Stadtarchiv und Stadtgeschichte

Forschungen und Innovationen

Festschrift für Fritz Mayrhofer zur Vollendung seines 60. Lebensjahres

Linz 2004

Archiv der Stadt HISTORISCHES J AHRBUCH DER STADT LINZ 2003/2004

HERAUSGEGEBEN VON WALTER SCHUSTER, MAXIMILIAN SCHIMBÖCK UND ANNELIESE SCHWEIGER

Umschlaggestaltung: Walter Litzlbauer Porträtfoto Fritz Mayrhofer: Maximilian Schimböck

Für den Inhalt der Abhandlungen sind ausschließlich die AutorInnen verantwortlich.

Der teilweise oder vollständige Abdruck von Arbeiten aus der vorliegenden Publikation ist nur mit Bewilligung der HerausgeberInnen nach Genehmigung der AutorInnen gestattet.

ISBN 3-900388-56-3 Medieninhaber: Archiv der Stadt Linz, Hauptstraße 1–5, 4041 Linz Hersteller: Trauner Druck, Linz INHALT

Autorinnen und Autoren ...... 7

Vorwort des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz ...... 19

Vorwort des Kulturreferenten der Landeshauptstadt Linz ...... 21

Vorwort von Herausgeberin und Herausgebern ...... 23

A RCHIVTHEORIE UND A RCHIVMANAGEMENT

Erich Wolny: Zeitgemäße Leitung des Stadtarchivs – verlangt sie eine neue Sicht der Funktion? ...... 29

Wilhelm Rausch: „Vor fünfzig Jahren“ ...... 33

LorenzMikoletzky: Wozu ein Archiv? ...... 47

Peter Csendes: Metaphern für Archive – das Archiv als Metapher? ...... 49

Walter Schuster: Zur Strategie für Archive ...... 57

Ferdinand Opll: Öffentlichkeitsarbeit in Kommunalarchiven Überlegungen am Beispiel des Wiener Stadt- und Landesarchivs ...... 73

Lukas Morscher: Zukunft der Archive – Archive der Zukunft Vorschläge für ein zukünftiges Marketing von Archiven ...... 95

Gerhart Marckhgott: Paradigmenwechsel Das Oberösterreichische Landesarchiv vor der „digitalen Revolution“ . . . 109 8

Josef Riegler: Digitalisierung mittelalterlicher Urkunden – Aspekte der Medienkonvertierung im Steiermärkischen Landesarchiv ...... 119

Maximilian Schimböck: Kommunalarchive als Dienstleistungsbetriebe Das Beispiel Linz ...... 133

Werner Matt: „Linz als das pulsierende Herz der Kommunalarchivare“ Fritz Mayrhofer und der Arbeitskreis der Kommunalarchivare Österreichs...... 141

Siegfried Haider: Das Oberösterreichische Archivgesetz in seinen Auswirkungen auf die Gemeinden...... 147

Thomas Klagian: Die Abenteuer eines jungen Archivars in Bregenz ...... 159

Hans Eugen Specker: Arbeitsgemeinschaften zum Erfahrungsaustausch und als Interessenvertretung von Kommunalarchiven in Deutschland ...... 165

Josef Nössing: Gemeindearchive in Südtirol Zur Geschichte der Gemeindearchive in Südtirol sowie deren Erhaltung und Pflege ...... 173

(STADT) GESCHICHTSFORSCHUNG – T HEORIE UND P R OJEKTE

Wilfried Ehbrecht: 30 Jahre Westfälischer Städteatlas Ein regionaler historischer Städteatlas im Kontext europäischer Forschung ...... 183

Gabriella Hauch: „Zukunft heißt erinnern“ Zur Genese der historischen Frauenforschung im gesellschaftlichen und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext ...... 205 9

Peter Johanek: Stadt und Zisterzienserinnenkonvent Ausblick auf ein Forschungsprogramm ...... 217

Anton Eggendorfer: Fünf Jahre Projekt „Netzwerk Geschichte“ in Niederösterreich Eine Bestandsaufnahme ...... 231

Georg Heilingsetzer: Alfred Hoffmann und die Stadtgeschichte Bemerkungen anlässlich des 100. Geburtstages des Archivars, Historikers und Lehrers ...... 241

Helmut Konrad: Universitäten in Bewegung: Zur Dynamisierung des Bildungssystems . . 253

Q UELLEN

Walter Aspernig: Grundlagenforschung und Stadtgeschichte in Oberösterreich: Anmerkungen zur Edition der „Quellen zur Geschichte von Wels“ . . . . . 265

Leopold Auer: Materialien zur Linzer Stadtgeschichte im Haus-, Hof- und Staatsarchiv . . 273

Fritz Koller: Die „Linzer Akten“ im Salzburger Landesarchiv ...... 279

Johannes Seidl: Von der Immatrikulation zur Promotion Ausgewählte Quellen des 19. und 20. Jahrhunderts zur biographischen Erforschung von Studierenden der Philosophischen Fakultät aus den Beständen des Archivs der Universität Wien ...... 289

Brigitte Kepplinger: Fürsorgeakten als historische Quelle Die Betreuungsakten des Linzer Jugendamtes (1918–1950) ...... 303 10

L INZER S TADTGESCHICHTE

Erwin M. Ruprechtsberger – Otto H. Urban: Eine bronzene Schwertklinge vom Luftenberg – Zur Spätbronzezeit im Linzer Raum ...... 313

Willibald Katzinger: Linz ohne Phantomzeit ...... 327

Anneliese Schweiger: Weinbau im alten Linz ...... 341

GeorgWacha: Albrecht Dürer in Linz ...... 349

Herta Hageneder: Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation in Linz ...... 355 Rainer F. Schraml: Bernhard Weidner (1640–1709) Ein Linzer Schusterssohn als Abt des Zisterzienserstiftes Wilhering in Oberösterreich ...... 359 Alfred Ogris: Die Linzer Wollzeugfabrik und die Orientalische Kompanie: Reaktionen in Kärnten (1725/26) auf eine Privilegierung ...... 375 Gerhard Winkler: Johann Puchner und seine Weltsprache Nuove-Roman ...... 387 Wieland Mittmannsgruber: Bürger der Stadt Linz Erwerb, Inhalt und Verlust des Gemeindebürgerrechts im 19. und 20. Jahrhundert ...... 395 Monika Würthinger: Gruß aus Linz Correspondenzkarten dokumentieren Bau des Neuen Domes ...... 411 Rudolf Zinnhobler: Franz Sales Maria Doppelbauer Korrekturen zu einem Bischofsbild ...... 427 Emil Puffer: Hans Rösler – der letzte Stadtamtsleiter von Urfahr ...... 441 11

Oskar Dohle: Geld für den Krieg Die Kriegsanleihe-Zeichnungen der Städte Linz und Urfahr im Ersten Weltkrieg ...... 457 Andrea Kammerhofer: „Lebende Bilder“ in Linz ...... 475 Harry Slapnicka: Knapp über der Wahrnehmungsgrenze Oberösterreichs der DNSAP fast so bedeutungslos wie die Partei selbst – weit über Hitlers Machtübernahme vom Jahre 1926 hinaus ...... 491 Kurt Tweraser: Wirtschaftspolitik zwischen „Führerstaat“ und „Gaupartikularismus“ Eigruber und Hinterleitner: Der „Gaufürst“ und sein Wirtschaftsberater . . 499 Birgit Kirchmayr: Der Briefwechsel August Zöhrer – Elise Posse im Archiv der Stadt Linz Eine „Fußnote“ zur Geschichte des „Linzer Führermuseums“ ...... 515 Hermann Rafetseder: Das „KZ der Linzer Gestapo“ Neue Quellen im Rahmen des Österreichischen Versöhnungsfonds zum „Arbeitserziehungslager“ Schörgenhub ...... 523 Michael John: Maghrebinien in Linz Beobachtungen über eine verborgene Seite der Stadt ...... 541 Winfried R. Garscha – Claudia Kuretsidis-Haider: „Traurige Helden der Inneren Front“ Die Linzer Tagespresse und die Anfänge der gerichtlichen Ahndung von NS-Verbrechen in Oberösterreich 1945/46 ...... 561 Helmut Fiereder: Die Wiederbegründung der jüdischen Gemeinde von Linz 1945–1948 . . 583 Johannes Ebner: Im Boot des Bischofs Franz S. Zauner „Porträts“ der Bistumsleitung ...... 595 Siegbert Janko: Linz – Von der Stahlstadt zur Kulturstadt ...... 607 12

A LLGEMEINE G ESCHICHTE UND S TADTGESCHICHTE

Karl Vocelka: Vom himmlischen Jerusalem bis Brasilia Zur utopischen Stadt in der Geschichte der Menschheit ...... 625

