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CLARA

EIN SPIEL FÜR RAGNA SCHIRMER & PUPPEN

CHRISTOPH WERNER CLARA – EIN SPIEL FUR RAGNA SCHIRMER & PUPPEN URAUFFÜHRUNG

REGIE Christoph Werner BÜHNE UND KOSTÜME Angela Baumgart PUPPEN UND MASKEN Louise Nowitzki VIDEOGRAFIE Conny Klar DRAMATURGIE Bernhild Bense REGIEASSISTENZ Henrike Wiemann MIT RAGNA SCHIRMER a.G. als Ragna Schirmer INES HEINRICH-FRANK als GLORIA IBERL-THIEME a.G. als Marie Schumann NILS DRESCHKE als Rektor Scholz, Doktor Hennes, Herr Ludewig und James Kwast LARS FRANK als und Friedrich Wieck

Technik: Daniel Schreiner (Technischer Leiter) // Beleuchtung, Ton, Videotechnik: Daniel Schreiner, Ingo Hädicke // Requisite und Puppenkörper (kleine Puppen): Sebastian Hennig // Puppenperücken und Maske: Antje Noch // Anfertigung Puppenkostüme: Sibylle Mittag // Kostümwerkstätten: Cordula Erlenkötter (Kostümdirektorin), Karin Lietzke (Gewandmeisterin) // Dekorationswerkstätten der Bühnen Halle PREMIERE: 2. MÄRZ 2018, 20.00 UHR IM PUSCHKINSAAL als Organisator, aber seit Claras Zerwürfnis mit ihm wegen ihrer heimlichen Verlobung mit Robert Schumann kümmerte sich Clara selbst – unterstützt von einem wachsenden Netzwerk von Freunden und Verehrern – um Reiseplanung, Finanzen, Veranstaltungsräume, behördliche Genehmigungen, weitere Mitwirkende, Programmzetteldruck, Werbung und dergleichen.

1891 lebt Clara seit 13 Jahren in Frankfurt am Main in einer großen Wohnung zusammen mit ihrer ältesten Tochter Marie (49) und ihrer jüngsten Tochter Eugenie (39). 1 ½ Jahre später wird Eugenie zu ihrer Freundin, der Sängerin Am 12. März 1891 gab Clara , nach London ziehen. Dann Schumann, geborene Wieck, ihr letztes wird Clara zwei ihrer zehn Enkel zeitweise in öffentliches Konzert. ihren Haushalt aufnehmen. Marie bleibt bei Clara bis zu deren Tod, zieht Jahre später in Da ist Clara Schumann 71 ½ Jahre alt. Seit der Schweiz wieder mit Eugenie und Marie Jahren leidet sie unter verschiedenen ge- Fillunger zusammen. Gemeinsam kümmern sundheitlichen Problemen wie Rheumatismus, sich die Schwestern dann um Claras Nachlass Arthritis und Gehörproblemen. und darum, dass der Literaturwissenschaftler Berthold Litzmann eine ordentliche Clara- Das Konzert findet statt in »Dr. Hoch‘s Schumann-Biografie schreibt. Konservatorium« in Frankfurt am Main, wo Clara Schumann seit 13 Jahren als »Erste 1891 hat Clara schon drei ihrer acht Kinder Klavierlehrerin« angestellt ist – mit festem überlebt. Der erstgeborene Sohn Emil war nur Jahresgehalt, täglich 1 ½ Unterrichtsstunden, etwas mehr als ein Jahr alt geworden, der vier Monaten Urlaub sowie Gastierurlauben jüngste Sohn Felix war mit 24 an Schwindsucht nach Bedarf. gestorben, eine der vier Töchter, Julie, ver- heiratet mit einem italienischen Grafen, hatte Ein Jahr später wird Clara diese Lehrtätigkeit die Geburt ihres dritten Kindes nicht überlebt. endgültig aufgeben. Claras Sohn Ferdinand ist schon lange schwer- krank und hat nur noch ein Vierteljahr zu Fünf Jahre nach diesem letzten öffentli- leben; Sohn Ludwig lebt seit über 20 Jahren in chen Konzert wird Clara Schumann einen der Landesirrenanstalt Colditz. Schlaganfall erleiden und 8 Wochen später 76-jährig sterben. Zum Zeitpunkt ihres letzten öffentlichen Konzerts war Clara Schumann seit bald 62 ½ Jahre vor ihrem letzten öffentlichen 35 Jahren (also im Prinzip die Hälfte ihres Konzert war die gerade 9-jährige Clara Wieck Lebens) die Witwe von Robert Schumann, zum ersten Mal öffentlich als Pianistin in nachdem sie zuvor 3 Jahre mit dem berühm- Erscheinung getreten. 1891 hat Clara Schumann ten Komponisten verlobt und über 15 Jahre mit also mehr als 60 Jahre Konzertpraxis hin- ihm verheiratet gewesen war. ter sich: über 1300 Konzerte vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich, Selbst komponiert hatte Clara schon als Kind. Frankreich, Holland, Dänemark, Russland In den ersten Jahren ihrer Ehe gab es sogar – und immer wieder in England. Anfangs einige gemeinsame Kompositionen mit ihrem fungierte ihr Vater und Lehrer Friedrich Wieck berühmten Mann. Aber dann gab Clara das füllen und leben können und müssen – die Instrumentalvirtuosen also, die Sänger, die Schauspieler und dergleichen (und ja, auch dem Puppenspieler flicht die Nachwelt keine Kränze…) – sie vergehen mit den Erinnerungen ihrer ablenkbaren und sterbli- chen Zuhörer und Zuschauer. Es sei denn, sol- che Augenblickskünstler schreiben sich noch mit anderen Stiften auf andere Seiten in die Geschichtsbücher ein. So wie Clara Schumann.

