<<

75 Jahre Landgericht und Staatsanwaltschaft in

1937 - 2012 Das Cover zeigt historische Aufnahmen des Westerhofs in der Breitenburger Straße 70 in Itzehoe. Diese herrenhaus- ähnliche Villa wurde 1856 von dem Inhaber der Itzehoer Zuckerfabrik Charles de Vos erbaut. In ihr waren Landge- richt und Staatsanwaltschaft zunächst gemeinsam unter- gebracht.

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort ...... 1 Grußwort des Ministers für Justiz, Gleichstellung und Integration ...... 3 Grußwort der Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts ...... 7 Grußwort des Generalstaatsanwalts des Landes Schleswig-Holstein ...... 9 Grußwort des Landrats des Kreises ...... 11 Grußwort der Stadt Itzehoe ...... 13 Grußwort des Vorsitzenden des Anwalt- und Notarvereins im Landgerichtsbezirk Itzehoe e.V...... 15 Vom Landgericht Altona zum Landgericht Itzehoe und dessen Anfänge bis 1945 - Dr. Ralf Maertens ...... 16 Interview mit dem Zeitzeugen Gerhard Witt Das Interview führte Volkmar Zimmermann ...... 24 Das Landgericht Itzehoe im Kontext der Gerichtsorganisation in Schleswig-Holstein - Peter Anhut ...... 28 „Nicht schon wieder NS-Justiz!“ - Ein Interview mit Dr. Klaus-Detlev Godau-Schüttke Das Interview führte Dietmar Wullweber und Julia Gärtner ...... 37 Das Landgericht Itzehoe wird 75 Jahre alt Eine sehr persönliche Rückschau auf den Beginn meiner Tätigkeit in Itzehoe - Konstanze Görres-Ohde ...... 49 Geschichten aus dem Kraftfahrdienst - Karl-Heinz Meier ...... 55 55 Jahre Bewährungshilfe bei dem Landgericht Itzehoe - Bewährungshelfer bei dem Landgericht Itzehoe ...... 57

Der Prozess Ruth Blaue - Dr. Klaus Alberts ...... 60 Der Junge mit Fernrohr oder Wanderung durch die Justizlandschaft - Harald Egge ...... 72 Am Rande bemerkt - Wolfgang Zepter und Peter Müller-Rakow ..... 76 Der „Brokdorf-Prozess“ - Friedrich-Gerhard Wieduwilt ...... 80 Justiz und Kultur im Landgerichtsbezirk Itzehoe e.V. Zwischenbilanz nach sieben Jahren - Dietmar Wullweber ...... 87 Das Gerichtsjubiläum und die Schule - Sigrun Schmidt, Gundula Friedrich, Sönke Nagel, Karin Linder ...... 91 Der Prozess gegen den Staubmaskenmörder - Eberhard Hülsing .... 96 Ein Zivilprozess aus dem Jahre 1992 Die Hochdonner Hochbrücke, menschliche Bedürfnisse und die Schwerkraft - Dr. Bernhard Flor ...... 101 Unterbringung des Landgerichts Itzehoe - Peter Anhut und Reiner Rehberg ...... 104 Umzüge - Volkmar Zimmermann ...... 107 Der „Plattenleger“-Prozess - Jürgen Engelmann ...... 114 Best of Landgerichtsbezirk - Das Fußballturnier im Landgerichtsbezirk Itzehoe - Dr. Jörn Harder ...... 119 Staatsanwaltschaft Itzehoe 1987 - 2012 - Peter Müller-Rakow ...... 126 Das Landgericht heute - Dr. Bernhard Flor ...... 133 Mitarbeiter/innen des Landgerichts Itzehoe am 1.4.2012 ...... 138 Mitarbeiter/innen der Staatsanwaltschaft Itzehoe am 1.4.2012 ...... 142

1 VORWORT

Fünfundsiebzig Jahre Landgericht und Staatsanwaltschaft in Itzehoe – diesen run- den Geburtstag feiern wir mit Rücksicht auf das Alter der Jubilare nachdenklich und fröhlich zugleich.

Die Beiträge dieser Festschrift beleuchten die fünfundsiebzig Jahre aus unterschiedli- chen Blickwinkeln. Sie behandeln die Hinter- gründe der Errichtung des Gerichtsstandor- tes in Itzehoe und beinhalten teils sehr per- sönliche und nachdenkliche Ein- und Rück- blicke. Berichte über spektakuläre Prozesse und das seit 2008 alljährlich ausgerichtete Fußballturnier runden das Bild ab.

Wir danken all denen von Herzen, die in den letzten fünfundsiebzig Jahren oft jahrzehn- telang Tag um Tag und Jahr um Jahr mit Ih- rem Einsatz und Engagement die Justiz in Itzehoe gelebt und verkörpert haben.

Und wir danken allen, die für diese Fest- schrift verantwortlich zeichnen, allen voran Frau Julia Gärtner, die unermüdlich Beiträge eingefordert, eingesammelt, redigiert und layoutet hat.

Wir hoffen, dass sich die ersten Jahre unter diktatorischer Herrschaft niemals wiederho- len werden. Mögen auf dem Weg zum hundertsten Geburtstag fünfund- zwanzig friedliche und erfolgreiche Jahre in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat vor uns liegen.

Dr. Bernhard Flor Wolfgang Zepter 2 3 GRUßWORT DES MINISTERS FÜR JUSTIZ, GLEICHSTELLUNG UND INTEGRATION ANLÄSSLICH DES 75 JÄHRIGEN BESTEHENS DES LANDGERICHTS ITZEHOE UND DER STAATSANWALTSCHAFT ITZEHOE

EMIL SCHMALFUß

Sehr geehrte Damen und Herren, in diesen Tagen blicken die Bürgerinnen und Bürger der Region Steinburg und die Justiz des Landes auf eine besondere Zeitspanne zurück: Das Landgericht Itzehoe und die Staatsanwaltschaft Itzehoe feiern ihr 75- jähriges Bestehen.

In diesem Jubiläum spiegelt sich die Ent- wicklung des Gerichtsplatzes Itzehoe vom einstigen Landgericht der Preußischen Pro- vinz Schleswig-Holstein mit 13 zugeordne- ten Amtsgerichten zu einem Zentrum des Rechtswesens des Landgerichtsbezirks Itzehoe im Lande Schleswig- Holstein mit nunmehr vier Amtsgerichten wider.

In diesem 75-jährigen Jubiläum dokumentiert sich daher auch die wechselvolle Geschichte unseres Landes, seiner Verwaltungsgeschichte wie seiner Rechtsgeschichte.

Das Landgericht Itzehoe heute ist ein moderner Gerichtsstandort. Es versteht sich als regionales Zentrum, das der Wahrung des Rechts im Interesse und zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger dient. Das Spek- trum der vom Landgericht Itzehoe wahrgenommenen Rechtsangelegen- heiten – vom Zivilrecht mit erheblichen vermögensrechtlichen Streit- werten bis hin zu schweren Strafrechtsverfahren – unterstreicht die Ge- wichtung, die dem Landgericht für die Region zukommt.

Als Berufungs- und Beschwerdestelle gegen Entscheidungen der ihm zugeordneten Amtsgerichte Elmshorn, Itzehoe, Meldorf und Pinneberg obliegt dem Landgericht, seinen Richterinnen und Richtern, eine weitere verantwortungsvolle Aufgabe im Sinne des Rechtsfriedens in weiten Tei- len des westlichen Holstein. Dass im Wirkungsbereich des Landgerichts Itzehoe, nämlich im Amtsgericht Elmshorn, das erste elektronische Grundbuch in Schleswig-Holstein eingeführt wurde, unterstreicht in be- 4 sonderer Weise die Modernität des Gerichtswesens in heutiger Zeit.

Von ebensolcher Bedeutung ist auch die Aufgabe der Staatsanwalt- schaft Itzehoe, die als zuständige Strafverfolgungsbehörde für die Krei- se Pinneberg, Steinburg und Dithmarschen dem Recht Geltung ver- schafft und für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in einer Welt zunehmend komplexer werdender Straffälle mit einsteht.

Die Ermittlungen auf vielen Gebieten der Strafverfolgung erfordern ein ausgeprägtes analytisches Denken und Handeln. Einen genauen Blick fürs Detail. Und dazu bedarf es auch und insbesondere einer starken und schlagkräftigen Staatsanwaltschaft wie der in Itzehoe. Sicherheit, Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität sind keine Worthülsen. Die Bür- gerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass unser freiheit- licher Rechtsstaat sie vor Verbrechen schützt und seiner Verpflichtung nachkommt, diese aufzuklären.

Theodor-Heuss-Platz 3 – so lautet die heutige Adresse des Landgerichts in Itzehoe. Feldschmiedekamp 2 – heißt die Anschrift der Staatsanwalt- schaft. Beide Adressen scheinen mir programmatisch passend gewählt:

„Demokratie und Freiheit sind nicht bloß Worte, sondern lebensgestal- tende Werte“, hat der erste deutsche Bundespräsident einmal gesagt. Auf diesen Werten fußen unsere Gesellschaftsordnung und unser Rechtsstaat. Diese Werte müssen gepflegt, bewahrt und geschützt wer- den, damit unser Gemeinwesen nach von allen anerkannten verbindli- chen Regeln bestehen und sich fortentwickeln kann.

Und die Feldschmiede ist die mobile Form der Schmiede. Es handelt sich um eine kleine Esse auf einem fahrbaren Untergestell, dazu einen kleinen Amboss mit wenigen ausgewählten Werkzeugen. Bildlich ge- sprochen, also das geeignete chirurgische Besteck im Kampf gegen das Unrecht. Derart betrachtet, ist das die richtige Anschrift für die Staats- anwaltschaft.

Urteilen und Handeln im Sinne des Rechts sind höchst anspruchsvolle Aufgaben. Es liegt daher zu allererst an den Mitarbeiterinnen und Mitar- beitern des Landgerichts und der ihm zugeordneten Amtsgerichte sowie der Staatsanwaltschaft im Landgerichtsbezirk Itzehoe, dass die Einhal- tung der Gesetze tagtäglich mit Augenmaß und Sorgfalt, aber konse- quent umgesetzt wird. Ihr verantwortungsbewusstes Handeln steht für die Stärke unseres Rechtsstaates und das Vertrauen seiner Bürgerinnen und Bürger in diesen. 5 Ich gratuliere dem Landgericht Itzehoe und der Staatsanwaltschaft zu ihrem 75-jährigen Geburtstag und wünsche ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterhin alles Gute und viel Erfolg bei ihrer verantwor- tungsvollen Aufgabe. 6 7 GRUßWORT DER PRÄSIDENTIN DES SCHLESWIG-HOLSTEINISCHEN OBERLANDESGERICHTS

Das Landgericht Itzehoe - geboren in der Diktatur, aufge- wachsen im demokratischen Rechtsstaat

UTA FÖLSTER

„Meine Frage nach seiner positiven Einstel- lung zum nationalsozialistischen Staat hat er mit einem klaren Ja beantwortet. Ich glaube ihm."

Diese beiden Sätze stammen aus einer dienstlichen Beurteilung eines Richters aus dem Jahre 1937 (Quelle: Ausstellungskata- log des BMJ „Justiz und Nationalsozialis- mus", S. 279), also dem Geburtsjahr des Landgerichts Itzehoe. Die Perversion der Rechtsordnung durch die nationalsozialisti- sche Gewaltherrschaft hatte mit größten Teils freudiger Unterstützung willfähriger Staatsanwälte und Richter wenige Jahre zuvor begonnen und derartige „Zuverlässigkeitseinschätzungen" gehörten bereits zum Standard dienstlicher Beurteilungen.

75 Jahre später ist uns die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien, wie etwa das der Gewaltenteilung, ebenso selbstverständlich wie die Vor- stellung absurd und zuwider, die dienstliche Beurteilung einer Richterin, eines Richters habe sich mit deren/dessen politischer Einstellung zu be- fassen.

Der demokratische Rechtsstaat, in dem wir leben dürfen, gewährt eine Geborgenheit im Recht, an der die „Recht Sprechenden" maßgeblichen Anteil haben. Diese uns anvertraute Aufgabe bedeutet enorme Verant- wortung, denn geborgen im Recht fühlt sich nur, wer blind darauf ver- trauen kann, dass Entscheidungen selbst dann nach Recht und Gesetz ergangen sind, wenn das Ergebnis nicht gefällt. Solch Vertrauen haben in unserem Land zwar nicht alle Rechtsuchenden, aber doch die ganz große Mehrheit, wie die Ergebnisse von Meinungsumfragen alljährlich belegen. 8 Damit ein so großes Vertrauen der Bevölkerung das Funktionieren des Rechtsstaates auch weiterhin gewährleistet, darf sie nicht nur „gerech- te" Entscheidungen fordern, sondern trotz flächendeckender Verrechtli- chung der facettenreichen Lebenswirklichkeit auch unser Bemühen, die- selben verständlich zu machen. Dazu gehört neben dem Erklären eines einzelnen Urteils unbedingt auch das regelmäßige Aufklären darüber, dass Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Justiz nicht deren Ange- hörige über Gebühr privilegieren, sondern Voraussetzungen sind für ausschließlich an Recht und Gesetz orientierter Rechtsprechung.

Nachweise für nach wie vor bestehenden Aufklärungsbedarf gibt es ei- nige, darunter auch Begrüßungen auf offiziellen Empfängen: „Wir be- grüßen nach den Abgeordneten und Regierungsmitgliedern auch die Vertreterinnen und Vertreter der Verbände, Gewerkschaften, Kirchen und öffentlichen Verwaltung" - so oder ähnlich heißen viele Gastgeber ihre Gäste willkommen. Fragt man interessiert nach, zu welcher Gruppe wohl die Justiz gehöre, machen die Antworten klar, dass derart un- vollständige Begrüßungen nicht unhöfliche Missachtung bedeuten, son- dern unzulängliche Verankerung der Dritten Gewalt in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger - bisweilen sogar in den Köpfen ihrer Reprä- sentanten.

Ob dieser Erkenntnis in larmoyantes Klagen zu verfallen, halte ich aller- dings für verfehlt, weil wir selbst die unzulängliche Verankerung mit zu verantworten haben. Immer noch halten auch einige in der Justiz Öf- fentlichkeitsarbeit ernsthaft für überflüssig halten, weil Gesetze und ge- richtliche Entscheidungen sich aus sich selbst heraus erklärten und rechtfertigten - ein schwerwiegender Irrtum! Lieschen Müller kann sich noch so bemühen, sie wird unsere Entscheidungen nicht verstehen – wie sollte sie wohl auch angesichts der Komplexität des Rechts und ei- ner Sprache, die außer Juristen niemand spricht? Schwer wiegt der Irr- tum, weil „Nicht-Verstehen“ Ablehnung erzeugt, also das Gegenteil von dem, worauf ein Rechtsstaat angewiesen ist: Akzeptanz und Vertrauen. Unser Rechtsstaat verdient beides, weil in ihm unabhängige Richterin- nen und Richter „gutes“, demokratisch legitimiertes Recht sprechen. Tragen wir also durch Aufklärung dazu bei, dass unser Rechtsstaat be- kommt, was er verdient!

Für das Landgericht Itzehoe gehörte Aufklärung schon in der Vergan- genheit zum Programm und daran wird sich auch zukünftig nichts än- dern - der Rechtsstaat dankt! 9 GRUßWORT DES GENERALSTAATSANWALTS DES LANDES SCHLESWIG-HOLSTEIN

75 Jahre Staatsanwaltschaft und Landgericht in Itzehoe

WOLFGANG MÜLLER-GABRIEL

Das Jahr 2012 ist für die Staatsanwaltschaft Itzehoe ein besonderes Jahr. Errichtet im Jahre 1937 als Folge des „Groß-Hamburg- Gesetzes“ feiert sie in diesem Jahr ihr 75- jähriges Jubiläum. Dies ist wahrlich ein Grund, um inne zu halten, zurückzuschauen und zukünftige Aufgaben zu formulieren. Den 75. Geburtstag abermals zum Anlass für eine Festschrift zu nehmen, nachdem bereits zum 50-jährigen Jubiläum im Jahre 1987 eine Festschrift verfasst wurde, ist ein verdienstvolles Unternehmen, das im be- sonderen Maße Dank und Anerkennung für alle Beteiligten verdient. Der Schwerpunkt des heutigen Rückblicks wird deswegen insbesondere die letzten 2 ½ Jahrzehnte umfassen. Dennoch darf das zeitliche Umfeld der ersten 8 Jahre bis 1945 nicht vergessen werden, also die Zeit, in der die deut- sche Justiz in weiten Teilen zu einer Unrechts- und Willkürjustiz mutier- te. Die späteren Generationen der schleswig-holsteinischen Justizange- hörigen haben ihr Gedenken an dieses dunkle Kapitel durch das zentra- le Mahnmal vor dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht in Schleswig sichtbar zum Ausdruck gebracht. Heute darf mit Fug und Recht die Anerkennung für das Erreichte, also die Anerkennung dafür im Vordergrund stehen, wie die Staatsanwaltschaft Itzehoe sich den Er- fordernissen einer grundrechtsverpflichteten, modernen und sozialen Strafrechtspflege gestellt hat. Die heute in den Blick genommene Zeit- spanne ab 1987 ist gekennzeichnet zum einen nach außen durch die Wiedervereinigung und die sehr aktive Hilfe der Staatsanwaltschaft It- zehoe beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Staatsanwaltschaft in Meck- lenburg-Vorpommern und zum anderen nach innen durch eine außerge- wöhnlich intensive Reformära, der sich die Staatsanwaltschaft Itzehoe in besonderer Weise verpflichtet fühlte. Zu nennen sind hier schlagwort- artig die Ergänzung der repressiven Instrumente des Strafrechts durch alternative Sanktionsformen, die teilweise ohne gerichtliches Verfahren oder richterliche Zustimmung verhängt werden können, also die Diver- 10 sion im Jugendgerichtsverfahren, oder die Instrumente, die der Oppor- tunitätsweg im Erwachsenenstrafrecht eröffnet, beides Rechtsfolgen, die heute in weiten Bereichen der unteren und mittleren Kriminalität als sinnvolle Primärintervention nicht mehr wegzudenken sind. Außerdem fand der Ausgleichsgedanke zwischen Täter und Opfer Einzug in das Sanktionssystem sowie eine weitere deutliche Einbeziehung der Opfer- interessen. So wird das Opfer nicht mehr nur in seiner Zeugenrolle, quasi als Objekt im Strafverfahren, gesehen, sondern als ein mit eige- nen Rechten ausgestattetes Subjekt des Verfahrens. Neben speziellen Prozessbegleitprogrammen gehören hierzu auch Spezialisierungen der Staatsanwaltschaften auf dem Gebiet des Kinderschutzes, der Gewalt in der Familie sowie der Sexualdelikte. Die deutliche Ausweitung der Be- teiligung der Gerichtshilfe im Ermittlungsverfahren seit Ende der 80-er Jahre unterstreicht die Verpflichtung zu einer sozialen Strafrechtspflege. Auch der immer wichtiger werdenden Bedeutung des Datenschutzes bei der Strafverfolgung hat sich die Staatsanwaltschaft offensiv gestellt. Dies hing natürlich auch mit der Einführung der elektronischen Daten- verarbeitung an jedem Arbeitsplatz zusammen, die die behördeninter- nen Arbeitsabläufe revolutionierte. Alle diese Veränderungen zeigen, dass sich die Staatsanwaltschaft in einem permanenten Innovationspro- zess befindet, der höchste Ansprüche an die Behördenangehörigen stellte und weiterhin stellen wird. So erfordern ganz aktuell neue Ent- wicklungen in der Kriminalität neue Schwerpunktsetzungen. Ich möchte es insoweit bei einer unvollständigen Aufzählung belassen, nämlich die Verfolgung der sog. Cybercrime, die enorme Zuwachsraten zu verzeich- nen hat, neue Instrumente auf dem Gebiet der Verfolgung von Sexual- straftaten und weiterhin die Herausforderung durch die sog. Intensivtä- ter.

Für ihr erfolgreiches Wirken für das bisher Erreichte spreche ich der Staatsanwaltschaft Itzehoe Lob und Dank aus in dem Wissen, dass das Engagement auch zukünftig nicht nachlassen wird. Die Bürgerinnen und Bürger des Landgerichtsbezirks Itzehoe sollen und dürfen sich auch weiterhin verlassen auf eine effektive Strafverfolgung mit Augenmaß, die sich neuen Herausforderungen stellt, denn das Funktionieren der Staatsanwaltschaft und der Justiz insgesamt gehört zu den wesentli- chen Grundlagen für das Funktionieren eines demokratisch verfassten Gemeinwesens. Es ist der Kitt, der dieses Gemeinwesen zusammenhält. 11 GRUßWORT DES LANDRATS DES KREISES STEINBURG

LANDRAT DR. DR. JENS KULLIK

„Das Landgericht Itzehoe genießt Ansehen und Vertrauen, ist mit der Stadt fest ver- wachsen und bei uns nicht mehr wegzuden- ken", so schließt ein Artikel im Steinburger Jahrbuch 1991 des Heimatverbandes über das Landgericht Itzehoe. Das gilt bis heute. Während der Behördenstandort Itzehoe in den letzten Jahren manchen Verlust zu be- klagen hatte, blieb der Gerichtsstandort un- angefochten, wurde vielmehr, man denke an die erweiterten Zuständigkeiten des Sozial- gerichts Itzehoe, sogar aufgewertet.

In der Region verwurzelte, mit Land und Leuten vertraute Gerichtsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter sind ein Ge- winn für die Rechtskultur in der Region, sie dienen der Akzeptanz der Rechtsprechung.

Am 1. April 1937 hatte Itzehoe ein eigenes Landgericht erhalten. Eine Neuordnung der Landgerichtsbezirke war wegen der Angliederung der bis dahin zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehörigen Stadt Altona an Hamburg erforderlich geworden, nachdem das Landgericht Altona bis dahin für den süd- und westholsteinischen Bereich zuständig war.

