Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein

Krebserkrankungen in der Gemeinde

Woher stammen die Angaben zur Häufigkeit von Krebserkrankungen?

Seit dem 1.1.1998 sind die Ärztinnen und Ärzte in Schleswig-Holstein gesetzlich ver- pflichtet, bösartige Neubildungen dem Krebsregister des Landes Schleswig-Holstein zu melden. Das Krebsregister erfasst alle Krebsneuerkrankungen, wertet sie statistisch-epide- miologisch aus und beobachtet das Auftreten und die Trendentwicklung aller Formen von Krebserkrankungen in der Bevölkerung Schleswig-Holsteins. Bei vermuteten Häufungen von Krebserkrankungen in einer Region stellt es Vergleichswerte zum Krebsrisiko im Land und in den Kreisen zur Verfügung und berechnet, ob die Erkran- kungszahlen in der betroffenen Region davon abweichen.

Was ist bisher unternommen worden, um das Krebsgeschehen in Wewels- fleth zu untersuchen?

Auf Bitten des Bürgermeisters Ingo Karstens hat das Krebsregister des Landes Schleswig-Holstein mehrere Auswertungen, beginnend 2002, sowie zweimal eine umfangreiche Sonderauswertung zu den Krebserkrankungen in Wewelsfleth vorge- nommen, zum einem im Jahr 2007 über den Zeitraum 2000-2004 und zum anderen im Jahr 2009 über den Zeitraum 1998-2007. Die Auswertungen erfolgten getrennt für Frauen und Männer, für verschiedene Re- gionen rund um Wewelsfleth und auch für einzelne Gruppen von Tumorerkrankun- gen, beispielsweise für die Gruppe von Krebserkrankungen, für die Früherkennungs- untersuchungen angeboten werden, oder für die Gruppe der Tumoren, die arbeits- platzbedingt (hier: Werft) sein könnten. Zusätzlich hat das Krebsregister die Sterb- lichkeit an Krebs untersucht und ist außerdem der Frage nachgegangen, wie über- zeugend verschiedene Vermutungen über mögliche Ursachen sind.

Im August 2007 führten Vertreter des Krebsregisters und des umweltbezogenen Ge- sundheitsschutzes mit dem Bürgermeister ein Informationsgespräch über die Häufig- keit von Krebserkrankungen in Wewelsfleth. Im Juni 2010 waren Vertreter des Krebsregisters und des umweltbezogenen Ge- sundheitsschutzes für ein weiteres Gespräch vor Ort und haben zusammen mit Ver- tretern des zuständigen Gesundheitsamtes dem Bürgermeister sowie einem nieder- gelassenen Arzt aus Wewelsfleth die Ergebnisse der zweiten Sonderauswertung er- läutert.

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Im Januar 2011 haben sich der Bürgermeister und der Amtsvorsteher an die Ge- sundheitsabteilung des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Gesundheit gewendet und mit Hinweis auf die erhöhten Krebserkrankungsraten um die Veranlassung einer wissenschaftlich belastbaren Untersuchung gebeten. Zur Vorbereitung einer fundierten Entscheidung führte die Leiterin der Gesundheits- abteilung am 7. Juni 2011 ein Fachgespräch mit verschiedenen Experten. Dazu ge- hörten Vertreter und Vertreterinnen der Registerstelle des Krebsregisters, des Insti- tuts für Krebsepidemiologie, des medizinischen Arbeitsschutzes, des Strahlenschut- zes, des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes, des Gesundheitsamtes des Krei- ses und des Landesverbandes der Ärzte im öffentlichen Gesundheits- dienst. Die Ergebnisse dieser Expertenrunde wurden dem Bürgermeister von Wewelsfleth und dem Amtsvorsteher des Amtes sowie einem niedergelassenen Arzt aus Wewelsfleth am 28. Juni 2011 in einem Gespräch im Sozialministerium er- läutert.

Was wissen wir über die Häufigkeit von Krebserkrankungen in Wewelsfleth?

