Callas gab es Diven: cher Liebe, Angst, Ruhe, Sehnsucht raumakustik bei höchster Aufnahme- typisch für Kagels spielerisches Zitie- Adelina Patti etwa, die noch mit 63 und Tod – aber auch Trinklieder und qualität, die sich selbst bis zum Wahr- ren der Vergangenheit – auch einmal Jahren Aufnahmen machte, von Kes- eine gesungene Speisekarte finden sich nehmen gemeinsamen Atmens er- im Gestus eines langsamen Walzers ting stellenweise als immer noch ab- in dieser Leipziger Sammlung wieder. streckt, wird man durch ein Gefühl träumend. solut hörenswert gelobt. Oder Lotte Es ist zu betonen, dass die Auswahl des „Nahe-Seins“ in den Bann des Gerhard Dietel Lehmann, die im Gegensatz zu Patti der 27 Tracks sehr vielversprechend Ensembles gezogen. nicht immer schön, aber immer aus- ist: Sowohl bekannte romantische Fazit: Dieser Beitrag von Amacord drucksstark sang. „Klassiker“ des Repertoires für Män- hebt das Image „Männerchor“ in neue Spannend wird es, wo es um die nerchöre, als auch Werke eher unbe- jugendliche und frische Gefilde. Die ganz aktuelle Szene geht. Bei Vesse- kannter Meister sind auf der CD zu CD begeistert durch Chorklang, Lied- lina Kasarova findet Kesting Licht und finden, davon insgesamt acht Erstein- auswahl, Interpretation und nicht Schatten, Cecilia Bartoli erschließt ihm spielungen (sogar ein dieses Jahr wie- zuletzt durch die wunderschöne Auf- „das Reich der Sinne“. In Sachen Jo- derentdecktes Stück von Felix Men- machung. Das Album Rastlose Liebe nas Kaufmann („der blendend aus- delssohn Bartholdy: Weihgesang zur ist daher gänzlich zu empfehlen. sehende Tenor“) konstatiert er, in der Trauerfeier von Goethe). Kai Schmidt Herrichtung zum Star läge auch die

 64 MUSIK ORUM BUCH

Celibidache Celibidache – Musiker und Philosoph. Eine Annäherung Über musikalische Phänomenologie. Ein Vortrag und weitere Klaus Weiler Materialien Wißner, Augsburg 2008, Sergiu Celibidache 328 S., 29,80 Euro Wißner, Augsburg 2008, 80 S., 19,80 Euro

