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„Bullen-Arena“ in Salzburg, Spielertunnel: Eine Atmosphäre, als finge gleich eine Delphinshow an

EUROPAMEISTERSCHAFT Fußball aus der Dose Zusammen mit der Schweiz bereitet sich Österreich auf das EM-Turnier 2008 vor. Aber anders als bei den Nachbarn befindet sich der österreichische Fußball seit langem auf einem Leidensweg: Die Nationalelf spielt schwach, und die Liga produziert fleißig Kapriolen.

as Restaurant hinter der VIP-Tribü- na“ des -Spitzenreiters und auch eine Fußballmannschaft in New York. ne heißt „Bulls’ Corner“, und weil Herbstmeisters aus Salzburg. Vor knapp „Fußball“, sagt Mateschitz, „ist salonfähig Des im Reich von Dietrich Mate- zwei Jahren hat der Unternehmer Mate- geworden.“ Die Spieler seien „heutzutage schitz auch während des Spiels keine Se- schitz, 52, der von Fuschl am See aus jähr- Popstars“. kunde ohne Dose geben darf, kann jeder lich weltweit rund drei Milliarden Dosen Mateschitz selbst verfolgt die Auf- VIP sich per SMS einen kostenlosen Drink Red Bull verkauft, den Laden übernom- führungen seiner Truppe aus einer Loge, bestellen. men. Er führt den Club wie eine GmbH, der Skybox Nummer 6, die er nach Spiel- Aus den Lautsprechern kündigt Rinder- mit eigenen Leuten. Fußball ist für ihn vor ende rasch verlässt, um dann in Leder- gebrüll die Zeitlupenwiederholung von allem eine Marketing-Maßnahme. montur auf seiner BMW zu enteilen. Das Torschüssen auf der Videoleinwand an. Mateschitz, drittreichster Österreicher, Feld überlässt er seinen leitenden Ange- Manchmal werden dort bloß Zuschauerin- will in die Champions League, in 15 Jahren stellten, die fast alle aus dem Kosmos des nen eingeblendet, alles Kandidatinnen für spätestens soll Salzburg zu den Topverei- FC Bayern München stammen. Zum Bei- die Wahl zur „Red Bullerina“ des Tages. nen Europas gehören. Die Marke muss spiel der Trainer , der Das Stadion, holzvertäfelt, erinnert an ein weltweit ins Fernsehen, Fußball in Öster- sich immer noch wie ein erratischer Zir- amerikanisches Spa-Hotel, die Animateure reich ist nur Teil einer globalen Strategie. kusclown in deutschen Sätzen verliert: im Innern erzeugen eine Atmosphäre, als Red Bull gibt in diesem Jahr 900 Millionen „Brauche nix ticke-tacke-tucke.“ finge gleich eine Delphinshow an. Euro für Marketing aus, ein Drittel da- Oder der Assistenzcoach Lothar Mat- So geht es zu an der Spitze des öster- von für Sportsponsoring, das Unterneh- thäus, der nach Spielen ausdauernd Rede reichischen Fußballs, in der „Bullen-Are- men hat zwei Formel-1-Teams und jetzt und Antwort steht, in seinem Rücken