Die Auswertungen des Krebsregisters haben ergeben, dass die Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen höher ist als im Landesdurchschnitt. In dem 11-Jahres-Zeit- raum 1998-2008 sind in der Bevölkerung von Wewelsfleth 142 Krebserkrankungen neu diagnostiziert worden. Aufgrund des Landesdurchschnittes wären 96 Neuerkran- kungen zu erwarten gewesen, eine Anzahl von 77 bis 115 wäre statistisch unauffällig gewesen. Die Erhöhung der Krebsneuerkrankungsrate beträgt knapp 49%. Für ein- zelne Tumorerkrankungen ist die Zahl registrierter Erkrankungsfälle statistisch signi- fikant erhöht, das gilt für Harnblasen-, Prostata-, Darm- und Lungenkrebs sowie für den schwarzen Hautkrebs. Die Gruppe von Krebserkrankungen, die in Zusammen- hang mit ionisierenden Strahlen gebracht werden, wozu beispielsweise Leukämien und Schilddrüsenkrebs gehören, weist keine Erhöhung auf. Um Vermutungen über mögliche Ursachen nachzugehen, hat das Krebsregister auch Teilgruppen von Krebserkrankungen ausgewertet und regionale Unterschiede im Amt Wilstermarsch untersucht. Es ist folgenden Fragen nachgegangen:  Ist möglicherweise die höhere Inanspruchnahme von Früherkennungsunter- suchungen in Wewelsfleth für die Häufung verantwortlich? Das Ziel von Krebsfrüherkennungsuntersuchungen besteht darin, Krebs- erkrankungen möglichst früh zu entdecken, um eine einfache und schonende Behandlung zu ermöglichen und den weiteren Verlauf der Erkrankung günstig zu beeinflussen. Die flächendeckende Einführung solcher Früherkennungs- untersuchungen (z.B. Mammographie- und Hautkrebs-Screening) führt dazu, dass zusätzlich zu den Tumoren, die man ohnehin gefunden hätte, auch die Tumoren entdeckt werden, die ohne die Früherkennungsmaßnahme erst sehr viel später diagnostiziert worden wären. Dadurch kommt es über einen gewis- sen Zeitraum zu höheren Diagnosezahlen. In einem Gebiet, in dem die Früh- erkennungsuntersuchungen sehr häufig in Anspruch genommen werden, ist dann auch von einer erhöhten Häufigkeit der Krebsdiagnosen auszugehen.

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In Wewelsfleth ist eine höhere Inanspruchnahme offensichtlich nicht für die beobachtete Häufung verantwortlich, denn auch nach Ausschluss der entspre- chenden Krebserkrankungen (Brust-, Prostata-, Darm- und Hautkrebs) ist die Krebsneuerkrankungsrate deutlich erhöht.  Sind die Krebserkrankungsraten in der unmittelbaren Nähe von hö- her als in größerer Entfernung? Nein, es ist kein räumliches Muster erkennbar.  Sind Tumore, die bekanntermaßen bei Werftarbeitern gehäuft auftreten, bei Männern in Wewelsfleth erhöht? Nein, die Häufigkeit dieser Tumoren ist eher bei Frauen und nicht wie erwartet eher bei Männern erhöht.  Kann die Erhöhung des Krebsrisikos in Wewelsfleth auf individuelle Verhal- tensweisen wie das Rauchen zurückgeführt werden? Allenfalls teilweise; zwar sind in Wewelsfleth die Tumore, die allgemein mit dem Rauchen in Verbin- dung gebracht werden, statistisch signifikant gehäuft in Wewelsfleth diagnosti- ziert worden, aber auch für die übrigen Tumoren ist eine Erhöhung zu beob- achten. Die festgestellte Erhöhung der Krebsneuerkrankungsrate in Wewelsfleth ist nicht auf die Erhöhung einer einzelnen Tumorart bzw. einer Tumorgruppe zurückzuführen. Vielmehr sind mehrere verschiedene Tumorarten betroffen. Die o.g. Erhöhung von 49% bezieht sich auf die Gesamtzahl aller Krebserkrankungen. Die Sterblichkeit an Krebs ist in Wewelsfleth nicht erhöht. Das bedeutet, dass in We- welsfleth nicht mehr Personen an Krebs sterben als in vergleichbaren Regionen Schleswig-Holsteins.

Was wissen wir über mögliche Ursachen der erhöhten Krebserkrankungsrate?

Krebs ist nicht eine einzelne Erkrankung, sondern eine Gruppe von mehr als 100 unterschiedlichen Erkrankungen, die jeweils unterschiedliche (bekannte oder unbe- kannte) Ursachen haben und unterschiedlich häufig auftreten. In den meisten Fällen ist eine Kombination von mehreren verschiedenen Faktoren, deren Zusammenspiel man häufig noch gar nicht kennt, ursächlich für das Auftreten einer Krebserkrankung. Die Ursachen liegen dabei meist viele Jahre in der Vergangenheit und sind heute oft gar nicht mehr zu ermitteln. Die beobachtete Häufung von Krebserkrankungen in Wewelsfleth betrifft ganz unter- schiedliche Erkrankungen und deutet nicht auf einen einzelnen Risikofaktor hin, auch nicht auf eine strahlungsbedingte Verursachung. Die gesonderten Analysen zur Häufigkeit ausgewählter Tumorerkrankungen, wie oben beschrieben, lassen keine Ursache für die erhöhten Erkrankungszahlen erken- nen. Um eventuell Hinweise auf mögliche Ursachen für die erhöhten Krebserkrankungs- raten in Wewelsfleth zu erhalten, wurden vom Ministerium auch Erkenntnisse des medizinischen Arbeitsschutzes, des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes und des Strahlenschutzes einbezogen. Das hat folgende Ergebnisse erbracht: Aus arbeitsmedizinischer Sicht sind Arbeitsplätze auf Werften häufig sehr problema- tisch, da Arbeitnehmer dort u.a. durch Lärm, durch Gefahrstoffe in Farben und La- cken sowie früher insbesondere durch Asbest belastet sind. Die Unfallversiche-

