Der Rohrdorferberg und seine Geschichte

entnommen aus dem Buch "Rohrdorf - Land und Leute im Wandel der Zeit" von Hans Meier sel.,

Frühgeschichte

Der Rohrdorferberg ist ältester Kulturboden. Schon die Steinzeitmenschen siedelten sich um das Jahr 2500 v. Chr. auf der Höhe des Heitersberges an und wählten die damaligen Urwälder, die den Bergzug bedeckten, zu ihren Jagdgründen. Prähistorische Gräberfunde auf dem Hiltiberg bei Nie- derrohrdorf, bei Stetten und im Brandwald ob sind Zeugen von Ansiedlungen aus grauer Vorzeit.

Die Dörfer der Helvetier zählten meist 10 bis 50 Häuser. Die Bewohner lebten von der Jagd und von der Landwirtschaft. Die Wälder wurden nach und nach gerodet. Die Tiere, wie Ziegen, Schafe, Schweine und Rinder, lebten meist im Freien. Auch waren Spindel und Webstuhl erfunden. Den Pflug kannte man damals noch nicht. Die Menschen nährten sich mit Erbsen und Linsen und mit den Früchten des Waldes. Auch Birnen und Äpfel wurden bekannt sowie das Getreide, welches mit Steinen gequetscht wurde. Die Häuser waren aus Rutengeflecht mit Lehmbewurf, die Satteldächer aus Schilfrohrlagen.

Die Helvetier, der stärkste Stamm der keltischen Einwohner, erkannten die strategische Bedeutung des Heitersberges und legten auf dem Kreuzliberg und auf der Sennenhöhe zwei befestigte Refu- gien an.

Mit dem Einzug der Römer begann eine neue Epoche. Aus schriftlichen Dokumenten von Gajus Julius Cäsar (100 bis 44 v. Chr.) weiss man vom gallischen Krieg. Als die Helvetier im Jahre 69 v. Chr. von den Römern am Bözberg geschlagen wurden, war es für lange Zeit um ihre Selbständig- keit geschehen. Den römischen Soldaten folgte der römische Kolonist und baute sich in den schönsten Gegenden des helvetischen Landes Villen und Landgüter für seine Beamten und Offi- ziere. Den Römern scheint es hier besonders gefallen zu haben. Auch das milde Klima des Rohr- dorferberges behagte den römischen Eindringlingen. Bei entdeckte man Überreste einer Römersiedlung.

In Oberrohrdorf grub man römische Kultgegenstände (sieben Göterstatuetten) aus. Als wertvollstes Geschenk brachten die Römer den Weinbau nach dem Rohrdorferberg. Der Rohrdorfertropfen wurde Hunderte von Jahren von Kennern geschätzt.

Von den Höhen des Heitersberges konnte die Römerstrasse, die von Vindonissa () über Aquae (Baden) nach Turicum (Zürich) führte, beherrscht werden.

Vindonissa wurde im 2. Jahrhundert n.Chr. Lagerplatz der 21. römischen Legion, der "Rapax". Sie hat noch den Helvetieraufstand vom Jahre 69 n. Chr. niedergeschlagen. Kurze Zeit danach wurde sie durch die 11. Legion, die "Claudia pia fidelis", ersetzt. In dieser Zeit fallen auch die ersten wohl- durchdachten Steinbauten unserer Landschaft. Römische Mauerreste wurden bei Sulz-Künten, in der Algier bei Busslingen und im "Betbur" in Stetten ausgegraben.

Um das Jahr 400 n. Chr. wurden die römischen Legionäre nach und nach von den Alemannen ver- drängt. Das geschah nicht immer aus Raublust, sondern aus Not, denn dieses Volk wich seiner- seits vor dem Druck der Franken in unser Land aus.

Es folgte eine Zeit friedlicher Entwicklung und Gründung von Dorfgemeinschaften. Alemannen, Kelten und ausgediente römische Soldaten, die weiter als Gutsbesitzer im Lande blieben, lebten einträchtig nebeneinander, vermischten sich miteinander und wurden so die Ahnen der schweizeri- schen Nation.

Erst gegen Ende des 5. Jahrhunderts setzten sich die Alemannen am Rhein fest. Eine eigentliche Bevölkerung unserer Gegend erfolgte nur ganz allmählich, so dass das Gebiet der Schweiz erst zwei Jahrhunderte später wieder einigermassen bewohnt war. Über diese Epoche ist sehr wenig bekannt. Die Geschichtsforscher und Archäologen tappen darüber im Dunkeln. Die alemannischen Urdörfer waren die Keimzellen der heutigen Ortschaften. Wohl eine der ältesten Siedlungen ist das untere "Ruordorf" (Rorikon), . Die Namen Holzrüti, Vogelrüti, das Brand, "Fischlin- bach", der Hof "Bello" (Bellikon), die Villa "Rimolt" () und die Villa Starchholf (Sta- retschwil), die Siedlung "Kuno" (Künten) und die "Wohn-stätte (Stetten) sind wohl in dieser Zeit entstanden.

Die Christianisierung

In die alemannischen Zeiten fiel auch die Christianisierung des Rohrdorferberges. Es dürfte im 6. Jahrhundert gewesen sein, als das Christentum nach und nach in unserer Gegend Fuss fassen konnte. Freilich überstanden in unserem Lande vereinzelte Christengemeinden aus der Römerzeit den Sturm der Völkerwanderung.

Es ist unmöglich, über die Geschichte von Rohrdorf zu berichten, ohne damit die Kirche und die grosse Pfarrei Rohrdorf in Verbindung zu bringen. Diese umfasste die Dörfer Oberrohrdorf, Sta- retschwil, Niederrohrdorf, Holzrüti, Vogelrüti, Remetschwil, Busslingen, Sennhof, Bellikon, Hausen, Künten, Sulz, Stetten und das Dorf Mellingen, das heisst die Trostburg - rechtes Reussufer. Das Gebiet dieser grossen Pfarrei bedeckte nahezu den vierten Teil des heutigen Bezirks Baden. Die- ser ganze Distrikt bildete seit dem hohen Mittelalter die Pfarrei Rohrdorf. Sie gehörte zum Dekanat Konstanz, dem einzigen Bistum des alemannischen Herzogtums.

Schon das erste Gotteshaus am Rohrdorferberg scheint dem hl. Martinus geweiht zu sein und mag schon im 7. oder 8. Jahrhundert gebaut worden sein; denn als Gründer kommen merowingische Könige in Frage, welche um diese Zeit in Frankreich und Deutschland ihrem fränkischen National- heiligen, dem heiligen Martinus, zahlreiche Kirchen gebaut haben. Die über 100 Martinskirchen in der Schweiz gehen durchwegs zurück in das erste Jahrtausend, in die Zeit der Christianisierung. Als die Franken mit ihren Feldzügen einsetzten, war es ihr Ziel, die Alpenpässe zu erobern und zu beherrschen. Um die Zeit von 741 schlugen sie die Alemannen vollständig nieder. Der Besitz ging sodann an die Karolinger über. Als politische Stützpunkte gründeten sie Klöster. In die Missionie- rung fällt auch die Entstehung zahlreicher Gotteshäuser. Mehrere Siedlungen fasste man zusam- men in eine Pfarrei. Mit Vorliebe pflegte man die Kirchlein in die Mitte dieser Sprengel, meist auf einer Anhöhe und an guter Verkehrslage, zu bauen. Bald errichtete man neben den Kirchen ande- re Häuser und Pfarrhöfe. Die Pfarrer verdienten ihren Lebensunterhalt mit der Führung ihrer land- wirtschaftlichen Betriebe. Nach der Gründung der Bistümer bekamen die Leutpriester eine feste Besoldung. So mag es in Rohrdorf gewesen sein. Man baute die Kirche auf einer Anhöhe, in der Nähe, wo vier oder gar fünf alte Wege zusammenführten und gab dem neuentstandenen Dorf den Namen "Rordorff".

Das Konstanzer Zehntenbuch von 1275 führt die Pfarrerbesoldung wie folgt auf: Rohrdorf 50 Mark, Baden 20 Mark und Mellingen 9 Mark. Diese Zahlung beleuchten die Grösse und Wichtigkeit der Pfarrei Rohrdorf. Somit dürfte Rohrdorf zur Zeit des Rütlischwures von 1291 in unserer Gegend be- reits eine bedeutende Rolle gespielt haben.

