Daniela Fürstauer

„Wir sind Weltmeister“ - Konstruktion zweier Gedächtnisorte

Zur medialen Reproduktion der „Fußball-Wunder“ von 1966 und 1978

und deren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Master of Arts der Studienrichtung Soziologie an der Karl-Franzens-Universität Graz

Begutachter/in: Prof. Dr. Mag. rer. soc. oec. Helmut Kuzmics

Institut: Soziologie

Graz/September/2011

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version.

Datum: Unterschrift:

INHALTSVERZEICHNIS

1. VORWORT ...... 5

2. EINLEITUNG ...... 6

2.1. Exkurs: Fußball – wie banal ...... 9

2.2. Zentrale Forschungsfragen ...... 11

3. THEORETISCHE GRUNDLAGEN ...... 13

3.1. Imaginierte Gemeinschaften, Erinnerungsorte und das kollektive Gedächtnis ...... 13

3.1.2. Scham und Stolz als Schlüsselemotionen? ...... 17

3.2. Von den Cultural Studies zur Diskursanalyse ...... 19

4. GESCHICHTE DES FUSSBALLSPORTS IN ÖSTERREICH UND ENGLAND ...... 22

4.1. „Österreich spielt philharmonischen Fußball – Tore schießen ist uns zu direkt“ ...... 26

4.2. „Wer hoch steigt, kann tief fallen“ – Fußball in England ...... 30

4.2.2. Eine figurationssoziologische Erklärung zur Entwicklung des Fußballs ...... 31

4.2.3. Exkurs: Zur Hooligandebatte in England ...... 34

4.3. „… und am Ende gewinnen immer die Deutschen“ – das historisch geprägte Verhältnis zu Deutschland ...... 37

4.3.1. Exkurs: Zum Vorabend des Ersten Weltkrieges ...... 38

4.3.2. Der große Bruder und die kleine Schwester ...... 43

4.3.3. Eine Hassliebe auf höchstem Niveau: England – Deutschland ...... 51

5. DISKURSANALYSE – Untersuchung der medialen Berichterstattung rund um die Ereignisse Córdoba und Wembley ...... 59

5.2. Auswahl der geeigneten Medien ...... 62

5.3. Die mediale Reproduktion des Wunders von Wembley 1966 ...... 62

5.3.1. Wembley als Ort zur Gedächtniskonstruktion ...... 68

5.3.2. Wembley 1966 als medialer Diskurs ...... 80

5.4. I wer narrisch!!! ...... 87

5.4.1. Medienlandschaft Österreich ...... 88

5.4.2. Mediale Charakteristika ...... 90

5.4.3. Exkurs: Die deutschen Medien 1978 ...... 98

5.5. Córdoba als Self-fulfilling prophecy ...... 102

5.5.1. Neuauflage eines Klassikers: Die WM 2008 ...... 104

5.5. Was bleibt? ...... 112

6. CONCLUSIO ...... 117

7. ANHANG ...... 119

7.1. Abbildungen und Tabellen ...... 119

7.2. Ausgewählte Artikel zur Feinanalyse ...... 120

8. BIBLIOGRAPHIE...... 121

8.1. Ausgewählte Printmedien ...... 127

1. VORWORT

Die grundlegende Motivation für diese Masterarbeit kam keineswegs aufgrund einer aktiven persönlichen Beteiligung am Fußballspiel oder durch ein überaus großes Maß an theoretischem Hintergrundwissen zustande. Der ausschlaggebende Moment, sich mit einem solch banal anmutenden Thema im Zuge einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit zu befassen, ist am Ende eines Vortrags des englischen Professors Eric Dunning an der Universität Graz zum Thema „Sports and Violence“ zu verorten. Hier verwies Professor Dunning, der sich als ehemaliger Schüler von Norbert Elias bestrebt zeigt, dessen Wissenschaftstradition weiterzuführen, auf die Einstellung vieler englischer Fußballfans, die sich bei Spielen ihrer Mannschaften fühlen würden, als wären sie „at war“. (Vgl. Dunning 2010.) Der Gedanke, dass sportliche Wettkämpfe Assoziationen zu Kriegsgeschehnissen herstellen könnten, bestärkte mich in Folge, mich näher mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Ausgehend von einer allseits präsenten Hooligandebatte in Zeitungen oder auch TV-Sendungen entstand der Wunsch, auch die mediale Berichterstattung näher miteinzubeziehen. Daraufhin richtete sich mein Fokus immer mehr auf die tagesaktuellen Sportberichte in den Zeitungen, weshalb sich der eigentliche Forschungsschwerpunkt für die vorliegende Masterarbeit relativ schnell änderte.

Die theoretischen Grundlagen haben sich im Laufe der Arbeit deutlich geändert, als mir bewusst wurde, dass es unmöglich ist, eine nationale Sportart zu untersuchen, ohne die nationalen Eigentümlichkeiten beziehungsweise deren historischen Hintergründe zu untersuchen. Ich möchte daher meinen Betreuungsprofessor, Hrn. Dr. Mag. Helmut Kuzmics, dafür danken, dass er mich immer wieder dahin gehend gefordert hat, neugierig zu bleiben, um hinter die offensichtlichen Fakten zu blicken.

Da sich der Zugang zu den älteren Artikeln der Tageszeitungen teilweise als äußerst schwierig und kompliziert präsentiert hat, möchte ich an dieser Stelle noch einer Studentin aus Deutschland danken, die mir hierfür mit wahrer „Nachbarschaftshilfe“ zur Seite gestanden ist.

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2. EINLEITUNG

Lieber Fußballgott, hoch oben, lass uns bitte, bitte toben.[…] Gib uns Deutschland im Finale nur dies eine, eine Mal(e) 30 Jahr nach Córdoba sind sie fällig - ist doch wahr! [...] Unser Bruder und Rivale, hilf ihm bitte ins Finale. Den Rest machen wir dann schon im -Stadion. Dieses Spiel wird ein Erlebnis, denn wir kennen das Ergebnis. Spielkultur ist einerlei, Österreich: Deutschland 3:2 (Österreichisches Fußballgebet zur EURO 2008)

Als halbwegs interessierter Fußballkonsument in Österreich kommt man nicht umhin, sich früher oder später dem Córdoba-Mythos zu ergeben. Insbesondere bei einem Spiel gegen die deutsche Nationalmannschaft wird immer wieder der Geist von Córdoba heraufbeschworen und auf das große Wunder gehofft, das sich selten beziehungsweise nie einstellt. Der historische Sieg der österreichischen Fußballnationalmannschaft gegen die deutsche Auswahl am 21. Juni 1978 in Argentinien ging in die Geschichtsannalen als das „Wunder von Córdoba“ ein. Zum ersten Mal gelang es den Österreichern, dem großen Bruder „eins auszuwischen“ (Die Presse, 21.06.1978). wurde als Held einer ganzen Nation gefeiert, und Edi Fingers Kommentar „I werd‘ narrisch“ avancierte zur akkustischen Versinnbildlichung dieses historischen Erfolges. Die Zeitungen überschlugen sich mit Superlativen für die Leistung dieser Fußballmannschaft, und alsbald dienten das „Wunder von Córdoba“ aus österreichischer Sicht und die „Schmach von Córdoba“ aus deutscher Perspektive als Interpretationsvorlage zur Aufarbeitung des historisch-bedingten Verhältnisses von Österreich – Deutschland. Nicht selten wurde Córdoba als eine Loslösung von der gemeinsamen Vergangenheit verstanden, und als endgültige Emanzipation des österreichischen Staates nach 1945 gefeiert. Ein Redakteur des Fußballmagazins „ballesterer“ brachte dies wie folgt auf den Punkt: „[…] Nicht 1955, sondern 1978 ist Österreich befreit worden. Und zwar nicht durch Figl und den Staatsvertrag, sondern durch das Tor vom Krankl“ (Mittermayr 2003: o.S.).

Ein „nation building‘“ durch den Fußball vollzog sich auch in England, wenn auch in deutlich anderer Form. England galt seit jeher als das Mutterland des Fußballs und des Teamsports.

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Die Engländer können sich schon lange an den Erfolgen ihrer Mannschaften erfreuen, wenngleich diese in Hinblick auf die Nationalelf immer mehr zur Mangelware werden. Mittlerweile sind es die englischen Clubs, die die europäische Fußballlandschaft und auch die wirtschaftliche Komponente bestimmen. Der größte Triumph der englischen Nationalmannschaft war und ist wohl unumstritten der Weltmeisterschaftssieg 1966 ausgerechnet gegen den ehemaligen Kriegsgegner Deutschland. Dieses Spiel präsentierte eines der meist diskutiertesten Matches, welches durch das sogenannte „Wembley Tor“ Berühmtheit erlangte. Geoffrey Hurst gelang in der 101. Minute ein umstrittener Treffer, über dessen Regelhaftigkeit noch immer heftig gefachsimpelt wird. Der endgültige Spielstand von 4:2 sicherte England den Weltmeistertitel, während sich in Deutschland immer mehr Verschwörungstheorien durchsetzen konnten.1 (Vgl. Brinkbäumer/Schimmöller 1996: 230- 232.) Mittlerweile ist die englische Nationalmannschaft von den Erfolgen der Vergangenheit weit entfernt, das Tor von Wembley ist aber noch immer Gegenstand vieler Mythenbildungen und der Medieninszenierung. Michael Maisch, Redakteur des „Handelsblattes“, ging sogar soweit, dass er eine göttliche Fügung im letztjährigen Achtelfinalspiel zwischen England und Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika verortete: „Lieber Fußballgott, das hast du wirklich prima gemacht. Ein solides 4:1 gegen die Engländer und dann auch noch gleich das Wembley-Tor von 1966 korrigiert - Respekt!“ (Maisch 2010: 8).

Diese beiden Ereignisse in der Fußballgeschichte sind den meisten Fans noch immer in bester Erinnerung, und die Orte Wembley oder Córdoba werden schon lange nicht mehr nur mit ihrer geographischen Position in Verbindung gebracht, sondern mit dem damit verbundenen gedanklichen Denkmal. Die vorliegende Masterarbeit ist daher maßgeblich von der Annahme geleitet, dass es im Fußballsport Ereignisse gibt, die im Sinne einer Theorie Jan Assmans‘ zu kollektiven Gedächtnisorten avancieren und sich für die Reproduktion von Identität innerhalb spezifischer Gruppen (Fangruppen) verantwortlich zeichnen.

Der Zusammenhang von Fußball und Identität stellt also neben der Assman’schen Theorie zum kollektiven Gedächtnis einen weiteren Eckpfeiler für diese Masterarbeit dar. Man könnte sogar behaupten, dass die Beziehung zwischen Fußball und nationaler Identität das „große Ganze“ präsentiert, in das diese Arbeit eingebettet werden soll. Hierfür wird insbesondere die Vorstellung einer Nation als einer „imagined community“ nach Anderson aufgearbeitet, wie

1 Eine dieser Theorien lautete, dass der sowjetische Linienrichter Tofiq Bəhrəmov, der den Ball der Engländer als gültig erachtet hatte, sich an den Deutschen „rächen“ wollte. An seinem Totenbett soll er auf die Frage, warum er sich sicher gewesen sei, der Ball sei im Tor gewesen, nur mit „Stalingrad“ geantwortet haben. (Anm.: Eine Offensive der Deutschen Wehrmacht forderte unzählige Opfer auf Seiten der Sowjets in Stalingrad) (vgl. „Wembley Tor“, in: http://bmgs.info/Wembley-Tor [26.05.2011]. 7 auch diverse andere Konzepte zur Identitätsbildung- beziehungsweise Reproduktion miteinbezogen. Die bereits mehrfach angesprochene Machtposition der Medien in Hinblick auf die ständige Inszenierung von bestimmten Ereignissen stellt in Folge einen weiteren theoretischen wie auch empirischen Schwerpunkt dar. In Bezug auf die mediale Berichterstattung rund um die beiden Sportereignisse Córdoba und Wembley erschien es daher äußerst zielführend, sich die vorherrschenden Diskurse zur jeweiligen Zeitepoche anzuschauen. Nach Bruckmüller (1998) herrschte in den ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg ein starkes Bedürfnis der Österreicher, sich von den Deutschen abzugrenzen, um unter anderem den sogenannten „Opfermythos“ stärker zu forcieren. Hier stellt sich die Frage, ob, wenn es einen solchen auf „Entgermanisierung“ abzielenden Diskurs in Österreich gab, solche Tendenzen auch in der sportlichen Berichterstattung zu verzeichnen waren, und inwiefern sich diese bis heute entwickelt haben?

In England musste man sich nach dem Weltkrieg damit auseinandersetzen, nicht mehr die Nation Nr. 1 zu sein, sondern sich hinter Amerika einzuordnen und das plötzliche Wirtschaftswunder der BRD zu bewältigen. Die Schwierigkeiten in Großbritannien beruhen – einem Onlineartikel des Telegraphs folgend – grundsätzlich auf der Suche nach einer gemeinsamen britischen Nationalidentität (vgl. Daley 2008: o.S.). Großbritannien und England wurden über eine lange Zeit hinweg meist gleichgesetzt, was nach Richard Holt auf eine „distribution of power within the State“ (Holt 1990: 262-263) hinweist.

Die Suche nach Identität hat nicht nur in England beziehungsweise Großbritannien zu einer ernsthaften Staatskrise geführt, sondern auch in Österreich war eine „Diskussion um österreichische Identität seit der Entdeckung angeblicher staatstragender Lebenslügen“ (Holzer 1995: 164) entbrannt. Der hier angesprochene Opfermythos der Zweiten Republik spielte lange Zeit eine wichtige Rolle für die Stabilisierung der österreichischen Identität. Nach Holzer sind nationale Identitäten jedoch nie statisch, sondern unterliegen Wandlungen und können durchaus vielfach auftreten. Nachdem es schwer ist, zu sagen, welche Faktoren die nationale Identität besonders beeinflussen können, habe ich mich für diese Masterarbeit für den umgekehrten Weg entschieden. Mir stellte sich daher die Frage, inwiefern besondere Ereignisse, die sich möglicherweise in einem kollektiven Gedächtnis verankert haben, identitätsstiftend wirken können. Können Geschehnisse im Sport auf nationale Identitätsstrukturen einwirken? Sind Córdoba 1978 und Wembley 1966 zu kollektiven Gedächtnisorten Österreichs beziehungsweise Englands geworden, wenn ja, haben diese Einfluss auf eine mögliche nationale Identität? 8

2.1. Exkurs: Fußball – wie banal

Im Zuge meiner Recherchen und Arbeiten für dieses Forschungsprojekt bin ich immer wieder auf viel Unverständnis und Ablehnung hinsichtlich meiner Themenwahl gestoßen. Ich habe mir dann selbst die Frage gestellt, warum es überhaupt sinnvoll ist, gerade den Fußball näher zu untersuchen. Für mich persönlich waren die Gründe durchaus einleuchtend und teilweise auch durch eine theoretische Fundierung expliziert.

In erster Linie präsentiert der Sport einen enorm großen Faktor in der weltweiten Marktwirtschaft. Die Repräsentanz von Sportlern in Werbebotschaften ist unübersehbar ebenso wie das gewaltige Sponsoring, welches von den diversen Unternehmen betrieben wird. Der enorm hohe Stellenwert des Sports ist im gesamtgesellschaftlichen Kontext nicht nur auf seine mimetische Funktion - im Sinne eines Ersatzes zur Affektentladung und Freizeitgestaltung - beschränkt, sondern reproduziert sich auch in der Einfachheit, mit der jeder diesen Sport ohne größeren Aufwand selbst betreiben kann. Ebenso ist auch der politische Faktor nicht zu unterschätzen. Man denke hierbei an die ständige Gegenwart von hohen heimischen Politikern bei sportlichen Großereignissen (beispielsweise Fußball-EM 2008, Schirennen in Schladming/Kitzbühel). Zusätzlich kann man im Sport auch einen verlängerten Arm historischer Ereignisse und Interdependenzketten erkennen. Ein Zitat des Wiener Bürgermeisters aus dem Jahr 1998 veranschaulicht diese Verbindungslinie sehr gut:

„Córdoba, die Rache für Königgrätz2 … ein Sieg auf dem Fußballfeld als Revanche und Wiedergutmachung für die Niederlage der Vorväter auf dem Schlachtfeld; dreimal der Ball im Netz des Gegner als Balsam für die österreichische Seele; dreifach der Torschrei von Edi Finger, unauslöschlich eingeprägt ins Bewusstsein der Nation. Und Córdoba kommt wieder - wenn nicht heute, dann morgen. Es ist nur eine Frage der Zeit.“ (Michael Häupl 1998: 10)

Die Identität einer Nation oder eines ganzen Kulturkreises zu untersuchen, ist wegen des damit verbundenen Arbeitsaufwandes kaum möglich, weshalb es notwendig erscheint, eine niedrigere Untersuchungsebene auszuwählen. In dieser Hinsicht folgt diese Forschungsarbeit der Tradition Norbert Elias‘, der eine Analyse von Sportgruppen und den damit verbundenen gesellschaftlichen Prozessen vorschlug, um so mittels eines „Kleinmodells“ komplexere Zusammenhänge in einem makrosoziologischen Sinn besser verstehen zu können (vgl. Elias 2003: 342–352). Auch Verena Scheuble und Michael Wehner haben auf die Komplexität und

2 Sieg der preußischen Armee 1866 über Österreich und die anderen Staaten des Deutschen Bundes. 9 die Schwierigkeiten hingewiesen, die sich bei der Untersuchung von Ausprägungen nationaler Identität ergeben können. Sie schlagen deshalb vor, den Fußball als „[…] geeignete Projektionsfläche für politische und soziale Veränderungen und den Umgang mit der Nation“ (Scheuble/Wehner 2006: 26) zu untersuchen. Schlagworte wie „Wir sind Weltmeister“ oder „Wir sind Córdoba“ zeugen demnach von einem starken, nationalen Kollektiv, das soziale und politische Ungleichheiten auszublenden scheint und so eine „integrative, gefühlte Einheit“ (ebd. 26) konstruiert. Scheuble und Wehner verweisen in diesem Zusammenhang auf die enorme Wirkkraft durch den Gewinn der Deutschen Nationalelf des Weltmeistertitels 1954 auf das nationale Selbstverständnis. Ebenso merken sie an, dass das Wembley-Tor von 1966 beispielsweise nicht nur eine sportliche Niederlage eingeleitet hat, sondern auch alte „historische Feindbilder“ (ebd. 26) mobilisiert hat. Da es relativ schwierig ist, eine einheitliche Definition für den Begriff „Nation“ zu finden, ist es nach Scheuble und Wehner durchaus zulässig, auf das von Anderson erarbeitete Konzept einer „imagined community“ zurückzugreifen. Nachdem religiöse und ehemalige ständische Vorbilder ihre integrative Wirkung auf den Staatsbildungsprozess durch die zunehmende politische Wirkkraft der „funktionierenden Demokratisierung“ immer mehr eingebüßt haben, sind es nun andere Formen von Solidarität, die die Nation als solche stärken und stabilisieren müssen. Die dadurch konstruierte Nation erinnert nach Anderson an eine „vorgestellte politische Gemeinschaft“ (Anderson 1991: 15), die auf einem für jedermann gültigen Normen- und Wertegerüst aufbaut. Dies bedeutet für Scheuble und Wehner auch, dass „[d]ie Abgrenzung nach außen – gegen andere ‚imagined communities‘ – im Prozess der Nationalstaatsbildung eine wichtige Rolle [spielt]“ (Scheuble/Wehner 2006: 27). Um die gemeinsamen Werte- und Normenstandards jedoch aufrecht zu erhalten, braucht es jedoch einer integrativen Symbolik, „sinnstiftender Ereignisse und Identifikationsmuster“ (ebd. 27), die in einem kollektiven Erleben oder Erinnern verankert sind. (Vgl. Scheuble/Wehner 2006: 26-31.) Dementsprechend wurde entschieden, die praktische Anwendbarkeit der Gedächtnistheorie von Jan Assmann anhand zweier Beispiele in der europäischen Sportgeschichte zu beleuchten, die noch heute auf breite öffentliche wie auch mediale Resonanz stoßen.

Dennoch gab es immer wieder kritische Stimmen, die eine Ausschlachtung eines allzu trivialen Themas verorteten. Ich möchte daher hier nochmals verdeutlichen, dass es sich bei der vorliegenden Masterarbeit keineswegs um eine reine Analyse einer banalen Freizeitaktivität handelt, sondern vielmehr um das Zusammenspiel zwischen (nationaler) Identitätsproduktion, Sport und medialer Inszenierung. Adam Brown erwähnte in seinem

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Werk Fanatics! (1998), dass man insbesondere während und rund um Fußballspiele immer wieder beobachten könne, dass Menschen plötzlich voller Nationalismus stecken. „If national identity is the most ‘developed‘ identity of modernity, football is the most popular sport/spectacle.“ (Brown 1998: 160) Randall Collins verwies in “Violence” (2008) sogar darauf, dass “Sports real life” (Collins 2008: 283) seien, und Coelho nannte Fußball a “catalyst for social identities” (Coelho 1998: 159), der sich mit “failure, solidarity, competition […] and work” (ebd.) beschäftige. Auch der allseits bekannte “Gentleman-Code” der Engländer beziehungsweise Briten wird von manchen im Entwicklungsprozess des Fußballs verortet, ebenso wie der oft propagierte Fairness-Gedanke. Schon die Kriegspropaganda der Engländer im Ersten Weltkrieg richtete sich an die sportliche Mentalität der Soldaten „You have played with one another and against one another for the Cup, […] play with one another for England now“ (Lord Derby nach Holt 1990: 276). Die Trainingsmethoden und der Fußball an sich wurden alsbald als geeignet eingestuft, um die nationale Moral zu stärken und als Ausbildungsressource zur körperlichen Ertüchtigung zu dienen. (Vgl. Holt 1990: 262-277.)

2.2. Zentrale Forschungsfragen

Wie bereits oben angedeutet, ging es bei dieser Masterarbeit darum, herauszufinden, wie in Bezug auf die beiden Ereignisse Córdoba 1978 und Wembley 1966 das kollektive Gedächtnis, die mediale Reproduktion und die identitätsstiftenden Wirkungsweisen ineinander greifen. Zur besseren Veranschaulichung habe ich mich daher entschlossen, die zentralen Fragestellungen wie folgt aufzulisten:

- Inwiefern präsentieren sich „Córdoba“ und „Wembley“ als kollektive Gedächtnisorte und warum? - Durchlaufen diese beiden Ereignisse durch die mediale Berichterstattung vor ähnlichen Großereignissen (WM, EM) eine Art „Reaktivierungsprozess“, der sich nicht nur auf die sportliche Ebene beschränkt, sondern auch weitere Gesellschaftsbereiche beeinflusst? - Ist es möglich, aufgrund der gemeinsam erlebten Erfahrung von Fußballfans, die offensichtlich Gefühle des kollektiven „WIR“ mit sich bringt, auch auf ein gemeinsames Gruppenbewusstsein zu schließen, das weit über den Bereich des Sports hinausgeht?

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- Inwiefern bietet die mediale Berichterstattung rund um diese beiden Ereignisse einen Nährboden für nationale oder auch soziale Identitäten? - Kann man bestimmte historische Bedingtheiten identifizieren, die den zeitaktuellen Diskurs geprägt haben und somit auch die Einbettung der beiden Sportereignisse in den medialen Kontext?

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3. THEORETISCHE GRUNDLAGEN

3.1. Imaginierte Gemeinschaften, Erinnerungsorte und das kollektive Gedächtnis

„Unter dem Begriff kulturelles Gedächtnis fassen wir den jeder Gesellschaft und jeder Epoche eigentümlichen Bestand an Wiedergebrauchs-Texten, -Bildern und –Riten zusammen, in deren ‚Pflege‘ sie ihr Selbstbild stabilisiert und vermittelt, ein kollektiv geteiltes Wissen vorzugsweise (aber nicht ausschließlich) über die Vergangenheit, auf das eine Gruppe ihr Bewusstsein von Eigenheit und Eigenart stützt.“ (J. Assmann 1997: 15)

Dieses Zitat von Jan Assmann aus dem Jahr 1988 verweist auf die enorme Macht, die vom sogenannten kulturellen Gedächtnis ausgehen kann. Durch die Aufrechterhaltung gemeinschaftlicher Erinnerungen ist es einer Gruppe möglich, sich ihrer Eigenart und Zusammengehörigkeit zu vergewissern, um daraus einen Nutzen im Sinne eines identitätsstiftenden Mehrwerts ziehen zu können. Assmann unterscheidet demnach zwischen einem kulturellen und einem kommunikativen Gedächtnis. Das kommunikative Gedächtnis ist lediglich auf einen Zeithorizont von etwa 80 bis 100 Jahren angelegt, während das kulturelle Gedächtnis an eine Urgeschichte anzudocken vermag. Dieses kulturelle Gedächtnis muss immer wieder durch spezielle Riten und Feste geformt und aufrecht erhalten werden, dazu ist es aber auch nötig, geeignete Träger (beispielsweise Priester, Schamanen) für diese Aufgaben zu benennen und ihnen eine dementsprechende „Ausbildung“ zu ermöglichen. Als besonders beeindruckende Leistung wird es heute noch unter vielen Wissenschaftlern empfunden, dass es Assmann mit seinem Werk „Das kulturelle Gedächtnis“ (1992) gelungen ist, eine Brücke zwischen „Erinnerung, kollektiver Identitätsbildung und politischer Machtausübung“ (Erll 2005: 29) zu bauen. Grundsätzlich beruhen die Ausführungen von Jan Assmann und seiner Frau Aleida jedoch auf den Theorien zur Erinnerungskultur von Maurice Halbwachs, der seine Studien zum kollektiven Gedächtnis bereits 1925 veröffentlichte. Halbwachs wagte sich als einer der ersten an eine Kollektivierung von individualpsychologischen Erscheinungen heran und stellte sich somit deutlich gegen Theorien à la Freud. Damit erklärte er die bis dahin geltenden Gedächtnistheorien zu einem nahezu soziologischen Phänomen, da er die individuelle Wahrnehmung grundsätzlich als etwas „[G]ruppenspezifisch[es]“ (Erll 2005: 15) einordnete. Nach Halbwachs ist es nur einem geeigneten sozialen Rahmen oder auch einer sozialen Gruppe möglich, „Inhalte des kollektiven Gedächtnisses – den Vorrat an für das Kollektiv relevanten Erfahrungen und geteiltem Wissen [zu vermitteln]“ (ebd. 15). Dieses kollektive Gedächtnis speist sich wiederum aus einer „kollektiven symbolischen Ordnung“

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(ebd. 15), an welcher wir teilnehmen, und die es uns ermöglicht „vergangene Ereignisse [zu] verorten, deuten und erinnern“ (ebd. 15). (Vgl. Erll 2005: 14 – 33.)

Eine jedoch für diese Masterarbeit geeignete Interpretation des kollektiven Gedächtnisses bietet auch Aleida Assmann, die grundsätzlich zwischen dem sozialen (individuellen) und dem kollektivem Gedächtnis unterscheidet. Das soziale Gedächtnis steht in direkter Verbindung mit dem „Ich“ und der eigenen Identität und kann durch wechselseitige Interaktionen und Sprechakte geformt werden. Das kollektive Gedächtnis hingegen ist so konstruiert, dass es für längere Zeiträume bestehen kann, weshalb es auf eine weitaus tiefere Verankerung in der kollektiven Erinnerungskultur angewiesen ist. Eine Teilhabe am kollektiven Gedächtnis zu haben, bedeutet daher auch immer, einer Wir-Gruppe anzugehören, in die man unfreiwillig (Familie, Nation, etc.) hineingeboren wird, oder die man freiwillig wählt (Beitritt zu Parteien, Sportclubs, etc.). Ein Individuum ist daher Teil mehrerer Wir- Gruppen, die sich ineinander verschachteln und gegenseitig beeinflussen können. Die Erinnerungen, die allen Teilnehmern einer Gruppe gemeinsam sind, stabilisieren sich insbesondere aufgrund ihres Emotionsgehaltes.

„Emotionen sind die Aufmerksamkeitsverstärker, die zur Stabilisierung der Erinnerungen beitragen. Gemeinsam ist ihnen ebenfalls, dass die Erinnerungen, die ausgewählt werden, die Identität der Gruppe stärken, und die Identität der Gruppe die Erinnerungen befestigt; mit anderen Worten: das Verhältnis zwischen Erinnerung und Identität ist zirkular.“ (A. Assmann o.J.: 14).

Die Beziehung zwischen Identitätsstiftung und kollektivem Gedächtnis ist nach Aleida Assmann nicht wegzudenken. Um eine solch machtvolle Wirkung, wie sie ausgehend vom kollektiven Gedächtnis zu verzeichnen ist, aufrechtzuerhalten, ist es notwendig, bereits abgespeicherte Ereignisse des kollektiven Gedächtnisses immer wieder durch Riten zu reproduzieren. Das bedeutet auch, dass solche Ereignisse äußerst einseitig interpretiert werden. Peter Novick beschrieb dies wie folgt: „Das kollektive Gedächtnis vereinfacht; es sieht die Ereignisse aus einer einzigen, interessierten Perspektive; duldet keine Mehrdeutigkeit, reduziert die Ereignisse auf mythische Archetypen“ (Novick 2003: 14). (Vgl. A. Assmann o.J.: 1–8.) Ein Beispiel hierfür ist die mediale Interpretation der Ereignisse rund um Córdoba 1978, als die österreichische Fußballnationalmannschaft die deutsche 3:2 besiegte, welche in den beiden Ländern Österreich und Deutschland nicht unterschiedlicher sein könnte. Während die deutschen Tageszeitungen nicht ungern auf die „Schmach/Schande von Córdoba“ verweisen, überhäufen sich die österreichischen Massenblätter nicht selten mit Superlativen für dieses historische Ereignis, für den „Mythos Córdoba“. Córdoba hat sich 14 hierbei zu einem Schauplatz entwickelt, der für mehr steht als den Austragungsort eines Fußballspiels. Aus der schlichten argentinischen Stadt wurde so ein Ort der österreichischen (Fußball)Erinnerungskultur geschaffen, auf den immer wieder gerne - in hoffnungsvoller Erwartung – verwiesen wird.

In diesem Zusammenhang verweist Gertrude Pfister darauf, dass Erinnerungsorte wirkliche wie auch imaginäre Orte eines Landes oder einer Gesellschaft repräsentieren können, an die sich assoziative Emotionen binden lassen (vgl. Pfister 2002: 51-52). Die Tatsache, dass solche „erdachten“ Erinnerungsorte durch die mediale Berichterstattung immer wieder reproduziert werden und im kollektiven Gedächtnis verankert scheinen, kann auch im Sinne der Theorien von Benedict Anderson über die „imagined communities“ verstanden werden. Nach Anderson repräsentiert jede Nation eine „imagined community“, da das Zusammengehörigkeitsgefühl mit den anderen Mitgliedern der Nation nicht auf einer alltäglichen Face-to-Face Interaktion beruht, sondern auf gemeinsamen Vorstellungen oder auch Mythen, die eine kollektive Identifikation mit der Nation bestärken. (Vgl. Billig 1995: 68-69.) Der nationale Zusammenhalt gründet demnach in gemeinsamen Erinnerungen an vergangene Ereignisse. Hierfür bietet der Sport und insbesondere das Fußballspiel durch seine rituellen Abläufe und symbolträchtigen Orte einen idealen Nährboden, um solche nationalen Mythen und Erinnerungen zu speisen. In kommunikativen Prozessen – wie sie beispielsweise von den Medien betrieben werden – „rekonstruieren Kulturen ihre Vergangenheit“ (Pfister 2002: 51), und besondere Ereignisse finden so Einzug in das kollektive Gedächtnis. Demnach präsentieren Erinnerungsorte wie Córdoba oder Wembley einen wichtigen Anknüpfungspunkt zur Bildung von nationalen Identitäten, da „[…] nationale Identität nichts [ist], was man ‚von Natur aus‘ hat, sondern sie muss permanent produziert und inszeniert werden“ (ebd. 52). Die mediale Einflussnahme kann wie folgt nochmals in den Worten von Gertrude Pfister zusammengefasst werden: „Die Botschaften der Medien machen die Spieler zu Stars und die Spiele zu heroischen Kämpfen, die in den Bestand der kollektiven Erinnerung eingehen“ (ebd. 54).

Vorsichtig muss man jedoch sein, wenn man beispielsweise den Einfluss des Wunders von Wembley auf die nationale Identität untersuchen möchte. Am 30.07.1966 trafen die Mannschaften aus England und Westdeutschland aufeinander, was insofern erstaunlich ist, da England kein unabhängiger Staat ist, sondern mit Schottland, Wales und Nordirland die Union des Vereinigten Königreiches – kurz Großbritannien – bildet. Trotzdem besitzen alle Einzelstaaten dieses Bundes eine eigene Fußballnationalmannschaft. Die nationale 15

Identifikation durch den Sport und insbesondere durch den Fußball präsentiert sich in England daher weit komplexer als in anderen Staaten. Lincoln Allison beispielsweise geht zwar von einer grundsätzlichen nationalen Identifikationsmacht des Sports aus, welche auch in andere Gesellschaftsbereiche eindringen kann, bremst jedoch ein, dass eine totale Identifikation durch einer Bevölkerungsmehrheit mit einer Mannschaft oder einer Sportinstitution eher die Ausnahme darstellt. So zählen in Großbritannien eher die Aufeinandertreffen der einzelnen Clubs zu den Ereignissen im Fußball, die enorme Massen mobilisieren und Emotionen hervorrufen können. (Vgl. Allison 2002: 344-346.) „In football, it has often been more important and more prestigious to play for Manchester United or Liverpool than for England and Wales” (Allison 2002: 346). Dies beweist auch eine aktuelle Statistik, die den Besucherdurchschnitt für das Jahr 2010 sowie die Saison 2010/11 bei Spielen der Nationalmannschaften und der einzelnen Clubs auflistet. Durchschnittlich 35.294 Personen besuchen ein Spiel der englischen Nationalmannschaft, wohingegen Manchester United im Schnitt 75.109 Fans zu den Matches anlockt. In ganz Europa lässt sich nach dieser Statistik jedoch kein einziges Land finden, in dem mehr Menschen ein Spiel der Nationalmannschaft besuchen als bei den jeweiligen Clubbegegnungen. (Vgl. Mapfumo 2010.) Trotzdem kommt es immer wieder zu Aufeinandertreffen von Fußballmannschaften, die ein hohes nationales Konfliktpotenzial beinhalten. Die emotionale Spannung, die während manchen Begegnungen entsteht, wie sie laut Allison immer wieder bei Spielen zwischen England und Deutschland zu verspüren ist, entlädt sich nicht selten in anderen Bereichen nationaler Wichtigkeit (beispielsweise Politik). Nach Lincoln Allison ist die gemeinsame Verbindungslinie zwischen Sport und Nation beziehungsweise Nationalismus nicht wegzudenken:

„[…] it is equally apparent that sport can act in an important catalytic way with respect to nationalism […]. There are many cases in which it would be more reasonable to infer that national sport had helped a nationalist cause than that it has hindered or made no difference.” (Allison 2002: 351).

Wie bereits erwähnt, ist eine Nation nach Anderson immer nur „imaginiert“, „vorgestellt“, da es nie möglich sein wird, dass sich alle Mitglieder einer solchen auch wirklich gegenseitig kennen(lernen). In diesem Sinne stellt beispielsweise auch die Gemeinschaft der englischen oder auch österreichischen Fußballfans eine „imagined community“ dar. Michael Billig hat dies in seinem Werk „Banal Nationalism“ (1995) in Anlehnung an Henri Tajfel mit den Worten „A nation will only exist if a body of people feel themselves to be a nation” (Billig 1995: 66) ausgedrückt und weiters darauf geschlossen, dass eine Identifikation mit einer Gruppe – egal welchen Ursprungs - erst durch eine einfache Kategorisierung entstehen kann,

16 die auf einer Trennung zwischen „we“ und „they“ basiert. Nach Billig entspricht diese Klassifizierung im Grunde den Prinzipien der „imagined community“. (Vgl. Billig 1995: 61 – 66.) Diese abstrakte Einheit, diese „vorgestellte Nation“ speist sich ihrerseits wiederum aus gemeinsamen Erinnerungen und Mythen, die, um nochmals auf Gertrude Pfister zu verweisen, insbesondere im Sport auf einen ertragreichen Nährboden stoßen. Solche Symbole und nationale Riten werden jedoch großteils durch die mediale Inszenierung immer wieder reproduziert und stärken somit Solidarität und Zusammengehörigkeitsgefühle unter den Mitgliedern einer (imagined) Community. (Vgl. Edles 2002: 58 – 62.) Für den Fußball bedeutet dies, dass wenigstens rund 90 Minuten alle Zuschauer, die sich einer Fankultur zugehörig fühlen, Teilhabe an einer solchen imagined community haben, unabhängig von persönlichen oder sozialen Differenzen (vgl. Scheuble/Wehner 2006: 28).

Diese Zugehörigkeitsgefühle, die sich nicht nur innerhalb der Gruppe der Fußballfans finden lassen, stellen jedoch bereits für sich betrachtet eine Besonderheit dar. Die Entstehung und die enorme Stärke eines solchen Gefühls gleichen einem soziologischen Phänomen. Fangruppen können im Sinne Michael Billigs ebenso eine „imagined community“ bilden wie auch das große Gefüge der Nation, dennoch gelingt es solchen Gebilden, Menschen an sich zu binden und ihnen eine Identitätsbasis bereitzustellen, die gerne von ihnen angenommen wird. Warum sich so viele Individuen jedoch bereitwillig mit einem solchen Phantasiekonstrukt identifizieren und dieses als Teil ihrer eigenen Persönlichkeit annehmen, kann mit traditionellen Nationskonzepten oder dergleichen nicht geklärt werden. Eine Begründung, wie Zugehörigkeitsgefühle entstehen und sich scheinbar problemlos in das jeweilige Selbstbild einfügen können, lässt sich vor dem Hintergrund des hier bereits vorgestellten theoretischen Rahmens nicht finden. Hierfür ist es notwendig, Anleihen aus der oftmals viel zu stiefmütterlich behandelten Emotionssoziologie zu nehmen.

3.1.2. Scham und Stolz als Schlüsselemotionen?

Stellvertretend für alle theoretischen Ausführungen zur Bildung von Zugehörigkeits- beziehungsweise Wir-Gefühlen innerhalb von Fangruppen und ähnlichem steht eindeutig der von Nick Hornby verfasste, autobiographische Roman „Fever Pitch“ (1992). Einfach und doch direkt beschreibt Hornby in diesem Werk, wie sich seine bereits obsessionsartige Liebe zum Londoner Fußballclub Arsenal entwickelt hat. Deutlich wird, dass es nicht geographische Bedingungen waren, die ihn in den Norden Londons trieben oder der besonders unterhaltsame Fußball, der in Highbury geboten wurde. Mehr oder weniger zufällig wurde Hornby Fan des Arsenaler Fußballvereins, und auch das Gefühl, lebenslänglich mit dem Club verbunden zu 17 sein, wurde nicht nur durch positive Erfahrungen gestärkt, sondern auch insbesondere durch Momente des Schmerzes und der Niederlage. Loyalität spielte für Hornby keine Rolle, und es kann angenommen werden, dass es auch nicht diese Ehr- beziehungsweise Treuegefühle sind, die Menschen an eine Nation binden beziehungsweise sich derer zugehörig fühlen lassen. Im Fall des Scheidungskindes Nick waren es Erfahrungen des Siegs wie auch der Niederlage, die für eine starke Gruppenbindung sorgten. Denkt man an die ständigen Hänselein, denen der junge Nick aufgrund seiner Arsenalliebe vor allem in der Schule ausgesetzt war, kommt man zu dem Schluss, dass er ständig an positive und insbesondere an negative Spielmomente erinnert wurde. Diese immer wieder reproduzierten Erlebnisse der Enttäuschung wie auch die eher selten gewordenen Momente der Freude konnten somit in Hornbys persönliches Selbstkonzept einfließen. Die ständige Frustration des noch jungen Nicks ob der schlechten Spielleistungen Arsenals mündete schließlich in der Ausbildung eines Schamzustandes in der persönlichen Identität. Nach Kuzmics (2003) ist auch „[…] die nationale Bindung oft im Stadium der Scham [am größten]“ (Kuzmics/Mozetic 2003: 78). Dass das Nationalgefühl jedoch etwas sehr Zerbrechliches ist, lässt sich vor allem an kleinen Nationen gut veranschaulichen. Österreicher kann man von Geburt an sein, sich als Österreicher zu fühlen, hängt jedoch von anderen Faktoren ab. So ist es durchaus denkbar, dass sich das 3:2 Österreichs gegen Deutschland in Córdoba positiv auf das Nationalgefühl ausgewirkt hat, wie lange die Österreicher jedoch noch von diesem Sieg zerren können – der ob der desolaten Leistungen der Fußballnationalmannschaft immer mehr einem Strohhalm gleicht – ist unklar. Dass die ständigen Demütigungen, die Österreich im Fußball erlebt, durch eine Überbetonung von Stolzgefühlen kompensiert werden, wird anhand der empirischen Untersuchungen noch zu zeigen sein. Fest steht jedoch, dass Thomas J. Scheff zufolge Minderwertigkeits- beziehungsweise Schamgefühle oftmals damit ausgeglichen werden, dass Gefühle entwickelt werden, die einer Art „falschem Stolz“ entsprechen. Scheff und Retzinger beschreiben dies wie folgt: „Perhaps false pride is related not to normal pride but to ist antithesis, shame. Insolence and haughtiness may mask deep-seated feelings of inferiority that ist, shame” (Scheff/Retzinger 1991: 6). Für Scheff/Retzinger zeigt sich auch deutlich, dass sich Scham und Stolz anhand der Qualität ihrer sozialen Bindungen entwickeln. Scham präsentiert sich in diesem Sinne eher im Zusammenhang mit unsicheren Bindungen, wohingegen Stolz auf sicheren Bindungen und Solidarität beruht. Eine instabile Bindung kann demnach in Schamgefühle münden, die im Zuge der Bewusstheit einer Unterlegenheit dazu führen, dass damit zusammenhängende Minderwertigkeitskomplexe mit dem Versuch, das beschädigte Selbstbewusstsein wieder zu stärken, durch übersteigerten Stolz kompensiert werden. Dieses

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„Phänomen“, welches sich darin zeigt, dass Unterlegenheitsgefühle in plötzliche Überheblichkeit und Arroganz umgewandelt werden, wird nach Scheff unter dem Begriff „false pride“ gefasst. (Vgl. Scheff/Retzinger 1991: 4-16.) Inwiefern es sich insbesondere bei der besonderen Beziehung zwischen Deutschland und Österreich sowie der Überbetonung des „Wunders von Córdoba“ um eine kompensatorische „Hilfsfunktion“ für das angeknackste österreichische Selbstbewusstsein handelte, wird im empirischen Teil der Arbeit, der auf einer Medienanalyse basiert, zu klären sein.