Gefahr seiner Hinrichtung. Solche Sergiu Celibidache war nicht nur ein und dazu eigens Konzeptbücher an- mit seiner schlechten Meinung über Wortspiele machen die Lektüre ein- genialer Musiker, sondern auch ein gelegt, die er seinen Schülern zu le- Schallplatten, Kommerz und andere fach immer wieder zum Vergnügen. Weiser. Und obwohl er bezweifelte, sen gab. Nachdem er aber das Ge- Kollegen zeitlebens als Außenseiter Kesting kennt das weltweite mittels der Sprache seine Einsichten fühl hatte, selbst von denen missver- galt und auch vielfach als ein Tyrann Operngeschäft. Und er nimmt kein vermitteln zu können, wurde er nicht standen zu werden, die mit seiner charakterisiert wurde. Weiler zeich- Blatt vor den Mund, wo andere nur müde, es wiederholt zu versuchen, Sprache und seinem Denken vertraut net ein anderes Porträt. Er erinnert tuscheln: Anna Netrebko, für ihn sei es im Gespräch mit Dirigierschü- waren, hatte er beschlossen, die Auf- daran, dass der Kompromisslose in durchaus ein außergewöhnliches lern oder im Interview mit Fachleu- zeichnungen zu vernichten. Zum der Not für andere da war, selbstlos Talent, gleichwohl die „Cindy Craw- ten. Glück landeten nicht alle im Papier- in Kriegszeiten überlebenswichtige ford der Oper“, wird detailreich aus- „Musik ist nichts, sie kann nur ent- korb. An die hundert Seiten fanden Dinge mit seinen Mitmenschen teil- einandergenommen. Das ist bei Kes- stehen“: So lautete eine der zentra- sich immerhin im schriftlichen Nach- te. Weihnachten 1945 zum Beispiel ting immer so: Wessen Stimme wenig len Aussagen des Rumänen, dessen lass des kompromisslosen Ausnahme- stand Celibidache plötzlich bei Wei- Gnade findet, erfährt immerhin eine eindrücklichstes Zeugnis einer mu- künstlers und bilden nun eine solide ler in der Tür. Er hatte auf Nachfra- Beerdigung allererster Klasse! siktheoretischen Auseinandersetzung Basis für eine Schriftenreihe, die mit gen erfahren, dass der junge Geiger, Aber Kesting weiß und gibt dies eine vom ZDF dokumentierte Podi- weiteren Publikationen fortgesetzt der oft die Proben der Berliner Phil- auch zu, dass das Gefallen von Stim- umsdiskussion aus dem Jahr 1982 ist. werden soll. harmoniker verfolgte, sehr erkrankt men dem persönlichen Geschmack Sehr plastisch anhand konkreter Bei- Die Aktualität und Dringlichkeit war. Celibidache kam, um ihm zu unterliegt. Da der Autor bei seinen spiele am Klavier, lebendig und zwin- der Phänomenologie, die sich an den helfen, brachte Kohlen, Lebensmit- Beschreibungen nur Aufnahmen he- gend in seiner Nachvollziehbarkeit, musikalisch vorgebildeten Leser rich- tel und Medikamente. ranzieht, wird er zum Beispiel der erläutert er in diesem Film gegenü- tet, zeigt sich am gegenwärtigen Kon- Anrührend auch eine weitere unvergleichlichen Wagner-Interpretin ber Mitgliedern der Münchner Phil- zertbetrieb, in dem eine subtile Klang- Begebenheit, die sich Anfang der Waltraud Meier nicht ganz gerecht, harmoniker den von ihm geprägten kultur mehr und mehr Seltenheitswert 1980er Jahre in München anlässlich liegt doch die Glut ihrer Isolde auch Begriff des Transzendierens (Struk- besitzt, das Motto „schnell – schnel- einer Generalprobe zu Brahms’ Deut- immer in ihrer suggestiven Darstel- turieren und Bündeln musikalischer ler – am schnellsten“ herrscht. Ver- schem Requiem zutrug. Der Biograf lungskraft – live und vor Publikum Sinneinheiten), seine Ablehnung des gessen die Erkenntnis, dass der Klang erinnert sich, wie er dem Maestro in auf der Opernbühne. Interpretationsbegriffs („Sie können eines „geistigen Einschwingungsvor- der Pause erzählte, dass seine Mut- Die großen Sänger – ein paar davon nicht aus einem Berg ein Tal machen“), ganges“ bedarf, wie Celibidache tref- ter gestorben war, die sich sehr auf fehlen. Evelyn Herlitzius, weil sie nicht seine Haltung zu Tempofragen, ins- fend formulierte, der umso mehr Zeit das Konzert gefreut hatte. Celibida- auf CDs dokumentiert ist. Aber auch besondere seine Verteidigung „brei- verlangt, je komplizierter und entfern- che soll einfühlsam entgegnet haben: Felicity Lott, die etliche Produktio- ter“ Tempi („Wenn der Dritte aus dem ter die Beziehungen zwischen seinen „Sie ist dabei. Sie wird es hören. Alle nen vorweisen kann. So bleibt eine Saal nicht auf die Obertöne hört, kann einzelnen Elementen sind. sind sie dabei. Es geht keiner verlo- Aufgabe für Jürgen Kesting: in nicht er auch nicht wissen, in welcher Weise Wer sich bislang weniger mit ren.“ allzu ferner Zukunft einen Ergänzungs- jeder neue Klang aus dem andern Celibidache beschäftigt hat und ei- Vor zwei Jahren war Sergiu Celi- band zu liefern. Der wird gewiss von entsteht“). nen einfacheren Einstieg sucht, dem bidaches zehnter Todestag, dem das derselben tiefen Empathie, derselben Drei Jahre später hielt der gran- sei die ergänzte neu aufgelegte Bio- öffentliche Musikleben nur wenig Be- Hingabe an die Kunst des Gesangs diose Brucknerdirigent in der Münch- grafie Klaus Weilers ans Herz gelegt. achtung schenkte. Dank der neuen getragen sein wie die vorliegende ner Ludwig-Maximilians-Universität Der inzwischen 80-jährige Autor war Schriftenreihen Celibidachiana I und Neuausgabe. einen ausgearbeiteten Vortrag über ein langer Weggefährte Celibidaches. II wird das Interesse nun hoffentlich Christoph Schulte im Walde die „musikalische Phänomenologie“, Er konzentriert sich im Wesentlichen wieder wachsen. Eines steht fest: Wer die im Wesentlichen diese Aussagen auf zwei Lebensabschnitte: die frühe sich in die beiden Publikationen ver- und Erläuterungen vertieft. Nachkriegsära, als der Feuerkopf in- tieft, wird zu Einsichten gelangen, die Es ist sehr zu begrüßen, dass die- terimsweise die Berliner Philharmo- ein traditionelles Musikverständnis ser Vortrag nun in kritisch revidier- niker leitete, und seine große Münch- hinterfragen. ter Textfassung als Buch vorliegt, auch ner Zeit, in der er die Münchner Kirsten Liese wenn Celibidache selbst große Zweifel Philharmoniker zu einem Weltorches- an einer solchen Ausgabe kamen. ter formte. Jahrelang hatte er selbst mit dem Sehr ergreifend und liebenswert Gedanken an eine Veröffentlichung schildert Weiler vor allem die große gespielt, sagt Herausgeber Mark Mast, Menschlichkeit eines Einsamen, der