Die erste schriftliche Urkunde von Rohrdorferberg stammt aus dem Kloster St. Gallen. Die Urkunde aus dem Jahre 837 weiss zu berichten, dass damals in Remetschwil bereits eine Kirche stand, in der der Priester Witram amtete. Es ist somit urkundlich einwandfrei erwiesen, dass die Pfarrei Rohrdorf mehr als 1100 Jahre alt ist.

Der Name Rohrdorf erscheint zum ersten Male im Jahre 1040 im Vergabungsbuch ("Liber Heremi") des Klosters Einsiedeln. Die Benediktinermönche tauschten damals eine halbe Hube Land, etwa 20 bis 24 Jucharten, im elsässischen Bartenheim gegen ein Landgut zu Rohrdorf.

Am 11. Oktober 1064 wird Rohrdorf in einem Stiftungsbrief des Klosters Muri zum zweiten Male ur- kundlich erwähnt. In einer der ältesten Urkunden ("Acta Murensia") heisst es unter anderem: "Am Zehnten der Kirche zu Rohrdorf besitzen wir einen Viertel" usw..... Es werden auch Güter in Sulz, Künten, Bellikon, Busslingen, Stetten, Staretschwil, Kindhausen und im Dorf Mellingen aufgezählt. Die Rohrdorfer Kirche muss älter sein als das Kloster Muri (dieses wurde 1027 gegründet und 1841 aufgehoben).

Im Jahre 1097 schenkte Heinrich von Seldenbüren am Albis, der damalige Herr des Rohrdorfer Kirchspiels, die Einkünfte der Kirche den beiden Klöstern Muri und Murbach im Elsass. Das mäch- tige Kloster Murbach übte das Patronat über Rohrdorf aus. Die Gebiete um Baden, also auch die Umgebung der Pfarrei Rohrdorf, kamen im 11. Jahrhundert durch Heirat an die Grafen von Lenz- burg und nach ihrem frühen Aussterben im Jahre 1173 an die Grafen von Kyburg. Die meisten Dörfer der Pfarrei Rohrdorf werden deshalb im kyburgischen Güterverzeichnis vom Jahre 1262 ge- nannt. Schon zwei Jahre später starb auch dieses Geschlecht aus und nun kamen ihre Erben, die Habsburger, an die Reihe, welche die Schirmvogtei innehatten. Sie ruhten nicht, bis das Kirchspiel von Rohrdorf ihr Eigentum war. Im Jahre 1259 trat das Kloster Murbach seinen Teil der Pfarrei Rohrdorf käuflich an die Habsburger ab. Die Wulpensberger Grafen übten jedoch ihre Rechte nicht persönlich aus, sondern belehnten bis 1344 die Herren von Rüssegg und darauf die Edlen von Hü- nenberg damit. Die Zeit zwischen dem Sempacherkrieg und dem Näfelserkrieg und darüber hinaus brachte dem Rohrdorferberg viel Unruhe und Unsicherheit. Es waren die Jahre «des bösen Frie- dens». Die Aufregung erreichte den Höhepunkt, als die Eidgenossen im Jahre 1388 das Städtchen Mellingen verbrannten. Das gleiche Schicksal sollte sich später im Alten Zürichkrieg wiederholen.

1413 verkaufte Herzog Friedrich von Österreich (mit dem Beinamen «Friedrich mit der leeren Ta- sche») Rohrdorf an das Spital Baden. Ein anderer Teil war schon früher durch Tausch dem Kloster Muri abgetreten worden. Da Rohrdorf dem Spital Baden (Siechenhaus bei der katholischen Kirche) unterstellt war, wählte 1418 der Stadtrat von Baden bis 1872 die Rohrdorfer Pfarrherren. Das Spital Baden übernahm die Verpflichtung, für die Kranken und Armen in der Gemeinde zu sorgen. Weil nun der Kirchensatz an eine weltliche Körperschaft überging, musste der Papst seine Einwilligung geben zu der Übergabe an Baden. Dies geschah am 21. September 1413 durch Papst Johannes XXIII, einen der drei Gegenpäpste, die sich in jener wirren Zeit um den Heiligen Stuhl stritten. Die- ser sanktionierte in einer päpstlichen Bulle den Rohrdorfer Kaufvertrag. Wiederum folgte für den Rohrdorferberg eine unruhige Zeit. Am 29. Mai 1415 wurde auf dem Konzil zu Konstanz Papst Jo- hannes XXIII. abgesetzt und die von ihm erlassene Bulle über den Kauf der Rohrdorfer Kirche für ungültig erklärt. Im gleichen Jahre erfolgte die Eroberung des Aargaus durch die Eidgenossen. Als diese nach dreiwöchiger Belagerung die Stadt Baden mit dem Schloss Stein endlich stürmten und die Festung schleiften, scholl nach einem Bericht der Schlachtlärm bis in die entlegensten Dörfer am Heitersberg. Im Jahre 1418 verweilte Papst Martin V. auf der Durchreise kurze Zeit in Baden. Auf die Bitte des Stadtrates erklärte er die Urkunde über den Kauf der Rohrdorfer Kirche als rechtsgültig. Eine ganze Reihe von Pfarrern residierten im Laufe der folgenden Jahre in Oberrohr- dorf. Die Chronik erzählt von einem Pfarrer Johannes Lederer, welcher 1427 die Gemeinde betreu- te, mit der Bevölkerung jedoch nicht einig wurde und bereits im Jahre 1428 die Pfarrei verlassen musste.

Die Zeit von 1519-1780

Im Jahre 1519 kam Pfarrer Heinrich Buchmann von Bischofszell nach Rohrdorf. Wegen der Ablie- ferung des Weizenzehnten geriet er schon im zweiten Amtsjahr mit der Stadt Baden in Streit, so dass die Besoldung neu geregelt werden musste und er Anfang 1531 den Rücktritt als Pfarrer er- klärte. In die Wirksamkeit von Pfarrer Buchmann fiel die Reformation. Diese ging auch an der Pfar- rei Rohrdorf nicht spurlos vorüber. 1522 versammelte sich in Rapperswil das Zürcher Priesterkapi- tel und hörte die Neuerungsthesen Ulrich Zwinglis an. Die neue Lehre wurde vom Kapitel ange- nommen und fortan gepredigt. Der Pfarrer Buchmann von Rohrdorf wohnte dieser Kapitelver- sammlung ebenfalls bei und war mit den Neuerungen einverstanden.

Am 2. Januar 1528 zog Zwingli von Zürich über den Heitersberg nach Rohrdorf zur Berner Disputa- tion. Er war begleitet von einer bewaffneten Leibgarde von 300 Mann und hundert Gelehrten. Buchmann schloss sich dem Zuge an. Der Stadtrat von Mellingen schenkte dem Reformator eine goldene Ehrenkette. Voll Tatendrang kehrte Pfarrer Buchmann aus Bern in seine Pfarrei zurück. Ende Mai nahm die Mehrheit der Pfarrangehörigen den neuen Glauben an. Am 6. Juni 1529 be- schlossen die Rohrdorfer, die Messe abzuschaffen und den neuen Glauben anzunehmen. Über die Kirche von Oberrohrdorf brauste ein furchtbarer Bildersturm. Die Altäre und Beichtstühle wurden verbrannt und viele wertvolle Kunstwerke sinnlos zerstört. Rohrdorf war eine der ersten «Gemein- den» in der Grafschaft Baden, welche die Reformation einführte.

Als Glied der gemeinen Vogtei zog sich Rohrdorf den Unwillen der katholischen Orte zu. Die Inner- schweiz duldete nicht, dass in ihrem aargauischen Untertanenland die Reformation eingeführt wur- de. Auf Druck der inneren Orte musste Pfarrer Buchmann 1531 die Pfarrstelle verlassen. Der Nachfolger war Hans Bullinger, Sohn des Bremgarter Reformators Heinrich Bullinger. Er beteiligte sich am zweiten KappeIerkrieg. Bei seiner Rückkehr aus dieser Schlacht bereiteten ihm die Rohr- dorfer keinen freundlichen Empfang. Mit Weib und Kind musste er das Pfarrhaus fluchtartig verlas- sen, zog nach Bremgarten und Zürich, und die Rohrdorfer nahmen, nachdem sie zwei Jahre lang reformiert gewesen waren, wieder den alten Glauben an.

