Die Zukunft Ist Jetzt
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Stadien · Einleitung WM-Umbau in Köln, Mai 2006: Neuer Rasen, Medientribüne auf den Oberrang, Werbefl ächen neutralisiert … und vieles mehr. Fotos: Stadionwelt Die Zukunft ist jetzt Der Stadionbau ist so weit optimiert, dass außer in den technischen Details kaum noch Verbesserungen möglich sind. Aber wie geht es weiter? ie haben sich die Stadien eigent- und deren Damen in Strumpfhosen diver- gerne bewundert, aber vor allen Dingen lich verändert? Und wie sieht sen Ballspielchen frönten, gab es allenfalls deshalb, weil hierzulande im unseligen Wdas Stadion der Zukunft aus?“ den hö ichen Applaus der mehr oder we- Geist eines Turnvater Jahn das Volk die Zu diesen Fragen führt letztendlich jede niger gewogenen erlesenen Gesellschaft. Stählung und den Drill erhalten sollte, um Bestandstaufnahme, die sich mit Sport- Ein Stadion war hier nicht vonnöten. als Kampfmaschine in den Krieg zu zie- und Veranstaltungsstätten befasst. Spätestens mit den ersten Olympischen hen. Die gute alte „Kampfbahn“ ist man- Man schaue sich um, besuche antike Spielen der Neuzeit aber war die Gesell- chenorts noch Relikt dieser Epoche. Man Schauplätze in Griechenland, besichtige schaft revolutioniert – und die Renaissance hätte zu dieser Zeit lieber auf den britischen das Colosseum in Rom – und nehme an- des Stadionbaus konnte beginnen. Jeder, Inseln leben mögen. Dort kick-and-rushte schließend an einer Führung im Berliner der genug Talent mitbrachte und eißig man schon nach Herzenslust in Pro ligen, Olympiastadion teil oder in der Gelsen- trainierte, konnte nun zum Liebling der nicht selten vor ekstatischen Kulissen von kirchener Arena. Grundsätzlich, das wird Massen werden. Dass die aus England im- beinahe 100.000 Zuschauern. man feststellen, hat sich überhaupt nichts portierte „Fusslümmelei“, der Fußball, in Im Nachkriegsdeutschland mussten geändert. Deutschland als allzu anarchisch empfun- Stadien her. Umso mehr, als der Sport ge- Seit jeher ging es darum, ein Maximum den wurde, ist schade, weil dem deutschen eignet war, kollektives Erlebnis in ganz an- an Menschen mit möglichst minimalem Fußball somit Jahrzehnte an Tradition feh- derer Weise als während der dunklen Jahr- Abstand an das Geschehen auf einer Ak- len, die man bei den englischen Clubs so zehnte zuvor zu zelebrieren. (Der Tatsache, tions äche zu bringen. Auch wer dank dass der Rurpott-Bengel Rahn schoss, als welcher Privilegien die besonderen Plät- er schießen musste, verdankt Kaiserslau- ze einnehmen durfte und wer sich beim tern mit seinem Fritz-Walter-Stadion heute Fußvolk einzureihen hatte, war in jeder noch die Ehre des WM-Standortes … so Epoche geregelt. Dass die jeweilige Kon- gesehen.) tingentierung in verschiedenen Zeitaltern Das Niedersachsenstadion in Hannover gemäß dem jeweils vorherrschenden Ge- ist eines der anschaulichsten Beispiele da- sellschaftsmodell einem Wandel unterlag, für, wie aus dem Kriegsschutt neue Stätten ist offensichtlich. der Faszination entstanden. Der Archetyp Von Stadionbau in der Neuzeit kann im der deutschen Betonschüssel war geboren: Grunde erst seit dem ausgehenden 19. Jahr- ein Rasen, drumherum Wälle, eine Tribü- hundert die Rede sein. Wo zuvor Hö inge WM-Medienkabel in Hamburg ne, einmal Dach drauf – und fertig. Golems WM-Special 72 072-073_Einleitung.indd 72 26.05.2006 05:25:59 Stadien · Einleitung quasi, denen allerdings immer wieder, sei solche nicht genutze WM-Arena, während es beim Faust-, Feldhand- oder Fußball, das gebeutelte Kaiserslautern sich an den Stadien der WM’74 Rolling-Stones-Open Airs gab es ja noch Rand des Ruins baute. Oder Nürnberg, nicht, genug Leben eingehaucht wurde, Stuttgart und Berlin sich mit Atavismen Allgemeine Daten & Fakten um ihre Tristesse über Jahrzehnte zu ka- wie Laufbahnen oder Flutlichtmasten der Dauer: 13. Juni bis 7. Juli 1974 schieren. Noch zur WM 1974 meinte man Weltöffentlichkeit präsentieren dürfen. Anzahl der Spielorte: 9 in Gelsenkirchen, dieser Tradition folgen In Frankfurt wackelte jahrelang die Anzahl der Spiele: 38 zu müssen. Ein Irrtum. Dabei demonstrier- Finanzierung, München wollte gar nicht Gesamtzahl Zuschauer: 1.768.152 te bereits das Münchener Olympiastadion recht