Herwig Wolfram: Die Stadt der Frauen ...... 635

GeorgScheibelreiter: Der König verlässt die Stadt Überlegungen zur räumlichen Veränderung der Herrschaft im 7. und 8. Jahrhundert ...... 641

Walter Brunner: Neues und Interessantes zur Frühgeschichte der Stadt Graz ...... 657

Alois Niederstätter: Die Städte der Grafen von Montfort und von Werdenberg Ein strukturgeschichtlicher Vergleich ...... 677

Hannes Obermair: Vormoderne Übergangsregion? Die Städtelandschaft im Raum Trient-Bozen im Hoch- und Spätmittelalter ...... 697

Susanne Claudine Pils: Wem gehört die Stadt? Von der Nutzung des städtischen Raums ...... 711

HeinrichKoller: Stadt und Staat Das Hauptstadtproblem unter Kaiser Friedrich III...... 719

Rudolf Kropf: Die spätmittelalterliche Gründung einer Kleinstadt im westungarisch- österreichischen Grenzraum (Stadtschlaining) ...... 739

Roman Sandgruber: Die Grenzen der Stadt ...... 749

Kurt Mühlberger: Bemerkungen zum Wiener Poetenkolleg ...... 763 13

Franz-Heinz Hye: Ein unbekanntes, spätes Dokument – vom 11. Juni 1646 – zur Geschichte des Bauernaufstandes des Stefan Fadinger von 1626 ...... 779

Helmut Kretschmer: Zur Geschichte des Wiener Mozart-Denkmals ...... 785

Johann Seedoch: Eingemeindungen im Stadtgebiet von Eisenstadt ...... 797

Helmut Lackner: Ein „blutiges Geschäft“ – Zur Geschichte kommunaler Vieh- und Schlachthöfe Ein Beitrag zur historischen Städtetechnik am Beispiel Österreich . . . . . 805

Wolfgang Maderthaner: Pathologie der Großstadt – Geschichten um den Praterstern ...... 829

Evan Burr Bukey: Ein bitterer Triumph: Die Kampfmoral der deutschen Zivilbevölkerung 1941 ...... 839

Wolfgang Weber: Gibraltar liegt in Jamaika Zur Geschichte des Internierungslagers Gibraltar in Kingston 1940–1948 ...... 863

Wolfgang Neugebauer – Herwig Czech: Medizin und Gedächtnis Zum Umgang mit den NS-Medizinverbrechen in Österreich nach 1945 . . 873

Publikationen von Fritz Mayrhofer ...... 885

Verwendete Abkürzungen und Siglen ...... 891 499

KURT TWERASER

WIRTSCHAFTSPOLITIK ZWISCHEN „FÜHRERSTAAT“ UND „GAUPARTIKULARISMUS“

Eigruber und Hinterleitner: Der „Gaufürst“ und sein Wirtschaftsberater

Die zentrale Fragestellung des Aufsatzes ist ob und inwieweit Gauleiter Eigruber und sein Gauwirtschaftsberater sich als Vertreter „ihres“ Gaues verstan- den und ob sie deshalb als Teil einer oberösterreichischen Regionalkultur gelten können. Wirkten regionale Traditionen mäßigend auf den Nationalsozialismus ein und begrenzten seinen Totalitätsanspruch? Oder konnte der Nationalsozialismus solche Traditionen für die eigenen Mobilisierungszwecke instrumentalisieren? Mit dem „“ begann ein regionalpolitischer und rüstungswirtschaft- licher Prozess, bei dem neue Regionalstrukturen und wirtschaftliche Steue- rungsmechanismen die herkömmlichen überlagerten. Sie glichen sich mit der Kriegswirtschaftsverwaltung zunehmend, mit dem totalen Krieg von 1943 fast vollständig den NS-Gauen an. Ein engmaschiges Netz von Mittelinstanzen wurde geknüpft, beginnend mit der Vierjahresplan-Periode unter Göring, intensi- viert in der Zeit totaler Kriegswirtschafts- und Arbeitseinsatzpolitik von Speer als Rüstungsminister und Sauckel als Generalbevollmächtigter für den Arbeits- einsatz. Dieser Prozess hatte eine erhebliche Stärkung der regionalen Machtstel- lung der Gauleiter zur Folge. Waren zu Beginn des Krieges die Wirtschafts- und Ver teidigungsbezirke großräumig und gauübergeordnet, wurden mit der „Ver- ordnung über Reichskommissare und die Vereinheitlichung der Wirtschaftsver- waltung“ vom 16. November 1942 die Reichsverteidigungsbezirke den Gauen angepasst. Gleichzeitig wurde die Reform des wirtschaftlichen Kammersystems in Angriff genommen, kulminierend in der Etablierung der Gauwirtschaftskam- mern. Vor dem Hintergrund der drohenden militärischen Krise erfolgte ein Pro- zess der Machtkonzentration, der sich sowohl in der weiteren Verschmelzung von staatlichen und Parteifunktionen als auch in einer komplizierten Verflech- tung innenpolitischer und wirtschaftspolitischer Funktionen, vor allem auf - ebene äußerte.1

1 Michael Ruck, Zentralismus und Regionalgewalten im Herrschaftsgefüge des NS-Staates. In: Natio- nalsozialismus in der Region. Beiträge zur regionalen und lokalen Forschung und zum internationa- 500 Kurt Tweraser

Zu obigen allgemeinen Konzentrationserscheinungen auf Gauebene kam seit 1940 noch eine Sonderentwicklung in der „Ostmark“ mit der Vereinigung von Gauleiter und in Personalunion. Mit dem „Ostmarkgesetz“ vom 14. April 1939 wurde „Oberdonau“ ein Gau neuartiger Prägung, der in Durch- dringung von Partei und Staat sowohl staatlicher Verwaltungsbezirk als auch Selbstverwaltungskörperschaft und Parteigau war. Diese Funktionen kulminier- ten in der Person des und , der über diese Bereiche mit Befehlsgewalt ausgestattet war, die im Grunde auf den von den Gauleitern eifersüchtig behüteten unmittelbaren Zugang zu Hitler beruhte.2 Ähnlich wie Hitler das monokratische Zentrum im polykratischen Gesamtherrschaftsgefüge darstellte, waren es in der Mittelinstanz die multifunktionellen Gauleiter und Reichsstatthalter, die sich zur monokratischen Klammer über die anderen Herrschaftsträger aufschwangen.3 Der staatlich-institutionelle Charakter des NS- Regimes wurde besonders mit Kriegsbeginn immer mehr ein atavistischer per- soneller Herrschaftsverband, in dessen Zentrum Hitler stand und dessen aus- führende Organe die „Gaufürsten“ waren. Entscheidende Bedeutung gewannen der direkte Zugang zum „Führer“ und der in Führererlässen und Führerverord- nungen, aber auch in mündlichen Weisungen ausgedrückte Wille Hitlers. Um sich in diesem hitlerzentrierten Machtgefüge durchzusetzen, bedurfte es „Va- sallen“, die sich ähnlich wie Hitler durch die Fähigkeit zu flexiblem Taktieren, durch instinktsichere Reaktionen, aber vor allem durch einen unwiderstehlichen Durchsetzungswillen auszeichneten.4 Dass damit auch erstaunlicher wirtschaftli- cher und administrativer Dilettantismus und in den letzten Kriegsjahren auch eine stupende Realitätsverweigerung einhergingen, trug paradoxerweise zu ihrem Durchschlagsvermögen bei, da ja gerade Realitätssinn, Sachkenntnis und Verwaltungskompetenz einem Durchhaltewillen bis „fünf Minuten nach zwölf“ eher hinderlich gewesen wäre. In dieser Hinsicht unterschieden sich die Gauleiter wenig von ihrem Herrn und Meister.5 Im Gau Oberdonau fand Hitler in August Eigruber einen Politiker, der seinen Vorstellungen von Durchschlagskraft entsprach. Eigruber wurde am 16. April

len Vergleich. Hrsg. von Horst Möller u. a. (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Sondernummer). München 1996, 99–122; Kurt Düwell, Gauleiter und Kreisleiter als regionale Gewalten der NS-Staates. In: Ebenda, 161–174. 2 Peter Hüttenberger, Die Gauleiter. Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP, Stuttgart 1969, 144–145; Helmut Fiereder, Behörden des Reichsstatthalters in Oberdonau. In: Nationalsozia- lismus in Linz. Hrsg. von Fritz Mayrhofer und Walter Schuster. Bd. 1. Linz 2001, 137–196. 3 Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. 1890–1990. Österreichische Gesellschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts (Österreichische Geschichte). Wien 1994, 364. 4 Dieter Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verfassungspolitik 1939–1945. Stuttgart 1989, 250–251, 536. 5 Gerhard T. Mollin, Montankonzerne und „Drittes Reich“. Der Gegensatz zwischen Monopolindustrie und Befehlswirtschaft in der deutschen Rüstung und Expansion 1936–1944 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 78). Göttingen 1988, 59. Wirtschaftspolitik zwischen „Führerstaat“ und „Gaupartikularismus“ 501