Die Wappen der 8 Alten Orte an der Südseite des Kirchturms sind eine Erinnerung daran, dass Rohrdorf seinen alten Glauben dem Kampf und Sieg der katholischen Orte verdankt.

Nach der Reformation wählte der Kollator fast ausschliesslich Badener Bürger als Pfarrer von Rohrdorf. 1562 bis 1591 amtierte Pfarrer Ulrich Kridinger. Ihm verlieh man 1579 die Würde eines Dekans des Kapitels Zürich-Rapperswil. Während seiner Amtszeit wurde die Vergrösserung der damaligen Kirche notwendig. Unter ihm wurde die frühere zweitgrösste Glocke (Martinsglocke) ge- gossen. Den wuchtigen Kirchturm erbaute man in den Jahren 1586 bis 1589. Man schrieb das Jahr 1609, als Pfarrer Franz Elsässer von Baden nach Rohrdorf kam. Gross war das Wehklagen am Rohrdorferberg, als zwei Jahre später die Pest ausbrach. Im Sterberegister schrieb der Pfarrer: «In diesem Jahr (1611) sind im Ampt Rordorff gestorben Junge und Alte by sechshundert Menschen. Tröst Gott Ihre Seel, Amen. »

In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zogen viele Männer der Pfarrei Rohrdorf in fremde Kriegsdienste. Meist gingen die ''Reisläufer'' zu den französischen oder kaiserlichen Truppen. Si- cher mögen es pro Jahr 20 bis 30 Mann gewesen sein. Das Jahr 1638 war das dunkelste in der Geschichte der Reisläuferei am Rohrdorferberg, da insgesamt 16 Leute in fremden Diensten star- ben.

1653 brach eine neue Heimsuchung über den Rohrdorferberg herein. Es war die Zeit des Bauern- krieges, und die Truppen des Generals Werdmüller hatten den Heitersberg als Anmarschgebiet gegen gewählt. Als der letzte Kriegsmann abgezogen war, fehlte gar manches in Heim und Hof.

Unter allen Rohrdorfer Geistlichen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts strahlt die Tätigkeit von Pfar- rer und Dekan Mathias Feurer 1635 bis 1670 hervor. Sein Vater war Lehrer, zuerst in Laufenburg und dann in Baden.

Er baute 1638 das neue Gotteshaus, welches im Jahre 1939 bis auf den Grund abgebrochen wur- de. Die Zimmerarbeiten besorgte Meister Johann Wüst von Niederrohrdorf, der wenige Jahre spä- ter mit sechs andern Pfarrgenossen als Söldner in Italien das Leben verlor. Im Jahre 1651 erfolgte die Translation der Reliquien des hl. Kastorius, des zweiten Kirchenpatrons.

Früh erkannte Dekan M. Feurer die Wichtigkeit der Schule als Volksbildung. So gründete er die erste Volksschule am Rohrdorferberg, und zwar im Parterre der heutigen Kaplanei. In seine Wirk- samkeit fällt auch der Bau der Zehntenscheune, welche die Jahrzahl 1660 trägt.

Im Rohrdorfer Kirchenschatz befindet sich noch heute ein rotes römisches Messgewand (Casula) mit dem Wappen von Dekan Mathias Feurer (drei Flammen mit der Jahrzahl 1666). Im Jahre 1688 erlebte Rohrdorf eine gewaltige Unwetterkatastrophe. Der Wolkenbruch richtete furchtbaren Scha- den an. Eine Scheune wurde von den Wassermassen weggerissen und das Wirtshaus unterfres- sen. Der damalige Pfarrer und Dekan Dr. Caspar Keller gelangte neben anderen Bittschriften auch an die Zürcher Regierung, und zwar durch Vermittlung des reformierten Pfarrers von Dietikon- Urdorf. Dieser erschien persönlich in Rohrdorf und fand den Schaden unbeschreiblich.

Bald hernach, man schrieb das Jahr 1712, zog ein neuer Krieg ins Land und steigerte die Be- drängnis der Rohrdorfer ins Unermessliche. Der zweite Villmergerkrieg warf seine Schatten voraus. Es war eine unduldsame Zeit, und man verfolgte den Bruder und Mitmenschen um des Glaubens willen.

Auch die Bewohner diesseits und jenseits des Heitersberges und Hasenberges neckten sich und stritten und haderten miteinander. Sie liessen sich sogar zu richtigen organisierten Raubzügen ins andersgläubige Gebiet hinreissen.

Die reformierten Spreitenbacher und Bergdietiker belästigten die Rohrdorferseite, dafür statteten die katholischen Rohrdorfer den Limmattälern ihre unliebsamen Besuche ab. Um weitere Zwi- schenfälle zu vermeiden, boten die Luzerner eine Kompanie Rothenburger auf. Diese besetzten die Anhöhe östlich vom Sennhof. Die zwölf Schanzengräben der damaligen Zeit sind heute noch zu sehen. Die Luzerner Truppe konnte es jedoch nicht verhindern, ja half sogar tapfer mit, als eine Gruppe Rohrdorfer am 15. Mai 1712 die dem Stand Zürich gehörende Mühle in aus- plünderte. Die Chronik weiss darüber zu berichten: Der Heigeljoggeli von Staretschwil sowie Hans Josef Huffibel und Heinrich ltel von Oberrohrdorf sprengten die Türen der Mühle auf. Die Müller von Busslingen und Stetten führten Pferde, Korn und Mühleneinrichtungen weg. Zwei Töchter von Niederrohrdorf holten sich sogar zwei Betten. Holzrüter und Staretschwiler raubten Zinngeschirr. Eine Tochter des K. Trost fand Gefallen an einer Spindel, und ein Stetter liess ein samtenes Kleid mit silbernen Knöpfen mitlaufen.

Schon am 18. Mai 1712 hatte Zürich Kenntnis von der Tat und liess ein Heer von 4000 Mann ge- gen den Heitersberg marschieren. Man wollte die Rohrdorfer für die Plünderung der Spreitenba- cher Mühle und mehrerer Bergdietiker Höfe züchtigen und sich dann des Städtchens Mellingen bemächtigen, um vereint mit den Bernern das katholische Heer im Freiamt zu stellen und zu schla- gen. Mit besonderer Gier brachen die Raubhelden in das Pfarrhaus ein und zerrissen Bücher und Dokumente und das Tauf- und Ehebuch der Jahre 1671 bis 1712. Noch heute ist dieser unermess- liche Verlust tief zu bedauern. Dekan C. Keller, welcher dies alles erleben musste, starb am 23. Januar 1716.

Als die Zürcher, betrunken und mit Raubgut schwer beladen, vor Mellingen anlangten, war das Städtchen von den Bernern bereits besetzt. Mellingen hatte sich kampflos ergeben. Nach der «Staudenschlacht» bei Fischbach-Göslikon erhielt der damalige Untervogt Hans Fischer in Stetten von der reformierten Heeresleitung den Befehl, aus dem Rohrdorferamt 60 Pferde samt Geschirr zu stellen. Nach der entscheidenden Niederlage der Katholiken bei Villmergen am 25. Juli 1712 bekam die Stadt Baden eine reformierte Besatzung. Rohrdorf musste für den Pferdebestand dieser Besatzung Heu, Stroh und Gras liefern. Am meisten aber schmerzte es die Rohrdorfer, dass sie entwaffnet wurden. 140 Gewehre und 71 Hellebarden mussten abgegeben werden. Das war die härteste Demütigung, die den Männern vom Rohrdorferberg je angetan wurde. Die Bevölkerung war in grosse Bedrängnis geraten, und daher war es keine Seltenheit, dass die Leute den Zehnten mit dem besten Willen nicht aufbringen und rechtzeitig abliefern konnten. So wurde u.a. im Jahre 1716 das Heimwesen des Jost Humbel und seiner Brüder an den Spital Baden vergantet. Nach drei Jahren Kriegsdienst kaufte Humbel das Haus des Mathias Heimgartner, welches dem «Fran- zen uff der Moren» in Baden gehörte. Die Gemeindeversammlung aberkannte dem Heimgartner das Bürgerrecht von Oberrohrdorf.