Komponieren auf. Sie hatte genug anderes zu tun: Konzerte geben, Konzerte organisie- ren, schwanger sein, einen Haushalt, Kinder, einen anstrengenden Mann versorgen, die Kompositionen ihres genialen Gatten in der Welt verbreiten. Komponieren war ja auch nichts für Frauen. Scheint es bis heute kaum zu sein.

Doch Clara Schumann hat es auch ohne gro- ße Kompositionen geschafft. Sie, die zu ihrer Zeit wichtigste Pianistin Europas, also damals der ganzen Welt, hat ihr Leben und sogar ihr Nachleben so organisiert, dass sie auch Clara Wieck schafft nicht nur den Sprung mehr als hundert Jahre nach ihrem Tod alles vom naturgemäß schnell verbrauchten andere als vergessen und wohl die berühm- Wunderkind zur beeindruckend stabilen teste deutsche Frau des 19. Jahrhunderts ist. Weltkarriere; sie verliebt sich dann auch Das von ihr so gefürchtete Schicksal auch der noch hoch und heilig in einen viel verspre- großartigsten reproduzierenden Künstler, von chenden Ewigkeitskünstler – der sich anfangs ihrem Publikum vergöttert, aber nach dem noch nicht ganz entschieden hatte, ob er letzten Auftritt rasant aus der Kulturgeschichte lieber Komponist oder Schriftsteller werden zu rutschen, ist ihr erspart geblieben. Ein will. Mit diesem empfindsamen, klugen, aber Komponist, ein Maler, ein Schriftsteller kann auch labilen Robert Schumann entwickelt zu Lebzeiten nahezu unbemerkt vor sich hin sich zuerst eine berühmte – auch 150 Jahre schöpfen und dabei Kunstwerke schaffen, die danach noch erfolgreich zu verfilmende – für kommende Generationen Ewigkeitswert dramatisch-romantische Liebesgeschichte haben und die (gerne auch schon längst zwischen väterlichem Besitzanspruch und verstorbenen) Künstler mit haltbarem Ruhm Paarungsleidenschaft. Nach deren Happyend bekleckern. Diejenigen Künstler aber, die ihr kann Clara endlich ihr ganzes Schicksal an Schaffen unmittelbar mit ihren Konsumenten diesen aufstrebenden Künstler ehelich bin- teilen, die ihre Kunst und ihren Ruhm nur den, wird aufopfernde Gattin, nahezu dauer- im Moment der öffentlichen Vorführung er- schwangere Mutter, Gattenberühmtmacherin, Tragödien und Tratsch informiert bleibt – und auch noch über hundert Jahre nach ihrem Tod Geldscheine mit ihrem geschönten Porträt bekannt sind, aktuelle Biografien und Essays über sie erscheinen und zum Beispiel musikalische Puppentheaterstücke für sie inszeniert werden. Wir haben sie nicht vergessen. Das hat Clara Schumann geschafft. Gratulation und Dank! BERNHILD BENSE

Gattenassistentin, untröstliche Witwe, welt- berühmte Witwe, Pianogöttin, Netzwerkerin, Kulturprägerin, Frauenvorbild. In der zweiten Hälfte ihres Lebens gibt Clara Schumann aber nicht nur unermüd- lich Konzerte und Unterricht, sondern sie schreibt und redigiert und verbrennt neben- bei auch noch Unmengen von Briefen und Tagebucheintragungen, damit die Welt und die Nachwelt gut und gern über ihr unbedingt erinnerungswertes Leben voller Triumphe,