Der neue Landgerichtsbezirk umfasste 13 Amtsgerichtsbezirke. Im We- sentlichen ist der Gebietsbereich des Landgerichts seitdem unverändert geblieben. Durch die Kreisreform im Jahre 1970 wurde das Gebiet in nur noch vier Amtsgerichtsbezirke aufgeteilt, die heutigen Amtsgerichte Elmshorn, Itzehoe, Meldorf und Pinneberg.

Zunächst waren Landgericht und Staatsanwaltschaft gemeinsam im Westerhof untergebracht. Diese ehemalige Villa des Zuckerfabrikanten de Vos war zwar äußerst repräsentativ, jedoch - naturgemäß - für ein Gericht wenig funktionsgerecht. 1954 zog das Landgericht in einen Neubau neben dem Westerhof um, doch auf Dauer reichte auch der nicht aus. Die Staatsanwaltschaft zog 1973 in Räume des Holstein Cen- ters. 12 Im Herbst 2004 fand das Landgericht in dem ehemaligen Postgebäude am Theodor-Heuss-Platz eine ebenso ansehnliche wie zweckmäßige Heimat.

Bekannt wurde das Landgericht durch eine Reihe spektakulärer Straf- prozesse, vor allem wohl durch den Mordprozess im Jahre 1955, der unter dem Titel „Das Haus an der Stör“ unter der Regie von Jürgen Ro- land für die Fernsehreihe „Stahlnetz" verfilmt wurde.

Bundesweit war das Landgericht Itzehoe 1989 mit der Ernennung von Konstanze Görres-Ohde zur Präsidentin das erste mit einer Frau an der Spitze.

Nicht nur durch mehr oder weniger spektakuläre und manchmal sicher auch kuriose Prozesse machte und macht das Landgericht auf sich auf- merksam: durch die Gründung des Vereins „Justiz und Kultur im Land- gerichtsbezirk Itzehoe“ ist es gelungen, eine Brücke zwischen der Welt der Justiz und der Welt der Literatur, Malerei und Musik zu bauen und den Stellenwert des Rechts in unserer Gesellschaft auf besondere Weise bewusst zu machen. Beide, Justiz und Kultur, befassen sich mit Men- schen, ihren Konflikten und persönlichen Tragödien.

Dem Landgericht Itzehoe wünscht sein Heimatkreis Steinburg zum 75- jährigen Jubiläum alles Gute. Möge es auch weiterhin seinen gefestig- ten Platz in unserer schleswig-holsteinischen Rechtspflege zum Wohle der rechtsuchenden Menschen haben! 13 GRUßWORT DER STADT ITZEHOE

DR. ANDREAS KOEPPEN, BÜRGERMEISTER HEINZ KÖHNKE, BÜRGERVORSTEHER

Zum 75-jährigen Geburtstag des Landge- richts Itzehoe sowie der Staatsanwaltschaft beim Landgericht gratulieren wir im Namen der Stadt Itzehoe recht herzlich.

Am 01.04.1937 wurde Itzehoe durch die Neuordnung der Landgerichtsbezirke Stand- ort eines eigenen Landgerichtes. 13 Amts- gerichte wurden seinerzeit dem Landge- richtsbezirk zugeordnet. Nach der Kreisre- form im Jahre 1970 sind es nunmehr noch die Amtsgerichte Elmshorn, Itzehoe, Meldorf und Pinneberg. Von 1937 bis zum Jahr 2005 hatte das Landgericht seinen Sitz im so ge- nannten Westerhof. Nach dem Umzug hat es seit dem seinen Platz am Theodor-Heuss- Platz, also mitten im Stadtgebiet, gefunden.

Mit dem Landgericht und der dazugehörigen Staatsanwaltschaft, dem Amtsgericht, dem Sozialgericht und nicht zu vergessen der Justizvollzugsanstalt nimmt Itzehoe somit einen wichtigen Platz in der Justizlandschaft Schleswig-Holsteins ein.

Die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland fest verankerte Gewaltentei- lung zwischen Gesetzgebung, Vollziehung und Rechtsprechung ist mittlerweile Bestandteil jeder modernen Demo- kratie und hat sich mehr als nur bewährt. Landgericht und Staatsan- waltschaft in Itzehoe tragen durch ihre hervorragende Arbeit dazu bei, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen in die Justiz haben.

Wir sind uns sicher, dass das Landgericht Itzehoe und die Staatsanwalt- schaft auch zukünftig in einer sich stetig verändernden Gesellschaft das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Justiz rechtfertigen wer- den. 14 15 GRUßWORT DES VORSITZENDEN DES ANWALT- UND NOTAR- VEREINS IM LANDGERICHTSBEZIRK ITZEHOE E.V.

ANDREAS BOTHE

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Leitender Oberstaatsanwalt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Richter und Staatsanwälte, sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beider Behörden,

75 Jahre Landgericht und Staatsanwalt- schaft Itzehoe sind wahrlich ein Grund, Danke zu sagen an alle Menschen, die durch ihre Tätigkeit beide Behörden über diesen langen Zeitraum im Dienste der Bürgerin- nen und Bürger mit Leben erfüllt haben.

Ein 3/4-Jahrhundert ist hierbei eigentlich zu kurz gegriffen, angesichts des zunächst 1879 aufgelösten Kreisgerichts Itzehoe und der bis 1937 auf das Landgericht Altona übertragenen Aufgaben. Der Gerichtsstand- ort Itzehoe hat in diesem Sinne eine viel längere Tradition.

Seit der Neueinrichtung des Landgerichts und der Staatsanwaltschaft Itzehoe zum 1. April 1937 haben sich alle Mitarbeiterinnen und Mitar- beiter des Landgerichts und der Staatsanwaltschaft jedoch stets durch eine sehr kollegiale Zusammenarbeit mit den im Bezirk ansässigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie Notarinnen und Notaren bemüht, diese bewahrt und sich im Sinne der Rechts- und Gerechtig- keitssuchenden immer durch eine zügige und sachkundige Arbeit aus- gezeichnet.

Im Namen der im Bezirk ansässigen Rechtsanwältinnen und Rechtsan- wälte sowie Notarinnen und Notare wünsche ich beiden Behörden und insbesondere den hinter diesen Behörden stehenden Menschen alles Gute zum Jubiläum und freue mich auch für alle Mitglieder unseres Ver- eins auf die weitere Zusammenarbeit. 16 VOM LANDGERICHT ALTONA ZUM LANDGERICHT ITZEHOE UND DES- SEN ANFÄNGE BIS 1945

DR. RALF MAERTENS1

I. Die Aufhebung des Landgerichts Altona und die Errichtung des Landgerichts Itzehoe

Da Altona bis zum 31. März 1937 zu Schleswig-Holstein gehörte und die mit Abstand größte Stadt im Westen Schleswig-Holsteins war, wurde mit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze am 1. Oktober 1879 in Altona ein schleswig-holsteinisches Landgericht errichtet.2

Das Landgericht Altona wurde durch das Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen vom 26. Januar 19373 und das Ge- setz über Gebietsgliederungen in Groß-Hamburg und anderen Gebiets- teilen vom 16. März 19374 mit Ablauf des 31. März 1937 aufgehoben.

Die Verwirklichung der Groß-Hamburg-Frage war die erste territoriale Neugestaltung des nationalsozialistischen Reiches.5 Sie kam nicht über- raschend, denn schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts war eine Diskus- sion über die Erweiterung Hamburgs entbrannt.6 Die von Seiten Ham- burgs erhobenen Gebietsforderungen stießen in Preußen auf Wider- stand, da von Seiten Preußens eher die Einverleibung Hamburgs erwo- gen wurde. Die Diskussion erstreckte sich über Jahre.7

1 Der Autor arbeitet als Rechtsanwalt im Rechtsanwalts- und Notariatsbüro Schwackenberg und Partner in Oldenburg. Er hat bei Professor Dr. Werner Schubert von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert. Der Titel der Dissertation lautet: Das Landgericht Altona (1879 bis 1937) und die Anfänge des Landgerichts Itzehoe (1937 bis 1945) unter besonderer Berücksichtigung ihrer Tätigkeitsberichte und rechtspolitischen Stellungnahmen. Die Arbeit ist im Peter-Lang-Verlag veröffentlicht. Dieser Beitrag enthält einige leicht umgearbeitete Passagen der Doktorarbeit. 2 Zur Geschichte des Landgerichts Altona siehe Maertens, Das Landgericht Altona (1879-1937) und die Anfänge des Landgerichts Itzehoe (1937-1945) unter besonderer Berücksichtigung ihrer Tätigkeitsberichte und rechtspoltischen Stellungnahmen, S. 1 ff. Die Reichsjustizgesetze umfassten hauptsächlich das Gerichtsverfassungsgesetz, die Zivilprozessordnung, die Strafprozessordnung und die Konkursordnung. 3 RGBl. I 1937, S. 91 ff. 4 RGBl. I 1937, S. 312 f. 5 Spaude, Gerichtsstadt Itzehoe - der Abschluss einer historischen Entwicklung, SchlHA 1987, S. 63. 6 Spaude, a. a. O., S. 63, erwähnt eine Denkschrift des Altonaer Oberbürgermeisters Schnackenburg und die aus der Zeit um 1914/15 stammende "Denkschrifit über die Notwendigkeit einer Erweiterung des Hamburgischen Staatsgebietes des Hamburger Senats." Siehe dazu auch Kröger, 50 Jahre LG Itzehoe, SchlHA 1987, S. 69. 7 Spaude, a. a. O., S. 63. 17 Die Verhandlungen zwischen Hamburg und Altona wurden dann 1926 ergebnislos abgebrochen. Die preußische Regierung hielt es ein Jahr später zur Stärkung ihrer Gebiete gegenüber Hamburg für angebracht, Altona, Wandsbek und Hamburg-Wilhelmsburg durch Eingemeindungen zu Großstädten werden zu lassen.8

Durch das Groß-Hamburg-Gesetz erhielt Hamburg vor allem Altona, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek. Obwohl die Gebietsveränderung mit einem „Federstrich“ vorgenommen wurde, wurde sie von der Bevöl- kerung durchweg bejaht.9

Bei den Planungen zur Verwirklichung der Groß-Hamburg-Frage wurde die Justiz schon vor 1937 beteiligt. Amtsgerichtsrat Dr. Ewoldt aus Kiel verfasste 1928 ein Gutachten zu dieser Frage und warf auch die Frage auf, ob bei einer „Zusammenwerfung der Landgerichte Hamburg und Atona […] das Oberlandesgericht Kiel noch existenzberechtigt“ wäre.10

Vor allem Itzehoe und Elmshorn bewarben sich 1937 darum, Sitz des neu zu errichtenden Landgerichts zu werden. Beide Städte boten ein Gerichtsgebäude an und versprachen, Wohnraum für die Dienstangehö- rigen des Landgerichts und der Staatsanwaltschaft zu schaffen.11

Letztlich wurde das Landgericht, wie wir wissen, in Itzehoe errichtet. Aus welchen Gründen die Entscheidung so getroffen wurde, ließ sich nicht mehr ermitteln. Bei der Entscheidung wurden zwar die Justizbe- hörden, besonders der Präsident des Oberlandesgerichts Kiel Dr. Martin, angehört. Auch eine Einflussnahme der NSDAP und des Gauleiters Loh- se kann nicht ausgeschlossen werden.12

8 Danach wurde Altona durch die Eingemeindung von Nienstedten, Ottensen, Othmarschen, Flottbek, Blankenese, Langenfelde und weitere umliegende Ortschaften erweitert; Spaude, a. a. O., S. 63. 9 Im Gegenzug wurde der preu_ischen Provinz Schleswig-Holstein das Land Lübeck einverleibt, siehe dazu Spaude, a. a. O., S. 64. 10 Das OLG Kiel bestand ab 1879 und wurde erst 1948 nach Schleswig verlegt. Siehe zur Geschichte des OLG Kiel Schubert, Aus der Geschichte des OLG Kiel in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit, SchlHA 2006, S. 177 ff. und derselbe, Zur Geschichte des OLG Kiel in der NS-Zeit unter ihren Präsidenten Karl Martin und Johannes Haastert, SchlHA 2007, S. 345 ff. Ewoldt, Gutachten vom 31. Dezember 1928 mit dem Titel: "Schleswig-Holstein, Hamburg und der Einheitsstaatì, Landesarchiv Schleswig, Abt. 350 Nr. 1131, Bl. 7 f. Ob die Frage der Aufhebung des OLG Kiel ernsthaft erörtert wurde, ließ sich nicht mehr ermitteln. Dagegen spricht, dass am 1. April 1937 neben dem LG Itzehoe in Schleswig-Holstein noch die LG Kiel, Flensburg und Lübeck bestanden. 11 Aufgrund der Tradition soll auch Glückstadt als Sitz des neu zu errichtenden Landgerichts ins Gespräch gebracht worden sein; Kröger, 50 Jahre LG Itzehoe, SchlHA 1987, S. 69. Zur Geschichte des mittlerweile aufgehobenen AG Glückstadt Vollstedt, Zum 100jährigen Bestehen des AG Glückstadt, SchlHA 1967, S. 216 ff. 12 So Neumann, Geschichte der Staatsanwaltschaft Itzehoe und Altona (1867 bis 1967), S. 45. 18 Es ist aber genauso möglich, dass örtliche Aspekte entscheidend waren. Denn immerhin lag Elmshorn von den nördlichen Bereichen des Land- gerichtsbezirks zu weit entfernt, während Itzehoe deutlich zentraler ge- legen war. Ferner könnte eine Rolle gespielt haben, dass Itzehoe im Ge- richtswesen Holsteins eine größere Bedeutung und Tradition hatte als Elmshorn.13

II. Die Eröffnung des Landgerichts Itzehoe und sein Gerichtsbe- zirk

Das Landgericht Itzehoe nahm seine Arbeit am 1. April 1937 auf. Die Eröffnungsfeier fand am 3. April statt. Dafür war „der Sitzungssaal des Landgerichts im 1. Stock […] mit den Fahnen des Dritten Reiches, ei- nem großen Bild des Führers sowie frischem Grün festlich geschmückt.“ An der Feier nahmen zahlreiche Ehrengäste, die als Vertreter der Partei und ihrer Gliederungen, der Behörden und der Wehrmacht gekommen waren, die Richter und zahlreiche Beamte des […] Amtsgerichts, ferner die schon anwesenden Beamten und Angestellten des Landgerichts, die hiesigen Rechtsanwälte und Notare“ teil.14

Der Präsident des Oberlandesgerichts Kiel Dr. Martin hielt die erste Rede und hob hervor, „dass die Gründung eines Landgerichts in Itzehoe von weittragender Bedeutung nicht nur für die Stadt, sondern auch für Schleswig-Holstein sei.“ Es soll, so Dr. Martin, vor allem „Rücksicht auf die Belange der Bevölkerung“ genommen worden sein.15

Am Schluss seiner Rede begrüßte Dr. Martin den ersten Präsidenten des Landgerichts Itzehoe Dr. Seidenstücker und bemerkte, dass beide be- reits in der Vergangenheit „in Kassel zusammengearbeitet“ hatten. Er wusste demnach, „dass die Leitung des Landgerichts […] in besten Händen“ lag.16

Die nächste Rede hielt des Itzehoer Bürgermeister Dr. Heitmann. Er hieß alle „Beamten und Angestellten“ willkommen und bemerkte, dass die Eröffnung des Landgerichts „von entscheidender Bedeutung für die Weiterentwicklung der Stadt Itzehoe“ sei.17

13 In Itzehoe bestand zwischen 1867 und 1879 immerhin ein Kreisgericht der mittleren Instanz, siehe zum Kreisgericht Maertens, Das LG Altona (1879-1937) und die Anfänge des LG Itzehoe (1937-1945) unter besonderer Berücksichtigung ihrer Tätigkeitsberichte und rechtspolitischen Stellungnahmen, S. 62 ff. Die Gründe führt Spaude, Gerichtsstadt Itzehoe - der Abschluss einer historischen Entwicklung, SchlHA 1987, S. 64, an. 14 Nordischer Kurier vom 3. April 1937. 15 A. a. O. 16 A. a. O. 17 A. a. O. 19 Der letzte Redner der Eröffnungsfeier war der erste Präsident des Land- gerichts Itzehoe Dr. Seidenstücker. Er bedankte sich zunächst „für die Einführungs- und Begrüßungsworte“ und fügte hinzu, dass „das Land- gericht […] in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der Stadt Itzehoe und ihrer Bevölkerung seine Aufgabe erfüllen […] wolle“. Er wollte „sei- ne Arbeit […] im Geiste der Volksverbundenheit […] tun“. Ferner sollte „im […] Landgericht ein Recht gesprochen werden, das volksverbunden und vom nationalsozialistischen Geiste getragen“ sein sollte. Nach dem Artikel „schloss dann die Feier mit einem dreifachen Sieg Heil auf den Führer.“18

Der Bezirk des Landgerichts Itzehoe umfasste den Landkreis Pinneberg mit Ausnahme der Insel Helgoland, die Landkreise Steinburg und Süd- erdithmarschen sowie Teile der Landkreise Rendsburg und Segeberg. Im Jahr 1942 betrug die Zahl der Gerichtseingesessenen 259.159.19 Seine Räumlichkeiten bezog das Landgericht im Westerhof in der Breit- enburger Straße 70. Diese herrenhausähnliche Villa wurde 1856 von dem Inhaber der Itzehoer Zuckerfabrik Charles de Vos erbaut und dien- te schon Kaiser Wilhelm I. während eines Manövers als Quartier.20

Der Bezirk des Landgerichts Itzehoe umfasste dreizehn Amtsgerichte. Es waren die Amtsgerichte Eddelak, Elmshorn, Glückstadt, Itzehoe, Kel- linghusen, , Marne, Meldorf, Pinneberg, Rantzau in Barmstedt, Schenefeld, Uetersen und , wobei das Amtsgericht Eddelak zum 1. Oktober 1938 nach Brunsbüttelkoog verlegt wurde.21

Am 1. April 1937 waren am Landgericht Itzehoe zehn Richter inklusive des Präsidenten beschäftigt. Insgesamt betrug die Zahl der am Gericht beschäftigten Personen 32. Es wurden zwei Zivil- und drei Strafkam- mern gebildet.22

III. Die Präsidenten des Landgerichts Itzehoe Dr. Seidenstücker und Haverlandt

Der erste Präsident des Landgerichts Itzehoe war Dr. Eduard Seiden-

18 A. a. O. 19 Handbuch der Justizverwaltung 1942, S. 154. 20 Kröger, Obergericht - Kreisgericht - Landgericht, die überregionalen Gerichte im Kreis Steinburg, Steinburger Jahrbuch 1991, S. 60. 21 Kröger, Obergericht ñ Kreisgericht ñ Landgericht, die überregionalen Gerichte im Kreis Steinburg, Steinburger Jahrbuch 1991, S. 59; Spaude, Das LG Itzehoe ñ der Abschluss einer historischen Entwicklung, Steinburger Jahrbuch 1991, S. 71. 22 Spaude, Das LG in Itzehoe - Vorgeschichte und Entwicklung, Steinburger Jahrbuch 1991, S. 71. 20 stücker, der dem Gericht vom 1. April 1937 bis Ende Juli 1943 vorstand.23 Er wurde am 17. März 1885 als Sohn eines Amtsgerichts- sekretärs in Wächtersbach bei Frankfurt am Main geboren. Er war evan- gelisch und mit Irma Böhnke, der Tochter eines Gymnasialprofessors, verheiratet. Aus der Ehe gingen ein Sohn und eine Tochter hervor.

Von 1891 bis 1894 besuchte Dr. Seidenstücker die Volksschule in Gen- sungen und von 1894 bis 1896 eine Privatschule in Felsberg. Bis 1903 ging er auf das Wilhelmgymnasium in Kassel, wo er das Abitur erreich- te. Er begann das Studium der Rechtswissen- schaften am 20. Oktober 1903 an der Univer- sität Leipzig. Das Sommersemester verbrachte er in Heidelberg. Vom 20. Oktober 1904 bis zum 3. März 1905 studierte er erneut in Leip- zig. Die Zeit vom 20. Mai 1905 bis zum 2. Au- gust 1906 verbrachte er an der Universität Marburg.

Dr. Seidenstücker legte das I. Examen am 6. Oktober 1906 in Kassel mit der Note „gut“ ab. Im II. Examen erreichte er am 19. März 1912 in Berlin ebenfalls die Note „gut“. Im An- Eduard Seidenstücker schluss an eine Zeit als Gerichtsassessor wur- Präsident des Landgerichts de er ab Oktober/November 1913 unter Er- 1937 - 1943 nennung zum Amtsgerichtsrat an das Amtsge- richt Bärwalde in Pommern versetzt. Im September 1921 wurde er eini- ge Wochen als Hilfsrichter an das Oberlandesgericht Stettin abgeordnet. Von November 1921 bis Oktober 1926 war er Landgerichtsrat am Land- gericht Hanau, von wo er zum Oberlandesgerichtsrat ernannt wurde und bis 1934 eine Tätigkeit am Oberlandesgericht Celle ausübte, wo ihm ab dem 1. Januar 1927 auch die Leitung des Referendarunterrichts übertragen wurde. Ab März 1928 erledigte er als Präsidialrat auch Jus- tizverwaltungsgeschäfte. Ab Mai 1934 war Dr. Seidenstücker Präsident des Landgerichts Aurich. Im Anschluss war er, wie bereits festgestellt, Präsident des Landgerichts Itzehoe. Ab August 1943 stand er dem Landgericht Kiel als Präsident vor. Aus diesem Amt wurde er am 5. Juli 1945 mit Wirkung vom 30. Juni 1945 entlassen. Nach dem 2. Weltkrieg musste sich Dr. Seidenstücker in einem Entnazifizierungsverfahren ver- antworten. Letztlich wurde er in die Gruppe IV eingestuft und zum 1. Janu26ar 1948 in den Ruhestand versetzt.