Es war am 6. März 1720, nachts um neun Uhr, als in Oberrohrdorf eine Feuersbrunst ausbrach. Zwei Häuser, welche dem Spital Baden gehörten, brannten vollständig nieder. Ein Hausteil des Hans Jörg Trost ging ebenfalls in Flammen auf. Glücklicherweise erfolgte der Brand nicht mitten in der Nacht, ansonst das Unheil noch grösser geworden wäre. Anlässlich der Gemeindeversamm- lung vom 1. Christmonat 1720 beschloss man einstimmig, inskünftig den Agathatag, den 5. Febru- ar, zu feiern und eine Messe zu besuchen (Agatha ist die Schutzpatronin der Feuerwehr und wird in als Kirchenpatronin gefeiert).

Am 9. Oktober 1758, morgens 4 Uhr, wurden die Bewohner von Rohrdorf wiederum von grossem Schrecken erfasst; denn zu dieser Stunde brach im Gasthof Löwen, dessen Besitzer ein Zugerbie- ter war und als Rohrdorfer Bürger aufgenommen wurde, Feuer aus. Alles wurde aus dem Schlafe geweckt. Schon sah man die nächsten Häuser der grössten Gefahr ausgesetzt. Diese waren noch mit Stroh gedeckt, und dicht beim «Löwen» stand eine grosse Scheune. Ein starker herbstlicher Westwind blies das Feuer gegen die Scheune. Dadurch fast ausser sich gebracht, dachte jeder nur an sich und sein Haus, anstatt das Feuer einzudämmen. Die Chronik berichtet, dass die Leute in dieser Bedrängnis sich nicht mehr zu helfen wussten und beim Märtyrer Castorius in der Kirche Zu- flucht nahmen. Tatsächlich soll der Wind gekehrt haben, so dass die Flammen, welche die nächs- ten Häuser bedrohten, zurückgeworfen wurden. Der Gasthof zum Löwen verbrannte, doch die üb- rigen Häuser wurden verschont und blieben erhalten. Der Wirt bekam von der Gemeinde 1'900 Gulden mit der Bedingung, dass er auf das Grundstück des «Löwen» verzichte, und zugleich musste er das ihm gewährte Bürgerrecht aufgeben. Fortan war er nur noch «Beisasse». Als der «Löwen» wieder aufgebaut worden war, beschloss man, dass am Feste des Schutzpatrons Casto- rius im Gasthof zum Löwen keine Tanzanlässe durchgeführt werden dürfen; dass an diesem Tage eine Prozession abgehalten werde, und dort, wo der Gasthof vom Feuer verzehrt, eigens für die Prozession ein Altar errichtet werde.

Den Altar richtete man bis in die fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts jeweils anlässlich der Fron- leichnamsprozession beim Eingang in den «Löwen» auf. Unter Dekan Baldinger unterzog man die Pfarrkirche zu Rohrdorf einer gründlichen Renovation. Dies in den Jahren 1751 bis 1755.

Am 19. August 1780 war die Weihe der Kirche von Künten zu Ehren des heiligen Kreuzes. Diese ist vor einigen Jahren abgebrochen worden.

Die Auswirkungen der französischen Revolution auf den und den Rohrdorferberg

Im Jahre 1781 erfolgte der Aufstand des französischen Volkes gegen die Könige. Diese Schre- ckenszeit führte 1789 zur Auslösung der Revolution. Am 4. Mai erfolgte die Einberufung der Natio- nalversammlung in Versailles mit der Hoffnung auf Eintracht und Einigung. Nach dem tragischen Scheitern dieses Versuches erfolgte der Sturm auf die Bastille, eine alte Königsburg mit acht star- ken Türmen, die als Staatsgefängnis diente und darum dem Volke Sinnbild der Tyrannei war. Dies geschah am 14. Juli 1789, und dieser Bauernaufstand bewirkte schliesslich den Sturz des König- tums.

Im Strudel der Französischen Revolution und der nachfolgenden Kriege ist die Alte Eidgenossen- schaft untergegangen.

Schon lange hatten einsichtige Männer versucht, eine freiwillige Erneuerung im Geiste der Freiheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit zu erreichen. Aber die meisten Regierenden hatten für Reform- vorschläge kein Gehör. Durch Intrigen und Verrat wurde die französische Regierung gebeten, die Schweiz unter Druck zu setzen und, wenn nötig, ihre Truppen in die Schweiz einmarschieren zu lassen. Als Napoleon 1797 durch die Schweiz reiste, wurde er mit unbeschreiblichem Jubel in Lau- sanne, Liestal und Basel empfangen. Bei einem Festessen wurde er aufgefordert, die Revolution auch in unser Land zu bringen und zu helfen. Auf Antrag eines Freundes der Schweiz in Paris soll- te die Tagsatzung einberufen werden, um alle alten Bünde zu erneuern. Alle Mahnrufe blieben wir- kungslos, bis die Franzosen Mitte Dezember 1797 die zum Bistum Basel gehörenden Juratäler be- setzten und in der Waadt Truppen zusammenzogen. Jetzt berief man auf den Tag nach Weihnach- ten die Tagsatzung nach Aarau ein, welche mit allem Pomp eröffnet wurde. Über dieses Tun lachte am meisten der anwesende französische Gesandte. Er versuchte, durch revolutionäre Flugblätter den Widerstandswillen des Volkes zu zerstören.

Inzwischen hatten die Landleute von Baselland bereits die Schlösser ihrer Landvögte verbrannt, und noch vor der Abreise des französischen Abgeordneten traf die Botschaft ein, ein französisches Heer sei in die Waadt eingedrungen. Die Bevölkerung habe die Bärenbanner heruntergerissen, Freiheitsbäume errichtet und die Unabhängigkeit ausgerufen. Sofort stimmten die Aarauer in den Festjubel ein und umtanzten den errichteten Freiheitsbaum.

Den Aufständen im Baselbiet und in der Waadt und den Angriffen von aussen folgten die Ereignis- se Schlag auf Schlag.

Vom 29. Januar bis 6. Februar 1798 errang die Landbevölkerung in allen Städteorten - Zürich, Bern, Luzern, Freiburg, Solothum und Schaffhausen - die Anerkennung der Gleichberechtigung und hoffte auf die auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit beruhende Verfassung. Überall hatten die Regierungen nachgegeben; sie hofften den Bürgerkrieg wie auch den Krieg gegen die Franzo- sen verhüten zu können. Frankreich brauchte Geld. Bern und die Schweizer Städte waren reich, und Frankreich dachte nicht daran, die Truppen zurückzuziehen. Das Heer von 9'000 Mann blieb vorläufig in der Waadt. Der Kommandant verlangte zusätzlich 4'000 Mann Hilfstruppen sowie ein Darlehen von 700'000 Fran- ken. Er versprach Zins und Rückzahlung.

Bern hatte beim Abfall der Waadt alle Orte um Verstärkung gebeten. Aber der Zuzug war kümmer- lich. Am 1. März 1798 eröffneten die Franzosen den Kampf gegen Bern. Die Armeen Schauen- burgs bewegten sich von Payerne aus Richtung Freiburg, das andere Heer von Biel aus gegen So- lothurn.

Am 2. März wurden die beiden Städte aufgefordert, sich zu ergeben - die Regierenden hätten für den kleinsten Widerstand schwer zu büssen. Beide Städte ergaben sich kampflos. Am 3. und 4. März unterbrachen die französischen Heerführer die Kampfhandlungen, um für den Endkampf Zeit zu gewinnen, derweil in Bern die grösste Verwirrung herrschte. Am 5. März 1798 fiel bei Neuenegg die Entscheidung. In den Schlachten von Fraubrunnen und Grauholz wurde das Bauernheer von 1'500 Mann, darunter 200 Frauen und Töchter, von den 15'000 Kriegern des französischen Heeres aufgerieben. Bern wurde vollständig geplündert, die Staatskasse mit 15 Millionen geraubt und die Geschütze, Gewehre und die Munition nach Frankreich weggeführt. Dazu kam der laufende Unter- halt der Armee, die Unmengen von Korn, Hafer, Heu, Stroh, Salz, Wein, Reis, Essig, Holz, Schu- hen, Strümpfen und Hemden forderte. Die Plünderung der Soldaten auf dem Land war unbe- schreiblich. Endlich wurde der Einheitsstaat gegründet, und die 13 Orte schlossen sich zusammen in die «Helvetische Republik», wie es die Helvetische Gesellschaft wünschte und wie es von Napo- leon und dem französischen Direktorium schon im Dezember 1797 beschlossen worden war. Die Hauptstadt der «Helvetischen Republik» war vorerst Aarau, später Luzern.