1907 in geboren, besuchte nach der Volksschule die Bundeslehranstalt für Eisen- und Stahlbearbeitung und erlernte das Dreherhandwerk, arbeitete ansch- ließend als Vermessungsgehilfe, Feinmechaniker und Hilfsarbeiter in verschiede- nen Steyrer Firmen. Bereits als Fünfzehnjähriger stieß er zur NSDAP – 1927 erfolgte sein formeller Eintritt. Er machte rasch lokale und regionale Karriere. 1928 gründete er die Hitlerjugend in Oberösterreich, 1930 wurde er Gauführer der HJ, NSDAP-Führer des Bezirkes Steyr-Land und 1931 von Steyr-Stadt. Weitere Stationen in seinem Aufstieg waren Gaugeschäftsführer der bereits ver- botenen NSDAP (1935), Gauleiter im März 1936. 1935 demonstrierte Eigruber seine taktische Finesse, als er gute Beziehungen sowohl mit radikalen Elementen der NSDAP als auch mit „gemäßigten“ ehemaligen Großdeutschen, die bereits zum Nationalsozialismus übergelaufen waren, unterhielt.6 Eigruber hatte durch zahlreiche Verhaftungen und insgesamt 15 Monaten Aufenthalt in Gefängnissen und Anhaltelager die Bewährung als „Alter Kämpfer“ glänzend bestanden und sich für höhere Aufgaben empfohlen. Aus der Anonymität außerehelicher Geburt stammend, ohne jegliche höhere Bildung, als Arbeiter in größtmögliche Distanz zur etablierten Gesellschaft gezwungen, gab Eigruber sich bewusst als hemds- ärmeliger Arbeiterführer, der weit davon entfernt war, seine Herkunft aus dem Proletariat zu verleugnen. Hitler scheint von der anti-intellektuellen und auch anti-bürokratischen Geradlinigkeit Eigrubers so beeindruckt gewesen zu sein, dass er ihn, trotz Widerstands aus intellektuellen Kreisen der NSDAP, zum Gau- leiter ernannte und ihn im März 1940 auch zum Reichstatthalter des Reichsgaues Oberdonau bestellte. Da Eigruber wirtschaftlicher Sachverstand fehlte, bedurfte er gewiegter und verlässlicher wirtschaftlicher Ratgeber. Zu seinem engsten wirtschaftlichen Rat- geber stieg Oskar Hinterleitner auf, der als NS-Aktivist der Kampfzeit vor 1938 Eigrubers Vertrauen besaß. Hinterleitner wurde 1891 in Gmunden geboren. Nach acht Klassen Volksschule erlernte er das Hafnerhandwerk und besuchte sechs Semester einer Fachschule für Keramik. Nach einer Praxis im In- und Ausland wurde er Geschäftsführer der Ersten Linzer Tonöfenfabrik Schadler. Seine Teilhaberschaft an der Tonöfenfabrik verschaffte ihm eine tragfähige wirt- schaftliche Existenz. Als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg von 1915 bis 1918 im Inf. Regiment 84 wurde er mehrmals ausgezeichnet.7 Schon in den frühen Dreißigerjahren betätigte sich Hinterleitner für die NSDAP. Seit 1. Mai 1933 wurde er als Mitglied mit der Nummer 1,613.536 geführt.8 Ob er nach dem Verbot der NSDAP im Juni 1933 aus der Partei ausgetreten ist, lässt sich nicht

6 Walter Schuster, Deutschnational – Nationalsozialistisch – Entnazifiziert. Franz Langoth. Eine NS- Laufbahn. Linz 1999, 81–88, 97; Interrogation Report, August Eigruber, 14 November 1945. In: National Archives, RG 165, A C of S, G-2 Intelligence Division, Intg.Rept.-, Box 376. Schuster arbeitet derzeit an einer umfassenden Biographie Eigrubers. 7 Harry Slapnicka, Oberösterreich – als es „Oberdonau“ hieß (1938–1945). Linz 1978, 463. 8 AdR, Gauakt 301.153, Oskar Hinterleitner. 502 Kurt Tweraser eindeutig feststellen. Jedenfalls war er wieder Parteigenosse vom 13. März 1938 an. Was eindeutig feststeht, war seine illegale Tätigkeit für den Nationalsozialis- mus, insbesondere als Leiter der NS-Wirtschaftsorganisation Hago. In seiner politischen Beurteilung durch den Gaupersonalamtsleiter Mittermaier wird Hinterleitner als „Alter Kämpfer“ gepriesen. Er sei außerordentlich intelligent, zeige Einsatzbereitschaft, sei charakterlich in jeder Hinsicht in Ordnung und habe umfassende Kenntnisse auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens. Hinter- leitner zeichnete sich augenscheinlich durch eine in den Reihen mittlerer NS- Funktionäre nicht häufige Kombination von Qualitäten aus: Er war bedingungs- loser Nationalsozialist und von hoher Intelligenz und Sachkenntnis. Er war eifriger Mitarbeiter an den vom ehemaligen Vorsitzenden der Großdeutschen Partei Langoth lancierten Befriedungsaktionen. Wegen Geheimbündelei wurde Hinterleitner 1935 verhaftet, aber das Verfahren mangels an Beweisen einge- stellt. Eine weitere Verhaftung erfolgte 1936; nach einigen Monaten Untersu- chungshaft verlief auch diese Angelegenheit im Sande. Hinterleitner war auch Mitarbeiter im volkspolitischen Referat der Vaterländischen Front, Aktion Ing. Breitenthaler, wo er für den wirtschaftlichen Sektor der VF tätig wurde. Er ge- hörte demnach dem sogenannten „gemäßigten“ Flügel der NSDAP an, dessen Mitglieder sich in Oberösterreich um Langoth scharten.9 Nach dem „Anschluss“ blieb die Belohnung nicht aus. Er wurde sofort in die von Eigruber rasch aufgestellte Landesregierung berufen und übernahm das Gewerbereferat. In der 1939 etablierten Landeshauptmannschaft wurde Hinter- leitner als Landesrat mit der Abteilung IV: Landwirtschaft, Siedlung und Umlegung, Wirtschaft und Arbeit betraut. Bereits im August 1938 war er, nach Hinterleitner zu seiner eigenen Überraschung, von Eigruber zum Gauwirt- schaftsberater ernannt. Zugleich übernahm er bis 1944 die Funktion des Präsi- denten der Industrie- und Handelskammer und der Wirtschaftskammer. Als Gauamtsleiter hatte er den Dienstrang eines Oberbereichsleiters der NSDAP. Hinterleitner versäumte es auch nicht, schon im August 1938 der SS beizutreten, wo er es bis zum Ehrenrang eines Obersturmbannführers brachte. In der Indus- trie- und Handelskammer fand er alte Bekannte, da er bereits 1932 Kammerrat in dieser Organisation gewesen war. Hinterleitner war auch Leiter der Bezirksaus- gleichstelle für öffentliche Aufträge, ohne Zweifel eine Position, von der aus er enormen Einfluss auf Wirtschaftsangelegenheiten ausüben konnte. Als veritabler Multifunktionär war Hinterleitner zwischen 1938 und 1945 Verwaltungsaus- schuss- und Vorstandsmitglied der Allgemeinen Sparkasse Linz, Präsident des

9 Stefan Eminger und Karl Haas, Wirtschaftstreibende und Nationalsozialismus in Österreich. Die Nazifizierung von Handel, Gewerbe und Industrie in den 1930er Jahren. In: Zeitgeschichte 29 (2002) 153–175, bes. 154; Thomas Dostal, Das „braune Netzwerk“ in Linz. Die illegalen nationalsozialisti- schen Aktivitäten zwischen 1933 und 1938. In: Nationalsozialismus in Linz. Hrsg. von Fritz Mayrhofer und Walter Schuster. Bd. 1. Linz 2001, 21–136. Wirtschaftspolitik zwischen „Führerstaat“ und „Gaupartikularismus“ 503