CLARA WIECK AN ROBERT 21.6.1839 Ich bleibe wo Du willst mein geliebter Robert, und ganz recht hast Du, als Weib geliebt zu sein ist ja das Höchste! Ja, nur Dir will ich leben und Dich glücklich machen …

CLARA WIECK, TAGEBUCH, 20.8.1839 Jetzt trachte ich auch danach, so viel als möglich mit der Künstlerin die Hausfrau zu vereinigen. Das ist eine schwere Aufgabe! Meine Kunst lasse ich nicht liegen, ich müßte mir ewige Vorwürfe machen.

CLARA & IHR FLÜGEL

Clara Schumann war nicht nur sie die Flügel der Marke »Grotrian Helfferich eine große Tastenvirtuosin und Komponistin, Schulz, Theodor Steinweg Nachfolge« aus sie nahm auch entscheidenden Einfluss auf Braunschweig. den Klavierbau des 19ten Jahrhunderts. Als Tochter eines Klavierfabrikanten, in dessen Am 24. Dezember 1879 wurde der verehr- Familie sich mehrere Klavierbauer befanden, ten Pianistin von der Firma Grotrian aus kannte sie sich bestens aus und verfolgte die Braunschweig ein Salonflügel dieser Marke in Entwicklung der immer virtuoser werden- die Frankfurter Wohnung geliefert. Auf ihm den Tasteninstrumente. Zahlreiche Briefe an übte, spielte und unterrichtete Clara in ihren Pianoforte-Fabrikanten und viele Tagebuch- letzten Lebensjahren. Einträge über Zustand und Beschaffenheit der bei Konzerten vorgefundenen Flügel gewäh- 2011 wurde ich eingeladen, auf genau die- ren uns einen Einblick in ihre akribische Aus- sem Flügel in Frankfurt ein Konzert zu geben. einandersetzung mit den Möglichkeiten des Damals hielt sich meine Auseinandersetzung Klavierbaus. mit historischen Instrumenten noch in engen Grenzen. Ich wusste, dass Claras Finger dieses So verwundert es nicht, dass sie die klanglich Instrument berührt hatten, tausende Male, kräftigeren Instrumente mit Gusseisenrahmen, dass ihr auf diesem Flügel die sich ab den 1850er Jahren etablierten, für seine Kompositionen vorspielte. Und doch war ihre Programme bevorzugte. Besonders liebte es zunächst ein betagter Flügel für mich.

CLARA WIECK, TAGEBUCH, 20.8.1839 Meine größte Sorge ist seine Gesundheit! Sollte ich den Schmerz erfahren müssen, ihn zu verlieren – ich wüßte nicht, ob ich den Mut hätte, noch zu leben.

CLARA SCHUMANN, TAGEBUCH 2.10.1846 Es geht doch nichts über das Vergnügen, etwas selbst komponiert zu haben und dann zu hören. Es sind einige hübsche Stellen in dem Trio, und wie ich glaube, ist es auch in der Form ziemlich gelungen. Natürlich bleibt es immer Frauenzimmerarbeit, bei denen es immer an Kraft, und hie und da an Erfindung fehlt. Auszug aus Wir singen um die Wette. Spielen uns in meinem Tagebuch Ekstase. Ich will nie wieder aufhören. Diese über diesen Abend: Tiefe, diese Fülle, diesen Klang habe ich noch nie auf einem modernen Instrument erlebt. Der Flügel klingt etwas blechern, ich merke, Ich gerate in eine Art Trancezustand. Weiß das Holz hat jahrzehntelang nicht geschwun- nicht mehr, ob ich selbst spiele oder nur Gast gen. Ich muss während des ersten Stückes bin bei einem extremen Erleben. Der Raum erstmal einen Zugang finden. Ich versuche hält den Atem an. es ganz vorsichtig. Töne nur hinhauchen, die Als ich vom Klavier aufstehe, kämpfe ich mit Grenzen des Leisen ausloten, die von Clara den Tränen. eingespielten Tasten streicheln. Und plötzlich geschieht etwas: der Flügel antwortet. Fängt Drei Jahre nach diesem Erlebnis hatte ich an, ganz zart zu singen. Zeigt mir Farben, die Gelegenheit, einen Grotrian-Flügel dieser ich noch gar nicht kannte. Durch eine graue Baureihe zu erwerben. Die Fabrikations- Klang-Patina schimmern Pastell-Töne in bis nummer meines Flügels ist wenige Zahlen dato ungekanntem Facettenreichtum. Wir ent- von Claras eigenem entfernt, er ist also bau- decken uns ... Ich lote auch mal die kräftigeren gleich mit ihrem. Dieser Flügel steht jetzt für Klänge aus. Das Holz beginnt zu schwingen, als unsere Inszenierung auf der Bühne. wäre es aus dem Dornröschenschlaf erwacht. RAGNA SCHIRMER

CLARA SCHUMANN, TAGEBUCH 9.1.1853 Die Musik ist doch ein gutes Stück von meinem Leben, fehlt sie mir, so ist es, als wäre alle körperliche und geistige Elastizität von mir gewichen.