Am 15. Januar 1798 erliess die Tagsatzung in Aarau kleinmütig den Befehl, innert kürzester Zeit al- le französischen Emigranten aus den gemeinen Vogteien auszuweisen. Mit dieser Massnahme er- reichte man nichts. Die Franzosen waren bereits in die Waadt einmarschiert. Am 2. März 1798 be- rief der Landvogt Reinhard in Baden alle Grund-, Zehnt- und Gerichtsherren der Grafschaft auf das Schloss in Baden, um mit ihnen die Bewaffnung der wehrfähigen Männer vorzubereiten. Es wurden 600 Mann aus der Grafschaft aufgeboten. Tags darauf fand die Musterung statt. Man brachte je- doch nur 232 Diensttaugliche zusammen. Der Wehrwille des Volkes fehlte auch in unserer Ge- gend.

Am 16. März rief der Landvogt die Ausschüsse aus der Grafschaft zu sich und machte ihnen die Mitteilung, dass Zürich und Glarus auf die Landeshoheit verzichten würden und die Grafschaft Ba- den aus der Untertanenpflicht zu entlassen sei. Dann verabschiedete er sich und übertrug dem Ausschuss die Leitung der Regierungsgeschäfte. Nun kam es in der Stadt Baden und der ganzen Grafschaft zu einer allgemeinen Verbrüderung. Die Stadt Baden anerkannte als gleichberechtigt. Am 23. März erliess die neue provisorische Regierung eine Proklamation, die alte Regierung sei abgeschafft, Stadt und Land seien brüderlich vereint und nicht mehr Knechte, son- dern freie Söhne des Vaterlandes. Unter den Klängen der Musik und dem Knallen der Mörser stell- te man beim oberen Brunnen, beim «Hecht», einen Freiheitsbaum auf. Man sang Freiheitslieder und trank viel Wein. Auch für die Orte, wo das Spital Baden Zehntherr gewesen war, wie Rohrdorf, besorgte die Stadt den nötigen Wein und die Freiheitsbäume. Da ja Aarau Residenz war, wurde das Staatswesen von dort geleitet und das Gebiet in 19 ungefähr gleich grosse Kantone aufgeteilt. Die Kantone standen unter einer gemeinsamen Zentralregierung, dem Direktorium. Der Senat und der Grosse Rat bildeten die gesetzgebende Behörde. Unter diesen 19 Kantonen befand sich auch ein Kanton Baden. Der Kanton zählte 45'000 Seelen mit dem Hauptort Baden.

Die neue Freiheit kam dem Landvolk fragwürdig vor. Das Heranrücken der französischen Truppen löste auf dem Land Angst und Unbehagen aus. Aber auch in Baden selbst war das Volk beunru- higt. Die Chorherren liessen sich von der Behörde Atteste für politische Unfähigkeit ausstellen. Auch wollten sie sich zu ihrer persönlichen Sicherheit weltlich kleiden usw.

Furcht und Schrecken gingen den Franzosen voraus. Schauerliche Geschichten wurden erzählt: wie weder jung noch alt verschont werde, wie Mädchen und Frauen misshandelt und vergewaltigt würden, wie kleine Kinder an Stöcken und Spiessen gebraten und von den Soldaten gefressen würden. Die Leute suchten ihr Teuerstes und Wertvollstes in Sicherheit zu bringen. Die Ehrendin- ger führten einen ganzen Wagen voll Kinder ins Badische, begleitet von einigen Frauen, die sie pflegen mussten. Die Würenlinger taten das gleiche. Ein Pater des Klosters sammelte die Töchter der Umgebung, um sie nach Süddeutschland zu schaffen. Die Lengnauer versteckten das Vieh in den Wäldern. In Siglistorf trug man allen Hausrat, sogar Betten und Kästen, in abgele- gene Waldungen. Der Gerichtsvogt von Schneisingen versteckte seine Habseligkeiten im Keller- hals und deckte sie mit Erde zu. Er richtete sich aber in der Küche eine Falltüre ein, um so in den Keller zu den Fässern hinunter zu gelangen. Eine Familie von Neuenhof baute sich im Wald eine Hütte. In verbarg ein Bauer sein Geld, sein Silbergeschirr und seine Wertsachen in ei- nem Steinhaufen. Das Versteck wurde wenige Wochen darauf dennoch von einem Franzosen ge- funden. Und wie wird es wohl den Rohrdorfern ergangen sein?

Die Angst vor den Franzosen war nicht unbegründet. Als die ersten Truppen im nächtlichen Dunkel von Mellingen nach Baden kamen, weckten sie einen Anwohner durch Schüsse in die Haustüre. Er musste aufstehen und sie bewirten. Als er sich für seine Frau wehren wollte, konnte er sich nur durch Flucht retten.

Ende April 1798 war es soweit. Die Franzosen besetzten Baden. Die aus 138 Mann bestehende Garnison wurde im «Hecht» einquartiert. Jeder Soldat erhielt täglich ein Pfund Fleisch, eine Fla- sche Wein, ein Brot, Suppe und Gemüse. Ausserdem musste die Stadt noch viele Verwundere aufnehmen. Bald forderte man alle Leiterwagen mit dem dazugehörenden Vieh, bald 1'000 Bauern für Schanzarbeiten, bald 100 Pferde mit der Androhung von Misshandlung bei Nichterfüllung des Befehls. Die Stimmung des Volkes wandte sich bald gegen die Regierung, die mehrmals wechsel- te. Niemand mehr war imstande, die Verantwortung zu tragen. Am 7. Juni 1799 musste auf Begeh- ren der Franzosen die Limmatbrücke in Baden abgebrannt werden. Zur gleichen Zeit ging auch die Brücke beim Kloster Wettingen in Flammen auf. Ein amtliches Verzeichnis beziffert den Schaden, den die Franzosen in Baden verursacht haben, auf 88'689 Gulden, 38 Batzen und 3 Pfennige.

Die Schweiz unter fremder Herrschaft

Gegen die Einquartierung und die aufgezwungene neue Vefassung wehrten sich die Alpenländer Uri, Schwyz, Nidwalden, Zug, Glarus, St. Gallen und Appenzell. Aber auch aus religiösen Beweg- gründen konnten sie der neuen Verfassung nicht zustimmen. Etwa hundertdreissig Klöster wurden aufgehoben. Neuaufnahmen von Mönchen und Nonnen waren verboten und die Predigten in den Kirchen polizeilich überwacht. Die Kirche war bedrängt, und darum riefen die Priester das Volk zu den Landsgemeinden zusammen und beschworen es, die Verfassung zu verwerfen. Anstelle von General Brune, welcher im März 1798 Bern verlassen hatte mit all den geraubten Schätzen, über- nahm General Schauenburg den Oberbefehl. Er versuchte zuerst, die Innerschweizer durch eine Lebensmittelsperre mürbe zu machen. Damit trieb er die Wut der Gegner auf die Spitze.

Inzwischen sammelten die erwähnten Kantone ein Heer von 10'000 Mann und griffen die «Helveti- sche Republik» an. Die Erfolge waren aber nur von kurzer Dauer. Denn nun rückten die Franzosen in übermächtiger Zahl heran. Ihr Hauptangriff galt dem Ländchen Schwyz. Die Schwyzer verteidig- ten ihre Heimat heldenhaft bis zur Erschöpfung und mussten am 4. Mai 1798 den Widerstand auf- geben, nachdem das Kloster Einsiedeln bereits geplündert worden war. Schliesslich durften sie die Waffen behalten, und es wurde volle Sicherheit und Religionsausübung zugesichert. Voll Respekt vor dem Mute der Schwyzer zog General Schauenburg die Truppen zurück. Unter den gleichen Bedingungen nahmen hierauf Uri, Nidwalden, Glarus und Zug die Helvetische Verfassung an. St. Gallen und Appenzell ergaben sich beim Einmarsch der französischen Truppen.