3.2. Von den Cultural Studies zur Diskursanalyse

Stuart Hall bietet einen angemessenen wissenschaftlichen Rahmen, der sich - verankert in den Cultural Studies - hervorragend zur „Medienanalyse“ eignet. Wie bereits Roman Horak und Wolfgang Maderthaner in „Mehr als ein Spiel – Fußball und populare Kulturen in Wien der Moderne“ (1997) zeigten, sind der Sport ebenso wie die Massenmedien Produkte der Populärkultur, weshalb es durchaus legitim – wenn nicht sogar erforderlich – erscheint, Bezugnahme auf die Theorien der Cultural Studies zu nehmen. Stuart Hall, der ein schlichtes Sender-Empfänger-Modell ablehnt, spricht sich vielmehr für die Beobachtung von sogenannten „Decoding- und Encoding Prozessen“ aus, da die Massenkommunikation kein transparenter Prozess sei, und sich somit encodierte und decodierte Bedeutungen nicht decken müssen. Des Weiteren verweist Hall auf die enorme Einflussnahme von Medien auf bereits bestehende wie auch entstehende Diskurse. Nach Hall ist ein Diskurs „a group of statements which provide a language for talking about – i.e. a way of representing – a particular kind of knowledge about a topic” (Hall 1996: 201). Dementsprechend bedeutet für ihn “to represent”, dass man versucht, soziale Solidarität zu zeigen und diese auch auszudrücken, wie es beispielsweise durch die öffentliche Zur Schau Tragung von Fanartikeln demonstriert wird. (Vgl. Hall 1996: 184-227.) Halls Theorien wurzeln teilweise in den bereits von Michel Foucault angestellten Überlegungen zum Begriff des Diskurses. Foucault setzte diskursive Strukturen in einen historischen Kontext und zeigte, „that every historical period has ist own discourse and therefor knowledge practices“ (Edles 2002: 209).

Als empirisches Untersuchungsinstrumentarium habe ich mich entschlossen, eine Diskursanalyse durchzuführen. Grundsätzlich ist diese Methodik auf den Soziologen Michel Foucault zurückzuführen, wobei ich mich für diese Arbeit zusätzlicher einiger Hilfestellungen und Erweiterungen zu diesem Ansatz, welche von Siegfried Jäger in „Kritische

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Diskursanalyse. Eine Einführung“ (2009) ausgeführt wurden, bedient habe.

Nach Foucault ist ein Diskurs etwas, das eingebettet in den jeweiligen historischen Kontext versucht, mittels Sprache die Wirklichkeit zu schaffen und nach bestimmten Vorstellungen, die sich an den jeweiligen gesellschaftlichen Machthabern orientieren, zu kreieren (vgl. Edles/Desfor 2002: 209-211.)

„Each society has its regime of truth, its ‘general politics’ of truth; that is, the types of discourse which it accepts and makes function as true, the mechanism and instances which enable one to distinguish true and false statements, the means by which each is sanctioned … the status of those who are charged with saying what counts as true.” (Foucault nach Edles/Desfor 2002: 211).

Ziel ist es nun jedoch nicht, die Foucault’sche Diskursanalyse in all ihrer Genauigkeit und Komplexität theoretisch zu analysieren, sondern vielmehr geht es darum, ein Instrument zu implementieren, welches sich als geeignet erweist, die eingangs erörterten Fragestellungen empirisch aufzuarbeiten. Aus diesem Grund habe ich zusätzlich die Ausführungen von Siegfried Jäger miteinbezogen, der äußerst einfach die Anwendbarkeit der Diskursanalyse veranschaulicht. Insofern gelingt es Jäger, einen Zusammenhang zwischen der Diskursanalyse und dem kollektiven Gedächtnis, welches er „Bewusstsein“ nennt, herzustellen. Ihm zufolge soll sich die Diskursanalyse nicht nur mit der Wirkung auf das einzelne Subjekt beschäftigen, sondern auch immer die kollektiven Resultate berücksichtigen. Da das Bewusstsein gleichermaßen am subjektiven Handeln wie auch an der „kollektive[n] Gestaltung von gesellschaftlicher Wirklichkeit [wirkt], […] versteht sich die Diskurstheorie und Diskursanalyse auch als Beitrag zur (Medien-) Wirkungsforschung“ (Jäger 2009: 170). Vor allem in Bezug auf die beiden Großereignisse Wembley 1966 und Córdoba 1978 wird anhand von ausgewählten Beiträgen in Tageszeitungen zu zeigen sein, dass es sich hierbei um ein „ständige[s] massenhafte[s] Recycling der Symbole“ (Link nach Jäger 2009: 170) handelt, was durchaus in direktes Verhältnis zur kollektiven Erinnerungskultur gesetzt werden kann. Zu diesem Zweck wird eine „historisch-diachrone Diskursanalyse“ nach Jäger durchgeführt, die zeigen soll, inwiefern sich der Diskurs rund um die beiden Sportereignisse immer wieder reproduziert oder auch verändert hat. Jäger fasst eine solche Vorgehensweise wie folgt zusammen: „Es lassen sich in bestimmten zeitlichen Abständen synchrone Schnitte herstellen, die dann miteinander verglichen werden könne, um Änderungen in den diskursiven Verläufen erkennbar und interpretierbar zu machen“ (Jäger 2009: 201). Des Weiteren erklärt er, dass solche „Schnitte“ nicht willkürlich festgelegt werden können, sondern immer in Abhängigkeit zu einem „diskursiven Ereignis“ stehen müssen. Ein solches diskursives Ereignis liegt dann 20 vor, wenn es als „medial groß“ (ebd. 162) eingestuft werden kann. Diese Geschehnisse beeinflussen wiederum in unbestimmtem Maß die sogenannten Diskursstränge, welche sich wiederum aus einer Vielzahl von Diskursfragmenten gleichen Themas zusammensetzen. Ein Diskursfragment kann sich als ein ganzer Text oder auch nur als ein einziger Textteil präsentieren, der ein bestimmtes Thema behandelt. Diskursfragmente, denen ein und dasselbe Thema zu Grunde liegt, bilden – wie bereits erwähnt – die sogenannten Diskursstränge. Ein synchroner Diskursstrang bezieht sich auf einen bestimmten Zeitpunkt, der ebenso in der Gegenwart wie auch in der Vergangenheit anzusiedeln ist. Ein synchroner Schnitt analysiert demnach, was in Hinblick auf die jeweiligen zeitlichen Fixpunkte „‘gesagt‘ wurde beziehungsweise sagbar ist beziehungsweise war“ (ebd. 160). Die diachrone Dimension eines Diskursstranges ist hingegen historisch determiniert und zeigt so „[t]hematisch einheitliche Wissensflüsse durch die Zeit“ (ebd. 160). Da ein Text jedoch mehrere Diskursfragmente enthalten kann, entstehen dadurch auch ineinander verwobene Beziehungen der einzelnen Diskursstränge. Die daraus resultierenden Diskurs(strang)verschränkungen, wie es Jäger nennt, müssen jedoch immer in ihrem diskursiven Kontext betrachtet werden und dürfen nicht isoliert von historischen, gesellschaftlichen oder auch politischen Gegebenheiten analysiert werden.3 So ist es auch nur verständlich, dass diskursive Ereignisse unter Berücksichtigung nationaler Interessen auch unterschiedlich interpretiert werden. In einem Artikel der britischen Tageszeitung „The Independent“, welcher kurz nach dem Viertelfinalspiel der WM in Südafrika zwischen England und Deutschland erschienen ist, wurde die Möglichkeit einer national gefärbten Geschichtsschreibung deutlich:

"It is a game which made history, but will not be consigned to the history books yet: this story is going to be told differently in Germany and in England - there is going to be an eternal 'what would have happened if' scenario.” (The Independent, 28.06.2010: o.S.)

Aus diesem Grund wurden für die hier vorgenommene Diskursanalyse englische, österreichische und ebenso deutsche Tageszeitungen miteinbezogen, um einerseits eine allzu einseitige Darstellung der Ereignisse zu vermeiden und andererseits um aufzuzeigen, inwiefern sich die mediale Reproduktion von bestimmten Geschehnissen durch ihre nationalen Zugehörigkeiten voneinander unterscheiden können.

3 Die genaue Darstellung der Ergebnisse und der einzelnen Diskursfragmente-/Stränge erfolgt in Kapitel 6. 21

4. GESCHICHTE DES FUSSBALLSPORTS IN ÖSTERREICH UND ENGLAND

Bevor nun auf die näheren Eigentümlichkeiten des Fußballsportes in England beziehungsweise Österreich eingegangen wird, sollen an dieser Stelle ein paar statistische Daten präsentiert werden, um ein unverfälschtes Bild über die Situation in den beiden Ländern zu erhalten. Zu diesem Zweck wurden Daten aus der ISSP (International Social Survey Programme) – Studie aus dem Jahr 2003 herangezogen und mittels SPSS ausgewertet. Insgesamt wurden so 3166 Fälle erfasst, die sich auf Befragte aus Österreich, Großbritannien, West- und Ostdeutschland bezogen. So konnten die Angaben von 1006 Personen aus Österreich, 873 aus Großbritannien, 437 aus Ostdeutschland und 850 aus Westdeutschland analysiert werden. In einem nächsten Schritt erschien es sinnvoll, die Daten für Deutschland zusammenzufassen und diese geeint zu betrachten, da Deutschland bereits seit 1990 offiziell als wiedervereinigt galt. Somit waren es nun insgesamt 1287 Befragte aus Deutschland, deren Antworten berücksichtigt wurden.4

Tabelle 1: Anzahl der Befragten nach nationaler Herkunft

Nationality Häufigkeit Prozent Gültig 1006 31,8 Great Britain 873 27,6 Germany (West+East) 1287 40,7 Gesamt 3166 100,0

Als nächstes sollte herausgefunden werden, in welchem Ausmaß sich die Befragten zu ihrer Heimat (Nation) zugehörig fühlten. Die Ergebnisse hierfür waren doch äußerst überraschend, da fast 60% der befragten Österreicher angaben, ein großes Näheverhältnis zu ihrem Land zu verspüren, während dies in Großbritannien lediglich 32,2% der Befragten empfanden. 5 Fast jeder fünfte Brite gab auch an, sich in keinster Weise der eigenen Nation gegenüber nahe zu fühlen. In Deutschland waren es insgesamt rund 80%, die doch eine gewisse Nähe zur Nation

4 Zur besseren Nachvollziehbarkeit wird die Syntaxdatei im Anhang aufgelistet. 5 Bedenkt man, dass sich Großbritannien aus den Einzelstaaten England, Schottland, Wales und Nordirland zusammensetzt, ist dieses Ergebnis nicht allzu überraschend. Bei den großen Sportveranstaltungen treten auch die Nationalmannschaften der jeweiligen Bündnisstaaten meist getrennt auf. 22 verspürten. Äußerst interessant ist jedoch, dass 37 Personen (4,2%) aus Großbritannien und 30 (2,3%) aus Deutschland eine Antwort auf diese Frage verweigerten beziehungsweise sich für keine entscheiden konnten, während dieser Prozentsatz hingegen bei den Österreichern mit 0,3% (3 Personen) als äußerst gering einzuschätzen ist. Man könnte daher annehmen, dass ein Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Herkunftsland und einem etwaigen Nationalgefühl besteht. Der auf dieser Vermutung aufbauende Chi-Quadrat-Test konnte dies jedoch nicht bestätigen, weshalb die hier aufgelisteten Werte einfach als solche isoliert betrachtet werden müssen, ohne weiterführende Interpretationen zuzulassen.

Als nächstes erschien es wichtig, herauszufinden, inwiefern die Befragten aus den einzelnen Ländern stolz auf die sportlichen Errungenschaften ihrer Nation waren. Im Vorfeld wurde aufgrund der führenden Stellung der Engländer und Deutschen vor allem im Fußball angenommen, dass die Antworten bei den Befragten dieser beider Nationen positiver ausfallen würden, als jene der Österreicher, die - außer im Wintersport - auf kaum erwähnenswerte sportliche Erfolge verweisen können. Die Ergebnisse waren jedoch durchwegs überraschend. So gaben insgesamt über 80% der betroffenen Österreicher an, stolz auf die sportlichen Leistungen der eigenen Nation zu sein, während bei den eigentlich sportverrückten Briten dieser Wert lediglich eine Größe von etwas über 60% annahm.

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Tabelle 2: Darstellung des Stolzes auf die sportlichen Errungenschaften der jeweiligen Nation

Die Deutschen positionieren sich genau im Mittelfeld der drei Länder und zeigen, dass sie zu einem großen Prozentsatz von 70% durchaus stolz auf die sportlichen Errungenschaften ihrer Landsmänner- und Frauen sind. Ein möglicher Einfluss der nationalen Herkunft auf die Einschätzung der sportlichen Erfolge konnte durch weitere Tests wiederum nicht bestätigt werden. Nachdem nun jedoch bei beiden Auswertungen die befragten Österreicher immer die höchsten Werte aufwiesen und somit über das größte nationale Zugehörigkeitsgefühl wie auch über einen enormen Stolz auf den österreichischen Sport zu verfügen scheinen, stellte sich die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Variablen zu verorten gibt. Auch hier erwies sich der durchgeführte Chi-Quadrat-Test als wenig gewinnbringend, da er aufgrund eines zu geringen Wertes hinsichtlich der erwarteten Häufigkeit nicht zur Interpretation geeignet war. Unter Hinzunahme des geeigneten Korrelationskoeffizienten kommt man jedoch zum Ergebnis, dass es mit ziemlicher Sicherheit einen Zusammenhang zwischen nationalem Zugehörigkeitsgefühl und dem Stolzsein auf etwaige sportliche Leistungen der jeweiligen Länder gibt. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass es eine deutliche Verbindung zwischen der sportlichen und der nationalen Ebene gibt, die sich zwar 24 in Österreich auf den ersten Blick als ausgeprägter präsentiert als in Großbritannien und in Deutschland, grundlegend aber nicht auf nationalen Spezifika basiert, sondern als „basal“ eingestuft werden kann.

Man muss jedoch anmerken, dass diese Werte mit äußerster Vorsicht zu genießen sind, da die ISSP-Umfrage bestimmte nationale Charakteristika außer Acht lässt, die für die Interpretation der Ergebnisse jedoch von enormer Wichtigkeit sind. Wie Fleiß et al 2009 zeigten, orientiert sich das oftmals festgestellte österreichische Überlegenheitsgefühl gegenüber Angehörigen niedrigerer Gruppen an anderen Werten, als dies beispielsweise in Deutschland zu beobachten ist. Der auch in der hier durchgeführten Analyse bestätigte hohe National-Stolz- Wert der Österreicher kann demnach durchaus damit zusammenhängen, „dass man bei der Beantwortung der Fragen als Referenzgruppen primär Länder im Auge hat, die ein geringeres sozioökonomisches Entwicklungsniveau aufweisen“ (Fleiß et al 2009: 416). Der relativ geringe Wert hinsichtlich des Nationalstolzes der Briten könnte sich daher auch damit erklären, dass sich die dortige Kultur eine Tradition des „Understatement“ (ebd. 416) angeeignet hat. In Österreich hingegen gibt es – nach Haller 1996 – eine Tendenz dahingehend, sozial Höhergestellten in Ehrfurcht und Unterwürfigkeit zu begegnen und Personen von niedrigerem Rang mit Überheblichkeit und Blasiertheit zu bestrafen. Die grundsätzlich eher hohen Werte der Österreicher hinsichtlich ihres Nationalstolzes sind dennoch insbesondere ob der doch eher schmachvollen Vergangenheit äußerst erstaunlich. Der doch niedrigere Nationalstolz der Deutschen ließe sich durch einen historischen Rekurs durch den Zivilisationsbruch und die Grausamkeiten der Nazis erklären oder auch durch die – teilweise von Außen aufgezwungene – Beschämung über die erneute Kriegsniederlage in einem Weltkrieg. Solche Schamgefühle, die sich direkt auf den gefühlten Nationalstolz auswirken können, erscheinen den österreichischen Befragten eher befremdlich. Die vielfach erwähnte Legende von der auferzwungenen Fremdherrschaft der Nazis über Österreich und der 1945 wieder gewonnenen Freiheit kann hierfür eine Erklärungsbasis bieten. Fleiß et al resümieren daher zu Recht, dass nicht vorwiegend die Größe, politische oder auch wirtschaftliche Bedeutung eines Landes einen Einfluss auf den jeweiligen Nationalstolz ausüben, sondern dass vielmehr die historischen Bedingtheiten, welche sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt haben, wichtige Wirkungsfaktoren sein können. (Vgl. Fleiß et al 2009: 409-434.)

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4.1. „Österreich spielt philharmonischen Fußball – Tore schießen ist uns zu direkt“

Matthias Marschik und andere Autoren zeigten im Sammelwerk „Sport Studies“ (2009), dass die Entwicklung des Sports und insbesondere des Fußballs in Österreich bis jetzt relativ unzureichend untersucht und wissenschaftlich aufgearbeitet wurde. Während es unzählige Belege von der aktiven Freizeitgestaltung der Engländer gibt, die davon zeugen, dass bereits vor Jahrhunderten Menschen im insularen Großbritannien Vorläuferspiele des modernen Fußballs betrieben, gibt es solche Artefakte aus der Habsburgermonarchie kaum. Sport an sich wurde in Österreich erst ca. ab dem 19. Jahrhundert ernsthaft durchgeführt, beeinflusst durch die deutsche Turnbewegung rund um Friedrich Ludwig Jahn. Grundsätzlich waren die meisten Sportarten in Österreich jedoch noch einer durch und durch englischen Tradition geschuldet. Die meisten clubs waren nach englischem Vorbild aufgebaut, und auch ihre Mitglieder rekrutierten sich hauptsächlich aus englischstämmigen Gesellschaften. Die meisten dieser Mitglieder waren jedoch nicht nur Engländer, sondern entstammten auch der Oberschicht, weshalb der Sport lange den niedrigeren Schichten beziehungsweise der Arbeiterklasse als solcher vorbehalten blieb. Am Anfang erfreuten sich der Pferdesport und das Rudern einer großen Beliebtheit, und niemand ahnte, dass nur wenige Jahrzehnte danach der Fußball als Arbeitersport diese als populärste Freizeitsportart ablösen würde und zu einem massenkulturellen Phänomen avancieren könnte. Die Begeisterung für Sport wurde in der Donaumonarchie und vor allem im Gebiet des heutigen Österreichs erst durch die mediale Inszenierung von Sportveranstaltungen endgültig entfacht. Die Gründung der ASZ (Allgemeinen Sportzeitung) durch Viktor Silberer im Jahr 1880 bedeutete einen tiefen Einschnitt in die österreichische Sportgeschichte. Die ASZ erreichte nicht nur Leser in Österreich und den Kronländern, sondern auch in Deutschland, Frankreich und Belgien. Ein Blick auf einige Ausgaben der Allgemeinen Sportzeitung aus den Vorkriegsjahren lässt jedoch vermuten, dass sich auch die ASZ eher an einer aus adeligen beziehungsweise gutbürgerlichen Kreisen stammenden Klientel orientierte. So wurden immer wieder Hotels beworben, die von sich selbst behaupteten, das „Moderne Haus für die vornehme Welt“ (ASZ, 02.07.1905) zu sein oder über eine „exquisite Küche“ (ASZ, 04.07.1905) zu verfügen. Auch diverse Kleinanzeigen in der ASZ aus dem Jahr 1910, die den Verkauf von Villen und Palais‘ anpriesen, lassen vermuten, dass der Sport in der Habsburgermonarchie ursprünglich nur dem Adel und dem Großbürgertum zugänglich war. Jedoch lassen diese Werbeeinschaltungen und Anzeigen, die sich hauptsächlich an den höheren Schichten Wiens orientierten, erkennen, dass 26 der Sport in Österreich anfangs ein ganz und gar zentralistisches Phänomen war, dessen Mittelpunkt in Wien anzusiedeln ist. (Vgl. Müllner 2009: 43-46.)

Wie der Name schon sagt, gründete sich der „First Football Club“ bereits in Wien, bestand großteils jedoch nur aus Mittelschichtsangehörigen mit englischen Wurzeln. Aristokratie wie auch Arbeitertum zeigten anfangs kein Interesse, sich an dieser Freizeitaktivität zu betätigen. Nachdem sich der Fußball jedoch immer mehr zum Zuschauersport etablieren konnte, erlebte er während der Zwischenkriegszeit eine wahre Hochkonjunktur. (Vgl. Horak/Marschik 1997.) Der Erste Weltkrieg brachte nicht nur wirtschaftliche und politische Veränderungen mit sich, sondern erforderte auch eine Umorientierung des Fußballs. Die Revolution der Arbeiterschaft der Jahre 1918/20 führte dazu, dass das Proletariat sich auch immer mehr im Fußball durchzusetzen vermochte. Durch die neu entdeckte Lust am Zuschauen und die besondere Atmosphäre Wiens, die Melancholie und Lebensfreude zugleich versprühte, entstand somit auch eine Zweiteilung der Wiener und somit auch der österreichischen Fußballwelt. Einerseits konnten sich Vorstadtvereine wie Rapid Wien etablieren, die sich hauptsächlich aus Angehörigen des Proletariats zusammensetzten. Auf der anderen Seite gab es die weniger „harten“ Mannschaften, die sich gleichsam als Fußball- wie auch als Gesellschaftsklubs verstanden. Zu diesen Vereinen, deren bürgerliche Ordnung im krassen Widerspruch zur proletarischen Verrohung der Vorstadtmannschaften stand, gehörte beispielsweise die Austria Wien. Die Kaffeehäuser der Stadt wurden Horak/Maderthaner zufolge quasi zum Treffpunkt der bürgerlichen „Fußballgesellschaft“ ernannt und recht schnell entwickelte sich eine Ablehnung gegenüber dem unzivilisierten, proletarischen Fußballvolk aus der Vorstadt. Die Vorstadtvereine bestachen insbesondere durch einen schier ungebrochenen Kampfgeist und eine erstaunliche Zähigkeit. Spiele von Rapid blieben meist durch die besondere Dramaturgie und Spannung in Erinnerung wie auch durch den immer wieder erwähnten „Rapid-Geist“, der die letzten Kräfte mobilisieren konnte, um so die berühmte „Rapid-Viertelstunde“ einzuleiten. Während die Kaffeehäuser Wiens die Basis für die bürgerlich-gefärbten Vereine bildeten, zeigten die Vorstadtmannschaften eine enorme Verwurzelung mit lokalen Bindungen. (Vgl. Horak/Maderthaner 1997.) Das berühmt-berüchtigte „Wunderteam“ Österreichs der dreißiger Jahre bestand somit größtenteils nur aus einer Mischung zwischen den Vereinen der Wiener Vorstadt und den sportlichen Vertretern jener Kaffeehauskultur. Das österreichische Fußballnationalteam stellte daher ein rein urbanes Produkt der Stadt Wien dar. Trotzdem konnte sich durch den Sport ein wenig gesamtösterreichisches Nationalbewusstsein

27 entwickeln, das angesichts der auferzwungenen und als beschämend empfundenen Kleinstaatlichkeit nahezu ein Wunder darstellte. Dieses Zugehörigkeitsgefühl zur österreichischen Nation wurde insbesondere dann gespürt und gelebt, wenn es galt, ein Spiel gegen die Auswahl der ungarischen Fußballnationalmannschaft zu bestreiten. Die Jahre der nationalen Begeisterung, für die sich das „Wunderteam“ verantwortlich zeichnete, begannen auch im denkwürdigen Spiel gegen die Fußballmacht England 1932, das nur knapp verloren wurde. Trotz alledem ist nach Maderthaner nicht davon auszugehen, dass es in dieser Zeit ein Österreichbewusstsein, wie es heute weithin verbreitet zu sein scheint, gegeben hat. Lediglich der Sieg der österreichischen Mannschaft gegen jene aus dem Hitlerdeutschland kurz vor dem Anschluss am 03.04.1938 wirkte zeitweilig als identitätsstiftendes Element. Nach der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich existierte nur mehr eine gemeinsame Nationalmannschaft, die jedoch wenig erfolgreich agierte. Nach dem Weltkrieg wurde trotz der Einführung einer gesamtösterreichischen Liga an der Wiener Tradition festgehalten, weshalb die berühmtesten Spieler wie Happel oder Hanappi allesamt aus der Hauptstadt stammten. Auch der umjubelte österreichische dritte Platz bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 war, um genau zu sein, ein Triumph der Söhne Wiens. Im Zuge des Wiederaufbaus und einer mehr und mehr fordistischen Produktionsweise nahm die Vormachtstellung Wiens in Österreich jedoch ab „mit entsprechenden Auswirkungen auf traditionelle, männlich- proletarisch dominierte Bereiche der popularen Kultur“ (Maderthaner 1995: 129). Die Dominanz Wiens im österreichischen Fußball sank in Folge der 60er Jahre stetig, und lediglich Rapid und die Austria konnten bestehen. Ein Prozess der „Austrifizierung“ (ebd. 129) im Fußball setzte ein und führte schließlich dazu, dass sich Großclubs in anderen Bundesländern entwickeln konnten. Der Graben zwischen den Wienervereinen und jenen eher peripheren Clubs wurde immer größer und sehr bald war eine deutliche Anti-Wien-Tendenz zu verspüren. Der Erfolg über die deutsche Fußballnationalmannschaft, das Wunder von Córdoba, bot dieser Entwicklung jedoch ein wenig Einhalt und sorgte dafür, dass sich Hans Krankl als Held einer ganzen Nation feiern lassen durfte. Zu einer Zeit als sich Kreisky bemühte, eine eigenständige und unabhängige Staats- beziehungsweise Außenpolitik voranzutreiben, war Córdoba als positiver Einflussfaktor im Prozess des österreichischen „nation building“ äußerst wertvoll. (Vgl. Maderthaner 1995: 125-130.)

Dennoch konnte auch Córdoba nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass sich Fußball- Österreich immer mehr ins internationale Abseits spielte. Bereits 1978 erschien von Hans Weigel „Das Land der Deutschen mit der Seele suchend“, indem er davon berichtete, wie sehr

28 sich der österreichische Fußball vom deutschen unterschied. Während sich die Deutschen bemühen würden, Tore zu schießen und zu gewinnen, würde sich Österreich lieber damit zufrieden geben, „schön“ zu spielen im Sinne eines typisch österreichischen, philharmonischen Fußballs. Tore zu schießen gehöre nach Weigel ebenfalls nicht zu den bevorzugten Strategien der Österreicher, das sei dann doch zu „direkt“. (Vgl. FAZ, 21.06.1978.)

Zu einem ähnlichen Resümee gelangte auch der deutsche Redakteur Oskar Schmidt, der am 20.06.1978 vom Spiel Österreichs gegen Italien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtetet. Unter der Überschrift „Österreichische Gemütlichkeit hilft Italien zum ungemütlichen Tor“ versuchte Schmidt, auf die Unterschiede im Fußball zwischen den einzelnen Nationen hinzuweisen. Ausgangspunkt hierfür war ein Tor zugunsten der Italiener, welches nach Meinung Schmidts nur aufgrund des typisch österreichischen Charakters passieren konnte. Anstatt um den Ball zu kämpfen und so vielleicht das Tor zu verhindern, wartete der österreichische Spieler lieber darauf, dass sich alles von selbst regeln würde. Nachdem Schmidt darüber sinnierte, wie sich wohl ein Deutscher oder Argentinier in der gleichen Situation verhalten hätte, kannte sein Zynismus jedoch keinen Halt mehr:

„Was aber machte ein Österreicher? Er ist zu vornehm, den Ball einfach ins Aus zu schieben, oder ihn vor unliebsamen Zugriffen abzudecken – und zu ängstlich ihn mutig anzufassen, sondern wartet darauf, dass der Ball von selbst aus der Gefahrenzone rollt – und muss mit ansehen wie ein italienischer Jüngling dies nicht verstehen will, respektlos mit einem Fuß dazwischen spitzelt und den Ball am verdutzten Torwart vorbei ins Tor lenkt. Damit konnte der gute Friedel Koncilia, der dem italienischen Torhüter-Denkmal darin nacheifert, die Raffinessen der gegnerischen Stürmer auswendig zu lernen nun wirklich nicht rechnen. Dann müsste er ja auch noch Buch über die sündhaften Raffinessen seiner Landsleute führen.“ (FAZ, 20.06.1978)

Natürlich sparte Schmidt in diesem Artikel, der noch vor dem historischen Spiel in Córdoba erschien, nicht mit Hohn und Spott für die österreichische Mannschaft und die österreichischen Mentalität. Die immer wieder angesprochene österreichische Gemütlichkeit, die meist jedoch ebenso als liebenswürdig bezeichnet wird wie der Wiener Charme, ist es jedoch, die dem heimischen Fußball im Wege zu stehen scheint. Ob dieser Beitrag Oskar Schmidts nicht ein wenig zu sehr durch bloßen Sarkasmus als durch objektive Fakten besticht, sei dahin gestellt. Tatsache ist jedoch, dass – und dies sei hier vorweggenommen – auch die Zeitungsberichte der Folgejahre immer wieder scharfe Kritik an der Unfähigkeit der österreichischen Nationalmannschaft, Tore zu schießen, beinhalten. So sehr man sich auch für die österreichische Defensive voll des Lobes zeigt, so ist man dennoch voll des Tadels für die 29 laufschwachen, um den Ball herumtänzelnden Offensivkräfte.

4.2. „Wer hoch steigt, kann tief fallen“ – Fußball in England

England gilt weithin als Mutterland des Teamsports und insbesondere des Fußballs. Man könnte daher auch annehmen, die Engländer beziehungsweise die Briten wären das fußballverrückteste Volk überhaupt. Dies könnte sich jedoch durchaus als Irrglauben entpuppen, wenn man einen kurzen Blick auf einige Statistiken wirft. Der Prozentanteil von Personen, die selbst Fußball spielen, hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerungsanzahl des jeweiligen Landes ergibt, dass es in Costa Rica mit 27% die größte Dichte an Fußballspielern gibt. Deutschland liegt mit knapp 20% auf Platz zwei und sogar die mit Siegen nicht unbedingt verwöhnten Österreicher finden sich mit 12% noch unter den Top 20 ein. Großbritannien hingegen scheint in dieser Statistik nicht auf. (Vgl. Kuper/Szymanski 2009: 322). Denkt man jedoch an überfüllte Stadien und eine Horde wildgewordener Fußballfans, werden schnell Assoziationen zur englischen Situation wach. Die durchschnittliche Besucheranzahl der englischen Premier League Spiele in der Saison 2007/08 lag dennoch unter jener der deutschen . Weltmeisterlich hingegen zeigen sich die Engländer durch die Anzahl der Zuseher bei den jeweiligen Spielen unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesamtbevölkerungsanzahl.

Tabelle 3: Total spectator average as percentage of population6

Total spectator average as percentage of Country population England 2.9 Spain 1.9 Germany 1.5 Italy 1.2 France 0.9

Diese Tabelle bezieht sich nun grundlegend auf die großen Fußballnationen Europas, weshalb auch die Zahlen die Realität etwas verfälschen dürften und vorsichtig interpretiert werden müssen, da Länder wie Zypern oder Schottland, die einen höheren Prozentwert als England aufweisen, in diese Darstellung nicht miteinbezogen wurden. (Vgl. ebd. 325ff.) Bei einer

6 Diese Tabelle wurde entnommen aus: Kuper, Szymanski 2009: 330f. 30

Umfrage des International Social Survey Programmes (ISSP) im Jahr 2003 gaben auch nur rund 18% der Briten an, auf die sportlichen Erfolge ihres Landes sehr stolz zu sein, während es hingegen bei den Befragten in Österreich fast 50% waren (vgl. ISSP 2003: 57). Obwohl es sich bei diesen Daten rein um statistische (Durchschnitts-)Werte handelt, wird doch deutlich, dass die angenommene Vormachtstellung Englands als Fußballnation Nr. 1 keineswegs untermauert noch rational begründet werden kann. Der Grund für diesen unbeirrbaren Glauben liegt daher in der Vergangenheit begraben, als die Wiege des Fußballsports noch in den insularen Grenzen Englands stand.

4.2.2. Eine figurationssoziologische Erklärung zur Entwicklung des Fußballs

Nach Norbert Elias ist der historische Ausgangspunkt des Fußballspiels im England des 14. Jahrhunderts zu verorten, als Spiele praktiziert wurden, die bereits fußballähnliche Strukturen aufwiesen. Diese „Fußballspiele“ sind jedoch in keinster Weise mit der heutigen dementsprechenden Sportart zu vergleichen, sondern deuten lediglich darauf hin, dass es bereits vor Jahrhunderten einen Drang zur aktiven Freizeitgestaltung gab, der aber noch keinem strikten Normen- beziehungsweise Regelkatalog unterworfen war, geschweige denn über irgendeine Art regelmäßiger Struktur verfügte. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein war Fußball ein überaus wilder Sport, der sich erst mit der Gründung der Association Football/Soccer in London im Jahr 1863 von der etwas gewalttätigeren Form des Rugby emanzipieren konnte. Prinzipiell kann bei Elias davon ausgegangen werden, dass die meisten Sportarten, wie wir sie heute kennen, – insbesondere Teamsportarten – ihren Ausgangspunkt in England hatten. Elias zufolge durchlief ein Großteil der europäischen Gesellschaften ausgehend vom 15. Jahrhundert einen Transformationsprozess, der sich in einer Zunahme von Verhaltensregeln und einer Verfeinerung der Sitten präsentierte. In diesem Zusammenhang verweist Elias auf die Entwicklung der Fuchsjagd, die sich über die Jahrhunderte hinweg kontinuierlich und analog zu den jeweiligen gesellschaftlichen Prozessen vollzogen hat. Vor allem im Mittelalter galt es noch als selbstverständlich, einen Fuchs zu jagen, ihn zu töten, und wenn es die Gegebenheiten so wollten, auch jedes andere Tier, das sich im Jagdbereich aufhielt, zu erlegen. Mit der Zeit wandelte sich diese Angriffslust, die sich auf die Tat an sich bezog, hin zu einem Vergnügen, das sich rein am Zusehen ermessen lassen konnte. So war es im 18. Jahrhundert üblich, einen Hund so zu trainieren, dass er einen Fuchs erlegen konnte. Das Töten anderer Tiere war ihm jedoch verboten. Auch die spontane Affektentladung des Menschen wurde zunehmend gehemmt, und ein neues Gleichgewicht an Kontrolle und Vergnügen hatte sich eingependelt. Elias zufolge war dies Ergebnis eines

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Zivilisierungsschubes, der auch eine Sensibilisierung gegenüber der Gewalt und eine zunehmende Gewissensbildung mit sich brachte. Das beinahe schon barbarisch anmutende Töten von Tieren, wie es im Mittelalter oder in früheren Zeiten der Fall gewesen war, wurde nun abgelehnt und durch die Freude am Zusehen und an der Jagd selbst abgelöst. Elias vermutet, dass man anhand dieser Veränderung der Verhaltensstandards in der Fuchsjagd auch auf gesamtgesellschaftliche Prozesse beziehungsweise Umwälzungen schließen könne. Im 18. Jahrhundert verortet Elias eine innere Pazifizierung beziehungsweise Parlamentarisierung in England, die mit einem Konsens der herrschenden Klassen einherging, der sich auf die Einhaltung bestimmter Regeln bezog. Aufgrund solcher gesellschaftlicher Veränderungen wurde das Leben immer mehr durch ordnungserhaltende Regelmäßigkeiten und ein größeres Maß an Selbstkontrolle bestimmt. Dies hatte ebenfalls zur Folge, dass sich das Leben an sich langweiliger und eintöniger präsentierte, als es noch Jahrhunderte zuvor der Fall gewesen war. Es stellte sich daher die Frage, wie die Menschen trotz der neuen Normen und dem bereits internalisierten Selbstzwang zur Gewaltlosigkeit wieder angenehme Erregungen verspüren konnten, wie es sie durch die ungehemmteren Triebäußerungen im Mittelalter gegeben hatte. Als Antwort auf diese Frage setzt Elias die Entwicklung von modernen Arten des Zeitvertreibs, die wir heute gemeinhin als „Sport“ bezeichnen, an. (vgl. Elias 2003: 273 – 315.)

Die Rahmenbedingungen für den Fußball stellten sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ähnlicher Weise dar, indem sie einem strengeren Regelwerk unterzogen wurden und somit zu mehr „Fairness“ verpflichtet. (vgl. Elias 1986: 96 – 103.) 1888 wurde im englischen Fußball schließlich die Football League gegründet, die logischerweise unter starkem britischem Einfluss stand. So entstand 1904 aus der Idee heraus, der englischen Vormachtstellung im Fußball Einhalt zu gebieten, die FIFA (The Fédération Internationale de Football Association), deren Aufgabe es war, Regeln aufzustellen und Länderspiele zu organisieren. Die besondere Stellung der Europäer in der Entwicklung des Fußballs wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass erst 1974 zum ersten Mal ein Nichteuropäer (Dr. Joao Havelange) die Rolle des FIFA-Präsidenten übernahm. (vgl. Lowrey/ Williams 2002: 4–6.)

Für Eric Dunning und Norbert Elias stellt der Sport im Allgemeinen einen wichtigen Beitrag zur Analyse von Gruppendynamiken dar. Die beiden argumentieren, dass der Begriff „Fußballspiel“ oft als etwas betrachtet wird, das außerhalb der Gruppe der Spieler steht. Elias und Dunning verweisen jedoch darauf, dass jedes Spiel einer speziellen Gruppenkonstellation 32 entspricht, und es sich somit auch um eine Figuration zwischen den Spielern handelt, die sich jedoch während des Spiels durchaus ändern kann. Die Dynamik solcher Gruppen sitzt vor einer ambivalenten Ausgangssituation, ist einerseits von Regeln bestimmt und bleibt andererseits durchaus variabel, „[…] da sonst ein Spiel genau dem anderen gleichen würde“ (Elias/Dunning 1982: 106). Das Gleichgewicht zwischen Fixiertheit und Elastizität begründet demnach auch die Dynamik des Spiels.

Die einzelnen Individuen befinden sich von Beginn des Spieles an in einer bestimmten Beziehung zueinander, die sich allerdings während des Spieles ändern kann. Dies entspricht dem Prinzip der Figuration, die die Natur des Spieles an sich bestimmt. So sind auch die Figurationen von zwei gegnerischen Fußballmannschaften innerhalb eines Spieles nicht voneinander trennbar, da sie sich in einem reaktiven „Prozess“ befinden, der durch eine gegenseitige Abhängigkeit entsteht. Die Gruppendynamik, die sich durch einen starren Regelkatalog und eine gleichzeitige Variabilität auszeichnet, ist Teil jeder Figuration und wird durch die Spannungen zwischen mindestens zwei Subgruppen kontrolliert. Solche Spannungen wohnen nach Elias und Dunning auch zwischenstaatlichen Prozessen inne, die jedoch weder über eine funktionierende Spannungsbalance verfügen noch über einen dementsprechenden Kontrollapparat. Daher stellt auch die Untersuchung von Sportspielen einen geeigneten Ausgangspunkt dar, um Spannungen und Konflikte in einem Kleinmodell zu analysieren. Die beiden Autoren sprechen sich auch immer wieder an verschiedenen Stellen dafür aus, Gegensätzlichkeiten zueinander in Beziehung zu setzen, anstatt diese isoliert zu betrachten. Dunning erwähnte diesbezüglich auch, dass Integrationsforschung nur dann aussagekräftig sein könne, wann man im gleichen Atemzug auch Konfliktforschung betreibe. Ähnlich beschreiben die beiden die „Beschaffenheit“ einer Gruppendynamik, die nicht nur Spannung sondern auch Kooperation voraussetzt. Um diesen Aspekt nachvollziehen zu können, ist es daher nicht unerheblich, sich mit der langfristigen Dynamik des Fußballs auseinanderzusetzen, die sich durch die zunehmende Kontrolle von Spannungen charakterisiert und somit zeigt, wie gesellschaftliche Organisiertheit und individuelle Selbstbeherrschung zur gewaltlosen Form der Lösung von Gruppenspannungen führen. Daraus lässt sich nach Elias und Dunning schlussfolgern, dass „[i]m Fußball Kooperation Spannung und Spannung Kooperation [voraussetzt].“ (ebd. 112). Dieses zunehmend zivilisierte Verhalten, das sich auf einem äußerst geringen Niveau physischer Gewaltentladung bewegte, brachte nun (zu Beginn des 20. Jahrhunderts) das Problem mit sich, die Gruppenspannung und deren Dynamik als solche aufrecht zu erhalten. So wurde

33 beispielsweise im Jahr 1925 die Abseitsregel geändert, da sich diese als zu einschränkend präsentierte und somit den Spielfluss enorm störte, was dazu führte, dass das Spiel als zu langweilig wahrgenommen wurde.