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rungsträger informieren das Ministerium über Fälle, bei denen der Verdacht auf eine Berufskrankheit besteht. Eine Häufung von berufsbedingten Krebserkrankungen durch Tätigkeiten auf Werftarbeitsplätzen in Wewelsfleth ist nicht erkennbar. Der umweltbezogene Gesundheitsschutz befasst sich u.a. mit der Überwachung von Luft und Trinkwasser sowie von Deponien, um gesundheitsgefährdende Belastungen erkennen und ggf. minimieren zu können. Aus diesen Bereichen sind für die Region Wewelsfleth in den vergangenen Jahren keine Auffälligkeiten bekannt geworden. Um den Strahlenschutz der Bevölkerung zu gewährleisten, gibt es für das Kernkraft- werk Brokdorf seit Inbetriebsetzung im Jahr 1988 lückenlose Daten über die Emissio- nen von radioaktiven Nukliden und von Messwerten aus dem Umgebungsüber- wachungsprogramm. Regelmäßig werden mehrmals pro Jahr Boden-, Wasser- und Luftproben untersucht. Alle Untersuchungen, auch die Messung der radioaktiven Ableitungen, sind unauffällig gewesen. Die zusätzliche Belastung durch radioaktive Strahlung aus dem Kernkraftwerk Brokdorf beträgt 1-3 Mikrosievert pro Jahr und liegt deutlich (um den Faktor 500-1000) unterhalb der natürlichen Belastung. Dem Ministerium sind keine äußeren Ursachen für die erhöhten Krebszahlen be- kannt.

Würde eine wissenschaftliche Studie vor Ort weiterführen? Wäre eine wissenschaftliche Studie zur Aufklärung der Ursachen zum jetzi- gen Zeitpunkt zielführend?

Aufgrund der Unterschiedlichkeit der auffälligen Tumorarten ist nicht von einem ein- zigen Risikofaktor als Ursache auszugehen. Es fehlt eine plausible Hypothese für einen Risikofaktor, d.h. es gibt keine überzeugende Annahme dafür, welche Ursache für die Erhöhung der Krankheitsfälle verantwortlich sein könnte. Zu der beobachteten erhöhten Krebsrate in Wewelsfleth tragen vermutlich mehrere Faktoren bei. Dazu gehören wahrscheinlich die genetische Veranlagung der Einwoh- nerinnen und Einwohner, die individuellen Verhaltensweisen (Alkohol- und Tabak- konsum, Ernährung) und die Arbeitsbedingungen (Werft, Landwirtschaft). Auch eine Wohneinrichtung, deren Bewohnerinnen und Bewohner ein erhöhtes Erkrankungs- risiko tragen, kann zu einer statistischen Häufung von Krebserkrankungen in einer Gemeinde führen.

Darüber hinaus gibt es möglicherweise weitere Ursachen, die aber noch unbekannt sind. Krebsursachen in einer Studie zu finden, ist in einer kleinen Bevölkerungs- gruppe nahezu unmöglich. In einer wissenschaftlichen Studie zur Krebsursachenfor- schung wird grundsätzlich untersucht, welche Risikofaktoren bei den Erkrankten deutlich häufiger sind als bei den Nicht-Erkrankten. Um tatsächlich einen solchen Faktor identifizieren zu können, ist eine bestimmte Anzahl an Erkrankten notwendig. Gibt es weniger Erkrankte, versagen die wissenschaftlichen Methoden. Um eine Aussage für Wewelsfleth treffen zu können, müssten aus wissenschaftlicher Sicht weitaus höhere Patientenzahlen vorliegen Von einer wissenschaftlichen Studie zur Aufklärung der Ursachen sind derzeit keine neuen Erkenntnisse zu erwarten, sie wäre daher nicht zielführend.

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Wie können sich interessierte Einwohnerinnen und Einwohner noch weiter über die vorliegenden Erkenntnisse informieren?

Vertreter des Krebsregisters und des umweltbezogenen Gesundheitsschutzes haben sich bereiterklärt, noch einmal nach Wewelsfleth zu fahren, um die Gemeindemitglie- der über die Erkrankungssituation in Wewelsfleth zu informieren und Fragen zu be- antworten. Zur vertiefenden Information und auch als Vorbereitung auf ein derartiges Gespräch eignen sich die Ergebnisse der umfangreichen Sonderauswertung des Jahres 2009. Sie sind dieser Information als Anlage beigefügt. Bei Interesse an diesem Informationsangebot ist eine Terminabstimmung über den Bürgermeister oder den Amtsvorsteher empfehlenswert.

Kiel, Juli 2011

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