DIE LINKE Wohin Verändert Sie Die Republik? Rls 40 Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 40 Rosa-Luxemburg-Stiftung
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Michael Brie, Cornelia Hildebrandt, Meinhard Meuche-Mäker (Hrsg.) DIE LINKE Wohin verändert sie die Republik? rls 40 Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 40 Rosa-Luxemburg-Stiftung MICHAEL BRIE, CORNELIA HILDEBRANDT, MEINHARD MEUCHE-MÄKER (HRSG.) DIE LINKE Wohin verändert sie die Republik? Karl Dietz Verlag Berlin Michael Brie, Cornelia Hildebrandt, Meinhard Meuche-Mäker (Hrsg.): DIE LINKE. Wohin verändert sie die Republik? (Reihe: Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 40) Berlin: Karl Dietz Verlag 2007 ISBN 978-3-320-02123-8 © Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2007 Satz: Marion Schütrumpf Umschlag: Heike Schmelter, unter Verwendung eines Fotos von Ronald Friedmann Druck und Verarbeitung: MediaService GmbH BärenDruck und Werbung Printed in Germany Vorwort 7 Strategische Ausgangspunkte MICHAEL BRIE Der Kampf um gesellschaftliche Mehrheiten 13 MEINHARD MEUCHE-MÄKER Der Blick von Innen. Die Sicht von Akteuren auf die Bildung der Partei DIE LINKE.46 Neue Ansätze KATJA KIPPING Gipfelproteste 2007 – ein gelungener Start für DIE LINKE 90 WERNER DREIBUS,MATTHIAS HINZE,AXEL TROOST Die Kampagne als strategisches Instrument der LINKEN Überlegungen am Beispiel der Mindestlohnkampagne 109 CHRISTOPH SPEHR Unterwegs zur Partei des Volkes Parteibildung und Wahlkampf in Bremen 2005-2007 123 DIETMAR BARTSCH Ein »Linksbündnis« wächst aus der Gesellschaft, nicht aus machtpolitischen Spielereien 153 Zentrale Streitpunkte CORNELIA HILDEBRANDT Der schmale Grad linker Reformpolitik – der Fall Berlin 160 DIETER KLEIN Die Linke und das Eigentum Zur programmatischen Diskussion 192 Mitgliedschaft und Wählerschaft DIETMAR WITTICH Wählerinnen und Wähler 219 RAINER FERCHLAND Befunde einer Mitgliederbefragung im Berliner Stadtbezirk Marzahn-Hellersdorf 233 Ausblick MICHAEL BRIE Segeln gegen den Wind. Bedingungen eines politischen Richtungswechsels in Deutschland 259 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 319 MICHAEL BRIE Der Kampf um gesellschaftliche Mehrheiten Weltlauf Hat man viel, so wird man bald Noch viel mehr dazu bekommen. Wer nur wenig hat, dem wird Auch das wenige genommen. Wenn du aber gar nichts hast, Ach, so lasse dich begraben – Denn ein Recht zum Leben, Lump, Haben nur die etwas haben. HEINRICH HEINE Es sind fünf Faktoren, die in ihrer Summe jähe politische Veränderungen hervor- rufen – wirtschaftliche Einbrüche, Misstrauen gegenüber den Institutionen der Gesellschaft, die Solidarisierung verschiedener Gruppen der Gesellschaft gegen die Machthaber, eine Ideologie, die die Herrschenden wirksam herausfordert, und letztlich die Spaltung der herrschenden Klassen selbst.1 Die Krise des Neolibera- lismus hat dazu geführt, dass sich in Deutschland einige solcher Elemente eines politischen Wechsels herausgebildet haben. Der tiefe Pessimismus bezogen auf die eigenen Lebensperspektiven bei größeren Teilen der Bevölkerung, die starke Differenz zu den Institutionen der Bundesrepublik, die vor allem als Instrumente der Machtausübung der privilegierten Klassen gesehen werden, gehören dazu. Ende des Jahres 2006 