086-101 Fifa-Wm-Stadion Hamburg3.Indd
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
88 HAMBURG HAMBURG 89 90 HAMBURG Je näher er dem Stadion kommt, eigentlich erst im Innenraum, erschließt sich dem Besucher der besondere Reiz des Bauwerks Das erste seiner Art eit Flutlichtmasten durch die so gennante Cat- lässe, die an Fenster erinnern, obwohl kein Glas darin walk-Beleuchtung ersetzt wurden, besitzen Fuß- ist, schauen einen gespenstisch an. Eigentlich sollte Sballstadien kein Gestaltungsmerkmal mehr, das einem spätestens jetzt jede Lust auf Fußball vergangen ihren Innenraum mit der Außenansicht verbindet. Das sein, aber das Hamburger Stadion hat auch ein anderes unterscheidet Stadien von fast allen anderen Bauwer- Gesicht. ken. Meistens lässt sich draußen erahnen, wie es drinnen Spätestens wenn man sich ihm bis auf wenige Meter ausschaut. Nicht bei Stadien: Außen blaue Pfeiler, innen genähert hat, wirkt es freundlich. Eine ganz normale rote Sitze, außen uni, innen gescheckt. Beides keine Sel- Sportstätte eben. Die Umgänge nüchtern. Nicht zu tenheit. Auch bei der AOL-Arena entsteht ein merkwür- viele Kioske, die andernorts manches feine Stadion in diger Kontrast, wenn man sich dem Gebäude nur lang- eine Kirmes verwandeln. Und auch keine schützenden sam genug nähert. Aus der Ferne wirkt der Bau kompakt, Glasfassaden, die Wind und Wetter aussperren und das fast gedrungen wie eine trutzige Burg. Ein mausgrauer Stadion in eine Kuschelatmosphäre hüllen. Wer es bis Kasten mit steil aufschießenden Speerspitzen, die wie hier geschafft hat, wird begeistert sein, wer den Innen- Palisaden aussehen, an denen aber das Membrandach raum betritt, erst recht. Dort wandelt sich das Erschei- aufgehängt ist. Wenn man ein paar Schritte weiter erste nungsbild des Stadions erneut. Ein fast monochrom Details der Glasfassade erkennt, wandelt sich das Bild. HSV-blaues Meer aus 51.055 Sitzplätzen steht im Kon- Jetzt erkennt man an ihre Innenseite angelehnt einen trast zum trüben Durcheinander der Außenansicht. Im Staubsauger, alte Kartons und jede Menge Kopierpapier. Innenraum passt alles zusammen. Sogar die Sponsoren Hinter den verschmutzten Fensterscheiben ein paar haben ihre Signets blau getüncht, um das harmonische schmucklose Büros mit den Silhouetten der Angestell- Gesamtkunstwerk nicht zu gefährden. Schade nur, dass ten – wie die Rückseite eines mittelständischen Betriebs der Rasen grün ist. im Industriegebiet. Die hell- und dunkelblauen Treppen- Wie entstand dieser Innenraum ohne Makel? Anders als aufgänge zum Oberrang sind aus Beton. Ihre Lichtein- anderswo, war in Hamburg zuerst das Stadion da, erst HAMBURG 91 dann kam die WM. In Deutschland gilt es als einer der konzipierten zwei steile Ränge, von denen der obere Vorreiter unter den modernen Arenen. 