Vom 1. Januar 1944 bis zum 26. Juli 1946 stand Kurt Haverlandt dem

23 Zu Dr. Seidenstücker siehe PA im Landesarchiv Schleswig, Abt. 786 Nr. 253 I und II jeweils Bl. 1 ff. 21 Landgericht Itzehoe als Präsident vor. Er wurde am 4. November 1883 in St. Petersburg (Russland) als Sohn des Handelsmaklers Johann Dani- el Haverlandt geboren. Er war evangelisch-lutherisch und seit dem 15. September 1922 mit Clara Charlotte Sauerländer, der Tochter eines Brauereidirektors verheiratet. Das Paar hatte einen Sohn und eine Toch- ter.

Haverlandt besuchte die deutsche St.-Cathari- nenkirchen-Schule in St. Petersburg und das Matthias-Claudius-Gymnasium in Wandsbek. Im Februar 1903 erreichte er die Hochschul- reife. Im Anschluss leistete er 1903/04 seinen Militärdienst ab. In der Folgezeit studierte Ha- verlandt in Kiel Rechtswissenschaften. Er be- stand das I. Examen am 4. Juli 1907 mit der Note „ausreichend“. Seine Vereidigung als Re- ferendar erfolgte am 12. Juli desselben Jah- res. Auf den Tag genau fünf Jahre nach dem I. Examen legte er das II. Examen ab und er- reichte die Note „vollausreichend“, nachdem er zuvor am 11. Februar 1911 einen Fehlver- Kurt Haverland such hatte. Nach einer Zeit als Gerichtsasses- Präsident des Landgerichts sor erfolgte seine Ernennung zum Landrichter 1943 - 1945 am Landgericht Hamburg.

Haverlandt nahm vom 2. August bis zum 6. Oktober 1914 und vom 21. September 1916 bis zum 20. November 1918 am 1. Weltkrieg teil. Nach dem 1. Weltkrieg fungierte er wieder als Landrichter am Landge- richt Hamburg. Zum 1. April 1924 wurde er an das Amtsgericht Ham- burg versetzt. Später war er vom 1. Oktober 1933 bis zum 30. Septem- ber 1937 Direktor des Amtsgerichts Cuxhaven. Seinen dienstlichen Be- urteilungen lässt sich entnehmen, dass er für das Amt des Direktors „gut geeignet“ Durchschnitt“ lag. Haverlandt wurde als „biederer, offe- ner Charakter“ beschrieben. Zum 1. Oktober 1937 wurde er zum Präsi- denten des Landgerichts Braunsberg/Ostpreußen ernannt.

Im Herbst 1942 wandte sich Haverlandt an das Justizministerium und bat um Versetzung nach Westen. Nach seinem Eindruck war „die Stim- mung in Ostpreußen wegen der besonders schmerzlichen Verluste ost- preußischer Truppenteile und des für die Allgemeinheit nicht abzuse- henden weiteren Kriegsverlaufs recht gedrückt.“ Er wurde zum 1. Janu- ar 1944 Präsident des Landgerichts Itzehoe. Auf Veranlassung der Briti- schen Militärregierung in Kiel wurde Haverlandt mit Wirkung vom 26. Juli 1945 seines Amtes als Landgerichtspräsident ohne Zubilligung einer 22 Pension enthoben.

Seine Berufung im Entnazifizierungsverfahren war nicht erfolglos, denn mit Bescheid vom 21 März 1950 wurde ihm ein jährliches Ruhegehalt von 8.085,- Mark zugesprochen. Haverlandt verstarb im März 1958.

IV. Der Neubeginn nach dem 2. Weltkrieg mit dem neuen Präsi- denten Dr. Masur

Geschäftszahlen aus den Jahren zwischen 1937 und 1945 konnten nicht ermittelt werden. Das Landgericht Itzehoe begann am 1. April 1937 als relativ kleines, vielleicht sogar unbedeutendes Gericht. Die begonnene Aufbauarbeit endete schnell im September 1939 durch den Beginn des 2. Weltkrieges. Während des Krieges und in den turbulenten Jahren da- nach blieb es nur bei der Bearbeitung der anhängigen Rechtssachen. Grundsätzliche Planungen in der Gerichtsorganisation waren unmög- lich.24

Ende 1947 waren am Landgericht Itzehoe be- reits wieder 42 Personen beschäftigt.25 Ende 1949 waren am Landgericht Itzehoe fünfzehn Richter tätig, nämlich der Präsident, ein Direk- tor und dreizehn Räte. Hinzu kamen zwei As- sessoren.26

Nach dem 2. Weltkrieg musste schwere Auf- bauarbeit geleistet werden. Glücklicherweise fungierte von 1945 bis zum 31. Januar 1954 Dr. Erich Masur als Präsident des Landgerichts Itzehoe. Im Gegensatz zu seinen beiden Vor- gängern war er nicht vorbelastet.27 Dr. Erich Masur Dr. Masur wurde am 8. Januar 1886 in Berlin Präsident des Landgerichts als Sohn eines Kaufmanns geboren. Er war 1945 - 1954 evangelisch und seit dem 22. September 1920 mit Grete Schmidt verheiratet. Er besuchte bis Ostern 1905 das Falk- Realgymnasium in Berlin. Er studierte Rechtswissenschaften an den

24 Kröger, Obergericht- Kreisgericht - Landgericht, die überregionalen Gerichte im Kreis Steinburg, Steinburger Jahrbuch 1991, S. 62. 25 Bericht des LG Itzehoe vom 22. Dezember 1947, Landesarchiv Schleswig, Abt. 352 (Itzehoe) Nr. 3073, Bl. 266. 26 Geschäftsverteilungsplan vom 1. Dezember 1949, Landesarchiv Schleswig, Abt. 352 (Itzehoe) Nr. 3073, Bl. 8. Schon 1956 waren fünf Zivil-, drei Straf- und eine Jugendkammer errichtet; Übersicht vom 5. Juni 1956, Landesarchiv Schleswig, Abt. 786 Nr. 3662, Bl. 8. 27 Siehe zu Dr. Masur die PA im Landesarchiv Schleswig, Abt. 786 Nrn. 179, 486 jeweils Bl. 1 ff. 23 Universitäten Freiburg im Breisgau, Halle und Berlin. Das I. Examen legte er am 2. November 1908 in Berlin ab und erreichte die Note „aus- reichend“. Im II. Examen erreichte er am 17. Mai 1913 die Note „gut“. Nachdem er zuvor als Gerichtsassessor eingesetzt worden war, nahm er von 1916 bis 1919 am 1. Weltkrieg teil. Zwischen 1919 und 1928 fun- gierte er als Assessor und Landgerichtsrat bei dem Land- und Amtsge- richt Berlin.

Dr. Masur wurde im November 1928 zum Landgerichtsdirektor ernannt. Ab dem 1. Februar 1929 war er zugleich Amtsgerichtsrat am Amtsge- richt Berlin-Mitte. Nach seinen dienstlichen Beurteilungen überragte Dr. Masur „den Durchschnitt […] nach Befähigung, Kenntnissen und Leis- tungen“. Hervorgehoben wurde ferner „seine ruhige, umsichtige und entgegenkommende Verhandlungsleitung.“

Dr. Masur wurde aufgrund der Regelung des § 3 Berufsbeamtengeset- zes zum 1. November 1933 pensioniert. Der Grund dafür ließ sich nicht mehr ermitteln. Er wurde am 11. August 1945 mit Wirkung zum 26. Juli 1945 zum Präsidenten des Landgerichts Itzehoe ernannt. Er trat mit Wirkung vom 31. Januar 1954 in den Ruhestand. 24 INTERVIEW MIT EINEM ZEITZEUGEN

DAS GESPRÄCH FÜHRTE VOLKMAR ZIMMERMANN IM JANUAR 2012

Gerhard Witt, Justizamtsrat a. D., geboren 1924, wurde 1942 beim OLG Königsberg als Rechtspflegeranwärter eingestellt. Nach 15 Tagen Aus- bildung bei dem Amtsgericht Memel erfolgte seine Einziehung zur Wehr- macht. Er geriet im Mai 1945 nach der Kapitulation als Obergefreiter beim Divisionsstab in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst im November 1949 entlassen wurde.

Was wissen Sie, Herr Witt, über die Kriegsgerichtsbarkeit zu berichten?

Witt: Ich war etwa Ende 1944 als Schreiber vom Divisionsstab zum Di- visionskriegsgericht abgeordnet. Aus heutiger Sicht war es erstaunlich, dass der Kriegsgerichtsrat, der vor dem Kriege als Staatsanwalt tätig war, es kategorisch ablehnte, Todesurteile auszusprechen. Wenn er mir die Urteile diktierte - aus seinen „Zwischentönen“ war deutlich zu ent- nehmen, dass er Todesurteile mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte - wusste er, dass seine Entscheidungen von der nächsten Instanz nicht bestätigt und das Verfahren an ein anderes Kriegsgericht verwiesen wurde, von dem bekannt war, dass dort Todesurteile an der Tagesordnung waren. Dies bewog ihn jedoch nicht, vorauseilend auf Tod zu erkennen. Für mich ein mutiger Mann, dem im Übrigen nichts ge- schehen ist.

Wie ging es nach der Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft dann weiter?

Witt: Ich hatte mich bei dem Justizministerium in Kiel als Rechtspfle- geranwärter beworben, bekam aber von dort einen abschlägigen Be- scheid mit der Begründung, dass das Oberlandesgericht Königsberg nicht mehr existiere, ein Einstellungsanspruch für mich in Schleswig- Holstein nicht bestehe. Nach einigem Hin und Her wurde ich dann am 1. April 1950 als Justizassistentenanwärter bei dem Amtsgericht Itzehoe eingestellt.

Was ist Ihnen aus den Anfängen Ihrer Justizlaufbahn besonders in Erin- nerung geblieben?

Witt: Bei dem Amtsgericht arbeitete ich mit einem Amts- richter zusammen, der als Kriegsrichter an der Ostfront tätig gewesen war. Im Laufe eines Gespräches erklärte er mir, dass er die vom ihm 25 ausgesprochenen Todesurteile auch heute noch aussprechen würde. Eine Diskussion mit ihm erwies sich als fruchtlos; er gehörte offensicht- lich zu denen, die für sich noch Jahre in Anspruch nahmen, „nur dem Recht gedient zu haben“. Gut, dass er später als „belasteter Richter“ vorzeitig aus dem Dienst ausgeschieden ist.

Beim Landgericht Itzehoe lehnte es der damalige Landgerichtspräsident Masur ab, einen aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückge- kehrten Landgerichtsrat persönlich zu empfangen, da dieser nach den Personalunterlagen in der NSDAP gewesen war.

Jahre später lernte ich als Rechtspfleger bei dem Amtsgericht Elmshorn den jungen Assessor und späteren Landrichter Dr. Godau-Schüttke ken- nen; oft unterhielten wir uns über belastete Richter und Staatsanwälte aus der Nazizeit, die nach Vertreibung im Gegensatz zu mir in Schles- wig-Holstein sofort wieder eine Anstellung bekamen, ohne dass man ihre Vergangenheit hinterfragt hätte. Dazu gehörten auch Richter und Staatsanwälte an Sondergerichten. Dr. Godau-Schüttke beabsichtigte bereits damals, all dies aufzuarbeiten und zu dokumentieren. Über eine persönliche Widmung in seinem späteren Buch „Ich habe nur dem Recht gedient“ habe ich mich sehr gefreut.

Sie waren insgesamt dreimal bei dem Landgericht Itzehoe tätig?

Witt: Wohl wahr. 1951 als Justizassistentenanwärter in beengten Raum- verhältnissen im Westerhof; im 1. Stock befanden sich die Räume der Staatsanwaltschaft und in Teilen des Dachgeschosses war das Strafre- gister untergebracht. Im Erdgeschoss des Westerhofes saßen drei Ge- schäftsstellen und zwei Rechtspfleger sozusagen in einem Großraumbü- ro. Diese gemeinsame Unterbringung führte zu mancherlei Foppereien. Es war an der Tagesordnung, sich per Telefon gegenseitig auf den Arm zu nehmen; Pech für den Geschäftsstellenbeamten, der „Charly“ ge- nannt wurde; als er einen Anruf vom Präsidenten Dr. Masur erhielt, ant- wortete er in Erwartung eines Geschäftsstellenkollegen: „Du kannst mich nicht verscheißern, Du A ….. ch, ich weiß genau, wer Du bist!“. „Charly“ musste sich zum Präsidenten begeben, der mit ihm ein sachli- ches Gespräch über den Vorfall führte – und die Sache dann auf sich beruhen ließ. Mit Telefonspäßen ging man jedoch etwas vorsichtiger um. Der Präsident und die Verwaltung waren schräg gegenüber dem Westerhof in der Voß`schen Villa untergebracht.

1958 als Rechtspflegeranwärter sowie von 1969 bis 1972 als Bezirksre- visor. Zu dieser Zeit gab es noch dreizehn Amtsgerichte im Landge- richtsbezirk, so dass ich als alleiniger Bezirksrevisor fast täglich mit der 26 Prüfung von Gerichten, Notaren und Gerichtsvollziehern und der Staats- anwaltschaft beschäftigt war; interne Bezirksrevisorenangelenheiten wurden von einem sog. „Hilfsarbeiter“ des gehobenen Dienstes erledigt. Bei dem Landgericht Itzehoe stand mir, im Gegensatz zu anderen Land- gerichten, der Dienstwagen für Fahrten zu den Prüfungen zur Verfü- gung.

Wie waren die Dienstzeiten geregelt?

Witt: Als Bezirksrevisor war ich an Dienstzeiten nicht gebunden, teilwei- se habe ich meine Prüfungsberichte zu Hause erstellt; heute würde man von Vertrauensarbeitszeit sprechen. Bei den anderen nichtrichterlichen Mitarbeitern wurde die Einhaltung der Dienstzeit nicht so eng gesehen; Hauptsache, die Arbeit wurde in angemessener Zeit erledigt. Mittwoch- nachmittag war dienstfrei, am Sonnabend musste dagegen bis mittags gearbeitet werden. Später wurde dann die gleitende Arbeitszeit einge- führt, die von vielen Mitarbeitern nicht als Arbeitszeitflexibilisierung sondern wegen der zu betätigenden Stempeluhren als Überwachungsin- strument empfunden wurde.

Schon in den 1960er Jahren wurde ein Rechtspflegertag im Landge- richtsbezirk Itzehoe veranstaltet?

Witt: Richtig. Dieser fand alljährlich in der Gaststätte „Amönenhöhe“ statt. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurden aktuelle Recht- sprechungsprobleme von verschiedenen Refe- renten vorgetragen und diskutiert. Als Refe- rent gelangt es mir damals, die Rechtspfleger in Zwangsversteigerungssachen von der unba- ren Abwicklung der Verfahren durch Hinterle- gung von Geld bei der Landesbezirkskasse zu überzeugen. Hierzu muss man wissen, dass es im Bezirk noch Rechtspfleger gab, die den Geldverkehr in Zwangsversteigerungssachen über ein Konto abwickelten, welches sie auf eigene Namen eingerichtet hatten; ein aus Dr. Georg Ostendorf heutiger Sicht unvorstellbarer Zustand. Mein Präsident des Landgerichts Vorschlag wurde später, und darauf bin ich 1962 - 1967 heute immer noch ein bisschen stolz, vom Justizministerium landesweit eingeführt.

Irgendwann schlief der Rechtspflegertag ein. Wie ich höre, wurde er aber vor 14 Jahren von Frau Vizepräsidentin Krix im Landgerichtsbezirk 27 wieder zum Leben erweckt und hat seitdem jährlich stattgefunden.

Was treibt Sie heute um?

Witt: Ich bin seit langen Jahren für die Presseangelegenheiten im Bund der Ruhestandsbeamten in Elmshorn verantwortlich und halte hier und da Vorträge über die Gestaltung von Testamenten und Vorsorgevoll- machten. Ich genieße die Informationsmöglichkeiten aus dem Internet, beschäftige mich mit dem Zeitgeschehen und lese viel; mancher Leser der Elmshorner Nachrichten hält mich zudem für einen „gefürchteten“ Leserbriefschreiber.

Herr Witt, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute. 28 DAS LANDGERICHT ITZEHOE IM KONTEXT DER GERICHTSORGANI- SATION IN SCHLESWIG-HOLSTEIN

PETER ANHUT

I. Entstehung des Landgerichtsbezirks Itzehoe am 1. April 1937

Zum 1. April 1937 wurde das Gebiet Hamburgs durch das „Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbe- reinigungen“1 vom 26. Januar 1937, kurz Groß-Ham- burg-Gesetz, um die bis dahin preu- ßischen Städte Alt- ona, Harburg-Wil- helmsburg und Wandsbek sowie die hamburgische Stadt Bergedorf erweitert. Gleichzeitig endete Lübecks territoriale Selbständigkeit. Im Rahmen dieser Ge- bietsbereinigung wurde mit „Gesetz über die Gerichtsgliederung in Groß-Hamburg und anderen Gebietsteilen“2 vom 16. März 1937 mit Wirkung vom 1. April 1937 das Landgericht Altona aufgelöst und das Landgericht Itzehoe im Oberlandesgerichtsbezirk Kiel errichtet. Zum gleichen Zeitpunkt wurden dem Landgerichtsbezirk Itzehoe die ehemals dem Landgerichtsbezirk Altona zugehörigen Amtsgerichte Eddelak, Elmshorn, Glückstadt, Itze- hoe, Krempe, Marne, Meldorf, Pinneberg, Rantzau, Uetersen und Wilster sowie die ehemals dem Landgerichtsbezirk Kiel zugehörigen Amtsge- richte Kellinghusen und Schenefeld zugelegt. Das Landgericht Lübeck wurde unter Abtrennung vom Oberlandesgerichtsbezirk Hamburg eben- falls dem Oberlandesgericht Kiel zugelegt. Die bis dahin dem Landge-

1 RGBl. 1937, 91 2 RGBl. 1937, 312 29 richtsbezirk Altona angegliederten Amtsgerichte Ahrensburg, Bargtehei- de, Lauenburg, Mölln, Bad Oldesloe, Ratzeburg, Reinbek, Reinfeld, Schwarzenbek, Steinhorst und Trittau kamen unter die Verwaltung des Landgerichts Lübeck. Die Amtsgerichte Burg auf Fehmarn, Neustadt und Oldenburg wechselten aus dem Landgerichtsbezirk Kiel in den Landgerichtsbezirk Lübeck.

Vor allem die Städte Elmshorn und Itzehoe hatten sich nach Verkün- dung des Groß-Hamburg-Gesetzes um den Standort als Sitz für das neu zu gründende Landgericht beworben. Ausschlaggebend für die Wahl von Itzehoe mag nicht die Tatsache gewesen sein, dass Itzehoe bereits von 1867 bis 1879 Sitz eines Kreisgerichts war, sondern vielmehr die geo- grafische Lage im Zentrum des von Meldorf im Norden bis Wedel im Sü- den reichenden Landgerichtsbezirks.

II. Situation vor 1937

Mit der „Verordnung über die Aufhebung der Privatgerichtsbarkeit und des eximirten Gerichtsstandes sowie über die anderweitige Organisation der Gerichte“3 von 2. Januar 1849 wurde die Gerichtsorganisation in Preußen grundlegend verändert. Es kam erstmals zu einer Trennung der Rechts- pflege von der Ver- waltung. Bis dahin wurde die Rechts- sprechung von den Gutsherren, Magist- raten, Klöstern etc. ausgeübt.

Nachdem die Herzog- tümer Schleswig und Holstein als Folge des Deutschen Krieges im Jahre 1866 preu- ßisch wurden, entstanden zum 1. September 18674

3 PrGS S. 1-13 4 Verfügung vom 6. August 1867, betreffend die Einrichtung der nach der allerhöchsten Verordnung vom 26. Juni d.J. in den Herzogthümern Schleswig und Holstein zu bildenden Gerichten 30 Kreis und Amtsgerichte 1867 Kreisgericht: Altona Kreisgericht: Itzehoe 12 Husum Nr. Sitz der Amtsgerichte Nr. Sitz der Amtsgerichte 13 Bredstedt 14 Pellworm 1 Stadt Altona 1 Lunden 15 Nordstrand 2 Pinneberg 2 Albersdorf 3 Blankenese 3 Heide Kreisgericht: Flens- 4 Uetersen 4 Wesselburen burg 5 Elmshorn 5 Meldorf Nr. Sitz der Amtsgerichte 6 Rantzau 6 Marne 7 Oldesloe 7 Eddelak 1 Flensburg-Stadt 8 Reinfeld 8 Nortorf 2 Flensburg-West 9 Bargteheide 9 Rendsburg-Stadt 3 Flensburg-Ost 10 Ahrensburg 10 Rendsburg-Süd 4 Flensburg-Süd 11 Wansbek 11 Hohenwestedt 5 Kappeln-Nord 12 Reinbek 12 Schenefeld 6 Leck 13 Trittau 13 Glückstadt 7 Niebüll 14 Krempe 8 Neuenkirchen Kreisgericht: Kiel 15 Wilster 9 Tondern Nr. Sitz der Amtsgerichte 16 Itzehoe 10 Lügumkloster 17 Kellinghusen 11 Wisbye 1 Kaltenkirchen 12 Tinnum auf 2 Bramstedt Kreisgericht: Schles- 13 Wyk auf Föhr 3 Segeberg wig 14 Appenrade-Stadt 4 Bornhöved Nr. Sitz der Amtsgerichte 15 Appenrade-Land 5 Bordesholm 16 Gravenstein 6 Neumüster 1 Schleswig-Stadt 17 Hadersleben-Stadt 7 Kiel 2 Schleswig-Nord 18 Hadersleben-Nord 8 Schönberg 3 Schleswig-Süd 19 Hadersleben-Süd 9 Preetz 4 Kappeln-Süd 20 Rödding 10 Plön 5 Friedrichstadt 21 Toftlund 11 Lütjenburg 6 Eckernförde-Stadt 22 Broacker 12 Burg a.F. 7 Eckernförde-Land 23 Sonderburg 13 Heiligenhafen 8 Gettorf 24 Augustenburg 14 Oldenburg 9 Rendsburg-Nord 25 Norburg 15 Cismar 10 Tönning 16 Neustadt 11 Garding sechsundachtzig Amts- und fünf Kreisgerichte sowie das Appellations- gericht in Kiel.