Es gilt also, das Gleichgewicht innerhalb der Spannung zu halten, was in direkter Abhängigkeit zu den beteiligten Gruppen steht. In den jeweiligen Spielprozessen spielt daher die sogenannte „Spannungsbalance“ eine wichtige Rolle, um das richtige Niveau aufrechtzuerhalten, das sich weder durch zu hohe Langeweile noch zu große Unordnung kennzeichnet. Die Änderung der oben erwähnten Abseitsregel hatte demnach den einfachen Grund, dass sich die Figuration der Spieler, die durch strikte Regeln bestimmt war, für die Aufrechterhaltung der Spannungsbalance als unzureichend herausgestellt hatte. Durch die Einführung einer neuen, gelockerten Abseitsregel sollte eine flüssigere Figuration der Spieler entstehen, um wieder ein attraktives Gleichgewicht herzustellen. In diesem Zusammenhang verweisen Elias und Dunning auf das Gleichgewicht zwischen Angriff und Verteidigung, das sich durch explizite Regelhaftigkeit (wie auch bei der Abseitsregel vor 1925) zugunsten einer dieser beiden Polaritäten verschieben kann. Prinzipiell gehen Dunning und Elias davon aus, dass solche sich gegenseitig bedingenden Größen - wie sie es nennen, „Polaritäten“ - die Spannungsbalance weitgehend beeinflussen können.7

4.2.3. Exkurs: Zur Hooligandebatte in England

Bereits 1982 bekrittelte Eric Dunning in „Sport im Zivilisationsprozess“, das er gemeinsam mit Norbert Elias veröffentlichte, die allgemeine Tendenz, Zuschauerausschreitungen als ein Novum der 1960er Jahre zu betrachten. Wie Dunning illustriert, gab es bereits im 14. Jahrhundert eine öffentliche Proklamation gegen einen Vorläufer des Fußballs, da sich dieses Spiel als zu wild präsentierte. Als 1863 der erste Fußballverband in England gegründet wurde, handelte es sich hierbei noch um eine Spielart, die besonders von den oberen und mittleren Klassen betrieben wurde. Es dauerte jedoch nicht lange, und die Attraktivität des Fußballsportes zog auch die unteren Schichten beziehungsweise die Arbeiterklasse an. Die Jahrzehnte danach dürften sich – Dunning zufolge - kaum so gewaltlos dargestellt haben wie allgemein angenommen, da bis ins frühe zwanzigste Jahrhundert hinein das Fehlen einer Kontrollinstanz für Ausschreitungen zu bemängeln war. Gängige Theorien, die vermuten, dass die enorme Expansion von Hooligans aufgrund der zunehmenden Professionalisierung

7 In diesem Sinne gibt es beispielsweise nicht nur Polaritäten zwischen Angriff und Verteidigung, sondern auch „die Polarität zwischen Kooperation und Spannung zwischen den beiden Mannschaften; die Polarität zwischen Kooperation und Konkurrenzspannung innerhalb jeder Mannschaft; die Polarität zwischen den externen Kontrollen der Spieler […]“. (ebd. 119). 34 der Spieler und der Internationalisierung des Spiels um die Mitte des 20. Jahrhunderts verortet werden kann, entsprechen einer äußerst kurzfristigen Betrachtungsweise. Nach Dunning ist es auch nicht unerheblich, dass zu dieser Zeit Jugendliche zum ersten Mal durch moderne Verkehrsmittel an Auswärtsspielen ihrer Mannschaften teilnehmen konnten. Des Weiteren haben sich die Fans hauptsächlich aus sich selbst beziehungsweise aus ihrem näheren Umfeld heraus rekrutiert, und so entstand eine Art lokale Bindung, die als „Solidarität“ bezeichnet werden kann. Der segmentäre Charakter solcher Gruppierungen führt dazu, dass sie sich selbst als „in-group“ wahrnehmen und andere Gesellschaftsschichten als Außenseiter definieren. (vgl. Elias/Dunning 1982: 123 – 132.) Diese Entwicklungen sieht Dunning jedoch in engem Zusammenhang zum Zivilisationsprozess, der sich - ähnlich wie beim Fußball - gesellschaftlich von oben nach unten bewegt hat. In „Violence and the British Civilizing Process“ verweisen Dunning, Murphy und Waddington auf den Zusammenhang zwischen Gewaltbereitschaft und fortschreitender Zivilisierung. Gemäß Norbert Elias wird argumentiert, dass vor allem in Großbritannien aufgrund zunehmender Zivilisierung der Grad an Sensibilisierung gegen physische Gewalt zugenommen hat. Herrschaftsgesellschaften und andere elitäre Gruppierungen befanden sich nach Elias an einem „Knotenpunkt“:

„According to Elias, powerful elites standing at what one might call the ‘nodal points’ of increasing complex interdependency chains – first of all, court aristocracies, and later the bourgeois owner-controllers of large trading and manufacturing establishments - have so far been the principal standard-setting groups in the civilizing process of Europe.“ (Dunning et al., 2008: 27)

Mitglieder der Elite waren daher durch direkten Druck ihrer eigenen sozialen Schicht und ihres Status gezwungen, sich dem höheren Niveau an Selbstkontrolle anzupassen. Zudem verspürten sie auch das Bedürfnis, sich durch zivilisierteres Verhalten von den nächst niedrigeren Schichten abzuheben, mitunter auch zum Zweck iher Erhaltung. Menschen aus der Arbeiterklasse jedoch spürten diesen Druck von „unten“ nicht, und so wurde physische Aggression nicht komplett aus ihrem Leben verbannt. Prinzipiell ist es nicht unwesentlich, sich die besondere Lage der niedrigeren Klassen zu vergegenwärtigen. Von jeglicher Machtposition ausgeschlossen, stellten physische Fähigkeiten bei den männlichen Mitgliedern der Arbeiterklasse die einzige Möglichkeit dar, selbst Macht auszuüben. Das höhere Aggressionspotenzial innerhalb der Beziehungen der niedrigeren Klasse förderte die Aufrechterhaltung einer Toleranzgrenze von Gewalt, die um einiges höher angelegt war als jene in den anderen sozialen Gruppen. Durch die strenge Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau und die primäre Dominanz der Männer gelang es den Frauen auch nicht, eine besänftigende Kontrolle auf die männlichen Gemeinschaftsmitglieder auszuüben. Solche 35

Gesellschaften, die einer rigiden Männlichkeitsnorm unterworfen sind, tolerieren in den seltensten Fällen Unterschiede in Klasse, Geschlecht, Rasse und lokalen Ursprüngen. Diese Eigentümlichkeiten erklären dementsprechend auch, warum es innerhalb dieser Gruppierungen ein solch großes Bedürfnis zur Verteidigung von Territorium gibt. Wie bereits oben erwähnt, haben sich die Fußballfans zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus sich selbst heraus rekrutiert und so die Entstehung einer Art „mechanischer Solidarität“ begünstigt. Einen wesentlichen Faktor stellt auch die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse dar, die hier als Indikator für den Einfluss der sozialen Schicht auf die gewalttätigere Ausrichtung der Fangruppierungen bezeichnet werden kann. Ausgehend von diesen Annahmen identifiziert Dunning die Herausbildung spezieller hierarchischer Ordnungen innerhalb einer Gruppierung von Männern aus der Arbeiterklasse, die sich darauf beschränkten, dem Stärksten die „Befehlsgewalt“ – […] and the best fighters rule the roost“ (ebd. 28) zu übertragen. In diesem Sinne argumentieren die Autoren, dass von der Mitte der 50-er Jahre ausgehend, die Annahmen getroffen wurden, Fußballhooliganismus sei ein Produkt spezieller sozialer Probleme. Es wird jedoch explizit darauf verwiesen, dass die komplexen Beziehungen, die sich durch den Zivilisationsprozess eingestellt haben, nicht außer Acht gelassen werden dürfen.8 Vielmehr trat der Hooliganismus in einer Zeit in Erscheinung, in der es große Ängste gab, die darauf beruhten, dass mit dem Thema Gewalt grundsätzlich sensibler umgegangen wurde als in früheren Zeiten. (vgl. ebd. 5 – 33.)

„It seems us, therefore, that the emergence of football hooliganism as a social problem in the late 1950s has to be explained primarily not in the terms of any significant increase in actual levels of soccer hooliganism, but rather in terms of people’s changing perceptions of and sensitivities toward violence. […] However, growing sensitivity towards perceptual magnification of football hooliganism – processes which, we argue have their roots in the civilizing process […].” (ebd. 31)

Dementsprechend kann man Gemeinschaften, die sich durch eine Neigung zum Hooliganismus kennzeichnen, durch folgende Charakteristika beschreiben. Zum Ersten gibt es ein Gefühl der Gruppenzugehörigkeit, das sich auch in einer intensiven Abneigung gegen andere Gruppen manifestiert. Hooligans sind größtenteils – aber nicht ausschließlich - Personen, die aus eher ärmlichen Verhältnissen stammen und entweder keine Arbeit haben oder eine einfachere Tätigkeit verrichten. Innerhalb solcher Gemeinschaften gibt es eine starke Rollentrennung zwischen Mann und Frau. Kinder aus diesen Milieus formieren

8 Dunning macht immer wieder darauf aufmerksam, dass die Abnahme der Gewaltbereitschaft und die Zunahme individueller Selbstkontrolle innerhalb des Zivilisationsprozesses keineswegs in Diskrepanz zum Anstieg an Fußballgewalt stehen. Nach Elias darf man die Zivilisierung niemals getrennt von Elementen der Dezivilisierung betrachten, da beide jeweils in Beziehung zueinander stehen. (vgl. Dunning et al. 2008: 28). 36 sich nicht selten zu Jugendbanden, die Schlägereien gegenüber offen sind und durchaus eine Bereitschaft zum Hooliganismus zeigen.

4.3. „… und am Ende gewinnen immer die Deutschen“ – das historisch geprägte Verhältnis zu Deutschland

In einem Bildband zur Fußball-WM 1978 in Argentinien wurde das Spiel Deutschland- Österreich als ein Paukenschlag zur Befreiung vom „Zwergenkomplex“ (Hattenberger 1978: 192) der Österreicher bezeichnet. Der Herausgeber dieses Buches, Roland Hattenberger, war selbst Spieler der österreichischen Nationalelf und hatte, wie man aus den einzelnen Zeilen gut lesen kann, den Druck, dem „großen Bruder“ endlich eins auszuwischen wohl auch deutlich gespürt. Damit erklärt sich jedoch nicht dieses scheinbare „Grundbedürfnis“ vieler Österreicher, sich von den Deutschen abzugrenzen und ihnen vor allem auf sportlicher Ebene Einhalt zu gebieten.

Dieses äußerst schwierige Verhältnis der Mittelmächte des 1. Weltkriegs lässt sich nicht mit wenigen Worten erklären. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich sind historisch geprägt, und möchte man dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl Glauben schenken, lassen sich die Ursprünge dieser Feindschaft (im Fußball) in der Schlacht von Königgrätz 1866 finden (vgl. Häupl 1998: 10).9 Hans Krankl sprach überhaupt davon, dass er zu einem „Rasenmäher“ werden würde, wenn er einen Deutschen sähe. Diese und viele andere Zitate und Aussagen im Zusammenhang mit der Rivalität zum deutschen Nachbarn lassen vermuten, dass es insbesondere in der Zeit rund um die sportlichen Geschehnisse in Córdoba eine Tendenz zur Abgrenzung beziehungsweise Ablehnung von Deutschland gab. Aufgrund welcher Entwicklungen hat sich eine solche Negativhaltung gegenüber dem einstigen „Freund“ jedoch entwickelt? Welche gesellschaftlichen und politischen Änderungen begünstigten diese Transformation der Deutschen zum „Lieblingsgegner“ der Österreicher, und inwiefern existieren solche Feindschaften noch heute?

Um diese Fragen beantworten zu können, ist es unumgänglich, einen längeren historischen

9 Grundsätzlich ist der Vergleich von Michael Häupl etwas unglücklich gewählt. Bedenkt man, dass bei der Schlacht von Königgrätz am 03.07.1866 Preußen gegen die Truppen aus Österreich, Bayern und Sachsen (deutscher Bund) gekämpft haben, lassen sich schwer eindeutige Verbindungen zu aktuelleren Auseinandersetzungen zwischen Österreich und Deutschland nachzeichnen, zumal das ehemalige Kurfürstentum Sachsen ins heutige Deutschland eingegliedert ist und sich auch die Größe ebenso wie die geographische Lage des damaligen Österreich beziehungsweise Preußens nicht mit den „Nachfolgestaaten“ unsriger Zeiten vergleichen lassen. 37

Abriss zu wagen, um die komplexen Verbindungen der österreichischen und deutschen Geschichte ein wenig zu veranschaulichen. Eine historische Aufarbeitung ist von enormer Wichtigkeit, der jeweilige zeitgeschichtliche Bezugsrahmen besitzt eine große Einflussmacht insbesondere auf das kollektive Gedächtnis. Heidemarie Uhl zitierte diesbezüglich Maurice Halbwachs, der sagte, dass es „kein Gedächtnis vermag, die Vergangenheit als solche zu bewahren, sondern nur das bleibt, ‚was die Gesellschaft in jeder Epoche mit ihren gegenwärtigen Bezugsrahmen rekonstruieren kann‘“ (Uhl zit. nach Halbwachs 2004: 69). Da die meisten historischen Ereignisse jedoch nur in Abhängigkeit zur vorherrschenden Perspektive der machthabenden Gruppen Einzug in das Gedächtnis eines ganzen Kollektivs finden können, ist es äußerst wichtig, sich mit der vielschichtigen Entwicklung der Beziehung Deutschland – Österreich auseinanderzusetzen und im jeweils vorherrschenden und gesellschaftlich tradierten Bezugsrahmen zu analysieren (vgl. Uhl 2010: 7f.). Insbesondere die Frage nach den aktuellen Einstellungen der Österreicher zu Deutschland wird sich in Hinblick auf die in Kapitel 5 durchgeführte Diskursanalyse noch als äußerst interessant erweisen. Dass sich das Verhältnis vieler Alpenrepublikaner zu ihren deutschen Nachbarn deutlich geändert haben könnte, wurde bereits in einem Artikel der „Presse“ vom 03.07.2010 offenkundig. Dieser Beitrag verwies auf eine Umfrage eines Meinungsforschungsinstitutes, wonach sich die Mehrheit der befragten Österreicher Deutschland als Fußballweltmeister wünschte. (Vgl. Krug 2010: o.S.)

Die Geschichte Deutschlands und Österreichs an dieser Stelle in allen Einzelheiten aufzuarbeiten, ist jedoch nicht möglich. Ein kurzer Abriss in das 19. Jahrhundert muss daher genügen, um die Entwicklungen - insbesondere durch die zwei Weltkriege und in den Folgejahren - nachvollziehen zu können.

4.3.1. Exkurs: Zum Vorabend des Ersten Weltkrieges10

Ausgangspunkt bildet hierbei das Jahr 1866, indem die preußischen Armeen jene des österreichischen Kaiserreiches vernichtend schlugen. Ohne näher auf die Ereignisse eingehen zu wollen, die sich vor der historischen Schlacht in Königgrätz (03.07.1866) abspielten, möchte ich hier nur die wichtigsten Auswirkungen dieses Krieges aufzeigen. Zum einen wurde die Heeresstruktur der Monarchie zunehmend in Frage gestellt und eine Reform des Heereswesens erschien unausweichlich. Die zusätzliche Aufnahme bürgerlicher Anwärter in

10 Teile dieses Kapitel wurden bereits in gleicher beziehungsweise ähnlicher Form von der Autorin im Zuge eines Forschungsberichtes im Jahre 2010 veröffentlicht (vgl. Karl Franzens Universität Graz (2010): Krieg und Emotionen. Der Erste Weltkrieg der k&k Armee in autobiographischen Dokumenten.). 38 die Militärschulen und Offiziersausbildungsanstalten des Reiches sollte gewährleisten, dass die altehrwürdigen, aristokratischen „Paradesoldaten“ langsam von gutausgebildeten und Neuerungen gegenüber offenstehenden Offizieren abgelöst werden. (Vgl. Deák 1991: 98- 116.) Durch die 1868 eingeführte Allgemeine Wehrpflicht wurden die Militärschulen anders als in Deutschland, wo man ihnen das Synonym anheftete, eine „Schule der Männlichkeit beziehungsweise der Nation“ zu sein, als „Schulen des Volkes“ betrachtet. Dieser Unterschied ist insofern von immenser Wichtigkeit, als dass sich Österreich-Ungarn im 19. Jahrhundert kaum als eine geschlossene Nation betrachten konnte, da es gleich aus mehreren nationalen Gebilden wie auch Ethnizitäten bestand. Demnach sollte die militärische Ausbildung allen ethnischen Gruppen des Reiches zugänglich sein. So sah es die Armee auch als nahezu oberste Pflicht an, ihre Erziehungsprogramme und Ideale im gesamten Kaiserreich zu verbreiten. Christa Hämmerle beschrieb diese Vorgehensweise wie folgt:

„Es wurde als besondere Leistung der Armee, aber auch als äußerst schwierig eingeschätzt, aus solchen jungen Männern im Laufe ihrer Dienstzeit ebenfalls brauchbare und somit sittlich und geistig gehobene Soldaten zu machen – umso mehr, als es in der weitläufigen Monarchie noch immer abgelegene Gegenden, manche verborgene Thäler und Wälder gäbe, wohin kein Strahl höheren Geisteslebens dringt, der nicht durch die Einwirkung der militärischen Vorgesetzten vermittelt worden wäre.“ (Hämmerle 2005: 108).

An diesem Zitat lässt sich sehr gut die besondere Situation in Österreich-Ungarn darstellen, die auf Grund der multi-ethnischen Einflüsse mit keinem anderen Reich innerhalb Europas vergleichbar gewesen wäre. (ebd. 122ff.).

George L. Mosse resümierte für das wilhelminische Reich, dass es dort ab dem 19. Jahrhundert einen sehr einheitlichen Militärkanon gab. Er bescheinigte der preußischen Armee eine harte, auf Abrichtung abzielende Erziehung innerhalb der kaiserlichen Ausbildungsstätten. Deren Hauptaufgabe galt demnach nicht nur der Einigung des Volkes, sondern auch der Schaffung eines neuen Typus Mannes, des Kriegers. (vgl. Mosse 1997: 145- 146). Mosse schrieb dazu: „der Krieger schien hinfort den Nationalcharakter zu verkörpern“ (Mosse 1997: 146). Eine solche Äußerung wäre in Bezug auf die k.u.k. Armee nahezu unmöglich zu treffen. Denn man darf nicht außer Acht lassen, dass sich die Habsburgermonarchie in einer äußerst kritischen Situation befand, da es innerhalb des Reiches immer mehr nationale wie auch liberale Strömungen gab, die sich vehement gegen die bisherige kaiserliche Politik stellten. Die Situation war also komplett anders als in Deutschland, wo man für ein geeintes Reich kämpfen wollte. Auf der österreichischen Seite hingegen stellte nach Ansicht einiger Historiker lediglich die Person Kaiser Franz Josephs ein 39 bindendes Glied zwischen den einzelnen Bevölkerungsteilen dar. István Deák und auch Christoph Allmayer-Beck verweisen darauf, dass erst die Liebe und Treue zum Kaiser das eigentliche Gefühl der Vaterlandsliebe weckten. (vgl. Deák 1991: 103-105). Paul Schinnerer hat in seiner Kriegsbiographie eine ähnliche Bemerkung gemacht: „Es [Österreich] wurde nur zusammengehalten durch die Armee, deren Offiziere damals nichts anderes als Diener des Kaisers und vollkommen losgelöst von ihrem Volk waren.“ (Schinnerer I: S. 65). Nach Friedrich Heer sind die Betonung der bedingungslosen Gefolgschaft Franz Josephs und die Darstellungen des Kaisers als eine Bastion der Einigkeit und als Ruhepol inmitten des Sturmes jedoch nicht komplett richtig. Diesen Eindruck vom Kaiser hatten natürlich die getreuen Soldaten, wenngleich die Realität sich ein wenig anders präsentierte. Die Folgen der verlorenen Schlacht von Königgrätz waren viel schwerwiegender und gravierender, als es der alternde Kaiser vermutete. Die bereits oben angesprochenen Bildungsreformen in den Militärschulen setzten auch in den Gymnasien und anderen Schulen der franzisko- josephinischen Ära ein, wenngleich in anderer Weise. Durch die damit beginnenden Einberufungen von Lehrenden aus dem Ausland – vorzüglich aus der Schweiz und dem noch existierenden deutschen Bund – begann sich ein Prozess in Gang zu setzen, der wohl kaum von Kaiser gewollt initiiert wurde. Die Preisgabe der Schüler- und Studentenschaften an auswärtige Einflüsse, die laut Heer nahezu jegliches Österreich-Bewusstsein im Keim erstickte, führte dazu, dass sich der akademische Nationalismus im Habsburgerreich etablieren konnte. Schüler- und Studentenverbindungen sprossen wie Unkraut aus dem Boden und waren in nahezu jeder Bildungseinrichtung zu finden. Die zusätzliche Förderung von deutscher Bildung und Forschung in Österreich trugen wesentlich dazu bei, dass sich innerhalb dieser Verbindungen ein nahezu fanatischer Glaube an Deutschland durchsetzen konnte. Obwohl fast alle Schüler der Gymnasien irgendwelchen Pennalien angehörten und sich die Studenten zunehmend gegen das Kaiserhaus auflehnten, sah Franz Joseph keine dringende Notwendigkeit, mit Vehemenz gegen allzu deutschnationale Gesinnungen vorzugehen. Den größten Triumph erlebten die Deutsch-Gläubigen über die Monarchisten (Schwarz-Gelben) als Resultat der sogenannten Badeni-Unruhen im Jahr 1897. Der österreichische Ministerpräsident Kasimir von Badeni forderte in diesem Jahr die Einführung der Zweisprachigkeit aller Beamten in Böhmen und Mähren. Dieser Gesetzesentwurf sah somit vor, dass alle deutschen Staatsbediensteten auch die tschechische Sprache beherrschen mussten und umgekehrt. Unter der Leitung ihres Gründervaters – Georg von Schönerer – demonstrierten Angehörige der deutschnationalen Partei in den Straßen Wiens. Nachdem sich im – durch die ständigen Proteste arbeitsunfähigen – Reichsrat skandalöse Szenen abgespielt

40 hatten, wich Franz Joseph – so Heer - wieder einmal dem Druck von Außen und entließ Badeni. Die deutschnationale Bewegung hatte damit einen wichtigen Sieg über den Kaiser errungen und ihre Mitglieder fühlten sich zunehmend als „Schönerianer“. Friedrich Heer zufolge gilt Georg von Schönerer, der Gründer dieser „Alldeutschen“, teilweise als Vorbild Hitlers beziehungsweise als frühes Ideal nationalsozialistischer Propaganda. So existierten unter Schönerer bereits Antisemitenlieder, und Androhungen bevorstehender Pogrome gegen jüdische Mitmenschen gehörten zum deutschnationalen Alltag. Dass Schönerer eine enorme Wirkung auf Hitler gehabt haben muss, lässt sich auch an folgendem Zitat erkennen: „Schönerer fordert für seinen lutherisch-germanisch-alldeutsche-bismarckschen Glauben an das Heil aus dem Schoß der Mutter Germania das tägliche öffentliche Bekenntnis durch den Gruß ‚Heil‘“ (Heer 2001: 294). (Vgl. Heer 2001: 262-320.)

Wie bereits oben kurz angedeutet, wurden nach der Schlacht von Königgrätz Rufe nach einer Sanierung des Heeresapparates immer lauter. Der ständige Hohn („wurmstichige Schiffe der Österreicher“), dem die kaiserliche Armee im Vergleich zu den hochgelobten Bismarck- Jüngern ausgesetzt war, sollte nun endlich zum Verstummen gebracht werden (vgl. Holzer 1995: 31). Anders als in Preußen sahen es die jungen Burschen jedoch nicht als ihre oberste Pflicht an, dem Vaterland beziehungsweise dem Heer zu dienen und entschieden sich oftmals gegen eine Karriere im Dienste der Krone. Für die preußische Gesellschaft war es geradezu undenkbar, sich gegen den Militärdienst zu entscheiden. „Soldat werden und Soldat sein standen für ein hohes allgemeines patriotisches Ziel, für das sich zu opfern und zu sterben sich lohnte“ (Schmale nach Herrmann 2005: 195) resümierte Wolfgang Schmale in Hinblick auf die militärische Entwicklung im preußischen Reich. Diese Divergenz zwischen der „deutschen“ und österreichischen „öffentlichen Meinung“ lässt sich durchaus auch in den gesellschaftspolitischen Entwicklungen durch den Sieg Preußens über Frankreich im Jahr 1871 verorten. Norbert Elias merkte in diesem Zusammenhang an, dass durch die jahrhundertelange Sehnsucht der auf unterschiedliche Herrschaftsbereiche verstreuten Deutschen nach einer Einigung des Reiches das Volk ein hochsensibles und übermächtiges Wir-Gefühl entwickelt hatte, das schließlich auch in einer Übernahme der siegreichen militärischen Werte durch die breite Masse mündete. (Vgl. Elias 1989.) Norbert Elias fasste diese Entwicklung zusammen als eine

„[…] Übernahme von Adelswerten, also von Werten einer Schicht mit einer starken kriegerischen, auf außenpolitische Verhältnisse konzentrierte. Teile des deutschen Bürgertums, mit anderen Worten, assimilierten sich an die ranghöhere Schicht; sie machten sich deren Ethos, das Kriegsethos, zu eigen“ (Elias 1989: 235). 41

Diese Entwicklung ist nach Elias darauf zurückzuführen, dass es adeligen Offizieren und Generälen zu verdanken war, dass Preußen 1871 als Sieger aus dem Krieg gegen Frankreich hervorging. Demnach war die Einigung Deutschlands auf die besonderen militärischen Leistungen der aristokratischen Schicht zurückzuführen, was gleichzeitig einer Niederlage des aufstrebenden Bürgertums glich. (Vgl. Elias 1989: 234-235.) Anders präsentierte sich die Ausgangslage in der österreichisch-ungarischen Armee, wo es kein solch einheitliches Kriegerethos gab. In der Habsburgermonarchie hatten sich auch die Wünsche und Ansprüche der Aristokraten geändert, die „im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert begannen, sich von ihrem Kaiser zu distanzieren“ (Deák 1991: 198). Die adelige Schicht in Ungarn wie auch das galizische und kroatische Bürgertum forcierte immer mehr nationale Bestrebungen und kehrte der Vorstellung eines supranationalen Reiches immer mehr den Rücken. In Preußen gelang es der aristokratischen Führerschicht durch die unterstützend wirkende Einstellung des Bürgertums, den kriegerischen Wertekanon zu etablieren und die Sehnsucht nach einem Krieg zu schüren. Wie bereits Elias konstatierte, verzehrte sich die preußische Bourgeoisie nach einer Möglichkeit, sich gewinnbringend an die ranghöheren Schichten zu assimilieren (vgl. Elias 1989: 234). Klaus Theweleit beschrieb dieses Verlangen in ähnlicher Weise: „Aber erst ein Krieg versprach Bewährungen, Siege, Aufstiege, Ausbrüche, die der preußisch militärische Alltag keineswegs bereit hielt.“ (Theweleit 1978: 404). Alexandra Gerstner resümierte diesbezüglich, dass es im wilhelminischen Kaiserreich eine unübersehbare Verbindung zwischen Adel und Militär gab (vgl. Gerstner 2008: 226). Durch die teilweise Verbürgerlichung der aristokratischen Werte (vgl. Elias 1989: 235) entstand jedoch ein Kriegsethos, das sich vom adelig-höfisch geprägten „modernen Ritter“ (Gerstner 2008: 238) entfernte und sich nun mehr über Werte wie „Härte, Disziplin, Todesverachtung und Kriegertum“ (Gerstner 2008: 239) definierte. Es war daher eine nahezu logische Folge, dass sich in Deutschland ein Männlichkeitsideal durchsetzen konnte, das all diese Charakteristika erfüllte und oftmals als „hegemoniale Männlichkeit“ betitelt wird (vgl. Schmale 2003: 152– 154). Auch etliche belletristische Werke wie Ernst Jüngers Roman In Stahlgewittern zeugen von dieser Entwicklung. „Er [der Krieg] schien uns männliche Tat, ein fröhliches Schützengefecht auf blumigen, blutbetauten Wiesen […]“ (Jünger 1978: 11). In der Habsburgermonarchie hat solch ein Prozess vor dem 1. Weltkrieg nie stattgefunden. Zu sehr konkurrierten nationale Sehnsüchte, als dass sich ein einheitliches Konzept hätte herausbilden können. Erst mit Kriegsbeginn wurde es auch in der Donaumonarchie immer wichtiger, sich das deutsche Kriegsethos einzuverleiben. Der Mann wurde militarisiert und musste durch Eigenschaften wie Disziplin, Ehrenhaftigkeit, Mut, Bildung und vor allem auch Ruhe

42 beziehungsweise Besonnenheit bestechen.

4.3.2. Der große Bruder und die kleine Schwester

Dieser hier kurz skizzierte historische Abriss sollte verdeutlichen, wie sich deutsche Werte langsam zu einem Ideal österreichischer Weltanschauung und Moralvorstellungen entwickelten. Einen solchen Prozess verortet auch Ernst Bruckmüller im letzten Jahrhundert des Bestehens der Habsburgermonarchie, als eine deutliche Tendenz – vor allem von deutsch sprechenden Österreichern – der Orientierung an das „Deutschtum“ (Bruckmüller 1998: 371) zu erkennen war. Bruckmüller sieht in dieser Zeit sogar einen besonderen Zusammenhang zwischen deutschen und österreichischen Interessen gegeben: „Ursprünglich erscheint in diesem deutsch-österreichischen Bewusstsein Landesbewusstsein, österreichischer Kaiser- und Staatspatriotismus und deutsches Sprach- beziehungsweise ‚Kultur‘-Bewusstsein kaum oder gar nicht getrennt“ (ebd. 371). Der Zerfall der Monarchie führte Friedrich Heer zufolge schließlich dazu, dass aus diesem Schockzustand heraus ein Bekenntnis zu Deutschland als einzig wahrer Ausweg erschien. Diese Erlösung aus der Kleinstaatlichkeit durch ein Bündnis beziehungsweise einen Zusammenschluss mit Deutschland wurde jedoch auch von der Sozialdemokratischen Partei unter Karl Renner und Otto Bauer propagiert. Diesen beiden Vertreter der Sozialdemokratie („die Roten“), die neben dem Begründer der Partei – Victor Adler – wohl die wichtigsten Identifikationsfiguren der deutschorientierten Proletarier - fehlte jede Überzeugung an ein selbständiges Österreich. Beseelt von der Überzeugung einer Lebensunfähigkeit Österreichs wurde immer mehr der Glaube an Deutschland zur mächtigsten sozialdemokratischen Doktrin. Man zeigte sich von der Wirtschaftskraft Deutschlands überzeugt und befürchtete daher eine Abwanderung österreichischer Arbeiter. Laut Heer wurde die Kleinstaatlichkeit Österreichs als Strafe empfunden, und zunehmend wurde die Legende von der Lebensunfähigkeit der Republik Österreich von den Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei wie auch von manchen Angehörigen der Weimarer Republik, die ebenfalls den Anschluss wünschten, genährt. Die Führerschicht der Sozialdemokraten insbesondere unter Karl Renner und Otto Bauer wussten um die Wünsche und Sehnsüchte des einfachen Volkes, das sich bereits vor dem 1. Weltkrieg von der adeligen Gesellschaft abgewandt hatte. Im Zuge der Industrialisierung und dem – aus sozialdemokratischer Sicht – triumphalen Einzug des Kapitalismus in die westliche Welt wurden viele Österreicher ihrer Heimat entwurzelt und in die Städte umgesiedelt, um dort den neuen Prinzipien entsprechend maschinelle Arbeiten zu verrichten. Die daraus entstehende Schicht erniedrigter Arbeiter beziehungsweise Proletarier wurde zur bevorzugten Wählergruppe der Sozialdemokraten, die

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Wien schließlich zu einer Festung des Sozialismus und auch des Marxismus werden ließen. Friedrich Heer fasste dies wie folgt zusammen: „Das himmlische Jerusalem des Sozialismus auf Erden wird vorgebildet durch das ‚Rote Wien‘“ (vgl. Heer 2001: 354). Im Sinne Otto Bauers sollten die Proletarier Bildung als eines ihrer höchsten Güter verstehen, und um sie vor schädlichen, äußeren Einflüssen zu bewahren, sollten die Arbeiter auch lebenspraktisch von schlechten Einwirkungen ferngehalten werden. Für Friedrich Heer ist es daher nicht verwunderlich, dass unter der Führung der Sozialdemokraten unzählige Gemeindebauten errichtet wurden, in denen die Arbeiter nahezu abgeschirmt von der Außenwelt leben konnten. Die „Roten11“ betrachteten sich zudem als eine Art „Bindeglied“ zwischen den großen Parteien der deutschen Arbeiterschaft und betonten zunehmend die Untrennbarkeit all dieser Bündnisse, die sich im Deutschtum vereinen sollten. Als „Hochverräter“ am Anschlussglauben- beziehungsweise Willen galt der christlichsoziale Ignaz Seipel, dessen Parteipolitik sich zu Beginn der 1. Republik noch stark an den katholischen Werten und Idealen orientierte. Nach Heer wurde Seipel als eine Inkarnation des Glaubens an Österreich und die Kirche betrachtet, wohingegen sich Bauer unermüdlich als Apostel des Deutschlandglaubens und des Bekenntnisses zum Sozialismus präsentierte. Für Bauer glich ein Zugeständnis an die Eigenständigkeit Österreichs einem Sündenfall an Deutschland, da Österreich aus dem „deutschen Mutterschoß“ gerissen und „in die gierigen Hände des Kapitalismus übergeben“ worden war (ebd. 343). Für Seipel hingegen spielte Österreich die Rolle einer Herbergsnation, in der sich verschiedene Ethnien vereinigen sollten. Heer zufolge knüpfte bei Seipel dieser Gedanke eng an die Bemühungen der katholischen Kirche, die sich auch gegen eine Zersplitterung in einzelne Nationalkirchen wehrte. Der Versuch, bei der Namensgebung der 1. Republik den Begriff „Österreich“ im Sinne Renners auszuschließen, scheiterte formal an den Bedingungen, die durch den Vertrag von St. Germain an das Bestehen Österreichs geknüpft wurden wie auch am Glauben der Christlichsozialen an die Republik. (Vgl. Heer 2001: 321-369.) Bruckmüller Ernst schlussfolgerte, dass das Ende der Habsburgermonarchie insbesondere auf die mittleren und kleineren Schichten des Bürgertums gewirkt haben muss, waren sie es doch, die bis dahin das Reich getragen hatten. Die Erinnerung an das österreichische Imperium vor

11 Für Farbpsychologen spielt die Wahl der „Parteifarbe“ eine wichtige Rolle, da sich in dieser bereits das poltische Programm einer Partei ausdrücken lässt. Georg von Schönerer, der die deutschnationale Partei begründete, wählte „blau“ als Parteifarbe, da das Blau der Kornblume die Lieblingsfarbe des preußischen Kaisers Wilhelm war. Rot ist die Heilsfarbe, jene des Kardinals, aber auch des Teufels. Das „Rot“ steht daher als Farbe für die „Linken“, da der Teufel nach altem Glauben links neben dem Gottkönig steht. Das „Schwarz“ der Christlichsozialen erinnert an den schwarzen Mann, der das evangelische Volk wieder an Rom binden sollte. Die Monarchisten, die „schwarz-gelb“ als Parteifarbe gewählt haben, erinnern damit an die Verbindung der beiden Schutzmächte Österreichs und Roms während der Habsburgermonarchie. (Vgl. Heer 2001: 355-357.) 44 dem Weltkrieg war schwer aus den Köpfen - vor allem bei Angehörigen der bourgeoisen Schicht - zu verbannen. Bruckmüller stellte fest, dass eine Gleichsetzung von Staat und Nation – wie auch schon zu Zeiten der multinationalen Monarchie – nur schwer stattfinden konnte. Im Schatten der neuentstandenen Kleinstaatlichkeit und des fehlenden Österreichbewusstseins konnte sich immer mehr ein Prozess der Germanisierung in Gang setzen, der sich auch in den Lehrplänen der Schulen niederschlug. (Vgl. Bruckmüller 2008: 599-608.) Der zunehmende Einfluss, den die Pennalien im Untergrund arbeitend auf die Bevölkerung ausübte, und auch die im Verborgenen agierenden „Boten“ der Weimarer Republik leiteten Heer zufolge langsam den Anschlusswillen vom Inneren des Staates her ein. Ignaz Seipel kämpfte lange gegen die immer stärker werdenden Mächte der Anschlussbefürworter, musste jedoch bereits 1927 einen ernsthaften Rückschlag wahrnehmen, der nicht nur ihn, sondern auch den weiteren Weg Schuschniggs und Dollfuß‘ prägte. Nachdem am 30. Jänner 1927 eine Auseinandersetzung zwischen dem sozialdemokratischen Schutzbund und den Frontkämpfern (ehemalige Soldaten der k. u. k. Armee) mit dem Tod zweier unschuldiger Opfer endete, die von Frontkämpfern bereits nach Abzug der Schutzbündler erschossen wurden, folgte im Juli 1927 der Prozess gegen die Täter. Die Hauptangeklagten wurden jedoch im Zuge des Schattendorfer-Urteils freigesprochen, die Tat der „Arbeiter-Mörder“ als Notwehr bezeichnet. Die darauffolgenden Demonstrationen und Unruhen forderten insgesamt 94 Menschenleben und zerstörten nach der In- Brandsteckung des Justizpalastes Ignaz Seipels Glauben an die formale Demokratie. Heer verwies in diesem Zusammenhang auf die wachsenden Zweifel dieses christlichsozialen Bundeskanzler der Ersten Republik, der bis dahin fest an der Unabhängigkeit Österreichs festhielt und nun befürchtete, dass es auf demokratischem Wege nicht möglich sei, Österreich vorm Untergang zu bewahren. Dieses Umdenken Seipels führte dazu, dass die paramilitärische Einheit der Christlichsozialen – die Heimwehr – immer stärker zur Bewahrung der wahren Demokratie eingesetzt wurde und die Auseinandersetzungen mit den oppositionellen Sozialdemokraten von enormen Gewalttätigkeiten begleitet waren. In diesem Zusammenhang resümierte Heer, dass der unter Dollfuß und Schuschnigg entwickelte „Austrofaschismus“ daher in gewisser Weise auf Seipels Fürsprache für den autoritären Staat zurückzuführen ist und auch teilweise Hitler den Weg nach Österreich ebnete. (Vgl. Heer 343-374.)

Ernst Bruckmüller, der sich intensiv mit der österreichischen Nationswerdung auseinandersetzte, stellte fest, dass sich während der Zwischenkriegszeiten teilweise jedoch

45 auch so etwas wie ein neuer österreichischer Landespatriotismus entwickelte. Das Deutsche in der österreichischen Kultur wurde betont, ebenso die einzigartige Landschaft und die Geschichte des Vielvölkerstaates zu Zeiten der Monarchie wurden hervorgehoben. Durch den Anschluss an Hitlerdeutschland im Jahr 1938 schien jedoch jegliches Österreichbewusstsein erstickt worden zu sein. Relativ schnell entwickelten sich dennoch verschiedene Arten von Nationalbewusstsein, welche sich innerhalb der Ostmark deutlich gegen das Altreichsdeutschland richteten. Es existierte zwar kaum eine offensichtliche Ablehnung der Österreicher gegenüber Deutschland, jedoch begründete sich bereits während der Kriegsjahre ein „anonymes“ Österreichbewusstsein, das sich aber lediglich auf die ehemalige Hauptstadt des Habsburgerreiches – Wien – beschränkte. (Vgl. Bruckmüller 1998: 369-396.) Dieses neugewonnene Bekenntnis zu Österreich entstand jedoch nicht aufgrund von moralischen Bedenken ob der nationalsozialistischen Grausamkeiten, sondern, wie es Gabriele Holzer formulierte, den Österreichern „[…] die Liebe zum deutschen Reich […] ausgetrieben worden [sei]“ (Holzer 1995: 70). Nach Holzer sind die Gründe hierfür mannigfaltig. Im Zuge des Anschlusses wurden die unterschiedlichen Lebensgewohnheiten und Mentalitäten der Österreicher und der Deutschen immer sichtbarer. Auch die Geringschätzung der Österreicher durch die Deutschen und das Selbstverständnis der deutschen Offiziere, die sich als „Befreier“ der österreichischen Nation fühlten, führten zunehmend zu einer Ablehnung der Ostmärker gegenüber dem Altreich. (Vgl. Holzer 1995: 69-75.)

