Katholische Universität Eichstätt Wintersemester 2000/2001 Examenskurs NDL Dozentin: Dr. Agnes Kornbacher-Meyer Verfasser: Cornelia Eberhard, Kathrin Stadler

(13.12.1797 – 17.02.1856)

I. Das Junge Deutschland 5 Kriterien zur Bestimmung literarischer Gruppen nach Norbert Fügen „Hauptrichtungen der deutschen Literatursoziologie“:

1. eine die Geschlossenheit der Gruppe symbolisierende Benennung  im Frühjahr 1933 erstmaliges Auftreten der Bezeichnung in Briefen, Rezensionen und Texten  allgemeine Gattungsbestimmung statt genau umrissener Selbstbezeichnung  altdeutsch = Ansätze zur Wiederherstellung alter deutscher Ideale des Mittelalters  jungdeutsch = auf die Zukunft gerichtete Erneuerungsbewegung der jüngeren Generation  größte Publizität durch den Bundestagsbeschluss vom 10.12.1835, mit dem das Junge Deutschland verboten wird  Verbot von , , , Ludolf Wienbarg, Theodor Mundt, da diese Autoren vorgeworfen wird „in belletristischen, für alle Klassen von Lesern zugänglichen Schriften die christliche Religion auf die frechste Weise anzugreifen, die bestehenden sozialen Verhältnisse herabzuwürdigen und alle Zucht und Sittlichkeit zerstören Bundestagsbeschluss vom 10.12.1835

 Verwarnung an den Hoffmann und Campe Verlag als den Hauptverlag der jungdeutschen Literatur

2. die Anerkennung eines lebenden Führers oder Vorbildes  Heinrich Heine und Ludwig Börne als Vorbild: Heine im lyrisch-reiseliterarischen Bereich, Börne im Bereich der zeitkritischen Journalistik  beide Autoren veröffentlichten schon in den 20er Jahren wesentliche Paradigmen jungdeutscher Literatur: („Buch der Lieder“, „Reisebilder“, Aufsätze)  zunächst freiwillige, später erzwungene politische Emigration nach Paris beider Autoren  altersmäßiger Vorsprung gegenüber den Jungdeutschen

„ ‚Vorwärts!‘ dies ist auch das Losungswort der neuen jungen Deutschen und es spricht sich aus in unserer jüngsten Literatur, welches sich eben dadurch von der romantischen, wie von der goetheschen Schule, so sehr unterscheidet. Das junge Deutschland offenbart sich eben durch diese neue Literatur; denn das Wort geht der Tat voraus, wie der Blitz dem Donner. Das junge Deutschland, das große heilige Vaterland das wir so sehr lieben und wofür wir Tod und Spott und sogar Verbannung erleiden wollen, es existiert freylich bis jetzt nur in einigen wenigen Herzen“ (Romantische Schule)

3. eine in der Regel nur für die Produkte der Gruppenmitglieder offene Zeitschrift  L. Börne: „Die Waage“  K. Gutzkow: „Forum der Journalistik“ und „Phönix“  T. Mundt: „Literarischer Zodiakus“ und „Dioskwen“  Wienbarg: „Deutsche Revue“ (nach dem ersten Heft verboten  Junge Deutschland als journalistische Bewegung, die durch publikumswirksame Medien Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben will  von 1830-1835 Dominanz der Bewegung am Zeitschriftenmarkt

4. eine außerhalb der Gruppe stehender Gegner  Prinzip der Restauration mit der Wiederherstellung nicht nur älterer staatlicher, sondern auch literarisch, kultureller und religiöser Vorstellungen als Gegner

5. die Unterwerfung der Gruppe unter ein gemeinsames ästethisches Ideal  poetische Verarbeitung und Widerspiegelung politischer und kultureller Ereignisse als Ideal  gemeinsames Ziel (Pressefreiheit, Gleichheit, Demokratie, Emanzipation der Frau, Trennung von Staat und Amtskirche)