In dem Gebiet des Fürstbistums Lübeck sowie Lübeck selbst bestanden bereits die Gerichte Ahrensbök, Schwartau, Eutin und Lübeck.

Das Kreisgericht Itzehoe kann insofern zumindest zu Teil als Vorläufer des heutigen Landgerichts gesehen werden. Die Neuordnung der Ge- richte und des Gerichtsaufbaus von 1867 hatte jedoch nur kurzfristig Bestand. Mit dem Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes am 1. Oktober 1879 änderten sich die Gerichtszuständigkeiten abermals. Aus den Kreisgerichten wurden mit „Verordnung betreffend die Bildung der 31 Amtsgerichte“5 vom 5. Juli 1879 Landgerichte, aus dem Appellationsge- richt das Oberlandesgericht. Die Kreisgerichte Schleswig und Itzehoe wurden aufgelöst und es verblieben bei dem Oberlandesgericht Kiel die Landgerichte Alt- ona, Flensburg und Kiel. Es entstanden die Landgerichtsbe- zirke Altona mit den Amtsgerichten Ahrensburg, Altona, Bargteheide, Blan- kenese, Eddelak, Elmshorn, Glücks- tadt, Itzehoe, Kel- linghusen, Krempe, Lauenburg, Marne, Meldorf, Mölln, Ol- desloe, Pinneberg, Rantzau, Ratze- burg, Reinbek, Reinfeld, Schwarz- enbek, Steinhorst, Trittau, Uetersen, Wansbek und Wils- ter, Landgerichtbe- zirk Flensburg mit den Amtsgerichten Apenrade, Bredstedt, Flensburg, Friedrichstadt, Gar- ding, Hardersleben, Husum, Kappeln, Leck, Lügumkloster, Niebüll, Nor- burg, Nordstrand, Pellworm, Rödding, Schleswig, Sonderburg, Tinnum, Tönning, Toftlund, Tondern und Wyk, sowie der Landgerichtsbezirk Kiel mit den Amtsgerichten Bordesholm, Bramstedt, Burg, Eckernförde, Get- torf, Heide, Heiligenhafen, Hohenwestedt, Kiel, Lütjenburg, Lunden, Neumünster, Neustadt, Nortorf, Oldenburg, Plön, Preetz, Rendsburg, Schenefeld, Schönberg, Segeberg und Wesselburen.

Der Landgerichtsbezirk Lübeck mit den Amtsgerichten Lübeck, Ahrens- bök, Eutin und Schwartau gehörte seinerzeit zum Oberlandesgericht Hamburg.

Damit hatte Itzehoe vorübergehend den Sitz eines Gerichts der Mittel- instanz verloren.

5 GS 1879, 393 32 Die erste große Änderung der Gerichtsstruktur nach dem Inkrafttreten des GVG erfolgte im Anschluss an die Volksabstimmung von 1920 als Nordschleswig dem Königreich Dänemark zugeteilt wurde. Die Amtsge- richte Apenrade, Hardersleben, Lügumkloster, Norburg, Rödding, Son- derburg, Toftlund und Tondern fielen durch die „Verordnung betreffend vorläufige Änderungen von Gerichtsbezirken anläßlich der Ausführung des Friedensvertrags“6 vom 21. Juni 1920 aus dem Landgerichtsbezirk Flensburg weg. In- folge dessen wur- den die Landge- richtsbezirke im Jahr 19237 neu auf- geteilt um ein eini- germaßen gleiches Größenverhältnis der Bezirke zuei- nander zu gewähr- leisten. Die Amts- gerichte Heide, Lunden und Wes- selburen wurden aus der Zuständig- keit des Landge- richts Kiel dem Landgerichtsbezirk Flensburg zuge- schlagen. Der Kieler Bezirk erhielt als Ausgleich das Amtsgericht Kel- linghusen aus dem Altonaer Landgerichtsbezirk. Die Amtsgerichte Pell- worm (1896)8 und Nordstrand (1902)9 waren bereits vorher aufgelöst und dem Amtsgericht Husum zugeschlagen worden. Ebenso hatte die Sitzverlegung des Amtsgerichts Tinnum nach Westerland bereits im Jahre 190210 stattgefunden.

Ergänzend ist zu erwähnen, dass die Amtsgerichte Heiligenhafen und

6 GS 1920, 345 7 Gesetz wegen Änderung der Landgerichtsbezirke Flensburg, Kiel und Altona vom 17. März 1923, GS 1923, 70 8 Gesetz zur Aufhebung des Amtsgerichts zu Pellworm vom 28. Juni 1896, GS 1896, 152 9 Gesetz zur Aufhebung des Amtsgerichts in Nordstrand vom 16. April 1902, GS 1902, 73 10 Gesetz über die Verlegung des Amtsgerichts von Tinnum nach Westerland vom 16. April 1902, GS 1902,79 33 Lunden 193211 aufgelöst wurden, die Bezirke waren den Amtsgerichten Oldenburg bzw. Friedrichstadt und Heide zugeschlagen worden12. Das Amtsgericht Ahrensbök aus dem Landgerichtsbezirk Lübeck schloss 1933 seine Tore.

III. Weitere Entwicklung der Gerichtsorganisation nach Grün- dung des Landgerichts Itzehoe

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde durch das Kabinett Lüdemann 1948 die Verlegung des ursprünglich in Kiel wiedereröffneten Gerichts nach Schleswig als Kompensation für den Verlust der Landesverwaltung durchgesetzt und das Gericht erhielt die heutige Bezeichnung Schles- wig-Holsteinisches Oberlandesgericht a) Auswirkungen der Kreisgebietsreform der 70’er Jahre

Bestand zunächst die Tendenz auf Grund der Bevölkerungsentwicklung zur weiteren Einrichtung neuer Amtsgerichte wie z.B. Geesthacht (1957), Wedel (1957)13, Garstedt (1962)14 und Heiligenhafen (1963)15 wurden später im Zuge der Neuordnung der Gemeinde- und Kreisgren- zen in den siebziger Jahren die kleineren Amtsgerichte mit ein bis zwei Richterplanstellen zu den jetzigen Gerichtsgrößen verschmolzen. Die Reformen wurden in den Landgerichtsbezirken Flensburg, Itzehoe und Kiel zum größten Teil umgesetzt, lediglich einige kleinere Gerichte im Landgerichtsbezirk Lübeck blieben bestehen. Die Begründung für die Aussetzung der Strukturreform im Süden des Landes wurde damals durchweg mit Haushaltsproblemen geführt.

Mit dem „Ersten Gesetz zur Neuordnung von Gemeinde und Kreisgren- zen sowie Gerichtsbezirken“ vom 22. April 196916 wurde am 1. Januar 1970 aus dem Amtsgericht Garstedt unter Herauslösung aus dem Land- gerichtsbezirk Itzehoe und Eingliederung in den Landgerichtsbezirk Kiel das Amtsgericht Norderstedt.

Beginnend mit dem „Zweiten Gesetz einer Neuordnung der Gemeinde- und Kreisgrenzen sowie Gerichtsbezirken“ vom 23. Dezember 196917

11 Verordnung über die Aufhebung von Amtsgerichten vom 30. Juli 1932, GS 1932, 253 12 Verordnung über die Aufteilung der aufgehobenen Amtsgerichte vom 13. September 1932, GS 1932-301 13 Gesetz über die Errichtung von Amtsgerichten in Wedel und Geesthacht vom 6. Juli 1957, GVOBl. 1957, 87 14 Gesetz über die Errichtung eines Amtsgerichts in Garstedt vom 3. April 1962, GVOBl. 1962, 135 15 Gesetz über die Errichtung eines Amtsgerichts in Heiligenhafen vom 21. September 1963, GVOBl. 1963, 110 16 GVOBl. 1969, 60 17 GVOBl. 1969, 280 34 wurden zunächst 1970 die Amtsgerichte Bargteheide, Reinfeld und Schenefeld aufgelöst, es folgten 1971 die Amtsgerichte Heide, Marne und Wesselburen. Nach einer kurzen Atempause erfolgte 197418 die Schließung der Gerichte Brunsbüttelkoog (1938 von Eddelak hierher verlegt), Leck, Westerland und Wyk. 197519 wurde der Bezirk des Amts- gerichts Wilster dem Amtsgericht Itzehoe zugeschlagen und 1976 die Amtsgerichte Bordesholm, Bredstedt, Friedrichstadt, Hohenwestedt, Nortorf, Rantzau und Tönning geschlossen. Nach der Schließung der Amtsgerichte Wedel und Gettorf im Jahre 1978, der Amtsgerichte Burg auf Fehmarn, Heiligenhafen, Lütjenburg, Neustadt, Preetz, Schönberg im Jahre 1979 sowie der Amtsgerichte Glückstadt, Kellinghusen, Krem- pe und Uetersen im Jahre 1982 erreichten die Organisationsverände- rungen ihr vorläufiges Ende20.

Die Auflösung der Amtsgerichte Steinhorst (1955)21 und Garding (1960)22 waren nicht durch die Kreisgebietsreform bedingt. b) Entwicklungen in der neueren Ver- gangenheit

Mit der Neufassung des „Gesetzes über die Gliederung und die Bezirke der or- dentlichen Gerichts- barkeit“23 vom 24.10.1984 wurde die zunächst für 1976 geplante und dann immer wieder verschobene Schlie- ßung der Amtsge- richte Kappeln und Bad Schwartau so- wie die zunächst für 1983 vorgesehene

18 Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplanes für das Haushaltsjahr 1973 vom 25. Mai 1973, GVOBl. 1973, 205 19 Drittes Gesetz zur Neuordnung von Amtsgerichtsbezirken vom 27. September 1974, GVOBl. 1974, 361 20 Fünftes Gesetz zur Neuordnung von Amtsgerichtsbezirken vom 18. Dezember 1979, GVOBl. 1979, 550 21 Gesetz über die Aufhebung des Amtsgerichts in Steinhorst vom 3. Juni 1955, GVOBl. 1955, 128 22 Gesetz über die Aufhebung des Amtsgerichts in Garding vom 28. Mai 1959, GVOBl. 1959, 62 23 GVOBl. 1984, 192 35 Schließung des Amtsgerichts Bad Bramstedt vorerst zu den Akten ge- legt.

Nachdem im Rahmen des „Haushaltsbegleitgesetzes 1994“24 vom 8. Februar 1994 die Amtsgerichte Lauenburg und Trittau zum 1.1.1995 aus wirtschaftlichen Gründen aufgehoben wurden, kam es trotz massi- ven Protestes 1999 dann doch zur Schließung des Amtsgerichts Bad Bramstedt25.

Im August 2005 legte das Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa ein Konzept einer Amtsgerichtstrukturreform vor,26 welches die Auflösung weitere 7 der zu diesem Zeitpunkt bestehenden 27 Amtsgerichte vor- sah. Die Grund- überlegung, die zu diesem Konzept ge- führte hatte, be- stand darin, dass zu Zeiten immer knapper werdender Haushaltsmittel und weiterer Personal- einsparungen nur in mittelgroßen Ge- richten Ressourcen- nutzung, Bürger- freundlichkeit (Kun- dennähe) und Ma- nageabilität in einer guten Relation zu- einander stehen. Angestrebt wurde eine Mindestgerichtsgröße von 67 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von denen mindestes 8 aus dem Richterdienst stammen. Außerdem sollte die Bürgernähe nicht leiden, die Anfahrtswege sollten möglichst gering bleiben. Aufgehoben werden sollten nach diesem Konzept zu- nächst die Amtsgerichte Kappeln, Bad Schwartau, Bad Oldesloe, Rein- bek, Ratzeburg, Mölln und Geesthacht. Nachdem sich das Justizministe-

24 GVOBl. 1994, 124 25 Gesetz zur Aufhebung des Amtsgerichts Bad Bramstedt vom 21.12.1998, GVOBl. 1998, 460 26 Schleswig-Holsteinischer Landtag Umdruck 16-0452 36 rium ausführlich mit den Stellungnahmen und Änderungsvorschlägen zu dem Konzept auseinander gesetzt hatte, kam es letztendlich mit dem „Gesetz zur Neuordnung von Amtsgerichtsbezirken“27 vom 4. Oktober 2006 zur Schließung der Amtsgerichte Geesthacht (2007), Kappeln (2007), Mölln (2008), Bad Oldesloe (2009) und Bad Schwartau (2009).

IV. Heutige Situation

Bestanden 1867 insgesamt 86 Amts-, 5 Kreis- und ein Appellationsge- richt mit insgesamt 164 Richtern, stehen diesem heute 22 Amts-, 4 Land- und ein Oberlandesgericht mit insgesamt ca. 920 Richtern und Rechtspflegern gegenüber.

27 GVOBl. 2006, 216 37 „NICHT SCHON WIEDER NS-JUSTIZ!“

EIN INTERVIEW MIT DR. KLAUS-DETLEV GODAU-SCHÜTTKE1

DAS INTERVIEW FÜHRTEN DER VIZEPRÄSIDENT DES LANDGERICHTS DIETMAR WULLWEBER UND RICHTERIN AM LANDGERICHT JULIA GÄRTNER

Wie sind Sie darauf gekommen, sich mit dem Thema NS-Justiz zu be- schäftigen und hierzu drei Bücher zu veröffentlichen?

Alles fing mit meiner Doktorarbeit an, die Professor Hans Hattenhauer in Kiel als mein Doktorvater betreute. Er war einer der ersten, der die Themen Justiz in der Weimarer Republik und NS-Justiz „entdeckte“. Er gab mir eines Tages die ebenfalls von ihm betreute Doktorarbeit von Dieter Kolbe mit dem Thema „Reichsgerichtspräsident Dr. Erwin Bumke (Reichsgerichtspräsident von 1929-1945)". Diese faszinierte mich, ent- hielt sie doch rechtsgeschichtliche Ereignisse, von denen ich keine oder nur unzureichende Kenntnisse hatte. Mein Unwissen bezog sich sowohl auf die Justiz des Kaiserreichs, der Weimarer Republik als auch auf die des sogenannten Dritten Reichs. Darüber hinaus drängte sich beim Le- sen von Kolbes Arbeit sogleich die Frage auf, wo denn die Juristen der Weimarer Republik, die überwiegend auch im Dritten Reich „Recht“ ge- sprochen hatten, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geblieben wa- ren.

Also begann ich 1975 als junger Richter auf Anregung von Professor Hattenhauer mit meiner Doktorarbeit über Staatssekretär Dr. Curt Joel2. Joel war von 1918 bis 1932 als Amtschef im Reichjustizministerium der- jenige, der die Personalpolitik in der Justiz auf Reichsebene, damit in der Reichsanwaltschaft und am Reichsgericht steuerte. Auch hier tauch- te wieder die Frage auf, wo denn die vor 1945 amtierenden Justizjuris- ten nach 1945 geblieben waren.

Was haben Sie mit Ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas beabsichtigt? Jüngere Juristen auf das Thema aufmerksam zu machen? Aufzuklären? Anzuprangern? Oder ein Stück Zeitgeschichte aufzuarbei- ten?

1 Dr. Godau-Schüttke war von 1974 bis 2007 als Richter in der schleswig-holsteinischen Justiz und in der Zeit von 1975 bis 2007 am Landgericht Itzehoe tätig. 2 Rechtsverwalter des Reiches - Staatssekretär Dr. Curt Joel, 1981 Rechtshistorische Reihe Band 12, Frankfurt am Main, Bern 1981. 38 Als ich 1988 meine Forschungen über die schleswig-holsteinische Justiz nach 1945 aufnahm, war es vorwiegend meine Neugier, die mich trieb. Das Ziel war klar: Ich wollte über ein Stück Zeitgeschichte forschen und schreiben.

Nach dem Erscheinen des Buches „Ich habe nur dem Recht gedient" im Jahre 1993 und nachdem ich Vorträge über die NS-Justiz und die west- deutsche Justiz gehalten hatte, stellte ich fest, dass sich die Richter- schaft kaum oder nur wenig für dieses Thema interessierte. Von da an wollte ich auch aufklären und das Nichtwissen - ich will es nicht ver- schweigen - auch kritisieren.

Dieser Impetus, nämlich aufzuklären, hat bis heute angehalten und fin- det sozusagen seinen Abschluss in einem Vortrag, den ich auf der Ta- gung „Richterliche Ethik" in Trier halte. Dieser trägt den Titel „Der Neue Richtertyp des Parlamentarischen Rates (PR)" Er beschäftigt sich mit dem Anforderungsprofil, das der PR für die Richterschaft in einem de- mokratischen Gemeinwesen einforderte. Ohne Einzelheiten hier darle- gen zu können, muss ich - und ich beziehe mich insoweit uneinge- schränkt ein - leider feststellen, dass Ziel des Parlamentarischen Rates bis heute nur unvollkommen erreicht worden ist.

Welche Hürden mussten Sie überwinden, um Ihre Forschung voranzu- treiben? Zu welchen Akten und Archiven hatten Sie Zugang?

Ich komme auf das Jahr 1988 zurück. Ohne einer Partei anzugehören, freute ich mich, dass die SPD unter Björn Engholm die Landtagswahl mit absoluter Mehrheit gewonnen hatte. Dieser Sieg weckte nämlich eine Hoffnung.

Was meine ich damit?

Nachdem 1981 meine Doktorarbeit erschienen war, wollte ich nach kurzer Überlegung über die deutsche Nachkriegsjustiz forschen und schreiben. Doch schon nach kurzen Recherchen kam die Ernüchterung: Alle Quellen, so die im Bundesarchiv Koblenz, und insbesondere alle Personalakten waren gesperrt.

Also glaubte ich, ein kleineres Ziel besser verfolgen zu können und leg- te den Schwerpunkt meiner Forschung auf die schleswig-holsteinische Nachkriegsjustiz. Als Jurist, der in Kiel studiert und promoviert hatte, kannte ich einige einflussreiche Personen in Politik und Verwaltung gut. Doch auch diese Beziehungen waren keine Hilfe: Mein Vorhaben wurde mit Erstaunen und oft mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. 39 Außerdem wurde mir mitgeteilt, die Vergangenheit sei tabu.

In der Tat waren alle einschlägigen Akten im Landesarchiv Schleswig gesperrt.

Als nun 1988 die SPD die Wahl gewann, hatte ich bereits einen jünge- ren Studenten kennen gelernt, der kein Jurist war, der sich aber mit den angesprochenen Themen intensiv beschäftigt hatte. Es war Klaus Bästlein, der im Gegensatz zu mir nicht nur Roland Freisler „kannte", sondern der mir auch u. a. über die Sondergerichte im Dritten Reich viel zu berichten hatte.

So schrieb ich an den damaligen Justizminister Klaus Klingner (SPD), dem ich mein Vorhaben schilderte. Ich wusste von Bästlein, dass der Minister rechtshistorisch interessiert war.

Kaum hatte ich mein Schreiben an Klingner abgesendet, da saß ich auch schon in seinem Dienstzimmer und konnte mein Anliegen näher erläutern. Anwesend waren neben dem Justizminister Uwe Jensen (Amtschef), Dirk Stojan (Personalreferent), Klaus Bästlein und der Ab- teilungsleiter 1, Ministerialdirigent Böge, auf den noch einzugehen sein wird. Das Ergebnis dieses Treffens war eindeutig: Bästlein und mir wur- de mitgeteilt, wir könnten über die schleswig-holsteinische Nachkriegs- justiz forschen.

So fuhren Bästlein und ich frohgemut nach Schleswig zum dortigen Landesarchiv, wo alle einschlägigen Akten lagern. Wir beide hatten uns zwischenzeitlich über unsere Arbeitsfelder abgestimmt.

Doch unsere Überraschung war groß, als uns der Archivdirektor Dr. Witt herablassend und kühl mitteilte, dass wir keine Genehmigung zur Ak- teneinsicht hätten. In der Tat gab es zum damaligen Zeitpunkt kein Ar- chivgesetz in Schleswig-Holstein. So waren zum Beispiel die Personal- akten der pensionierten Richter und Staatsanwälte willkürlich mit einer Sperrfrist von 60 Jahren nach deren Tod versehen worden.

Bästlein und ich traten voller Wut den Heimweg an. Aber nun aktivierte Bästlein sein Beziehungsgeflecht. Kurzum das Kabinett Engholm geneh- migte uns beiden per Beschluss uneingeschränkte Akteneinsicht.

Bästlein und ich konnten nun u. a. Generalakten, Urteile des Sonderge- richts Kiel und sogar Personalakten einsehen. Dabei waren wir nicht nur auf den Aktenbestand im Landesarchiv Schleswig beschränkt. 40 Unser Forschen sprach sich ganz offensichtlich nicht nur im Justizminis- terium schnell herum. So forderte das Ministerium unter der Leitung des Abteilungsleiters Böge bereits an das Landesarchiv abgegebene Ak- ten wieder zurück, um Bästlein und mir die Einsicht in diese unmöglich zu machen. Aber durch diskrete Hinweise erfuhren wir davon, so dass wir die Akten doch noch zu Gesicht bekamen. Es war eine Art von Katz und Maus Spiel.