CLARA SCHUMANN, TAGEBUCH 22.6.1853 Es geht doch nichts über das Selbstproduzieren, und wäre es nur, daß man es täte um diese Stunde des Selbstvergessens, wo man nur noch in Tönen atmet.

Clara Schumann wollte beides: um den Kindern das Leben nicht mehr so ihren Beruf als Künstlerin ausüben und schwer zu machen«. eine Familie haben. Dieser Wunsch war Unter den Schicksalsschlägen, die unauf- im ideologischen Konzept der sich gerade hörlich auf sie niederprasselten, verwan- formierenden deutschen Bürgergesell- delte sich Claras Melancholie in stoische schaft für Frauen nicht vorgesehen. Allen Nüchternheit und harte Selbstdisziplin. Schwierigkeiten zum Trotz hat sie ihr Ziel Der Weg zum Glück, sagte sie einmal zu nicht aus den Augen verloren und immer Eugenie, sei nicht schwer, man müsse nur wieder Kompromisslinien gesucht, um das immer seine Pflicht tun. eine nicht gegen das andere vertauschen NANCY B. REICH in: Clara Schumann – zu müssen, sondern die »Künstlerin mit Romantik als Schicksal. Eine Biographie der Hausfrau« zu vereinen, wie sie sich (Reinbek 1993) ausdrückt. Der strukturelle Konflikt mit allen seinen emotionalen, psychischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen durchzieht ihr Leben und macht es über ihr Die Komponistin Clara ist untrenn- künstlerisches Wirken hinaus interessant, bar mit der Pianistin verbunden: Was Clara weil die daraus erwachsenden Alltagspro- als Komponistin an den Werken interes- bleme auch heute immer wieder zu lösen sierte, die Klangfärbung, die Charakteris- und die schon von Clara Schumann gesuch- tik, die melodische Erfindung, aber auch te „Idealform“ noch nicht gefunden ist. Melodie-Verschlingungen, interessante JANINA KLASSEN in: Clara Schumann – Durchführungen, überraschende, geist- Musik und Öffentlichkeit (Köln u.a. 2009) reiche Kombinationen, die Entfaltung von einer Fülle von Empfindungen im kleinsten Rahmen, war auch das, was sie als Inter- pretin mit äußerster Genauigkeit nachvoll- Trotz Clara Schumanns erfolgreicher zog. Es war die Komponistin, die jede Note, und brillanter Karriere fiel den Zeitgenossen jede Phrase, jede Vortragsbezeichnung die leise Trauer auf, die sie umgab. Schon ernst nahm und nach ihrem Ausdruck, als Kind hatte sie die Menschen mit ihrem ihrem Sinn, ihrer Bedeutung befragte. schwermütigen Blick beeindruckt, und auch Nicht umsonst gehörten Werke von Bach, in den Jahren des künstlerischen Erfolges der für sie beim öffentlichen Spielen eine und ehelichen Glücks lag in ihren Zügen enorme Anspannung aller Seelenkräfte eine Spur von Traurigkeit. Während Roberts verlangt, zum allmorgendlichen Pensum. letzter Krankheit und nach seinem Tode sa- Bachs Mehrstimmigkeit war jener spiel- hen die Freunde und die Kinder sie oftmals technische und musikalische Ansatz, den in Tränen. sie auf jede Komposition übertrug: das Claras Leben war von Anfang an von Tra- Stimmgewebe zu entflechten, Klangebenen gik überschattet. In früher Kindheit schon voneinander abzusetzen, die ganze Viel- lernte sie, Verluste zu ertragen, als ihr falt, den ganzen Reichtum einer Partitur die Mutter und dann auch die Kinderfrau zur Geltung zu bringen. Keine Passagen, weggenommen wurden, als ihre Eltern sich rief sie immer dann verzweifelt aus, wenn scheiden ließen und sie der Tyrannei des jemand ohne Sinn und Verstand schnelle Vaters ausgeliefert wurde. Auch als junges Noten spielte. Niemals war sie bereit, Viel- Mädchen gab es für sie nur wenige sorglose falt von Stimmen, Melodien oder Klängen Augenblicke, wenig Freude und Heiter- zuhörerfreundlichen Vereinfachungen zu keit. Später bedauerte sie oft, daß ihre opfern. Deshalb verlangte Clara von ihren Briefe an Brahms so voll von Kummer und Schülern, das Klavier wie ein Orchester zu Sorgen waren, nahm sich dann wohl auch behandeln, jede Phrase zu betrachten und vor, »die trüben Gedanken