Als die gesetzgebenden Räte kurz darauf von allen Bürgern der Helvetischen Republik einen per- sönlichen Treueid verlangten, widersetzten sich die Nidwaldner aufs Neue, was schliesslich zu den Schreckenstagen von Nidwalden führte. General Schauenburg griff das Ländchen mit einem Heer von 10'000 Mann von allen Seiten an. Das Völklein der Nidwaldner hatte 1'600 Kämpfer mit den Freiwilligen von Uri und Schwyz und trotzte dem Angriff fünf Stunden lang. Die Franzosen hatten fürchterliche Verluste in ihren Reihen. Auf den Passhöhen wurden die Feinde von herunterrollen- den Baumstämmen und Steinblöcken empfangen. Ihre zweiunddreissig Schiffe und Flosse auf dem See versuchten lange Zeit umsonst zu landen. Hinter Busch und Fels lauerten Scharfschüt- zen und forderten Opfer um Opfer. Frauen und Knaben stellten sich hinter die Kanonen oder kämpften mit Keulen und Spiessen. In grösster Gefahr, völlig umzingelt zu werden, wichen die Bergler gegen Buochs zurück, und die Franzosen, rasend vor Wut über den Verlust von Tausen- den von Soldaten, stürmten ins offene Land. Ihre Rache kannte keine Grenzen. Sie raubten, brannten, schändeten, mordeten Männer, Frauen, Greise, Kinder, Säuglinge. Man zerstörte Woh- nungen, Kirchen und Kapellen, so dass selbst der General den 9. September 1798 seinen schreck- lichsten Tag nannte. Das Rauben, Brennen und Morden dauerte noch mehrere Tage. Von Mitleid gerührt, liess General Schauenburg Brot und Fleisch an die Bevölkerung austeilen.

Die nächtliche Brandröte über dem verwüsteten Tal war bis nach Aarau zu sehen. Auch am Rohr- dorferberg, erzählt die Überlieferung, sah man den südlichen Himmel wie ein Nordleuchten, und die Bevölkerung war in grosser Sorge. Man bemühte sich, Truhen und Kasten mit gedörrten Birnen und Schnitzen zu füllen und sah besorgt dem kommenden Winter entgegen.

Inzwischen hatte Frankreich der Schweiz ein Militärbündnis aufgezwungen, das heisst, sie musste auf die Neutralität verzichten und der grossen Republik Kriegshilfe leisten. Russland und Öster- reich verbündeten sich, und in einem neuen Feldzug gegen Frankreich entbrannte nördlich und südlich der Schweiz ein neuer Krieg. Dadurch geriet unser Land in grösste Gefahr; denn beide Kriegsparteien wollten sich der Alpenpässe bemächtigen. Aus diesem Grunde verliessen die Fran- zosen die Schweiz nicht, und die Österreicher lockte es, den Feind auf unserem Boden anzugrei- fen.

Noch im Herbst 1798 rückte ein österreichisches Heer in Graubünden ein. Im März 1799 wurde es von den Franzosen wieder verjagt. Aber im Mai 1799 kehrten die Österreicher zurück mit einem Heer von 60'000 Mann und vertrieben die Franzosen aus der ganzen Ostschweiz. General Massé- na, welcher seit Jahresbeginn Oberbefehlshaber der Franzosen in der Schweiz war und über 80'000 Mann verfügte, musste seine Truppen hinter die Linth, Limmat und Aare zurückziehen.

Auf beiden Seiten kämpften auch Schweizer in den fremden Armeen.

Am 6. Juni 1799 marschierten die Österreicher in Zürich ein. Die Helvetische Regierung floh von Luzern nach Bern.

Von Graubünden aus besetzten die Österreicher das Gotthardgebiet. Da entschloss sich General Masséna Mitte August zum Generalangriff. Er hielt die österreichische Hauptmacht an der Flussli- nie zwischen Zürich und Basel fest und drang durch die Täler der Rhone, Aare und gegen den Gotthard vor. Es gelang ihm, den Gegner aus dem ganzen Gebiet der Zentralalpen zu vertrei- ben. Der Kampf in der schauerlichen Gebirgswildnis der Schöllenenschlucht und auf der Grimsel war unheimlich. Die Franzosen verloren 1500, die Österreicher 6'000 Mann. Bei diesen Kämpfen wurde wiederum der Heitersberg in Mitleidenschaft gezogen; denn die Franzosen rückten über den Rohrdorferberg gegen Zürich. Noch heute sind neben der alten Zürichstrasse im «Sorchen», «Pos- tengatter» und im Sennhof Schützengräben aus der damaligen Zeit erkennbar. Es wurden auch Hufeisen von Araber-Pferden in dieser Gegend gefunden. Die sumpfigen Wege belegte man mit Holzkugeln und Baumstämmen für den Durchzug der Kanonen.

Im folgenden Monat wurde der grösste Teil des österreichischen Heeres nach Deutschland verlegt und durch Russen ersetzt. Der russische Heerführer war aber seinem Gegner General Masséna nicht gewachsen und wurde von diesem in der zweiten Schlacht bei Zürich am 25. September 1799 zu fluchtartigem Rückzug über den Rhein gezwungen. Die Franzosen verübten in Zürich neue Gewalttätigkeiten. Sie forderten innen 3 Tagen unerhörte Mengen von Brot, Brotgetreide, Wein, Hafer, Ochsen, Holz und dazu ein Zwangsdarlehen von 800'000 Franken.

Von Italien her sollte ein zweites russisches Heer unter General Suworoff den Kriegern in Zürich zu Hilfe kommen. Dieses Heer traf jedoch zu spät ein und war am 24. September erst am Fusse des Gotthards. Die Soldaten erklommen dennoch die Passhöhe, rasteten beim Hospiz und stiegen dann, immer kämpfend, ins Urserental hinab. Die Franzosen verteidigten hartnäckig das Urnerloch und die Teufelsbrücke. Aber die Russen erzwangen den Durchbruch und erreichten am Abend des 26. September den Vierwaldstädtersee.

Inzwischen hatten die Franzosen alle Schiffe aus dem Urnersee entfernt, und an den schroffen Ufern entlang gab es damals noch keine Strasse. General Suworoff fasste den kühnen Entschluss, mit seinem ganzen erschöpften Heer trotz Nebel, Regen und Schnee über den mehr als 2'000 Me- ter hohen Kinzigpass zu steigen, um auf dem schnellsten Wege Zürich zu erreichen.

Doch führten über den Kinzig nur schmale Hirten- und Jägerpfade, und es dauerte fünf Tage und Nächte, bis die ganze Armee nachgerückt war. Hier erfuhr er, dass das russische Heer Korsakoffs bereits geschlagen und geflohen war. Suworoff wollte die Nachricht zuerst nicht glauben, trotzdem wollte er den von den Franzosen versperrten Ausgang aus dem Muotatal erzwingen und den Kampf mit General Masséna aufnehmen. Auf Anra- ten des Kriegsrates, dem der Zarensohn angehörte, entschloss er sich, aus dieser Sackgasse über den Pragelpass nach Glarus und Sargans nach Österreich auszuweichen. Als Suworoff bereits mit dem halben Heer abgezogen war, griff Masséna die eingeschlossenen Russen an, erlitt aber eine schwere Niederlage, und nebst vielen Verlusten wurden mehr als 1'500 seiner Leute gefangen ge- nommen.

Aber auch Glarus erwies sich als Sackgasse, und der Rückzug erfolgte über den Panixerpass. Der über 2'400 Meter hoch steigende Pfad lag unter Schnee und Eis. Die meisten Soldaten hatten kei- ne Schuhe mehr, alle waren ausgehungert und erschöpft. Hunderte erfroren oder stürzten in den Abgrund samt den Pferden und Kanonen. Der Rest des Heeres gelangte am 10. Oktober 1799 ins Vorderrheintal und verliess die Schweiz.