waren zwei Drittel der Bevölkerung der Auffassung, dass es in der Bundesrepublik ungerecht zugehe, ein Drittel sah sich auf der Verlierer- seite. Erstmals waren mehr Bürgerinnen und Bürger mit der Funktionsweise der Demokratie in Deutschland unzufrieden als zufrieden.2 Der wirtschaftliche Auf- schwung erreicht vor allem die Bessergestellten. Fast alle fühlen sich durch die allgemeine Unsicherheit bedroht. Die Ideologie des Neoliberalismus ist in Verruf geraten, selbst unter den Herrschenden. Der »Weltlauf« kann gestoppt werden. Die dafür notwendigen Bedingungen sind aber erst noch zu schaffen. Die Hartz-IV-Reformen brachten den Einschnitt. Wenn jetzt 440 Tsd. jener, die, obwohl sie in Vollzeit beschäftigt haben, Arbeitslosengeld II erhalten, vielen an- deren die berüchtigten »Mini-Jobs« zugewiesen wurden, dann wird immer mehr Menschen klar, dass hier eine Politik gegen die Arbeitenden gemacht wird. Aus der Resignation wurden die Bereitschaft zum Protest und die Suche nach politi- 1 Theda Skocpol: States and Social Revolutions: A Comparative Analysis of France, Russia, and China. New York 1979; Kurt Lenk: Theorien der Revolution. München 1981. 2 ARD-DeutschlandTREND November 2006 (http://www.infratest-dimap.de/download/dt0611.pdf). Gerade unter Mitte-Links-Regierungen hat sich dagegen in anderen Ländern die Einschätzung der demokratischen Institutio- nen deutlich verbessert. 13 schen und wirtschaftlichen Alternativen. Die Bürgerinnen und Bürger kamen in Bewegung. Ihre Unzufriedenheit hörte auf, bloß resignativ zu sein. Dies alles sind unverzichtbare Voraussetzungen eines sozial-ökologischen und demokratischen Richtungswechsels. Sie gehen aus dem Zerfall der Vorherrschaft des Neoliberalismus hervor und schwächen oder negieren dessen Ansprüche. Es ist Aufgabe der Linken, dazu beizutragen, dass auch die positiven Elemente für ei- nen sozialen und demokratischen Richtungswechsel der Politik entstehen können – vor allem die Schaffung breiter sozialer und politischer Bündnisse und das Be- wusstsein von sinnvollen produktiven Alternativen zu der jetzigen Misere. Und es muss auch darum gehen, die neoliberale Einheitsfront der herrschenden Eliten aufzubrechen. Chancen dafür gibt es: »Denn auch das bürgerliche Lager behält in diesem Erosionsprozess … keine strukturelle Hegemoniefähigkeit und wird zu- nehmend inkonsistent. Wir können uns … auf einen wachsenden Widerspruch zwischen den Imperativen einer neoliberalen Ideologie und den wirklichen … Verhältnissen einstellen.«3 Wie unerwartet Veränderungen auftreten können, illustriert Frank Unger mit ei- ner Darstellung des Beginns der großen Reformbewegung in den USA, dem New Deal: »Im Jahr 1932, inmitten einer großen Wirtschaftskrise, benutzte das Land eine demoralisierte und desorganisierte Demokratische Partei dazu, um die größte Wende auf dem Gebiet der politischen Rolle des Staates in der amerikanischen Geschichte herbeizuführen. Dies geschah nicht deswegen, weil die Demokrati- sche Partei ein ideales Vehikel für diese Aufgabe war, sondern weil ein anderes In- strument nicht zur Verfügung stand. Die Wahlen von 1932 waren viel mehr als die Niederlage der bislang regierenden politischen Partei; sie waren durchaus so et- was Ähnliches wie die Niederwerfung einer herrschenden Klasse. Die Demokra- tische Partei wurde in den dreißiger Jahren das widerstrebende Instrument für eine Revolution, die sie weder geplant noch erzeugt hatte.