zu verbannen, auszudrücken, als ob sie einem separaten Instrument gehörte. Diese ungewohnte Besuche der Ehefrau kaum verzichtet. Aber Prägnanz der musikalischen Vorgänge bar man war in Endenich durch Dr. Hasen- jeder Effekthascherei, diese entschiedene clever über die akute Krise informiert und Klarheit und Deutlichkeit auch der kom- hatte die berechtigte Sorge, ein Besuch der pliziertesten musikalischen Vorgänge, aller Ehefrau könnte beim Patienten zu einem Stimmen und Klänge, wurde manchmal als gravierenden Rückfall führen, könnte, nach akademisch, intellektuell abgetan. Mit der allem Ruhigstellen, erneut eine Explosion Romantik im missverständlichen Sinne von auslösen. So wurde Clara Schumann auf die Verschwommenheit, rhythmischer Unschär- Distanz gehalten, die ihr durchaus recht fe, agogischer Willkür und geschmackloser war. Dem Ehemann offenbar auch. Es ist Sentimentalität hatte sie freilich nichts doch sehr auffällig, daß er in Gesprächen zu tun. Das Wesen ihrer Vortragskunst lag mit Ärzten und Pflegern im ersten halben über alle Technik, alle Genauigkeit hinaus Jahr nie seine Frau erwähnte, nie. vor allem darin, in der Musik Character, DIETER KÜHN, Clara Schumann, Stimmung zum Ausdruck zu bringen. Clara Klavier (Frankf./M. 1996) konnte auf eine intuitive musikalische Erfassungsgabe – das richtige Gefühl für ein Musikstück – zurückgreifen, ebenso wie auf ihren Reichtum an pianistischen Mitteln. Nach Schumanns Tod hat man ein MONICA STEEGMANN Jahrhundert lang von der »idealen Künst- Clara Schumann (Reinbek 2001) lerehe« gesprochen. Und das mit Recht, wenn man es vom Mann aus sieht, der sich offensichtlich eine Künstlerin an seiner Seite wünscht: Da kann er kaum eine bessere Und nun kommen wir zum dunk- als Clara finden. Mit seinem Schaffen von len, zum wunden Punkt: Warum hat Clara früh auf vertraut, ist sie seine Interpretin, ihren Mann kein einziges Mal in Endenich Künstlerfreundin und Helferin in einem. Vor besucht, zwischen der Einlieferung und und während der Ehe spielt sie seine Kla- der telegraphischen Nachricht, er liege im viermusik, wo irgend es zu passen scheint. Sterben? Die Antwort darauf stellt sich von Die Klavierliteratur, die sie studiert, dient selbst ein, ich habe sie oft genug zu hören auch ihrem Mann zur Anregung; zusam- und zu lesen bekommen. Clara hätte Robert men nehmen sie sich immer wieder Bachs liebend gern besucht, aber der Arzt, Dr. Wohltemperiertes Klavier vor, und noch Richarz, hat es verboten. Auf diesem Sockel 1845 ist von gemeinsamen kontrapunkti- baut sich rasch und leicht eine Legende schen Studien die Rede. auf. Aber befragen wir noch mal die Vor- Clara fiebert mit ihm vor der Vollendung aussetzungen. Wie schon berichtet, gehörte neuer Kompositionen und geht die Werke, Richarz offenbar nicht zu den Ärzten, die die mit Klavier besetzt sind, vor der Veröf- eine Isolierung des Patienten zur Voraus- fentlichung mit ihm durch. Sie bestärkt ihn, setzung der Therapie machten. So hatte wo sie nur kann. Als Komponisten bewundert Robert mehrfach Besuch. Zuerst von seiner sie ihn bis hin zur Verleugnung der eigenen Schwiegermutter; wiederholt von Brahms; Fähigkeiten: Wie hätte er wohl ohne solche als eine der berühmtesten Besucherinnen: Verehrung seines Genies überlebt! Ganz zu Bettine von Arnim; verschiedene Musiker schweigen von den vielen Dingen des Künst- fuhren nach Endenich. Das bestätigte: zur leralltags: Clara Schumann ist keineswegs nur Therapie gehörte in dieser Reformanstalt als Arrangeurin und Kopistin tätig; darüber die Schaffung oder Erhaltung eines »fa- hinaus vermittelt sie immer wieder zwischen milialen« Umfelds. Wäre nach Ansicht der ihrem in praktischen Dingen zunehmend Ärzte die Ehe stabil gewesen, so hätte man kontakt- und konfliktscheuen Mann und den auf stabilisierende Einwirkungen durch Ensembles, die er zu leiten hat.

