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"riskantes Denken" (Gumbrecht): "harte philologische Kompetenz mit einem genuinen Talent zur philosophischen Prof. Dr. B. Witte Wintersemester 2001/02 Reflexion". Unterschied zu neuen Medien (Fernsehen, Internet): Aktualität, Sex als Ware. Vorlesung: und die Literatur des Vormärz Zum Kommentar gehört auch Schreibkompetenz: Realisierung einer neuen Schreibspur. Sowohl Einübung wie Reflexion notwendig. 1. Einführung: Ist Literaturwissenschaft heute noch aktuell? Das Düsseldorfer Modell der Germanistik.

Hans Ulrich Gumbrecht: Warum die Germanistik in den 2. Vormärz 1815-1848 Elfenbeimturm zurückkehren sollte. In: FAZ, 01.10.01. 2.1 Epoche

Gegensatz: faszinierende Forschungen - Bewußtsein der Krise Widersprüchliches Bild: Ende der Napoleonischen Ära Gründe: mangelndes Interesse der Öffentlichkeit (an Literatur); politisch: Restauration - Deutscher Bund Medien-Konkurrenz; Globalisierung. ökonomischer und sozialer Wandel, beginnende Industriali- sierung 2 Antworten: Unterdrückung bürgerlicher Emanzipationsbewegungen. – Kulturwissenschaften: alles vom Menschen Hervorgebrachte Literatur von diesem Widerspruch gezeichnet: ist Kultur und damit interpretierbar. – die Spätromantik: Friedrich Schlegel als Propagandist Friedrich Kittler: Die Technik ist unser Schicksal. Sie bestimmt Metternichs in Wien über die Medien die Entwicklung, ontologisch - Heidegger – Medienwissenschaften: die medialen Bedingungen der 2.1.1 "Biedermeier" Konstitution von Sinn. – Demgegenüber: radikale Philologie, d. h. dem Wort, dem Text Übergangszeit zwischen Klassik und Realismus zugewandte intensive Lektüre, bzw. Neuschreibung des Textes. – 1789/94 Französische Revolution - der Beginn der Text als Spur eines vorgängigen Schreibvorgangs, der auf eine gesellschaftlichen Moderne in Europa neue Schrift vorverweist (Jacques Derrida). Reaktion darauf: Klassik Erfüllt sich im Kommentar. Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre 1795/96 Lektüre als Dialog mit den im Text anwesenden/abwesenden Übertragung des ästhetischen Modells des ganzheitlichen Toten. Werks ins Gesellschaftliche Deren Erfahrung entfaltet und aktualisiert. "Totalität" - Individuum und Gesellschaft in Harmonie

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– 1848 - die bürgerliche Revolution gescheitert Freie Liebe (Saint-Simonismus), Anknüpfung an Fr. Schlegels Reaktion darauf: bürgerlicher / poetischer Realismus Lucinde, Polemik gegen Religion Wiederaufnahme des ganzheitlichen Modells Dagegen Wolfgang Menzel im Literatur-Blatt zum "Verklärung": die Welt und die Gesellschaft als in sich Morgenblatt für gebildete Stände (Cotta) Rezension: "freche geschlossener, "schöner" Kosmos. Gotteslästerer und Nuditätenmaler" - "Auswurf der Nation". Gustav Freytag: Soll und Haben (1855) Gottfried Keller: Der grüne Heinrich (1854/55) 1. Fssg. – Provoziert Bundestagsbeschluß gegen das Junge Deutschland (10.12.1835) – Die Epochenbezeichnung "Biedermeier" aus Kunstgewerbe Alle Schriften von Heine, Gutzkow, Laube, Mundt, Wienbarg (Stilmöbel) - "Biedermeierzeit" - auf Literatur übertragen. werden verboten. In den dreißiger Jahren: Versuch die konservativen, In der Öffentlichkeit diese Autoren dadurch zu einer Gruppe antimodernistischen Tendenzen als durchgängige zusammengefaßt. Hauptströmung der deutschen Literatur erscheinen zu lassen. Eduard Mörike: Maler Nolten (1832) 2.1.3 Vormärz Adalbert Stifter: Studien (1844/50) Wiederaufgenommen in der "Restaurationszeit" der Adenauer- – Zunächst aus Politik: Periode, die hinführt auf die Ära: Märzrevolution von 1848. Friedrich Sengle: Biedermeierzeit. Deutsche Literatur im Im engeren Sinne: die Literatur, die als politisch engagierte, Spannungsfeld zwischen Restauration und Revolution. sich für die bürgerliche Revolution einsetzt: Bd. I: Allgemeine Voraussetzungen. Richtungen. Dar- Georg Büchner: Dantons Tod (1835) stellungsmittel. 1971. Georg Gottfried Gervinus: Geschichte der poetischen National- Bd. II: Die Formenwelt. 1972. literatur der Deutschen (1835-42) Bd. III: Die Dichter. 1980. Ferdinand Freiligrath: Ça ira (1846) Weltanschaulich bedingte Vorurteile und einseitige Optik. Nachträgliche Konstruktion. – Diese enge politische Sicht übersieht den eigentlichen Umbruch in der Literatur der Zeit. 2.1.2 Junges Deutschland Heine: "das Ende der Wolfgang Goetheschen Kunstperiode". Entdeckung der Literatur der Moderne: Bezeichnung aus der Zeit selbst, mit der sich die jungen Autoren Ablehnung des geschlossenen Werks; von Klassik und Romantik absetzen. Aufwertung der Prosa als literarisches und gesellschaftliches – : Wally, die Zweiflerin (1835) Reflexionsmedium; Ideen- / Vielheitsroman - Gattungsmischung Schreiben als Lektüre und Neuschreiben schon vorhandener Auflösung des einheitlichen Werks. Texte; 5 6

der Tod - nicht mehr die natürliche Produktivkraft - im Für größere Werke Nachzensur Zentrum des dichterischen Textes. 1835: Bundestagsbeschluß gegen das Junge Deutschland - Verbot In diesem Sinne mit der Epochenbezeichnung "Vormärz" das aller Schriften dieser Autoren. innovative Moment in der Literatur der Zeit herausstellen. Reaktion der Autoren: – Selbstzensur 2.2 Literarische Öffentlichkeit – Sklavensprache: Heines Lob des preußischen Königs und Louis Philipps in der Vorrede zu den Französischen Zuständen 2.2.1 Der literarische Markt Zitat DHA 12/1, S. 72 f. – Polemik Ausdehnung der Buchproduktion (Schnellpresse) Zitat DHA 12/1, S. 71 1805: 4181 Titel – Ironie 1843: 14039 Titel, davon 1130 Romane. Ideen. Das Buch Le Grand, Cap. XII. Rationalisierung der Produktion (Cotta) DHA 6, S. 201: 1825 Börsenverein des dt. Buchhandels "Die deutschen Censoren – – – – – – – – – – – – 1833 Börsenblatt ------1835 Urheberrechtsschutz und Nachdruckverbot Dummköpfe------." der "freie Schriftsteller" - der Markt als Chance und Problem – Restitution Heine der erste "freie Schriftsteller": neben den Einkünften aus Vergleich von Heines Korrespondenzberichten für die Literatur und Publizistik - franz. Staatspension, Unterstützung Augsburger Allgemeine Zeitung 1832 und deren Buchfassung durch Familie und Mäzene (Rothschild, Meyerbeer). in Französische Zustände (1833). In Preußen auf Grund der Michael Werner: Genius und Geldsack. Hamburg 1978. Vorrede am 1. Februar 1833 verboten. Bernd Witte (Hg.): Vormärz: Biedermeier, Junges 2.2.2 Publizistik Deutschland, Demokraten 1815-1848. Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte Bd. 6. Reinbek 1980. Entstehung der Massenpresse. Gert Sautermeister, Ulrich Schmid (Hg.): Zwischen Autoren schreiben zunächst für die Presse. Restauration und Revolution 1815-1848. Hansers Bevorzugung der kleinen Form (Feuilleton, Reisebilder). Sozialgeschichte der deutschen Literatur Bd. 5. München / Mehrfachverwertung: Zusammenfassung in Buchform (Heine: Wien 1998. Französische Zustände, 1833; Lutezia, 1854). 3. Literaturtheorie, Literaturkritik, Literaturgeschichte 2.2.3 Zensur 3.1 Das Ende der Romantik Sept. 1819: Karlsbader Beschlüsse: Vorzensur für alle Druckwerke von weniger als 20 Bogen, vor allem gegen Presse. 3.1.1 Die Funktion der Kritik 7 8