82 der spiegel 52/2006 Geldvernichtung und reißen alle, die Schritt halten wollen, mit in die Pleite. Vier der zehn Bundesligisten waren schon mal insolvent. Der diesjährige Kon- kurs des SK Sturm Graz, der nur dank ei- ner Kaution von 750000 Euro den Spiel- betrieb fortsetzen darf, war der sechste Fall in sieben Jahren. Und als der FC Tirol 2002 Konkurs anmeldete, hatte er 50 Millionen Euro Schulden angehäuft. Inzwischen hat es auch den Wiener Tra- ditionsclub erwischt. Acht Jahre lang wurde der Verein vom Austro-Kana- dier Frank Stronach gepäppelt, jetzt schreibt der „Kurier“ über den Club des Großbürgertums aus dem Stadtteil Favori- ten: „Der einstige Luxusdampfer gondelt im Abwasserkanal.“ Der neue Generalmanager Thomas Pa- rits, 60, früher Profi in Köln, Frankfurt und Granada, soll zusammenflicken, was in der Ära Stronach auseinanderbrach. Parits gehörte zum sogenannten hundertjährigen Sturm, der die Austria 1978 ins Europa- cup-Finale schoss, in seinem Büro stehen wie im Prä-Computer-Zeitalter Ordner mit Aufschriften wie „Nachwuchs“, „Scou- ting“, „Marketing“ im Regal. 2007 läuft der sogenannte Betriebsführer- Vertrag mit Stronachs Autozulieferfirma Magna aus. Der Geldgeber hat die Nase voll. Seit 1999 hatte der Mäzen und Selfmademan aus der Steiermark, der alles selbst bestim-

SEBASTIAN / KRAUSS (R.) / PIXATHLON (L.); JOHANNES KERNMAYER PICTURES GEPA men wollte, rund hundert Spieler gekauft, selbst mittelmäßige Spieler jenseits der 30 große Red-Bull-Kühlboxen, und sagt, dass fast bis zum Sprunggelenk reicht, führt konnten noch 800000 Euro netto verdienen. Red Bull Salzburg ein Fußballverein sei derzeit mit großem Vorsprung die Tor- Die durchschnittliche Verweildauer eines und kein Zirkusverein. Und schließlich gibt schützenliste an, obwohl man ihn hier- Trainers bei den Wiener Praterveilchen be- es da noch , der Mate- zulande eher als Chancentod kannte. In trug zuletzt sieben Monate. schitz in Fußballfragen berät und nach ei- Österreich wählten ihn die Trainer zum Stronachs angekündigter Rückzug löste nem 4:0-Sieg gegen eine desolate Wiener Fußballer des Jahres. eine unkontrollierte Sparwelle aus: Zu Sai- Austria verkündete: „Das sah schon richtig Österreichs Fußball leidet. Das liegt zum sonbeginn hatte Austria sechs Stammspie- nach Fußball aus.“ einen an findigen Spielervermittlern, die ler verhökert und besaß quasi keinen Siege dieser Art feiern die Salzburger das Land mit günstigen Durchschnitts- Sturm mehr. Jetzt soll Parits nachkaufen, häufig in dieser Saison. Fußball mag eine kickern mit überdurchschnittlichen Ge- den Abstieg verhindern und eine Zukunft Marketing-Maßnahme für Mateschitz sein, haltsvorstellungen aus Osteuropa über- vorbereiten, in der Magna als Aktionär aber sie scheint auch sportlich zu funktio- schwemmen. Zum anderen beherrschen weitermacht und Wiens Bürgermeister und nieren: Red Bull Salzburg ist zu stark für Selbstdarsteller die Szene, die immer mal Austria-Fan Michael Häupl den Bau eines die T-Mobile-Bundesliga. wieder als gefeierte Mäzene Zuwendun- schmucken Stadions forciert. Man kann aber auch sagen: Österreichs gen über die Clubs schießen wie mit der Parits hat nach der Karriere eine Tank- Fußball ist zu schwach für die Ambitionen Schrotflinte. Resistent gegen fachliche Be- stelle im Burgenland geführt. Zuletzt, sagt von Mateschitz. ratung, bestimmen sie den Rhythmus der er, sei er „zwei Jahre Spaziergänger“ gewe- Anderthalb Jahre vor Beginn sen. Er spricht von „Brocken“, wenn er die der Europameisterschaft, die so- Probleme aufzählt. Magna Austria unter- wohl in Österreich als auch in der hält immerhin eine Nachwuchsakademie, Schweiz ausgetragen wird, ist die aber auch da, glaubt Parits, sei der Zulauf Lage desolat. Die Nationalmann- nicht wie früher. „Heute sitzen sie vor der schaft hat sich seit 1998 nicht Playstation. Ajax hat Fußballschulen in mehr für ein internationales Tur- Afrika, da gibt es nicht die Playstation.“ nier qualifizieren können. Viele Einer seiner Vorgänger war das Wiener Vereine sind abhängig von Mä- Idol . Als der von Stronach ge- zenen oder nahe an der Pleite. feuert wurde, scherzte der frühere Bun- Der Ausländeranteil ist hoch, desliga-Profi Andreas Herzog, der heute das Niveau schwach. Alexander Assistenztrainer der Nationalelf ist: „Du Zickler zum Beispiel, der in host eam als Oanziger nicht mal b’schis- Deutschland zuletzt wegen drei- sen.“ Nein, Herzerl, antwortete Polster, er Beinbrüche zwei Jahre nicht dafür war die Zeit zu kurz.