Wie sieht diese »ideale Künstlerehe« aus Wie könnte ich nun die Augen be- Claras Sicht aus? Sie spielt zweifellos die schreiben! Ein paar Sehsterne waren es, die zweite Geige. Anders gesagt: Trotz der sie- jeden, der in ihren Bereich kam, unwider- ben Kinder, die es großzuziehen gilt, hätte stehlich anzogen. Nie wurde man müde, sie vermutlich mehr und ungehemmter in diese Tiefen zu schauen, nie müde, zu komponieren, auch sicherlich mehr üben verfolgen, wie ständiges Reifen, unausge- und konzertieren können, wenn es nicht setzte Vergeistigung und Veredlung darin vor allem um Robert gegangen wäre. Auf immer herrlicher zum Ausdruck kamen. Was der anderen Seite sorgt dieser für unendlich sie von unendlicher Herzensgüte, von un- viele künstlerische Anregungen und er- begrenztem Wohlwollen erzählten, das hat mutigt sie beim Komponieren. wohl niemand vergessen, auf dem diese MARTIN GECK Augen einmal geruht haben; wen ihr Blick Robert Schumann – Mensch und Musiker der traf, den erfaßte, umfaßte er ganz. Romantik. Biografie (München 2010) Der Mund, der stets so liebevoll und zärtlich zu uns sprach, verriet doch die Energie des Charakters; die Lippen lagen leicht aufein- ander, und in den Winkeln lauerte zuweilen Die junge Witwe in ihrer prominenten eine leise Ironie. Die Stimme war sanft und Stellung rief bei anderen entweder Loyali- wohltönend. Ein leises Anstoßen mit der tät oder unverblümte Gegnerschaft hervor. Zunge gefiel uns Kindern außerordentlich, Trotz aller Bescheidenheit, Einfachheit und und ein Anflug von sächsischem Dialekt gab Zurückhaltung wirkte sie auf ihre Kinder, Anlaß zu manchen Neckereien. ihre Freunde und ihr Publikum irgend- Was aber meine Mutter erlebt, gelitten und wie übermenschlich. lm Rampenlicht und geleistet hatte, kam doch nirgends so zum privat trat sie stets mit der gleichen ruhigen Ausdruck wie in ihren Händen. Sie waren Selbstsicherheit auf, ob als Mutter, Künstle- schlank und groß – konnten Dezimen mit rin oder Pädagogin. freiem Gelenk anschlagen -, die Finger leicht Man sprach von ihr als »Priesterin«; der zugespitzt, der Daumen schön geschwungen Vergleich war treffend, nicht nur, weil sie und der fünfte Finger, wohl durch frühzei- ihr Leben der Kunst geweiht hatte, son- tige Ausbildung, nur um weniges kürzer als dern auch wegen ihrer feierlichen Hal- der vierte. Das Handgelenk war, wenn auch tung. Nüchtern und humorlos, wie sie war, kräftig, so doch äußerst fein gebaut, und wurde sie zuweilen wegen ihres ernsthaf- es war schön, das sanfte Anschwellen des ten Benehmens ausgelacht. Sie trug meist vollen Armes zu verfolgen. Tausend feine Schwarz und machte dem Publikum keine Linien hatten sich in diese Hände und Finger Konzessionen, weder durch äußere Eleganz eingegraben; waren sie doch die Vermittler noch durch Zugeständnisse an den musi- der Wechselwirkung zwischen Leben und kalischen Zeitgeschmack. Zwar wurde ihre Kunst, trugen das Erleben in die Kunst und ursprünglich zierliche Gestalt mit der Zeit die Kunst in das Leben. etwas