Radikale Kampfliteratur für den "Jakobinismus"; bezeichnet "literarische Gründerzeit" (Sengle): moderner Literaturbetrieb. Heine als "Jesuiten des Liberalismus". Neubewertung der Literaturkritik durch die Romantiker: – Heinrich Heine: Die romantische Schule, 1836: "die Endschaft Vollendung des Kunstwerks der 'Goetheschen Kunstperiode'"- seine Werke "kinderlose "Die Deutschen sind die Großmeister der Kritik" (Börne) Statuen". "Ganzheit" als Einheit von Kunst und Leben, Wort – ökonomische Notwendigkeit der kritischen Tagesproduktion und Tat. für den "freien Schriftsteller" politische Erpreßbarkeit 3.3. Jungdeutsche Ästhetik Literaturkritik als Stellvertretermedium im politischen Kampf. Kampf gegen die politische Restauration 3.1.2 Geschichte als Medium der Kritik. Die Anfänge der Litera- Betonung uneingeschränkter Rechte des Subjekts turgeschichtsschreibung – Ludolf Wienbarg: Ästhetische Feldzüge. Dem jungen Deutschland gewidmet, 1834: "Alle Sprache, alle Fähigkeit der Friedrich Schlegel: Geschichte der alten und neuen Literatur Darstellung, ist auf die Individualität zurückzuführen." - (1812/15) - Metternich gewidmet. Liberalismus Intellektuelle Konstruktion, historisch fundiert, politisch Propagierung der Prosa: "Die größte Meisterschaft hat sich motiviert. Heine darin erworben." Kategorie der "Totalität" - mögliche Vollendung der Geschichte "Die Prosa ist eine Waffe jetzt, und man muß sie schärfen." in der Französischen Revolution. – Karl Gutzkow: Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte, Gegen den "anarchischen Zustand des intellektuellen Lebens" 1836: "An Goethes Prosa arbeiten wir mit, unterstützen die Rückbesinnung auf die "großen alten National-Erinnerungen". Produktion des Gedankens." Grundlegender Widerspruch: Streben nach nationaler Einigung Wienbarg: "Jedermann ist Künstler und Kunstwerk zugleich. ÅÆorganische Einheitsvision des mittelalterlichen Feudalstaats. [...] Die Prosa wird vor allen Dingen unser Augenmerk sein, und ich hoffe Sie selbst in den letzten Stunden zu praktischen 3.2 Der Kampf gegen Goethe Übungen zu bewegen."

Gegen Goethe als Vertreter autonomer Kunst 3.4 Das Ende der Kunst und die Verwissenschaftlichung der – Wolfgang Menzel (Redakteur des Cottaschen Literaturblattes Kritik 1825-1849): Die deutsche Literatur, 1828. Literaturkritik als Mittel im Kampf um einen deutschen – Das Jahr 1835: Nationalstaat: Goethe - "eine Zeit nationeller Entartung [...] Gutzkow: Wally, die Zweiflerin - Herausgabe von Georg ästhetischer Genußsucht". Büchner: Dantons Tod. – Ludwig Börne: Briefe aus Paris, 1830/31: "Seit ich fühle, habe ich Goethe gehaßt, seit ich denke, weiß ich warum." 9 10

[Grabau/Schlesier]: Heinrich Heine und ein Blick auf unsere "eklektischer Universalismus" - Moderne Zeit, 1834 - preußisches Auftragspamphlet: Heine und das Optimismus des Liberalen: politische Unfreiheit und soziale Junge Deutschland als "Sanscülotten", "Franzosenfremde", Ungleichheit wird durch Geldwirtschaft und Gesetze des freien "Juden" und "Rehabilitatoren des Fleisches" beschimpft. Marktes ausgeglichen. Alfred Estermann (Hg.): Politische Avantgarde 1830-1840. Eine Dokumentation zum Jungen Deutschland. /M. 1972. 3.5 Heinrich Heine: Die romantische Schule Bundestagsbeschluß vom 10.12.1835: Verbot der Schriften Heines u. a. 3.5.1 Entstehung und Drucke Menzel: Ende des jungen Deutschland, 1836 Börne: Menzel der Franzosenfresser, 1836: Menzel - "ein Die Zeitschrift L'Europe littéraire fordert Heine 1832 auf, Artikel Prokurator der deutschen Bundesregierung". über die neuere Literatur in Deutschland zu schreiben. 1835: der Zusammenbruch der literarischen Ambitionen des Literaturvermittlung: "pacifike Mission, die Völker einander Jungen Deutschland. näher zu bringen". "Ich bin daher der inkarnirte – der Einfluß Hegels: "Wissenschaftlichkeit" Kosmopolitismus." (Brief Heines, April 1833). Vorlesungen über die Ästhetik, 1835/38. Georg Gottfried Gervinus (Historiker): Geschichte der – État actuel de la litterature en Allemagne. De l'Allemagne poetischen National-Literatur der Deutschen, 1835-1842. 5 depuis Mme de Stael. Bde.: Unter diesem Titel 8 Artikel in L'Europe litteraire, März / Mai Ziel: "der Nation ihren gegenwärtigen Wert begreiflich" 1833. machen Ein 9. Artikel über das Junge Deutschland bleibt ungedruckt, Dreischritt des Volksgeistes weil die Zeitschrift politische Äußerungen ausschließt. Religion – Reformation Im März und Juli 1833 erscheint die deutschsprachige Fassung Kunst – Klassik der Artikel als Buchausgabe in Paris und wird in Preußen, Politik – Revolution Österreich und Bayern verboten. Literaturgeschichte als Ort, an dem die vollendete – De l'Allemagne, Paris 1835, 2 Bde. Erweitert um Vergleich Kunstperiode sich selbst begreift. Dadurch die politische zwischen deutscher und französischer Romantik (B. III, K. 6). Vollendung Deutschlands in Einheit und Freiheit. – Die romantische Schule, Hamburg 1836. Erweitert um B. III, K Karl Rosenkranz (Philosoph): Goethe und seine Werke (1847). 3-5 (Das junge Deutschland, Jean Paul) Selbstzensur Heines. Leben und Werk des großen Einzelnen wird als symbolisch Das Buch fällt unter den Verbotsbeschluß vom Dez. 1835 begriffen für die Entwicklung der Menschheit und der Nation. gegen das Junge Deutschland und wird ein buchhändlerischer Dreischritt von Goethes "Individual"-Geist Mißerfolg. "genialischer Naturalismus" - barbarisches Naturzeitalter Keine weitere Einzelausgabe zu Heines Lebzeiten. "classischer Idealismus" - klassisches Altertum 11 12

3.5.2 Rezeption 1. Heinrich Heines Werke und Briefe

Heinrich Heine: Sämtliche Schriften. Hg. von Klaus Briegleb. München Zwei Phasen: 1968-76. 1. Die Publikation von 1833

Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. wird überwiegend positiv rezensiert: (Düsseldorfer Ausgabe). In Verbindung mit dem Heinrich-Heine-Institut. , in: Zeitung für die elegante Welt (18.4.1833): Hg. von Manfred Windfuhr. Hamburg 1973-1997. "ein Geist wie Heine's, vielleicht der glänzendste historische,

Heinrich Heine: Werke, Briefe, Lebenszeugnisse. Säkularausgabe. Hg. von den Europa besitzt, [...] faßte eine so wichtige Erscheinung den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen wie die romantische Poesie in Deutschland nicht vereinzelt Literatur in Weimar (seit 1991: Stiftung Weimarer Klassik) und dem Centre auf, er verfolgt mit feinfühlender Hand ihre Fäden bis tief National de la Recherche Scientifique in Paris. Berlin, Paris 1970 ff. hinauf in die Werkstätten der neuen Religionen" (DHA 8/2, 1078). 2. Forschungsliteratur Literaturgeschichte als Kulturgeschichte im Zusammenhang

Gerhard Höhn: Heine-Handbuch. Zeit, Person, Werk. 2. aktualisierte und von Religion, Philosophie, Politik und Gesellschaft. erweiterte Auflage. Stuttgart, Weimar 1997. Aber auch kritische Stimmen: Christian Hermann Weiße (Hegelianer), in: Jahrbücher für Joseph-A. Kruse, Bernd Witte, Karin Füllner (Hg.): Aufklärung und Skepsis. Internationaler Heine-Kongreß 1997 zum 200. Geburtstag. wissenschaftliche Kritik (Mai 1833): bemängelt das "Fehlen Stuttgart, Weimar 1997. von philosophischen und historischen Begriffen und Kenntnissen".