spielen konnte und einen Nagel / IMAGO ULMER Betrug, Korruption, Schmiergeld, auch im Knochen hat, der vom Knie Partner Beckenbauer, Mateschitz: Kein Zirkusverein darüber wird geraunt im österreichischen

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gonal, mit der Außenseite ge- spielt. Daran kann man sich in Österreich schon erfreuen.“ Hickersberger, 58, war schon einmal Trainer der Na- tionalmannschaft, bis ihn die historische Niederlage gegen die Färöer Inseln 1990 aus dem Amt fegte. So leicht wirft ihn nichts mehr aus der Bahn. Im Spätsommer hatte der England-Legionär Paul Schar- ner von Wigan Athletic we- gen „unprofessioneller Struk- turen“ seinen Rücktritt ein- gereicht und der Legionär , der bei Middlesbrough spielt, mit ei- nem öffentlichen Rundum- schlag gegen Trainer, Verband und sogar die Ausrüstung seinen Rauswurf provoziert, weil er das Team mit einer Dritte-Welt-Mannschaft ver- glich.

WALTER LUGER / GEPA PICTURES / GEPA LUGER WALTER Hickersberger sagt, dass Austria-Mäzen und EM-Unterstützer Stronach (l.)*: „Ein Luxusdampfer im Abwasserkanal“ auch ein oder César Luis Menotti keine bes- Fußball. „Ungereimtheiten“ in Transfer- strategischen Analphabetismus“ der ein- seren Spieler in Österreich finden wür- fragen hatte Red-Bull-Chef Mateschitz dem heimischen Trainer. Diese Hoffnung auf de. Er spricht abfällig über Erwartungen, Trainer vorgehalten, als er ihn eine zufällige Anhäufung von Ausnahme- „die noch von der kaiserlich-königlichen entließ – zum ersten Mal sprach jemand so spielern enthebe das nationale Fußball- Monarchie herrühren“. Auch er gehörte ein Wort öffentlich aus, Mateschitz war system der Pflicht, moderne Strukturen zum Córdoba-Team, aber er glaubt nicht neu in der Branche. Jara klagte wegen Ruf- aufzubauen. Der Österreicher sagt: Schickt an neue Wundergenerationen, weil „sich schädigung, jetzt gibt es einen Prozess und der Herr ein Haserl, schickt er auch ein durch die geburtenschwachen Jahrgän- Dokumente. Graserl. ge die Wahrscheinlichkeit reduziert“. Einmal zahlte Salzburg 118 Prozent der Immerhin hat der Verband ÖFB mit Hickersberger, „der Pepi“, verleiht der Transfersumme an Vermittlungsprovision, Blick auf die EM ein Projekt „Challenge prekären Lage eineinhalb Jahre vor der in einem anderen Fall behauptet ein Spie- 2008“ aufgelegt: Mögliche EM-Kandidaten EM so etwas wie eine kontemplativ-heite- ler, der Trainer habe ihn gezwungen, sei- werden von Individualtrainern auf ÖFB- re Note. nen Wechsel nach Salzburg über einen be- Kosten in ihren Clubs nachgeschult, eine Wie schwer der Weg sein wird in die stimmten Agenten abzuwickeln – nämlich Datenbank mit Spielerprofilen enthält so- Spitze des europäischen Fußballs, das Jaras Freund Robert Hochstaffl, früher Ma- gar psychologische Informationen. musste mittlerweile sogar der Alleskönner nager bei Tirol. Jara bestreitet, je aus an- Das Nationalteam hat zwei Mentaltrai- Mateschitz