Die Hungersnot von 1813-1817

Die Hungersnot, die 1813 ihren Anfang nahm, erreichte ihren Höhepunkt im Winter 1816/17 und dauerte mehr oder weniger noch die folgenden Jahrzehnte. Die aargauische Regierung ordnete im Februar 1817 an, dass sowohl im Kanton wie auch in jedem Bezirk eine ausserordentliche Armen- kommission gebildet werde, bestehend aus dem Armeninspektor, dem Bezirksverwalter und dem Pfarrgeistlichen des Bezirks. Die Beratung ergab, dass sich in einigen Ortschaften eine bedrohliche Zukunft abzeichnete, so in den Pfarreien Rohrdorf, Siggenthal, Tägerig mit Büschikon und Woh- lenschwil. Die Kommission hatte die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass in den Gemeinden Suppenan- stalten eingerichtet wurden. Diese Suppe, wie die übrigen Lebensmittel, musste, wie es in einem Brief im Gemeindearchiv von Oberrohrdorf heisst, nicht nur den Bürgern, sondern auch den Bei- sassen ausgeteilt werden. Die Suppenanstalt könne wohl am besten im Schulhaus, im Pfarrhaus oder in einer der Wirtschaften eingerichtet werden. Das Kochkessi und das Holz seien von der Gemeinde zur Verfügung zu stellen. Mit dem Elfuhrläuten sei der Koch gehalten, die Suppe gehö- rig zu kochen und auszuteilen. In der Anleitung der Kommission sind die Obliegenheiten von Ge- meinderat, Aufsichtskommission, Verwalter und Koch genau umschrieben. Am 6. März 1816 be- schloss der (vereinigte) Gemeinderat, dass die Ratssitzungen in der Wirtschaft zu Rohrdorf, im drit- ten Stock, im mittleren Zimmer stattfinden. Offenbar wollten die Herren die Sorgen und Nöte in aller Abgeschiedenheit beraten.

Das Elend in jener Zeit muss am Rohrdorferberg gross gewesen sein. Als Heinrich Pestalozzi um das Jahr 1825 wieder im Birrfeld war, nahm er u.a. eine Schar verwahrloster Kinder von Rohrdorf auf, welche von der Krätze befallen waren. Die Geschichte berichtet, dass Castor Egloff, geb. 1820, in einem Niederrohrdorfer Strohhaus geboren wurde. Seine Eltern waren arme Kleinbauern, und der Knabe musste sich schon früh als Ackerbube und Knechtlein verdingen lassen. So verleb- te der aufgeweckte Verdingbub eine trostlose Jugend, bis er dem grossen Menschenfreund Hein- rich Pestalozzi († 17. Februar 1827) in die Hände lief. Pestalozzi fand Gefallen an dem verwahrlos- ten Rohrdorfer und nahm ihn in die Armenschule «Neuhof» auf. Mit besonderer Liebe arbeitete Castori in der Werkstatt und bastelte oder flickte Haushaltungs- und Küchengeräte. Dadurch zog er die Aufmerksamkeit von Frau Katharina Pestalozzi auf sich, die ihm bei Zürcher Bekannten eine Lehrstelle vermittelte. Sechzehnjährig trat er als Klempner (Spengler) bei Kambli in die Lehre ein. Dreizehn Jahre später, 1849, treffen wir wiederum auf diesen Namen Castor Egloff von Nieder- rohrdorf.

Die Trennung der Gemeinden am Rohrdorferberg

Bis zum Jahre 1804 bildete jede der 5 Ortschaften am Rohrdorferberg, Oberrohrdorf, Niederrohr- dorf, Staretschwil, Remetschwil und Busslingen, ein eigenes Gemeinwesen.

Die Vereinigung anno 1805 erfolgte auf Einfluss der Französischen Revolution bis 1854. Hieraus erfolgte durch gewisse Matadoren (Bezirksamtmann J. L Baldinger, Baden, und Friedensrichter J. L Vogler, Oberrohrdorf) die Trennung in drei politische, selbständige Gemeinden.

Die Akten im Staatsarchiv und den Gemeindearchiven bezeugen, dass offenbar schon die im Zeit- alter der Mediation vollzogene Vereinigung nicht ohne Widerstreben der vorher selbständigen Ort- schaften zustande gekommen war.

Obschon die verschiedenen Ortschaften miteinander nicht im Streite lebten, wurden mehrmals Versuche unternommen, die Trennung des Gemeindeverbandes zu erwirken, so in den Jahren 1817, 1823, 1831 und 1841. Offenbar hatte der Gemeinderat, welcher sich aus je einem Vertreter der 5 Ortschaften zusammensetzte, die Überzeugung, dass sich die Verwaltung besser gestalten liesse, wenn der grosse Gemeindeverband von 5 Ortschaften in kleinere Gemeinwesen aufgeteilt würde. Doch bis zu diesem Zeitpunkt wurden alle an das Bezirksamt Baden oder nach Aarau ge- richteten Gesuche eindeutig abgewiesen. Der einflussreiche M. Vogler, Rohrdorf, stellte im Jahre 1831 an Remetschwil die Anfrage, ob es sich aus dem Verbande der vereinigten Gemeinden lösen wolle. Mit grosser Mehrheit beschloss die Ortsbürgerschaft von Remetschwil, für die Trennung ein- zutreten, und in einer Eingabe an den Kleinen Rat (Regierungsrat) brachte man verschiedene Gründe vor wie unbefriedigende Verwaltung, unrichtige Verschreibungen. Die Trennung wurde auch begründet mit dem grossen Zeit- und Geldaufwand der Ratsmitglieder. Das Schul- und Ar- mengut werde ja bereits selber verwaltet, und die Gesamtgemeinde kümmere sich nicht darum. Doch war diesem Bittgesuch vom Jahre 1841 kein Erfolg beschieden.

Die Trennungsfrage beschäftigte aber die Bürger von Remetschwil weiterhin. Gemeinderat und Grossrat Franz Xaver Locher, welcher später Bezirksrichter war, unternahm am 1. April 1850 einen neuen Anlauf zur Trennung. Er schilderte die heillosen Zustände und führte die Weitläufigkeit zu den Sitzungen der Ratsmitglieder an. Mit 50 Anwesenden von 79 stimmfähigen Bürgern «beliebte» der Antrag einstimmig. In einer «ehrerbietigen Vorstellung» an den Kleinen Rat vom 12. August 1850 wurden von Remetschwil die Gründe für das Trennungsgesuch ausführlich dargelegt und wiederum die Übelstände im Hypothekar- und Fertigungswesen aufgeführt. Bei der grossen Ver- antwortlichkeit des Gemeinderates halte es schwer, den rechten Mann zu finden. Auch das bevöl- kerte Niederrohrdorf wünsche die Trennung. Remetschwil mit dem nahe gelegenen Sennhof zähle 420 Seelen. Es gebe im Kanton viele Gemeinden, die eine weit geringere Bevölkerung und viel weniger Mittel aufzuweisen hätten. Die Ortschaft sehe «mit Sehnsucht» dem Moment entgegen, wo sie wie vor 1805 einen eigenen Gemeindehaushalt bilden werde. Der Bezirksamtmann von Ba- den, Josef Borsinger, der immer die Stellungnahme der andern Ortschaften der Gesamtgemeinde einholen und der Direktion des Innern Bericht erstatten musste, war von der Eingabe nichts weni- ger als erbaut.

Die Ortsbürgergemeinde Niederrohrdorf schloss sich dem Gesuch von Remetschwil einstimmig an, unter der Voraussetzung, dass die Höfe Holzrüti und Vogelrüti mit ihr vereinigt würden. Falls ihr aber noch eine weitere Ortschaft zugeteilt werden sollte, wünschte sie lieber beim bisherigen Ge- meindeverband zu bleiben. Die Staretschwiler Ortsbürger, unter Gemeindeammann Johann Baptist Würsch, verwarfen die Trennung, während die Bürgerschaft von Oberrohrdorf den Wunsch aus- sprach, eine eigene Gemeinde bilden zu können. Die Busslinger teilten mit, weil ihre Ortschaft äusserst klein sei, könnten sie sich dem Trennungsgesuch nicht anschliessen. Sollte die Trennung dennoch vollzogen werden, wünschten sie, der Ortschaft Oberrohrdorf angeschlossen zu werden.

Am 11. Jänner 1851 erstellte die Direktion des Innern dem Kleinen Rat Bericht und beantragte wiederum die Ablehnung der Gemeindetrennung. Hierauf lehnte der Kleine Rat das Trennungsge- such in aller Form ab.