3. Zum Jungen Deutschland "Es ist also die Anklage der Frivolität, die wir gegen dieses Werk erheben". (DHA 8/2, 1084) Friedrich Schlegel: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Eingeleitet und Wird zum Topos der Heine-Kritik. hg. von Ernst Behler. 35 Bde. München, Paderborn, Wien 1979 ff. Ähnlich der Vorwurf antinationaler Haltung: Ludwig Börne: Sämtliche Schriften. Hg. von Inge und Peter Rippmann. Nestbeschmutzung. Düsseldorf 1964. 5 Bde. Johann Wilhelm Schäfer, in: Neues allgemeines Repertorium

Karl Gutzkow: Werke. Hg. von Reinhold Gensel. Berlin u. a. [1912]. (Nov. 1833): "Auf ähnliche Weise findet man die teutsche Nachdruck: Hildesheim u. a. 1974. 15 Teile in 7 Bde. Nation allenthalben [...] als eine Heerde von Narren und Tölpeln bezeichnet." (DHA (8/2, 1087). Karl Gutzkow: Liberale Energie. Eine Sammlung seiner kritischen Schriften. Hg. von Peter Denetz. Frankfurt/M. u. a. 1974. 2. Die Publikation von 1836 einhellig negativ: Bundestagsbeschluß. Ludolf Wienbarg: Ästhetische Feldzüge (1834). Hg. von Walter Dietze. Johann Baptist Rousseau (Bonner Studienkollege Heines) in: Berlin u. a. 1964. Leuchtturm (Jan. 1836): "In seiner Schrift hat sich Heine so frivol, so lästerungssüchtig, so tollkühn, ja mitunter so empörend gemein gezeigt [...] Er hat sich ordentliche Mühe 13 14

gegeben, zu zeigen, daß er sein Buch in Frankreich und – Zweites Vorbild: Johann Heinrich Voß: Heine als Polemiker. zunächst für den verdorbenen Theil der französischen Nation Voß = Odin / Thor, der "den armen Fritz Stolberg mit dem geschrieben habe." – "Und an diese Pariser Venus glaube auch Hammer auf den Kopf schlägt." (DHA 8/1, 146) du nur, du verblendeter, verirrter untergehender Heine, aber Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreyer? hüte dich, deinen Glauben auch der besseren Masse des edlen Voß "zerstörte in der öffentlichen Meinung die grassierende deutschen Volkes aufdrängen zu wollen; es peitscht ihn mit Vorliebe für das Mittelalter." (DHA 8/1, 147) Ruthen von der Schwelle seiner Wohnungen, in denen zu jeder Zeit nur Ehre und Treue, Scham und Sitte, Glaube und 3.5.4 Der Kampf mit Goethe Religion Zutritt fanden." (DHA 8/2, 1088). das negative Heine-Bild: frivol, amoralisch, antinational, Ausgangspunkt: "die Endschaft der 'goetheschen Kunstperiode'" sensualistisch. (DHA 8/1, 125) Heine der Franzose – antifranzösischer Affekt gegen Heines Heines Verhältnis zu Goethe: kulturelle Mittlerrolle. "Ich liebe Sie [...] Ich küsse die heilige Hand, die mir und dem ganzen deutschen Volke den Weg zum Himmelreich gezeigt hat." 3.5.3 Literaturgeschichte als Identitätsfindung (an Goethe, 29.12.1821) 2.10.1824 Besuch Heines aus Göttingen in Weimar "Die Literaturgeschichte ist die große Morgue wo jeder seine Zitat DHA 8/1, 163: Todten aufsucht, die er liebt oder womit er verwandt ist." (DHA Ironie – Sensualismus 8/1, 135) Spätere Goethefeindschaft – auch bei Heine: "Neid als Motiv – Heine als Aufklärer – das Vorbild Lessing: (DHA 8/1, 157), tadelt mit dem Jungen Deutschland "einen Die Zeit um 1830 als Übergangsepoche, Schwellenzeit: quietisierenden Einfluß auf die deutsche Jugend" (156). Julirevolution / Hegels Tod 1831 / Goethes Tod 1832. In RS ist das Bild differenziert: Zerstörung des alten ästhetischen Ideals durch Kritik. Gleichstellung mit Napoleon als europäischer Geist Lessing: "Champion der Geistesfreyheit und Bekämpfer der "Mit diesem Artikel [Ueber die christlich patriotisch neu- klerikalen Intoleranz" (DHA 8/1, 135) deutsche Kunst] machte Goethe gleichsam seinen 18ten Brümaire Vergleich mit Luther: "Ja, kommen wird auch der dritte Mann, in der deutschen Literatur" (DHA 8/1, 149). der da vollbringt, was Luther begonnen, was Lessing "Alleinherrschft in der deutschen Literatur" fortgesetzt, und dessen das deutsche Vaterland so sehr bedarf". "ein absoluter Dichter, der ebenfalls seine Macht von Gottes "lebendige Critik seiner Zeit und sein ganzes Leben war Gnade erhalten hat." (DHA 8/1, 158) Polemik" "da ist der Finger Gottes [...] da ist der Finger Goethes" (DHA "sein geistiges Alleinsein" 8/1,157) "Lessing war nur der Prophet, der aus dem zweiten Testamente – Faust: "die weltliche Bibel der Deutschen" (159) ins dritte hinüberdeutete." (Religion und Philosophie in "Rehabilitazion des Fleisches" (160) Deutschland, DHA 8/1, S. 73 ff.) Heines eigene Utopie in den Faust hineingedeutet, 15 16

"wir können noch bey Lebzeiten auf dieser Erde selig Vor allem die Schlegels sollen lächerlich gemacht werden. werden" (160) Friedrich Schlegel sei "in Folge einer gastronomischen – Höchstes Lob für den West-östlichen Divan Unmäßgikeit" gestorben (DHA 8/1, 168). Anspielung auf einen Heine als Lyriker "der widerwärtigsten literarischen Scandale". Zitat: DHA S. 160 f.: "gesunde Körperwelt des Orients". Angriff auf die Liberalen und "Napoleonisten" durch Joseph Kommentar durch ein Bild: Orientalismus gegen die Görres. (DHA 8/2, 1340). "kristliche Wurmdemuth" (DHA 8/1, 162) Über seine Vorlesungen über Literatur: "Friedrich Schlegel – Heines Urteil über Goethe bleibt ambivalent: übersieht hier die ganze Literatur von einem hohen Standpunkt Einerseits höchste Bewunderung: aus, aber dieser hohe Standpunkt ist doch immer der Goethe = "Vater der Götter ... große Jupiter" Glockenthurm einer katholischen Kirche." DHA 8/1, 167). "Goethes Auge blieb in seinem hohen Alter eben so göttlich "lauter tonsurirte Gedanken". wie in seiner Jugend" (DHA 8/1, 163) Noch polemischer gegen August Wilhelm Schlegel: Andererseits: Personalsatire: Geburtsdatum aus "Schindels Lexikon der "einen kalten Zug von Egoismus" deutschen Schriftstellerinnen" (DHA 8/1, 167). "Goethe hatte Angst vor jedem selbständigen Zitat: DHA 8/1, 174. Originalschriftsteller." (DHA 8/1, 150) Späte Begegnung in Paris Herbst 1831: "Ich glaubte seinen "Kunstdespotismus" (DHA 8/1, 158) Geist zu sehen. Aber es war nur sein Leib. Der Geist ist todt zentrale Kritik an Goethes Kunstauffassung: und der Leib spukt noch auf der Erde." (DHA 8/1, 176). "Artist" – "Kunstperiode" Nur als Shakespear-Übersetzer sei A. W. Schlegel Die "goetheschen Meisterwerke" [...] zieren unser theueres "meisterhaft, unübertroffen" (DHA 8/1, 168). Vaterland, wie schöne Statuen einen Garten zieren, aber es Schärfe der Auseinandersetzung: sind Statuen. Man kann sich darin verlieben, aber sie sind 1. Romantiker als Propheten und Erneuerer der Goetheschen unfruchtbar: die goetheschen Dichtungen bringen nicht die Kunstreligion. That hervor, wie die Schillerschen. Die That ist das Kind des 2. Ihr politisches Engagement auf Seiten der politischen Wortes, und die goetheschen schönen Worte sind Restauration – der "renovirte, baronisirte, bebänderte Ritter kinderlos." – Pygmalion-Vergleich (DHA 8/1, 155). A. W. Sch." (DHA 8/1, 170). Ende des Ersten Buchs: Konstatierung der Epochenschwelle – Dagegen für Heine Literatur als eigentliches Medium der "die Demokratie zu begünstigen" (DHA 8/1, 163). politischen Auseinandersetzung. Zwiespältiges Resümee: "Les dieux s'en vont; – aber die Könige behalten wir." 3.5.6 Kulturgeschichte als politische Kampfliteratur

3.5.5 Satirische Vernichtung der Romantiker Drittes Buch: Gegenwartsliteratur, insbesondere Lyrik, z. B. Ludwig Uhland. Ihr ist das Zweite Buch der Romantischen Schule gewidmet. Aber auch Heines Diagnose der Gegenwart. 17 18