 MUSIK ORUM 65 Von Mischmasch, … … Apfelfäule Deutliche Intonationsschwächen bei den Der Apfel fault von innen heraus. MUSIKORUM Holzbläsern, verwackelte Einsätze, inhalts- Das desaströse Bild vermittelt sich leider DAS MAGAZIN DES DEUTSCHEN MUSIKLEBENS lose Auftakte, ein weichgespülter Artiku- auch angesichts der vollkommen aus den lationsmischmasch beim Blech und den Fugen geratenen Balance zwischen Die Herausgeber Geigen – handwerkliche Fehler zuhauf. Orchester, Intendanz und Chefdirigent. Deutscher Musikrat Die Erwartung, hier sei vielleicht die Die immer wieder neu entfachte Ausein- Gemeinnützige Projektgesellschaft mbH, Rede von der einhundertzwanzigsten andersetzung mit der Musik sollte im Weberstr. 59, 53113 Bonn ([email protected]) Musical-Aufführung eines abgewrackten künstlerischen Zentrum stehen – nicht die in Zusammenarbeit mit Telefonorchesters, muss leider enttäuscht Frage nach Vermarktung und Gewinn- Schott Music GmbH & Co. KG, werden. Nein, es geht um nichts Geringe- optimierung. Das Ringen um ein unver- Koordination: Rolf W. Stoll res als das Saisoneröffnungskonzert der wechselbares Klangprofil und das Streben Verantwortlich i. S. d. Pressegesetzes: Berliner Philharmoniker Ende August. nach Einmaligkeit einer jeden Aufführung Christian Höppner