Was sich heute so unterhaltsam anhört, hatte aber auch ernste Seiten. Meine Forschungen waren in vollem Gange, da rief mich der Abteilungs- leiter Böge eines Tages im Landgericht Itzehoe an. Er bat mich, doch einmal ins Ministerium zu kommen, weil er etwas mit mir zu bespre- chen habe. Auf meine Frage, worum es denn ginge, antwortete er sinn- gemäß, das könne er mir nur persönlich mitteilen. Respektvoll machte ich mich umgehend auf den Weg nach Kiel. Den amtierenden Landge- richtspräsidenten in Itzehoe hiervon zu unterrichten, kam mir nicht in den Sinn. Ich sollte aber eines Besseren belehrt werden.

In Ministerium angekommen, empfing mich Böge sehr freundlich und begann das Gespräch fast väterlich. Dann ließ er die Katze aus dem Sack: Wenn ich noch etwas in der Justiz - sinngemäß - werde wolle, dann mache es sich doch nicht gut, wenn ich mein Vorhaben umsetzen würde. Zunächst war ich eingeschüchtert, dann aber wurde ich laut, in- dem ich mir - sinngemäß - solche Drohungen verbat. Damit war das Treffen beendet.

Über dieses Gespräch fertigte ich umgehend einen Vermerk an, den ich Klingner und Jensen im Ministerium gab. Ich hörte von Böge nichts mehr.

Aber damit waren die Schwierigkeiten, Hürden und Hindernisse, die ich zu überwinden hatte, noch nicht zu Ende. Als die Veröffentlichung mei- ner Forschungen im Nomos - Verlag 1992/1993 bevorstand, gab die Personalabteilung des Justizministeriums in Kiel unter der Leitung von Böge zu bedenken, dass eine Namensnennung der Richter und Staats- anwälte juristische Konsequenzen haben könnte. Zur damaligen Zeit war man noch der Meinung, dass die ehemaligen NS-Richter und NS- Staatsanwälte schützenswerter seien als deren Opfer. Das ist heute längst Geschichte. Gerichte haben nämlich zwischenzeitlich festgestellt, dass unter dem Gesichtspunkt Täter-/Opferschutz die NS-Täter - und bei historischer Betrachtungsweise sind die NS-Juristen allesamt Täter - beim Namen genannt werden können, während deren Opfer anonymi- siert werden müssen. 41 Damals verunsicherte nicht nur mich der Einwand Böges. Ich schloss mit dem Ministerium eine Anonymisierungsvereinbarung, um die He- rausgabe des Buches nicht zu gefährden. Folglich habe ich in meiner ersten Publikation alle NS-Juristen, soweit sie nicht Personen der Zeit- geschichte sind, namentlich nicht genannt.

In späteren Veröffentlichungen, zum Beispiel „Die Heyde/Sawade-Affä- re"3, habe ich keine Anonymisierung mehr vorgenommen.

Als ich mit der Aufarbeitung dieser Affäre im Jahre 1993 begann, gab es gegen ihre Veröffentlichung keinen Widerstand mehr. Vielmehr hatte ich viele Unterstützer, die hier aufzuzählen unmöglich ist. Ganz beson- ders zu erwähnen ist allerdings der damalige Generalstaatsanwalt Heri- bert Ostendorf. Er sorgte dafür, dass ich alle Ermittlungs- und Strafak- ten derjenigen Mediziner, Juristen und Ministerialbeamten einsehen konnte, die den Massenmörder Sawade alias Heyde gedeckt hatten. Bei der juristischen Aufarbeitung dieser Affäre hat die schleswig-holsteini- sche Justiz eine unrühmliche Rolle gespielt, wie ich im Einzelnen in mei- ner Veröffentlichung schildere.

Nachdem dann 1998 die „Heyde/Sawade-Affäre" erschienen war, be- gann ich sofort mit den Recherchen für meine letzte Publikation über den Bundesgerichtshof, die über 5 Jahre dauern sollten4.

Hierfür wollte ich wieder Einsicht in Personalakten von Richter/innen des BGH und des Bundesverfassungsgerichts nehmen. Allerdings wuss- te ich, dass die Sperrfristen von 30 Jahren nach dem Tod des Betreffen- den zum Teil noch nicht abgelaufen waren. Doch dieses Hindernis wur- de aufgrund einflussreicher Helfer überwunden:

Nicht nur der BGH-Präsident, Professor Hirsch, sondern auch die Spitze des Bundesministeriums der Justiz sowie der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, taten alles, um meine Forschung zu ermöglichen.

60 Jahre nach Kriegsende war also die Forschung über die NS-Justiz und die deutsche Nachkriegsjustiz problemlos möglich. Und die Fülle der einschlägigen Veröffentlichungen hat dazu beigetragen, dass die Themen überwiegend ideologiefrei diskutiert werden: Die Tatsachen ha- ben die Oberhand gewonnen; nichts ist mehr zu beschönigen und zu

3 Die Heyde/Sawade-Affäre. Wie Juristen und Mediziner den NS-Euthanasieprofessor Heyde nach 1945 deckten und straflos blieben. Baden-Baden: Nomos Verlag 1998. 4 Der Bundesgerichtshof - Justiz in Deutschland -, Berlin 2005 42 relativieren.

Welche Reaktionen haben Sie auf Ihre Recherchen und die anschließen- den Veröffentlichungen bekommen? Hatten Sie mit einer größeren Re- sonanz gerechnet?

Obwohl meine erste Publikation „Ich habe nur dem Recht gedient" nur einen regionalen Bezug hatte, war ich dennoch von der Resonanz in der Presse überrascht. Allein die Frankfurter Allgemeine Zeitung5 meinte unter der Überschrift „Rechtsblind" u. a.: „Doch einfach als polemisch abtun lässt sich seine Studie nicht. … Das Thema ist nicht überwälti- gend neu, deshalb darf der Verfasser vor allem auf Interesse in der Re- gion hoffen. In Zuschüssen der sozialdemokratischen Landesregierung hat es sich bereits manifestiert…."

In der Tat hatte mir das Kultusministerium einen Druckkostenvorschuss bewilligt, der aber nicht annähernd die Kosten der Veröffentlichung deckte, die ich selbst bezahlte. Aber Einfluss, den die FAZ unter Hinweis auf den Zuschuss wohl suggerieren wollte, nahm keiner auf mich. Wer mich kennt, wird dies nicht so schnell behaupten.

Jahre später, mein zweites Buch „Die Heyde/Sawade-Affäre" war 1998 erschienen, führte ich mit Volker Zastrow, der als Redakteur damals in der FAZ für „Das politische Buch" zuständig war und der 1994 die Kurz- rezension geschrieben hatte, ein langes Telefonat. Ich bedankte mich für sein Engagement, dass er „Die Heyde/Sawade-Affäre" durch den in Fachkreisen bekannten Frankfurter Strafrechtsprofessor Wolfgang Nau- cke in der FAZ habe besprechen lassen6. Und bei dieser Gelegenheit machte ich ihm unmissverständlich klar, dass seine Vermutung, ich hät- te mich beeinflussen lassen, schlechthin nicht zutreffen würde. Im Übri- gen hat die Rezension der „Heyde/Sawade-Affäre" in der FAZ dazu bei- tragen, dass dieser Skandal über Schleswig-Holstein hinaus bekannt wurde.

Aber auch meine letzte Veröffentlichung über den Bundesgerichtshof ist in der überregionalen Presse wohlwollend aufgenommen worden. Der bekannte Journalist und Autor Rolf Lamprecht hat das Buch in der Süd- deutschen Zeitung (7.8.2006) unter der - ich möchte sagen reißeri- schen - Überschrift „Die alten Feindbilder der neuen Robenträger" re- zensiert. Diese Kritik hat natürlich meinen Verlag sehr erfreut, denn hierdurch wurde der Verkauf angekurbelt. Sie sehen also, dass ich mich

5 FAZ vom 4.2.1994, Nr. 29 6 FAZ vom 23.6.1999, Nr. 142 43 über die Resonanz nicht beschweren kann. Die Tatsache aber, dass sich die Justizjuristen/innen, für die ich eigentlich geschrieben habe, nur mäßig für meine Publikationen interessieren, stimmt mich traurig.

Als eine Podiumsdiskussion über meine letzte Veröffentlichung am 7. Juni 2006 im Landgericht Itzehoe stattfand, da waren noch nicht einmal alle Plätze in der Eingangshalle belegt. Dieser Umstand hat doch viele, insbesondere auch die Akteure, verwundert. Das Podium war nämlich unter Vorsitz der damals amtierenden Präsidentin des OLG Schleswig, Konstanze Görres-Ohde, hochkarätig besetzt: Dort saßen neben dem ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum, der Redakteur und Schriftsteller Christian Bommarius und der damals amtierende Präsi- dent des BGH, Professor Hirsch.

Haben Sie etwas bewirkt?

Ob ich etwas bewirkt habe, bezweifele ich. Verschweigen will ich aber folgendes nicht: Soweit es den Justizbereich angeht, so werden auf den beiden Richterakademien in Trier und Wustrau Tagungen über die NS- Justiz und die deutsche Nachkriegsjustiz angeboten. Als langjähriger Referent auf diesen Veranstaltungen bin ich überwiegend auf interes- sierte Kollegen/innen gestoßen, was mich nicht verwundert. Insoweit gehe ich davon aus - und die dort geführten Gespräche bestärken mich in meiner Annahme -, dass zumindest einige Teilnehmer/innen ihr eige- nes Tun kritisch hinterfragt haben.

Im Übrigen findet ohne Einschränkung meine Zustimmung, was mein Bekannter, Professor Paul (Flensburg), zu sagen pflegt: Bücher schreibe man für sich.

Welche Konsequenzen sollte man Ihrer Meinung nach aus den Ergeb- nissen Ihrer Forschung heute ziehen?

Diese Frage zu beantworten ist für mich unmöglich. Meine Forschungen haben mich allerdings dazu gezwungen, mein richterliches Tun in Anbe- tracht unserer Justizvergangenheit kritisch zu hinterfragen. Das alles ist aber bis heute ein Versuch geblieben. Letztlich muss ich für mich feststellen, dass ich den Anforderungen und Zielvorstellungen des Par- lamentarischen Rates noch nicht einmal im Ansatz gerecht geworden bin.

Was will ich damit sagen?

In den Gremien des Parlamentarischen Rats war vor der Verab- 44 schiedung von Artikel 97 Abs. 1 Grundgesetz7 heftig über das Anforde- rungsprofil der zukünftigen Richterschaft gestritten worden. Einig waren sich alle Parteien mit Ausnahme der Kommunisten darin, dass in der Bundesrepublik ein „Neuer Richtertyp" - so die Formulierung im Ab- schlussbericht des Rechtspflegeausschusses - Recht sprechen sollte. Leider ist das Anforderungsprofil weder im Parlamentarischen Rat noch später im Deutschen Richtergesetz näher definiert worden.8

Allerdings wollten die Mitglieder des Parlamentarischen Rats, dass die zukünftige Richterschaft „im Geist der Demokratie, der sozialen Gerech- tigkeit, des sozialen Verständnisses und der Menschenrechte“ Recht sprechen sollte.

Sollten wissenschaftliche Erkenntnisse über NS-Justiz zum Ausbildungs- stoff für junge Richter gehören? Sollte ein entsprechendes Wissen sogar zur Einstellungsvoraussetzung für junge Justizjuristen werden?

Für Sie sicherlich überraschend, wobei ich mich nicht nur an Sie wende, sondern auch an die Leser dieses Interviews, beginne ich mit einer For- derung: „Vergessen Sie den NS-Justizmörder Roland Freisler!"

Sie werden fragen, warum ich diese rhetorische Forderung äußere. Ich will versuchen, hierauf eine Antwort zu geben:

Freisler war seit August 1944 Präsident des so genannten Volksge- richtshofs, der u. a. für Landesverratssachen zuständig war.

Sein Agieren in den Prozessen gegen die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 - nur hiervon existieren Filmausschnitte - verdeutlicht folgen- des: Freislers Verhandlungsführung, wenn denn von einer solchen über- haupt die Rede sein kann, zeichnet sich durch Anschreien der Angeklag- ten und durch einen menschenverachtenden Zynismus aus. Seine Äu- ßerungen während all dieser Prozesse belegen seine bereits vorgefasste Meinung: Es sollte, soweit irgend möglich, auf die Todesstrafe erkannt werden.

Freisler wird damit zu Recht als abschreckendes Beispiel einer die Men- schenwürde und Menschenrechte negierenden Justiz beschrieben und gezeigt. In der öffentlichen Meinung wird er darüber hinaus fast aus- nahmslos als der Repräsentant der NS-Justiz eingeordnet und mit die-

7 Art. 97 Abs. 1 GG lautet: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen". 8 Einzelheiten hierüber können meinem Aufsatz in den Schleswig-Holsteinischen Anzeigen (April 2009) entnommen werden. 45 ser gleichgesetzt.

Eine solche Gleichsetzung ist aber schlechthin unvollständig. Denn die NS-Justiz bestand nicht nur aus dem in Berlin ansässigen Volksgerichts- hof. Zu nennen ist auch die NS-Militärjustiz. Die 1933 geschaffenen Sondergerichte zeichneten sich ebenfalls durch eine menschenverach- tende Rechtsprechung aus.9

Ich möchte mich sogleich korrigieren: Von Rechtsprechung, wie wir sie heute verstehen, kann bei allen Gerichten des Dritten Reiches über- haupt keine Rede sein.

Die NS-Justiz bestand mitnichten aus schreienden Freislers, sondern aus in der Regel humanistisch erzogenen Juristen, die ihre Ausbildung während der Weimarer Republik (1919-1933) erhalten hatten. Sie hat- ten also, wenn auch in einer nicht stabilen Republik, den Sinn und Zweck der in der Weimarer Verfassung verankerten Grundrechte, heute sprechen wir von Menschenrechten, kennen gelernt. Die Forschung be- legt, dass sie nicht alle überzeugte Nationalsozialisten waren, obwohl nicht wenige von ihnen in die NSDAP eingetreten waren. Der Parteibei- tritt erfolgte allerdings nicht selten aus Karrieregründen.

Man erkennt also angesichts dieser skizzenhaften Darlegung, wie diffizil geschichtliche Abläufe zu analysieren sind. Aber folgende Tatsachen sind nicht nur unter Rechtshistorikern unbestritten.

Alle NS-Richter und auch alle NS-Staatsanwälte trugen durch ihre Art von Rechtsprechung bzw. Strafverfolgung zur Stabilität des NS-Regimes bei. Das Infame dabei war, dass sie durch ihre Urteile bzw. Strafanträge der Bevölkerung einen letzten Rest von Rechtsstaatlichkeit suggerier- ten.

An dieser Stelle wird auf Vortragsveranstaltungen oftmals die Frage ge- stellt, wie hätten wir uns wohl im Dritten Reich als Richter oder Staats- anwalt verhalten.

Ich bin der Meinung, dass diese Frage relativieren will. Die strafwürdi- gen Taten der NS-Justizjuristen sollen verharmlost bzw. entschuldigt werden; dagegen sollen die NS-Justizopfer als zu Recht Verurteilte hin- gestellt werden. Und schließlich sollen die NS-Juristen in einer alterna- tivlosen Lage gehandelt haben.

9 Erst 1998 hob der Deutsch Bundestag die Urteile des Volksgerichtshofs und der Sondergerichte durch Gesetz auf. Dasselbe erfolgte 2002 bzw. 2009 mit den Militärurteilen. 46 Diese Relativierung gilt in der Geschichtswissenschaft schon seit lan- gem als widerlegt.

Seit dem Auschwitzprozess in den Jahren 1963 bis 1965 ist unbestrit- ten, dass es keinen sogenannten Befehlsnotstand gab. Kein SS-Angehö- riger war gezwungen, Juden zu ermorden. Bei Befehlsverweigerung drohte ihm nur die Abkommandierung zur kämpfenden Truppe.

Und was passierte NS-Juristen, die sich weigerten, solche Fälle gab es, an einem NS-Sondergericht zu arbeiten? Nichts - sie mussten lediglich befürchten, zur Wehrmacht eingezogen zu werden. Von einer alterna- tivlosen Lage kann also bei den NS-Juristen nicht gesprochen werden.

Dieser kurze Abriss erschien mir erforderlich zu sein, bevor ich zur Be- antwortung der Frage komme.

Die jetzt amtieren Justizjuristen/innen glauben hinreichend genug ge- festigt zu sein, um möglichen antidemokratischen Tendenzen widerste- hen zu können. Zwar kann nicht bestritten werden, dass Deutschland ein stabiles demokratisches Gemeinwesen ist. In einem solchen Umfeld lässt sich komfortabel leben. Doch auch in einer Demokratie, wie der unseren, könnten zum Beispiel die Menschrechte auf sublime Art und Weise in einem schleichenden Prozess ausgehöhlt werden.

Um derartige Tendenzen und Entwicklungen rechtzeitig erkennen zu können, bedarf es einer geschulten Sensibilität, die sich aus einem fes- ten demokratischen Bewusstsein speist. Eine solche richterliche Persön- lichkeit mit diesen Eigenschaften entsteht nicht von selbst, sondern ist das Ergebnis eines Lernprozesses. Dieser spielt sich in einem anderen Bereich ab als im üblichen juristischen Studium, das den Schwerpunkt fast ausschließlich auf technokratisches Wissen abstellt. Und mit diesem anderen Bereich meine ich eine gesellschaftspolitische Fortbildung. Eine Analyse der NS-Justiz darf insoweit nicht fehlen, da sie für eine solche Fortbildung m. E. besonders geeignet ist. Sie kann nämlich als Ver- gleich heran gezogen werden, wenn zum Beispiel die Frage beantwortet werden soll, ob sich die heutige Rechtsprechung konsequent an den im Grundgesetz enthaltenen Menschenrechten ausrichtet.

Ist Ihnen Ihr strenger Umgang mit den NS-Juristen einmal vorgeworfen worden?

Als Referent auf der Richterakademie habe ich jahrelang aus Teilen der Zuhörer Kritik geerntet, wenn ich die NS-Juristen, wie gerade gesche- hen, kritisiert habe. Ich halte meine Kritik aber nach wie vor für ge- 47 rechtfertigt und geradezu zurückhaltend, wenn ich mir folgende Ereig- nisse vor Augen halte:

Am 8. März 2002 hielt der damalige Präsident des Bundesgerichtshofs, Herr Professor Hirsch, auf einem Festakt anlässlich des 100.Geburts- tags des ermordeten Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi eine An- sprache. Er führte u. a. aus: „Nach dem Fall der Mauer standen deut- sche Gerichte zum zweiten Mal binnen einiger Jahrzehnte vor dem Problem, das Verhalten von Richtern als Handlanger totalitärer Regime justiziell aufzuarbeiten…. In dieser Situation wurde die Justiz nicht nur ihrer Verantwortung zur Aufarbeitung von Justizunrecht gerecht, der Bundesgerichtshof ergriff auch diese historische Gelegenheit, um sich von seiner eigenen Rechtsprechung … zu distanzieren."

Was meinte Hirsch damit?

Am 30. April 1968 hatte der 5. Strafsenat des BGH unter Vorsitz des damals hoch angesehenen Senatspräsidenten Sarstedt in einem Urteil die Voraussetzungen dafür geschaffen10, dass kein NS-Richter und kein NS-Staatsanwalt u. a. wegen Rechtsbeugung strafrechtlich zur Verant- wortung gezogen werden konnte. Als nun nach dem Fall der Mauer die Frage zu klären war, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ehemalige DDR-Richter wegen Rechtsbeugung verurteilt werden konnten, war für diese Rechtsfrage wiederum der 5. Strafsenat des BGH zuständig. Und dieser konnte seine eigene Vergangenheit nicht einfach ad acta legen und zur Tagesordnung übergehen. Das tat er auch nicht.

Unter Vorsitz von Heinrich Laufhütte fällte der 5. Strafsenat am 16. No- vember 1995 ein Urteil, das in der seriösen überregionalen Presse gro- ße Beachtung fand11:

Der Angeklagte war Richter in der DDR gewesen und durch Urteil des Landgerichts Berlin wegen Rechtsbeugung zu einer mehrjährigen Frei- heitsstrafe verurteilt worden. Die hiergegen gerichtete Revision verwarf der 5. Strafsenat. Und die Urteilsgründe ließen an Deutlichkeit nichts vermissen. Sachlich, aber unmissverständlich wurde mit der NS-Justiz abgerechnet; und die eigene Vergangenheit des 5. Strafsenats wurde davon nicht ausgenommen: „Das menschenverachtende nationalsozia- listische Regime wurde durch willfährige Richter und Staatsanwälte ge- stützt, die das Recht pervertierten. Die Grausamkeit, die das Bild der

10 Einzelheiten können in meinem Buch über den BGH nachgelesen werden. 11 BGH, Urt. v. 16.11.1995, Az. 5 StR 747/94, Berichterstatter war der jetzige Vorsitzende des 5. Strafsenats - Vorsitzender Richter Basdorf. 48 Justiz in der NS-Zeit prägt, gipfelte in einem beispiellosen Missbrauch der Todesstrafe. … Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft hatte eine „Perversion der Rechtsordnung" bewirkt, wie sie schlimmer kaum vorstellbar war, und die damalige Rechsprechung ist angesichts exzessi- ver Verhängung von Todesstrafen nicht zu Unrecht oft als „Blutjustiz" bezeichnet worden. Obwohl die Korrumpierung von Justizangehörigen durch die Machthaber des NS-Regimes offenkundig war, haben sich bei der strafrechtlichen Verfolgung des NS-Unrechts auf diesem Gebiet er- hebliche Schwierigkeiten ergeben. Die vom Volksgerichtshof gefällten Todesurteile sind ungesühnt geblieben, keiner der am Volksgerichtshof tätigen Berufsrichter und Staatsanwälte wurde wegen Rechtsbeugung verurteilt; ebensowenig Richter der Sondergerichte und der Kriegsge- richte. Einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte nicht zu- letzt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Diese Rechtspre- chung ist auf erhebliche Kritik gestoßen, die der Senat als berechtigt erachtet. Insgesamt neigt der Senat zu dem Befund, dass das Scheitern der Verfolgung von NS-Richtern vornehmlich durch eine zu weitgehende Einschränkung bei der Auslegung der subjektiven Voraussetzungen des Rechtsbeugungstatbestandes bedingt war."