Heine als "literärischer Calchas", der "einige unserer jüngsten 4. Die neue Gattung: Poeten kritisch abschlachtet" (DHA 8/1, 217). Heinrich Heine: Reisebilder. Erster - Vierter Theil (1826–1831) "Man kann nemlich unsere neueste deutsche Literatur nicht besprechen, ohne ins tiefste Gebieth der Politik zu gerathen.": 4.1 Reiseliteratur in der ersten Hälfte des 19. Jhdts. Einheit von Kunst und Leben, Wort und Tat. Politische Perspektiven: Die Revolutionierung der Verkehrstechnik – Beschleunigung – – gegen "Patriotismus der Deutschen", für "Humanität" und die "altertümliche" Gattung der Fußreise. "Cosmopolitismus". Robert Prutz: Über Reisen und Reiseliteratur der Deutschen. Zitat DHA 8/1, 141. 1847. (In: Kleine Schriften zur Literatur und Politik. Hg. v. B. – gegen christliche Leibfeindschft und "Wurmdemuth", für Hüppauf. Tübingen 1973). Anerkennung der Sinne, der Rechte des Körpers – polemisiert "gegen jene Gelehrten, die sich wie Mauerschnecken Sensualismus – Beschreibung des WöD. festsaugen am pompejanischen Trümmerwerk [...]; gegen jene – politisch-sozialer Fortschrittsoptimismus: Jean Paul als Dichter, die ein weiches Herz haben für die Wollust italischer "Apostel" der Humanität. Nächte und die schwarzen Augen der römischen Mädchen und Zitat DHA 8/1, 218. sogar für die Ruinen ich weiß nicht welchen alten Tempels, – – Zeitanalyse: Kapitalismus als Kultreligion "in der aber kein Herz haben für den schwülen Mittag unserer Geldwerdung Gottes oder in der Gottwerdung des Geldes". Geschichte, für den weinenden Blick unseres Volkes für die Zitat DHA 8/1, 221f. Ruinen unserer Freiheit". Kritik an der sich damals etablierenden Freien "Reisementalitäten" (Gerd Sautermeister, in: Hausers Marktwirtschaft. Sozialgeschichte der dt. Literatur. Bd. 5). Literaturkritik als Tendenzliteratur: lose verbundene – die klassische Bildungsreise: Einzelansichten, die durch die politische Tendenz des Autors Goethe: Italienische Reise 1816/17 zusammengehalten werden. – die romantische Erzählung das "Reich der wildesten Subjectivität" Eichendorff: Aus dem Leben eines Taugenichts 1826 Am Ende – Lob Frankreichs: "ein neuer Glaube [...] in dem – die auf die Gegenwart bezogene Reiseliteratur des Vormärz heiligen Namen: Napoleon!" "nicht die Kunst, sondern die Politik, die Gesellschaft, das (DHA 8/1, 243). öffentliche Leben ist ihr Wahlspruch" (Prutz) Paradigmawechsel Heine / Börne

4.2 Reisebilder. Erster Theil: Die Harzreise. 1824

4.1.1 Entstehung, Drucke, Rezeption

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– 12. od. 13. Sept. 1824: Heine bricht zu einer Harzreise über – der Skandal um Joseph Meyer Friedländer, den "schwarzen Clausthal-Zellerfeld u. Goslar zum Brocken auf, den er am noch ungehenkten Makler" (DHA 6, 136). 19.9. besteigt. – positiv die Gedichte bewertet, dagegen Abwertung der Prosa. Rückreise über Halle, Jena nach Weimar, wo er am 2. Okt. Immermann in: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, Mai 1824 Goethe trifft; dann Erfurt, Warthburg, Kassel zurück nach 1827: "Überhaupt finden sich in der Harzreise zu viel Göttingen, wo er am 11.10. wieder eintrifft. nüchterne Reflexion, die Darstellung wird zwar an einzelnen Eine deutsche Reise – im Gegensatz zu den malerischen Punkten zur runden, poetischen Gestalt, jene Punkte stehen Rheinreisen und den poetischen Italienreisen; auf den Spuren aber zu isoliert da, und so wohl sich auch der Mittelpunkt Goethes – 1777 Harzreise im Winter, von Goethe 1820 selbst dieses Gedichts erkennen läßt, so hat der Dichter es dennoch kommentiert: "allerbesonderste Umstände"; Brocken – Faust. nicht vermocht, den geistigen Verband in allen Theilen – Anfang Dez. 1824: erste Fassung abgeschlossen durchschimmern zu lassen." (DHA 6, 547). Frühjahr 1825 Umarbeitung Der fragmentarische, montageartige Charakter, der die 1. Druck in Der Gesellschafter (hg. v. F. W. Gubitz) Modernität der Heineschen Prosa begründet, wird von den 1826 mit Zensureingriffen Zeitgenossen negativ bewertet. Frühjahr 1826 erneute Umarbeitung: Anfang (Göttingen- Kapitel) und Schluß (Hamburg) hinzugefügt. 4.2.2 Struktur Buchausgabe bei Julius Campe, Hamburg, 1826. 2. Aufl. 1830 mit zahlreichen Detailänderungen. Heine an Moses Moser, 11.1.1825: an Onkel Henry Heine nach – Die Harzreise: ein großer Erfolg, macht Heine berühmt Hamburg geschickt, um ihm "ein Privatvergnügen damit zu "Das Buch hat viel Spektakel gemacht und viel Absatz machen". – Sie ist "im Grunde ein zusammengewürfeltes gefunden." (Varnhagen) Lappenwerk". Die Neuheit der Schreibweise wird gesehen, aber zumeist mit – Im Epilog diese unorganische Struktur benannt: "Die Harzreise Unverständnis quittiert. ist und bleibt Fragment, und die bunten Fäden [...] werden Humor: "die ganz eigentümliche Mischung von zartestem plötzlich, wie von der Scheere der unerbittlichen Parze Gefühl und bitterstem Hohn" – "die Wagnisse des Verfassers abgeschnitten." gehen bis zum Frevelhaften, seine Freiheiten bis zur Frechheit" Text = Gewebe – unvollendet wie das Leben – Kontingenz als (Varnhagen). ästhetische Kategorie "Am Ende kommt es auch auf Eins heraus, wann und wo man etwas ausgesprochen hat, wenn man es nur überhaupt einmal ausspricht." (DHA 6 134 f.) Setzt den "esoterischen" Leser voraus – anläßlich der politisch- allegorischen Ballettbeschreibung – Aufbau: Chronologische Folge von 6 Tagen und 5 Nächten: 21 22

Einleitendes Gedicht: "Auf die Berge will ich steigen" Ironie durchWiderruf 1. T. Aufbruch von Göttingen bis Osterode die Zusammenbindung des Unzusammengehörigen Philistersatire "Profaxe" = Professoren 1. N. Traum: Prometheus / Napoleon Wortwitz: "ordentlich / unordentlich 2. T. Clausthal, die Silbergruben, das arbeitende Volk "Studentennahmen" – "die noch gar keinen Namen 2. N. Traum: peotisch / erotisch haben" 3. T. Goslar: Kaisererinnerungen Philister- und Gelehrtensatire in eins: Der erste Satz: 3. N. Traum: das Gespenst des Saul Ascher "Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und 4. T. die Harzburg, der wohlgenährte Bürger Universität," (DHA 6, 83). 4. N. der poetische, politische, märchenhafte Traum als Philister: Gedicht "ein wohlgenährter Bürger von Goslar, ein glänzend wampiger, (Mittelpunkt des Textes) dumm kluges Gesicht" 5. T. Begegnung mit dem Hirtenknaben Universitätskritik noch heute aktuell idyllisches Gedicht Versteinerung – Zitat DHA 6, 86 Blocksberggeschichten – Faust Wissenschaft als Begriffsklauberei: die Abhandlung über die Ankunft im Brockenhaus Füße der Göttingerinnen, Zitat DHA 6, 84). die Gäste: Damen und Burschenschaften Studenten: moralische Verkommenheit, Obszönität: "als der Deutschnationale und falsche Romantiker eine Reuter ihr hinten, auf die breite Spontaneität einige 5. N. Traum: "wüste, beängstigende Phantasiegebilde" Galanterien mit der Peitsche überlangte" (DHA 6, 86). 6. T. Sonnenaufgang: Naturgedicht – Worin geht das über einen Studentenulk hinaus? Abstieg: Gedicht über Prinzessin Ilse Ablehnung des trocknen Vernunftglaubens, Spätaufklärung – Epilog: 1. May – erinnernde Reflexion. die Figur des Saul Ascher "mit seinen abstrakten Beinen, mit – der Gegensatz von Tag- und Nachtwelt. seinem engen transcendentalgrauen Leibrock, und mit seinem Einbeziehung des Unbewußten: die einander ergänzenden frierend kalten Gesichte" (DHA 6, 103). Traumwelten. Saul Ascher (1767-1822) – Buchändler und rationalistischer der Wechsel von Lyrik und Prosa – die "Zerrissenheit" des Philosoph in der Nachfolge Kants, jüdischer Aufklärer. modernen Subjekts. Erscheint im Traum als Gespenst, das Kants Kritik der reinen Vernunft analysiert. 4.2.3 Gelehrtensatire – die Entfremdung Aufbruch aus dem abstrakten Rationalismus, dafür steht die Reise in den Harz, freie Natur und einfaches Volk. Göttingen: die disparaten Kataloge (Vergleich mit Herders Tagebuch einer Reise) Zitat: DHA 6, S. 83 u. 84.

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Heine übernimmt die Ablehnung des Vernunftglaubens auch in "wo der einsame Bergmann den ganzen Tag sitzt und mühsam die Form seines Schreibens: Träume / Gedichte. mit dem Hammer der Erzstücke aus der Wand heraus klopft" Programmatisch das Eingangsgedicht (DHA 6, 83): (DHA 6, 94). Gesellschaft Å ÆNatur / Freiheit Gegen klassisch-romantische Idealisierung des Bergmanns (Goethe, Novalis, Brentano) 4.2.4 Die Gegenwelten Antifeudalistisch.