II. Kurzbiographie  * 13.12.1797 in Düsseldorf, mit dem Namen Harry Heine  1807-1814 Lyceum in Düsseldorf (ohne Reifezeugnis)  1815-1819 kaufmännische Lehre; Bankrott des Kommissionsgeschäfts Harry Heine&Co.  1819-1825 Jura-Studium in Bonn, Göttingen und Berlin (mit Promotion)  28.07.1825 protestantische Taufe auf den Namen Christian Johann Heinrich  Mai 1831 Umzug nach Paris  ab 1848 Rückenmarksschwindsucht; Beginn der „Matratzengruft“  † 17.02.1856 Tod in Paris, Friedhof von Montmartre

III. Heine in seiner Zeit  Ablehnung der autoritären Mächte Monarchie und Kirche  Anstrebung einer parlamentarisch-demokratischen Verfassung  Verkündung des Endes der Kunstperiode (= unpolitische Literatur der Goethezeit) zugunsten der parteiischen Dichtkunst  Konflikt mit staatlicher Behörde und den restaurativen, konservativen Kräften  nicht nur Dichter im Dienste einer reinen, poetischen Schönheit, sondern Kämpfer „Ich bin das Schwert, ich bin die Flamme. Ich habe euch erleuchtet in der Dunkelheit und als die Schlacht begann focht ich voran in der ersten Reihe“ (1830)  Schreiben als Dreifrontenkampf gegen Kommerz, Staat und Konkurrenz  Mittler zwischen der deutschen und französischen Kultur (Philosophie in „ Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“ und „Die romantische Schule“ für Frankreich; politische Theorie in „Fränzösische Zustände“ für Frankreich)

IV. Heines Werke allgemein; Originalausgaben in chronologischer Reihenfolge

 Gedichte (1822)  Tragödien, nebst einem lyrischen Intermezzo (1823) (enthält: William Ratcliff; Lyrisches Intermezzo; Almansor)  Reisebilder. Erster Theil (1826) (enthält: Heimkehr; Gedichte; Die Harzreise; Die Nordsee, erste Abteilung)  Reisebilder. Zweiter Theil (1827) (enthält: Die Nordsee, zweite und dritte Abteilung; Ideen, Das Buch LeGrand; Briefe aus Berlin)  Buch der Lieder (1827)

 Reisebilder. Dritter Theil. Italien (1830) (enthält: Reise von München nach Genua; Die Bäder von Lucca)  Nachträge zu den Reisebildern (1831) (enthält: Englische Fragmente; Die Stadt Lucca)  Französische Zustände (1833)

 Zur Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschland (1833)

 Vorrede zu Heinrich Heines Französischen Zuständen (1833)

 Der Salon. Erster Band (1834) (enthält: Französische Maler; Verschiedene; Aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski)  Der Salon. Zweiter Band (1835) (enthält: Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland; Neuer Frühling)  De l’Allemagne (1835)  Die Romantische Schule (1836) (erweiterte Neuausgabe von „Zur Geschichte der neueren schönen Literatur in Dtl.“)  Der Salon. Dritter Band (1837) (enthält: Florentinische Nächte; Elementargeister)  Ueber den Denunzianten. Eine Vorrede zum Dritten Theile des Salons (1837)

 Shakespeares Mädchen und Frauen (1839)

 Ueber Ludwig Börne (1840)

 Der Salon. Vierter Band (1840) (enthält: Der Rabbi von Bacherach; Gedichte; Über die französische Bühne)  Neue Gedichte (1844) (enthält: Gedichte; Deutschland. Ein Wintermärchen)  Deutschland. Ein Wintermärchen (1844)

 Atta Troll. Ein Sommernachtstraum (1847)

 Romanzero (1851)  Der Doktor Faust. Ein Tanzpoem. Nebst kuriosen Berichten über Teufel, Hexen und Dichtkunst (1851)

 Vermischte Schriften (1854) (Band 1: Geständnisse; Gedichte. 1853 und 1854; Die Götter im Exil; Die Göttin Diana;

Ludwig Marcus. Denkworte Bände 2&3: Lutezia. Berichte über Politik, Kunst und Volksleben)  Lutéce. Lettres sur la vie politique, artistique et sociale en France (1855)

