4 Schweiz Tages-Anzeiger – Donnerstag, 13. Oktober 2016

Missbrauch wird Mit dem Olma-Effekt in den Bundesrat zum Politikum Die sieben Ostschweizer Kantone bieten die Chefs der Bundesratsparteien zur Aussprache nach St. Gallen auf. Einziges Traktandum: der «zwingende» Anspruch der Ostschweiz auf einen Sitz im Bundesrat. Die Negativschlagzeilen um die Kantonspolizei Basel- Stadt reissen nicht ab und Markus Häfliger bringen FDP-Regierungsrat Bern Baschi Dürr in Bedrängnis. Die Ostschweizer spielen ihren besten Trumpf: die Olma. Die Messe für Land- Yannick Wiget wirtschaft und Ernährung, die heute zum 74. Mal ihre Tore öffnet, ist der Illegale Dienstwagen, ein fragwürdiger grösste Anlass östlich von Zürich und Bring-und-Hol-Service und jetzt noch dank ihrer Bratwürste und Schweinchen eine Sexaffäre: Die Kantonspolizei Basel- legendär. Diesen Olma-Effekt wollen die Stadt wird zurzeit heftigst kritisiert. Und Ostschweizer nun in harte Machtpolitik durch die Aufdeckung verschiedener ummünzen: Am Rand der Eröffnungs- Missstände in den vergangenen Wochen feier treffen Regierungsvertreter der gerät FDP-Regierungsrat Baschi Dürr im- ­sieben Ostschweizer Kantone heute die mer mehr unter Druck. Der Vorsteher Spitzen der Bundesratsparteien zum des Justiz- und Sicherheitsdepartements ­Olma-Gipfel, wie das «St. Galler Tag- muss kurz vor den Wahlen am 23. Okto- blatt» meldet. Einziges Traktandum: die ber einen Stimmenverlust befürchten. Vertretung bzw. Nicht-Vertretung der Seine Parteikollegen sind besorgt. Sie Ostschweiz in der Landesregierung. hätten Rückmeldungen von verunsicher- Die Einladung stammt von der Ost- ten Wählern erhalten, sagte der Basler schweizer Regierungskonferenz (ORK), FDP-Präsident Luca Urgese zur «bz Ba- der die Kantone St. Gallen, Graubünden, sel». «Ich kann deshalb nicht ausschlies- Thurgau, Schaffhausen, Glarus und die sen, dass manche Wähler unseren Kan- beiden Appenzell angehören. Wobei didaten wegen all dieser Geschichten Einladung zu brav klingt: Das Schreiben nicht wählen.» Das Einzige, was die FDP der ORK an die Parteichefs klingt eher tun könne, sei, Aufklärungsarbeit zu leis- wie ein Aufgebot. Sie spricht darin von ten. Der kritisierte Baschi Dürr selbst einer «Aussprache» und formuliert ihre äussert sich mit Verweis auf ein laufen- Forderung beinahe ultimativ: «Die Ost- des Verfahren allerdings nicht zur Miss- schweizer Regierungskonferenz erwar- brauchsaffäre. «Eine unmögliche Situa- tet, dass die Ostschweiz aufgrund ihrer tion» für den sonst kommunikativen Re- Grösse und Bedeutung bei der nächsten gierungsrat, meint die «bz Basel». Dürr Vakanz zwingend berücksichtigt wird.» habe sein Image als führungsstarker Ma- Es ist, als wollten die Ostschweizer alle cher in Rekordzeit zerstört. Auch weil er jene Kritiker widerlegen, die ihnen vor- im Zuge der Affäre keine Worte des Be- werfen, ihre Interessen zu bescheiden Ostschweizer Alt-Bundesräte unter sich: , und 2004 in St. Gallen. Foto: Regina Kühne (Keystone) dauerns finde und keine ­lückenlose Auf- und zu wenig geeint zu vertreten. klärung verspreche. ten ist.» Würth beruft sich auf die Verfas- würde, die die Ostschweiz beschäftigen. Laut Telebasel hat ein Polizist auf Gössi und Levrat kommen nicht sung, die eine angemessene Vertretung CVP-Präsident Pfister ist von der Offen- Ost- und Zentralschweiz einem Ausflug vor rund zwei Monaten Der Auslöser war die Bundesratswahl der Landesgegenden verlangt. sive aus dem Osten noch nicht über- Bundesräte der letzten 60 Jahre eine