– die Natur und die Kinder 4.2.5 "Politisches: Harzreise in die Zeit" der Junge, der Heine das Dorf Leobach zeigt: "Die Kinder, dacht' ich, sind jünger als wir, können sich noch erinnern, wie Norbert Altenhofer: Die verlorene Augensprache. Über sie ebenfalls Bäume und Vögel waren, und sind also noch im Heinrich Heine. Frankfurt/M. 1993. Stande, dieselben zu verstehen" (DHA 6, 91). 1. Nationalerinnerungen – ironisch Goslar ist "ein Nest" und Idealisiertes Bild naturhafter Unschuld (Rousseau). "dumpfig" (DHA 6, 99). – das idyllische Tableau des Hirtenjungen: Der "Zwinger", d. h. das Gefängnis, ist das mächtigste Zitat: "König ist der Hirtenknabe" (DHA 6, 113). Gebäude der Stadt. Der Markt ist klein. All dies ist ironisch gebrochen und damit als unrealistisch hingestellt. symbolisch zu verstehen: das deutsche Mittelalter eine Zugleich aber als typologisches Urbild (König David). unaufgeklärte Gesellschaft. – der Sonnenaufgang auf dem Brocken: "die Standbilder deutscher Kaiser" sehen aus wie "gebratene Zitat: "Heller wird es schon im Osten" (DHA 6, 127). Universitätspedelle" Aufklärung, Kinder, Liebe, das Kruzifix mit dem "blutbeschmierten Gesichte" (DHA 6, ironisiert durch Kaffee, der Assoziation an den West-östlichen 100) – die Gegenposition zur romantischen Verklärung des Divan weckt und damit die kulturelle Bedingtheit der Mittelalters. "unschuldigen Natur" sichtbar macht. 2. Satire auf die deutschnationalen Burschenschafter Ähnlich die Betrachtung des Sonnenuntergangs: Beschrieben wird ein Saufabend von Burschenschaftern; Ironisierung durch Verweis auf Werther und Lord Byron; entstanden in den antinapoleonischen Kriegen, 1819 wegen heterogenen Katalog (Zitat DHA 6, 120). demokratischer Umtriebe verfolgt, sanken in dumpfen Ambivalenz: Nationalismus und Deutschtümelei ab, antifranzösisch und "Wie ist die Natur doch im Allgemeinen so schön!" (DHA 6, antisemitisch eingestellt. 119). Beschreibung der äußeren Erscheinung eines – das arbeitende Volk Mecklenburgers: Zitat DHA 6, 123: Blücher als Reliquie. Besuch der Clausthaler Silberbergwerke Zitate der nationalistischen Literatur: Dunkelheit, Schmutz, Arbeit "Hermannsschlacht" als patriotischer Mythos (Kleist 1808/09)

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"Deutschland müsse in 33 Gauen getheilt werden" – vgl. Es ist das Ballet, hinter dessen "Sprünge[n] und Friedrich Ludwig Jahn: Deutsches Volksthum, 1810. Wendungen" der Leser den gesellschaftskritischen und "unseres Arndts deutsche Worte: 'Der Gott, der Eisen politischen Hintersinn mitlesen soll: "der esoterische wachsen ließ, der wollte keine Knechte.'" (DHA 6, 124). Theaterbesucher." Ernst Moritz Arndts Vaterlandslied – patriotisch / antifranzösisch. 4.2.6 Träume und Gedichte – der politsche Dichter im Zeitalter Der Brocken stimmt in den patriotischen Dusel mit ein. Die der Zensur andere Seite des patriotischen Pathos: Sentimentalität: die beiden betrunkenen Jünglinge und ihre Liebe – "sie 1. Heines Träume sind poetische Konstruktionen, in denen überschwemmten sich wechselseitig" (DHA 6, 126) – die Tagesrealität entstellt und verschoben wieder Obszönität auftaucht. (Altenhofer) Zitat DHA 6, 126 – Ossian-Zitat: Werthers Abschied von Dieser "subjektive" Traum wird von Heine als Lotte ("Lebe wohl! Ich fühle, daß ich verblute." – von Heine symptomatisch für den historischen Index seiner Zeit hinzugefügt.) – Der deutsche Nationalcharakter ist angesehen. literarisch geformt. "Mein großer Lehrer, der selige Hegel, sagte mir einst: 3. Satire auf das Ancien Regime 'Wenn man die Träume aufgeschrieben hätte, welche die die "diplomatische Bedeutung des Ballets" (DHA 6, 122). Menschen während einer bestimmten Periode geträumt die Tänzer der Berliner Staatsoper mit Namen genannt. haben, so würde einem aus der Lektüre dieser Sie sind Favoriten und am besten bezahlte Künstler des gesammelten Träume ein ganz richtiges Bild vom Geiste Hofes. jener Periode aufsteigen!" (Lutetia LX = DHA 14/1, 94). Hier redet Heine Klartext: "daß er den Bundestag meint, Der Traum der ersten Nacht: Zitat DHA 6, 88 f. wenn er sich hundertmal auf einem Fuße herumdreht, ohne Traum als allegorisches Bild: vom Fleck zu kommen" der Ort – die Göttinger Universitätsbibliothek "Da steht das blöde Volk [...] und schwatzt von Grazie, der juristische Saal, in der Themis, die Göttin des Rechts Harmonie und Lenden – und keiner merkt, daß er in auftritt, begleitet von den Professoren der Göttinger getanzten Chiffern das Schicksal des deutschen Vaterlandes rechtshistorischen Schule. vor Augen hat." Ihr Geschwätz bringt nur ein allgemeines "Rauschen" Die drei Sinnschichten: hervor, einen "Tollhauslärm". Damit wird der historisch- die ideologische Verbrämung – "Grazie" positivistische Wissenschaftsbetrieb der Neuzeit kritisiert, das materialistische (sexuelle) Interesse – "Lenden" der verbindliche Rechtsnormen nicht mehr die allegorische Bedeutung – "das Schicksal des dt. hervorzubringen vermag. Vaterlandes" Prometheus, der den Menschen die (Rechts-) Kultur Hier gibt Heine eine Leseanleitung für sein Werk. gebracht hat, ist an den Felsen geschmiedet. 27 28

der Umschlagspunkt des Traums. Die Katastrophe. Was Als das mißlingt, bricht das Chaos aus: "ein wildes, wüstes ist gemeint? Meer", das ein "Harlequin", der Dichter nicht mehr "Vielleicht, nach Jahrtausenden, wird ein spitzfindiger bändigen kann. Schulmeister, in einer grundgelehrten Dissertation, Angsttraum: "vor Entsetzen erwacht ich". unumstößlich beweisen, daß der Napoleon Bonaparte ganz 2. In der poetischen Welt des Gedichts werden die identisch sey mit jenem andern Titane, der den Göttern das Literaturträume als konkrete Utopie ausgespielt Licht raubte und für dieses Vergehen an einem einsamen Berg-Idylle als Mitte der Harzreise. 3 Teile Felsen, mitten im Meere, angeschmiedet wurde, I. Die Ausgangssituation preisgegeben einem Geyer, der täglich sein Herz "Auf dem Berge steht die Hütte" zerfleischte." (Reise von München nach Genua XXVIII, Rückverweis auf das Eingangsgedicht DHA 7/1, 67). die "Hütte" als Wohnort des einfachen Lebens Heines Selbstdeutung: Napoleon, der von der Heiligen die Kälte der äußeren Welt – "Winter" Allianz ("höhnende Kraft" / "stumme Gewalt" = Kratos / die Dialog-Situation mit dem Mädchen als Rettung Bia-Äschylos: Der gefesselte Prometheus) auf St. Helena III. die Prophezeiung der Muhme (Märchen / Traum) angeschmiedet ist, das ist die epochale Katastrophe. wird eingelöst durch "das rechte Wort" des Seine Regierungszeit, angesiedelt zwischen Dichters "Befreyungskriegen" und "Hinrichtungs-Scenen aus der "Bilder einer glücklicheren Zukunft aus den Revolutionszeit" war die Herrschaft des Rechts. Überresten der Vergangenheit" (Kindheit, Katastrophe hier durch Zusammenbruch des juristischen Mittelalter) (Altenhofer) Saals symbolisiert – Gerlach Adolf von Münchhausen, der II. der Mittelteil benennt die reale Bedingung der Gründer der Göttinger Universität, versagt ebenfalls. Möglichkeit dieser Utopie: Rettung in den "historischen Saal", wo die Statuen der der Dichter als "Ritter vom heiligen Geist" Venus (Schönheit) und des Apoll (Dichtkunst) aufgestellt. die Frage des Mädchens = die Frage Gretchens aus – Die durchgängige Symbolisierung durch antike dem Faust Mythologie. die Antwort des Dichters auf Heines eigene Wunschtraum: Aus dem Chaos der Gegenwart fliehe ich Biographie bezogen: in die Welt der schönen Literatur, die aber nicht schöner Gott – Vater: Weltenschöpfer – Heine als Jude Schein ist, sondern konkrete historische und aktuelle Gott – Sohn: Liebe – Heines Taufe Bezüge hat. Gott – heil'ge Geist: Freiheit Traum der zweiten Nacht: Abstieg in den Brunnen – der Gleichheit – Ritter erlöst die Prinzessin nicht: "das alte Mährchen" Heine – der Schüler Hegels (DHA 6, 98) – der Dichter, der das Volk erlösen möchte. Anhänger der Ideale der Franz. Revolution