V. Der Dichter Heinrich Heine

1. Heine - ein Romantiker?

1.1 Struktur des „Buch der Lieder

 fünf Hauptteile: Junge Leiden 1817-1821 Traumbilder Lieder Romanzen Sonette Lyrisches Intermezzo 1822-1823 Die Heimkehr 1823-1824 Aus der Harzreise 1824 Die Nordsee 1825-1826 Erster Zyklus Zweiter Zyklus  zyklisch komponierte Lyriksammlung  Volksliedstrophe mit ihrer variablen Metrik war formal prägend für das Buch der Lieder  rund 140 von 237 Gedichten handeln von unglücklicher, unerwiderter und hoffnungsloser Liebe  soll als Dokument für Heines abgeschlossene und überwundene dichterische Jugendphase gelten

1.2 Aufbau und Analyse der Loreley

Die Heimkehr (1823-1824) II Loreley

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, Sie kämmt mit goldenem Kamme, Daß ich so traurig bin; Und singt ein Lied dabei; Ein Märchen aus alten Zeiten, Das hat eine wundersame, Das kommt mir nicht aus dem Sinn. Gewaltige Melodei.

Die Luft ist kühl und es dunkelt, Den Schiffer im kleinen Schiffe Und ruhig fließt der Rhein; Ergreift es mit wildem Weh; Der Gipfel des Berges funkelt Er schaut nicht die Felsenriffe, Im Abendsonnenschein. Er schaut nur hinauf in die Höh.

Die schönste Jungfrau sitzet Ich glaube die Wellen verschlingen Dort oben wunderbar, Am Ende Schiffer und Kahn; Ihr goldnes Geschmeide blitzet, Und das hat mit ihrem Singen Sie kämmt ihr goldenes Haar. die Lore-Lei getan.

 eröffnet den Zyklus Die Heimkehr im Buch der Lieder  von Friedrich Silcher (1838) vertont; im 19.Jh. als Volkslied bekannt (wird noch heute im Ausland oft als DAS deutsche Volkslied zitiert)  Rahmenbau, der die Erinnerung eines melancholisch gestimmten Sprechers an ein altes Märchen ausmacht  sechs vierzeilige Strophen; dreihebig; unregelmäßig gefüllte Verse; wechselnde, kreuzweise gebundene, weibliche und männliche Reime in Tradition des Volksliedes  Binnenteil mit balladesker Handlung  Vorlage: keine volkstümlichen Quellen, wie z.B. bei Brentano, sondern wahrscheinlich aus Aloys Schreibers Handbuch für Reisende am Rhein (2. Auflage 1818) entnommen  Heines Loreley hat keine magischen Kräfte; sie erscheint uns eher wie eine griechische Sirene, da sie nur durch ihren Gesang bezaubert; in einigen volkstümlichen Quellen hat die Loreley magische Kräfte und wird meist als Hexe oder Zauberin beschrieben  durch die Einführung der Rahmenerzählung, die typisch für Heine ist, verdeutlicht er den Abstand zu dem rheinromantischen Stoff;  dieses Gedicht zeigt auf charakteristische Weise Heines Nähe und Distanz zur Volkslied- und zur romantischen Tradition  in NS-Zeit wurde das Lied als Volkslied propagiert, da Heine allerdings Jude war, wurde kurzerhand die Bemerkung „Verfasser unbekannt“ daruntergesetzt

1.3 Aufbau und Analyse des Gedichts „Wahrhaftig“

Junge Leiden (1817-1821) Romanzen XX Wahrhaftig

Wenn der Frühling kommt mit dem Sonnenschein, Dann knospen und blühen die Blümlein auf; Wenn der Mond beginnt seinen Strahlenlauf, Dann schwimmen die Sternlein hinterdrein; Wenn der Sänger zwei süße Äuglein sieht, Dann quellen ihm Lieder aus tiefem Gemüt; - Doch Lieder und Sterne und Blümelein, Und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein, Wie sehr das Zeug auch gefällt, So macht´s doch noch lang keine Welt.