Verwaltungsrates der Wolfsegg-Traunthaler Kohlenwerks AG, Mitglied des Direktionsrates der O.Ö. Landes-Brandschaden-Versicherungsanstalt, Vorsitzen- der des Aufsichtsrates der Steyrermühl-Papierfabrik, Mitglied des Aufsichtsrates der Zellwolle Lenzing AG, Vorsitzender des Aufsichtsrates der Papierfabrik Pötschmühle AG in Wettern bei Krumau. Er war auch verantwortlich für die Ge- schäfte der Handels- und Industriegesellschaft m. b. H. Linz, eine Firma, die eine Holding für „arisiertes“ Vermögen und praktisch eine Wirtschaftsoperation des Gaues war.10 Alles in allem ist Hinterleitner ein instruktives Beispiel für die enge Verflechtung von Staat, Privatwirtschaft und Partei, die bereits bei den politisch- ökonomischen Substrukturen begann. Von Anfang an, weder aus Machtinstinkt oder aus klarer Einsicht, erkannte Eigruber den Trend zur Anpassung mittlerer Verwaltungsstrukturen und regionaler Steuerungsmechanismen an die NS-Gaue und engagierte sich kräftig, diesen Trend im Gau Oberdonau voranzutreiben. Sein Ehrgeiz richtete sich zunächst darauf, die zersplitterten Regionalfunktionen, die ihren Sitz in Wien hatten, schritt- weise an seinen Gau anzupassen. So fand es Eigruber unhaltbar, dass das Wiener Bezirkswirtschaftsamt (ab 1941 Landeswirtschaftsamt) für die drei Donaugaue Wien, Niederdonau und Oberdonau zuständig war. Um den Wiener Zentralismus auf diesem Gebiet vollkommen auszuschalten, strebte Eigruber die Errichtung eines gaueigenen Landeswirtschaftsamtes an. In der Zwischenzeit wies er Wiener Verfügungen über Betriebsschließungen in seinem Gau zurück, da er diese Funk- tion als Statthalter für sich selbst beanspruchte. Wien wurde erst nachträglich über Eigrubers Entscheidungen informiert.11 Nach Eigrubers Meinung konnte nur ein gaueigenes Landeswirtschaftsamt die in der Kriegszeit nötige enge Verbindung von den Dienststellen der Partei, des Staates, der gewerblichen Wirtschaft und den Betrieben selbst gewährleisten. Das sich lange gegen Eigrubers Forderungen sträubende Reichswirtschaftsministerium, das ähnliche Forderungen von anderen Gauleitern befürchtete, erfüllte mit 3. Juli 1943 Eigrubers Wunsch und ordnete die Errichtung eines Landeswirtschaftsamtes in Linz an. Von Anfang an opponierte Eigruber auch gegen Versuche des ehrgeizigen Wiener Staatskommissärs für die Privatwirtschaft Raffelsberger, Vertrauensmänner der NSDAP in die Geschäftslei- tungen der Industriebetriebe zu installieren. Eigrubers Opposition beruhte im Prinzip nicht gegen eine derartige Praxis; er wollte sich aber in der Platzierung seiner eigenen Vertrauensleute von Wien nicht bevormunden lassen. Eigruber war also von Anfang an ein Vertreter von Anti-Wien-Affekten und eines NS-Provinzia- lismus, den nicht nur Nationalsozialisten attraktiv fanden.12

10 Special Cases of CI Interest: Hinterleitner, Oskar and Stadlbauer, Franz. Weekly Intelligence Summary No. 5, 7 July 1945. NA, RG 407, 65th Inf. Div. 11 Abschrift Fernschreiben, Betriebsstillegungen, 24. Februar 1943. OÖLA, LWA, C 54, Sch 20. 12 Ernst Hanisch, Peripherie und Zentrum. Die Entprovinzialisierung während der NS-Herrschaft in Österreich. In: Nationalsozialismus in der Region (wie Anm. 1), 329–334. 504 Kurt Tweraser

Als mit Beginn des Krieges Hitler die Schaffung des Amtes des Reichsvertei- digungskommissars (RVK) anordnete, die Reichsverteidigungsbezirke aber zunächst den gauübergreifenden Wehrkreisen angepasst wurden, waren einige Gauleiter von diesem Amt ausgeschlossen.13 Für den Wehrkreis XVII, der den Gau Oberdonau einschloss, wurde der Gauleiter von Wien zum RVK ernannt, eine Maßnahme, die Eigrubers Absicht, die Partikularherrschaft in seinem Gau zu fördern, entgegengesetzt war. Er schloss sich daher den Protesten anderer benachteiligter Gauleiter an. Erst der Übergang zur totalen Kriegswirtschaft, die eine Auflösung der Diskrepanzen zwischen der immer wieder beschworenen Parole der Verwaltungsvereinfachung und der notwendig gewordenen Konzen- tration auf kriegswichtige Aufgaben ratsam machte, veranlasste die NS-Führung, alle Kräfte der Partei und des Staates in der Mittelinstanz zu forcieren.14 Mit der „Verordnung über die Reichsverteidigungskommissare und die Vereinheitli- chung der Wirtschaftsverwaltung“ vom 16. November 1942 wurde der Grund- satz der Parteigaulösung auch für die Reichsverteidigungsbezirke eingeführt. Alle Gauleiter wurden automatisch RVK. Für Eigruber und die anderen Gau- leiter war dies ein willkommener Machtzuwachs, den sie prompt gegen Versuche der obersten Reichsbehörden benutzten, die Macht der Gauleiter einzudämmen. Begünstigt wurde die Machtstellung der Gauleiter auch dadurch, dass im Zuge der totalen Kriegsführung so gut wie alle Lebensbereiche unter dem Begriff der Reichsverteidigung subsumiert werden konnten, wie etwa die Durchführung des Arbeitseinsatzes, die Vorbereitung und Durchführung des Luftschutzes und die Aufnahme von Evakuierten. Der Prozess der expandierenden Kompetenzen der Gauleiter als RVK wurden besonders deutlich bei den UK-Stellungen und der Erfassung von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung, sowie bei der Bestimmung kriegswichtiger Produktionen und der Stilllegung und Auskämmung von Betrieben. Die Eindeutigkeit der Kompetenzen zwischen Organen des Staates und der Partei ging verloren. Funktionäre der Partei usur- pierten öffentliche Ämter, während sich der RVK mehr und mehr gegenüber den Institutionen und Normen des Staates und den Direktiven der Reichsressorts verselbständigte. Die RVK waren in den letzten Monaten des NS-Regimes die eigentlichen „Führer“ in ihren Gauen.15 Eigruber gelang es wie den anderen „starken“ Gauleitern als „Mehrer des Gaues“ Kompetenzkonflikte für machtpolitische Ambitionen zu nützen. Dazu gehörte sein Ehrgeiz, eine wirtschaftliche Hausmacht aufzubauen. Geeignete Objekte dafür fand er in den „Arisierungen“, der Konfiskation von Kirchengü-

13 Hüttenberger, Gauleiter (wie Anm. 2), 155. 14 Karl Teppe, Der Reichsverteidigungskommissar. Organisation und Praxis in Westfalen. In: Verwal- tung contra Menschenführung im Staate Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System. Hrsg. von Dieter Rebentisch und Karl Teppe. Göttingen 1986, 278–301. 15 Teppe, Reichsverteidigungskommissar (wie Anm. 14), 290–301. Wirtschaftspolitik zwischen „Führerstaat“ und „Gaupartikularismus“ 505 tern und Gütern anderer Regimegegner.16 Bei der „Entjudung“ der mittelständi- schen Wirtschaft war die Mitarbeit der Gauwirtschaftsberater gegeben.17 Theo- retisch konnte der GWB keine rechtswirksamen Entscheidungen in der Ver- treibung der Juden aus dem Wirtschaftsleben treffen; diese standen den Dienststellen des Staates zu. Es war aber eine Eigentümlichkeit des NS-Systems, durch Trennung von Staat und Partei im „Arisierungsprozeß“ den Schein der Rechtmäßigkeit zu wahren, aber durch Personalunion die Durchführung der „Arisierung“ zu sichern. So war z. B. die für „Arisierungen“ zuständige Vermö- gensverkehrsstelle des Gaues Oberdonau – theoretisch der Kontrollbank in Wien unterstellt – personell identisch mit dem Gauwirtschaftsamt. Weiters war die Landeshauptmannschaft durch die treuhändige Verwaltung beschlagnahmten Eigentums erfolgreich in der Vertretung regionaler NS-Interessen, wobei wie- derum die Personalunion zwischen GWB und dem Leiter der für „Arisierungen“ zuständigen Abteilung IV der Landeshauptmannschaft auffällt.18 Eigruber und sein Wirtschaftsberater waren in den „Arisierungskonflikten“ zwischen regiona- len und übergeordneten Behörden nicht immer erfolgreich; in manchen Fällen gelang es den Reichsfinanzbehörden, Eigrubers „Arisierungsappetit“ zu zügeln. Doch fiel mit dem Warenhaus Kraus & Schober ein fetter Happen in die Hände von Eigruber und Hinterleitner. In die „Arisierung“ des Warenhauses wurde die Handels- und Industriegesellschaft eingeschaltet, die unter der Leitung von Hinterleitner die Firma zum Schleuderpreis von 350.000 Mark erwarb, zahlbar an die Gauleitung.19 Ein besonders instruktives Beispiel für Eigrubers Durchschlagskraft gegenüber den Reichsbehörden, für seine Brutalität gegenüber politischen Gegnern und der Verschränkung persönlicher, politischer und wirtschaftlicher Faktoren bietet die Fusion der Steyrermühl Papierfabrik mit der „arisierten“ Papierfabrik Pötschmühle AG im Kreis Krumau. Während Hinterleitner als Verhandlungsleiter für den Gau die Besitzer so weit einschüchterte, dass sie ihre