Auch die Fußballnationalmannschaften der ehemaligen österreichischen Republik und des Führerstaates wurden im Dritten Reich vereint, nachdem bereits im Jahr 1938 eine gemischte Mannschaft aus beiden Ländern bei der Weltmeisterschaft in Frankreich angetreten war. Roman Horak merkte in diesem Zusammenhang an, dass die Repressalien durch die neu geschaffenen Rahmenbedingungen insbesondere die österreichischen Clubs betrafen, die sogar zu einer Auflösung der Wiener Hakoah führten. Die „doppelt codierte Welt des Wiener Fußballs“ (Horak 2007: 442) traf diese Entwicklungen besonders hart, und so formierte sich auf sportlicher Ebene ein doch deutlicher Widerstand gegen den Fußball der Altreichsdeutschen, der vor allem in der proletarischen Vorstadt auf reichlich Nährboden stieß. Bei einem Spiel der Wiener Austria und Schalke 04 kam es schlussendlich zu enormen Ausschreitungen, die sich jedoch kaum gegen das System des NS-Regimes richteten, sondern auf das „Fußballtum“ Deutschlands abzielten. (Vgl. ebd. 436ff.)

Wie bereits in einem vorherigen Kapitel ausgeführt, war auch der Fußball lange Zeit ein Spektakel, das sich hauptsächlich rund um die bürgerliche „Kaffeehaus-Schicht“ und die 46 proletarische Vorstadt Wiens drehte. Relativ zeitgleich mit der Ausbildung eines neuen Staatsbewusstseins nach 1945, welches insbesondere in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts seine Hochblüte erlebte, begann sich - Horak zufolge - auch das Fußballspiel vom Wiener Zentrum auf die peripheren Bundesländer auszubreiten. Der Fußball wurde zu einem Massenphänomen und zum Nationalsport erklärt. Zeitgleich mit der zunehmenden Betonung einer selbständigen österreichischen Nationalität und einer wachsenden Abgrenzung von den Deutschen wurde auch der Fußball als ein Instrumentarium zur Identitätsbildung und insbesondere zur Eigenstaatlichkeit eingesetzt. (Vgl. Horak 2007.)

Im historischen Jahr 1978 war das Verhältnis Österreichs zu Deutschland bereits deutlich verändert und zunehmend abgekühlt. Unter Kreisky wurde die Betonung der Eigenstaatlichkeit zum politischen Programm erklärt, und eine Abgrenzung zu Deutschland erschien hierfür äußerst sinnvoll. Bereits seit dem Sieg der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 in Bern waren die Beziehungen zwischen den Österreichern und Deutschland immer distanzierter. Der WM-Titel begünstigte bei den Deutschen das Gefühl, wieder „wer zu sein“. Fast zeitgleich wurde Deutschland immer mehr zum Erzfeind der Österreicher hochstilisierte. Der weitverbreitete Tenor in der Zweiten Republik richtete sich darauf, ein äußerst distanziertes Verhältnis zu den Nachfolgestaaten des ehemaligen Nazideutschland zu wahren und die eigene, unrühmliche Vergangenheit zu ignorieren beziehungsweise umzuschreiben (Stichwort: Opferthese). Das Spiel in Córdoba am 21. Juni 1978 bot daher einen wichtigen historischen Ankerpunkt, um nachhaltig die Abgrenzung Österreichs von Deutschland zu betonen.

„‘Córdoba‘, das ist das Chiffre des von Deutschland unabhängigen Österreichs. Sie steht am Endpunkt eines Prozesses der nationalen Selbstfindung, von den Toren Hans Krankls ausgelöst durchzieht eine quasi-feierliche Stimmung das Land: Es ist vollbracht! Von nun an ist man als Österreicher nicht mehr der kleine Bruder, der Staat ist erwachsen geworden. Die Verwandtschaft beleibt natürlich bestehen, aber man ist nun nicht mehr nur – und geradezu zwanghaft – auf sie verwiesen.“ (Horak 2007: 447) Dieses hier angeführte Zitat von Roman Horak veranschaulicht ziemlich deutlich, welche enorme Bedeutung diesem Spiel rund um die Fußballweltmeisterschaft 1978 zukommt, und wie sehr sich dieses auf die Identitätsbildung der Österreicher ausgewirkt haben muss. An diesem Punkt stellt sich nun auch die Frage, ob sich dieses Österreichbewusstsein, welches eine Abgrenzung zu Deutschland implizierte, erst durch Córdoba entwickelt hat, oder ob es bereits vorher existierte und auf sportlicher Ebene reproduziert wurde und somit Einzug in das kollektive Gedächtnis der Österreicher gefunden hat. Ausgehend von den Theorien Jan

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Assmanns kann angenommen werden, dass Wir-Gruppen über ein kulturelles Gedächtnis verfügen, woraus Ernst Bruckmüller schlussfolgert, dass „jene Art von Wir-Bewusstsein, welche die relativ größte Gruppe bezeichnet, der ein Mensch angehört, […] allgemein Nationalbewusstsein genannt [wird]“ (Bruckmüller 1998: 369). Solche Wir-Gruppen entstehen Heidemarie Uhls zufolge aufgrund der Vorstellung eines Kontinuitätszusammenhanges einer Nation, was sich auch in Feierlichkeiten zur „runde[n] Wiederkehr“ des historischen Sieges […]“ (Uhl 2004: 70) in Córdoba zeigen lässt. So kann auch das Bedürfnis zur Erinnerung an bestimmte Ereignisse oder Orte erklärt werden als ein Wunsch, Vergangenes zu rekonstruieren und in den gegenwärtigen Bezugsrahmen zu setzen. Laut Uhl präsentieren sich kollektive Erinnerungen immer im Spannungsfeld zwischen Geschichte und dem aktuell vorherrschenden Gesellschaftsbild. Maurice Halbwachs sagte dazu, dass es „kein Gedächtnis vermag die Vergangenheit als solche zu bewahren, sondern nur das bleibt, was die Gesellschaft in jeder Epoche mit ihren gegenwärtigen Bezugsrahmen konstruieren kann“ (Halbwachs nach Uhl 2004: 69). Betrachtet man die Geschehnisse vor und nach Córdoba jedoch aus einem anderen, nicht allzu historisch geprägten Blickwinkel, ergibt sich ein etwas ausdifferenzierteres Bild. Im Sinn einer emotionssoziologischen Tradition müsste man anfügen, dass „[…] vor allem der Aspekt des gemeinsamen Erlebens und Auslebens von Emotionen von Bedeutung ist“ (Riedl 2008: 222). Mike S. Schäfer verwies in diesem Zusammenhang, dass insbesondere bei Live- Ereignissen die Fans aus ihrer Alltagswelt herausgerissen und zu Teilen kollektiver Rituale werden. Dadurch erfährt das individuelle, emotionale Erleben eine Steigerung, was gleichsam von positiven wie auch negativen Erlebnissen beeinflusst werden kann. Schäfer fasste dies wie folgt zusammen: „Derartige Emotionen können die Gemeinschaft der Fans, wenn teils auch nur für die Dauer des Konzerts oder Spiels, stabilisieren und dazu dienen, diese Gemeinschaft gegen andere Gruppen abzugrenzen“ (Schäfer 2009: 9). Dieses Zitat von Schäfer ist mit Vorsicht zu genießen ist, da zu bezweifeln ist, dass sich Fangemeinschaften nur während eines bestimmten Ereignisses bilden. Das mag sicherlich für den uninteressierten Fußballzuseher zutreffen, der sich lediglich während eines Großereignisses dazu hinreißen lässt, Fähnchen an seinem Auto anzubringen und lauthals die Gegner auszubuhen, kann für die eingefleischte Gruppe der Fußballfans jedoch nicht gelten. Denkt man beispielsweise an Nick Hornbys Erzählungen, wird deutlich, dass kollektive Gefühle, die erfolgreich in die eigene Identität übernommen wurden, nicht mehr abgelegt werden können. So deutete Hornby beispielsweise darauf hin, dass seine eigene Lebensgeschichte stark von jener Arsenals geprägt sei: „For the first, but certainly not the last, time, I began to believe that Arsenal’s

48 moods and fortunes somehow reflected my own“ (Hornby 1992: 59). Dieses ausgeprägte Zugehörigkeitsgefühl, welches Hornby zu seinem Club, dem Stadium und auch den anderen Fans entwickelt hat wird besonders deutlich, wenn er über seine Todesphantasien spricht.

„I do not wish to die in mid-season but, on the other hand, I am one of those who would, I think, be happy to have my ashes scattered over the Highbury pitch […] I would like to feel that my children and grandchildren will be Arsenal fans and that I could watch with them. It doesn’t seem a bad way to spend eternity, and certainly I’d rather be sprinkled over the East Stand than dumped into the Atlantic or left up some mountain.” (Hornby 1992: 64).

Die Intensität und Stärke solcher emotionaler Bindungen ist nicht zu unterschätzen, und so müssen auch die Ereignisse rund um Córdoba weitaus nuancierter betrachtet werden, als lediglich unter einem historischen Aspekt. Aus diesem Grund ist es besonders interessant, die Bedeutung von Córdoba und dessen mediale Aufbereitung aus emotionssoziologischer Perspektive zu analysieren. Um nochmals auf den berühmten Sager von Michael Häupl zurückzukommen, der den Sieg Österreichs über Deutschland bei der Weltmeisterschaft 1978 als „Rache für Königgrätz“ betitelte, wird deutlich, wie sehr und insbesondere wie lange Österreich unter dem seit 1866 vorherrschenden Minderwertigkeitskomplex gegenüber Deutschland litt. Im Sinne der Emotionstheorie von Thomas J. Scheff könnte man davon ausgehen, dass Österreich beziehungsweise die Österreicher über ein Jahrhundert lang von einem ungewussten Schamgefühl beseelt waren. Laut Scheff werden Schamzustände, die nicht offenkundig wahrgenommen werden durch unsichere Bindungen beeinflusst. Der plötzliche Verlust der Vormachtstellung der Donaumonarchie im Deutschen Bund könnte den Beginn einer solchen Verunsicherung eingeleitet haben, die sich wiederum in einem Minderwertigkeits- beziehungsweise Unterlegenheitsgefühl niedergeschlagen hat. Das darauf beruhende Schamgefühl wurde zwar nie offen gezeigt, mit dem Sieg über Córdoba jedoch deutlich gemacht. Latente, seit über einem Jahrhundert schlummernde Gefühlsstrukturen wurden mit diesem einen Sportereignis sichtbar gemacht. Die ständigen Verweise auf das Spiel gegen Deutschland und die damit verbundene – selbst heute noch oftmals sichtbare – Überheblichkeit in der medialen Berichterstattung lassen vermuten, dass es sich hierbei um einen Transformationsprozess im Sinne der emotionssoziologischen Konzepte Thomas J. Scheffs handeln muss. Die permanenten Minderwertigkeitskomplexe, die Scham ob der Kleinstaatlichkeit und der deutschen Überlegenheit führten schließlich zu einer Kompensation dieser Gefühle durch die Ausbildung eines falschen Stolzes, der darauf beruht, dass wirkliche Gefühle der eigenen Leistungen und Größe verschwiegen werden zugunsten einer Steigerung

49 des Selbstwertgefühls. (Vgl. Scheff 1994: 57-60.) Dass Córdoba einen positiven, „goldenen“ (Uhl 2010: 12) Gedächtnisort in der österreichischen Geschichte präsentiert, steht außer Zweifel, und die ständige Reproduktion dieses Ereignisses wird von Politik wie auch der Wirtschaft und den Medien sorgsam gepflegt. Dass das kollektive Gedächtnis jedoch auch einem enormen Transformationsprozess ausgesetzt sein kann, zeigt sich sehr deutlich im Verhältnis Österreichs zu Deutschland. Wie oben bereits ausgeführt, galten das damalige Deutschland beziehungsweise Preußen und das Kaiserreich Österreich-Ungarn bis zum Ersten Weltkrieg als Großmächte im europäischen Raum. Die Niederlage der beiden Mittelmächte 1918 führte dazu, dass beide Länder enorm an ihrer Größe einbüßen mussten und ihnen das Verbot auferlegt wurde, keine geeinte deutsch- österreichische Nation zu begründen. Durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten und den 1938 erfolgten Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland änderte sich die Situation deutlich und Österreich, nun genannt die „Ostmark“, wurde in das Dritte Reich eingegliedert. Der Niedergang im Zweiten Weltkrieg bedeutete einen endgültigen Einschnitt in die deutsch- österreichische Beziehung, und während man sich – Heidemarie Uhl zufolge - in den deutschen Nachfolgestaaten (BRD, DDR) bemühte, den Wiederaufbau und die Geschichtsaufarbeitung zu forcieren, wurde in Österreich eine Abgrenzung zu Deutschland immer mehr vorangetrieben, und die sogenannte „Opferthese“ in das politische Programm aufgenommen. Dieser weit verbreitete (wissenschaftliche) Tenor von der großen österreichischen Lebenslüge, die darauf beruhte, sich ausschließlich als Opfer des Nationalsozialismus zu präsentieren und jegliche Vergangenheitsbewältigung zu ignorieren, wurde im Zuge der „Waldheim-Debatte“ 1986 öffentlich thematisiert. Die Bundesrepublik Deutschland fand sich als Nachfolger des ehemaligen Nazideutschland in der Position des Hauptschuldigen am Holocaust wieder. Österreich hingegen betrieb Heidemarie Uhl zufolge scheinbar anders als die deutschen Nachbarn keine Aufarbeitungspolitik, sondern suchte nach Möglichkeiten, sich von den Gräueltaten des Nationalsozialismus zu distanzieren und die eigene aktive Rolle im Holocaust zu negieren. In Österreich setzte sich die Überzeugung fest, man wäre – bezugnehmend auf die Moskauer Deklaration von 1943 – das Erste Opfer Hitlerdeutschlands gewesen und der sogenannte Opfermythos wurde begründet. (Vgl. Uhl 2010: 5-14.) Dass die Phase der österreichischen Vergangenheitsbewältigung sehr viel komplexer ist, als von Uhl vielfach dargestellt, lässt sich sehr gut in Gabriele Holzers „Verfreundete Nachbarn“ (1995). Holzer zeigt in hier auf fast 200 Seiten sehr eindrucksvoll und mit etlichen Fakten und Zahlen untermauert, wie differenziert sich die Aufarbeitung der Nazi-Zeit in Österreich präsentiert hat. Zusätzlich kann man – basierend auf Gabriele Holzer

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– davon ausgehen, dass die rigide Ablehnung der Opferthese durch Historiker wie beispielsweise Heidemarie Uhl durchaus überdacht werden sollte, beziehungsweise die Rolle Österreichs vor und während der Nazi-Herrschaft einer unvoreingenommenen und auch unemotionalen Aufarbeitung bedarf. (Vgl. Holzer 1995.)

Dass das kollektive Gedächtnis nichts Statisches beziehungsweise Unveränderliches ist, wird an der Vergangenheit und deren Reproduktion in Österreich deutlich sichtbar. Die vielfach verortete Abgrenzung von Deutschland hat sich daher nicht nur auf politischer Ebene und in der gemeinsamen Gedächtniskultur vollzogen, sondern auch im Sport, wobei Córdoba gleichzeitig einen End- wie auch einen Anfangspunkt im komplizierten Verhältnis Österreichs zu Deutschland gesetzt hat.

4.3.3. Eine Hassliebe auf höchstem Niveau: England – Deutschland

Das Verhältnis Englands zu Deutschland präsentiert eine äußerst zwiespältige Beziehung. Vielerorts wird von einer Art „Hassliebe“ („A Love-Hate-Relationship“ Major, 2008: 457) gesprochen, die im Laufe der Jahrhunderte viele Höhen und Tiefen durchlaufen hat. Auch der Sport und insbesondere der Fußball können sich den Spannungen zwischen den beiden Ländern kaum verwehren. Als es beispielsweise im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika 2010 zu einer erneuten Auflage des Klassikers aus 1966 zwischen England und Deutschland kam, frohlockten die deutschen Medien, dass das berühmte Wembley-Tor nun endlich korrigiert worden sei, und die Ordnung am Fußballplatz nun offiziell wieder hergestellt wurde. Vor dem Spiel war oftmals die Rede vom „große[n] alte[n] Feind Deutschland“ (Neue Züricher Zeitung, 29.06.2010, 2), den die Engländer im erneuten Fußballkrieg bezwingen wollten. Deutschland rächte sich jedoch in diesem Aufeinandertreffen für das Wembley-Tor von 1966 und schlug die englische Mannschaft 4:1. Nachdem die Deutschen ihrem Fußballgott für dieses Ergebnis gedankt hatten, ließen Spott und Hohn nicht lange auf sich warten. Ein Redakteur der Stuttgarter Nachrichten vom 29.06.2010 resümierte wie folgt:

„Eigentlich aber bin ich tief in meinem Herzen auch England-Fan. Ich liebe Monty Python, den Schriftsteller Julian Barnes und den ur-englischen Sinn für Tradition: das Königshaus, die Jagd, die englischen Gärten. Und irgendwie gehören ja auch die Niederlagen gegen Deutschland zur Tradition, an der die Engländer mit so liebenswürdiger-verschrobener Konsequenz festhalten. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto größer ist meine Bewunderung für diese sture Konstanz.“ (27).

Solche Kommentare zum jüngsten Aufeinandertreffen zweier Fußballgiganten sind jedoch

51 nichts im Vergleich zur (Hetz-)Kampagne, die die britischen Medien rund um die Euro 1996 betrieb. So erklärte der englische „Daily Mirror“ am 24.06.1996 Deutschland den Fußballkrieg, und der „Daily Star“ zeigte sich sicher, dass man sich „[m]it dem Geist von 1966 […] für das Abschlachten von damals rächen [werde]". Der „Guardian“, welcher sich doch deutlich von der britischen Yellow Press abhebt, befürchtete in diesen Tagen hingegen, den Fremdenhass durch solch „beschämende […] nationale Geisteszustände“ zu schüren. Auch nach dem recht unglücklichen Auftreten der englischen Fußballnationalmannschaft gegen Deutschland am 27.06.2010 in Südafrika zeigte sich der „Guardian“ in einer Reportage von den Leistungen der Deutschen, die ein „disciplined teamwork“ (The „Guardian“ 2011: o.S.) zeigten, eher beeindruckt, als durch zusätzliche Schimpftiraden über den angeblich inkompetenten Schiedsrichter weiter Öl ins Feuer zu gießen. Das schwierige Verhältnis Deutschlands zu England hat sich jedoch nicht erst durch den Fußball entwickelt, sondern entspringt einer langen Geschichte, die durch den Einfluss und insbesondere die Auswirkungen zweier Weltkriege immer wieder in neue Bahnen gelenkt wurde.

Patrick Major schrieb 2008 in „Britain and Germany. A Love Hate relationship?“ die Beziehungen zwischen Deutschland und England wären vor allem durch den Ersten Weltkrieg einer enormen Veränderung ausgesetzt gewesen. Großbritannien fürchtete zunehmend die Macht des nunmehr seit 1870 geeinten Deutschlands und seiner Anhänger und zeigte sich äußerst besorgt, seine Stelle als Großmacht Nummer Eins zu verlieren. Die Angst, von deutschen Spionen unterwandert zu werden, war sehr groß und wurde durch die Veröffentlichung einiger futuristischer Romane, die sich dieser Thematik annahmen, verstärkt. Frühe Filmaufnahmen, Tageszeitungen wie auch zeitgenössische Literatur wurden im Zuge des Ersten Weltkriegs immer mehr als Mittel zur Verbreitung der Kriegspropaganda eingesetzt, dementsprechend militarisiert präsentierte sich die jeweilige nationale Kultur. (Vgl. Major 2008: 457-462.) Richard Milton konstatierte, dass Briten und Deutsche in den Jahrzehnten zuvor noch durch ein starkes Band der gegenseitigen Anerkennung und des Respekts geprägt gewesen. Sprach man nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder von der besonderen Freundschaft zwischen Großbritannien und den USA, so wurde gerne darauf vergessen, dass im 19. Jahrhundert eine solche „special relationship“ (Milton 2008: 4) bereits mit den Deutschen geherrscht hatte. Während dieser Zeit hatte sich ein großer Markt für deutsche Produkte in Großbritannien entwickelt, der sich bis heute einer enormen Beliebtheit erfreut (beispielsweise: Persil, AEG, Nivea, Aspirin, etc.). Auch das deutsche Kindergarten- System wurde von den Insulanern bereitwillig übernommen, im Gegenzug dazu begann man

52 in Deutschland, fleißig Oxford-Marmelade auf die Brötchen zu schmieren. Die preußischen Offizierschargen zeigten sich Milton zufolge besonders aufnahmefähig und verkörperten äußerlich sehr schnell das Bild eines englischen Gentlemans. Durch die Vermählung des deutschen Prinzen Albert mit der englischen Königin Victoria wurde die Verbindung zwischen den beiden Ländern zunehmend intensiviert. (Vgl. Milton 2008: 3-18.) Zeitgleich entwickelten sich im 19. Jahrhundert unter „Turnvater“ Jahn in Deutschland auch jene Turnspiele, die erstmals durch eine bestimmte Struktur reglementiert waren. Wilhelm Hopf stellte fest, dass obwohl im Laufe des Jahrhunderts dem Turnen im herkömmlichen Sinne, auch ob der zunehmenden Feudalisierung des Bürgertums, immer weniger Bedeutung zu Teil wurde, sich gegen Ende des viktorianischen Zeitalters auch in Deutschland der Fußball bereits durchsetzen konnte. Die Anfänge sind hierbei in den Schulen zu verorten, von denen ausgehend der Fußball seinen Siegeszug im ganzen Land antreten konnte. Zuvor jedoch musste man aufgrund der Unsicherheiten, die in Bezug auf die eigene nationale Identität herrschten, den Fußball „eindeutschen“, indem man bestimmten Begriffen einen eigenen Namen verlieh. (Hopf 1998: 48-63.) So wurde das Deutsche durch den Gebrauch von Kunstausdrücken im Fußball idealisiert, und die „Fußflegelei“ beziehungsweise der „Stauchball“, wie er von einigen kritischen, deutschen Zeitgenossen des 19. Jahrhunderts genannt wurde (vgl. Planck 1898), konnte sich vor allem in der bürgerlichen Schicht Deutschlands rasch durchsetzen.

Bevor Deutschland 1870 im Sinne eines einheitlichen Nationalstaates existierte, zeigte man sich – wie von Major angenommen - in Großbritannien durch die deutsche Kultur von Goethe über Schiller oder auch Kant äußerst beeindruckt. Schnell wurden auch ins viktorianische England deutsche Ideen transportiert, und vor allem die Übersetzungen Goethes und Kants erfreuten sich großer Beliebtheit. Ein großes Spannungspotenzial hingegen bot Major zufolge die symphonische Musik der Deutschen, die sich eher an ein Publikum richtete, welches sich mehr auf die Suche nach „spiritual enlightenment“ (Major 2008: 460) befand, als auf das britische Bedürfnis nach Unterhaltung einzugehen. An diesem „Streitpunkt“ wird auch der Grundgedanke einer strikten, wenngleich eher zufällig erfolgten, Trennung zwischen der deutschen Kultur und der britisch, französischen Zivilisation sichtbar. (Vgl. Major 2008: 458- 460.)

Bereits Norbert Elias wies in seinem Zivilisationsprozess auf diesen Unterschied hin und widmete diesem Bereich ein ganzes Kapitel in seinem Monumentalwerk aus dem Jahr 1939. Nach Elias wird im englischen und auch französischen Sprachraum meist auf das Wort 53

„Zivilisation“ zurückgegriffen, das als Indikator für den „Stolz auf die Bedeutung der eigenen Nation, auf den Fortschritt des Abendlandes und der Menschheit […]“ (Elias 1997a: 90) gilt. Zivilisation ist nach Elias grundsätzlich etwas, das das jeweilige Nationalbewusstsein zum Ausdruck bringt, es ist das „Selbstbewusstsein des Abendlandes“ (ebd. 89). Der Stolz auf die Errungenschaften der eigenen Nation und deren Identifikationswert für die Gesellschaft entwickelten sich im deutschsprachigen Raum mit dem Begriff der „Kultur“. Die Kultur an sich stellt ein qualitatives Konzept dar, da sie sich „auf bestimmte Leistungen der Menschen bezieht“ (ebd. 91). Das kulturelle Gut einer Nation spiegelt sich in ihrem künstlerischen, geistigen wie auch religiösem Erbe wider, weist jedoch anders als der französische beziehungsweise englische Begriff der Zivilisation ein Art „Exklusionsmechanismus“ auf, der politische und auch wirtschaftliche Bereiche umfasst. Wie bereits der Titel „Über den Zivilisationsprozess“ vermuten lässt, deutet Zivilisation auf das Ergebnis eines Prozesses, auf eine jeder Statik trotzenden Entwicklung, hin. Der Begriff der Kultur jedoch basiert auf „Produkte[n] des Menschen […], auf Kunstwerke[n], Bücher[n], religiöse[n] oder philosophische[n] Systeme[n], in denen die Eigenart eines Volkes zum Ausdruck kommt“ (ebd. 91).

Während nun also die „Zivilisation“ das nationale Selbstbewusstsein in England beziehungsweise Frankreich prägte, stellt dieser Begriff für die Deutschen eher abstrakte Einheit dar. Mit Kultur hingegen verbindet man im deutschen Sprachraum eine Gemeinsamkeit hinsichtlich der Bewertung bestimmter Leistungen, die für die deutsche Nation erbracht wurden. Der Kulturbegriff hebt demnach die Spezifika und auch Unterschiede des eigenen „Volkes“ hervor und zieht somit eine unsichtbare Grenze zwischen sich und allen anderen. Dementsprechend weitaus „offener“ präsentiert sich die englische oder auch französische Zivilisation, die nicht nur die nationalen Eigenarten betont, sondern auf einem gemeinschaftlichen Selbstbewusstsein des Abendlandes aufbaut. Diese unterschiedlichen Begriffsdefinitionen ergeben sich jedoch nicht von selbst, sondern beruhen wiederum auf den verschiedenen historischen Prozessen, die Deutschland im Vergleich zu England und Frankreich durchlebt hat. (Vgl. ebd. 89-92.)

Das Deutschland, wie wir es heute kennen, ist eine relativ junge Staatseinheit. Durch die Jahrhunderte hindurch war das Landschaftsbild des heutigen Deutschland durch viele einzelne Territorialstaaten, die sich in der Zeit zwischen 1815 und 1866 schließlich innerhalb des Deutschen Bundes zusammenfanden, geprägt. Der Wunsch nach einem einheitlichen Reich ging erstmals 1871 durch den Sieg Preußens über Frankreich im Deutsch/Französischen Krieg 54 in Erfüllung. Die jahrhundertelange Teilung und Aufspaltung des Reiches hatten jedoch Elias zufolge tiefe Spuren im nationalen Selbstbewusstsein hinterlassen. Es war schwer zu sagen, was als „typisch deutsch“ galt und was eben nicht, weshalb eine Art Identifikationsprofil geschaffen werden musste. So wurden literarische, künstlerische wie auch musikalische Beiträge im Sinne einer kulturellen Aneignung zu nationalen Errungenschaften erklärt. Die damit verbundene Teilhabe an einem kollektiven, deutschen „Wir-Gefühl“ bestärkte die zunehmende Exklusionswirkung des Kulturkonzeptes. An anderer Stelle verweist Elias auch auf die relativ junge und geschichtlich eher unbedeutende deutsche Hauptstadt Berlin, die anders als London, Paris oder auch Wien sehr spät zum Reichsmittelpunkt erklärt wurde. (Vgl. Elias 1989: 7-31.)

Das preußische Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts war also eine deutlich jüngere Staatseinheit als das monarchische Großbritannien. Im Sinne eines Staatsbildungsprozesses wurden viele Ideen der führenden britischen Denker auch in Deutschland äußerst willkommen geheißen wurden. Die Evolutionstheorie von Charles Darwin stieß in beiden Ländern auf großen Anklang und wurde später von den Nationalsozialisten für ihre perfide „Auslesungs- Politik“ adaptiert. Vor dem Ersten Weltkrieg herrschte daher ein stiller Konsens zwischen Deutschland und England hinsichtlich nationalistischer und wachsender rassischer Ideale. Der Begeisterung vieler Deutscher für das Britische Empire wurde durch den Großen Krieg Einhalt geboten. Major merkte an, dass es in den Jahren 1914 – 1918 unzählige Meldungen gab, die sich in Großbritannien und auch in den USA rasend verbreiteten und von den wildgewordenen deutschen Soldaten und ihren Gräueltaten berichteten. Die Angst der Briten vor der deutschen Militärmacht und der Unterwanderung durch ihre Spione wurde durch solche Berichte ständig genährt. Patrick Major sagte dazu, dass die Briten zu Beginn des Krieges bereits einen „healthy respect for the German forces” (Major 2008: 464) entwickelt hatten. Nach Niall Ferguson sei es unter anderem sogar diese paranoide Angst der Engländer vor den Deutschen gewesen, die schließlich den Ersten Weltkrieg heraufbeschwörte. Auch das immer wieder propagierte Flottenrüsten zwischen Großbritannien und Deutschland kann realistisch betrachtet kein Grund für den zunehmenden Bruch der deutsch-englischen Beziehungen sein. Ferguson verweist hierbei in „Der falsche Krieg“ darauf, dass das Militärbudget Deutschlands um einiges geringer gewesen sei als jenes der Briten, und somit hätte der monarchische Inselstaat von Anfang an bereits als Sieger eines möglichen Wettrüstens festgestanden. Das insulare Großbritannien fürchtete jedoch zunehmend durch den expandierenden Flottenbau Deutschlands unter der Regie von Admiral Alfred von Tirpitz

55 einen Verlust der „leading position at sea“ (Maurer 2001: 287.) Zudem war die Angst der britischen Regierung vor den Kolonialmächten Russland und Frankreich ausschlaggebend gewesen, dass man sich nicht auf die Seite der von Vornherein unterlegenen Deutschen stellte. Eine deutsch-britische Allianz wäre nach Ferguson auch die bessere Lösung gewesen, aufgrund der nicht vorhandenen Kompromissbereitschaft Deutschlands entschloss sich Großbritannien jedoch zu einem Militärbündnis mit den eigentlichen Gegnern Frankreich und Russland (Triple Entente). (Vgl. Gläser 1999.)

„The fear of losing naval superiority to Germany helped drive Britain’s diplomacy of strengthening the ententes with France and Russia, the alliance with Japan, and the close ties with the United States. If any of these states formed a naval alliance with Germany, Britain’s naval strength might be overstretched.” (Maurer 2001: 303)

Die Annahme, die Deutschen würden die Briten ausspionieren und ihre Institutionen unterhöhlen, stand jedoch auch in direktem Gegensatz zum bis dahin vorherrschenden Bild einer folgsamen und disziplinierten Militäreinheit. Nach der Niederlage Deutschlands und den Geschehnissen im Ersten Weltkrieg setzte sich relativ schnell der Gedanke an eine Art „ursprüngliche“ Verbundenheit Großbritanniens mit den Vereinigten Staaten durch. Die Zwischenkriegszeit bedeutete für die Briten eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Krieg. Sie wurden in Folge weitestgehend darauf vorbereitet „to accept that war itself had become the main enemy, not any particular nation“ (Major 2008: 464). Deutschland hingegen hatte enorm an den territorialen und wirtschaftlichen Verlusten durch den Ersten Weltkrieg und den Auflagen des „schamvollen“ Versailler Vertrag zu kämpfen. Die Idee, eine führende Klasse nach englischem Vorbild zu schaffen, welche der Nation wieder zu alter Stärke verhelfen sollte, wurde Milton zufolge immer mehr zu einem zentralen Denkprinzip vieler Deutscher. Richard Milton verortet in dieser Affinität zur englischen Gesellschaft im Deutschland der Zwischenkriegszeit einen großen Nährboden für die Ideale der späteren Nationalsozialisten. Die britische Propagandamaschinerie hatte während des Krieges so gut funktioniert, dass es in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts als äußerst erstrebenswert galt, dem britischen Vorbild nachzueifern.

„Instead, the twists and turns of the propaganda war transformed German infatuation into a new and even more dangerously delusive post-war phase in the 1930s, in which Adolf Hitler, and many of his Nazi colleagues, saw the English ruling class as fellow members of the master race – and, in some respects, almost wished to become English aristocrats themselves.” (Milton 2008: 8)

Nach dem Zerfall des Deutschen Kaiserreiches unter Wilhelm II. im Jahr 1918 schien das Land in eine Identitätskrise gefallen zu sein, und man versuchte, sich an einer der mächtigsten 56

Nationen – Großbritannien – neu zu orientieren. In der Vorstellung vieler Deutscher war Großbritannien eine unschlagbare Militärmacht, in der – wie Milton es ausdrückte - die „cruellest, most ruthless, most audacious race on earth – the monocle-wearing, riding-crop wielding, public-school-educated, aristocratic English gentleman“ (ebd. 140) herrschten. Wie so viele Idealbilder war jedoch auch jenes von den Briten nichts anderes als ein Teil eines großen Nationalmythos. Das britische Empire besaß zwar auf dem Papier viele Kolonien, in Wirklichkeit konnte es jedoch kaum Macht auf diese Gebiete ausüben. Besonders die politische Struktur des Reiches galt als äußerst schwach, da sich die gesamte Nation auf mehreren, sich selbst regierenden Territorien stützte. Zudem mussten die Briten viele Nahrungsmittel in die insulare Heimat importieren und waren daher auch wirtschaftlich kaum in einer überragenden Position. Trotz alledem entwickelte sich in Deutschland eine Liebesbeziehung zum „Englischsein“, was besonders unter Hitler weiter forciert wurde. Nach dem englischen Beispiel führte er unter anderem ein, dass deutsche Schüler morgendliche Sportübungen zu verrichten hatten und sich lediglich kalt duschen durften. Zudem verortete Milton eine äußerst „britenfreundliche“ Politik unter Hitler und eine besondere Hervorhebung der Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Großbritannien während der Nazi-Zeit. „It was this delusion more than any other that led Hitler to believe Britain would stand idly by while he invaded one country after another” (ebd. 145). Die Briten jedoch erklärten nach der Besetzung Polens durch Deutschland ihren größten Bewunderern 1939 den Krieg, und schließlich war auch Hitler davon überzeugt, dass ein militärischer Schlag gegen das britische Empire unvermeidbar sei. Die Kriegserklärung Großbritanniens hatte jedoch auch im eigenen Land nicht unbedingt zu Freudenstürmen geführt. Zuviele Briten hatten sich bereits für den deutschen Faschismus begeistern können und zeigten sich grundlegend beeindruckt vom Dritten Reich. Nach Milton waren es nicht nur Teile der britischen Aristokratie und Mitglieder der führenden Klasse, die als Befürworter des nationalsozialistischen Systems galten, sondern auch die Medien Großbritanniens drückten deutlich ihre Sympathien für Deutschland aus. Der Eigentümer der „Daily Mail“, Lord Rothermere, war ein offenkundiger Bewunderer Hitlers und besuchte diesen sogar in Deutschland. Auch die ehrwürdige „Times“ präsentierte sich „hitlernah“ und forderte 1938 die tschechische Regierung sogar dazu auf, das Gebiet der Sudeten den Deutschen zu überlassen, um den Frieden zu wahren. „The Observer“ stellte sich zwar gegen das Naziregime, zeigte sich jedoch davon überzeugt, dass man bald wieder zur einstigen Eintracht mit Deutschland zurückfinden würde. Der Einmarsch der deutschen Truppen in die Tschechoslowakei machte diese Hoffnungen rasch zunichte. (Vgl. ebd. 135-159.) Die Gräueltaten der Nationalsozialisten haben jedoch kaum dazu beigetragen,

57 dass sich Großbritannien am Krieg beteiligte, vielmehr war es „a defence of Britain’s national interest and empire, and part of a grudge match carried over from the First World War“ (Major 2008: 465). Den Briten ist es auch zuzuschreiben, dass die Deutschen vor allem an der Westfront als „gentlemanly“ (ebd. 466) Gegner galten. Die grausame „Säuberungswelle“ an der Ostfront, welche die Nationalsozialisten betrieben, wurde hingegen von der britischen Regierung weitestgehend ignoriert. Nach dem Krieg wandten sich die Briten immer mehr den USA zu, um eine weitere Militäroffensive gegen die Sowjetunion zu forcieren, welche schließlich im Kalten Krieg ihren Höhepunkt fand. (Vgl. ebd. 464ff.)

Die Beziehung zwischen Großbritannien und Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg zwar deutlich gebessert, trotzdem scheint es vor allem in Großbritannien noch teilweise einen „Drang“ zu geben, das heutige Deutschland mit dem ehemaligen Hitlerreich gleichzusetzen und immer wieder mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen. Erst seit dem Beginn des Irakkrieges und der damit verbundenen pazifistischen Haltung Deutschlands unter dem damaligen Außenminister Joschka Fischer hat sich vor allem die britische Medienlandschaft wieder etwas mehr im Sinne einer etwas objektiveren Berichterstattung hinsichtlich Deutschlands entwickelt. (Vgl. ebd. 468.)

58

5. DISKURSANALYSE – Untersuchung der medialen Berichterstattung rund um die Ereignisse Córdoba und Wembley

Nach einer ersten Aufarbeitung der relevanten Literatur und Theoriemodelle stellte sich die Frage, wie man Elemente kollektiver Erinnerungen und den damit auch verbundenen Identitäten empirisch fassen könnte. Die Analyse kollektiver Identitäten lässt sich kaum an einzelnen AkteurInnen festmachen, sondern erfordert ein breiteres Spektrum, welches mit dem Instrumentarium der Diskursanalyse sehr gut untersucht werden kann. Für eine Diskursanalyse nach Siegfried Jäger gibt es sechs Schritte, die man im Idealfall durchführen sollte, um eine sinnbringende Diskursanalyse durchzuführen. Um besser nachvollziehen zu können, wie ich für diese Masterarbeit vorgegangen bin, möchte ich kurz auf diese Punkte eingehen und sie in Bezug für das hier gewählte Thema stellen

a.) Begründung des Themas (Diskursstranges)

Die zwei primären Diskursstränge, die untersucht werden sollen, beziehen sich jeweils auf die Ereignisse rund um das Aufeinandertreffen der englischen und deutschen Fußballnationalmannschaft im Finale der WM 1966 in Wembley und auf das Spiel Österreich gegen (West-) Deutschland 1978 in Córdoba.

b.) Diskursiver Kontext / diskursive Ereignisse

In einem nächsten Schritt habe ich versucht, die jeweiligen „diskursiven Ereignisse“ in den einzelnen Printmedien zu erörtern. Da es jedoch äußerst schwierig war, alle anfallenden diskursiven Ereignisse in Zusammenhang mit der medialen Reproduktion beziehungsweise Aufarbeitung der beiden Fußballspiele in Wembley und Córdoba zu bringen, habe ich mich zu einer eigenwilligen Interpretation eines solchen diskursiven Ereignisses hinreißen lassen. Für die hier vorliegende Diplomarbeit verstehe ich daher das wiederholte Aufeinandertreffen der gegnerischen Mannschaften (England und Deutschland) von 1966 und von 1978 (Österreich und Deutschland) im Zuge eines Turniers (Qualifikationsrunden ebenso wie WM und EM) als ein Ereignis, welches in diesem Zusammenhang als diskursiv bezeichnet werden kann. Die Auswahl dieser Ereignisse wird in der folgenden Tabelle chronologisch aufgelistet:

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Tabelle 4: Auswahl der diskursiven Ereignisse

Diskursives Ereignis für das wiederholte Diskursives Ereignis für das wiederholte Aufeinandertreffen England - Aufeinandertreffen Österreich - Deutschland Deutschland WM Gruppenspiel 1978 in Argentinien WM Finale 1966 in England (Wembley)12 (Córdoba) WM Gruppenspiel 1982 in Spanien (Gijón) WM Gruppenspiel 1982 in Spanien (Gijón) WM Halbfinale 1990 in Italien (Turin) Freundschaftsspiel 1986 in Österreich (Wien) EM Halbfinale 1996 in England (London) EM Gruppenspiel 2008 in Österreich (Wien) WM Viertelfinale in Südafrika

(Bloemfontein)

c.) Materialcorpus

Für die hier durchgeführte Diskursanalyse wurden insgesamt 529 Artikel ausgewählt, die in Zusammenhang mit einem Ereignis interpretiert werden können, welches als diskursives Ereignis bezeichnet werden kann, um die Darstellung von Córdoba beziehungsweise Wembley in den österreichischen, deutschen und englischen Printmedien zu untersuchen. Von diesen 529 Beiträgen wurden schließlich 12 zur weiteren Bearbeitung ausgewählt und einer Feinanalyse unterzogen wurden. In der folgenden Tabelle (Tab.6) sind daher jene Tageszeitungen angeführt, die für die Diskursanalyse als geeignet erachtet wurden. Des Weiteren wird die Anzahl all jener Beiträge aufgelistet, die diskurstheoretisch erörtert wurden, zusätzlich enthält diese Übersicht eine Darstellung einiger biographischer beziehungsweise struktureller Daten des jeweiligen Mediums.