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Anspielung auf Cola di Rienzo, den römischen "Ritter von "auf der Insel Norderney (DHA 6, 141) dem heil'gen Geist", der 1347 als "Spiritus Sancti miles" "das naturgemäße Ineinander – Hinüberleben, die alle Italiener zu freien Bürgern machen wollte. gemeinschaftliche Unmittelbarkeit [...] am Feuer in den kleinen "Denn ich selber bin ein solcher" – der Dichter als Hütten" (DHA 6, 141). Freiheitskämpfer. Allerdings wird das im III. Abschnitt – dagegen der Dichter: "überall in der Fremde" (142) wieder auf die Märchenebene zurückgenommen. Unter die Gefährdung der natürlichen Gemeinschaft den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen kann "neue Bedürfnisse" – "Geld reicht nicht hin" (143); der Dichter seine eigentliche Aufgabe nicht erfüllen. Prostitution, Kinder kommen "mit badegästlichen Gesichtern zur Welt" (144); Goethes 4.3 Reisebilder. Zweyter Theil: Der moderne Autor – Poesie und Wahlverwandtschaften. Politik – Adelskritik "schlechte Erziehung des hannövrischen Adels" (156) 4.3.1 Zwei Teile: Die Nordsee. Dritte Abtheilung "Ahnenstolz" (156) – Pferdezucht Inhalt, die traditionale Gesellschaft der "Deutschland von jeher das große Fürstengestüte" (157) Inselbewohner – das Verdienst Goethes – der Außenseiter; Zitat DHA 6, 151. ("Wolfgang Apollo", DHA 6, 146) – Adelskritik – der Gejagte – zu ihnen gehört der jüdische Dichter: "und es "das verschüttete Götterbild" Napoleon (DHA 6, war ein Mensch". 159) – Deutschlands Zerrissenheit. – der Dichter als Narr, der den "Vernünftigen" entgegensteht, und Ideen. Das Buch Le Grand welche die wahren Narren sind. Cap. I-V: der Dichter als "Graf vom Ganges" Seine Lieder besingen seine unglückliche Liebe zur Vernunft. (DHA 6, 178) – Liebesgeschichten – "Maaßstab zur Würdigung meiner Narrheit, Sie sehen daraus, Cap. VI-X: Kindheit und Jugend in Düsseldorf - daß solche von außerordentlicher Art ist, und großartig Begegnung mit Napoleon hervorragt über das gewöhnliche närrische Treiben der Cap. XI-XV: Dichterproblematik in Zeiten der Menschen" (DHA 6, 216). Restauration Vergeblich mit dem "jüdischen König Salomon" (215) und mit Cap. XVI-XX: der Dichter als Narr. dem "Hund, der in die Fremde verstoßen, vor den Thoren Die politischen Aussagen werden nicht mehr als Traumbilder Deutschlands liegt und hungert und wimmert." (207) verrätselt wie in der Harzreise, sondern als mythische Erzählung in den literarischen Text integriert. Hier hat der Autor Heine als 4.3.3 Autobiographie als Zeitgeschichte Zeitkritiker zu sich selbst gefunden. Das Buch Le Grand, Cap. VI-X.

4.3.2 Bilder des Sozialen "Düsseldorf ist eine Stadt am Rhein, es leben da 16000 Menschen, und viele hunderttausend liegen noch außerdem da – die traditionale Gesellschaft begraben." (DHA 6, 181). 31 32

"Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der getötet, ich habe getötet). Die Welt - und die Heimat - als Ferne an sie denkt, und zufällig dort geboren ist, wird einem Mordschauplatz. wunderlich zu Muthe. Ich bin dort geboren, und es ist mir als müßte ich gleich nach Hause gehen." (182) 4.3.4 Geschichtspessimismus: der Napoleon-Mythos. – Düsseldorf als Heimat: die "Apfeltörtchen", (183) die Familie, die Schulzeit, der Kurfürst Jan Willem als Vater, die 2.-5.11.1811 Napoleon macht einen offiziellen Staatsbesuch in gute alte Zeit D. Heine wohnt dem Einzug des Kaisers als Vierzehnjähriger – Düsseldorf als Schauplatz der Geschichte 1806 – die bei. Abdankung des Kurfürsten: D. wird französische Provinz: – Mythische Überhöhung dieses Ereignisses. Murat wird Gouverneur Zitat DHA 6, 193 f. "damals hatten die Franzosen alle Gränzen verrückt" – "die frühlingshafte Atmosphäre – Überblendung dreier Ebenen: Charaktere der Völker änderten sich" – Könige verjagt (189) der Kaiser als Messias, als antiker Imperator, als Hegelscher Erfahrung der Geschichte als Ort der Kontingenz, des Weltgeist. ständigen Wandels (Lutezia). seine Verdienste: "Ungeheuer der Anarchie gebändigt" = 1811: Einzug Napoleons Code Napoleon; "Völkerzweykampf geordnet" = 1813: Niederlage der Grande Armée. Überwindung der Spaltung Europas in revolutionäre und – Düsseldorf als Nekropole (wie London und Paris) antirevolutionäre Regime; Vernichtung Preußens und der die Masse der Toten christlichen Kirchen als politische Macht. die Einzelnen, Geliebten: "es wäre besser sie lebten noch" – die historische Katastrophe (181): Großvater, Oheim, "die fromme Ursula" "Der Kaiser ist todt." (195) = Heines historische Urerfahrung das stellvertretende Opfer: "der kleine Wilhelm" (182). Seine Feinde haben gesiegt. Exil als Märtyrertum (Die parallel dazu: "die kleine Veronika" – "die kleine Leiche, mit Nordsee); "sein einsames Grab (195) den Lichtern und Blumen [...] ein hübsches Le Grands "Totenmarsch" evoziert "ein weites, weißes Heiligenbildchen" Eisfeld bedeckt mit Leichen – es war die Schlacht bei Kontrafaktur zu Goethes Mignon und Ottilie – Aber bei Moskwa" (199). Heine wird der Tod ernst genommen "das thut der Tod" das sinnlose Massensterben (vgl. Englische Fragmente – der (219) – Auch Schönheit und Unschuld können nicht vor ihm "Übergang über die Beresina") retten. Ebenso wenig geschichtliche Größe: "Der Kaiser ist Geschichte als Katastrophe todt." (195) Der geheime Hinweis auf den Ursprung dieser 4.4 Die Kritik der gesellschaftlichen Moderne: Englische Aufmerksamkeit für den Tod aus der jüdischen Tradition: Fragmente die Taschenuhr, die Hebräisch lernt: Zeit ist Zeit des Todes: "Katal, katalta, katalti" (188) (= er hat getötet, du hast 4.4.1 Die Rolle des Autors in der gesellschaftlichen Moderne

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Literatur als Handelsware – Satire: – das wilde Treiben auf den Londoner Straßen wird dem die ökonomische Ausbeutung des Menschen. Untergang der Grande Armée assoziiert: Zitat DHA VII/1, 214 Die Narren, über die der Satiriker schreibt, als "Waarenlager" f.). (208) und "Capital" (209) Der zügellose Kapitalismus, der zu maßloser Produktivität – der dicke Millionarr" eine "chaise percée" entartete Überlebenswille der Menschheit, wie er sich in den die "Millionärrin" ein "Roß", das mit der "Crouppe" kokettiert. Straßen Londons austobt, wird ebenfalls in der "Eisgrube des Zitat DHA 6, 209. Todes" enden. Der obszöne und sadistische Unterton soll die Obszönität der Heine hat schon 1827 die Funktion der bis heute hin gültigen ökonomischen Ausbeutung des Menschen denunzieren. Gesellschaftsordnung durchschaut. Im Anblick der Londoner Straßen haben sich ihm "die verborgensten Geheimnisse der 4.4.2 Großstadt: Der Kampf ums Dasein gesellschaftlichen Ordnung [...] plötzlich offenbart" (DHA VII/1, 213 f.) Darin ist seine Aktualität bis heute begründet. London – die erste kapitalistisch organisierte Großstadt Europas Bernd Witte: Düsseldorf - London - Paris: Heinrich Heines Vom 12. April bis Ende Sept. 1827 Aufenthalt in London, um allegorische Lektüre der großen Stadt. In: Joseph A. Kruse den möglichen Verfolgungen wegen Reisebilder II zu entgehen. (Hg.) "Ich Narr des Glücks." Stuttgart, Weimar 1997, S. 120- – Großstadt als Naturereignis: ein "steinerner Wald von Häusern 131. und dazwischen der drängende Strom lebendiger Menschengesichter" (DHA VII/1, 213). 5. Deutsche Literatur und Judentum Menschenmasse als Schock Beschleunigung: "grauenhafte Hast der Liebe, des Hungers und 5.1 Der Verein für Kultur und Wissenschaft des Judentums. des Hasses" (213 f.) unermüdliche Anstrengungen "zur Erfindung neuer Folgen der Säkularisierung: Worin besteht die Identität des Maschinen". Judentums, wenn sie nicht mehr durch die Religion garantiert – Adam Smith: An Inquirg into the Nature and Causes of the wird? Wealth of Nations, 1776: "the invisible hand" – Leopold Zunz Hegelschüler Wirtschaftsliberalismus von Heine entmythologisiert: Immanuel Wolf [Wohlwill] Gründungsmitglieder "denn wenn London die rechte Hand der Welt ist, die thätige, Eduard Gans des Vereins mächtige rechte Hand, so ist jene Straße, die von der Börse Antwort: Aus seiner Geschichte ist das Wesen des Judentums nach Downingstreet führt, als die Pulsader der Welt zu ablesbar. – Allerdings Geschichte nicht als Faktengeschichte betrachten." (DHA VII/1, 214). verstanden: Die Ideologie der freien Marktwirtschaft als pseudoreligiöse I. Wolf: Über den Begriff einer Wissenschaft des Judenthums, in: Verbrämung des Kampfs ums Dasein entlarvt. Daher die Zeitschrift für die Wissenschaft des Judenthums (Berlin 1823): tiefere Berechtigung des Metapher: Großstadt als Wald. "Das Judenthum liegt aber vor uns in einer doppelten Gestaltung, einmal enthalten in historisch-literarischen Dokumenten, in 35 36