 einem Sonett nachempfunden; erster Sinnabschnitt (V.1-6) besteht aus drei Duetten  erster Teil enthält typische romantische Motive  zweiter Teil zeigt im Kontrast die Vernichtung dieser „heilen Welt“  typisch für Heine: Kritik an „Scheuklappen-Leben“ der Bevölkerung, die sich immer nur die Oberfläche besieht;

1.4 Heine als „romantischer Aufklärer“

 kein Autor der Biedermeierzeit, nimmt aber Ausnahmestellung ein, so wie Büchner;  Heine und Büchner als wichtigste politisch-literarische Antipoden der Restauration (Einzelgänger gegenüber der Mehrheit der zeitgenössischen Autoren)  Heines Bezüge zur Aufklärung: - Gesellschaftskritik - Polemik (Voltaire / Lessing) - Verwendung der publizistischen Formen  Heines Bezüge zur Romantik: - Poesie- und Subjektbetonung - Geniebegriff - antiklassizistische Haltung  Heine gilt als „romantischer Aufklärer“, da er mehrere Charakteristika verschiedener Epochen in seinem Werk benutzt.  Heine als „deutscher Aristophanes“:

 oppositionell-kritische Linie

 Affront gegen politische aber auch literarische Machthaber

 grotesker Stil

( nach Sengle Friedrich, in Rätsel Heine, S. 76ff)

1.5 Vorbilder

 Petrarkismus gilt als Grundzug Heines Lyrik; Heines Vorstellung unerfüllter, zwischen entgegengesetzten Zuständen schwankender („oxymorischer“) und auch formelhafter Liebe steht in engster Beziehung zum petrarkischen Modell.  Goethe obwohl Heine ein sehr wechselhaftes Verhältnis zu Goethe hat , schätzt er dessen Lyrik sehr; Vorbild für das Buch der Lieder war der West-östliche Divan;  Lord Byron Heine versuchte sich an einigen Übersetzungen

2. Zeitgedichte

2.1 Aufbau und Analyse der Tendenz

Tendenz

Deutscher Sänger! sing und preise Sei nicht mehr die weiche Flöte, Deutsche Freiheit, daß dein Lied Das idyllische Gemüt - Unsrer Seelen sich bemeistre, Sei des Vaterlands Posaune, Und zu Taten uns begeistre, Sei Kanone, sei Kartaune, In Marseillerhymnenweise. Blase, schmettre, donnre, töte!

Girre nicht mehr wie ein Werther, Blase, schmettre, donnre täglich, Welcher nur für Lotten glüht - Bis der letzte Dränger flieht - Was die Glocke hat geschlagen, Singe nur in dieser Richtung, Sollst du deinem Volke sagen, Aber halte deine Dichtung Rede Dolche, rede Schwerter! Nur so allgemein wie möglich.

 wurde im Januar 1842 publiziert  kritisches Gedicht zur Tendenzpoesie, da diese zu parteiisch und politisch sei, und das künstlerische total vernachlässige; im Gegenteil dazu sei aber die Poesie der Goethezeit nur künstlerisch; laut Heine sollte Literatur auf jeden Fall auch politische Themen kritisch betrachten, jedoch muß sie auch künstlerisch sein!  Zeitgedichte wurden von ihm geschrieben; ein Aufruf zur Gewalt durch den Dichter  ein anti-romantisches Gedicht, da Heine den Sänger aufruft, gegen die Emotionen und die überragende Gefühlswelt der Romantiker anzusingen und ebenso das übergroße Naturgefühl zu vergessen und sich statt dessen auf Wichtigeres, in diesem Fall Patriotisches zu konzentrieren  Reimkontraste wie „Werther“ / „Schwerter“, „Flöte“/ „töte“ spielen eine martialische gegen eine idyllische Kunstauffassung aus  Komik entsteht, wenn Reden und Handeln kurzgeschlossen werden, wie in „Rede Schwerter“  patriotischer Klang der Predigt wird mit dem ironischen Ratschlag beendet, die Dichtung „Nur so allgemein als möglich“ zu halten, d.h. nie konkret zu werden  das eigentliche Ziel „Deutsche Freiheit“ wird zersungen und bleibt erschlagen von einer Kette von Appellen auf der Strecke