12 Wembley und Córdoba stellen hier die „Ausgangsereignisse“ dar, die nur der Vollständigkeit halber in der Tabelle angeführt werden. 60

Tabelle 5: Erfasste Tageszeitungen und Artikelanzahl13

Insgesamt Beiträge für die Tageszeitung Erstausgabe Auflage erfasste Feinanalyse14 Beiträge The „Daily Express“ 1900 639.690 140 2 The (Manchester) „Guardian“ / The 1821 380.000 50 2 Observer Bild Zeitung 1952 2.898.086 165 4 Kronen Zeitung 1900 818.440 123 2 Die Presse 1848 77.000 51 2

Zusätzlich wurden in diesem Arbeitsschritt auch sogenannte „Haupt- und Unterthemen“ des erfassten Diskursfragmentes untersucht.

d.) Auswahl geeigneter Artikel/Diskursfragmente für die Feinanalyse

In diesem Punkt ging es darum, Diskursfragmente zur Feinanalyse auszuwählen, deren Schwerpunkte entsprechend des jeweiligen Diskursstranges gesetzt waren. Des Weiteren erschien es hierbei wichtig, Verflechtungen mit anderen Diskurssträngen aufzuzeigen.

e.) Gesamtinterpretation f.) Synoptische Analyse

Im vorherigen Schritt der „Gesamtinterpretation“ ging es darum, die Ergebnisse der einzelnen Analysen zu interpretieren und jeweils isoliert von den Resultaten der anderen Auswertungen zu betrachten. Der letzte Arbeitsschritt verlangt jedoch eine zusammenfassende Analyse der betreffenden Diskursstränge in allen ausgewählten Medien.

13 Zahlen entnommen aus „Wikipedia, der freien Enzyklopädie“, http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Hauptseite. 14 Eine Übersicht über die entnommenen Beiträge findet sich im Anhang. 61

5.2. Auswahl der geeigneten Medien

Aufgrund des erschwerten Zugangs zu den älteren Ausgaben mancher Printmedien mussten einige Kompromisse getroffen werden. Die deutsche Boulevardzeitung „Bild“ sollte unbedingt für die Diskursanalyse miteinbezogen werden, jedoch war es kaum möglich, ältere Artikel online abzurufen. Lediglich ein paar wenige Ausgaben aus dem Jahr 2002 sind via Internet zugänglich. Für Artikel, die vor diesem Zeitpunkt erschienen sind, bleibt nur der Weg in die deutsche Nationalbibliothek. Da dies jedoch zu aufwändig gewesen wäre, habe ich hierfür Schützenhilfe aus Deutschland erhalten, indem mir eine Studentin aus München die einzelnen Artikel gescannt und zugeschickt hat. Für den österreichischen Medienraum wurden die „Kronen Zeitung“ sowie die „Presse“ hinzugezogen, da es hierbei auch keinerlei Schwierigkeiten mit der Beschaffung älterer Artikel gab. Weitaus komplizierter stellte sich jedoch wiederum der Zugang für die englischsprachigen Tageszeitungen dar. Da ältere Ausgaben oftmals mit einem enormen Kostenaufwand verbunden sind, der sich pro (!) Artikel mit ca. zwei Euro zu Buche schlägt, habe ich mich hierbei für den „Daily Express“ und den „(Manchester) „Guardian““ entschieden, da sich der Zugang zu diesen beiden Tageszeitungen verhältnismäßig eher einfacher gestaltete.15

In weiterer Folge habe ich jeweils fünf Ausgaben der einzelnen Tageszeitungen vor und fünf Ausgaben nach dem betreffenden Ereignis näher analysiert, wobei das Hauptaugenmerk grundsätzlich auf den Sportteil gelegt wurde.

5.3. Die mediale Reproduktion des Wunders von Wembley 1966

Der „Daily Express“ zählt ähnlich wie die britische „Sun“ oder die mittlerweile eingestellte „News of the World“ zu den Boulevardzeitungen in Großbritannien, welche vorwiegend in London publiziert werden. Anders als die ehrwürdige „Times“ oder der (Manchester) „Guardian“ geht es der Klatschpresse hauptsächlich darum, sensationswürdige Nachrichten zu verbreiten, deren Wahrheitsgehalt auch nicht immer bei 100% liegen muss.

Für die vorliegende Masterarbeit wurden, wie bereits kurz erwähnt, die beiden in Großbritannien erscheinenden Tageszeitungen „Daily Express“ und „The „Guardian““ für die

15 Als Boulevardzeitung hätte sich natürlich die britische Sun besser für die Medienanalyse geeignet, zumal die Sun mit meist noch skandalträchtigeren Schlagzeilen wirbt als beispielsweise der „Daily Express“. Da es jedoch nicht möglich war, Zugriff auf das Archiv der Sun von Österreich aus via Internet zu erhalten, konnte diese für die hier vorliegende Masterarbeit nicht verwendet werden. 62 mediale Diskursanalyse herangezogen. Der „Daily Express“ stellt eine typische britische Boulevardzeitung dar, die durch viele bunte Bilder, große Überschriften und Schlagzeilen bestechen. Insgesamt wurden vom „Daily Express“ 140 Artikel erfasst, die in den jeweils untersuchten Zeiträumen erschienen sind. Davon war es bei insgesamt 123 Beiträgen möglich, den Artikel einem bestimmten Autor oder einer Autorengilde namentlich zuzuordnen. Insgesamt zeichneten so 58 Autoren für diese Publikationen verantwortlich, wobei der Großteil dieser kaum mehr als einen Artikel veröffentlicht hatte. Lediglich fünf Autoren konnten im ausgewählten Zeitraum über fünfmal einen Beitrag (ko-)publizieren, 39 Personen gelang dies nicht Öfters als einmal und 20% (11 Personen) wurden damit belohnt, dass sie öfter als einmal aber weniger als fünfmal einen Beitrag im „Daily Express“ veröffentlichen durften. Um ein Ranking der „Top-Redakteure“ in den jeweiligen Tageszeitungen nach Häufigkeit ihrer Veröffentlichungen zu erstellen, wurden die einzelnen Beiträge „gewichtet“. Die Durchführung dieser Gewichtung entstand in Anlehnung an Schulz-Schaeffer, der sich dafür ausspricht, Ko-AutorInnenschaften mittels Teilbeträgen zu werten. (Vgl. Schulz- Schaeffer 2002: 1-9.) Ich habe daher jene Artikel, die von einer Einzelperson verfasst wurden, mit dem Wert „1“ gewichtet und solche, die als ein gemeinsames Arbeitsprodukt mehrerer Personen (ab zwei AutorInnen) kategorisiert werden können, wurden durch die Anzahl der beteiligten AutorInnen geteilt.16 Diese Auswertung hat ergeben, dass ein Kreis von lediglich 10% (fünf Personen) für nahezu 40% der erscheinenden Artikel verantwortlich war, während weitere 34% von einem Personenkreis veröffentlicht wurden, der aus insgesamt 39 Personen (70%) bestand. Die mit Abstand am häufigsten publizierten Beiträge stammen von Steve Curry, dessen Artikel 1982 ebenso abgedruckt wurden wie bei der WM 1990 und der Europameisterschaft 1996. Mit insgesamt 8 Beiträgen befindet sich Matt Law auf dem zweiten Rang, wobei es nicht verwunderlich wäre, würde er bald die Spitze übernehmen, da seine Publikationen größtenteils relativ neu sind und noch weitere folgen dürften. Auffällig ist, dass das scheinbare Markenzeichen von Steve Curry - er begann jeden Satz/Überschrift mit einem Kleinbuchstaben - im Zuge der WM 2010 von Paul Joyce übernommen wurde, dem es auch gelang, innerhalb der Berichterstattung zur Weltmeisterschaft in Südafrika fünf Artikel im „Daily Express“ zu platzieren. Auffällig ist auch, dass im „Daily Express“ sehr viele Beiträge, die im Zuge einer Ko-Autorenschaft entstanden sind, publiziert werden. Ian McKerron beispielsweise hat insgesamt vier Artikel veröffentlicht, jedoch keinen einzigen in Einzelautorenschaft.

16 Beispielsweise wird der Beitrag eines/r AutorIn, der/die diesen Aufsatz mit zwei weiteren Personen verfasst hat, mit dem Wert 0,33 (1/3) gewichtet. 63

Des Weiteren fällt bei einer Zeitung wie dem „Daily Express“ auf, dass Schlagzeilen in überdimensional großen Lettern das Titelbild prägen. Auch im Blattinneren dominieren riesige Überschriften, die sich sinngemäß nicht selten direkt an eine Person richten. So wurde im Zuge der WM 2010 dem englischen Nationaltrainer durch ein freundliches „Cheers Fabio“ viel Glück für das Spiel gegen Deutschland gewünscht oder dem Spieler Wayne Rooney unmissverständlich mitgeteilt, dass ein Sieg gegen die Deutschen zu seiner nationalen Pflicht gehörte: „Your country needs Roo“ („Daily Express“, 27.06.2010). Auch die Bildung eines gemeinsamen Kollektivs und die Verbindung zwischen Nation – Fußballmannschaft – Fans werden bereits in den Headlines deutlich ersichtlich. So war man sich vor dem Match gegen Deutschland 2010 sicher „We will not be bullied“ („Daily Express“, 27.06.2010), ebenso als man sich 1996 überzeugt zeigte „We’ ve softened up Berti’s boys“ („Daily Express“, 25.06, 1996). Dass das erneute Aufeinandertreffen Englands mit dem „old enemy“ Deutschland eine ganze Nation lahmlegen würde, verkündete der „Daily Express“ am 24.06.2010 mit den Worten „A nation shuts down as the party begins“. Gerne bedient sich der „Daily Express“ auch immer wieder Kriegsmetaphern, die entweder dazu führen, dass die Spieler zu Kriegern werden, oder der englische Mittelfeldspieler Paul Gascoigne während der WM 1990 in Italien zum General erklärt wurde. Auch vor einem Vergleich der Spieler mit Gott scheute sich der „Daily Express“ ebenso nicht wie vor einer metaphorischen Krönung des Torwarts Peter Shilton.

Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass der „Daily Express“ einen äußerst aggressiven Sprach/- beziehungsweise Schreibstil verfolgt, um so insbesondere bei Fußballveranstaltungen, die eine nationale Angelegenheit präsentieren, gegen andere Mannschaften mobil zu machen. Um die Eigentümlichkeiten dieser Tageszeitung besser sichtbar zu machen und auch um die mediale Reproduktion des Wunders von Wembley 1966 näher zu analysieren, habe ich mich in einem weiteren Schritt dazu entschlossen, eine Feinanalyse durchzuführen, für welche ich insgesamt vier Artikel aus dem „Daily Express“ herangezogen habe, drei aus dem (Manchester) „Guardian“ sowie Beiträge aus der deutschen Bild Zeitung.

Die deutsche Bild-Zeitung ist ebenfalls eine Boulevardzeitung, die sich in Deutschland großer Beliebtheit erfreut. Anders als beispielsweise beim „Daily Express“ gibt es jedoch kaum Artikel, die eindeutig einem Redakteur oder einem Autor zuordenbar sind. Typisch für eine Boulevardzeitung wie der „Bild“ ist die Vermischung eines Berichts, der objektiv gestaltet sein sollte, mit einem Meinungsartikel beziehungsweise einer Kolumne. Nicht selten sind es 64

Stars und Sternchen aus der Fußballwelt, die sich als Kolumnisten in der „Bild“ versuchen, um über ihre Sicht der Dinge zu berichten. Der (Manchester) „Guardian“ ist anders als der „Daily Express“ keine Boulevardzeitung, sondern vielmehr das Sprachrohr von Studenten, Professoren und grundsätzlich liberal gesinnten Briten. Ursprünglich wurde der „Guardian“ in Manchester verlegt, nach seinem Umzug nach London und einer zunehmend nationaleren Orientierung wurde schließlich auf den Beinamen „Manchester“ verzichtet. Der „Guardian“ zeigt sich äußerst EU-freundlich und konnte sich vor Jahren sogar für die Idee einer britischen Republik erwärmen. Dies wäre für den „Daily Express“ beispielsweise undenkbar, da die meisten seiner Ausgaben auf Geschichten aus dem Königshaus basieren, die den Nährboden vieler Beiträge und Klatschspalten bilden. (Vgl. British Newspaper Online, 2011.) Noch im Jahr 2007 waren etliche Artikel und auch Titelstories des „Daily Express“‘ beispielsweise der verstorbenen Lady Diana gewidmet sowie auch unzählige Beiträge gestaltet, die sich mit der Herzensdame von Prinz William, Kate Middleton, beschäftigten. Der „Guardian“ hingegen, der im Jahr 1966 durchschnittlich nur einen Umfang von 16 Seiten aufweisen konnte, war im Jahr 1990 fast dreimal so umfangreich, da zunehmend auf Themen wie Politik, Wirtschaft und das internationale Geschehen eingegangen wurde. Zudem sind die letzten Seiten des „Guardian“s jedoch teilweise mit Werbeeinschaltungen gefüllt wie auch mit unzähligen Stellenangeboten. Eine große Besonderheit des „Guardian“s ist auch, dass er sonntags nicht in gewohnter Form erscheint, sondern durch seine Schwesterzeitung, den „Observer“, „ersetzt“ wird. Obwohl beide Zeitungen der „Guardian“ Media Group angehören, ist der Observer kein bloßer sonntäglicher Abklatsch des „Guardian“s, sondern weist teilweise eine durchaus konträre Positionierung auf. So befürwortete und unterstützte der Observer im Jahr 2003 beispielsweise die Teilnahme Großbritanniens am militärischen Einsatz gegen den Irak. (Vgl. British Newspaper Online, 2011.) Für die hier vorliegende Arbeit wurde der Observer dem „Guardian“ jedoch gleichgesetzt, da es insbesondere für den Sportteil eine klare, gemeinsame Linie zu geben scheint. Leider hat es sich als äußerst problematisch erwiesen, einen Zugang zu den jüngsten Artikeln des „Guardian“s über das Spiel Englands gegen Deutschland im Zuge des WM-Viertelfinales in Südafrika 2010 zu finden, weshalb auf diese verzichtet werden musste. Aus diesem Grund wurden vom „Guardian“ beziehungsweise dem Observer Beiträge zu den genannten diskursiven Ereignissen von 1966 bis 1996 analysiert, woraus ein Umfang von insgesamt 50 Artikeln entstanden ist, von denen insgesamt 42 namentlich dem Autor / der Autorin zugeordnet werden konnten. Auffällig ist, dass es innerhalb des gewählten Untersuchungszeitraumes lediglich einen Beitrag gab, der im Zuge einer Doppelautorenschaft entstanden ist. Insgesamt war es immerhin 12 Personen möglich, einen Artikel für die Zeitung

65 beizusteuern, sechs hingegen gelang dies sogar öfters als einmal. Für unglaubliche 35% der Artikel, das sind 15 Beiträge, zeichnete jedoch eine einzige Person verantwortlich: David Lacey, der bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2002 als Fußballkorrespondent des „Guardian“ im Einsatz war. Bereits 1966 berichtete Lacey über die Fußballweltmeisterschaft, indem er nach dem Finale öffentlich über die Zukunft des Englischen Managers Alf Ramsey sinnierte. Etwas erstaunlich ist jedoch, dass just in dem Moment, als England sich als neuen Fußballweltmeister feiern durfte, der „Guardian“ in kürzester Zeit begann, sich mit der NS- Vergangenheit Deutschlands auseinanderzusetzen. Als äußerst liberales und sehr links- gesinntes Medium schien es dem „Guardian“ ein Bedürfnis zu sein, nochmals auf die unrühmliche Geschichte des Verlierers hinzuweisen. So erschien am 05.08.1966 ein Artikel mit der Überschrift „A Germany ashamed of its past“ und am 10.08.1966 ein Beitrag, der sich die Frage stellte, „Can the Jews coexist with the Germans?“. Obwohl der „Guardian“ grundsätzlich weniger zynisch auf die Vergangenheit Deutschlands verweist, als es beispielsweise im „Daily Express“ der Fall ist, und ein Aufeinandertreffen zwischen der englischen und deutschen Fußballmannschaft nicht mit einer Rückkehr zur alten Kriegsfehde gleichgesetzt wird, wurde die Schuldfrage Deutschlands als Nachfolgestaat des Hitlerreiches doch gern diskutiert. Im Zuge der Feinanalyse wird jedoch noch zu zeigen sein, inwiefern sich die beiden Zeitungen von einander hinsichtlich der historischen und insbesondere der „fußballerischen“ Reproduktion der Geschehnisse rund um Wembley 1966 unterscheiden.

Der „Daily Express“ wie auch der (Manchester) „Guardian“ präsentieren beide nationale Tageszeitungen Großbritanniens, wenngleich die Sitze aller großer Zeitungen des Landes in der englischen Hauptstadt London konzentriert sind. Nach Norbert Elias wies die englische Medienlandschaft in den 50er Jahren einige Besonderheiten im Vergleich zu jener anderer Ländern auf. Trotz der auch in England beziehungsweise Großbritannien vorherrschenden sozialen Gegensätze gibt es eine Art „common sense“, der sich über lokale wie auch gesellschaftliche Disparitäten hinwegsetzen kann. In England gibt es ein äußerst starkes Wir- Ideal, das bestimmt, was ein Engländer zu tun hat und vor allem auch wie. Der berühmte „English way of life“ besteht aus einer Unzahl von Codesignalen, deren fehlerfreie Entschlüsselung wohl nur einem „echten“ Engländer möglich sein dürfte. Diese kulturelle Eigentümlichkeit, die darauf beruht, dass es einer großen Anzahl von Personen möglich ist, solch versteckte Nachrichten beziehungsweise Botschaften in einem Kommunikationsprozess richtig zu interpretieren, könnte im Rahmen eines „Sender-Empfänger-Modells“ verstehen,

66 welches von den Kulturwissenschaften gerne zur Erklärung solcher Phänomene herangezogen wird. Auch Scheuble und Wehner verweisen auf die enorme Kraft von solchen „Codes“, die unabhängig von sozialer oder politischer Herkunft vom Kollektiv entschlüsselt werden können (vgl. Scheuble/Wehner 2006: 28). Elias sieht in diesem einheitlichen WIR-Ideal der Engländer, welches sich äußerst stabil und stark moralisch gefärbt präsentiert, eine Möglichkeit, um auf die öffentliche Meinung zu wirken. Seiner Ansicht nach bedingen sich die öffentliche Meinung in England und insbesondere die Bevölkerung im Großraum London gegenseitig. Die Gründe hierfür liegen nach Elias in der starken Urbanisierung Englands, den alten Traditionen und im Fehlen einer Bauernschaft. Letzteres bedeutet, dass es anders als beispielsweise in Deutschland keine Bauern an sich gibt, sondern lediglich Farmer, deren Kultur und Gebräuche sich nicht wesentlich von jenen der Großstädter unterscheiden. Eben diese Dinge prägen somit nicht nur die öffentliche Meinung in England, sondern vor allem auch deren mediale Präsentation. Elias führt hier als Beispiel an, dass sich das insulare Großbritannien nie als Angreifernation verstanden hat, sondern viel eher andere als eine solche verdammt hat. Unter anderem begründet sich auch der nationale Stolz der Engländer auf dieser Selbsteinschätzung, die nahezu einem Mythos gleicht. (Vgl. Elias 2006: 64ff.) Dies lässt sich auch bis zu einem gewissen Grad in den Beiträgen der hier untersuchten Tageszeitungen feststellen. Headlines wie „The English genius – the German destroyer“ (The „Guardian“, 23.06.1996) oder der berühmte “march on Wembley” (The „Guardian“, 24.06.1996), wie das Auftreten der deutschen Nationalelf gegen die englische Auswahl im Zuge der WM 1996 gerne bezeichnet wurde, lassen darauf schließen, dass sich England nicht in der Rolle des Angreifers sieht. Trotzdem wird deutlich, dass sich England als eine Fußballnation doch gerne aggressiver und auch angriffslustiger präsentiert. Titelstories wie „Bulldogs will put the bite on Germany“ („Daily Express“, 29.06.1982), “Mighty Pearce is English bulldog” („Daily Express“, 24.06.1996) oder auch die ständigen Werbeeinblendungen des Actionthrillers “The Rock”, die der „Guardian“ im EM-Jahr 1996 immer wieder unter die einzelnen Beiträge zur Fußballeuropameisterschaft platzierte, lassen vermuten, dass sich die öffentliche Meinung hinsichtlich der englischen Fußballnation durchaus an diesen Metaphern orientiert. So könnte man der Interpretation folgen, England würde sich selbst als eine uneinnehmbare Festung im Weltfußball betrachten, zu deren Verteidigung die Spieler, die man anscheinend wie Hunde abrichten sollte, bestellt beziehungsweise auserwählt worden wären. Zugegeben, diese Interpretation ist nun doch ein wenig zu übertrieben und überspitzt ausformuliert, doch in ihrem Kern steckt der eigentliche Wesenszug der englischen öffentlichen Meinung. Egal ob ein eher faktenbasierendes und tatsachenberichtendes Medium

67 wie der Manchester „Guardian“ über etwas berichtet, oder ob der „Daily Express“ eine Meldung herausgibt, die eher einer Sensationsstory gleicht, als einer ernstzunehmenden Informationsquelle, ein gemeinsamer Grundtenor bleibt erhalten. Das enorme Gemeinschaftsgefühl und das äußerst gefestigte WIR-Ideal der Engländer finden sich auch in den unterschiedlichsten nationalen Medien wieder. Elias hat dieses gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis der öffentlichen Meinung in England und der Bevölkerung an sich bereits in den 60er Jahren aufgegriffen. Obwohl beispielsweise Universitätsprofessoren eher dazu tendieren, den „Observer“ zu lesen und Menschen, die sich an Unterhaltungsbeiträgen erfreuen, eher zum „Daily Express“ greifen würden, lassen sich doch gemeinsame Grundinteressen festmachen. Über das, was man gelesen hat, wird gesprochen, diese „außerordentliche Vereinheitlichung oder Integrierung des britischen Volkes und seiner Meinungsbildung“ (Elias 2006: 73) stellt somit eine wichtige Eigentümlichkeit der Insulaner dar, die auch für die hier durchgeführte Medienanalyse nicht außer Acht gelassen werden darf.

5.3.1. Wembley als Ort zur Gedächtniskonstruktion

Dass der Sieg der englischen Nationalmannschaft 1966 gegen Deutschland auf dem heiligen Boden in Wembley ein historisches Ereignis sein würde, erkannten die Tageszeitungen sehr schnell und schienen von dort an bemüht, den Mythos vom legendären Sieg aufrecht zu erhalten wollen. Der Triumph Englands über den Erzfeind war lange Gesprächsthema Nummer eins, nicht nur unter den insularen Fußballfans, wie eine Karikatur der „Daily Express“ vermuten ließ.

Abbildung 1: Karikatur vom 01.08.1966 in der „Daily Express“

Jahrzehnte später schien diese fußballerische Heldentat jedoch vor allem in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts vergessen, vielmehr präsentierte sich das Trauma vom Elfmeterschießen als ständiger Begleiter der englischen Nationalmannschaft. Die Angst der Engländer vor dem 68

Penalty-Schießen liegt vor allem im Halbfinale der Weltmeisterschaft 1990 gegen Deutschland begründet, als alle Finalträume durch zwei verpatzte Elfmeterschüsse jäh zerplatzten. Die Tragik daran ist, dass es England danach kaum jemals mehr gelang, ein Elfmeterschießen für sich zu entscheiden, so auch bei der EM 1996, als man wiederum im Halbfinale gegen Deutschland im Penalty-Schießen den Kürzeren zog. Bei der „Voranalyse“ zur eigentlichen Diskursanalyse ist die Präsenz dieser Thematik vor allem im „Daily Express“ unübersehbar.

Entsprechend Siegfried Jägers „Idealanleitung“ zur Diskursanalyse habe ich zu allererst eine sogenannte „Überblicks- beziehungsweise Strukturanalyse“ durchgeführt, indem das gesamte Materialcorpus erfasst wurde und jedem Artikel Hauptthemen und Unterthemen zugeordnet wurden (vgl. Jäger 2009: 192). Für den „Daily Express“ bedeutet dies, dass insgesamt 140 voranalysierte Artikel mit 14 Hauptthemen und 83 Unterthemen verschlagwortet wurden. Hierbei stellte sich heraus, dass in den jeweils untersuchten Zeiträumen Artikel dominieren, die auf Emotionen wie auch auf die Verbindung zwischen Nation und Sport hinweisen. In der folgenden Abbildung sind nun alle Unterthemen aufgelistet, die aus den 140 erfassten Beiträgen herausgefiltert wurden. Zusätzlich gibt die Graphik wieder, wieviele Unterthemen den jeweiligen Hauptthemen zugeordnet wurden.

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Darstellung des themenspezifischen Materialcorpus - Daily Express 12

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2 Anzahl der Unterthemen 0

Abbildung 2: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen im „Daily Express“, die einem Hauptthema zugeordnet werden können.

Man kann dieser Abbildung entnehmen, dass Themen, die sich auf Heldentum oder den Sport als Nationalangelegenheit beziehen, dominieren. Etwas verwirrend ist vielleicht das Unterthema, welches als „Spielbeschreibung“ betitelt wurde. Damit sind die oftmals äußerst subjektiv gefärbten Beiträge diverser Redakteure gemeint, in denen sie ein Spiel grob hin als „Drama“, „Glücksspiel“ oder dergleichen bezeichneten.

Die Themendominanz in der deutschen „Bild“ präsentierte sich doch ein wenig anders. Wie für Boulevardzeitungen üblich, wurden zwar sehr oft Themen angeschnitten, die sich in irgendeiner Weise unter dem Sammelbegriff „Emotionen“ zusammenfassen ließen, jedoch waren derart feindselige Kriegsmetaphern, wie sie der „Daily Express“ benutzte, eher weniger zu finden. Lediglich das Spiel 1996 gegen die englische Mannschaft im Zuge der EM wurde als „Schlacht von Wembley“ (Bild, 27.06.1996) bezeichnet und in den Tagen zuvor der historische „Sturm“ auf Wembley prognostiziert. Auffällig bei der „Bild“ war jedoch der ständige Verweis auf ausländische Pressestimmen und Meinungen internationaler Experten, die sich meist darin einig waren, in Deutschland die bessere Mannschaft zu sehen. Zudem verwies die „Bild“ sehr oft auf andere Themen im Zusammenhang mit den Spielen, wie zum Beispiel auf den Einfluss von Glücksbringern oder falschem Aberglauben an den 70

Spielausgang.

Die Hervorhebung des ganzen Nationalteams und des einzigartigen „Teamspirits“ war vor allem im WM-Jahr 1966 in den englischen Medien zu spüren, als die Spieler als Helden der Nation gefeiert wurden. Auch die ständige Reproduktion Englands als Mutterland des Fußballs war hier auf ihrem medialen Höhepunkt. Das berühmte Wembley-Tor wurde vom „Daily Express“ ebenso wenig thematisiert wie vom Manchester „Guardian“. Die deutsche Frankfurter Allgemeine Zeitung jedoch widmete einige ihrer Beiträge der Analyse des strittigen Tors. Grundsätzlich war die Stimmung jedoch von äußerst positiven Emotionen erfüllt, auf deutscher wie auch auf englischer Seite. Vor allem Geoffrey Hurst wie auch Alf Ramsey wurde ein hoher Tribut gezollt ebenso wie Franz Beckenbauer, den man auch in den englischen Medien verehrte. Ein gegenseitiger Respekt zeichnete diese Phase der Fußballberichterstattung aus, der jedoch bereits 1982 während der Weltmeisterschaft in Spanien verloren ging. Der „Daily Express“ begann in dieser Zeit bereits damit, die Deutschen zu diffamieren und ihnen jegliches Können abzusprechen. Nur die deutsche Organisation und Taktik wurden gelobt, die jedoch in Hinblick auf ein Aufeinandertreffen mit England ob der Schnelligkeit der englischen Spieler keinerlei Einfluss auf das Spielergebnis haben würden. Die Deutschen wurden gerne als arrogant und langweilig bezeichnet, während sich die Engländer rühmten, das beste Team aller Zeiten hervorgebracht zu haben. Nachdem das Spiel der beiden Mannschaften jedoch mit einem faden 0:0 endete, stürzte sich der „Daily Express“ auf den Skandal rund um das Match zwischen Österreich und Deutschland, welches einen „schändlichen Betrug“ dargestellt hatte. 1990 hingegen war die mediale Haltung zu Deutschland vor dem Spiel gegen England wieder durchaus positiver. Ob es damit zusammenhing, dass der vielumschwärmte Franz Beckenbauer zu dieser Zeit Trainer des deutschen Teams war, sei dahingestellt. Fest steht jedoch, dass im Vorfeld zu dieser Partie immer wieder die deutsche Disziplin und Taktik gelobt wurden, wie auch viele historische Verweise auf die gemeinsame Geschichte der beiden Nationen entstanden. Das Spiel wurde zu einer Nationalangelegenheit ausgerufen, und wieder einmal herrschte die englische Siegessicherheit vor. Nach der Niederlage gegen Deutschland zeigte man sich zwar enttäuscht, da der Gegner nur durch Glück gewonnen hätte, das wahre Ausmaß dieser Begegnung präsentierte sich jedoch erst beim erneuten Aufeinandertreffen im Halbfinale der Europameisterschaft 1996. Der Stachel der Verzweiflung und Wut ob des verlorenen Finaleinzugs in Turin 1990 saß tief, und Rache schien hierfür das geeignetste Mittel zu sein. Terry Venables, der englische Nationaltrainer 1996, erinnerte an den großen Triumph in

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Wembley 1966 und ließ über den „Daily Express“ verkünden: „We are ready to make history“ („Daily Express“, vom 24.06.1996). England zeigte sich vom Triumph über den alten Gegner überzeugt und zum ersten Mal wurden kriegsähnliche Zustände prophezeit. Die deutsche „Bild“ hingegen prophezeite der englischen Mannschaft einen einzigartigen Niedergang und spottete über ihre bisherigen Leistungen im Turnier. Schlagzeilen wie „Bobby ein Flachmann, Franz ein Weltmann“ (Bild, 04.07.1990) zeugten von der enormen Spannung in den Tagen zuvor. Unter der Headline „Torjäger Lineker ganz schön frech: Gute Nacht, Herr Kohler!“ (Bild, 04.07.1990) sprach sich die deutsche „Bild“ jedoch deutlich gegen die von der englischen Presse geliebten Kriegsmetaphern aus, die als äußerst peinlich empfunden wurden. In England sprach man vom „Fußballkrieg“ und arbeitete medial an der geeignetsten Kriegsführung für die Schlacht gegen Deutschland. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass es eine nationale Notwendigkeit sei, die Deutschen zu besiegen, um dem Schmerz und der Trauer, die seit den zerplatzten Träumen von 1990 auf England lasteten, zu entkommen. Obwohl auch der heroische Sieg von 1966 durchaus medial aufgegriffen wird, schien doch der Rachegedanke an Turin den medialen Blätterwald zu beherrschen. Nach dem abermaligen Scheitern an Deutschland 1996 in der eigenen „Ruhmeshalle“ zu Wembley war die Feindschaft zwischen den beiden Mannschaften von den Medien nun endgültig proklamiert worden. Der „Daily Express“ bemühte sich, die positiven Aspekte an der erneuten Schmach herauszuarbeiten, doch der neuerliche Verlust eines Finaleinzugs durch ein Elfmeterschießen vernarbte sich in der englischen Fußballgeschichte. Diese Entwicklung ist insofern interessant, als dass man sich vor Augen führen muss, dass etwaige Erfolgserlebnisse in der englischen Geschichte bereits Mangelware waren. Nach dem zweiten Weltkrieg musste sich England schweren Herzens damit abfinden, dass die europäische Vormachtstellung ein für alle mal passé war. Deutschland beziehungsweise die BRD sonnten sich als Nachfolgestaat des ehemaligen Nazi-Reiches im Licht des Wirtschaftswunders und enormen Aufschwung durch den Wiederaufbau. England beziehungsweise Großbritannien hingegen wurden mit der Gewissheit konfrontiert, als ein relativ unbedeutender Inselstaat aus dem 2. Weltkrieg hervorzugehen. Aus dem Wissen der eigenen Minderwertigkeit heraus musste der Sieg 1966 eine wahre Genugtuung für das krisengebeutelte England gewesen sein. Das allgegenwärtige Unterlegenheitsgefühl ob der Vormachtstellung Deutschlands in allen wichtigen Bereichen (EG, EWG später EU) musste sich jedoch auf die englische Gefühlsstruktur ausgewirkt haben. Im Zuge der WM 1990 war deutlich zu erkennen, wie sehr die sicherlich seit Jahren schlummernden und ungewussten Minderwertigkeitsgefühle durch eine Überbetonung der englischen Stärke und des Fußballnationalteams kompensiert wurden.

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Diese für England sicherlich schmachvolle Niederlage quälte die nationale Fußballseele nahezu 20 Jahre, bis 2010, im Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Südafrika Deutschland und England ein weiteres Mal aufeinander trafen. Im Vorfeld zu diesem Spiel wurde ersichtlich, wie sehr die verlorenen Penalty-Schießen ihre Spuren hinterlassen hatten. Der „Daily Express“ verfasste unzählige Artikel, die darüber berichteten, wie gut die Spieler auf das Elfmeterschießen vorbereitet seien und dass das damit einhergehende - seit nun mehr 20 Jahren bestehende - Trauma endgültig verarbeitet sei. Äußerst oft widmete der „Daily Express“ in dieser Zeit einem ganzen Spieler eine Seite oder mehr. Neben dem Nationalheld Wayne Rooney wurden jedoch insbesondere die zwei Torwarte Manuel Neuer und David James in den Mittelpunkt geschoben. Headlines wie „Now or Neuer for Nr.1 James“ oder „Oh no they are planning for penalties” weisen darauf hin, wie wichtig die Person des Torwarts war, die im Falle eines Elfmeterschießens zum Held einer ganzen Nation hätte werden können. Insgesamt wurde in neun Artikeln vor dem Spiel explizit das Penalty-Schießen diskutiert und über die Rolle des Torwarts gesprochen. Äußerst dominant präsentierte sich abermals das Thema der Rache, welches nun nicht nur mehr auf Turin 1990 bezogen war, sondern auch auf Wembley 1996. Es wurde anders als im 82er Jahr nicht mehr der Geist von Wembley 1966 beschworen, sondern vielmehr darum gekämpft, den bösen Geist von Turin zu vertreiben. Die Begegnung mit Deutschland wurde zum wichtigsten Nationalgeschehen dieser Tage erklärt und die Gewissheit, das beste englische Team aller Zeiten zu stellen, schien ungebrochen. Viele Beiträge wurden abermals der komplizierten Geschichte Englands mit Deutschlands gewidmet, und mehr oder weniger zufällig erschienen wiederum Artikel, die sich mit der NS-Vergangenheit der Deutschen auseinandersetzten. Der alte Gegner sollte nun endgültig besiegt werden, um König Wayne die Chance zum Regieren einzuräumen: „Time for Wayne to reign“ („Daily Express“, vom 26.06.2010). Der Untergang der englischen Nationalmannschaft gegen Deutschland am 27.06.2010 wurde in Folge vom „Daily Express“ anders dokumentiert, als dies beispielsweise noch 1990 oder 1996 der Fall gewesen war. Mit Verweis auf Wembley 1966 gratulierte man der jungen, dynamischen deutschen Mannschaft, die nach 44 Jahren Schmerz endgültig Rache üben konnte durch ein nicht gewertetes Tor, das ebenso fragwürdig war, wie jenes von damals. Diesmal überwogen Emotionen der Enttäuschung ob der unglücklichen Leistung der Nationalmannschaft und anders als sonst waren auch die Zukunftsprognosen eher düster. Man zollte den Deutschen Respekt und forderte die eigenen Spieler und insbesondere die dahinter agierenden Verantwortlichen auf, sich ein Beispiel am technisch und spielerisch überlegenen Gegner zu nehmen.

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Die deutsche „Bild“ kämpfte während der Welt- beziehungsweise Europameisterschaften ebenso mit aufrührerischen Schlagzeilen und Titelstories wie der „Daily Express“, wobei sie nicht ganz so hart agierte wie das englische Pendant. Über das Spiel zwischen Deutschland und England im Zuge der Weltmeisterschaft 1982 wurde von der Bild-Zeitung eher spärlich berichtet, da der Skandal des Österreich-Spiels im Vorfeld alles überschattet hatte. Auffällig war dabei jedoch die sich beinahe zu einer Paranoia entwickelnde Angst der deutschen Medien vor einer Unterwanderung durch englische Spione. Die Aufstellung der Mannschaft sollte so weit wie möglich geheim bleiben und die Trainingspläne wurden als „Geheimakten“ (Bild, 30.06.1982) bezeichnet, nach denen die schwächelnden Engländer strebten. In einem Artikel vom 29.06.1982 ließ man den ehemaligen Weltmeister Bobby Charlton zu Wort kommen, der wiederum auf das legendäre Spiel von Wembley 1966 verwies. Anders als die meisten deutschen Redakteure und Kolumnisten klammerte er in seinen Erinnerungen das umstrittene Wembley-Tor aus, welches jedoch von Franz Beckenbauer noch am gleichen Tag in der „Bild“ diskutiert wurde. Obwohl die Schlagzeilen kurz nach dem Spiel von einem „großen Kampf“ (Bild, 30.06.1982) sprachen und sich die „Bild“ bemüht schien, trotz des mageren 0:0 ein spannendes Spiel zu reüssieren, wurde immer wieder auf das Skandalspiel gegen Österreich und die damit verbundene Schande Deutschlands hingewiesen. 1990 sah die Welt schon wieder ein bisschen anders aus und die „Bild“ besann sich darauf, wiederholt die Stärke und Überlegenheit der deutschen Fußballnationalmannschaft zu präsentieren. Es hagelte Spott für die bis dahin schwach agierende englische Mannschaft, während die deutsche Auswahl mit Lobeshymnen überschüttet wurde. Ähnlich wie 1982 gab es jedoch eine schier unglaubliche Angst vor ausländischen Spionen, die die deutsche Taktik und den Geheimplan des Bundestrainers – Franz Beckenbauer – den Engländern zuspielen könnten. Das Jahr 1990 war nicht nur in der deutschen Fußballgeschichte einzigartig, sondern auch in jener der heutigen Bundesrepublik, da die Geburtsstunde der deutschen Einheit gefeiert werden konnte. Die „Bild“ gab daher dem zum Nationalhelden erkorenen Lothar Matthäus die Gelegenheit, den Sieg über England der gemeinsamen Nation zu widmen, was groß unter der Schlagzeile „Matthäus: Sieg auch für die DDR-Fans“ (04.07.1990) veröffentlicht wurde. Die Verbundenheit der Bild-Zeitung mit der deutschen Nationalmannschaft ist deutlich spürbar und man bekommt den Eindruck, sie würde als Sprachorgan für die gesamte Leserschaft agieren. Schlagzeilen wie „Unsere großen Spiele gegen England“ (04.07.1990), „Franz spricht aus, was wir alle denken: Wir lieben diese Elf“ (04.07.1990) oder „England, wir schlagen euch“ (25.06.2010) zeugen nicht nur von der großen Wir-Gemeinschaft, die von der „Bild“ propagiert wird, sondern auch von deren Beständigkeit über die Jahre hinweg. Um

74 die Spiele zwischen Deutschland und England eingängig zu beschreiben, hat die „Bild“ von Beginn an tief in die „Trickkiste“ gegriffen. Von „Klassiker“ über „Fußballfest“ bis hin zur „Schlacht für die Geschichtsbücher“ wurden sämtliche dramaturgische Register gezogen. Nicht selten blieben nüchterne Analysen und objektive Berichterstattung dabei auf der Strecke, zumal vor allem der „Tor-Klau“ von 1966 nicht aufhörte, die deutschen Gemüter zu erregen. Trotz der enormen Selbstsicherheit und Siegesgewissheit der „Bild“ und auch der deutschen Nationalmannschaft 1990 gab es immer wieder Spekulationen und Befürchtungen um eine Neuauflage des Wembley-Tors. Erschüttert zeigte sich die „Bild“ nach einem Interview mit dem Schweizer Schiedsrichter Gottfried Dienst von 1966, der rund 25 Jahre danach noch immer kein schlechtes Gewissen ob seiner fatalen Fehlentscheidung bekommen hatte. Auch wenn 1990 bereits immer wieder auf das Endspiel von 66‘ verwiesen wurde, waren Gedanken an Rache beziehungsweise Revanche medial noch nicht in dem Ausmaß verbreitet worden, wie es 1996 der Fall war. Die deutsche Mannschaft als „Wundertruppe“, „Lieblinge der Nation“ bezeichnet, rüstete sich im EM-Finale 96‘ für den „Sturm auf Wembley“. Die Bild-Zeitung sah in diesem Aufeinandertreffen nun endgültig die einmalige Chance gegeben, Rache am Tor-Klau und der ungerechten Niederlage von 66‘ zu nehmen. „Revanche für den Tor-Betrug“ (Bild, 25.06.1996), „Das Wembley-Tor und es war niemals drin“ (Bild, 25.06.1996) oder auch „Ich träume immer noch von Wembley“ (Bild, 25.06.1996) stimmten bereits im Vorfeld auf dieses historische Vorhaben ein und sorgten dafür, dass die traumatischen Erinnerungen an das verlorengegangene Finale nicht in Vergessenheit geraten hätten können. Um die schmerzhaften Fußballwunden zu lecken, eignete sich daher das Spiel gegen England auf heiligem Rasen, im heiligen Tempel zu Wembley („So wird der heilige Rasen gemäht“, Schlagzeile der Bild-Zeitung vom 27.06.1996), perfekt. Die Erstürmung Wembleys wurde von der „Bild“ akribisch geplant, und Taktik, Mannschaftsaufstellung und geheime Angriffspläne wurden unter Schlagzeilen wie „So will Berti Wembley stürmen“ (26.06.1996) medial aufbereitet. Nach der gewonnenen Fußballschlacht wurde der Sieg über die ganze englische Nation gefeiert, und die Titelseiten der folgenden Tage berichteten immer wieder über die heroische Tat des Teams. Nach dieser Schmach für die Engländer hätte das deutsche (mediale) Bedürfnis nach Rache gestillt sein können, dem war jedoch nicht so. Im Zuge des erneuten Aufeinandertreffen Deutschlands gegen England im Viertelfinale der WM 2010 sah die „Bild“ wiederum die historische Chance gekommen, Rache für das Wembley- Tor 1966 und die damit verbundene Niederlage der deutschen Nationalmannschaft zu nehmen. Immer wieder wurde auf die insbesondere seit 66‘ bestehende Fehde zum Erzrivalen hingewiesen und auch das in England viel diskutierte Elfmeterschießen wurde zunehmend

75 diskutiert. Mit viel Spott und Hohn berichtete die „Bild“ vorab von den Leistungen der Engländer und ihres Stars Wayne Rooney. Die englische Mannschaft wurde zum Wunschgegner der Deutschen erklärt, um den schier unersättlichen Rachehunger zu stillen. Charakteristischerweise berichtete die „Bild“ auch in den Tagen zuvor im typischen Boulevard-Stil über Frauenprobleme der englischen Spieler und deren Liebesnöten. Unter der Überschrift „Der Treue gegen den Fremdgeher“ (25.06.2010) verbarg sich ein Vergleich zwischen dem deutschen Spieler Thomas Müller und dessen rüpelhaften englischen Gegner Ashley Cole. Nach dem durchaus überlegenen Sieg der Deutschen über die Engländer und des nichtgegebenen Tor von Frank Lampard, zeigte sich die „Bild“ jedoch endlich versöhnt. Nach den noch etwas schadenfrohen Artikeln wie „Rache für Wembley: Schiri gibt dieses Tor nicht“ (Bild, 27.06.2010) oder „Was für eine WM-Schlacht! Was für eine geile Rache für Wembley“ (Bild, 27.06.2010) wurden auch freundlichere Stimmen laut, die die Engländer als äußerst faire Verlierer bezeichneten und vor allem ihre Zurückhaltung bei der doch relativ eindeutigen Fehlentscheidung des Schiedsrichters zugunsten der Deutschen lobten.