Eine solche Selbstkritik eines Spruchkörpers ist einmalig in der deut- schen Rechtsgeschichte. Und auch Hirsch redete in seiner oben erwähn- ten Ansprache Klartext: „Kein einziger Richter, kein Staatsanwalt wurde in der Bundesrepublik wegen der tausendfachen Justizverbrechen im Dritten Reich verurteilt…. Dieses Versagen der Nachkriegsjustiz ist ein dunkles Kapitel in der deutschen Justizgeschichte und wird es bleiben."

Im Jahre 2002 war Hirsch der erste Präsident des BGH, der so deutliche Worte fand.

Das Urteil des 5. Strafsenats und die Rede von Hirsch hatten und haben Signalwirkung: Nichts gilt es zu beschönigen; die Zeit der Apologie ist endgültig vorbei. Aber es steht zu vermuten, dass die heute amtieren- den Justizjuristen/innen fragen werden, welche Bedeutung dies alles für sie habe.

Darauf gab Hirsch in seiner Rede eine Antwort, wenn auch verklausu- liert: „Die Justiz ist ein Spiegel der Gesellschaft, aber die Richter müs- sen mehr sein als nur Reflektoren gesellschaftlicher Stereotypen oder politischer Vorgaben."

Sind wir uns dieses Umstandes, so bleibt zum Schluss zu fragen, über- haupt bewusst? 49 DAS LANDGERICHT ITZEHOE WIRD 75 JAHRE ALT EINE SEHR PERSÖNLICHE RÜCKSCHAU AUF DEN BEGINN MEINER TÄTIGKEIT IN ITZEHOE

KONSTANZE GÖRRES-OHDE

„Das Alter erscheint mir mehr und mehr nicht als der düstere Vorhof des Todes, sondern als der große Urlaub nach der Überanstrengung der Sinne, des Herzens und des Geistes, die Leben heißt.“

Ja, dieses Zitat trifft meinen Zustand. Ich habe es einem Zeitungsartikel entnommen und war so unaufmerksam wie unser zurück- getretener Verteidigungsminister zu Gutten- berg; jedenfalls habe ich mir den Autor dieses klugen Satzes nicht notiert.

Und wenn ich nun als ehemalige Präsidentin Konstanze Görres-Ohde des Landgerichts Itzehoe (September 1989 bis Präsidentin des Landge- richts Anfang Februar 1996) aus meinem jetzigen 1989 - 1996 großen Urlaub ein wenig Rückschau auf meine Amtszeit halte, so tue ich das mit fröhlichem Herzen und hoffentlich wachem Geist.

Seit Oktober 1988 regierte in Schleswig-Holstein die SPD. Björn Eng- holm hatte sich mit seinem Kabinett vorgenommen, nicht nur, wie es damals in der gesamten Bundesrepublik wohl üblich war, für die Spitze eines Gerichts nach Männern Ausschau zu halten, sondern auch nach Frauen. Zu dem Zeitpunkt gab es in der gesamten Bundesrepublik Deutschland noch kein Landgericht, das mit einer Frau als Präsidentin besetzt war.

Anfang 1989 waren verschiedene Leitungsposten an den Schleswig- Holsteinischen Gerichten zu besetzen. Ich war zu der Zeit Richterin am Hanseatischen Oberlandesgericht und außerdem in der Referendarab- teilung des Oberlandesgerichts als Referentin tätig.

Man hatte mir seitens der Schleswig-Holsteinischen Regierung nahege- legt, mich auf die Stelle des Vizepräsidenten des Schleswig-Holsteini- schen Oberlandesgerichts in Schleswig zu bewerben. Darüber war ich 50 erstaunt und erfreut zugleich, lehnte es aber aus verschiedenen Grün- den ab, u.a. weil ich mich dieser Aufgabe nicht gewachsen fühlte. Ich war mit den Verwaltungsaufgaben eines Oberlandesgerichts zwar ver- traut, aber die älteren Herren, die in Hamburg an dem Gericht die wich- tigen Positionen besetzten, konnten mir so gar nicht als Vorbild dienen. Warum ich nicht ebenso zurückhaltend und demütig reagierte, als der damalige Staatssekretär im Kieler Justizministerium Uwe Jensen mich schließlich fragte, ob ich Landgerichtspräsidentin des Landgerichts Itze- hoe werden wollte, weiß ich nicht mehr. Denn die Verantwortung für diesen Posten ist mindestens ebenso anspruchsvoll, wie die einer Vize- präsidentin des OLG, was mir erst später bewusst wurde.

Entscheidungen werden im Leben nicht immer rational, sondern eher danach getroffen, welche Bilder im Kopf entstehen, welche Gefühle sich plötzlich einstellen und welche positiven Gedanken sich breit machen. Einige Wochen, bevor der Termin mit dem Staatssekretär stattfand, bin ich zusammen mit meinem Mann zufällig in Itzehoe an dem Landgericht vorbeigefahren, weil eine Umleitung von , wo wir unser Ferienhaus hatten, nach Hamburg führte. Das Landgericht lag damals in einem idyllischen Park an der Stör. Ins Auge sprang das schöne alte Ge- bäude, der „Westerhof“, in dem, wie ich später feststellte, die Sitzungs- säle der Zivilkammern und der Kammer für Handelssachen lagen und wo die meisten Richter auch ihre Arbeitszimmer hatten.

Den Mut, mich auf das Amt des Landgerichtspräsidenten zu bewerben, fand ich, nachdem ich mich mit meinem damaligen und inzwischen verstorbenen Freund, dem Präsidenten des Landgerichts Hamburg, Dr. Roland Makowka, über die Herausforderungen des Amtes unterhalten hatte. „Du musst Dir keine Sorgen machen. Du kannst das. Du bist neugierig, magst Menschen und kannst gut zuhören. Und wenn Du et- was wissen willst, ruf mich an.“ Meine Familie war einverstanden. Und da Itzehoe 35 Autominuten von meinem Hamburger Wohnsitz entfernt liegt, war ich entschlossen. Ich bewarb mich.

Und dann saß ich zum ersten Mal in dem kleinen Präsidentenzimmer des Landgerichts Itzehoe. Als ich ankam, stellte sich mir meine spätere Sekretärin, Helga Müller, vor. Es war Zuneigung auf den ersten Blick. Jeder Präsident weiß, dass eine gute Zusammenarbeit mit der soge- nannten „Vorzimmerdame“ entscheidend zum Gelingen des Amtes bei- trägt.

In dem Zimmer des damaligen Präsidenten, Otto Freiherr von Campen- hausen, erwarteten mich der Präsident, der Vizepräsident, Kurt Ger- hard, die Präsidialrichter Eberhard Hülsing, Johannes Lindgen, und 51 Carsten Tepp. Außer Eberhard Hülsing, der zwar größer als ich, aber doch nicht überragend groß war und ist, standen dort vier übergroße - oder sage ich besser: „überlange Männer“ vor mir.

Der Präsident machte mir in einem ausführlichen Gespräch deutlich, wie schwer das Amt eines Landgerichtspräsidenten ist. „Das Wochenende gehört dem Gericht,“ sagte er. Vielleicht zu Unrecht hatte ich das Ge- fühl, er wollte mir klar machen, dass eine Frau mit zwei Kindern und ei- nem Ehemann so einen hohen Posten nur mit großen Entbehrungen ausführen kann. Nun war meine Lebenssituation so: meine 24 jährige Tochter stand kurz vor Beendigung ihres Volkswirtschaftsstudiums und meine 16jährige Tochter, die noch auf das Gymnasium ging, kurz vor einem einjährigen Amerikaaufenthalt.

Merkwürdigerweise war ich von einer gelasse- nen Ruhe. Woher ich dieses Selbstbewusstsein nahm, weiß ich nicht.

Sicherlich haben der Vizepräsident Kurt Ger- hard und die Präsidialrichter von Anfang an dazu beigetragen. Herr Gerhard war während meiner gesamten Amtszeit ein loyaler und klu- ger Vize, der 1996 mein Nachfolger im Amt wurde. Die Präsidialrichter waren mir von An- fang an sympathisch. So hatte ich auch Glück. Der scheidende Präsident hatte diejenigen an seine Seite geholt, die zu den fachlich und menschlich herausragenden Richtern gehör- Kurt Gerhard ten. Und so dachte ich: mit diesen Männern Präsident des Landgerichts werde ich es schon schaffen. 1996 - 1999

Genau so war es. Ich hatte viele Vorurteile erwartet, aber es kamen Menschen auf mich zu und ich habe mich im Landgericht Itzehoe von Anfang an wohl gefühlt.

Jeder Mensch möchte gern mit seinem Namen angeredet werden. Und so habe ich mir von Helga Müller, der bereits erwähnten wunderbaren Sekretärin, gleich am zweiten Tag meiner Amtszeit die Fotos aushändi- gen lassen, die es von jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter im Ge- richt gab. Helga Müller schrieb mir auf die Rückseite dieser Fotos den Namen und ich lernte sie abends – manchmal im Bett (darüber kann mein Mann heute noch ein Lied singen) – auswendig. Und so konnte ich dann ziemlich schnell die Menschen, die im Landgericht Itzehoe arbeite- ten, mit Namen anreden. Später sind mir einige Namen leider wieder 52 entfallen und das hat mich geärgert, lag aber daran, dass der Kreis im- mer größer wurde und dass zu dem Landgericht nicht nur die Menschen aus vier Amtsgerichte gehören, sondern viele weitere offizielle Men- schen (Minister, Bürgermeister, Landräte usw.)

Das Landgericht Itzehoe galt damals wie heute als ein Gericht, dessen Führung nicht als sehr problematisch eingeschätzt wurde und wird. Ich hatte keinen Grund es anders zu sehen. Aber es war damals eben auch ein Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau die Präsidentenaufga- be wahrnahm.

Nur ein Beispiel soll dies deutlich machen. Als Präsidentin war ich zu- gleich auch Vorsitzende einer Zivilkammer und einer Beschwerdekam- mer. Jeden Donnerstagmorgen hatten wir Sitzung in den Berufungszivil- sachen. Ich hatte von meinem Vorgänger, Otto Freiherr von Campen- hausen die gute Übung übernommen, dass in der Sitzung der jeweilige Berichterstatter im mündlichen Vortrag die Meinung der Kammer wie- dergab und erst in der anschließenden Diskussion sich die Vorsitzende zu Wort meldete. Zwei Jahre nach meinem Amtsbeginn hielt ich vor den Rechtsanwälten einen Vortrag – ich weiß nicht mehr, worum es ging. Jedenfalls kam ein Rechtsanwalt nach dem Vortrag zu mir und meinte: „Der Vortrag war hervorragend. Erst jetzt bin ich davon überzeugt, dass Sie auch die Prozesse beherrschen, die in der Berufskammer unter Ih- rem Vorsitz stattfinden“. Auf meine Frage, ob er auch bei meinem Vor- gänger diese Zweifel gehabt hätte, antwortete er, er habe sich darüber nie Gedanken gemacht.

Zugleich habe ich daraus gelernt. Als ich später Präsidentin des Landge- richts Hamburg und des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht war, habe ich in den Kammer- bzw Senatssitzungen von Anfang an in den Sach- und Streitstand selbst eingeführt. Das macht der Präsidentin dann zwar Spaß, ist aber für den Berichterstatter nicht so lustig.

Auch wenn ich zu Beginn meiner Amtszeit keinen der Richterinnen und Richter des Landgerichts und auch keinen der vier zum Landgericht ge- hörigen Amtsgerichte persönlich kannte, so stellte sich das doch als Vorteil heraus. Ich konnte so das Gefühl vermitteln, dass alle Richterin- nen und Richter die gleiche Chance auf Zuneigung, Beförderung oder was auch immer hatten.

Es ereigneten sich auch kuriose Dinge am Landgericht Itzehoe. Es gab am Landgericht eine Zivilkammer, in der zwei Mitglieder ebenso wie ich Tennis spielen konnten, nämlich Eckehard Marnau und Peter Ahsbahs. Das dritte Kammermitglied war der gerade erst in den Justizdienst ein- 53 gestellte Proberichter, Dr. Martin Probst, der nicht Tennis spielen konn- te. Ich verabredete mich eines Freitagnachmittags auf dem Tennisplatz mit Eckehard Marnau, Peter Ahsbahs und Eberhard Hülsing. Wir spiel- ten fröhlich bei Sonnenschein ein Doppel. Plötzlich erschien auf dem Tennisplatz Dr. Martin Probst mit einem Antrag auf Erlass einer einst- weiligen Verfügung in der Hand. Die Tennispartie wurde unterbrochen, so dass der Vorsitzende dem Proberichter seine Überlegungen zu dem Antrag mitteilen konnte.

Auch eine andere meiner Leidenschaften konnte ich für mich sehr ge- winnbringend mit einem anderen Richter, dem Vorsitzenden Richter Klaus Adlung ausüben. Er spielte hervorragend Cello und so fragte ich ihn, ob wir nicht zusammen Musik machen könnten, Beethovensonaten, er am Cello und ich am Klavier. Und so geschah es. Ich weiß nicht, wo- her ich damals den Mut nahm, mich auf solche Abenteuer mit meinen Richtern einzulassen. Es lag wahrscheinlich daran, dass ich leiden- schaftlich gern Tennis, aber noch leidenschaftlicher gern Klavier spielte und spiele. Und so entstand später aus dem Klavier-Cello Duo sogar ein Streichquartett, denn es gesellten sich noch Detlef von Krog, jetzt Vor- sitzender Richter am Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht, der hervorragend Violine und Bratsche spielen kann und ein Freund von mir, der damalige Richter und begnadete Geiger aus Hamburg, Dirk van Bui- ren, dazu. Wir fanden einen weiteren Geiger zum Mitmusizieren. Nach- dem ich mit den Vieren das Dvorak-Klavierquintett gespielt hatte und merkte, dass alle vier Streicher außergewöhnlich gut spielten, wurde das Streichquartett gegründet, das am Landgericht Itzehoe viele einzig- artige Musikabende im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kultur und Justiz“ gestaltet hat. Im Jahre 1990 haben wir am Landgericht zum ers- ten Mal diese Reihe eröffnet. Diese Idee zu „Kultur und Justiz“ hatte ich aus Hamburg mitgebracht, wo Roland Makowka als Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins eine solche Veranstaltungsreihe ab 1987 durchführte und bei der ich die Aufgabe hatte, Schriftsteller an das Landgericht nach Hamburg einzuladen.

In Itzehoe stellten wir in den ersten Jahren bis 1992 Bilder im Wester- hof aus. Später gab es die Musikabende und dann Dichterlesungen mit Günter Grass, Martin Walser und Siegfried Lenz. Die Lesungen wurden von der Buchhandlung Gerbers, dem jungen Björn Gerbers, finanziert. Ich hatte Sponsoren für das Drucken der Einladungen und den Wein nach den Veranstaltungen gefunden.

Die Kulturveranstaltungen wurden mit großer Zustimmung der am Landgericht Arbeitenden, aber mit noch mehr Zustimmung der Itzehoer Bevölkerung aufgenommen. Allerdings gab es hin und wieder auch kri- 54 tische Stimmen. Ein Richter ließ in unserer kleinen Gerichtshauszeitung mitteilen, er könne das Landgericht nur mit geschlossenen Augen be- treten, um in sein Zimmer gehen zu können. Damals hatte eine junge Künstlerin nicht nur Landschafts-, sondern auch Aktbilder im Westerhof ausgestellt. Das war zu viel für den Kollegen.

Ich habe nicht bemerkt, dass diese Bilder für Richter eine Zumutung sein konnten. Da hätte ich sensibler reagieren müssen. Damals hielt ich die Kritik für unangemessen, heute bin ich der Meinung, dass nicht je- der Mensch damit einverstanden sein muss, dass Aktbilder in einem Gericht ausgestellt werden.

Ich habe am Landgericht viele Menschen kennen gelernt, die es durch- aus verdient hätten, in dieser kleinen Rückschau erwähnt zu werden. Da das nicht möglich ist, habe ich nur einige wenige exemplarisch he- rausgenommen. Und zu diesen gehört noch Karl-Heinz Meier, mein Fah- rer. Mit dem „Cheffahrer“ verbringt ein Präsident oder eine Präsidentin viel Zeit „Kalli“ Meier war ein Mann, der eine sehr wichtige Rolle in mei- nem Präsidentenleben in Itzehoe gespielt hat. Er war, um es auf einen Begriff zu bringen, ein Glücksfall. Wir haben gute Gespräche geführt. Er hat mich, so sehe ich das rückblickend, vor manchem Fehler bewahrt. Er hat niemals jemanden denunziert; aber er hat in diskreter Weise auf Vorkommnisse aufmerksam gemacht, die ich mir noch einmal kritischer betrachten sollte. Dass Kalli Meier später jahrelang in den Personalräten eine wichtige Rolle spielte, ist konsequent und richtig.

Das Landgericht Itzehoe ist für mich ein Ort gewesen, an dem ich sehr viel gelernt habe und an dem ich Menschen getroffen habe, mit denen ich auch problematische Situationen bewältigen konnte. Davon gab es genug. Aber niemals hat es dazu geführt, dass ich schlaflose Nächte hatte. Sicherlich haben auch Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter unter meiner Art, ein Gericht zu leiten, gelitten. Aber das lässt sich wohl kaum vermeiden, insbesondere dann nicht, wenn man an einem Gericht etwas verändern will.

So denke ich an meine Itzehoer Jahre als an eine wirklich schöne Zeit zurück. Und als ich später Präsidentin des Landgerichts Hamburg und danach Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht wurde, habe ich mich immer wieder voller Dankbarkeit (ja, hier darf das Pathos mal sein) an die schönen Jahre im Landgericht Itzehoe erin- nert. 55 GESCHICHTEN AUS DEM KRAFTFAHRDIENST

KARL-HEINZ MEIER

Das rote Dienstfahrzeug.

Es war zu der Zeit als Herr Dr Köhler 1973 beim Landgericht Itzehoe zum Präsidenten ernannt wurde.

Ais erstes übernahm er ein Dienstfahrzeug von seinem Vorgänger, einen Opel, der damit glänzte dass er häufig während der Fahrt aus- fiel.

1974 sollte ein neues Dienstfahrzeug beschafft werden. Der Präsident und ich setzten uns zu- sammen und berieten, was es für ein Fahr- zeug werden sollte. Der Präsident endschied, dass es ein Audi 100 in Polarsilbermetallic werden sollte, weil er keine dunklen Farben mochte. Das Fahrzeug wurde zum Leidwesen des Geschäftslelters u. Referenten auf Wunsch des Präsidenten bestellt. Dr. Gerald Köhler Präsident des Landgerichts Es war an der Zeit, dass 1978 aufgrund der 1973-1980 hohen Kilometerleistung ein neues Dienstfahrzeug bestellt werden soll- te. ln der Verwaltung machte man sich Gedanken, dass es nun ein Fahr- zeug in den traditionellen Farben schwarz oder blau sein müsste. Dieses kam dem Präsidenten zu Ohren und nachdem wir beide uns beraten hatten, sagte Dr. Köhler: „Was halten Sie davon, wenn wir ein Fahrzeug in dunkelrot bestellen würden?" lch sagte zu ihm, wenn er zu öffentli- chen Veranstaltungen damit vorfahren will, wäre es mir egal, denn er wäre der Chef.

So geschah es dann. Es wurde ein dunkelrotes Fahrzeug der Marke Audi 100 bestellt; sehr zum Leidwesen der Verwaltung.

Der Geschäftsleiter sprach mich darauf an, ob ich dem Präsidenten die Sache mit dem roten Auto nicht hätte ausreden können. Meine Antwort darauf war: „Wenn der Präsident mit einem roten Auto vorfahren möch- te, dann wäre es seine Sache, dafür wäre er ja auch der Chef."

Dieses Fahrzeug ist dann noch an seinen Nachfolger Herrn Otto von 56 Campenhausen übergeben worden.

Fahren mit gerissenem Gasseil.

Es war zu Zeiten als Herr Otto von Campenhausen Präsident des Land- gerichts Itzehoe war (1980-1989).

Nachdem das rote Dienstfahrzeug ausgemus- tert war, wurden Dienstfahrzeuge in weisser Lackierung bestellt.

Es war im Jahre 1985, wir fuhren zu dieser Zeit ein Dienstfahrzeug der Marke Opel Ome- ga GLS in weisser Lackierung. Wir befanden uns auf der Rückfahrt von Kiel, es war nachts nach 23:00 Uhr auf der Strecke zwischen Ho- henwestedt und Itzehoe. Wir befuhren die Bundesstrasse 77, da geschah es auf Höhe der Ortschaft : Es riss das Gasseil.

Herr von Campenhausen meinte, dass wir Otto Freiherr wohl jetzt auf der Landstrasse übernachten von Campenhausen Präsident des Landgerichts müssten. Zu der Zeit hatten wir noch keine 1980 - 1989 Handys oder ein Autotelefon.

Ich öffnete die Motorhaube und schaute mir die Angelegenheit an. Da ich für alle Fälle immer eine Rolle Band dabei hatte, entschied ich mich, ein Band an der Zugfeder des Vergasers anzubinden und schloss die Motorhaube nicht ganz, so dass die Leine bei geöftnetem Fahrerseiten- fenster beweglich war.

Somit konnte der Motor gestartet werden und wir fuhren mit einer Ge- schwindigkeit von ca 40-50 km/h nach Hause. 57 55 JAHRE BEWÄHRUNGSHILFE BEI DEM LANDGERICHT ITZEHOE

EIN BEITRAG DER BEWÄHRUNGSHELFER BEI DEM LANDGERICHT ITZEHOE

Im Gründungsjahr des Landgerichtes hatte die Bewährungshilfe noch keinen Platz im Justizwesen gefunden. Unter „Pädagogik“ war eher die damals noch vorherrschende autoritäre „schwarze Pädagogik“ zu ver- stehen. Das bedeutete Strafen als erzieherisches Prinzip mit den daraus resultierenden teilweise dramatischen Folgen.