«4 Gegenwärtig ringen sehr unterschiedliche politische Kräfte um Mehrheiten in der Bevölkerung der Bundesrepublik, darunter auch eine sich erneuernde soziale, politische und geistige Linke. Mehrheiten für einen Richtungswechsel der Politik sind nicht automatisch vorhanden, aber sie können bewusst geschaffen werden. Viele Bürgerinnen und Bürger, viele Initiativen und soziale Bewegungen sind ak- tiv geworden. Die Geschichte ist in Bewegung. Und auch: Geschichte muss be- wegt werden. Immer wieder wird die These aufgestellt, dass es in Deutschland strukturelle Mehrheiten links von der Mitte gäbe. Dabei wird auf die Vertretung von SPD, Grünen und PDS bzw. der Partei DIE LINKE im deutschen Bundestag seit 1998 verwiesen, die gemeinsam stets über 50 Prozent ausmachte. Diese parlamentari- 3 Joachim Bischoff: Zukunft des Finanzmarkt-Kapitalismus. Strukturen, Widersprüche, Alternativen. Hamburg 2006, S. 185. 4 E. E. Schattschneider: The Semi-Sovereign People. New York 1960, S. 86, zit. in: Frank Unger: Amerika vor ei- nem neuen »New Deal«? In: Sozialismus, Heft 7-8/2007, S. 52. 14 schen Mehrheiten sind bisher rein rechnerisch, Ihnen entspricht kein gemeinsames Projekt für einen sozialen, ökologischen und demokratischen Richtungswechsel. In der Bevölkerung aber wächst das Bedürfnis nach Alternativen und entsteht die Bereitschaft, sich dafür zu engagieren. Parteimehrheiten sind keine gesellschaftlichen Mehrheiten und umgekehrt. Parteien repräsentieren zwar gesellschaftliche Gruppen. Aber sie übersetzen die Interessen und Werteeinstellungen dieser Gruppen ausgehend von starken eigenen Zielen und Vorstellungen ins politische System. Nicht selten wird aus der »Über- setzung« eigene Dichtung. Ein und dieselben gesellschaftlichen Gruppen können sich zudem verschiedene »Übersetzer« suchen und verschiedene Parteienkonstel- lationen stützen. Und vielen Parteienkonstellationen entsprechen ihrerseits über- haupt keine stabilen Interessen- und Wertebündnisse in der Gesellschaft. Seit dem Frühjahr 2007 werden heftige Diskussionen zu möglichen Regie- rungskonstellationen im Jahre 2009 oder danach geführt. Dies erfolgt oft ohne eine genauere Untersuchung der gesellschaftlichen Basis für diese oder jene Poli- tik und konzentriert sich fast ausschließlich auf die Parteien und ihre Programma- tik selbst. Was aber sagt »die« Gesellschaft selbst dazu? Gibt es in ihr Potentiale für einen Richtungswechsel? Und für welchen? Die Erfahrungen des letzten Jahrzehnts in vielen Ländern zeugen von dem span- nungsvollen Wechselverhältnis zwischen Gesellschaft und Parteien unter den Bedin- gungen des Finanzmarkt-Kapitalismus und Neoliberalismus. Ein Teil der Bürgerin- nen und Bürger übt über Wahlenthaltung und Wählerwanderung immer stärkeren Druck auf die Parteien aus, bindet sich immer weniger an ein und dieselbe Partei, setzt seine Stimmen deutlich instrumentell ein. Die Parteibindung sank in Deutsch- land in den Jahren von 1976 bis 2006 von 85 Prozent auf 53 Prozent. Aus der Position der Schwäche heraus versuchen die Bürgerinnen und Bürger die Parteien zu disziplinieren. Sie wollen es nicht länger akzeptieren, dass gegen sie regiert