erfahren. Red Bull Salzburg hat deren als sportlichen Motiven Spieler ver- ner und mit dem Briten Roger Spry jetzt einen Etat von 50 Millionen Euro und ist pflichtet zu haben. einen „Conditioning Coach“, der schon damit der nationalen Konkurrenz weit vor- Der Austria-Mäzen Stronach war es Luís Figo vom Hänfling zum Athleten ge- aus, international aber scheiterte der Ver- übrigens auch, der vor acht Jahren pro- formt und Star-Trainern wie Arsène Wen- ein schon bei der Qualifikation zur Cham- phezeite, dass Österreich 2010 die Welt- ger, Mario Zagallo und José Mourinho zu- pions League und kam nicht in die Grup- meisterschaft gewinnen werde. In diesem gearbeitet hat. Spry glaubt, dass Österreich penphase des Uefa-Cup. National, klagt Jahr hat das Nationalteam gegen Kanada, Europameister werden kann, und unter- Matthäus, werde der Liga-Krösus „leider Ungarn und Venezuela verloren. Ein richtet die Spieler in Capoeira, der bra- nicht so gefordert“. Allenfalls im Training schwer erkämpftes 2:1 gegen Liechtenstein silianischen Kampftanzkunst. Das alles könne man sich das Niveau erarbeiten, das wurde als Erlösung gefeiert. In einem In- klingt modern. in Europa gefragt sei. ternet-Forum für die Fußball-EM schrieb Dann aber hört man den spitzzüngigen Mateschitz hatte gehofft, dass sein En- ein Nutzer: „Unser Fußball dürfte einer Teamchef reden und gagement Kollegen aus der Wirtschaft mit- der peinlichsten weltweit sein.“ begreift, dass Österreich genügsam sein zieht, auf dass die Qualität der Liga steige. Als Wurzel allen Übels gilt die soge- muss. Am Abend im Wiener Ernst-Happel- Gelinge dies nicht, „sind wir unter den nannte Córdoba-Generation, jene Spieler- Stadion beim 4:1 gegen die B-Mannschaft Blinden als Einäugiger König“. generation um Stars wie und von Trinidad & Tobago hat René Aufhau- Der Red-Bull-Unternehmer hat schon , die 1978 bei der WM in ser drei Tore erzielt – ein Mittelfeldspieler, ein neues Ziel ausgemacht: Sollte der ost- Argentinien 3:2 gegen Deutschland ge- der in Salzburg keinen Stammplatz besitzt. deutsche Viertligist Sachsen Leipzig in die- wann. Kritiker wie der Radioredakteur Und als dem jungen Grazer Klaus Salmut- ser Saison in die Regionalliga aufsteigen, Martin Blumenau, 46, der auch das Inter- ter ein Fehlpass unterlief, kommentierte will Mateschitz dort 50 Millionen Euro net-Forum „EM-Journal“ moderiert, mei- Hickersberger das so: „Die Qualität des investieren. Red Bull Leipzig, das könnte nen, dass es im Lande einen tiefen Glau- Fehlpasses war etwas Besonderes. Dia- eine vielversprechende Investition sein. ben an die Wiederkehr einer Wunder- Die Stadt hat ein schönes WM-Stadion, generation gebe und dass dieser Glaube * Mit ÖFB-Präsident Friedrich Stickler, Altkanzler Franz der Hunger nach Fußball ist groß. verantwortlich sei für den „taktischen und Vranitzky und EM-Maskottchen. Jörg Kramer

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