3. Reisebilder

3.1 Das Gesamtprojekt  Heines erstes großes Buchprojekt  von vornherein als mehrteiliges Werk geplant (bessere Etablierungschancen am Markt)  Modell der jungen, neuen Prosa  Keine einheitliche Form, aber zahlreiche thematische Zusammenhänge und Aufgriffe  Heine verschafft ohnehin populären Genre eine enorme Breitenwirkung  statt Landschaftsbilder Aufgriff aller wichtigen Fragen, die sich aus dem gesellschaftlichen Wandel des 19. Jahrhunderts ergeben  Berichte über die Lebensbedingungen  Darstellung der politischen und ökonomischen Ursachen gesellschaftlicher Missstände  Vergleich der verschiedenen Bedingungen der Nationen  Analyse der unterschiedlichen Verwirklichung der Emanzipation in Europa Was aber ist die große Aufgabe unserer Zeit? Es ist die Emanzipation.[...] Jede Zeit hat ihre Aufgabe und durch die Lösung derselben rückt die Menschheit weiter. Die frühere Ungleichheit, durch das Feudalsystem in Europa gestiftet, war vielleicht notwendig, oder notwendige Bedingung zu den Fortschritten der Zivilisation; jetzt aber hemmt sie diese, empört sie die zivilisierten Herzen. (Reise von München nach Genua)

 Emanzipationsprozeß als Hauptthema, der sich auch innerhalb des Werkes erst stufenweise entwickelt und auf neue Gebiete ausweitet  der vom eigentlichen Reisebericht abweichende Charakter muss beachtet werden, damit enthaltene Anekdoten, Anspielungen und ironische Abwandlungen nicht als bloße Unterhaltungsliteratur konsumiert werden  Übergang von der Kunst- zur Freiheitsschwärmerei (vgl. Goethes Italienische Reise als Übergang von Naturenthusiasmus zur Kunstschwärmerei) 3.2 Band 1: Die Heimkehr; Die Harzreise; Die Nordsee  chronologischer Bericht einer 6-tägigen Wanderung  offene Struktur und fragmentarischen Charakter  politisch gesehen harmlos  versteckte Kritik an der Wissenschaft, dem Nationalismus und dem Philistertum  großer ästhetischer Zuspruch aufgrund des frischen, respektlosen Witzes

3.3 Band 2: Die Nordsee; Ideen. Das Buch Le Grand  Ich-Erzähler in „Die Nordsee“ beschäftigt sich als letzter Badegast im Hinblick auf die vergangene Badesaison mit verschiedensten Themen wie der Stellung Goethes in seiner Zeit, Verhalten des Adels, Bedeutung Napoleons und deutsche Fragmentierung

 „Ideen. Das Buch Le Grand“ als Heines komplexestes und schwierigstes Prosawerk ohne eigentliche Reisefiktion  irritierendes Spiel mit Ort, Zeit und Identität, das in 20 Kapiteln Liebe, französische Revolution und Schriftstellerprobleme im Vormärz thematisiert

3.4 Band 3: Reise von München nach Genua; Die Bäder von Lucca  „Reise von München nach Genua“ beschreibt und analysiert die Emanzipation in Italien und stellt den menschlichen Fortschritt da  in „Die Bäder von Lucca“ Liebe als Handlungsträger;  Unterbrechung des Hauptthemas durch Aufgriffe bereits behandelter Themen wie Zerissenheit, Wissenschaftskritik oder Dichterproblematik

3.5 Band 4: Die Stadt Lucca; Englische Fragmente  Heines Auseinandersetzung in „Die Stadt Lucca“ mit verschiedenen Religionen (Judentum, Protestantismus, Katholizismus)  Revolution als einzige Möglichkeit den Emanzipationsprozeß voran zu treiben

3.6 Reaktionen  laute Teilnahme und große Aufmerksamkeit  starker Widerhall und kaum ungeteilter Beifall  Täuschung des Lesers durch den Gegensatz von Titel und Inhalt  Kritik an der offenen Struktur und dem fragmentarischen Charakter  Kritik an Heines beißender Ironie mit deren Hilfe er die Zensur umgehen versucht