einem sehr umfassenden Schriftenthum; zweitens als noch – Judentum als diasporische Verfaßtheit (Galut, Vertreibung aus lebendes Princip, anerkannt von Millionen über den ganzen Jerusalem, Synagoge). Erdboden verbreiteter Menschen." Rabbi, 1. Buch: die Vertreibung Abrahams aus Bacherach, Kulturelles Gedächtnis aus: 1. Kommentierung der kanonischen Ritualmord-Anschuldigung Schrift und 2. Auslegung und Nachvollzug des Ritualgesetzes. Abraham – der die Heimat verlassende Patriarch, Auszug aus Daraus Leopold Zunz: Aufarbeitung der jüdischen Tradition im Ägypten als Urereignis jüdischer Geschichte. Sinne einer enzyklopädischen Kulturwissenschaft, um sie damit Doppelt gespiegelt auf der fiktionalen Ebene: kommunizierbar zu machen mit der aufgeklärten Kultur – ritueller Nachvollzug in Seder-Feier Westeuropas. – Vertreibung aus der heimatlichen Idylle "Geist der jüdischen Geschichte" (25.6.1824 an Moses 5.2 Erzählung als Kommentar. Heines Der Rabbi von Bacherach Moser) – Geschichte der Juden als eine des Leidens, der Verfolgung und des Exils Paul Peters (Hg.): Heinrich Heine – Prinzessin Sabbat. Über – 2. Kapitel: das Frankfurter Ghetto. Juden und Judentum. Bodenheim 1997. Seine Bewohner sind Exzentriker und Sonderlinge: Ludwig Rosenthal: Heinrich Heine als Jude. Frankfurt/M. u. a. "Nasenstern", "Jäkel der Narr", "Schnapper-Elle" usw. Nicht so 1973. sehr humoristisch als vielmehr die Deformationen durch die Klaus Briegleb: Bei den Wassern Babels. Heinrich Heine, Beschränkungen, die ihnen die christliche Mehrheitskultur jüdischer Schriftsteller in der Moderne. München 1997. auferlegt: die ständige "Todesangst" (DHA 5, 131). – E. Gans als Vereinspräsident schlägt im August 1822 Heine als der synagogale Gottesdienst, aus der Perspektive der Mitglied des "Culturvereins" vor. "Weiberschul" Studien der jüdischen Geschichte (Jaques Basnage) Synagoge als Sinnbild und Institution der Diaspora Heine: "Sehr drängt es mich in einem Aufsatz für die Statt der Lesung des Paschafests (2 Moses 12) "die erbauliche Zeitschrift den großen Judenschmerz [...] auszusprechen." (an Geschichte von der Versuchung Abrahams" (DHA 5, 134): die Moses Moser, 18.5.1823). Juden als Sündenbock der Geschichte / die Abwesenheit des 1822: Aufhebung des Edikts von 1812, das Juden zu Opfers und der defizitäre Status des synagogalen "Einländern und Preußischen Staatsbürgern" erklärt hatte. Wortgottesdienstes. 28.5.1825 Heines Taufe – 3. Kapitel: Begegnung mit Don Isaak Abarbanel aus dem Okt. 1824: "die schmerzliche Lektüre des Basnage [...] "königlichen Geschlechte Davids" (DHA 5, 140). vollendet." extremste Form der diasporischen Verfaßtheit des Judentums – An Edom: "Ich habe gewaltig beschworen / den nur noch die "wohlbekannten Düfte" aus der Küche der Juden tausendjährigen Schmerz." (DHA 5, 143) 1824/25: Niederschrift des Rabbi Parodie des Don Quixote: der getaufte Jude als irrender Ritter 1840: Publikation in: Der Salon. Vierter Band (Damaskus- und Minnesänger ist eine Identifikationsfigur des Autors Affäre) Heine. 37 38

Geschichte als unaufhörliche Leidensgeschichte als Irrfahrt im 5.2 Judentum als kulturelles Vermächtnis. Heines Jehuda ben Exil. Halevy – Reflexion über die dieser Geschichte gemäße Ausdrucksform. die Tora: "jenes Buch [...], das Gott mit heilig eigener Hand – entstanden Anfang der fünfziger Jahre geschrieben und für dessen Erhaltung die Juden so viel Publikation im Romanzero (Hamburg 1851) erduldet, so viel Elend und Haß, Schmach und Tod, ein 3 Bücher: "Historien" – "'Lamentationen" – "Hebräische tausendjähriges Martyrthum" (DHA 5, 133) – Ihre Melodien" Kommentierung ist Aufrechterhaltung der Tradition. Jehuda Halevy aus Tudela (Heine: "Toledo", DHA 3, 131, 30) die Tora: "ein wirkliches Kind, ein Kind um dessentwillen man (1075-1141), spanisch-jüdischer Dichter der Zions-Lieder – große Schmerzen erlitten" (DHA 5, 133) – Statt der Genealogie Identifikationsfigur für den Dichter Heine. (biologische Kontinuität), die Abraham versagt bleibt, die Didaktische Tendenz: jüdische Tradition in die Schrift als geliebtes Kind. deutschsprachige Literatur einführen. Das Verfahren der kommentierenden Textauslegung wird von Vielfache Zitate aus dem jüdischen Ritus und der literarischen Heine selbst übernommen. Kommentar eines rituellen Tradition: Geschehens (Seder-Abend) und eines kanonischen Textes Der Knabe Jehuda erhält Unterricht "mit dem Gottesbuche, der (Pessach-Haggadah) durch die fiktionale Erzählung. Auszug DHA 3 Thora" (131, 36) aus dem kanonischen Text der Schrift in die fiktionale Schrift "altcaldäische Quadratschrift" – Schrift der Torarollen (131, der Literatur. 40) Der Rabbi als Schrift im Exil. "Schalscheleth" (hebr. "Kette") musikalische Vortragsweise Bernd Witte: Der Ursprung der deutsch-jüdischen Literatur in der Tora (131, 52) Heinrich Heines 'Der Rabbi von Bacherach'. In: Emile G. L. "Targum Onkelos" – die aramäische Übersetzung Schrijver u. Falk Wiesemann (Hg.): Die von Geldern ("plattjudäisches Idiom") der Tora (131, 53) Haggadah, Wien u. a. 1997, S. 37-48. Nicht wegen exotischer Effekte, sondern um den Leser auf die Fremdheit und Eigenständigkeit der jüdischen Tradition zu verweisen. – Insgesamt 4 Teile: I. Psalm 137 Totenbeschwörung: Jehuda ben Halevy Seine Kindheit und Jugend Erziehung durch Tora und Halacha Talmud – Hagada der Dichter als Feuersäule und Genie 39 40