16 Michael John, „Bereits heute schon ganz judenfrei…“ Die jüdische Bevölkerung von Linz und der Nationalsozialismus. In: Nationalsozialismus in Linz. Hrsg. von Fritz Mayrhofer und Walter Schuster. Bd. 2. Linz 2001, 1311–1406; Fiereder, Behörden des Reichsstatthalters (wie Anm. 2), 21–22, 41; Michael John, Albert Lichtblau und Gerhard Baumgartner, Forschungsbericht „Arisierun- gen“, beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen. Bundesländervergleich Burgenland, Oberösterreich, Salzburg. Wien 2002, darin insbes. Daniela Ellmauer, Regina Thumser: Oberösterreich. 17 Gerhard Kratzsch, Der Gauwirtschaftsberater im Gau Westfalen-Süd. In: Verwaltung contra Menschenführung (wie Anm. 14), 173–207. 18 Michael John, Modell Oberdonau? Zur wirtschaftlichen Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung in Oberösterreich. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 3 (1992), 208–234, hier 223; Ellmauer/Thumser, Oberösterreich (wie Anm. 16), 48–55; John/Lichtblau/Baumgartner, „Arisierungen“ (wie Anm. 16), 58–60, 63, 66–70, 84–87. 19 Aussage Stefan Berghammer, Direktor der HIG. In: Weekly Intelligence Summary No. 4, 26 June 1945: In: NA, RG 407, 65th Inf. Div.; Ellmauer/Thumser, Oberoesterreich (wie Anm. 16), 122–126. 506 Kurt Tweraser

Aktien an die Wolfsegg-Traunthaler – praktisch unter Kontrolle des Gaues – unter dem Marktwert verkauften, verhandelte Eigruber erfolgreich mit den zuständigen Reichsressorts.20 Das Beispiel der „Arisierung“ der Pötschmühle demonstriert, dass Eigruber Südböhmen als Objekt eines „internen Kolonialis- mus“ betrachtete, dessen Ausplünderung der Hausmacht des Gaues Oberdonau diente. Instrument des Gauleiters und seiner skrupellosen Bereicherungssucht war der Gauwirtschaftsapparat mit Gauwirtschaftsberater Hinterleitner an der Spitze, der in seiner Position als Manager und Aufsichtsratsvorsitzender verschiedener dem Gau nahestehender Unternehmen die Ausplünderung der kolonialen Region durchführte. Was dabei ins Auge springt ist, wieviel Zeit und Mühe von den NS-Behörden und den „Arisierungsnutznießern“ aufgewendet wurden, um die „Arisierungen“ und die Enteignungen politischer Gegner als Ausführung gesetzmäßiger Anordnungen darzustellen. Korrektheit, Ordnung und formale Legalität waren gepaart mit Missachtung moralischer Werte. Nach dem Ende der NS-Herrschaft, als einzelne Ariseure zur Verantwortung gezogen wurden, wunderten sie sich über ihre Internierung in Anhaltelagern, wo sie doch nur strikt „legal“ gehandelt hatten.21 Außerordentlich erfolgreich war Eigruber bei der Konfiskation kirchlicher Güter zugunsten des Gaues. Als das Reichsfinanzministerium seine Ansprüche geltend machte, erhoben die Reichsstatthalter Schirach, Jury und Eigruber anläs- slich eines Besuches Hitlers in Wien am 1. März 1941 bewegte Klage über die zentralistische Politik der Berliner Ministerien. Sie kritisierten vor allem den Reichsfinanzminister und seine Ministerialbürokratie, weil sie beschlagnahmten Besitz von Kirchen und anderen Staatsfeinden den Reichsgauen vorenthielten und als Reichsbesitz reklamierten. Hitler, dessen Animosität gegen die Berliner Ministerialbürokratie kaum Grenzen kannte, befahl, dass die Reichsstatthalter einen angemessenen Etat zu bekommen hätten, über den sie selbständig ver- fügen konnten.22 Hitlers Anweisung gab den Gauleitern einen entscheidenden Vor teil in ihren Anstrengungen, die Berliner Ministerialbürokratie daran zu hindern, einen regulären Instanzenzug aufrecht zu erhalten. Die Invokation der Selbstverwaltung auf Gauebene diente somit als Kampfmittel gegen den Berliner

20 Report on German External Assets in Austria. Steyrermühl Papierfabriksgesellschaft; Papierfabrik Pötschmühle, 15 May 1947. In: NA, RG 260, German External Assets, Box 29; Aktenkonvolut des Landesgerichtes Linz (Volksgericht), OÖLA, Vg Vr 1946, Zahl 2770/46. 21 Michael John, Südböhmen, Oberösterreich und das Dritte Reich. Der Raum Krumau-Kaplitz als Beispiel von internem Kolonialismus. In: Kontakte und Konflikte. Böhmen, Mähren und Österreich: Aspekte eines Jahrtausends gemeinsamer Geschichte. Hrsg. von Thomas Winkelbauer (Schriften- reihe des Waldviertler Heimatbundes 36). Horn-Waidhofen an der Thaya 1993, 447–469; für Details zur „Arisierung“ der Pötschmühle Tweraser, Eigruber und sein Wirtschaftsberater, unveröffentlichtes Manuskript. 22 Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung (wie Anm. 4), 259; Radomír Luzˇa, Austro-German Relations in the Anschluss Era. Princeton 1975, 190. Wirtschaftspolitik zwischen „Führerstaat“ und „Gaupartikularismus“ 507

Zentralismus. Die größten Einkünfte aus Fremdbesitz fielen dem Gau Ober- donau und damit Eigruber nicht aus den „Arisierungen“ und der Beschlagnahme von Kirchengütern zu, sondern aus der Beschlagnahme der Besitzungen des Hauses Schwarzenberg in der ehemaligen Tschechoslowakei, ein Vermögen, das sich den großen „arisierten“ Besitzen eines Petschek oder Rothschild annäherte. Hitler verfügte, den Schwarzenberg’schen Besitz Eigruber zur persönlichen Verwaltung und Nutzung zu übergeben. Die Verfügung blieb bis zum Ende des NS-Regimes in Geltung.23 Im Bestreben, seine Hausmacht auszuweiten, hatte Eigruber auch sofort die Bedeutung der Energieversorgung erkannt. Die Parole der Rationalisierung für den totalen Krieg diente dazu, eine Konzentration der Betriebe auf dem Energie- sektor voranzutreiben. Nach der festen Überzeugung des Gauleiters müsse die gesamte Lenkung der Elektrizitätswirtschaft im Gau Oberdonau in einer ein- zigen Hand sein. Dies könne nur die Kraftwerke Oberdonau AG selbst sein.24 Er, Eigruber, werde seinen diesbezüglichen Standpunkt nicht ändern, da er über- zeugt sei, dass nur die von ihm geplante einheitliche Lenkung der Elektrowirt- schaft die unbedingt notwendigen Erfolge auf allen Linien bringen könne. Dabei ging es dem Gauleiter gar nicht mehr um die Beherrschung der KOA – dort saßen bereits fügsame Gefolgsleute des Gauleiters. Es ging um das Ennskraft- werk Ternberg, das von den Göring-Werken erbaut wurde und das der Gauleiter für sich beanspruchte. Den überraschten Direktoren der Göring-Werke teilte Eigruber mit, dass er bereits von Generaldirektor Pleiger in Berlin die Zustim- mung zur „Vergaulichung“ des Ennskraftwerkes erwirkt und auch beim Rüs- tungsminister Speer Verständnis gefunden habe. Der Versuch Eigrubers, das Ennskraftwerk Ternberg in die Einflusssphäre des Gaues zu bringen, war Teil seines Strebens, einen dominierenden Einfluss in den Reichswerken Hermann Göring Linz auszuüben. Allerdings gelang es Eigruber nicht, die Firmenleitung der Göring-Werke in Linz zu entmachten und die Verfügungsgewalt über das Unternehmen zu erlangen. Eigrubers Wunsch, Generaldirektor Malzacher als Ver treter steiermärkischer Interessen aus Linz zu entfernen, wurde von Göring nach einigem Zögern gewährt. Eigruber war jedoch Pragmatiker genug, um die Risiken allzu forschen Auftretens zu kalkulieren und sich durch seine Allianz mit Reichswerkechef Pleiger zu decken.25