„Die Schriftsteller, die unter Zensur und Geisteszwang aller Art schmachten und doch nimmermehr ihre Herzensmeinung verleugnen können, sind ganz besonders auf die ironische und humoristische Form angewiesen. Es ist der einzige Ausweg, welcher der Ehrlichkeit noch übrig geblieben und in der humoristischen ironischen Vorstellung offenbart sich die Ehrlichkeit noch am rührensten.“ (Die Romantische Schule)

 Kritik am ständigen, plötzlichen Umschwung von Ernst und Humor  Vorwurf der ungehemmten Subjektivität, Schamlosigkeit, Prinzipienlosigkeit und Frechheit

4. Deutschland.Ein Wintermärchen

Deutschland.Ein Wintermärchen (Auszug)

Caput I

Im traurigen Monat November wars, Die Tage wurden trüber, Der Wind riß von den Bäumen das Laub, Da reist ich nach Deutschland hinüber.

Und als ich an die Grenze kam, Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen In meiner Brust, ich glaube sogar Die Augen begunnen zu tropfen.

Und als ich die deutsche Sprache vernahm, Da ward mir seltsam zu Mute; Ich meinte nicht anders, als ob das herz Recht angenehm verblute.

Ein kleines Harfenmädchen sang. Sie sang mit wahrem Gefühle Und falscher Stimme, doch ward ich sehr Gerühret von ihrem Spiele.

Sie sang von Liebe und Liebesgram, Aufopfrung und Wiederfinden Dort oben, in jener besseren Welt, Wo alle Leiden schwinden.

Sie sang vom irdischen Jammertal, Von Freuden, die bald zeronnen, Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt Verklärt in ewgen Wonnen. Sie sang das alte Entsagungslied, Das Eiapopeia vom Himmel, Womit man einlullt, wenn es greint, Das Volk, den großen Lümmel.

4.1 Entstehung und Druck

 21.10.1843 erste Deutschlandreise Heines nach 12 Jahren Exil in Frankreich  eine Kontamination der Hin- und Rückreise bildet die epische Grundstruktur  Gründe für seine Deutschlandreise waren ein Wiedersehen mit seiner Familie und ein neuer Vertragsabschluß mit Campe seinem Verleger  Stationen der Hinreise: 21.10.1843 Paris - Brüssel - Münster - Osnabrück - Bremen - Hamburg 29.10.1843  Stationen der Rückreise: 07.12.1943 Aachen - Köln - Hagen - Unna - Teutoburger Wald - Minden - 16.12.1843 Bückeburg - Hannover (im Epos in umgekehrter Reihenfolge)  Niederschrift (mit kurzen Unterbrechungen) zwischen Dez.1843 und Mai 1844  Titel „Wintermärchen“ geht auf Shakespeares „The Winter´s Tale“ zurück  Erstdruck: 25.Sept.1844 (ohne Vorzensur; war nur möglich, da die „Neuen Gedichte“ mit dem Wintermärchen in einem Band gedruckt wurden) 2. Auflage: Ende Oktober 1844 (drei Varianten) 3. Auflage: 1852 (ohne „Wintermärchen“ nur die „Neuen Gedichte“) Separatdruck vom Wintermärchen: Ende Sept./Anfang Okt. 1844 mit dem Vorwort Heines vom 17.Sept. 1844 Nachdruck im Pariser „Vorwärts!“ zwischen 19.Okt. und 30.Nov.1844; (Vorwort + Capita I-XXVII; Karl Marx als Vermittler

4.2 Analyse und Deutung

 wie ein Volkslied oder eine Volksballade aufgebaut  V.1 und 3: vierhebig, V.2 und 4: dreihebig; durch Vers verbunden  Kadenz wechselt zwischen männlich und weiblich  Inhalt: Kritik an dem Deutschland dieser Zeit; Wunsch nach einer zukünftigen besseren Menschheit  20 Jahre liegen zwischen den beiden großen Deutschlandreisen:

„Der Prosaerzähler der Harzreise , der aus der philisterhaften Enge einer deutschen Kleinstadt aufbricht, um sich Luft zu verschaffen, hat sich im Wintermärchen in einen heimwehkranken Schriftsteller verwandelt, der aus seinem Pariser Exil aufbricht, um seine Mutter wiederzusehen und an der Heimatluft zu „gesunden“, aber daran dann zusehends zu ersticken droht.“ (Heine-Handbuch, S.116)

 in einem Gutachten des zuständigen Referenten im Ministerium des Innern vom 03.Okt. 1844 hieß es, von Seite 277 an (dort beginnen die „Zeitgedichte“) enthalte das Buch

„fast durchgehends in Verse gebrachte gemeingefährliche Schandreden über den Charakter des deutschen Volkes, die politisch-sozialen Institute Deutschlands und ins Besondere die brutalsten Ausfälle auf die geheiligte Person des diesseitigen Staatsoberhauptes.“ (Reclam, S.96)  am 04.10.1844 Beschlagnahmung der „Neuen Gedichte“ in Preußen; bald darauf die Aufforderung an alle anderen deutschen Bundesstaaten, das Buch ebenfalls zu verbieten; ab 14.10.1844 folgten noch einige weitere Staaten;  Separatausgabe vom „Wintermärchen“ wurde auch verboten

VI. Gesellschaftskritik Heines

1. Deutschlandkritik  Gesellschaftspolitische Vorstellung Heines von der Franz. Revolution 1789 geprägt: Gleichheit und Freiheit (wobei sich die Freiheit erst aus der Gleichheit ergeben kann)  Kritik an absolut regierenden Fürsten, die dem Volk keine Verfassung zubilligen „Nie ist ein Volk von seinen Machthabern grausamer verhöhnt worden. Nicht bloß, daß jene Bundesordonnanzen voraussetzen, wir ließen uns alles gefallen: man möchte uns dabei noch einreden, es geschehe uns ja eigentlich gar kein Leid oder Unrecht. Wenn Ihr aber auch mit Zuversicht auf knechtische Unterwürfigkeit rechnen durftet, so hattet Ihr doch kein Recht uns für Dummköpfe zu halten. (Französische Zustände)

 Kritik am Adel, der „mit dem Verdienst der Ahnen den eigenen Unwert bedeckt“ und Vorrechte durch Geburt genießt  Kritik am Geldegoismus „Besteht nun die heutige Religion in der Geldentwertung Gottes oder in der Gottwerdung des Geldes? Genug, die Leute glauben nur an Geld; nur den gemünzten Metall, den silbernen und goldenen Hostien, schreiben sie eine Wunderkraft zu, das Geld ist der Anfang und das Ende aller Werke“ (Italien. Die Bäder zu Lucca)

2. Religionskritik Heines

 Verachtung der Staatskirche, die das hierarchische System stützt und sich staatlichen Mitteln zur Durchsetzung ihrer Absichten bedient  Glaubensinhalte treten in der Staatskirche hinter Staatsinhalte „Eben weil ich ein Freund des Staates und der Religion bin, hasse ich jeneMißgeburt, die man Staatsreligion nennt, jenes Spottgeschöpf, das aus der Buhlschaft der weltlichen und der geistigen Macht entstanden, jenes Maultier, das der Schimmel des Antichrists mit der Eselin Christi gezeugt hat. Gäbe es keine solche Staatsreligion, keine Bevorrechnung eines Dogmas und eines Kultus, so wäre Deutschland einig und stark und seine Söhne wären herrlich frei. (Italien. Die Bäder zu Lucca)

 Judentum als Vorläufer der Staatsreligion  verlogener Protestantismus mit doppelbödiger Moral zur Aufrechterhaltung von Macht „Ich habe mich aber immer gewundert, Doktor, daß manche reiche Leute dieser Gattung, die wir [...] eifrigst bemüht sehen, etwa einen alten verschimmelten Betteljuden himmelfähig zu machen und seine einstige Genossenschaft im Himmelreich zu erwerben, dennnoch nie daran denken, ihn schon jetzt auf Erden an ihren Genüssen teilnehmen zu lassen“ (Italien. Bädern von Lucca)  Katholizismus als blutrünstige Verbrecherreligion  Gleichberechtigung der Religionen ohne Verbindung zum Staat als wünschenswert