voller, doch wirkte sie nie korpulent oder schwerfällig; ihre aufrechte, hoheits- aus ihren Erinnerungen (zitiert nach Borchard) volle Haltung ließ sie größer erscheinen, als sie war. Sie hatte ein ausdrucksvolles, schönes Gesicht mit dunkelblauen Augen, 1878, im Jahr ihres fünfzigjährigen trotzdem hielt sie selbst sich nicht für eine Konzertjubiläums, haben ihre Kräfte so Schönheit. nachgelassen, daß sie sich endlich ent- NANCY B. REICH schließt, weniger aufzutreten. Sie ist fast in: Clara Schumann – Romantik als Schicksal. taub. Musik, die sie nicht kennt, klingt ihr Eine Biographie (Reinbek 1993) wie »Höllengetön«. Ihr durch jahrzehnte- lange Verkrampfung unbrauchbar geworde- »eiserne Meisterin«, hat den pädagogi- ner rechter Arm widersetzt sich hartnäckig schen Charme eines Richters: am Flügel der allen Therapien. Selbst die neuen Elektri- Angeklagte, daneben sie, zu ihrer Rechten siermethoden nützen nichts. Um ein re- und Linken die Beisitzer Marie und Euge- gelmäßiges Einkommen zu haben, wird sie nie, im Saal aber ängstlich und zugleich Professorin am Hoch’schen Konservatorium schadenfroh die Kommilitonenschar. Nach in Frankfurt am Main. Gemeinsam mit der einem Monat Unterricht bei Clara hätte sie siebenunddreißigjährigen Marie, der zehn sich nichts sehnlicher gewünscht, als tot zu Jahre jüngeren Eugenie und deren Lebens- sein, resümiert die Fromm. gefährtin Marie Fillunger bezieht sie eine EVA WEISSWEILER großbürgerliche Wohnung auf der Mylius- in: Clara Schumann. Biographie straße, wo sie zum ersten Mal seit (München 1992) 24 Jahren seßhaft wird. Was nach außen wie eine Mutter-Toch- ter-Idylle aussieht, ist in Wirklichkeit eine Parodie des Matriarchats. Clara gibt die Nach den literarisch fixierten gesell- Befehle, Marie, Eugenie und die Fillunger schaftlichen Kategorien ihrer Zeit führte sie führen den Haushalt, erledigen Korrespon- ein gerade „männliches“ Leben, indem sie denz und assistieren beim Unterrichten der aktiv handelnd eingriff und auch während sich allmorgendlich im Musiksalon einfin- ihrer Ehe die finanzielle Autonomie nicht denden Studenten. aufgab. Dabei repräsentierte sie im Laufe In Frankfurt vertritt Clara die »Tradition«, ihres Lebens unterschiedliche Weiblich- während ihr jüngerer Kollege James Kwast keitsbilder. Sie dienten einerseits ihrem für die Moderne zuständig ist. Nur sehr Künstlerimage. Andererseits scheint Clara starke, unempfindliche Charaktere halten Schumann die öffentliche Verkörperung be- dem Unterricht bei Clara stand. Die Sensib- stimmter Frauentypen auch als Camouflage leren fühlen sich entmutigt und verlieren genutzt zu haben, um sich unangreifbar jede Freude an der Musik, wenn nicht gar zu machen, frei handeln zu können und am Leben. »Alles war falsch«, berichtet eine dahinter ein Stück Privatheit zu schützen. ehemalige Studentin, Marie Fromm, »die JANINA KLASSEN Arme zu steif, der Anschlag ungleichmäßig, in: Clara Schumann – Musik und Öffentlichkeit der Ton nicht singend genug.« Clara, die (Köln u.a. 2009)