sind gerade im Zeitalter der multimedialen Die Redaktion Reizüberflutung Lebensgrundlage eines Chefredakteur: Christian Höppner, Orchesters. Schumannstraße 17, 10117 Berlin 20 Jahre nach dem Mauer- ([email protected]) fall gibt es in diesem Sinn Fon 030–308810-10, Fax 030–30 8810-11 glücklicherweise auch noch Dr. Alenka Barber-Kersovan ([email protected]) Prof. Dr. Hans Bäßler ([email protected]) Unikate: Leipzigs Gewandhaus- Andreas Bausdorf ([email protected]) orchester zum Beispiel. Werner Bohl ([email protected]) Susanne Fließ ([email protected]) Karl Senftenhuber Prof. Dr. Birgit Jank ([email protected]) Dr. Ulrike Liedtke ([email protected]) Dr. Peter Ortmann ([email protected]) Margot Wallscheid ([email protected]) Rolf W. Stoll ([email protected]) Redaktionsassistenz: Nicole Hollinger

Die Produktion und Schlussredaktion BWM: Bohl e-Publishing ([email protected])

Die Anzeigen Leitung: Dieter Schwarz Service: Almuth Willing Schott Music GmbH & Co. KG, Postfach 3640, 55026 Mainz Fon 06131–24 6852, Fax 0 6131– 2468 44 ([email protected])

… Belanglosem und …  Transkultureller Dialog Der Vertrieb Leserservice: Was hier an Belanglosigkeiten geboten Die nächste Ausgabe des MUSIKFORUM Nicolas Toporski, Susanne Mehnert wurde, war eines so renommierten Orches- beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Schott Music GmbH & Co. KG, ters nicht nur unwürdig, es war einfach nur „Transkulturellen Dialogs“ auf das Musik- Postfach 3640, 55026 Mainz Fon 06131–24 6857, Fax 0 6131– 2464 83 traurig. Traurig vor allem, weil sich dieses leben in Deutschland und den Chancen, ([email protected]) „Ereignis“ einreiht in eine sich verschärfende die er birgt. Die Redaktion fragt: Was kann Entwicklung zunehmender Gesichtslosig- die Politik tun, um Transkulturalität zu Die Erscheinungsweise keit. fördern? Wie zeigt sich Transkulturalität in vierteljährlich: Januar, April, Juli, Oktober Einzelheftpreis: m 8,50 Ganz offenkundig: Dieses Orchester hat der Musik in Kindergärten, Schulen oder nicht nur die Generationswechsel in seinen Jugendkulturen? In welchem Maß wirkt Die in den namentlich gezeichneten Beiträgen ver- tretenen Meinungen decken sich nicht notwendiger- Gruppenbesetzungen nicht verkraftet (die die Musik integrierend oder auch ausgren- weise mit der Auffassung des Herausgebers und der Bratschen- und Cellogruppe ausdrücklich zend? Wie viel kulturellen Dialog braucht Redaktion. ausgenommen!). Auch fehlt es nicht nur und verträgt eine Gesellschaft? Außerdem Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Unter- an einer wirklich immer wieder aufs Neue geht es um kulturelle Vielfalt, die Rolle der lagen wird keine Haftung übernommen. Nachdruck oder fotomechanische Wiedergabe, auch suchenden Probenarbeit. Identität und darum, wie ausländische auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Sondern: Das ehemals so renommierte Musiker ihre eigene Kultur in die Musik- Herausgebers. Ensemble ist einer Gier nach Zusatzein- landschaft Deutschlands einbringen. An der Finanzierung des Unternehmens wirtschaftlich nahmen verfallen! Gipfel: die Neuberufung beteiligt ist der Deutsche Musikrat, gemeinnützige Projektgesellschaft mbH. eines Medienmanagers als „Intendant“. ISSN 0935–2562 Das nächste MUSIKFORUM © 2009 Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz erscheint am 15. Januar 2010 Printed in Germany

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