23 Helmut Fiereder, Schwarzenbergische Güter in der Zeit der NS-Gewaltherrschaft. In: Oberösterrei- chische Heimatblätter 54 (2000), 45–54. 24 AStL, Koref-Akten, 24a, Aktennotiz, Besprechung bei Gauleiter und Reichsstatthalter, 14. August 1942. 25 Zur Eigruber-Pleiger-Allianz gegen Malzacher Kurt Tweraser, Die Linzer Wirtschaft im Nationalso- zialismus. Anmerkungen zur strukturellen Transformation („Modernisierung“) und zum NS-Kri- senmanagement. In: Nationalsozialismus in Linz. Hrsg. von Fritz Mayrhofer und Walter Schuster. Linz 2001, 387–555, hier 416–420; Helmut Fiereder, Reichswerke „Hermann Göring“ in Österreich (1938–1945). Wien-Salzburg 1983. 508 Kurt Tweraser

Da Eigruber zumindest ein Rückspracherecht in seiner Eigenschaft als RVK auch in Rüstungsangelegenheiten beanspruchte, waren Zusammenstöße mit Rüstungsminister Speer unvermeidlich. Während die Gauleiter vorrangig an der Wahrung der innenpolitischen Stabilität interessiert waren, ging es Speer um die Konzentration aller Kräfte auf die Rüstung. Es war ein Kurs, der mit einer rigorosen Dienstverpflichtung von Arbeitskräften, mit der Auskämmung und Schließung von nichtrüstungswirtschaftlichen Betrieben und mit einer weiteren Reduzierung des zivilen Konsums und Bauwesens verbunden war.26 Da Hitler, wie üblich, die Gauleiter unterstützte, musste auch Speer die realen politischen Machtverhältnisse im NS-Regime anerkennen, nämlich, dass Sachentscheidun- gen nur dann mit Aussicht auf Erfolg verwirklicht werden konnten, wenn sie die politischen und persönlichen Besitzstände der Gauleiter nicht schmälerten. Zu dieser Realität gehörte eben auch, dass sich Gauleiter wie Eigruber zu einem Sammelpunkt regionaler klein- und mittelbetrieblicher Interessen gemausert hatten, die sie zum Widerpart der von Speer und den Rüstungsinteressen bevor- zugten Großindustrien werden ließen. Weitere Machtgewinne erwuchsen den Gauleitern auf dem Gebiete des sozialen Wohnungsbaues mit ihrer Ernennung zu Gauwohnungskommissaren, ein weiteres Beispiel für die Verquickung von staatlichem und Parteisektor. Ein tatkräftiger Gauleiter wie Eigruber konnte diese Konstellation zur Erhöhung seiner Hausmacht benützen, wie die verblüfften Direktoren der Göring-Werke Linz zu ihrem Leidwesen erfahren mussten, als sie dem Gauleiter ihre Pläne für die Wahl der Wohnungsgebiete im Rahmen der weiteren Ausbauetappen der Werke vorlegten. Er gab ihnen zu verstehen, dass er ihre Pläne nicht billige und er seinen Gauwirtschaftsberater Hinterleitner die Planungsvollmacht erteilt habe.27 Noch bedeutender für den Machtzuwachs der Gauleiter war ihre Einschaltung auf dem Gebiete des Arbeitseinsatzes. Im April 1942 ernannte Sauckel, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, die Gauleiter zu seinen Bevollmächtigten in den Gaugebieten.28 Hand in Hand mit der Machterweiterung des Gauleiters wuchsen auch dem Gauwirtschaftsberater Funktionen zu. So wurde mit Fortschreiten des Krieges GWB und Gauwirtschaftsamt bei der Bereitstellung von einheimischen Arbeits- kräften für die Kriegswirtschaft tätig. Nun sollte der sich erhöhende Einfluss der GWB nicht überraschen. Er war Teil der Bemühungen der Parteileitung, sowohl auf gesamtstaatlicher als auch auf regionaler Ebene, die Machtbefugnisse der Partei gegenüber dem Staat zu steigern. In logischer Folge dieser Ambitionen

26 Dietrich Eichholtz, Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft. 1941–1943. Bd. 2. Berlin 1985, 112–113, 175. 27 AStL, Koref-Akten, 24 a, Aktennotiz, Besprechung Gauleiter mit Direktoren der Göring-Werke, 14. August 1942. 28 Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung (wie Anm. 4), 359. Wirtschaftspolitik zwischen „Führerstaat“ und „Gaupartikularismus“ 509

übertrug die Parteileitung – besonders seit sie 1941 unter der Leitung Bormanns stand – dem wirtschaftlichen Parteiapparat erhöhte Funktionen, sei es bei der Abwicklung der Berufswettkämpfe, der Mitwirkung an Stilllegungen und Auskämmungen, der Steigerung der Leistung der Kriegswirtschaft durch Mobi- lisierung einheimischer Arbeitskräfte. Der dem NS-Machtgefüge inhärente Poly- kratismus tat ein Übriges, denn in Gauleitung, Partei, öffentlicher Verwaltung und in verschiedenen Wirtschaftsorganisationen waren die Ämter bestrebt, den zugewiesenen oder arrogierten Aufgabenbereich zu behaupten und auszudehnen. Die dem GWB und dem Gauwirtschaftsapparat zuwachsenden Funktionen werteten deren Position in der Gauleitung auf, da Eigruber, augenscheinlich in realistischer Einsicht in seine defizitären wirtschaftlichen Detailkenntnisse nicht sein eigener Wirtschaftsberater sein wollte. Diese günstige Konstellation er- laubte es Hinterleitner, seine Stellung in der Gauwirtschaft beinahe unangreifbar zu machen. Der GWB erlangte praktisch, wenn auch nicht formal, eine Füh- rungsstellung in allen wirtschaftlichen Detailfragen sowohl im technischen als auch im sozialwirtschaftlichen Bereich. Allerdings konnte diese Führungsrolle nicht die durch den Krieg begünstigte Stellung der Großbetriebe gegenüber den Klein- und Mittelindustrien verändern. Eine ähnliche Entwicklung von eher zögerlichen Ansätzen einer Straffung der Organisation der gewerblichen Wirtschaft zu einer unbedingten Durchsetzung des Führerprinzips im Zeichen des totalen Krieges demonstrierte die Debatte über die Etablierung der Gauwirtschaftskammern, die zu einer Neuorganisierung der Wirtschaft im überbetrieblichen Bereich führte. Zunächst kam es zu einer Angleichung der österreichischen Kammerorganisation an die deutsche, worüber die Wirtschaftstreibenden im Gau Oberdonau nicht gerade glücklich waren, besonders als sich auch in diesem Bereich die Wiener Zentralisierungstendenzen bemerkbar machten. Als die Wiener Dienststellen die Errichtung einer einzigen Wirtschaftskammer mit Sitz selbstverständlich in Wien beantragten, forderte dies den Widerstand jener Gauleiter heraus, die für sich den Sitz einer Wirt- schaftskammer in ihrem Gau verlangten. Die GWB der Gaue Oberdonau, Salz- burg und Steiermark protestierten denn auch in einer Sitzung beim Staatskom- missär für die Privatwirtschaft Raffeslberger, einem Wiener Zentralisten, gegen eine unitäre Kammer in Wien. Aus ihrer Argumentation sprach eine Kombina- tion rassistischer wie auch Anti-Wien-Sentimente. Es gäbe, so die GWB, tat- sächlich in der Ostmark Wirtschaftsgebiete, die in ihrer Struktur der Wiener Wirt- schaft fremd gegenüberstehen und der deutsche Mensch im Gau sieht in der Wirtschaft etwas anderes als der Wiener, der nicht nur rassisch verdorben ist,