1998 kaufte man noch einmal durch einen Umgang unterteilt ist. Das ver- der Stadt das Grundstück, auf dem es sich befindet, für leiht der Arena ihr kesselartiges Inneres. Als Dach wählte den symbolischen Preis von einer D-Mark ab. Dafür lie- man eine leichte Membrandachkonstruktion, die von 40 ferte der HSV das Versprechen, eine Arena zu bauen, die Pylonen getragen wird. Höhe: 35 Meter. Nicht Schwin- Hamburg die Teilnahme an der WM 2006 sichern würde. delfreie sollten die obersten Sitzreihen des FIFA WM-Sta- Doch wie sollte sie aussehen? Ende der 90er Jahre gab dions Hamburg meiden. Schreckensszenario für sie: Bei kaum etwas Vergleichbares. Fragt sich, woran sich die anhaltenden Erfolgen des HSV kann das Stadion nach Verantwortlichen beim HSV orientiert haben, als sie die- oben hinaus trotz des Dachs erweitert werden. Obwohl ses Stadion voller Innovationen planten. »Wir sind fast es lichtdurchlässig ist, wächst der Rasen schon jetzt nicht überall hingefahren, Leverkusen, München, und haben mehr so wie er sollte. »Früher hatten wir ein Sonnenstu- geschaut, wie wir es nicht machen wollen«, erläutert dio, heute eine Dunkelkammer«, sagt Reiner Reißner, der Kurt Krägel, der Stadionmanager, das eigenwillige Aus- Greenkeeper, und deutet den einzigen Vorteil des alten schlussverfahren. Die nötigen Gelder zum Bau trieb der Volksparkstadions an. Das stand bis 1998 an selber Stelle, HSV fast im Alleingang auf. Kostenpunkt: 97 Millionen inzwischen erinnern nur noch ein paar verwitterte Kas- Euro. Damit zählt die Arena zu den billigsten, was freilich senhäuschen daran. auch an den niedrigen Grundstückskosten liegt. Den- Zur WM werden die 10.000 Stehplätze, auf denen sich noch verlieh ihr die UEFA fünf Sterne, was sie für interna- bei Bundesligaspielen die Fans des HSV drängen, in Sitz- tionale Endspiele empfiehlt. Die Architekten von »mos« plätze umgewandelt. Heute ist das nichts Neues mehr. Die Fankurve, im Bundesligabetrieb mit Stehplätzen 92 HAMBURG Doch das Prinzip der Hamburger Variositze ist Vorbild für viele andere Arenen geblieben. »Ich möchte nicht sagen, dass wir das System der Variositze erfunden haben, aber diese Lösung ist extra für uns entwickelt worden. Da waren wir schon sehr früh mit dran«, sagt Kurt Krägel nicht ohne Stolz. Das System habe in der Fachwelt für Aufsehen gesorgt und sei oft kopiert worden. Mit den Variositzen wird das Stadion zur WM noch blauer sein. Früh dran war man beim HSV auch mit dem Stadion- museum. Das zeigt auf 560 m² weit mehr als die gewöhn- lichen Exponate von der Autogrammkarte bis zur Meis- terschale. Die multimediale Ausstellung profitiert vor allem von einem weitsichtigen Konzept. Hier geht es nicht nur darum, in chronologischer Reihenfolge alle Memorabilia der Clubgeschichte in Vitrinen zu zwängen. Immer wieder zieht das Museum die Parallele zum Welt- geschehen und überrascht durch eine detailfreudige und geschmackvolle Aufmachung sowie durch spieleri- sche Elemente. Positiv wirkt auch der erfrischend offen- sive Umgang mit den düsteren Kapiteln der Vereinsge- schichte. Stadionkatastrophen werden ebenso kritisch aufbereitet wie die Klubgeschichte in der Nazizeit. Das Museum erreicht auch Interessierte, die sich nicht unbe- Viel Potenzial für Stimmung auf durchweg steilen Rängen Gepolsterte Velourssitze auf der Haupttribüne HAMBURG 93 von 1,7 Mio. Euro verursachte, wird vom HSV auch nach der WM genutzt. Die Betreiber betrachten die stolze Summe als Investition. Das Gros der Einrichtungen steht frühzeitig. Als unterstützendes Pressezentrum entschied man sich für die benachbarte Halle, die bullige Color Line Arena. Nur ein paar Verschönerungen sollen das Er- scheinungsbild noch aufpeppen. Die