Damit gab sich Remetschwil nicht zufrieden, und bereits am 1. Juni 1852 wandte sich die Ort- schaft, unterstützt von Niederrohrdorf, von neuem mit einem Begehren an die Obrigkeit und ver- langte, dass die Gesamtgemeinde Rohrdorf in 3 besondere Gemeinden aufgeteilt werde. Die Ein- gabe berief sich auf ein Gutachten des Bezirksgerichtes Baden, das den ungeregelten Zustand der Fertigungs-, Hypotheken- und Vormundschaftsverwaltung festgestellt habe, was in erster Linie auf die Zersplitterung in 5 Ortschaften zurückzuführen sei. Ein Nachteil bestünde darin, dass jede Ort- schaft nur ein Mitglied im Gemeinderat habe, und dass in der Regel die Angelegenheiten dieser Ortschaft nur durch dieses Mitglied geleitet werde, statt durch die Gesamtbehörde. Auch die in frü- heren Gesuchen angeführten Gründe wurden geltend gemacht. In einer gesonderten Eingabe vom 21. Juni 1852 wünschte auch Oberrohrdorf die Entlassung aus dem Gemeindeverband, da der bis- herige Zustand unhaltbar sei.

Aber auch diesem Gesuche waren die Behörden von Aarau nicht gut gesinnt. In einem spöttischen Brief vom 23. Brachmonat 1852 der Direktion des Innern wurde die Verwaltung massiv angegriffen und das «Kauderwelsch» von Protokollen, Auszügen und Unterschriften beanstandet. Das Be- zirksgericht Baden hätte besser getan, den ungeregelten Zustand der Verwaltung der Gemeinde als Aufsichtsbehörde zu rügen und abzustellen, statt «Gutachten» herauszugeben. Schliesslich wurden auch diese Gesuche vom Regierungsrat in aller Schärfe abgewiesen.

Unerbittlich beharrten aber die Ortschaften am Rohrdorferberg auf ihren Trennungsbegehren. Alle (mit Ausnahme von Staretschwil) machten am 11. Juni 1853 nochmals eine diesbezügliche Einga- be, und zwar nicht an den Regierungsrat, sondern an den Grossen Rat des Kantons Aargau. Das Dokument umfasste 17 Seiten und trug alle Unterschriften der Gemeindebehörden von Oberrohr- dorf, Niederrohrdorf, Remetschwil und Busslingen. In diesem Schreiben wurden alle Gründe nochmals erläutert und der schöne Rohrdorferberg in allen Farben geschildert. Wenn die Auftei- lung nicht bewilligt werde, würden mehrere der tüchtigsten Bürger auswandern. Die bisherigen Zu- stände seien «faul» und müssten geändert werden, sollte nicht die ganze Bevölkerung den gröss- ten Schaden leiden und am Ende verkümmern.

Die 4 Ortschaften schlugen vor, es seien folgende Gemeinden zu bilden: Oberrohrdorf mit Busslin- gen, Niederrohrdorf mit Holzrüti und Vogelrüti, Remetschwil mit dem Sennhof.

Staretschwil, das nicht mitmachte, weil es die Trennung nur in 2 Gemeinden wollte, werde sich der Majorität fügen und eine besondere Gemeinde bilden müssen. Das Gesuch schloss mit der «ehr- erbietigen Bitte» an die oberste Landesbehörde, «Hochdieselbe» wolle die Trennungsvorschläge genehmigen.

Am 28. Oktober 1853 bestätigte der Regierungsrat seine frühere Haltung mit dem Antrag, das Trennungsgesuch sei als unbegründet abzuweisen, nachdem die Ortschaften unter sich nicht einig seien. Aus den Akten ergebe sich, dass Oberrohrdorf eine Vereinigung mit Staretschwil ablehne, und auch Staretschwil wolle von einer Verbindung mit Oberrohrdorf nichts wissen. Busslingen woll- te sich mit Oberrohrdorf nur vereinigen lassen ohne Einbezug von Staretschwil, ansonst ziehe es den Zusammenschluss mit Remetschwil vor.

Die Direktion des Innern sprach sich ganz entschieden dagegen aus, dass Staretschwil, das «von seinem Starrsinn» nicht ablassen wolle, eine eigene Gemeinde bilde, weil es seine Existenz kaum zu fristen imstande wäre.

Die grossrätliche Kommission unter dem Vorsitz des radikalen Politikers Fürsprech Placius Weis- senbach aus Bremgarten kam zum Schluss, es sei die Trennung der Gemeinde Rohrdorf zu be- schliessen, aber nur in 2, höchstens in 3 Gemeinden. In diesem Sinne beschloss der Grosse Rat am 22. Mai 1854 die Trennung in 3 politische Gemeinden, wie sie heute noch bestehen.

Die 5 Ortsbürgergemeinden mit ihren getrennten Ortsbürger-, Schul- und Armengütern blieben un- verändert bestehen (Busslingen schloss sich am 1. Mai 1912 mit Remetschwil zusammen). Die Kirchgemeinde, zu welcher damals noch Bellikon, Künten, und Stetten gehörten, blieb einstweilen eine Einheit in der Pfarrei Rohrdorf. Die Regierung in Aarau erliess am 30. Brachmonat 1854 eine die Einzelheiten regelnde Vollziehungsverordnung. Damit war die Trennung der Gemeinde Rohr- dorf in 3 eigene selbständige politische Gemeinden, Oberrohrdorf, Niederrohrdorf und Re- metschwil, vollzogen.

Nun waren die beiden Gemeinden Oberrohrdorf und Staretschwil miteinander vereint! Doch schon Ende des 19. Jahrhunderts trennte man die Schulen voneinander und im Jahre 1896 baute Sta- retschwil ein eigenes Schulhaus und führte eine eigene Schulrechnung.

Da man im Ramsiggebiet genügend Quellwasser fand, erstellte Staretschwil im Jahre 1897 eine eigene Wasserversorgung. Die Strassen wurden dann ebenfalls in beiden Gemeinden separat auf eigene Rechnung erstellt.

Bezeichnenderweise wurde der Weg zur heutigen Gemeinsamkeit über die Schule gefunden. Weil die finanziellen Mittel knapp wurden, führte man 1954 die beiden Unter- wie Oberstufen noch ge- trennt, die Mittelstufe jedoch bereits gemeinsam, und neu stand eine Sekundarschule Oberrohrdorf sowohl Staretschwil wie auch Remetschwil, Künten und Bellikon zur Verfügung. Der Steuerfuss be- trug damals, nach der Schulraumerweiterung durch einen Anbau an das Schulhaus Oberrohrdorf, 200%!

Langsam begannen die beiden Dörfer zu wachsen, der Schulraum wurde bald wieder knapp und verschiedene Projekte wie Wasserversorgung und Strassenbau mussten dringend in Angriff ge- nommen werden.

An einer denkwürdigen Gesamteinwohnergemeindeversammlung am 8. Juni 1965 wurde der end- gültige Zusammenschluss der Gemeinden Oberrohrdorf und Staretschwil beschlossen und am 3. Dezember 1973 vom Regierungsrat in Kraft gesetzt. Der Schulhausbau im Hinterbächli, der auch 1973 beschlossen wurde, zeigt deutlich, dass es nach dem Zusammenschluss noch sehr wichtig war, sich möglichst in der Mitte zu treffen.

Immer mehr Bauwillige suchten in den siebziger Jahren einen Bauplatz am sonnigen Rohrdorfer- berg; betrug die Einwohnerzahl 1950 noch 815, stieg sie bis 1970 bereits auf mehr als das Doppel- te, auf 1'902, und im Jahre 2001 haben wir rund 3'400 Einwohnerinnen und Einwohner in Ober- rohrdorf-Staretschwil.

Gleichzeitig hat sich aber auch das Bild der ehemaligen Bauerdörfer Oberrohrdorf wie Staretschwil verändert: Beide Dörfer sind baulich zusammengewachsen und frühere Grenzen sind höchstens noch über alte Marksteine erkennbar.

Früher wurden über 50 Landwirtschaftsbetriebe bewirtschaftet, heute lediglich noch 8 hauptberuf- lich, und der Strukturwandel, der momentan in der Landwirtschaft stattfindet, wird kaum mehr als 5 bis 6 Haupterwerbsbetriebe übrig lassen.