Mitarbeiterin derselben Abteilung vom Dezember 2015, als der Waadt­ Das Echo bei den Parteien ist durch- zeugt. Erstens werde die regionale Ver- der Kantonspolizei sexuell belästigt, als länder als Nachfolger der zogen. Zwar nehmen die Präsidenten tretung im Bundesrat überbewertet, Bundesräte aus der Ostschweiz: die Frau stark betrunken war und sich Bündnerin Eveline Widmer-Schlumpf der SVP und der CVP, Albert Rösti (Bern) meint er. Die Expo 2027, die in St. Gallen kaum mehr bewegen konnte. Eine wei- gewählt wurde. Seither ist der ganze und Gerhard Pfister (Zug), heute den und im Thurgau an der Urne abgelehnt 1955­­—59: (CVP, SG) tere Person habe die Szenen mit einem Landesteil östlich von Zürich nicht mehr Weg nach St. Gallen unter die Räder. Pe- wurde, wäre für das Selbstbewusstsein Während der 60er-Jahre stellen die Handy gefilmt. Am Dienstag bestätigte in der Regierung vertreten, während der tra Gössi und Christian Levrat, die Chefs und die Entwicklung der Region «viel- sieben Ostschweizer Kantone keinen die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft Kanton Bern zwei und die Romandie so- von FDP und SP, lassen sich am Olma- leicht wichtiger gewesen». Zweitens Bundesrat. den Fernsehbericht. Die Staatsanwalt- gar drei Bundesratsmitglieder stellt. Gipfel aber von ihren Vizepräsidenten weist er darauf hin, dass sein Landesteil 1972—86: Kurt Furgler (CVP, SG) schaft hat ein Strafverfahren wegen Darüber gebe es Unmut, sagt Bene- Barbara Gysi (St. Gallen) und Andrea Ca- – die Zentralschweiz – bereits seit 13 Jah- 1980—87: (SVP, GR) Schändung eröffnet, in das vier Mit- dikt Würth, der Präsident der Ost­ roni (Ausserrhoden) vertreten, die beide ren keinen Bundesrat mehr hatte. 1987—99: Arnold Koller (CVP, AI) arbeitende der Kantonspolizei Basel- schweizer Regierungskonferenz. «Die selbst aus der Ostschweiz stammen. Trotzdem plant die Zentralschweiz 1999—2003: Ruth Metzler (CVP, AI) Stadt involviert sind. Ostschweiz erbringt rund ein Achtel der derzeit keine Offensive à la Olma-Gipfel. 2003—10: Hans-Rudolf Merz (FDP, AR) Sicherheitsdirektor Dürr machten schweizerischen Wirtschaftsleistung, Und die Zentralschweiz? Heidi Z’graggen, die Präsidentin der 2007—15: E. Widmer-Schlumpf (BDP, GR) schon vor dem Missbrauchsskandal hat zahlreiche kulturelle Schwerpunkte In seinem Fall trage die ORK «Eulen Zentralschweizer Regierungskonferenz, mehrere aufgedeckte Missstände zu und ist international mit den Nachbar­ nach Athen», meint Caroni. Trotzdem sagt, zwar hätte auch ihre Region gern Bundesräte aus der Zentralschweiz: schaffen. So berichtete die «Basler Zei- regionen gut vernetzt», sagt der St. Gal- hält er das Treffen für eine gute Sache. wieder einmal einen Bundesrat. Es sei tung», dass sich Dienstoffiziere ihre Pi- ler CVP-Regierungsrat. Zwar könne die Die Olma sei ein würdiger Ort, um zu zei- aber Aufgabe der Bundesversammlung, 1960—71: (CVP, OW) kettfahrzeuge nach eigenem Gusto aus- ORK nicht direkt auf die Bundesratswahl gen, «dass wir ein wichtiger Landesteil auf die angemessene Vertretung der 1974—82: Hans Hürlimann (CVP, ZG) suchen und ausrüsten lassen konnten. Einfluss nehmen. «Sie möchte dennoch sind». Gysi ist skeptischer. Zwar findet Landesteile Rücksicht zu nehmen, sagt 1983—86: (CVP, LU) Zudem nutzten sie diese für Privatfahr- früh­zeitig ein Signal aussenden und den sie den Anlass «sympathisch», hätte es die Urner CVP-Regierungsrätin. «Ich will 1989—2003: (FDP, LU) ten, obwohl solche gesetzlich ausdrück- Anspruch geltend machen, dass