29 Niederschrift der Sitzung vom 19. September 1938 beim Staatskommissär für die Privatwirtschaft. AdR, Bürckel-Materie 77/2175/0, Bd. I, zitiert in Josef Moser, „Die Vereinigten Staaten von Oberdonau“. Zum Wandel der Wirtschafts- und Beschäftigungsstruktur einer Region während der nationalsozialistischen Herrschaft am Beispiel Oberösterreichs. Diss. Linz 1991, 72–81. 510 Kurt Tweraser sondern in seinem ganzen Wesen allzu viel Schlechtes aus der Fremdherrschaft aufgenommen hat.29 Eine Konsequenz dieser Auseinandersetzungen war die Etablierung einer eigenen Kammerorganisation für den Gau Oberdonau. Die Besetzung der Führungspositionen durch verlässliche Nazi ermöglichte die Verflechtung der Kammern mit der NSDAP, sodass spätestens im Jahre 1939 im Bereiche der Kammern die wirtschaftliche Selbstverwaltung der Auftragsver- waltung durch Partei und Staat gewichen war. Die Verflechtung von Partei, Staat und Kammer wurde durch Oskar Hinterleitner personifiziert, der als Landesrat und GWB auch zum Leiter der Wirtschaftskammer Oberdonau und zum Präsi- denten der Industrie- und Handelskammer ernannt worden war. Um die immer größer werdenden Aufgaben effizienter zu bewältigen, wurden Stimmen laut, die eine Reform des Kammerwesens forderten. Wie üblich im NS-Regime war es auch in diesem Fall das Aufeinanderprallen polykratischer Interessen, das den Anlass für die Reform gab. Der Grund lag im erfolgreichen Versuch des Rüstungsministers Speer, durch die Zentralisierung der Rüstungswirtschaft nicht nur auf höchster Ebene, sondern auch in den Mittelinstanzen eine straffere Len- kung des kriegswirtschaftlichen Geschehens zu erreichen. Im September/Okto- ber 1942 gelang Speer die Zusammenfassung der Rüstungswirtschaft durch die Bildung von 26 Rüstungskommissionen in der Mittelinstanz. Über diese Macht- konzentration zeigten sich das Reichswirtschaftsministerium und die Gauleiter alarmiert und sahen die Notwendigkeit einer beschleunigten Durchführung der bereits diskutierten Reformen des Kammersystems, um ein Gegengewicht zu den Speer-Reformen zu schaffen. Mit der Durchführung der Gauwirtschafts- kammerverordnung, die bereits am 20. April 1942 erlassen worden war, wurden die Gauwirtschaftskammern als Einheitskammern in der Mittelinstanz errichtet. Die Industrie- und Handelskammern, die Wirtschaftskammern und die Hand- werkskammern gingen in den Gauwirtschaftskammern auf. Neben der Betriebs- betreuung und Betriebsplanung, den Auskämmungs-, Konzentrations- und Still- legungsmaßnahmen, den Einziehungen zur Wehrmacht u. a. – Aufgaben, die bereits die früheren Kammern ausgeführt hatten, – übernahmen die Gauwirt- schaftskammern zusätzliche rüstungswirtschaftliche Aufgaben in den bezirkli- chen Rüstungskommissionen und im Kriegswirtschaftsstab des RVK. Die Macht des Gauleiters wurde durch die straffere Zusammenfassung der regionalen Wirt- schaftsorganisationen ohne Zweifel gestärkt.30 Welches Urteil kann nunmehr über Gauleiter Eigruber gefällt werden? Ohne Zweifel war er begabt mit einer rücksichtslosen Durchsetzungskraft und einem untrüglichen Machtinstinkt; er wusste sich den unmittelbaren Zugang zu Hitler zu wahren. Als Gauleiter, Reichsstatthalter und Reichsverteidigungskommissar

30 Details zu obigen Ausführungen in Tweraser, Eigruber und sein Wirtschaftsberater, unveröffentlichtes Manuskript. Wirtschaftspolitik zwischen „Führerstaat“ und „Gaupartikularismus“ 511 vereinigte er auseinanderfallende Verwaltungsstrukturen zum Vorteil regionaler Machtpolitik. Er gehörte zu jenen Gauleitern, die in der NS-Polykratie und ihrem Spannungsverhältnis von Reichszentralismus und Gaupartikularismus einen beträchtlichen Grad an kriegswirtschaftlichen Einfluss ausübten. Eigruber nützte also die den Gauleitern von Hitler eingeräumten Handlungsspielräume, war aber klug genug zu begreifen, dass seine Position nur unter zwei Bedingun- gen unangreifbar war: Erstens, unbedingte persönliche Loyalität gegenüber Hitler, und zweitens, größte Zurückhaltung in der Kritik der strategischen Ent- scheidungen des „Führers“. Eigruber war sicherlich ein bedingungsloser Ge- folgsmann Hitlers. Als solcher unterschrieb er natürlich auch die Herrschafts- techniken des „Führers“, als da waren die grundsätzliche Missachtung der Rechtsordnung, das Führerprinzip, das Entscheidungen auf Grund von Kolle- gialbeschlüssen eliminierte, das Persönlichkeitsprinzip, das an Stelle von institu- tioneller Verantwortung die atavistische Konstruktion des Personenverbandes (Loyalität zum „Führer“) setzte, die nationalsozialistische „Menschenführung“, die an Stelle sachlicher Information weltanschauliche Schulung setzte, um poli- tisch zu fanatisieren und zu mobilisieren, und die rassenpolitische Umformung der Sozialverfassung (Judenverfolgung, „Euthanasie“, Sterilisation, Verfolgung von Sinti und Roma u. a.) und der Weltanschauungskrieg im Osten.31 Eigruber war Protagonist eines provinziellen „Länderpatriotismus“ und dul- dete außer Hitler keinerlei Aufsichtsbehörden in Wien und Berlin. Er strebte, die Mittelbehörden der Fachverwaltungen an sich zu ziehen und bemühte sich auch recht erfolgreich um die finanzielle Unabhängigkeit des Gaues von den Reichs- zentralen. Eigruber war auch „Mehrer“ des Gaues, auf Kosten der Steiermark, der Tschechoslowakei, der katholischen Kirche und anderer „Reichsfeinde“. Er setzte mehr Wohnungsbauten durch als andere Gaue, natürlich mit Unterstützung des an Linz und dem Gau Oberdonau besonders interessierten „Führers“. Be- sonders radikal war Eigruber in der Entfernung von Juden aus dem Gau, in den „Arisierungen“, in seinem Stolz über die Errichtung des KZ Mauthausen und in seinem wahrlich todbringendem Wüten gegen Ende des Krieges. Niemals waren die Gauleiter unabhängiger und in ihren jeweiligen Herrschaftsgebieten mäch- tiger und damit tödlicher als in den letzten Monaten vor dem Untergang des NS- Regimes. Erst in den letzten Stunden seiner Herrschaft, als Eigruber dabei war, sich in Begleitung von Hinterleitner in die Berge abzusetzen – in der illusionären Hoffnung, dass ihm die amerikanische Armee die Weiterführung des Kampfes gegen den über alles gehassten Bolschewismus gestatten würde – zeigte er trotz seiner Realitätsblindheit einige Ansätze, nicht seine ganze Umgebung in den Untergang hineinzureißen.32 Auf dem Gebiete der Wirtschaft engagierte sich

31 Walter Ziegler, Gau und Gauleiter im Dritten Reich. In: Nationalsozialismus in der Region (wie Anm. 1), 139–157; Rebentisch, Führerstaat und Verwaltung (wie Anm. 4), 536. 32 Schuster, Deutschnational (wie Anm. 6), 208–214. 512 Kurt Tweraser