Die überholte Haltung der Bevölkerung und auch von Teilen der Justiz, welche der Kollege Sillies noch aus einer Stellungnahme aus dem Dith- marscher Bereich zitieren konnte: „watt schall dat. All de Verbrekers eenfach ünnerplögen“, ist mit der Strafrechtsänderung von 1953 durch den Gesetzgeber einer kriminalpolitischen Neuorientierung gewichen. Mit der Einführung der Strafaussetzung zur Bewährung wurde erstmals der Resozialisierungsgedanke im Gesetz verankert.

Das bis dato vorherrschende Obrigkeitsdenken wich mit den gesell- schaftlichen Veränderungen einer zunehmend aufgeklärten Haltung. Insbesondere der Sühnegedanke ist in den letzten Jahrzehnten einem präventiven Vorgehen gewichen. Die niedrige Inhaftierungsquote in Schleswig-Holstein und eine stetig wachsende Zahl von Strafaussetzun- gen zur Bewährung machen dies deutlich.

Wenn heute von der Bewährungshilfe gesprochen wird, gibt es keinen Zweifel, dass dieses Instrument der Strafrechtspflege den Landgerich- ten zugeordnet ist. 2006 spricht der Kollege Hofmann in der Festrede, zum 50jährigen Bestehen der Bewährungshilfe in Schleswig-Holstein, von der „Goldenen Hochzeit“ von Justitia und dem „bunten Vogel der Sozialarbeit“.

Die Nähe zu den Gerichten hat sich in den vergangenen Jahren auch nach außen deutlich sichtbar intensiviert. Waren noch im letzten Jahr- hundert Büros der Bewährungshilfe in den Gerichten die Ausnahme, so sind heute im Landgerichtsbezirk Itzehoe 3 von 4 Zweigstellen in den Amtsgerichten bzw. im Landgericht untergebracht. Die ehemals beider- seits gewollte Distanz, hatte weniger mit den Ressentiments der Be- währungshelfer zu den Gerichten zu tun. Vielmehr sollten mögliche Schwellenängste der Probanden verringert werden: Ein Verurteilter sucht den Ort, an dem er für sein Handeln zur Verantwortung gezogen wurde, sicherlich immer noch nicht gerne auf. 58 Die möglichen Ängste beim Betreten der Justizgebäude sind aber nicht mehr vergleichbar mit denen in den frühen Jahren der Bewährungshilfe. Aktuell werden allein im Landgerichtsbezirk Itzehoe insgesamt ca. 1000 Probanden von 15 Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfern (13,75 Planstellen) betreut. Das entspricht etwa der Situation der ge- samten Bewährungshilfe Schleswig-Holsteins im Jahr 1961. Damals wurden 1014 Probanden von 14 Bewährungshelfern betreut.

Dass diese Arbeit damals in den Privatwohnungen der Kollegen statt- fand, ist heute schwer vorstellbar, war aber bis in die 1980er Jahre durchaus üblich. Der erste Bewährungshelfer im Landgerichtsbezirk It- zehoe, Werner Ehlers, hatte ein Büro in seinem Einfamilienhaus im Kel- ler eingerichtet; bei dem Kollegen Ketelsen diente bis 1986 ein ofenbe- heiztes Zimmer als Sprechzimmer, während die Wartenden im Wohn- zimmer untergebracht wurden.

Hausbesuche wurden bis in die 1970er Jahre mittels Bahn, Bus und Fahrrad durchgeführt. Wer über einen PKW verfügte, war nicht nur fle- xibler, sondern genoss auch ein höheres Ansehen. In dem Jahresbericht aus dem Jahre 1958 schreibt der Kieler Bewährungshelfer Martin Pittel- kow zum Einsatz seines PKW: „…dass die Arbeit wesentlich kräfte- und zeitsparender ist. Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass auch das Ansehen des Bewährungshelfers allgemein mit der Motorisierung geho- ben und in besonderen Fällen ein psychologischer Rückhalt geworden ist“.

Der Kollege Werner Ehlers wurde 1956 als ei- ner von sechs Bewährungshelfern im Lande eingestellt und war für den gesamten Landge- richtsbezirk Itzehoe, von der Eider bis nach Altona, zuständig. Die sechs Kollegen im Lan- de betreuten seinerzeit 256 Probanden, dies entspricht in etwa der Anzahl der Probanden, die heute von Bewährungshelferinnen und Be- währungshelfern einer Zweigstelle zu betreuen sind.

Aufgrund der rasanten Zunahme der Bewäh- rungsfälle musste auch der Personalbestand Arnold Rostock laufend aufgestockt werden: 1957 wurde dann Präsident des Landgerichts 1968 - 1973 der Kollege Jochen Busecke eingestellt. Es folgten die Kollegen Kurt Behnke (1962), Hans Teetzen (1964) und 1971 kam dann mit dem Kollegen Lorenz Ketelsen eine weitere Verstär- kung in den Bezirk, er wurde als Angestellter durch den Präsidenten des 59 Landgerichtes, Herrn Rostock, eingestellt. Damit waren die noch heute bestehenden 4 Standorte in Itzehoe, Pinneberg, Elmshorn und Meldorf mit Dienststellen der Bewährungshilfe entstanden.

Die Arbeitsinhalte wurden natürlich auch durch die Situation am Ar- beitsplatz beeinflusst, die fürsorgerischen Tätigkeiten erfassten nahezu alle Lebensbereiche, z.B. Unterweisungen in hauswirtschaftlichen Tätig- keiten, bei denen dann zum Teil auch die Ehefrauen der Kollegen mit eingespannt wurden. Dass die Hilfen hier buchstäblich von der Nähstun- de bis zur Kinderpflege gingen, war nicht zuletzt dem damaligen Be- rufsbild der „Volksfürsorger“ und ihrer Ausbildung geschuldet.

Die Nachdiplomierung der Fürsorger folgte Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre, als ein Fachhochschulstudium Einstellungsvoraussetzung wurde.

Heute gilt das „Case-Management“ als Handlungsbegriff in der Bewäh- rungshilfe. Durchgeführt wird sie von Diplom-Sozialarbeitern und -Sozi- alpädagogen und zukünftig von den ausgebildeten Bachelors / Masters of Arts – Fachrichtung Sozialpädagogik. Die Inhalte der Bewährungshil- fe werden durch die individuellen Problemlagen der Probanden, wie auch durch die von den Gerichten verfügten Auflagen und Weisungen bestimmt. Die Begriffe „Hilfe“ und „Kontrolle“ beschreiben die Aufgaben immer noch treffend.

Neben wirtschaftlichen Problemen kommen zunehmend Menschen mit erheblichen psychosozialen Störungen auf die Kollegen zu, so dass die Einbeziehung von Netzwerken sozialer Hilfen zur Unterstützung der Pro- banden bei vorhandenen Schwierigkeiten zunehmend wichtiger gewor- den ist. Die dabei gestellten Anforderungen an die Bewährungshelferin- nen und Bewährungshelfer erfordern neben der fachlichen Kompetenz ein hohes Maß an Motivation und psychischer Belastbarkeit.

Folgerichtig wurden in der Festrede zum 50-jährigen Bestehen der Be- währungshilfe die damaligen Einstellungsvoraussetzungen zitiert: „dass neben der erforderlichen Vorbildung, Ausbildung und Erfahrung die Per- sönlichkeit des Bewährungshelfers entscheidend ist. Er muss charakter- lich einwandfrei sein, Vertrauen und Autorität erwecken können und die Aufgabe des Bewährungshelfers als innere Berufung ansehen.“

Durch Standards der Arbeit und Diskussionen der Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung, ist ein Instrument der sozialen Strafrechtspfle- ge entstanden, das innerhalb der Justiz seine Stellung und Anerken- nung gefunden hat. 60 DER PROZESS RUTH BLAUE

DR. KLAUS ALBERTS1

Cain2

Wer bist Du, Mensch, was siehst Du mich an, So tief verstört und so von Schmerz zerrissen? Du hast das Schlimmste, sagst Du, was es gibt, getan Und hast vor Gottes Zorn entfliehen müssen …

Ich kam von Himmelshöhen auf die Erde, Um Gottes Wunderwerke hier zu loben. Nun ich Dich sah, fühl ich erschreckt, ich werde Den Weg nicht wiederfinden, meinen Weg nach oben.

Du bist verflucht? Nun gut, so sei ich’s auch, Gefährtin Dir und teil an Deinem Leide, Und Dir ergeben bis zum letzten Hauch. Bis dass wir sühnend endlich alle beide

Vereint in Wesenswandlung Frieden finden Und diesen Fluch mit Liebe überwinden. Gott kennt der Menschen Herz und ihre Pfade. Sein ist die Tat – und sein ist auch die Gnade!

„Die Angeklagte ist eine ungewöhnliche, in vieler Hinsicht abar- tige Frau.“

So lautet der erste Satz des Urteils des Schwurgerichts Itzehoe, mit dem es am 18. November 1955 die einundvierzigjährige Ruth Blaue we- gen Mordes an ihrem Ehemann zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Ein Satz, der sich festlegt und der seinen Leser festlegen will; ein Satz, der Anziehung und Abstoßung signalisiert; ein Satz, der der, der er gilt, durch die Abwertung, zu der er sich letztlich entschließt, keine Möglich- keit mehr lässt; ein Satz, der umso mehr trifft, als er auch eine Tiefe der Beunruhigung erkennen lässt, die man bei einem Schwurgericht nicht erwartet, sieht man doch dessen Aufgabe darin, die Bewertung ei- nes Geschehens vorzunehmen, das den Menschen, um den es geht, vor

1 Autor der Biographie "Die Mörderin Ruth Blaue - Schleswig-Holsteins rätselhafter Nachkriegsfall", Boyens Buchverlag, 2011 2 Dieses Gedicht überreichte die Angeklagte dem Schwurgerichtsvorsitzenden kurz vor der Urteilsverkündung 61 seine Schranken gebracht hat. Dabei setzt man Nüchternheit voraus.

Es ist auch ein Satz, der Verbündete sucht. Mit ihm wählt das Gericht eine gleichsam literarische Eröffnung: So, wie der Eingangssatz eines Romans schon den Ton des ganzen Geschehens vorgibt, eine frühe, prägnante Zusammenfassung, auch Wegleitung ist, so sagt uns hier das Gericht, dass alles, das es zu beurteilen hatte, seinen Schlüssel in der zwiespältigen, rätselhaften Natur der Angeklagten hat, in einer Natur, die den Richtern fremd geblieben ist, die sich ihnen nicht eröffnet, nicht erschlossen hat; nicht geheuer ist sie ihnen.

Das Gericht offenbart in diesem Satz auch eine Hilflosigkeit.

Wer ist Ruth Blaue? Ist ihr Leben eine konsequente Erzählung, die einer geschlossenen Dramaturgie folgt, sind es Brüche, die bestimmen, Zu- fälligkeiten? Ist sie Herrin ihres Schicksals oder wird sie nur geworfen? Was hat sie bewegt? Was war ihr Antrieb?

Ich will eine Antwort versuchen.

Im Frühjahr 1914 wird sie in die scheinheile Welt einer Unternehmerfa- milie hineingeboren. Ihr Vater – wohl ein wenig das schwarze Schaf – gehört der Familie Heine an; man ist in der Fleischindustrie zu Reichtum gekommen, „Halberstädter Würstchen“ kennt jeder.

Ruth wird eine Prinzessin, die Prinzessin von Halberstadt. „Zart und kränklich“, wird sie „von allen verwöhnt und verhätschelt“. Ihre Kleider kommen aus Brüssel, da führt eine Tante einen Modesalon. Alle drehen sich auf der Straße nach ihr um, so süß ist sie. Wenn sie auf ihren Stadtgängen einmal müde wird, besteigt sie eine Droschke und lässt sich nach Hause fahren, schon früh empfindet sie die Straßenbahn als nicht „standesgemäß“. Sie erlebt ihre Kindheit als „lichten Weg durch frohe Schultage, herrliche Ferien in den Bergen und an der See“.

Doch es gibt auch Schreckliches und Aufregendes: Sie muss den Mord- anschlag eines Kindermädchens überstehen, das versucht hat, sie mit im Brotaufstrich eingedrücktem Quecksilber zu töten. Als außerhalb Halberstadts in den Klusbergen 1918 ein Flugzeug abstürzt, fällt es di- rekt in den Kaffeegarten, in dem sie sich gerade mit ihren Eltern auf- hält, zwanzig brennende Menschen liegen direkt vor ihren Augen im Grase. Die Revolution 1918 erlebt die Vierjährige mit: Schüsse, Schreie in der Nacht, umgeworfene Straßenbahnen, Zerstörung, Chaos. Die Ortschronik berichtet nur von einem ruhigen Arbeiterumzug um Brot und Frieden. 62 Ruth hat viel Phantasie. Und mitfühlend ist sie: Als eine kleine Cousine hinfällt und sich verletzt, da hilft sie nicht: Sie legt sich zu dem Kind und zeigt ihre Anteilnahme im Mitleiden.

Sie ist eine gute Schülerin und wird es bleiben, nennt sich später selbst „sehr aufgeweckt“ und „überdurchschnittlich“: „War früher so’n biss- chen Wunderkind.“ Deutsch und Geschichte liegen ihr besonders, lange Zahlenreihen und Texte lernt sie spielend auswendig. Ihr Erinnerungs- vermögen, aber auch ihre Vorstellungskraft sind enorm.

Ihr Vater, ein „arbeitsamer, weicher Mensch“, in Erziehungsfragen „sehr großzügig“, hat beruflich keinen Erfolg, das Unternehmen trennt sich von ihm, man lebt dennoch auf gewohnt hohem Niveau weiter, zu- nächst. Später wird er wegen Unterschlagung verurteilt.

Die Mutter „sehr lebenslustig, temperamentvoll und lebhaft“, Ruth fühlt sich ihr nahe, wendet sich einem anderen Mann zu, das Kind erfährt da- von: radikaler Bruch. Die Mutter spielt keine Rolle mehr, für den Rest des Lebens. Das Kind verschließt sich, kann keinem mehr vertrauen. Der Abstieg beginnt. Um seine Familie zu ernähren, geht der Vater nach Hamburg, wird Vertreter; das Leben der Prinzessin von Halberstadt ist vorüber. Sie wird es nicht verwinden, sie will es wieder werden; das hört nicht auf.

Die große Stadt lenkt vom Verlust des Paradieses ab, sie mag Hamburg. Freundinnen hat sie kaum, sie lebt für sich, liest viel, alle Themen inte- ressieren sie, auch die, die noch viel zu schwer für ein junges Mädchen sind. Lesen wird ihre Leidenschaft bleiben.

Nach der Mittleren Reife und den sich anschließenden Besuchen von Hauswirtschafts- und Handelsschule, findet sie durch Beziehungen des Vaters eine Stelle im Universitätsklinikum Eppendorf, beginnt eine Leh- re als Laborantin. Und sie begegnet Dr. Wolfgang Trautmann, dem zehn Jahre älteren Arzt, der die erste Liebe ihres Lebens wird, wohl die gro- ße, die nicht vergehen wird, bis zum Schluss. Die Siebzehnjährige meint, einer großen lntrige gegen den geliebten Mann auf die Spur zu kommen; dahinter steckt ein nationalsozialistischer Arzt, der Traut- manns Vernichtung betreibt; Ruth hat Beweise dafür, dass der Intrigant auch ein Mann ist, der in Polen auf Bahnhöfen Menschen mit Milzbrand- bakterien infizieren will. Sie gerät in einen „Hexenkessel“, dem sie sich aus „gesellschaftlichen Gründen“ nicht entziehen kann. Sie unterschlägt Briefe ihres Chefs, um Beweise zu sammeln, verliert ihre Stellung, un- terzieht sich psychotherapeutischer Beratung, bestraft wird sie nicht. Der Kampf aber geht weiter: Sie wendet sich an Hugenberg, den all- 63 mächtigen Pressezaren der Zeit und Steigbügelhalter Hitlers. Bis in sein Vorzimmer in Berlin kommt sie. Weiter geht es nicht, sie gibt auf – ganz plötzlich.

Trautmann glaubt, mit ihr ein wohlhabendes Mädchen mit weit reichen- den Beziehungen kennen gelernt zu haben, das ihm mit seinen Mitteln beim Aufstieg behilflich sein kann. Sie liebt ihn abgöttisch, weiß, dass die Welt Großes von ihm zu erwarten hat und – er ist für sie der ideale Wegbereiter zum Wiederaufstieg ins Bürgertum, die Heimkehr aus der mediokren Existenz als Tochter eines armseligen Handelsreisenden in ihr angestammtes Milieu, der Weg mit ihm soll der Weg zurück nach „Halberstadt“ sein. Er darf nicht merken, dass sie in Wahrheit ein Habe- nichts ist; sie fängt an zu fälschen, zu lügen, um an Geld zu kommen, ihn einzuladen, die Kulisse aufrecht zu erhalten. Sie heiraten, gegen den Willen der Familie.

Am Tage der Hochzeit steht die Polizei vor der Tür, Trautmann durch- schaut die Fassade, reagiert sofort, nach wenigen Wochen ist die Ehe für nichtig erklärt, wegen ihres Hanges zu kriminellen Taten. Sie kann nicht glauben, dass die Chance sich nicht realisiert. Sie versteht nichts.

Sie bleibt von ihm und ihrem Ziel abhängig, zeitweise leben sie wieder zusammen, sie begeht immer neue Straftaten, um ihn an sich zu bin- den, später soll sie sagen, dass sie für ihn auch der Prostitution nach- gegangen sei. Aber sie leidet auch, sie berichtet von einem Selbstmord- versuch. Es geht für sie noch weiter nach unten: Sie muss für neun Mo- nate ins Gefängnis. Nach der Entlassung gibt es noch eine Begegnung mit ihm, dann endet die Beziehung, für Ruth wohl nur äußerlich. Jetzt aber scheint sie doch zu erkennen, dass er nicht der Wegbereiter des Wiederaufstiegs sein konnte.

Die Familie fängt sie wieder auf. Sie findet Anstellung in einem Kontor, eine kleine Wohnung, die jetzt zweiundzwanzigjährige junge Frau lebt zurückgezogen, scheint sich zu festigen. Sie liest wieder viel. Das Ver- hältnis zum Vater, der sich wegen der Beziehung zu ihrem Mann von ihr zurückgezogen hat, normalisiert sich. Er ist froh. Es könnte gut werden. Ruth wäre gerettet. Normalität. Sie ist so jung. Und dennoch sieht es schon nach einer letzten Möglichkeit aus. Man weiß jetzt, wie weit sie gehen kann.

Dr. Wolfgang Trautmann ist ihr nicht zum Schicksal geworden, John Blaue soll es werden, dieser unbedeutende harmlose Mensch, der so gar nicht ihren Weg wieder nach oben begleiten und fördern kann. Und noch deutet auch nichts darauf hin, dass gerade er der Mann sein wird, 64 durch den sie sich vernichtet.

Bei einem Bummel über die Reeperbahn, mit Kollegen aus dem Büro, lernt sie ihn kennen, ihn, den sie im Hafen „Jonnie“ nennen: Jonnie, der Seemann, Jonnie, der Leichtsinnige, der Fröhliche, unbedarft findet sie ihn, aber sympathisch; er verliebt sich in sie, in die, die so gar nicht zu ihm passt, die ihm überlegen ist, so schön, so gebildet, er kann es nicht fassen, dass sie sich ihm zuwendet. Und dennoch geschieht es. Wes- halb letztlich, wirklich dazu geäußert hat sie sich nicht; es ist ein wenig so, als habe sie es, erschöpft von den Jahren zuvor, geschehen lassen.

Sie wirkt in dieser Zeit seltsam gleichgültig, unberührt; aber sie küm- mert sich, sorgt für ihn, der sein Examen zum Nautiker verschläft, dem sie seine Arbeiten schreibt, den sie von den leichten Mädchen wegholt. So schreibt sie es später. Sie wird für ihn wichtig, ohne sie geht es nicht mehr. Sie scheint für den Augenblick vergessen zu haben, dass sie mit diesem Mann ihr Lebensziel nicht erreichen kann; zwar ist er – mit Mühe und Not – jetzt Patentinhaber, darf sich Schiffsoffizier nennen, bleibt aber doch seinem Milieu verhaftet, den kleinen Leuten im Hafen. Für sie Sackgasse, lrrweg. Vielleicht hat sie in einem Augenblick der Schwäche diese kleine Normalität angezogen. Sie hat die Wucht ihrer späteren Abscheu nicht geahnt. Sie heiratet ihn.

Krieg.

Der drängt alles andere in den Hintergrund. John wird Kommandant ei- nes Vorpostenbootes, Oberleutnant zur See, eine typische Verwendung für Schiffsoffiziere mit kleinem Patent, eine verantwortungsvolle Aufga- be, er ist für den Schutz ein- und auslaufender U-Boote zuständig. Sie begleitet ihn, als er nach Danzig verlegt wird, arbeitet in der Bibliothek einer Werft, sie sagt, sie habe dort die Fachbibliothek aufgebaut. Von ihrem Mann entfremdet sie sich mehr und mehr, für sie wird er zuneh- mend der unsensible, fordernde, ungebildete Fremde, der Irrtum. Sie lernt Klaus kennen, den sie als kultivierten Diplomaten schildert, engs- ten Mitarbeiter von Ribbentrops. Sie blüht auf. Nicht für lange, die Zeit in Danzig endet, als ihr Mann nach Norwegen versetzt wird. Für sie geht es zurück nach Hamburg.