zustande kommen, auch Hannover Zuschauerschnitt: 46.350 mit seinem Dach und einer Umgebung, die musste von Kanzler Schröder in den enge- Stadionkapazität im Schnitt: 67.858 den Namen „Park“ mehr als verdiente, in ren Kreis der Kandidaten gestupst werden. Auslastung der Stadien im Schnitt: 69 % welchem Maße ein Stadion als Bauwerk Neben Düsseldorf und Bremen el dann ein Manifest des freien Geistes, der Welt- noch Mönchengladbach aus dem Raster. Spielorte: offenheit und der Freude am Sport darzu- Mit einem völlig WM-tauglichen Stadion. BERLIN, Olympiastadion stellen vermag. NRW könnte die WM alleine ausrichten. Kapazität: 83.168 Plätze Auch in Köln standen kühne Entwür- So selbstverständlich wie dies aber nicht Anzahl Spiele: 3 fe kurz vor ihrer Verwirklichung. Daraus denkbar ist, war lange Zeit gar nichts. Gesamtanzahl Zuschauer: 117.849 wurde nichts, aber immerhin, wenngleich Deutschland hat gerackert und gekämpft Auslastung: 47 % für die WM 1974 zu spät, erfolgte 1975 die für seine nun mustergültige Stadionland- Eröffnung des neuen Müngersdorfer Sta- schaft – nicht ohne tragische Helden wie DORTMUND, Westfalenstadion dions. Das lebte von sachlicher Schönheit Leipzig und Dortmund, das gesetzte Stadi- Kapazität: 54.000 Plätze – und bot allen Zuschauern gleichermaßen on, dessen weiterer Ausbau den BVB bei- WM-Spiele: 4 einen überdachten Platz. Gerade mal ein nahe Kopf und Kragen gekostet hätte. Gesamtanzahl Zuschauer: 183.300 paar Dutzend Ehrengäste fanden auf der Nun sind sie aber fertig – oder nicht? Auslastung: 85 % mit Blumenkübeln umsäumten Haupttri- Nein, die WM-Stadien werden für die WM büne als Komfort-Sahnehäubchen auf die nochmals umgebaut. Also: Mund abbutze, DÜSSELDORF, Rheinstadion Biertheke im Bauch der Tribüne einen In- weidermache! Rollrasen der Fläche irgen- Kapazität: 67.861 Plätze divdualsitz vor. deines Bruchteils derer von Schleswig- WM-Spiele: 5 Dann aber „Hängen im Schacht“, nicht Holstein ist zu verlegen, Kabel der Länge Gesamtanzahl Zuschauer: 222.085 nur auf Schalke. Bis auf neue bunte Sitz- irgendeines Bruchteils der Strecke von der Auslastung: 65 % schalen dann und wann veränderte sich Erde zum Mond. Werbung abbauen, neue diese Stadionlandschaft bis in die 90er Werbung einbauen sowie Großküchen FRANKFURT, Waldstadion Jahre kaum. Bis dann nach und nach (ein ausbauen, neue Großküchen einbauen, Kapazität: 63.000 Plätze politisches Zeitalter ging mit dem Ende Medientribünen, Hospitality Areas … WM-Spiele: 5 des Kalten Krieges in ein wirtschaftliches Da sind wir auch schon in der Zukunft Gesamtanzahl Zuschauer: 280.000 über) hier Logen in Bremen, dort eine der Stadien angekommen. Und noch im- Auslastung: 91 % BayArena, dann wieder eine Arena in Ham- mer hat sich nichts Grundlegendes geän- burg und schließlich eine weitere, „Auf- dert. Außer, dass die Änderungen schnel- GELSENKIRCHEN, Parkstadion Schalke“ betitelt, entstand. ler kommen als jemals zuvor. Derweil harrt Kapazität: 70.600 Plätze Den nalen Schub für die Evolution das Colosseum Dingen, die nicht mehr WM-Spiele: 5 der deutschen Stadionlanschaft brachte kommen werden. Es hat schließlich beina- Gesamtanzahl Zuschauer: 230.550 die WM-Entscheidung pro Deutschland, he schon alles erlebt, was Stadien erleben Auslastung: 65 % der Wettbewerb war eröffnet. Ein neuer können. Außer natürlich eine ordentliche Stadion-Darwinismus – inklusive einiger Fusslümmelei auf Weltniveau. Dafür ge- HAMBURG, Volksparkstadion regionaler Nischen. All dies nur wegen nießt es jetzt seinen Ruhestand. Ohne den Kapazität: 62.000 Plätze dreier zusätzlicher Standorte gegenüber ganzen Elektrokram. Und ständig diese WM-Spiele: 3 1974. So steht heute in Düsseldorf eine als Handwerker im Haus. ��Ingo Partecke Gesamtanzahl Zuschauer: 105.350 Auslastung: 57 % HANNOVER, Niedersachsachsenstadion Kapazität: 60.254 Plätze WM-Spiele: 4 Gesamtanzahl Zuschauer: 162.163 Auslastung: 67 % MÜNCHEN, Olympiastadion Kapazität: 77.839 Plätze WM-Spiele: 5 Gesamtanzahl Zuschauer: 247.800 Auslastung: 64 % STUTTGART, Neckarstadion Kapazität: 72.000 Plätze WM-Spiele: 4 WM-Special Gesamtanzahl Zuschauer: 213.055 Auslastung: 74 % Düsseldorf: hoch moderne Arena, aber kein WM-Stadion Foto: Stadionwelt 73 072-073_Einleitung.indd 73 26.05.2006 05:26:24.