Eigruber von Beginn seiner Herrschaft an und fungierte entweder selbst als Aufsichtsrat in Grossbetrieben oder platzierte verlässliche Parteifreunde in einflussreiche Positionen. Zum Teil war Eigrubers Wirtschaftspolitik darauf gerichtet, durch Ämterpatronage Einfluss auszuüben und Abhängigkeiten zu schaffen, zum Teil, die Unterstützung des Nationalsozialismus in der Bevölke- rung stabil zu halten, zum Teil aber auch darauf, seine persönliche Macht zu erhöhen. Dabei war der Gauleiter mehr an den wirtschaftlichen Unternehmen als Instrumente der Macht interessiert als an sachlichen Aspekten, in denen er höchstens Dilettant war. In sachlichen wirtschaftlichen Belangen verließ er sich weitgehend auf Hinterleitner. Die ursprüngliche Frage, ob Eigruber und Hinterleitner als Teil einer ober- österreichischen Regionalkultur gelten können, ist am besten mit einem Blick auf den Interessengegensatz von Großindustrie und Mittelstand beantwortet. Den mittelständischen Interessen schwebte eine vielgestaltige, zwar industrialisierte, aber durchmischte Industrie-Handwerk-Handel-Agrar-Region mit überwiegend mittelbäuerlichen Agrarverhältnissen und mittleren Industrie- und Gewerbe- strukturen vor. Die Realität war eine Situation, in der der langfristige Entwick- lungstrend des industriellen Strukturwandels durch Aufrüstung und Krieg immens beschleunigt wurden, sodass deformierende Resultate unvermeidlich waren. Eigruber war in seinen Beziehungen zu Großindustrie und Mittelstand ambi- valent. Wie John in seiner Studie über Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik in Linz bemerkt, tendierte der Gauleiter weit mehr zu industriellen Arbeitsformen als zu traditionellen, kleinbetrieblichen Wirtschaftsformen. Diese Tendenz zeigte sich besonders im positiven Verhältnis zum Reichswerke-Konzern und zu den Steyrer-Werken.33 Allerdings konnte sich auch Eigruber den Forderungen des Mittelstandes nicht gänzlich entziehen. Ganz abgesehen von ideologischen Zwängen, waren es jedoch die Erfordernisse des Machtkampfes, die in Ei- grubers Verständnis ständig wechselten, die seine Haltung gegenüber Großin- dustrie und Mittelstand bestimmten. Für Prinzipien und feste Regeln war in der Wirtschaft kein Platz. Erlaubt und förderungswürdig war alles, was die eigene Macht zu steigern versprach. Dies – und nicht die zu erwartenden wirtschaftli- chen Konsequenzen – war für ihn der entscheidende Gesichtspunkt. Hingegen war Hinterleitners wirtschaftspolitische Heimat eindeutig der alte Mittelstand. Nirgends kommt diese mittelständische Haltung besser zum Ausdruck als in einer Denkschrift der Wirtschaftskammer Oberdonau an das Reichswirtschaftsministerium vom September 1940. Die Hauptforderung in der Denkschrift war, weitere Neugründungen industrieller Großbetriebe zu unterbin-

33 Michael John, Zwangsarbeit und NS-Industriepolitik am Standort Linz. In NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938–1945. Hrsg. von Oliver Rathkolb. Bd. 1. Wien-Köln-Weimar 2001, 23–146, hier 127. Wirtschaftspolitik zwischen „Führerstaat“ und „Gaupartikularismus“ 513 den und die Förderung der Mittel- und Kleinbetriebe endlich in Angriff zu nehmen. Eine andere Forderung war die Wiederherstellung eines Gleichgewich- tes zwischen Selbständigen und Unselbständigen. Nötig sei die größtmögliche Stärkung der selbständig schöpferischen Elemente in der gewerblichen Wirt- schaft, um schon rein bevölkerungsmäßig unerwünschten Erscheinungen der „Amerikanisierung“ entgegenzuwirken und eine dem deutschen Wesen und der nationalsozialistischen Wirtschaftsauffassung entsprechendere soziale Struktur zu erzielen.34 Unzweifelhaft stellten die in Linz und im Gau Oberdonau gegrün- deten Großbetriebe eine Art Überindustrialisierung im Rahmen des Gaues dar, dessen industrielle Struktur von Mittel- und Kleinbetrieben geprägt war. Es war eine vergebliche Warnung, wenn in der Denkschrift argumentiert wurde, dass die Großbetriebe auf die Beschäftigten in Landwirtschaft und gewerblicher Wirt- schaft eine Besorgnis erweckende Ansaugwirkung ausübten. Dies stelle, so die Denkschrift, volkswirtschaftlich eine äußerst unerwünschte Aufblähung der Großbetriebe auf Kosten der Mittel- und Kleinbetriebe und somit in Zukunft eine ernste Gefahr dar. Beredte Klage führte die Denkschrift auch über den starken Zuzug von fremdländischen Arbeitskräften, die zu starken Unterwanderungser- scheinungen und einer beachtlichen Schwächung des deutschen Elements führten. Daher müssten alle zuständigen Stellen von Partei, Staat und Wirtschaft alle ihre Kräfte einsetzen, um den Heimatgau des Führers nicht zu einer Art „Vereinigte Staaten von Oberdonau“ werden zu lassen. Hinter dem spezifisch nationalsozialistischen Ideologem vom „selbständig schöpferischen Elementen und deutschem Wesen“ verbarg sich die mittelständi- sche Enttäuschung, dass dem vermeintlichen ideologischen Vorrang des gewerb- lichen Mittelstandes keine dementsprechende Praxis folgte. Als Beispiel sei der Streit zwischen den Reichswerken und den Mittelständlern über die Planung der einzusetzenden Einzelhandels- und Handwerksläden in den industriellen Groß- siedlungen genannt. Die Reichswerke bestanden darauf, werkseigene Läden zu errichten, die die Mittelständler verdächtig an die verhassten Konsumläden erin- nerten. Die Denkschrift forderte daher, die Versorgung der Siedlungen nicht allein den Reichswerken zu überlassen, sondern bereits im Zeitpunkt ihres Auf- baues einen 75- bis 80-prozentigen Anteil der Einzelhandelsläden zu garantieren. Die Angst des gewerblichen Mittelstandes vor der Großindustrie war natürlich real; die Hoffnung auf eine Änderung der Bevorzugung der Rüstungs- und damit der Großindustrie angesichts der imperialistischen Zielsetzungen des Dritten Reiches eine Chimäre. Mit den Konzepten des Mittelstandes konnte man weder aufrüsten noch Krieg führen. Die Förderung der Großindustrie hatte daher eine gewisse mörderische Logik.

34 Denkschrift der Wirtschaftskammer Oberdonau an den Herrn Reichswirtschaftsminister anlässlich des Besuches des Herrn Staatssekretärs Dr. Landfried in Oberdonau vom 7.– 9. September 1940. Kopie im Besitz des Verfassers. 514 Kurt Tweraser

Der Krieg ist auch der Schlüssel zu den Machterweiterungen des Gauleiters, die weniger mit einer bewussten Förderung regionaler Interessen zu tun hatten als mit den vergeblichen Anstrengungen, die zunehmend für das Dritte Reich katastrophale Kriegssituation zu meistern. Den Polykratismus eines Eigruber als Ausfluss eines ausgeprägten Regionalbewusstseins zu interpretieren, erscheint daher problematisch. Zwar zeigte Eigruber ein definitives „Territorialverhalten“, d. h. er war unentwegt an der Schaffung und Vergrößerung seines autonomen Entscheidungsbereiches tätig. Sein Konkurrenzverhalten vis-à-vis anderen „Ter- ritorialstellen“ wie den Reichsministerien hatte jedoch kein eindeutig fixierbares Ziel außer jenem, zu expandieren und öffentlich zu mobilisieren. Herrschafts- durchsetzung und kriegswirtschaftliche Mobilisierung und nicht Förderung eines gedeihlichen und ausgeglichenen Regionalismus motivierten den „Gaufürsten“ und letztendlich auch seinen Gauwirtschaftsberater. Regionale Tendenzen hatten keineswegs eine mäßigende Wirkung auf die NS-Machthaber im Gau. Ihr Tota- litätsanspruch war ungehemmt. Wohl aber waren sie geschickt darin, Mittel- standstraditionen zur Umsetzung dieses Totalitätsanspruches zu manipulieren und zu instrumentalisieren. Eigrubers Schicksal nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes ist bekannt. Er wurde am 11. August 1945 im Kreis Kirchdorf in Oberösterreich von den Amerikanern aufgegriffen, einige Monate verhört und dann wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Dachau verbracht, dort im Mauthausenprozess 1946 zum Tode verurteilt und in Landsberg gehängt. Seine letzten Worte waren „Heil Hitler“.35 Seine enge Beziehung zum KZ Mauthausen war ihm zum Ver- hängnis geworden. Mehr Glück hatte Hinterleitner. Zwar wurde auch er im Juli 1945 in Grieskirchen verhaftet und war bis Mitte 1947 Häftling im Anhaltelager Glasenbach und anschließend in Untersuchungshaft in Linz. Ein Volksgerichts- verfahren wegen seiner Beteiligung an der „Arisierung“ der Pötschmühle wurde im Juni 1948 eingestellt. Im Juli 1950 wurde Hinterleitners Ansuchen um Nach- sicht der Sühnefolgen bewilligt. Zwischen 1950 und 1963 war er wieder in der Kammer der gewerblichen Wirtschaft und im Industriellenverein tätig.36

35 Joshua M. Greene, Justice at Dachau. The Trials of an American Prosecutor. New York 2003, bes. 125–226. 36 Tweraser, Linzer Wirtschaft im Nationalsozialismus (wie Anm. 25), 526.