sechs Meter hohen Buchstaben des HSV-Hauptsponsors passen leider nicht in das Gefüge der FIFA-Partner. Sie sollen für die Zeit der WM runter vom Dach der Arena oder aber in Christo- Manier verhüllt werden. Das wird erst kurz vor dem An- pfiff geschehen. Eine geradezu aberwitzige logistische Herausforderung, wenn man bedenkt, dass Sponsoren eigentlich viel Geld für ihre Präsenz zahlen. So gesehen müssen die Betreiber dem Stadion sogar noch etwas wegnehmen, um es WM-tauglich zu machen. Andreas Schulte Viel Potenzial für Stimmung auf durchweg steilen Rängen WM-Spiele in Hamburg Vorrunde Sa., 10. Juni: C1 – C2 Do., 15. Juni: A4 – A2 Mo., 19. Juni: H4 – H2 Do., 22. Juni: E4 – E1 Endrunde Fr., 30. Juni: Viertelfinale Eine der Logen dingt als HSV-Kenner bezeichnen würden. So ist das Sta- dion in der Bahrenfelder Einöde zu einem Anziehungs- punkt geworden. Der HSV trainiert auf dem Nebenplatz und die Stadiongastronomie öffnet ihre Pforten, auch wenn keine Veranstaltung ansteht. Das Fanrestaurant »Raute« lohnt einen Besuch allein wegen des riesigen Panoramafensters zum Innenraum – und nebenbei: Auch die Currywurst schmeckt riesig. Für die WM muss beim FIFA WM-Stadion Hamburg, wie es während des Turniers heißen wird, nicht mehr viel nachgerüstet werden. Man baut ein paar Logen ein und pflastert einige Parkplätze. Die umfassendste Maßnah- me: Das Ticketingsystem. Die Umstellung, die Kosten Vorbildlich: das HSV-Museum 94 HAMBURG HAMBURG 95 96 HAMBURG Blau in blau, die vorherrschende Farbgebung Anlaufstelle des HSV Supporters Club Der Spielertunnel Mit wenigen Handgriffen ist der Stehplatzbereich umgewandelt Die Haupttribüne mit zwei Logenebenen HAMBURG 97 Welches Dach soll es sein? ls man in Hamburg im Juni 1998 begann, die Fun- doch das Spannen der angehobenen Seile hätte zu viel damente zu legen, waren die Planungen für das Druck auf die Tribünen ausgeübt. Die waren ja für ein Agesamte Stadion noch nicht einmal abgeschlos- anderes Dach ausgelegt. Ergo: Zwangsbaupause bis März. sen. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, welche Art Erst dann erhielt das Tragspannwerk eine Festigkeit, die Dach der Arena aufgesetzt würde. Die Entscheidung fiel es erlaubte, das Membrandach mit seinen Tragebögen erst, nachdem die Osttribüne bei laufendem Spielbe- aufzubringen. Weil Hubfahrzeuge und Kräne nur schwer trieb fertig gestellt war. Die ursprüngliche Konstruktion auf Tribünen Halt finden, waren von nun an Höhenarbei- der »mos« Architekten, ein Dach aus transparenten Well- ter gefragt. Um bis zu 1.000 m² große Membranflächen platten, wurde zugunsten des Entwurfs von Schlaich, auf dem Seiltragwerk auszuziehen und zu befestigen, Bergermann und Partner verworfen. hangelten oft bis zu 20 ausgebildete Höhenarbeiter wie Die AOL-Arena entstand an der Stelle des alten Volks- eine Bergseilschaft in der Dachkonstruktion. Wegen der parkstadions. Bis auf ein paar Böschungen blieb davon Größe der Membranflächen konnte die Montage nur bei aber nichts erhalten. Das Spielfeld wurde um 90 Grad gemäßigten Windverhältnissen ausgeführt werden. Das gedreht; alle Tribünen, feuerverzinkte Stahlrahmenkons- Wetter war den Hamburgern nicht gewogen. Die Arbei- truktionen, von Grund auf neu gebaut. Nur rein rechtlich ten