3. Das deutsche Volk  allgemeine Menschenliebe wird deutlich  Aufrüttelung des unterwürfigen, braven Volkes  Kritik an der Untertanenmentalität und der Neigung zu philiströser Behaglichkeit  Trost  Volk als der wahre Kaiser

„Wenn ich dich nicht befreien kann, so will ich dich wenigstens trösten, und du sollst jemanden um dir haben, der mit dir schwatzt über die bedränglichste Drangsal, und dir Mut einspricht, und dich lieb hat [...] Denn du, mein Volk, bist der wahre Kaiser, der wahre Herr der Lande – dein wille ist souverain [...] Wenn du auch in Fesseln danieder liegst, so siegt doch am Ende dein gutes Recht“ (Englische Fragmente)

Das arme Volk ist nicht schön; im Gegenteil, es ist häßlich: Aber diese Häßlichkeit entstand durch den Schmutz und wird mit demselben schwinden, sobald wir öffentlich Bäder erbauen, wo Seine Majestät das Volk sich unentgeltlich baden kann. (Geständnisse) 4. Patriotismus  enger, unkritischer Patriotismus „ Die Freiheitsliebe ist eine Kerkerblume und erst im Gefängnis fühlt man den Wert der Freiheit. So beginnt die deutsche Vaterlandsliebe erst an der deutschen Grenze, vornehmlich aber beim Anblick deutschen Unglücks in der Fremde [...] Nur wer im Exil gelebt hat, weiß auch, was Vaterlandsliebe ist.“ (Vorrede zum ersten Band des Salon)

VII. Reaktionen

1. Zu Heines Lebzeiten

 schon zu Lebzeiten umstrittener Dichter  seit erstem Gedichtband Bedenken bis hin zur Ablehnung und nur spärliche Zustimmung in Deutschland  Spiegel der deutschen Geschichte  Indikator für das Verhältnis Deutschlands zu sich selbst

„Heines Lyrik ist eine Fortentwicklung der Goetheschen, nicht ihr Gegensatz. Die Welt ist plötzlich eine andere geworden um die Wende des zweiten Jahrzehnts [...] Die Welt bekam plötzlich Nerven! [...] Wenn euch Heine nicht gefällt, so klaget die Zeit an, diese nervöse, brutale, materialistische Zeit, welche das ruhige behagliche Ausleben einer Empfindung nicht kennt, welche die harmonische entwicklung des Einzelwesens, wie sie noch Goethen blüte, nicht mehr gestattet [...] Schlaget ein Kreuz vor euch selbst, doch kreuzigt nicht den Dichter, der ein Mensch ist wie ihr, abhängig von allen Bedingungen, Zuständen, Verhältnissen seiner Gesellschaft und seiner Zeit.“ (Conrad Alberti)  Heines Judentum erst religiös, dann nationalistisch-rassistisch abgelehnt (Denkmalschändung im Nationalsozialismus)  im Ausland unangefochtener Repräsentant deutscher Literatur und Kunst

2. Nach Heines Tod

 erbitterte Auseinandersetzungen um ihn und sein Werk  „Sänger der Jugend“ und Anwalt der Massen“ contra „Pfahl im deutschen Fleisch“  Kritiker benützten sein Werk zum Vorwand für die Verkündung politischer Dogmen  Denkmalstreits in Düsseldorf und Hamburg  nach 23-jährigen Namensstreit Umbenennung der Düsseldorfer Universität in Heinrich-Heine-Universität

 ständige Herausforderung des Widerspruchs durch Heine als Kritikpunkt

VIII. Literatur

1. Brummack, Jürgen (Hrsg.): Heinrich Heine. Epoche – Werk - Wirkung. München 1980 2. Walwei-Wiegelmann (Hrsg.): Gesellschaftskritik im Werk Heinrich Heines. Eine Heine-Lesebuch. Paderborn 1974. 3.