die Ost- aber begrüsst, wenn zusätzlich über keinen Kampf der Regionen um die Bun- Seit 13 Jahren haben die sechs Kantone der lich nicht erlaubt sind. schweiz in der Landesregierung vertre- sachpolitische Themen gesprochen desratssitze entfachen.» Zentralschweiz keinen Bundesrat mehr. (hä) Ebenfalls für Kritik sorgte das Justiz- und Sicherheitsdepartement, weil seine Buchhaltung bei der Milizfeuerwehr ver- Nachrichten sagte und es nun 90 000 Franken an Tabakwerbung sorgt für rauchende Köpfe Leistungen nachzahlen muss. Zuvor Uri hatte bereits das grosszügig bemessene System für Landratswahl Fest des Polizeikaders nach dem Euro- ist nicht verfassungskonform pa-League-Final in Basel Schlagzeilen Weist der Nationalrat das sation (WHO) nicht ratifizieren. Dabei Als im Ständerat die Gegner nicht auf gemacht. Die Offiziere hatten sich ein Das Urner System ist gemäss Bundes­ sieht der Entwurf laut Wolfgang Kweitel die Vorlage eintraten, sondern sie direkt Nachtessen mit Rundflug über Basel ge- gericht für die Parlamentswahl nicht Tabakproduktegesetz zurück, von der Arbeitsgemeinschaft Tabakprä- zurückwiesen, stiess dies bei den Be­ nehmigt, nachdem sie bereits zuvor mit ­verfassungskonform. Die Erfolgswert- liegt die Schweiz mit ihren vention Schweiz nur gerade so viele Ein- fürwortern auf grosses Unverständnis. der Mannschaft gefeiert hatten. gleichheit der einzelnen Stimmen sei Regeln hinter den meisten schränkungen vor, wie es für die Ratifi- Aber auf diese Weise könne das Gesetz nicht gegeben. Tatsächlich ist das Quo- zierung zwingend braucht; Bersets Juris- länger hinausgezögert werden, sagt rum, das erreicht werden muss, um Ländern zurück. ten hätten die Grenzen in Kleinstarbeit Gutz­willer. «Jedes zusätzliche Jahr bis einen Sitz im Landrat zu erhalten, sehr ausgelotet. Die Dachorganisation selber, zur ­Inkraftsetzung ist für die Tabak- Glarner feilscht um unterschiedlich hoch. In jenen acht Janine Hosp der etwa die Lungenliga Schweiz oder die industrie ein gewonnenes Jahr.» Mit sei- Flüchtlingsabgabe Wahlkreisen, in denen das Proporzsys- Krebsliga Zürich angehören, hätte über ner Haltung hat er sich in seiner Partei tem angewendet wird, braucht es zwi- Heute diskutiert die nationalrätliche ihren Schatten springen müssen, um ihn nicht nur Freunde gemacht. «Aber als schen 6,3 und 20 Prozent. Bei den Land- Kommission für soziale Sicherheit und überhaupt unterstützen zu können. Mitt- Präventivmediziner sehe ich die Hinter- ratswahlen gilt in den 20 Gemeinden ein Gesundheit (SGK) den Entwurf zum lerweile haben fast alle Länder der Welt gründe und kann nicht gegen meine Die Weigerung der Aargauer Gemeinde gemischtes Wahlsystem. Zwölf kleinere neuen Tabakproduktegesetz. Beobachter die Konvention ratifiziert. In Europa Überzeugung anreden.»­ «Natürlich ist Oberwil-Lieli, die ihr zugewiesenen Gemeinden, die nur einen oder zwei gehen davon aus, dass es der Vorlage ­haben dies neben der Schweiz nur die die exportierende ­Tabakindustrie ein Flüchtlinge selber zu betreuen, hat lan- Sitze im 64-köpfigen Parlament haben, nicht besser ergehen wird als im Stände- Zwergstaaten Andorra, Monaco und volkswirtschaftlicher Faktor: Es geht um desweit Schlagzeilen gemacht. Nun stellt wählen im Majorz-, die übrigen acht im rat: Dieser ist im Juni auf Empfehlung sei- Liechtenstein noch nicht getan. Arbeitsplätze, nicht nur um ein paar Zi- sich das Dorf wieder quer. Laut «Aar- Proporzsystem. (SDA) ner SGK nicht einmal darauf eingetreten, garetten», sagt Gregor