Die medial verbreitete Einstellung der „Bild“ zur englischen Fußballmannschaft blieb über die Jahre hinweg durchwegs die gleiche, man respektierte einzelne Spieler oder Funktionäre, lobte den besonderen Teamgeist, verurteilte im selben Atemzug aber dennoch die unvergesslichen Geschehnisse von 1966. Die Entwicklung des „Daily Express“ verlief weniger geradlinig. Anfangs wurde gegenseitiger Respekt gezollt, und insbesondere die Deutschen wurden für ihre Leistungen auch immer wieder positiv gelobt. Einer eher durchwachsenen Begegnung 1982 folgten zwei Aufeinandertreffen, die die Basis der Beziehungen zwischen Fußball-England und Deutschland bis 2010 schufen. Das Trauma des Elfmeterschießens und der dadurch immer wieder propagierte Rachefeldzug der Engländer trugen enorm zur Auflösung alter Freundschaften und Anerkennungen bei. Die mediale Resonanz auf diese Geschehnisse war groß, und so befand man sich über zwanzig Jahre hinweg in einem unausweichlichen Fußballkrieg, der 2010 durch die äußerst beschämende Darbietung der Engländer vorerst ein Ende fand. Diese Entwicklung lässt sich in ähnlicher, wenngleich auch deutlich abgeschwächter Form, auch im „Guardian“ nachvollziehen, wo bis zum Jahr 1996 folgende Themen dominierten:

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Darstellung des themenspezifischen Materialcorpus - Guardian 7 6 5 4 3 2 1 Anzahl der Unterthemen 0

Abbildung 3: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen im „Guardian“, die einem Hauptthema zugeordnet werden können.

Die Themenverteilung im „Guardian“ präsentiert sich, wie man dieser Graphik entnehmen kann, deutlich anders als jene im „Daily Express“. Der „Guardian“ schreibt kaum über Emotionen und wenn doch, dann nur über solche, die sich auf „Stolz“ oder „Enttäuschung“ in Hinblick auf die Mannschaftsleistung beziehen. Im Sinne Thomas J. Scheffs wird „Scham“ natürlich nie als solche bezeichnet, sondern gerne mit weniger kräftigen Worten umschreiben, weshalb auf Begriffe wie „Enttäuschung“, „Ernüchterung“ oder dergleichen zurückgegriffen wird. Zudem besticht der „Guardian“ weniger als der „Daily Express“ durch dramatische Überschriften, sondern versucht hauptsächlich, objektive Berichte zum Spielverlauf wiederzugeben. Auch in den „kritischen Jahren“ 1990 und 1996 war von den feindseligen Artikeln, die im „Daily Express“ in dieser Zeit erschienen sind, welche sich gegen die deutsche Nationalmannschaft wandten, nichts zu verspüren. Die Beiträge im „Guardian“ kamen ohne viel Dramaturgie aus und schienen bestrebt, eine durch und durch sachliche und auf Fakten basierende Berichterstattung zu liefern. Grundsätzlich gibt es in dieser Tageszeitung hauptsächlich Spielzusammenfassungen, die auch als solche verfasst wurden und keinen allzu emotionalen Gehaltswert beinhalten. Der „Guardian“ verzichtet komplett auf jegliche Kriegsmetaphern und auf diffamierende Darstellungen anderer Fußballnationen. Lediglich die erneute Niederlage 1996 gegen Deutschland im Penalty-Schießen wurde in der Schlagzeile als „Nervenkrieg“ bezeichnet. Anders als der „Daily Express“ zeigt der durchaus 77 selbstkritische „Guardian“ auch keine allzu tiefe Verbundenheit mit der Fußballnationalmannschaft und sieht sich nicht als ein Teil des kollektiven „We“. Der äußerst sporadische Einsatz des „Wir“ könnte durchaus auch im Zusammenhang mit der eher fachlich-geprägten Berichterstattung des „Guardians“ unter emotionssoziologischen Aspekten betrachtet werden. Das Fehlen des gemeinsamen „Wir“ kann als Indikator dafür interpretiert werden, dass der „Guardian“ nicht versucht, durch den gezielten Einsatz von Emotionen kollektive Identitäten zu stiften. Schlagzeilen, die an die schmachvollen Niederlagen erinnern, würden aus emotionssoziologischer Perspektive Wir-Gefühle ebenso begünstigen, wie jene, die auf heroische Taten der Fußballhelden verweisen. Dass der „Guardian“ zudem eher selten durch eine übertriebene Aufwertung des englischen Fußballnationalteams besticht, könnte zudem als „Beweis“ dafür gelten, dass es die Niederlagen der Jahre 1990 und 1996 nicht zu persönlichen Schamerfahrungen innerhalb der Autorenschaft beziehungsweise der Zeitung geführt haben und diese auch nicht übermäßig kompensiert werden müssten. Auffällig ist jedoch, dass es rund um die Person Franz Beckenbauers auch im „Guardian“ eine große Anhängerschaft zu geben scheint. So wird er nicht nur in fast jedem Beitrag mindestens einmal namentlich genannt, sondern erhielt auch die Möglichkeit, zweimal einen Artikel zum Fußballgeschehen in einer Ausgabe des „Guardians“ zu publizieren. Eine weitere Ähnlichkeit zwischen den beiden Zeitungen ist die Zunahme von Beiträgen im Jahr 1996, die sich rund um das Penalty-Schießen und die Rolle des Torwartes drehen. Es scheint fast so, als wäre die englische Obsession für alle Themen, die das Elfmeterschießen behandeln, endgültig im Zuge der Europameisterschaft in England begründet worden. Anders als der „Daily Express“ bevorzugt der „Guardian“ einen weitaus distanzierteren Schreibstil, welcher auf kein Naheverhältnis mit den Spielern oder Trainern hinweist. Auch wird den einzelnen Protagonisten kaum Platz zur persönlichen Präsentation eingeräumt, das Spiel an sich steht im Vordergrund. Und dieses Spiel beherrschen – nach der Ansicht des „Guardians“ – die Deutschen vorzüglich. Sie bestechen durch ihre Diszipliniertheit, Ordnung und Taktik, Eigenschaften, die trotz negativer Schlagzeilen auch vom „Daily Express“ gelobt wurden. Der „Guardian“ wagte sich jedoch an ein weitaus heikleres Thema heran, welches vom „Daily Express“ großteils totgeschwiegen wurde. Fanausschreitungen und Hooliganattacken wurden vom „Guardian“ immer wieder thematisiert, wobei einige Redakteure nicht müde wurden, darauf hinzuweisen, dass es sich bei den meisten Hooligans um Neonazis handelte. Hauptsächlich widmete der „Guardian“ sein Augenmerk im beobachteten Zeitraum jedoch auf Fakten, die sich sehr oft auf diversen Spielstatistiken und Zahlen stützten. Die Leserschaft des „Daily Express“ wäre von dieser Art der Berichterstattung wahrscheinlich eher enttäuscht

78 gewesen, da Sensationsstories, persönliche Schicksale oder etwaige Heldenepen keinen Platz im „Guardian“ finden. Während sich nach der Niederlage Englands gegen Deutschland der „Guardian“ damit befasste, Analysen und mögliche Prognosen für das Finalspiel abzugeben und sich voll des Lobes für die Ära Venables zeigte, schien es sich der „Daily Express“ zur Lebensaufgabe gemacht zu haben, einen Schuldigen für diese Misere zu finden.

Abbildung 4: Karikatur vom 28.07.1996 aus dem „Daily Express“

Wie der hier abgebildeten Graphik zu entnehmen ist, wurde auch prompt der englische Pechschütze Gareth Southgate zum Hauptverantwortlichen erkoren. Um scheinbar sicher gehen, dass auch wirklich jedermann ihn als den Schuldigen identifizieren konnte, wurde dieses Bild äußerst repräsentativ im Politikteil des „Daily Express“ platziert. Hier auf Seite neun der Ausgabe vom 28.07.1996 wurde nun dem Missetäter, Gareth Southgate, der Schande über das ganze Land gebracht hatte, vom ganzen Stolz der Nation, der englischen Marine, der Prozess gemacht. So übertrieben diese Graphik auch anmuten mag, so sehr stellt sie doch den grundlegenden Kurs dar, den der „Daily Express“ bevorzugt, der hier auch deutlich zeigt, dass die Engländer einen äußerst humorvollen Charakter haben und durchaus auch über sich selbst lachen können.

Auch die ständigen Racheparolen, die im „Daily Express“ vor allem nach den verpatzten Elfmeterschießen 1990 und 1996 gegen Deutschland publiziert wurden, dürften kaum den

79 englischen Grundtenor wiederspiegeln. Obwohl in beiden Tageszeitungen immer wieder vom Trauma des Penalty-Schießens die Rede ist, erscheinen etwaige Rachegelüste und Hasstiraden den Redakteuren des „Guardians“ fremd. Solche Rachegefühle können nach Scheff auf der Unterdrückung beziehungsweise Ignoranz gegenüber Emotionen der Scham beruhen. Demnach wird Scham in den modernen Gesellschaften grundsätzlich ignoriert wenn nicht sogar verleumdet. Diese Art der ungewussten Scham, die sich auf Helen Lewis bezieht, kann äußerst leicht zu Wut und im schlimmsten Fall zu Gewalttätigkeiten führen. Man kann hierbei von einer „shame-rage“ Spirale sprechen, die sich darin zeigen lassen kann, dass sich Menschen beispielsweise beschämt fühlen, darüber verärgert sind und sich wiederum über diesen Zustand der Wut schämen. Diese triple-spiral nach Lewis lässt sich unendlich oft weiterspinnen und wirkt dementsprechend wie ein Teufelskreis. (Vgl. Scheff 1994: 66-70.) Dass sich die englische Boulevardpresse, die sich recht eindeutig mit den Leistungen der Fußballnationalmannschaft identifizierte, sicherlich auch ob der verlorenen Spiele von 1990 und 1996 beschämt fühlte, ist nicht von der Hand zu weisen. Zusätzlich ist es nach Scheff unstrittig, dass Scham durchaus zu einer Eskalation von Konflikten führen kann. Die Heraufbeschwörung von ziemlich radikalen Rachegefühlen innerhalb der medialen Berichterstattung besonders im „Daily Express“ entspricht eindeutig dem von Scheff vorgelegten emotionssoziologischen Konzept. In diesem Sinne kann auch angenommen werden, dass durch das Schüren gemeinsamer Rachegelüste, die auf bereits kollektiv erlebten Schamgefühlen beruhen, Wir-Gefühle und identitätsstiftende Strukturen geschaffen werden.

Eventuelle Verschwörungstheorien des „Daily Express“‘, wonach das umstrittene und nicht gegebene Tor von Frank Lampard im Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Südafrika 2010 ein Racheakt für das Wembley-Tor von 1966 gewesen sein soll, ähneln früheren Verschwörungstheorien des „Daily Express“, als beispielsweise um den wahren Hintergrund des Todes der früheren Prinzessin Diana gemutmaßt wurde. Die Annahme, die Leserschaft des „Daily Express“ würde sich hauptsächlich unter Personen(gruppen) finden lassen, die lieber Geschichten als Tatsachenberichte lesen, wäre unter diesen Umständen daher nicht ganz haltlos.

5.3.2. Wembley 1966 als medialer Diskurs

Nun stellt sich jedoch die Frage, nachdem die einzelnen thematischen Schwerpunkte und auch ihre Unterthemen aufgearbeitet wurden, welche Artikel zur weiteren Feinanalyse herangezogen werden sollen. Auch hierfür liefert Jäger einen Kriterienkatalog, anhand dessen ein Auswahlverfahren getroffen werden kann. Für die Feinanalyse der Artikel, welche im 80

„Daily Express“ erschienen sind, habe ich daher zwei Beiträge gewählt, die m.E. eine schöne Verteilung der Hauptthemen aufweisen und auch den thematischen Schwerpunkt der Zeitung wiedergeben. Diese Beiträge repräsentieren die sogenannten Diskursfragmente, die nach Jäger „Texte oder Textteile [sind], [die] ein bestimmtes Thema behandel[n]“ (Jäger 2009: 159). Zur eingangs gestellten Frage, ob und wie die Ereignisse rund um Wembley 1966 und Córdoba 1978 medial reproduziert und in Folge einem öffentlichen Diskurs zugänglich gemacht werden, müssen vorab die einzelnen Diskursfragmente analysiert werden. Dazu werden in einem ersten Schritt, wie bereits erwähnt, geeignete Diskursfragmente ausgewählt und einer Feinanalyse unterzogen. Im Zuge der Feinanalyse müssen Rahmenbedingungen wie eine allgemeine Charakterisierung der Zeitschrift und ihrer Leserschaft, die graphische und inhaltliche Aufbereitung des Textes, sprachliche Mittel des Autors / der Autorin und vieles mehr berücksichtigt werden. Die Summe mehrerer Diskursfragmente gleichen Themas ergibt dann den sogenannten Diskursstrang. Jäger zufolge ist „[d]as allgemeine Ziel von Diskursanalysen […], Diskursstränge historisch und gegenwartsbezogen zu analysieren und zu kritisieren, wobei auch vorsichtige Aussagen über die weitere Entwicklung des Diskursstrangs in Zukunft möglich sein sollten.“ (ebd. 188). Obwohl es natürlich möglich ist, dass mehrere Diskursstränge ineinandergreifen, wird für die vorliegende Masterarbeit grundsätzlich nur der Diskursstrang „Wembley 1966“ vergleichend in einer englischen und einer deutschen Tageszeitung untersucht. Durch die Analyse eines gesamten Diskursstranges sei es nach Jäger auch möglich „diskursiv[e] Wirkung[en]“ (ebd. 170) darzulegen, die sich aufgrund der ständigen Reproduktion im kollektiven Gedächtnis eingenistet haben. (Vgl. ebd. 158-202.) Da eine erste überblicksmäßige Diskursanalyse bereits für den „Daily Express“, den (Manchester) „Guardian“ wie auch der Bild-Zeitung erfolgt ist, erschien es sinnvoll, für die weiterführende Feinanalyse Artikel heranzuziehen, die die Eigentümlichkeiten und Merkmale der Zeitung bestmöglich repräsentierten. Zudem wurden lediglich Beiträge aus dem „Daily Express“ beziehungsweise der „Bild“ analysiert, da diese Zeitungen aufgrund ihrer hohen Auflagen, ihres einfachen Sprachstils und ihrer Art der Berichterstattung am ehesten den durchschnittlichen Leser entsprechen und somit auch den größeren Einfluss auf das kollektive Gedächtnis bestimmter Personengruppen beziehungsweise Gemeinschaften ausüben können als beispielsweise der Manchester „Guardian“.

Die hier dargestellte Tabelle zeigt die ausgewählten Diskursfragmente für die Feinanalyse, welche dem „Daily Express“ entnommen wurden:

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Tabelle 6: Ausgewählte Diskursfragmente zur Analyse des Diskursstrangs „Wembley 1966“ im „Daily Express“

Diskursives Medium Artikel Autor Datum Ereignis Bulldogs will put WM-Gruppenspiel „Daily Express“ Steve Curry 29.06.1982 the bite on Germany 1982 in Gijón Salute these EM Halbfinale 1996 „Daily Express“ Kevin Moseley 27.06.1996 Wembley giants! in England

Am 29.06.1982 kurz vor dem Gruppenspiel Englands gegen Deutschland zeigte sich die englische Boulevardpresse äußerst siegessicher. Steve Curry, der, wie bereits erwähnt, für den Großteil der analysierten Artikel im „Daily Express“ verantwortlich zeichnete, verortete im erneuten Aufeinandertreffen der beiden Fußballgroßmächte die einzigartige Chance Englands, sich für den verpassten Halbfinaleinzug bei der WM 1970 zu rächen. Die Hauptintention des Autors scheint es zu sein, Möglichkeiten zur Wiedergutmachung beziehungsweise Rache für 1970 aufzuzeigen. Er wird nicht müde, nach Geheimwaffen und anderen Plänen zu suchen, um Deutschland zu besiegen. Um dies zu untermauern, greift er immer wieder auf Ereignisse zurück, die die Stärke Englands demonstrieren sollen. Der englische Teamspirit wird als ungebrochen dargestellt, trotz des Verletzungspechs einiger Mitspieler. Fast etwas dramatisch wirken die thematischen Überleitungen, die Curry als einsilbige Zwischenüberschriften platziert. Schlagwörter wie „Exciting“ oder „Respect“ dominieren das Bild. Schon die Überschrift „Bulldogs will put the bite on Germany“ lässt vermuten, dass sich der Autor ein äußerst hartes Spiel erwartet und schon fast animalische Rachegelüste zu hegen scheint. Wie ein roter Faden zieht sich ein bestimmtes Thema durch den insgesamt 124-zeiligen Artikel. Immer wieder bezieht sich Curry auf das besondere Kollektiv und den einzigartigen Teamspirit der Engländer. Obwohl er auch lobende Worte für die deutsche Mannschaft findet, deren Taktik und Organisationsstärke durchaus Beachtung verdiene, zeigt er sich dennoch von der englischen Überlegenheit ob des besonderen Zusammenhaltes überzeugt. England als Nation an sich wird immer wieder erwähnt und auch das besondere Verlangen der Engländer, Deutschland zu besiegen. Dass das Spiel gegen Deutschland nahezu eine nationale Angelegenheit zu präsentieren scheint, lässt vermuten, dass dieser Appell an das Nationalgefühl einen eigenen Diskursstrang darstellt. Um dieses Zugehörigkeitsgefühl zur englischen Nation im Moment der deutschen Bedrohung zu bestärken, zeigt sich Curry bemüht, an die gemeinsame Identität zu erinnern. Während es ihm über Zeilen hinweg gelingt, über einzelne Spieler und deren Leistungen zu berichten, träumt er zwischendurch doch immer wieder davon, dass „we“ erfolgreich sein können. Den Einsatz dieses „wir“ benutzt Curry äußerst sparsam doch durchaus effektiv. Einmal gebraucht er es in einem 82 einleitenden Satz, der, würde man ihn alleine betrachten, viel Raum für Spekulationen offen ließe. „We have waited a long time for this chance“ („Daily Express“, 29.06.1982) bedeutet im engeren Kontext lediglich, dass sich die englischen Fußballfans auf eine Revanche für das verloren gegangene Semifinalspiel von 1970 freuen. Zusätzlich könnte man hier wiederum ein Anzeichen dafür finden, dass die erlebte Schmach/Scham nicht offen angesprochen wird, sondern hinter anderen Worten versteckt wird. In einem weiteren Interpretationsrahmen könnte man auch annehmen, England als (Fußball-)Nation sähe endlich eine Chance, die Deutschen zu besiegen. Das Ende des Artikels leitet der Autor wiederum aus, indem er auf das Kollektiv-Pronomen „we“ zurückgreift: „And I believe these supercharged England stars are tonight going to give England her finest football moment since we beat the Germans to win the World Cup in 1966.“ („Daily Express“, 29.06.1982) Es fällt hierbei doch auf, dass Curry den Satz zwar mit den unpersönlichen „England stars“ beginnt, sich selbst jedoch schnell als Teil eines größeren Kollektivs betrachtet, dem bereits Jahre zuvor ein Sieg über Deutschland gelungen war. Zu welcher Gemeinschaft er sich hierbei jedoch zugehörig fühlt, bleibt dennoch unklar. Man könnte vermuten, dass es sich um England als Nation handelt, und er davon ausgeht, dass die gesamte englische Gemeinschaft einen Erfolg herbeisehnt. Grundsätzlich kann es sich hierbei jedoch nur um ein imaginiertes Kollektiv handeln, da Curry weder alle englischen Fans noch alle Engländer kennen kann. Er kann sich auch nicht auf die Gemeinschaft der Fußballer oder der Journalisten von 1966 beziehen, da er nachweislich keiner dieser Kollektive angehörte. Trotzdem verweist er auf den gemeinsam erkämpften Sieg von 1966 und appelliert so an ein kollektives Gedächtnis. Steve Curry scheint überzeugt zu sein, dass jene Gemeinschaft, der er sich zugehörig fühlt, mit der er eine Wir-Gruppe bildet, und mit der er sich identifizieren kann, weiß, von was er spricht, wenn er auf das Jahr 1966 verweist.

Diesen Bezug auf das legendäre Spiel in Wembley 1966 findet man auch in der Berichterstattung nach dem verloren gegangenen Spiel der Engländer gegen Deutschland im Zuge der Europameisterschaft 1996 wieder. Für den Artikel „Salute these Wembley giants“ zeichnet sich James Lawton verantwortlich. Anders als Steve Curry Jahre zuvor verzichtet James Lawton auf Unterüberschriften und dergleichen. Lawtons Artikel vernachlässigt gänzlich das Spielgeschehen an sich und stützt sich größtenteils auf eine Auflistung englischer Werte und Qualitäten. Einleitend berichtet er vom großen Katzenjammer und der Enttäuschung über das verlorene Spiel, um schon im nächsten Atemzug allen Kritikern an der Mannschaft die rote Karte zu zeigen. Über viele Zeilen und Absätze hinweg schmeißt Lawton

83 mit Gründen und Parolen um sich, die trotz der Niederlage von der Ehrenhaftigkeit und der „Englishness“ zeugen sollen. So greift er auch gerne auf die grammatikalische Form des Konjunktives zurück, um scheinbar zu demonstrieren, dass die Meinungen der Skeptiker nur eine Möglichkeit darstellen, jedoch auf keinerlei Tatsachen basieren. Kritikern, die denken könnten, die Niederlage gegen Deutschland würde auch das Ende des „nation hungry to feel good about itself“ („Daily Express“, 27.06.1996) bedeuten, entgegnet er äußerst subtil: „You may think that, but you would be wrong“ (ebd.). Solche Sätze, die mit der Implikation versehen sind, die Kritiker lägen falsch, finden sich immer wieder in Lawtons Artikel, und dienen jeweils als Überleitung für den nächsten Absatz. Ähnlich wie Curry setzt auch Lawton das „We“ äußerst sparsam und doch sehr nachhaltig ein. Zu Beginn des Artikels verwendet der Autor immer wieder gern das Indefinitpronomen „man“, um zu demonstrieren, dass er sich von manchen Personen abgrenzen möchte. Zugehörig zu einer Wir-Gruppe fühlt sich Lawton erst, als er auf das legendäre Spiel im „old stadium“ verweist, als Franz Beckenbauer und Bobby Charlton aufeinandertrafen. Es wird somit vorausgesetzt, dass die Gemeinschaft, der auch der Autor anzugehören scheint, sich noch immer in ehrfürchtiger Weise an die Ereignisse in Wembley 1966 erinnern kann. Für die Identitätsbildung dieser Wir-Gruppe scheint dieses Geschehnis immer noch von enormer Wichtigkeit zu sein. Die, die sich an diese Heldentat erinnern können, teilen demnach ein gemeinsames Gedächtnis, auf dem sie sich aufbauend als eine Wir-Gemeinschaft zusammengehörig fühlen und sich dementsprechend gegen andere, wie Kritiker, Skeptiker und Unwissende abgrenzen. Das „They“ sind diejenigen, die keine Ahnung von den Heldentaten des Jahres 1966 haben.

„Some doubted the value of this football jamboree, said it was an irrelevance. We should have bigger things on our minds. They should have been in the old stadium along with Bobby Charlton and Franz Beckenbauer as these legends of the world’s most popular game looked on stunned by the ferocity and the passion of what was happening before their eyes.” (ebd.)

Über das selbe Spiel berichtend zeigte sich die deutsche „Bild“ vom „historischen Sieg“ der „Schlacht von Wembley“ (Bild, 27.06.1996) beeindruckt (Schlagzeile: Schlacht von Wembley – Ein historischer Sieg). Anders als der englische „Daily Express“ benutzt die „Bild“ fast ununterbrochen das gemeinschaftliche „Wir“, wobei nicht immer klar ist, auf welche Gruppe sich dieses bezieht. Der hier unbekannte Autor scheint damit einerseits auf ein „Wir“ verweisen zu wollen, das sich auf die Gemeinschaft der Fußballfans beziehungsweise der Zuseher bezieht und andererseits wird der Eindruckt erweckt, diese imaginierte Gemeinschaft würde sich auf Gesamt-Deutschland ausbreiten. Teilweise wird das „Wir“ so flapsig verwendet, dass man nicht recht weiß, wen der Autor damit anzusprechen versucht. Gleich in 84 der dritten Zeile beginnt er mit „Wembley. Endlich unser Glückswort. Jaaaa, wir küssen diesen Rasen, jetzt. Wir umarmen unsere Männer“ (ebd.) Ob damit Gedankengänge der Spieler gemeint sein sollen, oder ob mit diesem „Wir“ symbolhaft ausgedrückt werden soll, Deutschland möge doch seine Helden in den sprichwörtlichen Arm nehmen, sei dahin gestellt. Auch die Anmerkung, „wir [dürfen] nochmals in Wembley spielen“ ist ein wenig verwirrend und überhaupt entsteht der Eindruck, die Leistung der Spieler wäre kein Individual- beziehungsweise Mannschaftsverdienst gewesen, sondern das Bravourstück einer ganzen Nation. Zwischenzeitlich wird jedoch wiederum ein „uns“ verwendet, dass eindeutig auf die Gemeinschaft der Fans beziehungsweise der seit 30 Jahren leidenden Deutschen referenziert, welches in diesem Fall die Spieler selbst nicht miteinbezieht: „Jetzt schenkt uns in Wembley auch den Titel“, „Anfangs haben wir voller Sorge auf unsere Mannschaft geschaut“. Lediglich zweimal in dem insgesamt 84-zeiligen Bericht erscheint das Verhältnis zur Nationalmannschaft ein wenig distanzierter. Mit „Jungs, auch wenn ihr humpelt“ und „Deutschland zum 1. Mal bei dieser EM im Rückstand“ zeigt sich, dass insbesondere bei negativ konnotierten Sätzen auf das gemeinsame „Wir“ verzichtet wird. Sprachlich beziehungsweise grammatikalisch besonders auffällig ist auch, dass sich der Autor bemüht, nie vollständige Sätze zu bilden. Meist fehlt ein Verb oder ein ganzer Satzteil, die für die richtige Verwendung der deutschen Grammatik jedoch nötig wären. Solche unvollständigen Sätze hat der Autor gern zu Beginn der einzelnen Absätze eingefügt, um möglicherweise Spannung zu erzeugen, oder schnell und einfach überzuleiten. Insgesamt beginnt er/sie vier Absätze mit dem Wort „Wembley“, das in fetten Lettern gedruckt, bereits nach einmaligem Hinsehen ins Auge sticht. Im Sinne einer Selbstanalyse wird im Artikel auch darauf verwiesen, dass Wembley „unser Gänsehaut-Wort“ sei. Es entsteht der Eindruck, dass der Sieg in Wembley viel mehr war als ein reines Sportereignis. Der Autor selbst gesteht sich ein, dass es in Wembley auch „um[s] Herz [ging]“ und ein Triumph über die englische Mannschaft an ihrem heiligsten Ort, der zudem die bitterste Niederlage für die Deutschen skizzierte, schien daher nicht nur eine große Herzensangelegenheit zu sein, sondern auch die Chance, endgültig dieses Trauma und den (man möchte fast sagen) „Fluch von Wembley“ abzulegen. Die Rachegelüste der Deutschen waren mit diesem Sieg über die Engländer jedoch noch nicht gestillt. Ein Artikel der Bild-Zeitung vom 27.06.2010 unter der Schlagzeile „Danke, Jungs! Das war unglaublich, Irre Rache für Wembley“, der am Tag nach dem gewonnenen Viertelfinalspiel über die Three Lions erschien, zeugt von dieser immer noch vorhandenen Sehnsucht nach Revanche. Glaubt man, dem wie immer unbekannten Autor der „Bild“, dann war dieser Sieg nun die ultimative beziehungsweise „geile Rache“ für Wembley.

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Anders als beim Bericht aus dem Jahr 1996 wird das kollektive „Wir“ hier eher spärlicher verwendet. Die Spieler und die Mannschaft stehen deutlich außerhalb der Gemeinschaft, die von der Leserschaft gebildet wird. Dicke Zwischenüberschriften, die gleichzeitig auch den Übergang zu einem neuen Kapitel markieren, zeugen von der enormen Erleichterung und Genugtuung, die dieser Sieg der ganzen Nation gebracht hat. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass sich der Autor persönlich bei den Spielern, die er freundschaftlich als „Jungs“ bezeichnet, bedanken möchte: „Danke Jungs, das war unglaublich“. Nachdem in traditioneller Bild-Manier nochmals auf diese historische WM-Schlacht verwiesen wird, fasst der Autor das Spiel wie folgt zusammen: „Deutschland demütigt England mit 4:1 und hat auch das verdiente Glück […]“. Dass der Autor lieber das Wort „Deutschland“ verwendet, anstatt den Begriff der deutschen Mannschaft oder des deutschen Teams zu verwenden, ist in diesem Artikel sehr auffällig. Relativ überraschend ist auch die Tatsache, dass im gesamten Beitrag nicht versucht wird, die Rechtmäßigkeit des nicht-gezählten englischen Tors zu bestreiten. Vielmehr wird dahingehend argumentiert, dass der Ball eindeutig hinter der Torlinie war und somit eigentlich zu Gunsten der Engländer gewertet hätte werden müssen. Es scheint jedoch, als würde der Autor in dieser Fehlentscheidung des Schiedsrichters eine Art kosmische Gerechtigkeit sehen, die das schicksalhafte Wembley-Tor verdientermaßen endlich korrigiert hätte. Dass das verpasste Endspiel 1966 für alle deutschen Staatsbürger bereits in der Berichterstattung der „Bild“ von 1996 ein einschneidendes Ereignis in der persönlichen Biographie darstellen musste, wird durch die ständigen unterschwelligen Verweise auf die Geschehnisse des Finales von 66‘ deutlich. Der Autor scheint davon auszugehen, dass die Gemeinschaft, derer er sich zugehörig fühlt, weiß, was damit gemeint ist, wenn er sagt, „Wir müssen wieder über ein Tor reden! Wie vor 30 Jahren.“ (Bild, 27.06.1996). Auch der weitere Hinweis auf das „legendäre WM-Finale 66‘“ ist wahrscheinlich nicht für jedermann eindeutig genug und lässt viel Raum für Spekulationen, was damit impliziert werden soll. Für die Gruppe der Leser, Fußballfans oder auch der Patrioten, die zusammen eine imaginierte Gemeinschaft zu bilden scheinen, an die sich der Autor wendet, dürfte es jedoch kein Problem sein, seinen Anspielungen zu folgen. Obwohl man für ein Fußballspiel den Regeln nach immer zwei Mannschaften braucht, die gegeneinander spielen, bemüht sich der Autor bei der Berichterstattung dieser „unglaubliche[n] Fußball-Schlacht“ die englische Mannschaft und ihre Spielleistung komplett auszusparen. Es scheint, dass die gelungene Rache für Wembley mehr Anlass zum Feiern gab, als der damit verbundene Finaleinzug und der mögliche Europameistertitel. Genau konträr präsentierten sich in diesem Punkt die englischen Medien, die auch immer

86 wieder auf die Taktik und das Organisationsgeschick ihres Gegners Bezug nehmen. Anders als Steve Curry versuchte James Lawton jedoch nicht, die Deutschen in irgendeiner Weise zu diskreditieren, sondern lobte vielmehr die deutsche Identität, die sich durch eine große technische Raffinesse auszeichnet. Das immer wiederkehrende Lob für die überragende Technik und Organisation der Deutschen schlägt sich in allen hierfür analysierten Artikeln wieder und scheint neben den oftmals negativ dargestellten Charaktereigenschaften der Nationalmannschaft einen eigenen Diskursstrang zu bilden, der aus englischer Sicht als „deutsche Nationalidentität“ bezeichnet werden könnte. Auch den Diskurs über das Englischsein, den wahren Engländer, die Ehre Englands und den Nationalstolz präsentiert Lawton in diesem Zusammenhang immer wieder gerne und die beiden Diskursstränge „England als Nation“ und „Fußball“ greifen abermals ineinander. Auffällig ist jedoch auch, dass Lawton den Diskurs um Wembley 1966 an verschiedenen Stellen des Artikels anspricht, wenngleich dies nur implizit geschieht. Er erwähnt das Jahr 1966 mit keinem Wort, doch jeder Fußballfan und vor allem jedes Mitglied der elitären Wir-Gemeinschaft, der auch Lawton angehört, weiß, worauf er sich bezieht. Der Diskursstrang rund um das Endspiel und den Sieg der Engländer gegen Deutschland baut somit auf einem unbewussten, kollektiven Gedächtnis auf und ist aufs Engste mit dem Diskurs um eine gemeinsame Wir-Identität verbunden. Der Artikel von James Lawton scheint das Ziel zu verfolgen, dieses Wir-Gefühl als Teil beziehungsweise Mythos der englischen nationalen Identität aufrecht erhalten zu wollen und ständig zu reproduzieren.

5.4. I wer narrisch!!!

Edi Fingers berühmt gewordener Sager begleitet nun seit über 30 Jahren - seit diesem denkwürdigen Spiel 1978 Österreichs gegen Deutschland - die Erzählungen und Legenden, die sich rund um das Wunder von Córdoba ranken. Nicht nur die österreichische auch die ausländische Presse greift immer wieder gerne auf diesen Ausspruch zurück, um auf das mittlerweile historisch gewordene Aufeinandertreffen der beiden „Erzrivalen“ hinzuweisen. Die deutsche „Bild“ schrieb im Zuge der EM 2008 „Heute werden wir narrisch“ (Bild, 15.06.2008) als Anspielung auf das erneute Aufeinandertreffen zwischen der österreichischen und deutschen Fußballnationalmannschaft nach 1978.

Um Córdoba und dessen mediale Reproduktion diskursanalytisch aufzuarbeiten, habe ich mich entschlossen, die österreichische Kronen Zeitung, die „Presse“ sowie die deutsche Bild-

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Zeitung heranzuziehen. Leider war es mir hierbei nicht möglich, jüngere Ausgaben dieser Tageszeitungen in Printform zu erlangen, weshalb für den Zeitraum 2008 jeweils die Online- Artikel zur Analyse verwendet wurden.17 Es hat sich hierbei insgesamt ein Pool von 174 Artikeln aus den österreichischen Tageszeitungen ergeben, von denen vier zur weiteren Feinanalyse genutzt wurden, zu der auch zwei Artikel aus der deutschen „Bild“ herangezogen wurden.

5.4.1. Medienlandschaft Österreich

Die Zeitungslandschaft in Österreich präsentiert sich bunt-gemischt zwischen Boulevardzeitungen, Qualitätszeitungen, Parteizeitungen und anderen. Typisch für Boulevardzeitungen ist, dass sie sich hauptsächlich über den freien Straßenverkauf finanzieren und nur einen äußerst geringen Anteil an Abonnements verkaufen. Ein weiteres Merkmal ist, dass Boulevardzeitungen oftmals sogenannte „Star-Kolumnisten“ (Binder 2007: 228) engagieren, denen ein nicht unbeträchtlicher Platz in der Zeitung eingeräumt wird, um ihre Meinung zu vertreten. Beispielhaft hierfür wären die Kolumnen von Hans Krankl oder in der Kronen Zeitung beziehungsweise die vielen Beiträge von Franz Beckenbauer und Max Merkel in der Bild-Zeitung. Die deutsche „Bild“ besticht generell durch den Umstand, dass Beiträge nur sehr selten namentlich einem bestimmten Autor zuzuordnen sind, wohingegen es einige Artikel gibt, die von diversen Berühmtheiten veröffentlicht wurden (beispielsweise Ernst Happel, Kevin Keegan, Franz Beckenbauer etc.). (Vgl. Binder 2007: 227-228.) Die Geschichte der Printmedien in Österreich lässt sich relativ weit zurückverfolgen, wobei erst die Entwicklungen nach 1945 für diese Arbeit wichtig erscheinen. Nachdem unter der nationalsozialistischen Herrschaft die meisten Tageszeitungen aufgrund der politischen Gesinnung eingestellt wurden, erlebten diese nach dem Zweiten Weltkrieg einen deutlichen Anstieg. Obwohl die Zeitungen, die direkt nach 1945 publiziert wurden, sehr durch die Besatzungsmächte geprägt waren und somit eher alliieren Parteizeitungen ähnelten, wurde hier doch die Basis für die heutige Medienlandschaft in Österreich geschaffen. Nachdem das Lizenzsystem und das Pressegesetz der Alliierten mit Ende Juli 1955 erloschen waren, erfolgte ein enormer Aufschwung der Presse in den Bundesländern. Der Abbau von den ehemaligen Parteizeitungen, die schon kurz nach dem Krieg auch von SPÖ, ÖVP und KPÖ verbreitet wurden, führte auch zu einem Anstieg der Boulevardzeitungen. Der „Wiener

17 Aus diesem Grund war es leider auch nicht möglich, für diese Zeitspanne die genaue Seitenangabe einzufügen, da bei Online-Artikeln darauf verzichtet wird. 88

Kurier“ hatte sich in Folge zu einem nach amerikanischen Vorbild aufgebauten Boulevardblatt entwickelt, und auch die „Neue Kronen Zeitung“ feierte erste Erfolge. Bereits 1971 hatte die Kronen Zeitung einen Marktanteil von nahezu 30%, welcher in den Folgejahren auf über 40% ausgebaut werden konnte (vgl. Steinmaurer 2002: 16-17). Ursprünglich war die Kronen Zeitung bereits 1900 gegründet worden, im Zuge der Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich wurde sie 1939 jedoch eingestellt. Als die „Krone“ am 11.04.1959 erstmalig wieder erschien, wurde sie von Hans Dichand, Franz Olah, Kurt Falk und Ferdinand Karpik herausgegeben. Die Entwicklung der „Krone“ zur Boulevardzeitung ist nicht allzu verwunderlich, wenn man bedenkt, dass Dichand zuvor bereits beim Kurier tätig gewesen war und versuchte, die „Krone“ nach dessen Vorbild aufzubauen. 1971, als die „Krone“ erstmalig die Spitzenposition unter den österreichischen Tageszeitungen einnehmen konnte, wurde der Kurier aus finanziellen Problemen just an Dichand verkauft. Rund ein Jahrzehnt später wurden trotz staatlicher Förderungsmittel weitere Parteizeitungen eingestellt, beziehungsweise als parteiunabhängige Tageszeitungen neu strukturiert. Das Sterben dieser Parteizeitungen führte Steinmaurer zufolge indirekt auch dazu, dass die Leserschaft der Kronen Zeitung immer größer wurde. Entgegen den häufig getroffenen Annahmen, die Leserschaft der „Krone“ würde sich lediglich aus Angehörigen der unteren Schichten rekrutieren, gibt es Tendenzen, dass Leute, die der Oberschicht entstammen, die „Krone“ gerne als Zweitzeitung lesen. Binder fasste die Gründe für die Erfolgsstory der „Krone“ wie folgt zusammen:

„Die Krone hat das niedrigste Einstiegsniveau der österreichischen Zeitungen, sie erfordert wenig Lesekompetenz, da das Vokabular einfach und die Sätze kurz sind. Oft wird die Krone zur Unterhaltung gelesen. Das Format hat entscheidend zum Erfolgt beigetragen. Auch der große Sportteil spielt eine große Rolle bei der Gewinnung der Leserschaft.“ (Binder 2007: 233)

Anders als die Kronen Zeitung orientierte sich die „Presse“ am englischen Modell, was sich auch in ihrem Format niederschlug. Bereits 1848 gegründet, wurde die „Presse“, die zwischenzeitlich in „Neue freie Presse“ umbenannt worden war, ebenso wie die „Krone“ 1939 eingestellt. 1948, 100 Jahre nach ihrer Gründung, bestand die „Presse“ jedoch wieder als parteiunabhängige Tageszeitung und wurde in Folge wieder „Die Presse“ genannt. Als Qualitätszeitung erreichte die „Presse“ zwar nie die enormen Auflagezahlen der „Krone“, ist jedoch durch ihre Zugehörigkeit zur Styria Media Group noch eine durch und durch österreichische Zeitung. Die „Krone“ hingegen gehört genauso wie der Kurier zur österreichischen Mediaprint-Gruppe, die aber lediglich ein Tochterunternehmen des 89 deutschen WAZ-Verlags darstellt, welcher bereits in den 90er Jahren nahezu 50% der Anteile an beiden Zeitungen hielt. Die Dominanz der Kronen Zeitung ist jedoch ungebrochen und stellt somit nicht nur ein österreichisches, sondern auch ein Unikum am internationalen Zeitungsmarkt dar. (Vgl. Steinmaurer 2002: 12-26.)