CLARA SCHUMANN AN ELISABETH WERNER, 23.1.1893 Es ist für einen Künstler doppelt schwer, alt zu werden. Ich habe noch die ganze geistige Kraft und die der Finger, die Technik macht mir gar keine Schwierigkeiten, aber die Nerven wollen nicht, und das ist doch eine furchtbare Prüfung …

CLARA SCHUMANN, 1860 Wie unsäglich unglücklich würde es mich machen, nicht mehr in voller Kraft künstlerisch wirken zu können. Darum nur ja nicht alt werden.

CHRISTOPH WERNER geboren in Dessau, Studium an der Hochschule für Schau- spielkunst »Ernst Busch« in , Engagements am Volkstheater Rostock und am Theater Waidspeicher in Erfurt, seit 1995 künstlerischer Leiter am Puppentheater der Stadt Halle, von 2005 bis 2011 auch Intendant des neuen theaters, Intendant des Festivals THEATER DER WELT 2008 in Halle, seit 2012 auch Kodirektor des Thalia Theaters. Neben der Arbeit als Theaterleiter und Regisseur auch als Autor tätig (z.B. Roman »Marie Marne und das Tor zur Nacht« 2014).

ANGELA BAUMGART geboren in Eisenach, Studium Bühnen- und Kostümbild in Dresden, Ausstatterin am Theater in Erfurt, seit 2002 am Puppentheater Halle, 2005-2011 Ausstattungsleiterin am neuen theater, seit 2011 Bühnen- und Kostümbildnerin und Produktionsleiterin am Puppentheater, Gastengage- ments an verschiedenen anderen Theatern.

LOUISE NOWITZKI geboren in Leipzig, studierte zunächst Bildhauerei an der Hochschule für Bildende Künste und anschließend Schau- spiel an der Hochschule für Musik und Theater in Rostock. Engagements als Schauspielerin in Ingolstadt und seit 2010 am Thalia Theater Halle. Seit 2013 baut sie Puppen für Inszenierungen des Puppentheaters Halle, seit 2015 hier engagiert als Puppenbauerin und Puppenspielerin.

RAGNA SCHIRMER geboren in Hildesheim, Studium in Hannover und Paris, Pianistin. Sie konzertiert weltweit und wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, u.a. zweimal Bachpreisträgerin Leipzig, ECHO Klassik, Händelpreis. Ein Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit ist die Beschäfti- gung mit Clara Schumann. NILS DRESCHKE geboren in Wismar, Absolvent der Hochschule für Schau- spielkunst »Ernst Busch« in Berlin, Engagement am Theater Waidspeicher in Erfurt, seit 1996 Puppenspieler am Puppentheater der Stadt Halle, Gastspielreisen in viele Länder

LARS FRANK geboren in Genthin, Absolvent der Hochschule für Schau- spielkunst »Ernst Busch« in Berlin, Engagement am The- ater Waidspeicher in Erfurt, seit 1996 Puppenspieler und Regisseur am Puppentheater der Stadt Halle, von 1992 bis 2002 auch Professor an der Hochschule für Schauspiel- kunst "Ernst Busch" in Berlin, Gastspielreisen in viele Länder

INES HEINRICH-FRANK geboren in Eberswalde, Absolventin der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin, Engagement am Theater Waidspeicher in Erfurt, seit 1996 Puppenspielerin und Regisseurin am Puppentheater der Stadt Halle, Gast- spielreisen in viele Länder.

GLORIA IBERL-THIEME geboren in Neumarkt in der Oberpfalz, Studentin an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«, Schau- spielerin, Puppenspielerin, Engagements u. a. in Münster, Stuttgart und München, seit 2017 Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes.

CLARA SCHUMANN AN ROSALIE LESER, 29.7.1894 Daß ich noch erleben durfte, wie mein Mann immer mehr Anhänger findet; das war doch eine große Freude, die gewiß selten der Frau eines großen Mannes zuteil wird. MUSIKAUSWAHL

ROBERT SCHUMANN Carnaval op. 9 (62 Aufführungen durch Clara von 1856 bis 1888) Préambule Chiarina Chopin Estrella Aveu Promenade

Reconnaissance Pantalon et Colombine Pause Marche des »Davidsbündler« contre les Philistins

LUDWIG VAN BEETHOVEN Sonate op. 53 »dem Grafen Waldstein gewidmet« (88 Aufführungen durch Clara von 1842 bis 1886) Allegro con brio

ROBERT SCHUMANN Kinderszenen op. 15 (88 Aufführungen durch Clara von 1842 bis 1886) Haschemann Von fremden Ländern und Menschen Bittendes Kind Glückes genug Träumerei Wichtige Begebenheit Am Kamin Fast zu ernst Kind im Einschlummern

ROBERT SCHUMANN Novelette F-Dur op. 21, Nr. 1 (41 Aufführungen durch Clara von 1866 bis 1888)

CLARA WIECK Scherzo op. 14 c-moll GASTPIELKONTAKT [email protected] Telefon: 0345 5110 635 IMPRESSUM Herausgeber: Theater, Oper und Orchester GmbH Halle Geschäftsführung: Stefan Rosinski Universitätsring 24, 06108 Halle (Saale) Künstlerischer Direktor Puppentheater Halle: Christoph Werner Redaktion: Bernhild Bense // Brief- und Tagebuchzitate von Clara Schumann aus: Beatrix Borchard, Clara Schumann – Ihr Leben. Biografie (Frankf./M., Berlin 1997 [2.]) Probenfotos: Falk Wenzel // Porträtfotos (Seite 18/19): Yvonne Most, Andreas Buss // Porträtfoto von Ragna Schirmer: Maike Helbig Gestaltung und Collage/Titelbild: Annett Claudia Pester Druck: Flyeralarm Änderungen vorbehalten!

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