II. Psalm 137 "die Lakunen / Der französischen Erziehung" die gegenwärtige Situation des Dichters: (150, 27 f.) – "Hebräisch zu erlernen" (151, 55) "dunkles Wehe" (136, 10) – "Hiob" (136,12) die Jüdische Poetenschule Halevy im Kontext der mittelalterlichen Minnelyrik Zitat Alcharisi (151, 65 ff.): Charakterisierung der ma. Seine Geliebte: Jerusalem – der ewige Jude Dichter. Klage über die Zerstörung Jerusalems Dichterschicksale: "die gebrochenen Tempelsäulen" (140, 148) Ibn Esra – Freund Halevys Zions-Lieder Halevys - dt. von Franz Rosenzweig: Jehuda Apollo und Daphne: "Ein Schlemihl" (153, 130) – Halevi: Zweiundneunzig Hymnen und Gedichte. Berlin Adalbert von Chamisso (1814) 1926. "Sehnsucht nach Jerusalem" (140, 152) Kriminalrat Hitzig (Itzig) (154, 151) "Dichtersehnsucht" (140, 153) Erzählung aus der Tora 4 Moses 25, 5-14 Zitat der eigenen Ballade (Geoffroy Rudel und Melisande "Aber mündlich überliefert" (155, 193) = Talmud – von Tripoli) aus den Historien des Romanzeros (DHA 3, Haggada: Schlemihl der "Unschuldige" (155, 199), der 47). getroffen wird = der Dichter Sterben im Angesicht der Geliebten (Melisande – "Jahre kommen und vergehen" (156, 213) Jerusalem) Das Schicksal Ben Gabiols – ermordet. III. Schlacht bei Arabella (331 v. Chr.) – Quelle Plutarch Sein Mörder (der Mohr) wird gehenkt. Das "Kästchen" Alexanders (142,12) – die didaktische Tendenz Die Weitergabe der Perlen von Thais zur Baronin Kommentar eines kanonischen Textes: Talmud Salomon Halacha Hagada Im Kästchen "die Lieder / Des ambrosischen Homeros" Fechtschule hängende Gärten der Semiramis (144, 93 f.) – die lustbetonte Welt des Odysseus Buch Cosari "Schmerzlus" "Wälze mich am Boden elend, / Krüppelelend" (145, 115 [religionsphilosophische f.) Darstellung des Judentums in Poesie Lieder Halevys im Kästchen Dialogen] Perlen – "Tränenperlen" (147, 169): "Jerusalems Chaim Nachman Bialik: Halacha und Hagada. Zerstörung " "Zionslied" (147, 185) Übers. von G. Scholem. In: Der Jude 4, 1919/20, S. 61-77. Tod Halevys auf den Ruinen durch einen Sarazenen, sein – Zitat und Kommentar als dichterisches Verfahren Empfang im Himmel "Lecho Daudi Likras Kalle" (149, Psalm 117 als Ursprungstext 244) = "Komm, mein Freund, der Braut entgegen" Anfang Beschreibung der (jüdischen) Dichterschicksale als eines Liedes aus dem Sabbat-Abend-Gottesdienst. hagadischer Kommentar – IV. Die Moderne Judentum / Dichtertum als Leben im Exil "Meine Frau" Kauf von modischen Waren – Metamorphose der Dichterfigur: Identifikation und "In Passage Panorama" (150, 20). Selbstbeschreibung des Autors 41 42

Apollo 6. Paris – die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts Orpheus Jeremias 6.1 Juli 1830 – Revolution in Frankreich Genie (Autonomieästhetik "Kuß Gottes") Jehuda ben Halevy Louis Philippe aus dem Hause Orléans, der "Bürgerkönig", wird Salomon Gabirol König von Frankreich: "er ist Juste-milieu" (DHA 12, 117). Moses Ibn Esra Gegen sein Regime wenden sich die Anhänger der alten Dynastie Geoffroi Rudello der Bourbonen, die Klerikalen und Karlisten auf der einen, die Adalbert von Chamisso Anhänger der Revolution von 1789 ("Republikaner", "Amis du Heinrich Heine peuple") auf der anderen Seite des politischen Spektrums. "Feuersäule des Gesanges" – Säkularisation, anstelle Gottes der Heine ist von den Nachrichten aus Frankreich begeistert. Als Dichter als Führer des Volkes durch die Wüste des Exils. seine Berufsaussichten als Jurist in Deutschland sich zerschlagen, – die vielen Namen. In der Talmudtradition bleiben die siedelt er im Mai 1831 nach Paris über. Widersprüche nebeneinander bestehen Januar 1832: Heine besucht Versammlungen der Saint- Talmud, Synedrin IX, VI: "Schelumiel" Simonisten und später der Amis du peuple. (in: Der Babylonische Talmud. Übers. von Lazarus Für die Augsburger Allgemeine Zeitung (Cotta) schreibt Heine Goldschmidt. Bd. 8, Berlin 1933, S. 788.) Korrespondenzberichte über die politische Lage in Frankreich Tötung des Simri = Schlemiel durch Pinkas (neun Großartikel zwischen Januar und Juni 1832) . (4 Moses 25, 5-14). Im Herbst überarbeitet Heine seine Texte und fügt eine "Paris, Diese Vielzahl der Namen kennzeichnet auch Heines den 18ten October 1832" datierte Vorrede hinzu, die jedoch vom Verfahren. Zensor so stark gestrichen wird, daß sich ihre politische Tendenz – radikale Neuorientierung der kulturellen Tradition ins Gegenteil verkehrt. Perlenkette = "Prachtdiadem um der Gemeinde Haupt Dezember 1832 erscheint das Buch bei Campe in Hamburg, geschlungen" (DHA 3, 176) vordatiert auf 1833. in Kästchen: anstelle Homers, aber auch anstelle der Tora: Am 1.2.1833 wird es in Preußen verboten. Jehuda ben Halevys Zionslieder die jüdische Tradition als vollwertiger Bestandteil einer 6.2 Französische Zustände aufgeklärten deutschen Kultur. 6.2.1 Heine als Royalist?

"Royalist aus angeborener Neigung, werde ich es in Frankreich auch aus Ueberzeugung" (DHA 12, 89). Vorrede:

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Wilhelm III. von Preußen – "als Mensch die hohe Verehrung und Lynchjustiz wegen "Giftmischerey": "Es gibt keinen Liebe verdient" (DHA 12, 72). – Aber gegen die gräßlicheren Anblick als solchen Volkszorn, wenn er nach Blut Bundestagsbeschlüsse: "Kraft meiner Machtvollkommenheit als lechzt und seine wehrlosen Opfer hinwürgt." (DHA 12, 136). öffentlicher Sprecher, erhebe ich gegen die Verfertiger dieser Neudeutung der Revolutionsgeschichte: Urkunde meine Anklage, und klage sie an des gemißbrauchten Cholera: "eine Schreckenszeit [...] ein verlarvter Henker, der Volksvertrauens, ich klage sie an der beleidigten Volksmajestät, mit einer unsichtbaren Guillotine ambulante durch Paris zog ich klage sie an des Hochverraths am deutschen Volke, ich klage (DHA 12, 132). sie an!" (DHA 12,72). Massenhysterie: "den alt berühmten Ruf: à la lanterne!" Scheinbare Ambivalenz: lobt die Personen "Ludwig Philipps" "ein wunderschönes, wuthblasses Weibsbild mit entblößten und Wilhems III., während er das System der Monarchie einer Brüsten und blutbedeckten Händen" (DHA 12, 136). grundlegenden Kritik unterzieht. Eugène Delacroix: La Liberté guidant le Peuple. Ludwig Philipp ist "achtungswerther Familienvater, zärtlicher der revolutionäre Elan als Entfesselung der niedrigsten Gatte und guter Oekonom; aber es ist verdrießlich, daß er alle Masseninstinkte. Freyheitsbäume abschlagen läßt." (DHA 12, 86). – Szene am Friedhof "Père Lachaise": Publizistische Strategie: Unter dem Lob des Status Quo verbirgt "eine Todtenemeute" (DHA 12, 142) sich Propagandaschrift für den Republikanismus: Art. IX: "Der "Todten-Omnibus" = "omnibus mortuis" (DHA 12, 141) – der Republikanismus eines Volkes besteht, dem Wesen nach, darin: Tod als Massenphänomen: daß der Republikaner an keine Autorität glaubt, daß er nur die "das Begrabenwerden, unter die Choleraleichen, in die Gesetze hochachtet, daß er von den Vertretern derselben Kalkgräber, das kann man nicht lernen" (DHA 12, 142). beständig Rechenschaft verlangt [...] (DHA 12, 180). Der sinnlose Massentod untergräbt den neuzeitlichen Demokratische Öffentlichkeit (Heine als ihr Vertreter) als Fortschrittsoptimiusmus. regulatives Prinzip der Demokratie. – Paris im Vergleich zu England – "das Mutterland der Bodo Morawe: Heines 'Französische Zustände. Über die Civilisation und der Freyheit – der "heilige Boden der Fortschritte des Republikanismus und die anmarschierende Boulevards" (DHA 12, 109) Weltliteratur. Heidelberg 1997. Aber auch Ende Art. VI.: "ich weinte bitterlich über die unglückliche Stadt, die Stadt der Freyheit, der Begeisterung 6.2.2 Revolution als Naturkatastrophe und des Martyrthums, die Heilandstadt, die für die weltliche Erlösung der Menschheit so viel gelitten!" (DHA 12, 142). Artikel VI: "19. April 1832" Paris in Todesagonie (wie Christus) – Heine als verräterischer Apostel Petrus. Bewußtsein des eigenen Verrats, aber auch Revoluzionsgeschichten [...] das heroische Zeitalter" (DHA 12, Deutung einer Extremerfahrung: "Die Salons lügen, die Gräber 130) – als mythische Rede entlarvt. sind wahr." (DHA 12, 129). Die Toten "als die kalten Sprecher – Schilderung der Cholera im Karneval 1832 verursacht eine der Geschichte", sagen die Wahrheit: daß alle Geschichte im "Emeute des Chiffoniers" (DHA 12, 135) und führt zur Tod und damit in der Katastrophe endet.