Rutz, SVP-Natio- gauer Zeitung» hat es Beschwerde gegen sondern hat sie direkt an Gesundheitsmi- Nur ein Stellvertreterkrieg nalrat und Präsident der Vereinigung des das vom Kanton Aargau angesetzte Tag- Abstimmungen nister (SP) zurückgeschickt. Nach Ansicht von Felix Gutzwiller, Prä- Schweizerischen Tabakwarenhandels. geld für die auswärts platzierten Flücht- Drei Vorlagen für Mit dem neuen Gesetz möchte Berset ventivmediziner und früherer FDP-Stän- Er sehe die Gesetzesvorlage aber in linge eingelegt. Es beträgt 110 Franken Jugendliche besser vor den Folgen des derat, sind die Argumente der Gegner einem grösseren Zusammenhang. Er pro Person. «Viel zu hoch», findet And- den nächsten Urnengang Tabakkonsums schützen. Er will die Wer- aber nur vorgeschoben. «Hier findet ein störe sich daran, dass das Gesetz die Rah- reas Glarner, der Asylchef der SVP und Das Schweizer Stimmvolk entscheidet am bung entsprechend einschränken sowie Stellvertreterkrieg statt», sagt er. Die menbedingungen für die Wirtschaft ver- Gemeindeammann von Oberwil-Lieli. 12. Februar 2017 voraussichtlich über die verbieten, dass Zigaretten an Minderjäh- Schweiz sei eine Produktionsinsel, wo schlechtere. «Tabakwaren sind legale Nach seinem Dafürhalten wären 50 Fran- Unternehmenssteuerreform III. Zudem rige verkauft werden. Zwar sagten auch die Tabakindustrie noch Zigaretten mit Produkte. Deshalb sollen sie auch legal ken genug. Die zuständige Sektion Asyl legte der Bundesrat gestern die erleich- bürgerliche Ständeräte, dass sie Jugend- hohen Schadstoffwerten herstellen beworben werden können.» hält dagegen, der Betrag orientiere sich terte Einbürgerung für Ausländer der liche schützen wollten. Das Gesetz als dürfe. In der EU, den USA und auch in Aber selbst am Vorabend der heuti- an realistischen Annahmen, mit denen dritten Generation sowie den Fonds für Ganzes deuteten sie jedoch als reinen der Schweiz selber dürfe sie diese längst gen Kommissionssitzung waren noch bei der Unterbringung, Verpflegung und Nationalstrassen und Agglomerations- ­Angriff auf die freie Marktwirtschaft. Die nicht mehr verkaufen. In Entwicklungs- nicht alle Meinungen gemacht, vor allem Betreuung in Pensionen und einfachen verkehr als Abstimmungsthemen fest. Kommission des Nationalrats wird den ländern hingegen schon. Die Tabak- bei den Bürgerlichen nicht. Heinz Brand Hotels gerechnet werden müsse. Nicht Die Unternehmenssteuerreform kommt Entwurf kaum anders interpretieren, zu- industrie befürchte, dass sie in der etwa, SVP-Nationalrat und Präsident alle Kantone haben Ersatzabgaben be- allerdings nur zur Abstimmung, wenn mal sie stärker von FDP und SVP domi- Schweiz nicht mehr so frei wie heute von Santésuisse, rang noch mit sich, traglich festgelegt – auch Zürich nicht. das Referendum zustande gekommen ist. niert wird als ihre Schwesterkommission. produzieren könne, sei die Konvention wägte gesundheitspolitische gegen ord- Laut Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) Die Unterschriften waren am vergange- Nur: Solange die Schweiz das Gesetz einmal ratifiziert. Rund 80 Prozent der nungspolitische Überlegungen ab. Wel- war dies bisher nicht nötig, da alle nen Donnerstag pünktlich zum Fristab- nicht in Kraft setzt, kann sie die Tabak- Zigaretten, die im Hochlohnland Schweiz che sich durchsetzen, werde die Debatte 168 Gemeinden ihren Verpflichtungen lauf eingereicht worden. (SDA) konvention der Weltgesundheitsorgani- produziert werden, werden exportiert. entscheiden, sagte er. nachkommen. (net)