5.4.2. Mediale Charakteristika

Wie bereits erwähnt, stellen die „Krone“ wie auch die „Bild“ typische Boulevardzeitungen dar, wohingegen die „Presse“ eher als Qualitätszeitung einzustufen ist. Für die Diskursanalyse wurden von der „Krone“ insgesamt 104 Artikel vor 2008 erfasst, von denen 63, also rund 60 Prozent, namentlich einem/r AutorIn zuordenbar sind. Aus dem Jahr 2008 stammen nochmals 19 Beiträge, die jedoch aus dem Online-Archiv der Zeitung stammen, weshalb es kaum möglich war, den Verfasser zu benennen. Von diesen 104 Artikeln, die im Zeitraum 1978- 1986 gesammelt wurden, gab es 19 Titelseiten, die über das jeweilige fußballerische Ereignis berichteten. Hauptverantwortlich für die meisten Beiträge zeichneten Karl Heinz Schwind sowie Karl Pointner, die jeweils 15 beziehungsweise 19 Artikel in der „Krone“ veröffentlichen konnten, wobei ein Artikel Pointners in Co-Autorenschaft mit Wilfried Silli entstanden ist, weshalb die Beteiligung Karl Pointners an den einzelnen Beiträgen korrekterweise nur mit 18,5 gewertet werden kann.18 Hinzu kommen noch die Beteiligungen von Max Kuhn, der an 13,5 (Co-)Publikationen federführend war. Über die Jahre hinweg sind es daher Karl Heinz Schwind, Max Kuhn und Karl Pointner, die für insgesamt 74% der Artikel verantwortlich zeichnen. Rund 11% der Artikel stammen von Personen, die lediglich einmal in der „Krone“ einen Beitrag veröffentlichen könnten, drei Autoren – ausgenommen der Vielschreiber Pointner, Kuhn und Schwind – gelang es jedoch, mindestens zweimal etwas im Sportteil der „Krone“ zu publizieren. Unter ihnen befand sich ein gewisser Peter Linden, der in den Jahren zuvor jedoch seine journalistische Laufbahn bereits bei der „Presse“ begonnen hatte. Von 1969 bis 1983 war er für die „Presse“ tätig und berichtete auch vielfach von der WM 1982, um ein Jahr später zur „Krone“ zu wechseln, bei der er nun mittlerweile seit 28 Jahren tätig ist. Karl „Charly“ Pointner hingegen hat mittlerweile seinen 70. Geburtstag gefeiert und ist bereits seit über 10 Jahren in Pension, währenddessen Karl Heinz Schwind – langjähriger stellvertretender Sportchef der „Krone“ – unter die Buchautoren gegangen ist. (Vgl. Langer 2011.) Für den Chefredakteur des Sportressorts der „Krone“, Michael Kuhn, brachte vor allem das Jahr 2006 einschneidende Veränderungen mit sich.

18 Ausgenommen hierbei sind die einzelnen Kommentare, die von diversen Gastredakteuren, wie beispielsweise Hans Krankl, verfasst wurden. Solche Artikel wurden bereits vorab aussortiert und blieben grundsätzlich unberücksichtigt. 90

Aufgrund einer Diskrepanz mit dem noch immer an der „Krone“ zu 50% beteiligten Hans Dichand wurde Kuhn am 31.01.2006 entlassen (vgl. Presse, 08.01.2008). Während seiner Tätigkeit bei der „Krone“ fiel Michael Kuhn jedoch besonders dadurch auf, dass er sich sehr mit der Fußballnationalmannschaft verbunden zeigte, deren Leistungen und vor allem ihre Heldentat 1978 gegen Deutschland immer wieder lobte. So verfasste er 1986 einen persönlichen Artikel, der sich eindeutig gegen den ehemaligen österreichischen Sportdirektor Max Merkel wandte und diesen beschuldigte, ein Vaterlandsverräter zu sein (vgl. „Der Spötter“, Krone vom 29.10.1986).

Die Schlagzeilen der „Krone“ sind meist weniger fachlicher Natur, sondern eher dahin gehend ausgerichtet, möglichst sensationell zu erscheinen. Headlines wie „Hurra, endlich sind die Frauen da!“ (14.06.1978) oder auch „Familie F. fiebert bei der Euro mit“ (19.06.1978) dürften eigentlich im Sportteil einer seriösen Zeitung nicht zu finden sein. Mit Vorliebe stürzt sich die „Krone“ jedoch auf die Thematik rund um die Spielerfrauen und deren Einfluss auf die Spielleistung ihrer Männer. In den vergangenen Jahren wurden auch immer mehr die Frauen selbst und ihre Vorzüge miteinander verglichen und bewertet. Ob Schlagzeilen wie „Sexy Soccer“ (16.06.2008) jedoch noch in irgendeiner Weise im Zusammenhang mit dem Fußball als Sport betrachtet werden können, erscheint wohl eher fraglich. Auch der Verweis auf die nun endlich in Freiheit lebende Familie des von den Medien gerne als „Horror-Vater“ aus Amstetten bezeichneten Josef Fritzl ist wohl mehr der Sensationsgier geschuldet als einer faktenbasierenden Spielberichterstattung. Eine Headline vom 16.06.2008 berichtete, dass ein „Nazi-Kriegsverbrecher in Klagenfurter Fanzone“ gesichtet worden sei. Dass es sich hierbei um Milivoj Asner, einen der meist gesuchten Kriegsverbrecher, handelte, wird von der „Krone“ eher weniger thematisiert. Aufregender erscheint für den Autor dieses Artikels eher die Tatsache, dass dieser mittlerweile 95(!)-jährige Mann zusammen mit den kroatischen Fans deren Sieg über Deutschland gefeiert hatte. Ob es jedoch taktvoll ist, über die Partylaune eines ehemaligen Kriegsverbrechers im Sportteil einer Zeitung zu berichten, dem es noch dazu ermöglicht wurde, seinen Lebensabend ungehindert in Österreich zu verbringen, ist doch ein wenig zweifelhaft.

Dass die „Krone“ immer wieder gerne Politik und Sport miteinander verbindet, konnte man besonders an den diversen Karikaturen im Politteil des Jahres 1978 erkennen. Just vor der berühmten Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Zwentendorf wurde von den Redakteuren der Kronen Zeitung immer wieder auf Sportmetaphern zurückgegriffen. Die hier abgebildete Graphik (Abb.5) stammt vom 24.06.1978 - rund fünf 91

Monate vor der geplanten Volksbefragung. Während sich die Regierungsparteien über den Atomeinstieg uneinig zeigten, wurde beschlossen, die Bevölkerung in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Der „Ball“ wurde - symbolisch betrachtet - an Herrn und Frau Österreicher, die bis jetzt nur Zuschauer in diesem Politspiel gewesen waren, weitergespielt.

Abbildung 5: Karikatur aus der Krone vom 24.06.1978

Obwohl sich die „Presse“ stilistisch deutlich von der „Krone“ unterscheidet, wurde auch hier versucht, die politischen Zänkereien, humorvoll darzustellen.

Die hier abgebildete Graphik, die am Tag nach dem Freundschaftsspiel gegen Deutschland abgedruckt wurde, könnte darauf hinweisen, dass die ständigen Parteiquerelen für Österreich weniger gewinnbringend eingeschätzt wurden als der Triumph der Nationalmannschaft. Im Jahr, als die große Waldheim-Affäre für Aufsehen sorgte und eine neue Ära der Vergangenheitsbewältigung einleitete, könnte diese Karikatur auch einfach nur bedeuten, dass man sich in Österreich ob der parteilichen Leistungen beziehungsweise Verfehlungen überdrüssig zeigte, und sich ein etwaiger Nationalstolz mehr an den sportlichen Heldentaten orientierte.

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Abbildung 6: Karikatur aus der Presse vom 31.10.1986 (Titelseite)

Charakteristisch für die „Presse“ ist, dass fast alle Artikel einem oder mehreren Autoren zuordenbar sind. So fehlte von insgesamt 51 Beiträgen, die aus den Jahren 1982, 1986 und 2008 gesammelt wurden, lediglich bei acht eine namentliche Signatur. Für die meisten Artikel verantwortlich war das Dreiergespann Josef Metzger, Hans Huber und Peter Linden. Zwölf Beiträge, das sind 23%, stammen von diesem Trio, das hauptsächlich nur in Co-Autorenschaft tätig war mit Ausnahme von Josef Metzger, der im Alleingang nochmals acht Beiträge publizierte. Mit anteilig berechneten 11,6 Artikeln residiert Metzger daher unangefochten auf Platz eins, gefolgt von Wolfgang Wiederstein mit vier veröffentlichten Beiträgen. Huber und Linden wurden hinter Wiederstein eingeordnet, da sie nie als Einzelautoren tätig waren und somit jeweils nur an 3,6 Artikeln beteiligt waren. Die Riege der anderen Autoren in der „Presse“ verteilt sich relativ gleichmäßig, es gibt kaum „Ausreißer“, da die meisten lediglich ein- höchstens zweimal einen Beitrag publizieren konnten. Äußerst überraschend ist auch, dass während der WM 1982 ausschließlich der Dreierpack Metzger-Huber-Linden aus Spanien berichtete, in den Folgejahren jedoch fast keinerlei Co-Autorenschaften mehr zu finden sind. Neben Peter Linden, der 1983 die „Presse“ in Richtung Kronen Zeitung verließ, war es vor allem Josef Metzger, der die Berichterstattung des Sportressorts maßgeblich prägte. Eher zynisch und durchaus kritisch erschienen seine Kolumnen, in denen er versuchte, die aktuellen Geschehnisse im Fußball zu analysieren. Im Gegensatz zu vielen seiner Journalistenkollegen suchte Metzger keine Ausreden für das schlechte Abschneiden der Nationalmannschaft bei der WM 1982 und dem Skandalspiel gegen Deutschland. Unter den Schlagzeilen „Mitgehangen, mitgefangen“ (30.06.1982), „Über die Moral im Fußball“ (28.06.1982) und „Das kriminelle Glück der Österreicher“ verwies er immer wieder auf das 93 schandvolle Spiel in Gijón zwischen Österreich und Deutschland. Metzger sprach hierbei zwar nie eindeutig von „Spielbetrug“, deutete diesen jedoch unterschwellig an. Bereits in den Tagen zuvor hatte das Spiel Frankreich gegen Kuwait eindeutig einer Farce geglichen, als der kuwaitische Ölscheich begann hatte, die Schiedsrichterentscheidungen zu hinterfragen. Dieses Aufeinandertreffen zwischen Frankreich und Kuwait ähnelte zunehmend einer Machtdemonstration des Scheichs, die darin ihren Höhepunkt fand, dass der Schiedsrichter schließlich auf Drängen und Drohen as Sahabs hin ein reguläres Tor der Franzosen annullieren ließ. Ob dies Auslöser oder auch nur Zufall war, in dem Artikel „Über die Moral im Fußball“ (28.06.1982) ging Jürgen Metzger auf die Suche nach Antworten, warum – mit dem Wissen über das Kuwaitspiel im Hinterkopf - das schlechte aber nicht unbedingt manipulierte Spiel Österreich-Deutschland ein solch ungeheures Echo auslösen konnte. Aufgrund diverser ausländischer Pressestimmen kam er schließlich zu dem Schluss, dass „das politische Schreckgespenst, dass auch das großdeutsche Reich, im Fußball verwirklicht, auftaucht. ‚El Anschluß‘ so übertitelte eine spanische Tageszeitung diese neue Interessensgemeinschaft von Deutschland und Österreich“ (ebd.).

Insgesamt präsentiert sich die eher doch kritische „Presse“ nicht so sehr von Heldengeschichten und anderen Sensationsstories im Fußball beeindruckt. Viel eher geht es um Themen, die sich mit Fairplay, der Spielcourage oder ähnlichem auseinandersetzen. Die Verteilung der Haupt- und Unterthemen in der „Presse“ präsentiert sich daher wie in Abbildung 7 ersichtlich.

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Darstellung des themenspezifiscen Materialcorpus - Presse

Anzahl der Unterthemen 11 9 7 6 5 5 4 3 3 3 3 2 2 2

Abbildung 7: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen in der Presse, die einem Hauptthema zugeordnet werden können.

Charakteristisch ist auch, dass die „Presse“ anders als beispielsweise die „Krone“ auf allzu sensationelle Schlagzeilen verzichtet und eine eher sachliche Berichterstattung bevorzugt. Das zeigt sich unter anderem in der Bezeichnung der einzelnen Begegnungen zwischen der österreichischen und der deutschen Nationalmannschaft (in der Graphik mit „Spielbeschreibung“ bezeichnet). Während die „Krone“ ebenso wie die deutsche „Bild“ gerne von „Bruderkampf“, „Prestigefight“ oder dem erneuten Aufeinandertreffen von „David gegen Goliath“ sprechen, übt sich die „Presse“ hierbei doch mehr um Bescheidenheit. Die Betitelung solcher Spiele als „Traditionsduelle“ oder „Klassiker“ stellten damit – dramaturgisch betrachtet – schon die größten Ausnahmen in der „Presse“ dar. Auffällig ist jedoch, dass sich die Art und Weise der Berichterstattung der „Presse“ über die Jahre hinweg doch ein wenig geändert hat, und während der Euro 2008 doch ein aggressiverer Sprachstil zu bemerken war. Die sehr kritischen und äußerst sarkastischen Kommentare Jürgen Metzgers aus dem WM-Jahr 1982 wurden rund 25 Jahre später durch Schlagzeilen ersetzt, die teilweise Boulevardcharakter aufwiesen. So betitelte Thomas Vieregge das erneute Aufeinandertreffen Österreichs gegen Deutschland als „Nervenkrieg vor der Schlacht um Wien“ (Presse,

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15.06.2008). Nichts desto trotz versucht die „Presse“ dennoch, auch im Sportbericht ihren Status als Qualitätszeitung zu verteidigen und hält sich mit allzu sensationsfreudigen Artikeln zurück. Dies entspricht eindeutig nicht dem primären Ansinnen der Kronen Zeitung, welche mit skandalträchtigen Headlines, wüsten Verschwörungstheorien und moralisch fraglichen Berichten versucht, die Leserschaft an sich zu binden.

Darstellung des themenspezifischen Materialcorpus - Kronen Zeitung 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 Anzahl der Unterthemen 0

Abbildung 8: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen in der Kronen Zeitung, die einem Hauptthema zugeordnet werden können.

Auch die hier abgebildete Graphik zeigt deutlich den boulevardistischen Charakter der Kronen Zeitung. Themen, die der Oberkategorie „Emotionen“ zugeordnet werden können dominieren die Sportberichterstattung ebenso wie die Krone-typischen Spielbeschreibungen. Mit der Bezeichnung einer „Fußballpantomime“, eines „Faszinationsspiels“ oder eines „psychologischen Kleinkrieges“ wird themenspezifisch gern in die fußballerischen Begegnungen zwischen Österreich und Deutschland eingeleitet. Die ständigen Verweise auf die Begegnung Davids gegen Goliath kann durchaus im Sinne eines österreichischen Minderwertigkeitskomplexes interpretiert werden. Aus emotionssoziologischer Sicht ist es

96 recht interessant, dass das lange katholisch geprägte Österreich beziehungsweise die Vertreter der Kronen Zeitung immer wieder Anlehnung aus dem Alten Testament nehmen, um darzustellen, mit welcher List es dem Unterlegenen gelingen kann, den übermächtigen Gegner zu besiegen. Auch die viel bekrittelte Arroganz der Deutschen spielt hierbei eine wichtige Rolle, schien diese doch ein wichtiger Faktor für die Siegessehnsucht der Österreicher zu sein. Ein Rückschluss auf das Alte Testament kann auch hierbei wieder durchaus sinnstiftend sein. Die Redensart, dass Hochmut vor dem Fall komme, stammt ursprünglich aus der Bibel Spr 16, 18. Dass im vielfach vom christlichen Glauben geprägten Österreich noch Spuren dieses biblischen Verses vorhanden sind, die sich auf die enorme Ablehnung von allzu offen gelebte beziehungsweise dargestellte Großspurigkeit und Arroganz beziehen, sei dahingestellt. Im Sinne Scheffs kann jedoch angenommen werden, dass Minderwertigkeitsgefühle in der Geschichte Österreichs maßgeblichen Einfluss auf die nationale Gefühlsstruktur hatten. Zudem spielen auch andere Themen in der „Krone“ eine große Rolle, die – wie bereits erwähnt – auf dem Ersten Blick nichts mit Fußball zu tun haben. Solche Themengebiete sind in der hier dargestellten Graphik unter „Diverses“ zusammengefasst. Besonders bemüht zeigt sich die „Krone“ auch in den ständigen Verweisen auf Córdoba. Lediglich die WM 1970 in Mexiko und die Heldentaten des Wunderteams von 1931 finden in diversen Rückblicken auf glanzvolle Fußballspiele Erwähnung. Grundsätzlich wird jedoch immer wieder auf die besonderen Ereignisse in Córdoba und die Helden von damals Bezug genommen.

Ähnlich präsentiert sich auch die Themenverteilung in der deutschen „Bild“, obwohl es hier Berichterstattungen und Artikel über das deutsche Team sind, die eindeutig überrepräsent sind. Dennoch werden auch in der Bild-Zeitung gerne Themen angesprochen, die nur bedingt im Zusammenhang mit den Geschehnissen am Fußballfeld stehen. Trotz der oftmaligen Erwähnung über die Schmach beziehungsweise Schande von Córdoba aus deutscher Sicht, ist es vor allem der haushohe Sieg der Deutschen über Österreich im Zuge der WM 1954, der die „Bild“ gerne zu träumen einlädt. Nach Scheff ist eine „Ignoranz“ von Schamgefühlen nichts Außergewöhnliches, da eine solche emotionale Leugnung Teil der modernen Gesellschaft ist. „There are hundreds of words and phrases that seem to be substitutes or euphemisms for the words shame and embarrassment” (Scheff/Retzinger 1991: 6). Die Schlagzeilen “Wer hat Schuld?” oder auch „Der gebrochene Riese: Rüßmann weinte die ganze Nacht“ vom 23.06.1978 in der „Bild“ nach dem verlorengegangenen Spiel gegen Österreich zeugen davon, dass man sich ob dieser Niederlage schämte, sich dies jedoch nicht offen eingestehen wollte.

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Dieses tief erlebte Gefühl einer Beschämung durch das kleine Österreich wurde vor allem 2008 im Zuge der EM dadurch kompensiert, dass man die Österreicher beziehungsweise die Spieler der Fußballnationalmannschaft schlichtweg nur noch abwertend als „Ösis“ bezeichnete und das eigene Team besonders hervorhob.

Darstellung des themenspezifischen Materialcorpus - BILD Zeitung 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Anzahl der Unterthemen

Abbildung 9: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen in der Bild, die einem Hauptthema zugeordnet werden können.

5.4.3. Exkurs: Die deutschen Medien 1978

Die ständige Reproduktion des Wunders von Córdoba und dessen Medienpräsenz wird von den meisten Deutschen wie auch von einigen Österreichern mittlerweile stark abgelehnt. Córdoba wirkt in den Augen vieler wie ein letzter Anker oder Strohhalm, an den man sich verbissen klammert, um die Hoffnung auf einen abermaligen Sieg Davids gegen Goliath nicht zu verlieren. Natürlich sind die Deutschen auf dem Papier und – was noch viel wichtiger ist – auf dem Spielfeld die bessere Mannschaft, doch die Siegessehnsucht der Österreicher beziehungsweise der Fans scheint ungebrochen zu wirken. So ist es nicht verwunderlich, dass vor jedem Spiel gegen den großen Bruder abermals die Fußballgötter angefleht werden, das Wunder doch noch einmal geschehen zu lassen. Den Deutschen hingegen geht diese ständige Beschwörung des Córdoba-Mythos schlichtweg auf die Nerven, „[…] mittlerweile bringt sie dieses Thema zum Erbrechen“ (Marlovits in Die Presse, 2008: o.S.) Natürlich wirken die 98

Ereignisse der WM 1978 mittlerweile abgedroschen, und man wundert sich, wie sehr die Medien auf diese sportliche Begegnung zwischen Österreich und der damaligen BRD immer wieder Bezug nehmen. Interessant ist jedoch hierbei auch die mediale Aufbereitung Córdobas im Wunderjahr 1978 und vor allem der Rundumschlag vieler deutscher Tageszeitungen nach dem Ausscheiden der Nationalmannschaft.

Grundsätzlich zeigten sich die deutschen Gazetten im Juni 1978 von den Geschehnissen rund um die DDR geprägt. Es gab Berichte über das augenscheinliche „Verbot“ in der deutsch- demokratischen Republik Paddelboote zu (ver)kaufen ebenso wie über die Teuerungen im Industriesektor in der östlichen Hälfte Deutschlands. Immer wieder wird in den Beiträgen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung deutlich, dass das Thema Nationalsozialismus durchaus eine Rolle spielte und nicht selten in einem Atemzug mit den neuesten Entwicklungen in der DDR genannt wurden. Politiker hatten demnach Angst als zu „rechts“ zu gelten und zeigten sich äußerst bemüht, in keinster Weise mit dem kommunistischen Regime in Verbindung gebracht zu werden. Der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 und dessen 25-jährige Wiederkehr wurden als ein „auf deutschem Boden selten unternommener aber glaubwürdiger Anlauf Tyrannei abzuschütteln“ (Friedrich Karl Fromme 16.06. 1978: 12) gefeiert. Auch der damalige Bundespräsident Walter Scheel wandte sich in einem einseitigen Artikel auf Seite vier der FAZ vom 19.06.1978 an das Volk. In dieser öffentlich publizierten „Rede“ wies er auf den Missbrauch von Worten wie „Nation, Volk und Vaterland“ (19.06.1978: 4) durch den Nationalsozialismus hin und rief Deutschland dazu auf, als Einheit zu agieren, um nicht den „Begriff Deutschland […] den Rechtsextremisten [zu] überlassen“ (ebd.).

Ein anderes Thema, welches zu dieser Zeit äußerst präsent in der deutschen Medienlandschaft gewesen zu sein scheint, beschäftigte sich mit der Frage nach Entwicklungshilfe für Westafrika und der grundsätzlichen politischen und wirtschaftlichen Lage in den Entwicklungsländern. Man zeigte sich bestürzt über die noch vorherrschende Apartheid in einigen afrikanischen Ländern und über den Glauben vieler Australier, die sich einem afrikanischen Zauberer verschrieben hatten, dem nachgesagt wurde, Todkranke heilen zu können. Auch beim Spiel Deutschland gegen Tunesien am 10.06.1978 wurde das Überlegenheitsgefühl nicht nur der deutschen Nationalmannschaft, sondern auch eines Großteils der Bevölkerung durch folgende Worte deutlich:

„Wie tief muß die deutsche Nationalmannschaft gesunken sein, wenn sie gegen den afrikanischen WM-Vertreter, der aus der hohen europäischen Warte aus einem Fußball-Entwicklungsland kommt, ständig in der Gefahr schwebt, durch ein einziges 99

Gegentor aus der Endrunde hinausgeworfen zu werden?“ (FAZ, 12.06.1978, 20).

Über Österreich wurde über die sportliche Berichterstattung hinaus nicht viel geschrieben, lediglich ein kleiner Beitrag findet sich zu den Reformbemühungen Österreichs hinsichtlich des Scheidungsrechtes. Ein etwas größerer Artikel hingegen hat sich mit der österreichischen Heeresreform beschäftigt, indem davon berichtet wird, dass diese notwendig sei, um die Problematik eines „kräftemäßig und technisch“ (FAZ, 10.06.1978, 12) weit überlegenen Gegners im Falle einer Militärschlacht vorzeitig zu lösen. In einer ähnlichen Vormachtstellung präsentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung auch die deutsche Nationalmannschaft vor dem Spiel gegen die Auswahl des kleinen Bruders mit der typisch österreichischen „Gemütlichkeit“. So wurde der Sportdirektor des ÖFB, Max Merkel, der zu dieser Zeit mit dem halben Verband zerstritten war, mit folgenden Worten zitiert:

„Früher da hatten die österreichischen Fußballkünstler schon mal im Kaffeehaus gesessen und sich über die deutschen Brenner lustig gemacht. Aber worüber wollen die denn heut‘ noch frozzeln. Jetzt müssen’s a damit zufrieden san, daß sie die besseren Skiläufer ham.“ (FAZ, 21.06.1978: 20).

Auch die deutsche „Bild“ berichtete über diesen Sager Merkels, der in den Jahren danach zum Lieblingszyniker und Kommentator der Bild-Zeitung avancierte. Unter der Überschrift „Merkel: Österreich hat nur die besseren Skiläufer“ (Bild, 21.06.1978: 18) veröffentlichte die Abbildung 10: Karikatur vom 20.06.1978 in der FAZ „Bild“ diesen Ausspruch des „Großmauls“ Merkels, um gleich hinzuzufügen, dass sich dieser eigentlich „als Deutscher“ fühle. Auch Merkels weitere Artikel in den Folgejahren verweisen immer wieder auf die Kaffeehaustradition und das typisch Wienerische des österreichischen 100

Fußballs.

Trotz der schlechten Ergebnisse in den Spielen zuvor wurde die deutsche Nationalmannschaft von den Medien als deutlich überlegen eingestuft. Nichts erinnerte mehr an die Kritik am langsamen Spiel gegen Tunesien. Auch die internationale Presse, die bereits vor dem Aufeinandertreffen mit Österreich die Spiele der Deutschen als ein „Begräbnis einer Fußballepoche“ (FAZ, 16.06.1978: 23) bezeichnete, wurde durch die feste Überzeugung an einen Sieg Deutschlands über die österreichische Nationalmannschaft übertönt. Besonders die Bild-Zeitung bemühte sich immer wieder die glorreiche Vergangenheit hochleben zu lassen und wurde nicht müde, auf den überragenden Sieg der Deutschen gegen die österreichische Auswahl von 1954 hinzuweisen. Schlagzeilen wie „Die Weltmeister von 1954: Wie wir 6:1 gewonnen haben“ (Bild, 21.06.1978) oder die prognostizierten „5 Tore gegen Österreich – wir schafften schon mal 6“ (20.06.1978) erinnerten an die heroischen Taten von 1954. Die eher negativen Beiträge von Oskar Schmidt in der FAZ, welche in den Tagen zuvor publiziert wurden und in denen er immer wieder darauf hinwies, dass der Weltmeister von 1974 nur mehr ein Schatten seiner selbst sei („Das Hemd der Nostalgie hat der DFB nun mal eher griffbereit als das T-Shirt der Gegenwart.“), gerieten in Vergessenheit. Grundsätzlich herrschte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein positiver Tenor vor. Die wirtschaftliche Lage in Deutschland erschien eigenen Angaben zufolge nicht mehr so trostlos wie im Jahr zuvor, und man erwartete ein enormes Wachstum in der Autoindustrie und im EDV-Bereich.

Die hier abgebildete Abbildung 11: Karikatur vom 26.06.1978 in der FAZ Graphik stammt aus der FAZ vom 20.06.1978 und zeugt von der positiven Entwicklung der deutschen Mark in den letzten dreißig Jahren. Die optimistische Grundhaltung zum Werden Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg trotz der schwierigen Situation durch die Teilung in die BDR und DDR 101 war also deutlich zu spüren. Erstaunlicherweise war von diesem Optimismus fünf Tage nach dem Spiel gegen Österreich nicht mehr viel übrig. Die folgende Karikatur (Abbildung 6) wurde am 26.06.1978 im Politteil der FAZ abgedruckt und verweist – wie ersichtlich – auch unter Bezugnahme auf das frühzeitige Ausscheiden bei der WM auf die sorgenvolle Zukunft der Deutschen. Die Tragweite dieser für Deutschland so schmachvollen Begegnung ist nicht nur hinsichtlich der österreichischen Reproduktion des Córdoba Mythos so weitreichend. Nach dem Spiel wurden Stimmen laut, die die Mentalität und die Arbeit des DFB stark kritisierten. Besonders der Versuch der Verantwortlichen, Erklärungen für diese Niederlage zu finden, wurde als eine hoffnungslose Suche nach Ausreden und Vorwänden interpretiert. Die Redakteure der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zeigten sich in den Tagen nach Córdoba enttäuscht und sprachen von einem allgegenwärtigen Volkszorn. Die deutsche Spielkultur sei demnach veraltet, und man müsste erst wieder lernen, Fußball zu spielen. Die Bild-Zeitung erinnerte in späteren Jahren immer wieder an diese „Schmach“ und attestierte der Fußballmannschaft 1978 nur mehr zweitklassig zu sein (vgl. Bild, 24.06.1978). Nicht nur durch das Spielresultat, sondern vor allem durch die emotionalen Auswirkungen dieses Bruderduells waren die Zeiten der deutschen Fußballer als „ehemalige Hätschelkinder der Nation“ (FAZ, 24.06.1978: 20) endgültig vorbei, und die Hochstilisierung Deutschlands als Lieblingsgegner Österreichs durch den Mythos „Córdoba“ begann.

5.5. Córdoba als Self-fulfilling prophecy

Vier Jahre nach dem für Österreich so legendären Spiel in Córdoba kam es zur mit Spannung erwarteten Neuauflage dieser Partie im Zuge der WM in Spanien. Das Spiel in Gijón ging jedoch nicht aufgrund seiner Spannung oder fußballerischen Qualität in die Sportannalen ein, sondern vielmehr aufgrund der Tatsache, dass der Sieg Deutschlands über Österreich (1:0) eher einer vor Spielbeginn durchdachten Kompromisslösung glich, die es beiden Teams ermöglichte, in die nächste Runde aufzusteigen. In den Tagen zuvor war es jedoch die Kronen Zeitung, die sich besorgt zeigte ob des Fairnessgedankens anderer Nationalmannschaften. Mit Headlines wie „Achtung! Schenkt Algerien Chile die Punkte?“ (Kronen Zeitung, 22.06.1982) oder „Neuer Nervenkrieg gegen Österreich – ‚Doping‘“ (24.06.1982) verwies die „Krone“ immer wieder auf die unaufrichtigen Absichten anderer, die nur das Ziel verfolgen würden, mit unlauteren Mitteln Österreich aus dem Turnier zu drängen. Die deutsche „Bild“ hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf ein ganz anderes Thema eingeschossen. Das Rätsel um die Geheimaufstellung der Mannschaft und den Geheimplan des Trainers der Deutschen wurde 102 fast täglich aufs Neue dem Leser präsentiert. Auch Franz Beckenbauer zeigte sich in einer Kolumne vom 25.06.1982 unter der Überschrift „Warum wir heute unbedingt siegen müssen“ davon besorgt, die äußerst geheime Taktik und Teamaufstellung der Deutschen könnte bereits durch gegnerische Spionageakte aufgedeckt worden sein. Der Verweis auf die aus deutscher Sicht schmachvolle Niederlage in Córdoba war in diesen Tagen jedoch noch nicht so stark zu spüren. Die Kronen Zeitung hingegen bemühte sich unentwegt, auf diese Glanztat ihrer 78er Helden hinzuweisen, was unter Headlines wie „Córdoba 82“ (Kronen Zeitung, 22.06.1982) „Gefährlich wie vor vier Jahren“ (Kronen Zeitung, 25.06.1982) oder „Von Córdoba bis Gijón“ (Kronen Zeitung, 25.06.1982) für jedermann bereits auf den ersten Blick in die Zeitung ersichtlich war. Bereits 1982 hatte die „Krone“ das Spiel von Córdoba als „Wunder“ und „historischen Sieg“ bezeichnet und begonnen, das erneute Aufeinandertreffen der beiden Mannschaften als Begegnung der „Erzrivalen“ zu umschreiben. Während in der Erinnerung der deutschen „Bild“ Córdoba noch nicht mehr zu sein schien als die Bezeichnung einer argentinischen Stadt, wurden auch in der „Presse“ die Geschehnisse der WM 1978 immer wieder thematisiert. Auch das Dreiergespann Metzger, Huber, Linden hatte bereits Gefallen daran gefunden, auf die traditionellen Duelle zwischen Österreich und Deutschland zu verweisen, wobei immer wieder nur auf Córdoba Bezug genommen wurde (vgl. Presse, 25.06.1982). Auch die mehr auf Qualität bedachte „Presse“ berichtete dennoch gern über die geheime Taktik der Österreicher wie beispielsweise am 24.06.1982 unter „Elf gegen Deutschland – wer sie verrät, der wird bestraft!“ und erinnerte damit an die nahezu paranoide Angst der Bild-Zeitung vor einer Unterwanderung der deutschen Mannschaft durch gegnerische Spione. Die Berichterstattung nach dem Skandalspiel in Gijón zwischen den einzelnen Zeitungen und auch innerhalb der nationalen Berichterstattung kann jedoch als äußerst heterogen bezeichnet werden. Die „Presse“ zeigte sich von diesem Spiel nahezu „angewidert“, wohingegen die deutsche „Bild“ lediglich kurz Stellung zum Spielverlauf bezog und die Partie am 26.06.1982 als „Schande für den Fußball“ bezeichnete. Nur zwei Tage darauf wurde dieses Skandalspiel jedoch wieder der Sensationsgier der „Bild“ geopfert, die den Tod eines deutschen Fans in Gijón in Zusammenhang mit der Partie gegen Österreich sehen wollte (vgl. Bild, 28.06.1982). Noch gelassener hingegen zeigte sich die „Krone“ ob der weltweiten Betrugsvorwürfe gegen die deutsche und österreichische Nationalmannschaft. Die Spieler wurden damit entschuldigt, einfach Angst voreinander gehabt zu haben und man begnügte sich damit, die Partie als „Antifußball“ (26.06.1982) aufgrund des langweiligen Defensivspiels zu bezeichnen. Der ganzen österreichische Nation beziehungsweise den Lesern der „Krone“ wurde jedoch mit der Überschrift „Morgen müssen wir die Fußballwelt

103 wieder versöhnen“ (27.06.1982) scheinbar das Versprechen abgenommen, Gutmachung für die Ereignisse in Gijón zu betreiben. Nachdem Herr und Frau Österreicher von der „Krone“ gedanklich in die Pflicht genommen worden waren, Schadensbegrenzung für das unglückliche Spiel der Nationalmannschaft zu betreiben, galten die Diskussionen und die ständigen Manipulationsvorwürfe rund um diese Partie für die Zeitung als beendet.

Vier Jahre später war das Skandalspiel von Gijón jedoch wieder vergessen, und die deutsche „Bild“ erinnerte im Jahr 1986, als Österreich in einem Freundschaftsspiel zur Einweihung des neuen Praterstadions auf Deutschland traf, voller Argwohn an die Schmach von Córdoba. Die „Bild“ und allen voran der ehemalige österreichische Fußballfunktionär Max Merkel ätzten, Córdoba würde wohl - sehr zur Freude der österreichischen Schickeria - zum österreichischen Nationalfeiertag erhoben werden (vgl. Bild, 29.10.1986). Das Spiel Österreich gegen Deutschland wurde in der „Bild“ ansonsten kaum beachtet, wohingegen in der Alpenrepublik die „Presse“ wie auch die „Krone“ nichts unversucht ließen, um auf dieses erneute Prestigeduell hinzuweisen. Unter der Schlagzeile „Wird Österreichs junge Elf unterschätzt?“ („Krone“, 29.10.1986) wurde von der „Krone“ abermals die deutsche Überheblichkeit thematisiert, die auch in der „Presse“ im Artikel „Österreich und Austria“ (03.11.1986) näher beleuchtet wurde. Während solche Stichelein in der „Presse“ jedoch die Ausnahmen darstellten, wurden bereits 1978 das „stereotype“ Spiel und das Fehlen von herausragenden Persönlichkeiten in der deutschen Nationalmannschaft bemängelt (vgl. Krone, 14.06.1978). Zudem wurde den Deutschen gerne vorgeworfen, arrogant und überheblich zu sein, ein nicht unerheblicher Kritikpunkt, der sich bereits bei der Beschreibung des „Daily Express“ über die deutsche Mannschaft finden lässt. Das mediale Wettfeuern der „Krone“ gegen die deutsche „Bild“ erreichte jedoch erst mit der EM 2008 ihren Höhepunkt.

5.5.1. Neuauflage eines Klassikers: Die WM 2008

Mit der EM in der Heimat und einem Sieg über den deutschen Erzrivalen just im dreißigjährigen Gedenkjahr an Córdoba hätte sich für Österreich ein Fußballmärchen erfüllen können. Das Tor von Michael Ballack im sechsten Spiel der Gruppe B zerstörte jedoch die in den Tagen zuvor so eifrig genährten Hoffnungen der österreichischen Fans. Trotz der eher durchwachsenen Leistungen der Nationalmannschaft zeigte sich die „Krone“ fest von den Aufstiegschancen der Österreicher überzeugt und schwelgte unter der Schlagzeile „Ivo Vastic rettet Österreichs EURO-Chancen“ (13.06.2008) in Viertelfinalträumen. Sichtlich um Überzeugungsarbeit bemüht, befragte die „Krone“ auch den deutschen Schlagersänger Jürgen Drews um dessen fachliche Meinung zum bevorstehenden 104

Spiel Österreich-Deutschland und eine mögliche Neuauflage Córdobas. Auch die „Presse“ wurde von der nationalen Euphorie um eine Wiederholung der Heldentaten 1978 erfasst und widmete den Spielern von damals einen Artikel unter der Überschrift „Nostalgie: Trafikanten und Tankstellenbesitzer“ (16.06.2008). Trotz der nationalen Sensationshoffnung auf ein erneutes Wunder, versuchten die Redakteure der „Presse“ doch Objektivität zu wahren. Am 15.06.2008 erschien ein Artikel mit der Headline „Warten auf die Sensation, aber keiner glaubt daran“, indem sich der Autor der „Presse“ zwar auch von der „Europhorie“ angetan zeigte, aber zugleich mit einem nüchternen Blick auf die bisherigen Spiele und Fakten deutlich machte, dass ein Sieg Deutschlands nur logische Konsequenz aufgrund der überlegenen spielerischen Klasse des Teams sein würde. Das viel beschworene „Wunder von Wien“ setzte entgegen aller Hoffnungen und Sehnsüchte nicht ein. Auch der große Katzenjammer ob des verlorenen Spiels blieb aus und viel mehr wurde versucht, die positiven Aspekte aus dieser Niederlage zu ziehen (vgl. Presse, 17.06.2008). Die „Krone“ hingegen zeigte sich sichtlich enttäuscht. Das große Bruderduell war in den Tagen zuvor auch von der „Presse“ zu einer „nationalen Angelegenheit“ (Presse, 16.06.2008) erklärt worden, für die Kronen Zeitung schien dieses Spiel jedoch noch viel mehr zu bedeuten. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass das Aufeinandertreffen mit Deutschland einer „historischen Chance“ gliche, und man die Möglichkeit nicht verpassen dürfte, den großen Bruder ein wenig zu ärgern (vgl. Krone, 14.06.2008). Unter dem Aspekt, das Spiel als ein Ereignis von nationaler Wichtigkeit zu betrachten, schien es für die „Krone“ auch nicht allzu verwerflich, dass österreichische Fußballrowdys am Tag nach der Niederlage durch gewalttätige Ausschreitungen negativ auffielen. Eher entschuldigend und verharmlosend wirkte da ein Artikel in der „Krone“, der die heimischen Hooligans als „Patrioten“ bezeichnete. (Vgl. Krone, 17.06.2008.) Auch der Zeitungskrieg zwischen der „Krone“ und der „Bild“ schien in diesen Tagen zunehmend zu eskalieren. Während die „Bild“ nicht müde wurde, auf die österreichische Mannschaft schlichtweg als „Ösis“ zu referenzieren, versuchte die „Krone“, mit anderen Schlagzeilen die deutschen Journalisten zu diskreditieren. In der „Bild“ fanden sich etliche Überschriften wie „Jetzt bekommen die Ösis was auf die Mütze“ (14.06.2008), „Ösis schlechtester Gastgeber aller Zeiten“ (17.06.2008) oder „Glücks-Ösis werden gegen uns alles geben“ (13.06.2008). Zusätzlich zeigte sich die „Bild“ jedoch über die Berichterstattung der österreichischen „Krone“ erzürnt, die die deutsche Mannschaft – ihre Jungs – verfemt hätte. Am 15.06.2008 kündigte die „Bild“ unter „Ösi-Getöse – So werden unsere Stars verhöhnt“ eine Revancheaktion gegen die diffamierenden Äußerungen der „Krone“ an, die sich kurz darauf in einer Verspottung der österreichischen Spieler

105 präsentierte. Auffällig ist jedoch, dass das Thema Córdoba in der „Bild“ so präsent war wie in keinem anderen WM- beziehungsweise EM-Jahr zuvor. Auf die Schmach von Córdoba wurde ebenso oft verwiesen wie auf das Wunder von Córdoba in der „Krone“. Headlines wie „Heute werden wir narrisch“ (Bild, 15.06.1978) oder „So war’s in Córdoba 1978“ (15.06.1978) verdeutlichen, wie sehr sich diese Niederlage 30 Jahre danach in der medialen Berichterstattung verfestigt hat. Trotz der allgegenwärtigen Siegesgewissheit der Deutschen ist in den Artikeln und Berichten der „Bild“ dennoch deutlich die Angst vor einer erneuten Niederlage zu spüren. Es scheint jedoch mehr die Möglichkeit einer nochmaligen Beschämung der deutschen Nationalhelden und des damit einhergehenden Gefühls der Schande zu sein, vor der sich die Bild-Zeitung und ihre Anhängerschaft fürchteten. So zeigte sich in der Berichterstattung rund um die Euro 2008 dennoch ein durchaus homogenes Bild. Deutsche wie österreichische Zeitungen referenzierten unverhältnismäßig hoch immer wieder auf Córdoba. Die Bild-Zeitung bemühte sich darum, - trotz der spielerischen Überlegenheit der Deutschen – vor einer erneuten nationalen Beschämung zu warnen, wohingegen die „Presse“ und insbesondere die „Krone“ die Hoffnung auf einen Sieg über Deutschland und die sehnsuchtsvollen Happy-End-Träume einer ganzen (Fußball)Nation aufrecht erhielten. Diese enormen Unterschiede in der Art und Weise, wie der Córdoba-Mythos in deutschen und österreichischen Zeitungen reproduziert wurde, zeigte sich teilweise auch in der durchgeführten Feinanalyse. Für diese detaillierte Aufarbeitung im Sinne des diskurstheoretischen Ansatzes wurden jeweils zwei Beiträge aus der „Krone“, der „Presse“ sowie der „Bild“ ausgewählt, um das Phänomen Córdoba und insbesondere die für die Zeitungen charakteristische Themen näher zu beleuchten. Am 25.06.1982 veröffentlichte der Krone-Vielschreiberling Wilfried Silli einen Artikel unter der Überschrift „Von Córdoba bis Gijón“. Diesem 118-zeiligen Beitrag wurde eine Doppelseite in der Kronen-Zeitung gewidmet, wobei ein Foto der erfolgreichen Helden von 1978, betitelt als „Wunder von Córdoba“, den meisten Platz einnahm. Silli begann damit, gleich in der dritten Zeile auf das „denkwürdige 3:2 über die Deutschen bei der WM in Argentinien“ hinzuweisen. Insgesamt stellte sich der Artikel in fünf Teile gegliedert dar. Wobei der erste Teil in großen Lettern und in fettgedruckter Schrift eine Art Unterüberschrift markieren sollte. Die anderen Abschnitte waren dadurch gekennzeichnet, dass jeweils der erste Buchstabe in überdimensional großen Lettern gedruckt ist. Die zweite Passage begann daher mit einem großen „C“, welches nochmals in die Geschehnisse von Córdoba einleiten sollte. Nach zwanzig Zeilen folgte ein dramaturgisch effektvoller Absatz, der in nur einem

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Satz nochmals darauf hinwies, wie wichtig der Sieg von 1978 gewesen war: „Österreich hat seit 47 Jahren gegen die Deutschen nicht mehr gewonnen.“ Daraufhin folgte wieder ein Absatz, indem das ganze 90-münitge Heldenepos von Córdoba nochmals im Schnelldurchlauf aufgerollt wurde. Der Absatz schloss damit, Córdoba als den „Beginn einer bitteren Rivalität“ zu bezeichnen und auf den Wunsch der Deutschen hinzuweisen, endlich Rache für Córdoba zu üben. Auch in der vierten Passage wurde die Sehnsucht Deutschlands nach Revanche erneut aufgegriffen und nochmals erwähnt, dass trotz eines zwischenzeitlichen Sieges der Deutschen 1980 über Österreich die „Schmach von Córdoba nicht vergessen gemacht [wurde]“. Silli erwähnte in diesem Beitrag häufiger die Sehnsucht Deutschlands nach einer Rache für das 78-er Spiel als den Wunsch der Österreicher nach einer Wiederholung dieser heroischen Tat. Deutlich wird jedoch, dass der Autor vor allem Hans Krankl als Spielmacher von Córdoba betrachtete, wohingegen er eher wenig zuversichtlich in das erneute Aufeinandertreffen mit Deutschland blickte. Relativ spärlich verwendete er auch das „wir“, und man wird den Eindruck nicht los, dass er - ob der deutschen Rachegelüste - bereits alle Hoffnungen verloren hätte. Immer wieder erwähnte er den Traum beziehungsweise Glauben an den Triumph Österreichs über Deutschland, wirkliche Siegessicherheit lies Silli jedoch nicht aufkommen. Lediglich hin und wieder sprach Silli von „unserem Team“, wobei er solche Floskeln hauptsächlich nur im Zusammenhang mit nüchternen Spielergebnissen brachte. Resigniert ob der Offensivschwäche der österreichischen Nationalmannschaft, widmete er diesen Artikel doch lieber der aufkeimenden Feindschaft der beiden Nachbarländer, die er in den Ereignissen von Córdoba zu finden glaubte. Anders hingegen die Berichterstattung in der deutschen „Bild“, die die österreichische Mannschaft als ein Team präsentierte, welches vor Selbstvertrauen gestrotzt hätte. Um dies zu verdeutlichen, wurde ein Interview zwischen Franz Beckenbauer und dem österreichischen Spieler abgedruckt. Auch die „Bild“ verwies in diesem Beitrag vom 24.06.1982 auf dieses „große Spiel“ und zitierte Pezzey bereits in der Schlagzeile mit „Ihr Deutschen habt die Goschen zu voll genommen“. Glaubt man der „Bild“, und Pezzey hat diesen Sager wirklich in dieser Form verlautbaren lassen, erinnert dies wiederum an die bereits oftmals erwähnte Kritik der österreichischen Medien an der vielfach wahrgenommenen deutschen Überheblichkeit. In dem nur 84-zeiligem Interview ist auch sehr auffällig, dass Pezzey von sich und der Mannschaft kaum als Kollektiv sprach, sondern Fragen meistens aus der Ich- Perspektive beantwortete. Lediglich als er spöttisch auf die Niederlage Deutschlands in Córdoba verweist, benutzte er das gemeinschaftliche „wir“. Bei Fragen, die sich auf die

107 spielerische Qualität des Teams beziehungsweise von Einzelakteuren bezogen, verwendete Bruno Pezzey gerne die Ich-Form beziehungsweise die unpersönliche Passiv-Form, um augenscheinliche Distanz zu seinen Kollegen zu wahren. Wurde jedoch die Frage jedoch weniger „isoliert“ gestellt und um den Faktor „Deutschland“ erweitert, sprach Pezzey hauptsächlich nur noch vom kollektiven „wir“. Ohne jedoch darauf einzugehen beziehungsweise Hinweise zu hinterlassen, wer in diese Gemeinschaft mit eingeschlossen war, schlussfolgerte er recht lapidar, dass „es […] halt eine Genugtuung [ist], dem Nachbarn eins auszuwischen.“ Den Grund dafür erfuhr der Leser nicht direkt, aufgrund des weiteren Interviewverlaufs wurde jedoch klar, dass es die deutsche Überheblichkeit und Großspurigkeit war, die entschieden abgelehnt wurde. Jürgen Metzger beschrieb in der „Presse“ vom 26.06.1982 – kurz nach dem Spiel – diese Abwehrhaltung der Österreicher gegenüber den deutschen Bruder als „Mut zum Risiko“, den man in den Tagen vor der Partie deutlich spüren konnte. Österreich zeigte sich auf den bevorstehenden Bruderkampf gut eingestellt, „um in Gijón ein neues Córdoba zu liefern“. Dass aus dieser Siegeszuversicht und einer geplanten Offensivtaktik jedoch nicht mehr wurde als eine beschämende 0:1 Niederlage und ein einschläferndes Defensivspiel, erklärte Metzger mit der Angst der Österreicher vor der eigenen Courage. Metzger, der immer nur von „den“ Österreichern sprach und nie das „wir“ oder irgendeine andere Bezeichnung für die Mannschaft benutzte, führte dies auf den noch immer vorhandenen Minderwertigkeitskomplex des „kleinen“ Österreichs zurück. Obwohl er auch immer wieder auf Córdoba und die eigentlich positiven Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl der Österreicher hinwies, schienen für ihn die Dämonen der Vergangenheit noch immer überrepräsent zu sein. Man könnte durchaus die Vermutung anstellen, Metzger hätte hierbei auf die ungeliebte Kleinstaatlichkeit Österreichs während der Ersten Republik hingewiesen, die eine Zeit markierte, als man sehnsuchtsvoll die (geglaubten) Fortschritte und Entwicklungen des großen Bruders beobachtete. Nach Metzger zeigte sich noch immer ein enormer Respekt der Österreicher vor den Deutschen, die gelernt hatten, ums Überleben zu kämpfen. Ob der Autor hierbei wirklich auf das historische Verhältnis Österreichs- Deutschlands verweisen wollte, oder ob es sich nur um ein rhetorisches Spiel beziehungsweise um eine intelligente Nutzung stilistischer Mittel handelte, kann hier nicht geklärt werden. Festzuhalten ist jedoch, dass Metzger nie die Wörter „Fußball“, „Mannschaft“ oder dergleichen verwendete, und der Eindruck geweckt hätte werden könnte, er hätte hier über die national-historisch-geprägte Beziehung zweier Länder gesprochen, wäre der Artikel beispielsweise im Politteil der „Presse“ erschienen.

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Dass ein solches Fußballspiel durchaus Geschichte schreiben kann, ist spätestens seit Córdoba eine unumstrittene Tatsache und wird auch immer wieder gern von den Medien aufgegriffen und zur Mythen- und Legendenbildung herangezogen. So sprach in der „Presse“ vom 13.06.2008 von der „historischen Gelegenheit“, die Deutschen abermals zu besiegen. Ein Triumph über Deutschland geschehe jedoch nur „alle heiligen Zeiten“. In diesem Artikel verwies Hickersberger jedoch nicht nur auf Córdoba, sondern auch auf das Stadion-Eröffnungsspiel in Wien 1986, als man die Deutschen 4:1 schlagen konnte. Auffällig an diesem Bericht ist, dass sich der Autor – Wolfgang Wiederstein – sichtlich bemühte, immer wieder auf die große Besonderheit des bevorstehenden Gruppenspiels hinzuweisen. Wiederstein benutzte jedoch im Gegensatz zur Berichterstattung der deutschen „Bild“ kaum das kollektive „wir“, sondern versuchte, sachlich die Bedeutsamkeit dieses Aufeinandertreffen der „Erzrivalen“ zu schildern und auch das Phänomen beziehungsweise die Last Córdobas miteinzubeziehen. Der Autor benutzte sehr selten die Ausdrücke „Mannschaft“ oder „Team, um auf die Spielergemeinschaft hinzuweisen, sondern verwendete mehr den allgemeineren Ausdruck „Österreicher“. Ob er damit eine gewisse Verbundenheit der österreichischen Nation zur Fußballmannschaft illustrieren wollte, kann nur vermutet werden, lässt sich aber in keinster Weise eindeutig bestätigen. Wiederstein verwies oft auf die Hoffnungen „Fußball-Österreichs“ auf einen Sieg in „ihr[em] Endspiel“, um die „unendliche Sehnsucht“ nach einem Triumph für „Rotweißrot“ zu stillen. Man könnte das, um es überspitzt zu formulieren, als einen Versuch zur „Ver-Nationalisierung“ des Fußballs interpretieren. Dies aus den vorliegenden Fakten und aus lediglich einem Artikel ableiten zu wollen, ist jedoch doch eher spekulativer als wissenschaftlicher Natur. Festzuhalten ist jedoch, dass auch Wiederstein in diesem Artikel des Öfteren auf Córdoba verwies, um in diesem Zusammenhang auch anzufügen, dass der Wunsch nach einer Neuauflage des 78er Spiels bereits mehr Last als Lust hervorrufen würde. Ohne jedoch näher darauf eingehen zu wollen, welche Auswirkungen die Sehnsucht nach Córdoba2 auf die psychische Gesundheit von Fans oder Spielern haben kann, ist jedoch anzumerken, dass auch dieser Artikel von einem „Córdoba-Allgemeinwissen“ der Leserschaft auszugehen scheint.

Franz Beckenbauer fachsimpelte am Tag des Spiels in der Bild-Zeitung über die Chancen der Österreicher beziehungsweise Deutschen auf einen Sieg. Unter der Schlagzeile „Kaiser Franz schreibt in BILD Blamiert uns nicht!“ (Bild, 16.06.2008) zeigte sich der ehemalige Fußballprofi bemüht, Zuversicht und Siegesgewissheit zu vermitteln. In dem nur 31-zeiligem Absatz verwendete Beckenbauer immer das gemeinschaftliche „wir“, um auf die deutsche

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Mannschaft hinzuweisen. Für ihn stand außer Frage, wer an diesem elitären „Wir“ teilhaben konnte. Bereits in der vierten Zeile wird deutlich, dass ganz Deutschland mit den Spielern ein Kollektiv bildete. Die Nation wurde quasi in die Pflicht genommen, das Spiel gegen Österreich zu bestreiten. „Bei der EM-Auslosung vor einem halben Jahr haben wir Deutschen aufgeatmet: Zum Glück keine ‚Todesgruppe’ […]. Dass das letzte Gruppenspiel gegen Österreich jetzt für uns ein echtes Finale ist, hatte auch ich nicht erwartet.“ Ähnlich aufgebaut präsentierten sich auch die nächsten Passagen, wobei Beckenbauer ausnahmslos am „wir“ festhielt. Dass für ihn dieses Ereignis einer nationalen Angelegenheit gleichkam, wird auch deutlich, als er auf Österreich verwies und anmerkte, dass „[g]anz Österreich von diesem Spiel und von Córdoba 1978 [spricht]“. Ob sich wirklich ganz Österreich über dieses Fußballereignis ausgetauscht hat, sei dahin gestellt, dass in den Tagen vor dem Spiel jedoch eine besondere Euphorie in der Alpenrepublik zu verspüren war, ist ungelogen. Franz Beckenbauer fuhr damit fort, darauf hinzuweisen, dass Córdoba „inzwischen [ja] Österreichs berühmteste Stadt zu sein [scheint].“ Das mag zwar ob geographischer und staatlicher Grenzziehung nicht der objektiven Wirklichkeit entsprechen, stimmte jedoch dem allgemeinen Tenor überein. Die Hochstilisierung und ständige Reproduktion Córdobas in Österreich erweckte tatsächlich den Anschein, es wäre - historisch betrachtet - der Ort des wichtigsten Geschehens der Republik Österreichs gewesen. Ungeachtet dessen, ist an diesem Artikel Beckenbauers vor allem der stilistische Aufbau interessant. Insgesamt teilte sich dieser Vor-Spielbericht in äußerst viele Absätze und Passagen, die nicht immer in direktem Zusammenhang mit dem vorher geschriebenen standen. Zeile 16-17 markierten eine eigenständige Textpassage mit dem eindeutigen Appell an die Mannschaft „blamiert uns nicht“! Die bereits zuvor erwähnte Angst vor einer erneuten Niederlage gegen Österreich und die abermalige Beschämung durch den kleinen Nachbarn war auch in diesem Artikel deutlich zu spüren, wenngleich sich Beckenbauer bemühte, Siegessicherheit zu verbreiten.

Die Furcht der Bild-Zeitung, Córdoba könnte sich zu einer Art „self-fulfilling prophecy“ entwickeln und eine Niederlage der deutschen Mannschaft heraufbeschwören, erscheint ebenso tief verwurzelt wie der Wunsch auf österreichischer Seite, nach einem erneuten „Wunder“. Im Artikel „Hickersberger: ‚Wir sind kein Kanonenfutter“, der am 13.06.2008 in der „Krone“ erschien, machte auch der österreichische Nationaltrainer darauf aufmerksam, dass mit der ständigen Reproduktion von Córdoba endlich Schluss sein müsse. Im gleichen Interview merkte Hickersberger jedoch auch an, „dass es uns nur alle heilige Zeiten gelingt, gegen Deutschland zu gewinnen, so zum Beispiel 1978 in Córdoba oder 1986 bei der Stadioneröffnung in Wien“. Ganz abgeschlossen war das Thema Córdoba trotz aller 110

Beteuerungen auch für den Nationaltrainer nicht, was daran hätte liegen könnte, dass andere positive Identifikationselemente im österreichischen Fußball schlichtweg fehl(t)en. Auffällig ist jedoch auch, dass sich bestimmte Strukturen und Eigenheiten im österreichischen Fußball nicht geändert zu haben schienen, betrachtet man lediglich die Berichterstattung der Kronen Zeitung. In diesem eben angesprochenen Artikel vom 13.06.2008 wurde über die österreichische Laufstärke gefachsimpelt und gleichzeitig jedoch angemerkt, dass die Mannschaft keine Tore schießen könnte. Dies ist bereits in den Berichten von 1978 und 1982 immer wieder bemängelt worden, und das Unvermögen der Österreicher Chancen zu Toren umzuwandeln wurde seitdem ständig thematisiert. Man möchte fast meinen, es gehöre zur Natur des österreichischen Fußballs, auf aggressives Offensivspiel zu verzichten. Auch ansonsten wurde dieser Artikel in typischer Krone-Manier verfasst und bestach durch mehr Traumdenken als objektive Fakten. Auffällig ist jedoch, dass der Autor versuchte, ein eher distanziertes Verhältnis zur Nationalmannschaft zu wahren. Eher selten verwendete er ein gemeinschaftliches „wir“ und lies es seinen Interviewpartner über, kollektive Zugehörigkeitsgefühle zu vermitteln. Dies mag durchaus vernünftig erscheinen, wenn man davon ausgeht, dass das Wort eines Spielers oder Trainers in diesem Zusammenhang weit mehr wog als jenes eines „einfachen“ Zeitungsredakteurs. Mit den vielen Zitaten, die in diesen Artikel eingefügt wurden, könnte daher auch das Ziel verfolgt worden sein, Wir- Gefühle durch mögliche Identifkationssymbole – wie Hickersberger oder Kienast – zu vermitteln. Dies ist aber reine Spekulation, könnte in Hinblick auf Sätze wie „Am Montag können wir Geschichte schreiben“ dennoch – wenigstens teilweise – der Intention des Autors entsprochen haben. Die Aufrechterhaltung einer kollektiven Gefühlsstruktur, welche von der eingeschworenen Gemeinschaft der Fußballfans teilweise auf die gesamtösterreichische Nation überschwappte, erfolgte größtenteils durch den bewussten beziehungsweise unbewussten Einsatz emotionaler Mittel. Ständige Parolen wie Sieg des „kleinen Bruders“ oder „Davids über Goliath“ erinnern immer wieder an die österreichische Unterlegenheit und die Übermacht Deutschlands. Dadurch entstehende Minderwertigkeits- beziehungsweise Schamgefühle wirken in schmerzhafter Weise gemeinschaftsfördernd, da sie von einem Großteil der Fans bereits ins eigene Selbstwertgefühl übernommen wurden, und so Teil eines kollektiv erlebten Schamzustandes werden konnten. Im Sinne Scheffs leben solche Schamgefühle jedoch meist jahrelang wenn nicht sogar jahrzehntelang im Verborgenen und werden erst durch bestimmte Ereignisse sichtbar. Das Wissen der Österreicher um die eigene Kleinstaatlichkeit seit dem 1. Weltkrieg, die deutsche Überlegenheit seit den einschneidenden Erlebnissen des Jahres 1866

111 und das Ausbleiben von Erfolgserlebnissen mögen in diesem Sinne dazu beigetragen haben, dass der österreichische Minderwertigkeitskomplex unbehelligt gedeihen konnte. Es ist daher nicht auszuschließen, dass das Spiel in Córdoba diese seit nahezu einem Jahrhundert existierende Gefühlsstruktur aufbrechen ließ. Die Folge aus dieser so lange unterdrückten Scham mündete in eine bis heute andauernde Kompensation durch übertriebene Stolzgefühle, die sich darin wiederspiegeln, dass immer wieder voller Ehrfurcht und in heroischem Gedenken auf das Spiel von 1978 verwiesen wird.

5.5. Was bleibt?

Nach diesen empirischen Erhebungen stellt sich natürlich die Frage, welche Grundessenz man aus den durchgeführten Analysen ziehen kann? Was bleibt?

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass sowohl in den österreichischen wie auch in den deutschen beziehungsweise englischen Medien, die hier untersucht wurden, die Geschehnisse von Wembley 1966 beziehungsweise Córdoba 1978 ständig reproduziert werden. Mit dieser kontinuierlichen Betonung eines Ereignisses aus der Sportvergangenheit wird auch sichergestellt, dass sich das kollektive Gedächtnis weiterhin daran erinnert. Unklar erscheint oftmals, wer die Träger dieser gemeinschaftlichen Erinnerungsform sind. Sehr oft verweisen die einzelnen Tageszeitungen auf ein kollektives „wir“, wobei nicht eindeutig definiert ist, ob es sich hierbei um die Gemeinschaft der Fußballfans, der Leserschaft oder der ganzen Nation handelt, auf die referenziert wird. Vor allem in den englischsprachigen Zeitschriften konnte man sehr gut beobachten, wie das Thema Nation und Sport immer wieder miteinander in Verbindung gebracht wurde. Fußball wurde gerne schlichtweg als „englischer Nationalsport“ bezeichnet, und Spiele oftmals zur nationalen Siegespflicht ausgerufen. Diese besondere Beziehung zwischen sportlichen Ereignissen und der Nation in Großbritannien ist hier insofern interessant, als dass die Medien primär auf die englische Mannschaft verweisen, diese aber indirekt auch als eine Art britische Nationalmannschaft zu betrachten scheinen. Man könnte daraus auch den Schluss ziehen, England würde von den hier untersuchten Tageszeitungen gerne Großbritannien gleich gesetzt werden, was auch eine Hervorhebung der rein englischen Elemente in der britischen Nation implizieren würde. Diese ständige Referenz auf das Nationale in der englischen Berichterstattung ist möglicherweise in der aktuellen Identitätskrise Großbritanniens zu verorten. Bedenkt man die enormen Machtkompetenzen, die England/Großbritannien vor den Weltkriegen Inne hatten, und die dann als Folge der Kriege sukzessive eingeschränkt wurden, ist es leichter nachvollziehbar, warum der insulare 112

Staat, der augenscheinlich zu einem bloßen Anhängsel der USA verkommen ist, zunehmend auf eine nationale Identitätskrise hinsteuert. Die Überbetonung der Nation und der „Pflicht“ an dieser mag daher als ein Resultat solcher Unsicherheiten zu bewerten sein. Die Berichterstattung der österreichischen Kronen Zeitung präsentierte sich jedoch auch sehr national gefärbt, weshalb in diesem Zusammenhang auch angenommen werden kann, dass Nationalismus beziehungsweise Patriotismus vielerorts noch als typische Ausprägung der unteren Schichten gilt. Natürlich kann man auch dies nicht verallgemeinern. Bei der Analyse der einzelnen Artikel war jedoch auffällig, dass Beiträge, die sich einer einfachen Sprache bedienten und daher auch von bildungsferneren Gruppen problemlos gelesen werden konnten, auch eher nationale Parolen beziehungsweise Symboliken verwendeten. Der hier oftmals versteckte Appell an das nationale Ehrgefühl und dergleichen präsentierte sich jedoch auch äußerst schwammig, da nicht festzustellen war, an welchen Adressaten diese Artikel gerichtet waren. Vor allem in solchen Beiträgen wurde gerne das „wir“ verwendet, obwohl nie deutlich gemacht wurde, welche Personen(gruppen) dieser Gemeinschaft angehören sollten. Damit wurde lediglich impliziert, dass sich der Autor einem viel größeren Kollektiv zugehörig fühlte, welches seine (nationalen) Ansichten und Gefühle teilte und auch über ein gemeinsames Erinnerungsvermögen verfügte. Diese „Wir-Gemeinschaften“, die in den einzelnen Beiträgen immer wieder präsent erschienen, erinnerten zunehmend an Benedict Anderson’s Konzept der „imagined communities“. Das Gefühl Teil eines großen Ganzen zu sein und sich einem Kollektiv zugehörig zu fühlen, die gleichen Werte und Normen verinnerlicht zu haben und aufeinander zu referenzieren, ohne sich persönlich zu kennen, entsprechen relativ eindeutig Andersons Ausführungen einer solchen „eingebildeten“ Gemeinschaft. Die Bildung solcher Wir-Gefühle beziehungsweise Zugehörigkeitsgefühle basiert jedoch, wie gezeigt werden konnte, auch auf emotionalen Strukturen. Das „Mitfühlen“ mit einer Gruppe oder einem anderen Kollektiv kann durch positive wie auch negative Ereignisse beeinflusst werden und trägt maßgeblich dazu bei, dass solche Emotionen – wie Scham oder auch Stolz – Teil der eigenen Identität werden.

Zur medialen Berichterstattung ist noch anzuführen, dass sich diese in gewissen Aspekten in Deutschland wie auch in Österreich und Großbritannien weitgehend deckten. Besonders auffällig war, dass vor allem die Boulevardzeitungen immer wieder emotionale Aspekte hervorhoben wie auch einhellig auf eine allgemeine „Nervosität“ referenzierten. Insgesamt wurden die Jahre 1966, 1978, 1982, 1986, 1990, 1996, 2008 und 2010 nach bestimmten Kriterien analysiert, doch in jeder der untersuchten „Zeitepochen“ ließ sich die

113 außerordentliche Relevanz der „Nervosität“ herauslesen. Fast unentwegt wurde auf Spiele verwiesen, die einem „Nervenkrieg“ ähneln würden. Zudem hätten oftmals nicht nur die Spieler unter einer schier unmöglichen Nervosität gelitten, sondern auch die nationale Atmosphäre wäre zunehmend von Nervosität durchzogen gewesen. Diese Betonung einer eigentlich individuellen Gemütsverfassung von Menschen wurde jedoch zu einem Schlagwort nahezu aller der hier untersuchten Medien hochstilisiert. Weitaus unterschiedlicher erfolgte die Reproduktion der Ereignisse von Wembley 1966 und Córdoba 1978. Es ist unumstritten, dass beide Geschehnisse immer wieder von den Medien thematisiert werden, um vor allem die Mythen- und Legendenbildung zu unterstützen. Insbesondere Córdoba hat sich zweifellos zu einem kollektiven Gedächtnisort entwickelt und fast jedem Österreicher sollte es möglich sein, auf diese Stadt mit positiven Erinnerungen zu referenzieren. Auch im kollektiven Gedächtnis der Deutschen dürfte sich Córdoba bereits festgesetzt haben, wobei sich die Berichterstattung der Österreicher und der Deutschen hierbei doch stark voneinander unterscheidet. In der Kronen Zeitung ist der Name Córdoba Programm. Das bedeutet, vor einem Spiel gegen Deutschland herrscht in der heimischen Gazette nahezu bedingungslose Siegessicherheit, die noch immer auf dem Triumph von Córdoba basiert. Die deutsche „Bild“ hingegen erwähnt den Namen dieser argentinischen Stadt nicht allzu oft, sondern bemüht sich lediglich vor einer erneuten Beschämung durch die Österreicher zu warnen. Dies ist auch das leitende Thema in der „Bild“, welches immer wieder zur Sprache kommt, wenn die österreichische und die deutsche Fußballnationalmannschaft aufeinandertreffen. Die ganze Sorge der Deutschen – so scheint es – gilt, der Vermeidung einer neuerlichen Blamage und eines damit einhergehenden Schamgefühls, welches sich bereits durch die schmachvolle Niederlage von 1978 entwickeln hatte können.

Hinsichtlich der medialen Reproduktion von Wembley 1966 gibt es enorme Diskrepanzen zwischen deutschen und englischen Tageszeitungen. Auch Wembley hat sich zu einem kollektiven Gedächtnisort der Bundesrepublik Deutschland wie auch Englands herausbilden können. Auf dieses legendäre Spiel am „heiligen Rasen“ wird immer wieder verwiesen, wenn die Deutschen auf Revanche sinnen, und die Engländer die „alten Geister“ beschwören. Trotz der vielen Siege, die Deutschland mittlerweile über England erringen konnte, ist es noch immer Wembley 1966, das zu vielen Diskussionen führt und Rachegedanken heraufbeschwört. Der „Betrug“ von 66‘ scheint für die Deutschen nahezu „unsühnbar“ zu

114 sein, wohingegen die Engländer gerne die Helden von damals feiern. Der Diskurs rund um Wembley wird demnach von den Medien immer wieder aufgegriffen, wenngleich er deutlich anders rezipiert wird. Während man in Deutschland immer wieder auf den schändlichen „Betrug“ verweist, spielt dieses berühmt-berüchtigte Wembley-Tor für die englische Berichterstattung keine große Rolle. Im „Daily Express“ wie auch im „Guardian“ hat man sich in den letzten Jahren eher dahin gehend entwickelt, das englische Trauma vom Elfmeterschießen aufzuarbeiten. Diese Krise der Engländer bezüglich des Penalty-Schießens wird mittlerweile ebenso gerne thematisiert und reproduziert wie das viel positivere Ereignis von 1966.

Um auf die eingangs präsentierten Fragestellungen hier nochmals zusammenfassend einzugehen, muss Folgendes festgehalten werden:

Córdoba und Wembley präsentieren sich in der medialen Berichterstattung als kollektive Gedächtnisorte. Eindeutige Gründe hierfür aufzuzeigen, war im Zuge dieser Arbeit jedoch nicht möglich. Es ist aber anzunehmen, dass die Erinnerungen an das jeweilige Ereignis starke Emotionen hervorrufen, die sich hauptsächlich in Rache, Scham wie auch in Genugtuungsgefühlen ausdrücken lassen. Auch das Fehlen anderer Identifikationsobjekte auf sportlicher wie auch nationaler Ebene mag dazu beitragen, dass immer wieder auf die gleichen Ereignisse referenziert wird. Die mittlerweile übertriebene Betonung des „Wunders“ von Córdoba könnte auf latente Minderwertigkeitskomplexe und Unterlegenheitsgefühle hinsichtlich der Vormachtstellung Deutschlands und dem „Schattendasein“ neben dem großen Bruder zurückzuführen sein. Um diesen bereits chronisch-schamhaften und auch ungewussten Zustand zu kompensieren, wird vor allem im Fußball durch die Medien ein übertriebener Stolz auf die Leistungen der Mannschaft von 1978 vermittelt. Bereits in der Zeit vor dem 1. Weltkrieg hat sich auf britischer beziehungsweise englischer Seite ein weitverbreiteter Angstgedanke hinsichtlich der wachsenden Machtansprüche Deutschlands entwickelt, was großteils auf dem plötzlich erwachten Interesse von Teilen der preußischen Führungselite für den Schiffsflottenausbau beruht. Der Schock über die unzähligen Kriegsopfer auf britischer Seite nach 1918, die verlorene Hegemonialstellung Großbritanniens in Europa sowie das plötzliche Erstarken der USA zu einer Weltmacht und das rasche Wirtschaftswachstum Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf das Selbstbewusstsein und das Nationalgefühl vieler Briten ausgewirkt haben. Wembley 1966 wirkte daher mit Sicherheit gegen das sich nun immer stärker aufkommende Unterlegenheits- beziehungsweise Schamgefühl. Die von Hochmut und Siegessicherheit dominierenden Artikel 115 aus den Jahrzehnten nach diesem Sieg zeugen dementsprechend von der Entwicklung eines „false pride“ nach Scheff. Die Berichterstattung rund um das WM-Auftreten der englischen Fußballnationalmannschaft 2010 lässt jedoch vermuten, dass mittlerweile Resignation anstelle von Rache- und Schamgefühlen getreten ist. Inwiefern sich die Gefühlsstruktur in England weiter entwickeln wird, bleibt abzuwarten, zumal das „Mutterland des Fußballs“ auch in diesem Bereich bereits von anderen Ländern auf die Plätze verwiesen worden ist. Die mediale Berichterstattung hat einen sehr großen Anteil an der Stabilisierung des kollektiven Gedächtnisses, da, wie hier gezeigt wurde, Córdoba wie auch Wembley ständig reproduziert werden und nicht selten auch mit anderen Bereichen (beispielsweise Politik oder Wirtschaft) in Zusammenhang gebracht werden. Sehr eindeutig war auch, dass mit den beharrlichen Verweisen auf diese beiden Spiele auch immer wieder versucht wurde, Wir-Gefühle aufrecht zu erhalten. Unklar blieb jedoch meist, welche Wir-Gemeinschaften sich angesprochen fühlen durften. Es wurde zunehmend der Eindruck erweckt, die mediale Berichterstattung würde versuchen, das kollektive Gedächtnis von imaginierten Gemeinschaften (im Sinne von Benedict Anderson) zu stärken. Des Weiteren war festzustellen, dass von den Tageszeitungen oftmals sehr wohl das Ziel angestrebt wurde, ein Verhältnis zwischen nationalem Zugehörigkeitsgefühl beziehungsweise Patriotismus und den ausgewählten Fußballereignissen herzustellen. Besonders deutlich präsentierte sich auch der Einfluss von historischen Bedingtheiten auf die mediale Berichterstattung. Die Qualität der jeweils zeitaktuellen Beziehungen zwischen den einzelnen Ländern ließ sich auch in der Einbettung der beiden Sportereignisse in den medialen Kontext wiederfinden. So wurde beispielsweise 1978 und auch noch 1982 eine starke Abnabelungspolitik Österreichs von Deutschland betrieben, um eine eigene nationale Identität aufzubauen und diese zu stärken. Der Erfolg von Córdoba bedeutete daher teilweise auch die endgültige Lossagung vom einstigen Verbündeten, und dessen Reproduktion bot die Fluchtmöglichkeit aus einem langjährigen Minderwertigkeitskomplex.

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6. CONCLUSIO

Die vielfach erwähnte Abgrenzungspolitik zu Deutschland erscheint aus heutiger Sicht in Österreich kaum mehr zu erfolgen. Dies lässt sich vor allem in den Sportereignissen der letzten Zeit sehr gut nachvollziehen. Spiele zwischen Österreich und Deutschland folgen nicht mehr unbedingt starken patriotischen Gefühlen. Eher auf fachlicher Ebene wird die spielerische Überlegenheit Deutschlands anerkannt und nicht selten befinden sich Österreicher im deutschen Fansektor. Ob solche Tendenzen im Sport auch auf die Gesamtgesellschaft umzulegen sind, ist eher fraglich. Die Gleichzeitigkeit zwischen Änderungen innerhalb der Gesellschaft und sportlichen Ereignissen beziehungsweise deren mediale Reproduktion ist jedoch unübersehbar.

Das Ende der aggressiv-österreichischen Abnabelungspolitik zu Deutschland mag darauf zurückzuführen sein, dass sich in Österreich endgültig ein stabiles Identitätskonzept durchsetzen konnte. Ein anderer Grund kann auch darin liegen, dass aufgrund der Auflösung allzu nationaler Element durch die Eingliederung in die Europäische Union und der damit zusammenhängenden Einführung eines gemeinschaftlichen europäischen Kurses, Abgrenzungstaktiken eher unsinnig erscheinen würden. Welche Ursachen auch immer dafür verantwortlich sein mögen, dass sich nationale Identitäten herausbilden und verfestigen können, kann wahrscheinlich nur schwer wissenschaftlich analysiert und begründet werden. Ob Identitäskonzepte aus dem Sport beziehungsweise kollektive Erinnerungen an Ereignisse wie Córdoba oder Wembley jedoch auf nationale Zugehörigkeitsgefühle und „Gedächtnisleistungen“ einwirken können, ist im Gegenschluss aber auch nicht eindeutig von der Hand zu weisen.

Während der Zeit, als ich mich intensiv mit dieser Arbeit auseinandergesetzt habe, ist mir bewusst geworden, wie komplex sich die Identitätsbildung grundsätzlich präsentiert und dass es nahezu unmöglich ist, ein kollektives Gedächtnis eindeutig zu benennen, da sich gemeinschaftliche Erinnerungen meist nicht nur aus einem Geschehnis speisen, sondern auf vor allem auf starken Emotionen beruhen. Dass der Diskurs um Córdoba und Wembley noch immer rege geführt und auch von den Medien mit Freude reproduziert wird, hat sich bestätigen lassen. Um dies jedoch genauer zu analysieren und mögliche Querverbindungen zu nationalem Zugehörigkeitsgefühl beziehungsweise nationaler Identität herstellen zu können,

117 müssten jedoch weitere Analysen durchgeführt werden, die wahrscheinlich auch kein eindeutiges Ergebnis liefern können.

Die vorliegende Arbeit war daher der Versuch, auf einer fassbaren Ebene – dem Fußball – basale Untersuchungen durchzuführen, um möglicherweise in späteren Arbeitsschritten auch Schlüsse auf komplexere Gesellschaftsbereiche ziehen zu können. Selbst wenn die Ergebnisse nun nicht allzu viel „Neues“ liefern konnten, so ist doch festzuhalten, dass anscheinend ein Bedarf an positiven Identifikationselementen besteht, ansonsten könnten Córdoba oder auch Wembley selbst im kollektiven Gedächtnis gar nicht existieren.

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7. ANHANG

7.1. Abbildungen und Tabellen

Abbildung 1: Karikatur vom 01.08.1966 in der „Daily Express“ ...... 68

Abbildung 2: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen im „Daily Express“, die einem Hauptthema zugeordnet werden können...... 70

Abbildung 3: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen im „Guardian“, die einem Hauptthema zugeordnet werden können...... 77

Abbildung 4: Karikatur vom 28.07.1996 aus dem „Daily Express“ ...... 79

Abbildung 5: Karikatur aus der Krone vom 24.06.1978 ...... 92

Abbildung 6: Karikatur aus der Presse vom 31.10.1986 (Titelseite) ...... 93

Abbildung 7: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen in der Presse, die einem Hauptthema zugeordnet werden können...... 95

Abbildung 8: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen in der Kronen Zeitung, die einem Hauptthema zugeordnet werden können...... 96

Abbildung 9: Darstellung der Anzahl sogenannter Unterthemen in der Bild, die einem Hauptthema zugeordnet werden können...... 98

Abbildung 10: Karikatur vom 20.06.1978 in der FAZ ...... 100

Abbildung 11: Karikatur vom 26.06.1978 in der FAZ ...... 101

Tabelle 1: Anzahl der Befragten nach nationaler Herkunft ...... 22

Tabelle 2: Darstellung des Stolzes auf die sportlichen Errungenschaften der jeweiligen Nation ...... 24

Tabelle 3: Total spectator average as percentage of population ...... 30

Tabelle 4: Auswahl der diskursiven Ereignisse ...... 60

Tabelle 5: Erfasste Tageszeitungen und Artikelanzahl ...... 61

Tabelle 6: Ausgewählte Diskursfragmente zur Analyse des Diskursstrangs „Wembley 1966“ im „Daily Express“ ...... 82

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7.2. Ausgewählte Artikel zur Feinanalyse

Medium Titel Autor Datum Diskursives Ereignis Was für eine geile Rache WM Viertelfinale in Bild 27.06.2010 für Wembley! Südafrika Kaiser Franz: Blamiert uns Franz Bild 15.06.2008 EM-Gruppenspiel 2008 nicht! Beckenbauer Schlacht von Wembley - EM Halbfinale 1996 in Bild 27.06.1996 Ein historischer Sieg England Pezzey: Ihr Deutschen habt Gruppenspiel Österreich- Bild die Goschen zu voll 24.06.1982 BRD, WM 1982 genommen „Daily Even Spurs fans hand it to Kevin EM Halbfinale 1996 in 22.06.1996 Express“ Seaman Moseley England „Daily Bulldogs will put the bite WM-Gruppenspiel 1982 Steve Curry 29.06.1982 Express“ on Germany in Gijón Hickersberger: "Wir sind Krone 14.06.2008 EM-Gruppenspiel 2008 kein Kanonenfutter!" Gruppenspiel Österreich- Krone Von Córdoba bis Gijón Wilfried Silli 25. Jun 82 BRD, WM 1982 Das Euro-Duell: Warum Wolfgang Presse 13.06.2008 EM-Gruppenspiel 2008 nur alle heiligen Zeiten? Wiederstein Zuviel Angst vor der Josef 26./27. Jun Gruppenspiel Österreich- Presse eigenen Courage Metzger 82 BRD, WM 1982 The Out of touch but still in WM Halbfinale 1990 in David Lacey 03.07.1990 „Guardian“ luck Italien Suddenly it feels like a World Cup with the nerves The beginning to jangle and the WM-Gruppenspiel 1982 David Lacey 28.06.1982 „Guardian“ stomach muscles tighten at in Gijón the prospect of things to come

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8.1. Ausgewählte Printmedien

- Kronen Zeitung

- Die Presse

- FAZ

- Bild

- Manchester Guardian

- Daily Express

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