Ihr geliebter Bruder wird in Russland schwer verwundet, kommt nach Thüringen ins Lazarett. Da pflegt sie ihn. Vor seinem Tode verlangt er wieder und wieder nach John – so hat sie geschrieben. Den halten seine Pflichten in der Marine fest. Sie behauptet, er habe diese aus Bequem- lichkeit nur vorgeschoben. Jetzt beginnt sie ihn zu verachten. Die Ehe ist inzwischen immer mehr zerrüttet; sie kann keine Kinder bekommen, 65 er hat ihr gebeichtet, dass er in Norwegen mit einer Wehrmachtshelfe- rin ein Kind gezeugt hat. Sie nimmt Kontakt auf, will sich um die Mutter und das kleine Mädchen kümmern, das möchte die Frau nicht, die sich auch jetzt noch nur positiv über ihn äußert.

Für Ruth ist der Tod des Bruders ein entscheidender Einschnitt: Sie will mit ihm und allen seinen Kameraden solidarisch sein, meldet sich zur Wehrmacht, es gelingt ihr, gesundheitliche Probleme zu verschleiern, sie wird Scheinwerfer-Führerin in einer Flak-Stellung im Raume Bre- men, erlebt Fürchterliches, erleidet Zusammenbrüche, wird aus dem Kriegsdienst entlassen. Mitten im Inferno hat sie eine Begegnung mit einem Offizier, der bald darauf fällt. Sie liebt ihn mit Verzweiflung, ihn, einen der „Wertvollen“.

Ihre Eltern haben Hamburg verlassen, sind nach Elmshorn verzogen, in die Ollnstraße 153, dorthin geht sie jetzt, das Haus wird für drei Jahre ihre Heimat.

Der Krieg rast seinem Ende entgegen.

Ruth und John Blaue haben ihn überlebt. Er hilft in Kiel den Briten noch eine Weile beim Minenräumen und Wrackbergen; sie geht tatkräftig an den Aufbau einer eigenen Existenz. Die „Blaue Stube“ wird gegründet, eine Buchhandlung und Leihbücherei, die sich zum großen Teil aus ihren eigenen und den Büchern ihres Vaters speist. Bald kommt ein Handel mit kunstgewerblichen Gegenständen hinzu.

Elmshorn ist, wie damals alle Städte, voller Flüchtlinge, versprengter Soldaten, Gestrandete des großen Krieges. Menschen sind sie, die nach Orientierung suchen. Manche schart Ruht Blaue um sich, sie hat den Ehrgeiz, Mittelpunkt zu sein, zu helfen, zu sorgen, bewundert zu wer- den. Es gelingt ihr.

Für viele wird sie zu einem Halt. Auch für Horst Buchholz, den einund- zwanzigjährigen ehemaligen Leutnant im Jagdgeschwader „Mölders“, Abschüsse, Auszeichnungen, Verwundung, idealistischer junger Natio- nalsozialist, gebildet, sensibel, aus gutem Hause, orientierungslos im Chaos der Zeit, nur eines weiß er: Er will Künstler werden, Holzbildhau- er. Dahin geht schon sein Wunsch vor dem Krieg. Für Ruth Blaue ist er sofort ein Mensch, zu dem sie sich hingezogen fühlt, wieder ein „Beson- derer“, für den sie da sein muss, nächtelange Gespräche, über Bücher, über Politik (sie überzeugt ihn, mit ihr in die SPD einzutreten), über das Leben; es entsteht ein Gefühl für einander, Nähe entwickelt sich, sie werden ein Paar. Zunehmend wird er zum Versprechen, zur Aussicht für 66 sie, die allerletzte Möglichkeit, doch noch dem Kleinbürgertum zu ent- kommen, den drückenden Verhältnissen ihrer nutzlosen Ehe. Sie will, dass Horst Buchholz ihr gehört. Sie isoliert ihn. Noch ist er glücklich.

John Blaue kehrt zurück, es ist das Frühjahr des Jahres 1946. Horst Buchholz wohnt längst in der ehelichen Wohnung. Man weiß in der Nachbarschaft Bescheid, die Sympathien sind bei John. Der ahnt noch nichts, nimmt den Jungen nicht weiter ernst, mag ihn, das ist gegensei- tig, bleibt es. Auch er will sich schnell ein neues Leben schaffen. Schon vor dem Krieg hat er die Seefahrt aufgegeben, ein kleines Fuhrge- schäft, den „Blaue-Blitz“, gegründet, das versucht er jetzt wieder.

Er bemerkt das Verhältnis der beiden, leidet, liebt seine Frau noch im- mer, er will und wird die Situation klären; aber er setzt die Priorität fest: Erst die Existenzgründung, dann die Regelung der persönlichen Dinge: Er will mit Ruth verheiratet bleiben, Buchholz wird gehen müs- sen. Eines nach dem anderen.

Es kommt zu Spannungen zwischen den Eheleuten, Horst Buchholz wird hineingezogen. Der junge Mensch, stark von Anstand und Ehrbegriff bestimmt, erträgt die Situation zunehmend weniger. Ruth spürt, dass er ihr entgleiten könnte, ein Albtraum für sie, endgültig gefangen in Elms- horn; denn – so sagt sie es – ihr Mann verweigert Trennung und Schei- dung. Sie leidet schwer, und die Details dieses Leidens vermittelt sie Horst Buchholz: Ihr Mann beschimpfe sie, er schlage sie, sie berichtet von Vergewaltigung, ständigen groben sexuellen Forderungen, denen sie kaum entgehen könne, seinem unmäßigen Trinken. Niemand im Hause bemerkt etwas von alldem. Weshalb tut sie das? Merkt sie nicht, dass sie den jungen Menschen hoffnungslos überfordert? Doch. Aber sie will ihn so an sich ketten, seine Ritterlichkeit ansprechen, er soll ihr Be- schützer sein. Sie erreicht das Gegenteil: Horst Buchholz scheint zu be- greifen, dass es Zeit ist, sich zu retten. Noch macht er Vorschläge: Man solle gemeinsam weggehen (das lehnt sie ab aus Angst vor der Rache ihres Mannes), er will Blaue zum Duell fordern, der Aberwitz hält Ein- zug. Macht man gemeinsam Pläne, Blaue zu töten? Denkt jeder von ih- nen allein an Mord?

Als er es nicht mehr aushält, es ist November 1946, da sagt er es ihr: Er wird gehen. Sie steht allein da, hoffnungslos.

John Blaue ist am Ziel: Am 15. November wird er in der Frühe nach Hamburg fahren, um dort einen Lastwagen zu erwerben. Das Geld für den Kauf hat ihm ein ehemaliger Vorgesetzter geliehen. 67 In der Nacht stirbt er. Fünf Beilhiebe treffen den schlafenden Mann in den Kopf. Sofort ist er tot.

Horst Buchholz geht nicht. Gemeinsam mit ihr beseitigt er den Leich- nam; er wird in einer Kiesgrube in der Nachbarschaft versenkt. Dort finden ihn badende Kinder im Sommer 1947. Jahre später erst, 1954, gelingt die Identifizierung des unbekannten Toten.

Als Fragen nach dem Verbleib von John Blaue kommen, erklärt seine Frau, er habe in der Ostzone einen LKW kaufen wollen, sei nicht zurück- gekehrt, vermutlich von den Russen verschleppt worden. Spät erst gibt sie eine Vermisstenanzeige auf; kurz nach dem Tod des Mannes begin- nen sie und Buchholz seine Kleidung und Wertgegenstände auf dem Schwarzen Markt in Hamburg zu verkaufen. In der Nachbarschaft hat man den Eindruck, dass das spurlose Verschwinden ihres Mannes sie nur wenig berührt.

Das Paar bleibt zusammen, verlässt 1948 Elmshorn und siedelt sich, nach einer Zwischenstation in Dithmarschen, 1949 im Schwarzwald an. Sie nimmt dort eine Bürotätigkeit auf, er wird zunächst Schnitzer in ei- ner Fabrik, die Kuckucksuhren herstellt. Dann erringt er ein Patent im Bereich der Kunststoffverarbeitung, steht vor der Selbständigkeit, hat also Erfolg, ist im Aufstieg. Nebenher arbeitet er weiter künstlerisch, Ruth ist sein Modell, er zeigt sie als Madonna, auch Aktdarstellungen sind sein Thema. Das Paar ist beliebt, es ist freundlich und hilfsbereit. Manche, die sie in diesen Jahren erleben, heben die dominante Rolle Ruth Blaues hervor, die mit sich im Reinen zu sein scheint; er wirkt ernst, in sich gekehrt, fast resignativ.

Im Sommer 1954 beendet der ltzehoer Kriminalkommissar Otto Pauk- stadt, den der ungelöste Fall nicht losgelassen hat, seine Aufklärungsar- beit: Ruth Blaue und Horst Buchholz werden wegen des Verdachts des Mordes an John Blaue im August festgenommen und nach Schleswig- Holstein überstellt; die Zeit bis zum Prozess im November 1955 ver- bringen sie in Untersuchungshaft. Kurz vor der Verhandlung nimmt Buchholz sich das Leben.

Während der Verhöre legen sie Geständnisse in über dreißig Varianten ab. Dabei geht es stets um die Fragen, ob sie Alleintäter, er oder sie, waren, ob sie den Ehemann gemeinsam getötet hatten, ob es sich um eine Spontantat gehandelt hatte oder ob eine konkrete Planung voraus gegangen war. Sie belasten sich auch immer wieder gegenseitig. In ih- rem letzten Geständnis, kurz vor Buchholz’ Suizid, nimmt sie die Tat al- lein auf sich, er habe nichts von ihrer Absicht gewusst. Das widerruft 68 sie sofort nach seinem Tod. Sie verspielt jede Glaubwürdigkeit, Gericht und Presse hinterlässt sie letztlich ratlos. Sie führt viele Rollen auf: ein- mal gibt sie das kleine Mädchen, dann wieder die überlegene Intellektu- elle, die Dame, die vor Schmerz Versteinerte, sie lügt viel. Die Gerichts- mediziner bekennen, im Kern nicht an sie „herangekommen“ zu sein.

Das Urteil schickt sie lebenslang ins Zuchthaus. Sie besteht die Zeit, die sie dort verbringen muss, mit Haltung. Sie führt Tagebuch, schildert eine Hölle. Mit niemandem macht sie sich gemein, hält Distanz zu allen, ist zugleich eine Mustergefangene, leitet die Bibliothek. Ihre Gnadenge- suche werden regelmäßig negativ beschieden. Bei allem Verständnis der Anstaltsleitung für sie: Es kann keine Befürwortung geben, zeigt sie doch bis zum letzten Tag keine Reue. Aber wie könnte sie auch, die sie die Tat seit dem Prozess konsequent bestritten hat?

Teufelskreis!

1968 erkrankt sie an Brustkrebs, unheilbar. Am 1. Februar 1969 darf sie die Haftanstalt verlassen. Noch knapp vier Jahre hat sie da zu leben, eine Ärztin und eine Pastorin kümmern sich um sie, weit über ihre be- ruflichen Pflichten hinaus. Die evangelische Kirche gibt ihr „aus thera- peutischen Gründen“ eine leichte Bürotätigkeit. Einer Berliner Journalis- tin schildert sie, scheinbar ungebrochen, ihr Leben. Ein Bild wird ge- schaffen, das bis in die jüngste Zeit immer dann aufgerufen wird, wenn Ruth Blaue wieder einmal im Gespräch ist: „Madonna oder Mörderin?“

1972 vollendet sich ihr Leben, sie stirbt am 27. Dezember in Lübeck. Die Sterbeurkunde verzeichnet:

„Die Verstorbene war Witwe von John Heino Karl Blaue.“

So war es.

Eine Deutung.

Wer war Ruth Blaue? Wer ist sie für mich? Ein Mensch in seinem Wider- spruch, erschreckend in seiner Radikalität, ungreifbar? Auch mir ein Rätsel? Soviel scheint eindeutig: Sie ist an sich zugrunde gegangen, zwei andere Menschen, John Blaue und Horst Buchholz, hat sie mit in den Abgrund gerissen.

Mein Eindruck, nachdem ich mich viel tiefer mit ihr befasst habe, als diese konzentrierte Darstellung es im einzelnen wiedergeben kann: Ihre großen, alles dominierenden Wesenszüge: Das überwölbende Gefühl ih- 69 rer Besonderheit, ihres geradezu Auserwähltseins, das sie über alle an- deren Menschen erhebt und die kompromisslose Zielstrebigkeit ihres Bemühens um Bedeutung, um Anerkennung, um die Erringung einer Position im Leben, die ihrer Vorstellung ihres angemessenen Ranges entspricht.

Sie war die Prinzessin von Halberstadt, eingebettet in die Privilegien des Reichtums und des Ansehens, durch das Unglück des schwachen Vaters und die Umstände der Zeit war diese Stellung dahin, schon als junges Mädchen war sie in der Mittelmäßigkeit, in bedrängten wirtschaftlichen Verhältnissen angekommen, in eine Welt geraten, die nicht zu ihr pass- te. Sie gilt es wieder zu verlassen. Nach diesem Kompass richtet sie ihr Leben aus. Sie will agieren und sie muss agieren, denn von selbst än- dern sich die Dinge nicht. Ihr Leben ist die Geschichte des Versuchs ei- ner Rückgewinnung, einer Rückeroberung.

Auch die Gutachter heben ihre extrem stringente Zielgerichtetheit her- vor, etwa wenn sie sagen, dass „schlechthin alle Entäußerungen ihr un- nachgiebiges, energisches Streben nach Erfolg und Geltung (widerspie- gelten) und bisweilen in selbstgefälliger Ich-Erhöhung und unantastba- rer Überlegenheit (gipfelten)“. Sie nennen ihren Geltungsdrang infantil und puberal. Man konstatiert, dass sie auch große Ansprüche an sich selbst stellt, „denn auch in ihrem Ehrgeiz und den Beweisen der eige- nen Kraft und des Könnens fanden sich die gleichen fanatisch anmuten- den Übersteigerungen. … Diese überwiegende Tendenz, immer nur sich selbst im Mittelpunkt zu sehen, Schicksalslenker zu sein, ausschließlich vom eigenen Standpunkt Betrachtungen anzustellen, machte ihre Unfä- higkeit, sich in andere hineinzufühlen, realgebunden mitzuerleben und mitzudenken, besonders deutlich.“

Das, was nicht passt, wird ausgeblendet. Ich-Standpunkt und subjekti- ve Gewissheit bestimmen Weltbild und Handeln. Den Kompromiss kennt sie nicht, unnachgiebig verfolgt sie ihr Ziel: „Ich habe ja mein Leben nur nach meinem Kopf gelebt und glaubte, es musste nur immer nach meinem Kopf gehen.“

Ruth Blaue ist 40 Jahre alt, als ihre Festnahme erfolgt. Alles hätte für sie gut ausgehen können. Der unbeirrbare, eiserne Wille, gepaart mit ihrem freundlichen, ja sanften Daherkommen, hätten für den Rest ihres Lebens Früchte tragen können. Der Ehrgeiz, es allen zu zeigen, ihr Be- sonders-Sein deutlich zu machen, der ununterdrückbare Wunsch nach Anerkennung, der Wille, die vom Vater verspielte gesellschaftliche Posi- tion für sich im Bürgertum zu restituieren, das treibt sie an. Es geht ihr ums Ansehen, um die Fassade. Ihr Lebensthema verrät Oberflächlich- 70 keit und Distanzlosigkeit. Sie hat über das Bürgertum nicht nachge- dacht oder nicht nachdenken können. Ihre immer wieder durchklingen- de Verachtung für dessen Formen und Rituale ist nicht ehrlich und exis- tentiell, sondern opportunistisch der Verbindung mit Trautmann ge- schuldet, der sich als Verächter der Konventionen gab und den sie imi- tiert. Ruth Blaue ist tief und unreflektiert der äußeren Lebensform des Bürgertums ergeben. Wieder dazuzugehören, ist ihr Ziel, für das sie al- les zu tun bereit ist. Der Verlust der satten Bürgerlichkeit und ihrer In- signien nach dem Ersten Weltkrieg muss sie tief verstört haben, irrepa- rabel. Sie hätte sonst nicht so radikal sein können, wie sie es wird. Sie kann nach dem wirtschaftlichen Absturz des Vaters die Welt nicht so annehmen, wie sie sich ihr darbietet. Sie hat in sich nicht die Kraft, sich anzupassen und sich von dieser Ausgangslage aus etwas ganz Neues, Bescheidenes, doch Eigenes aufzubauen. Sie will fortsetzen und wieder anknüpfen. Sie ist mit der Prinzessin in sich nicht fertig geworden. Ein eiserner Wille zeichnet sie aus, aber es ist kein Wille, der etwas Ange- messenes schaffen will, es ist ein Wille, der gerichtet ist auf das Her- stellen einer Kopie, der Kopie vom großen guten Leben in Halberstadt. Prinzessin.

Sie ist über Halberstadt nicht hinausgekommen, nicht hinweggekom- men. Halberstadt hält sie besetzt, ihr Leben lang. Alles, was sie tut, soll sie dorthin zurückführen, in die sonnige, frohe Zeit, in der sie so beson- ders war. In der sie Ruth Heine war. Fast wäre es geglückt.

Indem ich diese Interpretation wage, ist sie für mich dann doch kein Rätsel mehr: Alle scheinbar losen Enden schürzen sich zum Knoten. Ruth Blaue ist ihrem Lebensplan treu geblieben – bis zuletzt.

Bin ich ihr gerecht geworden? Als Mitmensch schmerzt mich ihr abge- rutschtes Leben, wie auch tief die grausam endenden Leben derer, die ihr begegneten.

Sie hatte Träume und Gesichte. Ein Schlüssel zu ihrer – auch furchtba- ren – Persönlichkeit kann dieser Traum sein, den sie hinterlassen hat:

„Allein, an einem Schneehang, steige ich einen Berg hinan. Hinter mir und ringsherum plötzlich viele Menschen, kleiner als ich und alle blind. ‚Führe uns nach Hause?, fordern sie und treiben mich einfach vorwärts, den Berg herauf, eine weite Strecke, vor ein Gebäude, dessen Betreten alle Schauer und Schrecken verheißt. Sie lesen es ja nicht und mich treiben sie in die Tür, vor ein Meer voller Ungeheuer. Ich muss da durch und als ich den ersten Schritt wage, öffnet sich eine Furt und mit den Ahnungslosen komme ich vollkommen unangefochten durch das Haus 71 auf den weitern Weg, der noch zwei weitere böse Durchgänge bringt. Jetzt sind wir auf einer Hochebene, es ist Nacht und ein unsagbar schö- ner Sternenhimmel steht über uns. Da fordert man von mir, dass ich niederknie und bete, dass die Sterne vom Himmel fallen, so würden sie sehend und nach Hause kommen. Mein Sträuben und Beteuern, dass ich das nicht vermag, nützt nichts, man zerrt mich auf die Knie, ich bete, mit halbem Herzen erst und voller Zweifel, dann alles vergessend, und die Sterne schweben in leuchtenden Ketten herab. Nie sah und er- lebte ich Schöneres. Hastig wurden sie aufgegriffen. Der leere Himmel zerriss wie ein mürbes schwarzes Tuch und die Sonne stürzte sich mit allen Farben über uns und zeigte ein Land, so beglückend und lieblich, dass die Menschen jubelnd die Arme hochwarfen und hüpfend und springend in das Tal hinabeilten. Ich blieb im tiefen Glück allein zu- rück.“ 72 DER JUNGE MIT FERNROHR ODER WANDERUNG DURCH DIE JUSTIZ- LANDSCHAFT

Grußwort des Rechtsanwalts Harald Egge anlässlich der Einweihungsfeier des neuen Landgerichtsgebäudes am 17.11.2004 im vormaligen Gebäude der Post1

Nach den treffenden und kurzweiligen Ausführungen meiner Vorredner will es mir richtig erscheinen, für den Anwalt- und Notarverein im Land- gerichtsbezirk Itzehoe und damit auch im Namen der Recht suchenden Bürgerinnen und Bürger sogleich das mitgebrachte Geschenk zu benen- nen.

Mitgebracht habe ich den Jungen mit Fernrohr, im Original zu besichti- gen in Bremen-Vegesack.

Ein neugieriger, aufgeweckter, fröhlich und interessiert blickender Jun- ge. In diesen Minuten sieht er besonders entspannt und glücklich aus. Er betrachtet mit Freude das neue Landgerichtsgebäude und alle Teil- nehmer der heutigen Veranstaltung.

Ein Schelm, wer meint, dies könne darauf zurückzuführen sein, dass er bislang noch keine Erfahrungen – nicht als Partei und nicht als Zeuge – mit der Justiz machte/machen musste.

Wie dem auch sei, auf jeden Fall ist der Junge mit Fernrohr ein scharfer Beobachter mit Wünschen/Mahnungen.

Mit gemischten Gefühlen durchwandert der Junge die Justizlandschaft. Er sieht Reparaturstau und viele Baustellen. Kleine Baustellen, aber auch Mega-Baustellen wie die Baustelle: Zusammenlegung der Fachge- richte.

Keine Baustelle ist so richtig fertig. An einigen werden – auch nach Auf- fassung des Jungen – vorzeitig Änderungsarbeiten durchgeführt, an an- deren notwendige Gewährleistungsarbeiten.

In seinen Erwartungen enttäuscht wurde der Junge, als er auf seiner

1 Herr Egge überreichte dem Präsidenten des Landgerichts zur Einweihung des neuen Landgerichtsgebäudes die Figur Junge mit Fernrohr. Diese hat ihren Platz im Arbeitszimmer des Präsidenten gefunden. 73 Wanderung durch die Justizlandschaft die Baustelle: Personalbedarfsbe- rechnungssystem, abgekürzt Pebb§y, ansteuerte. Eine wichtige Baustel- le, aber keine um dort – wie er gehofft hatte – seinen Durst löschen zu können.

Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrte Frau Görres-Ohde, sehr geehrter Herr Dr. Flor,

Sie können den Jungen mit Fernrohr als Lotsen, als Frühwarnsystem, einsetzen. Er warnt

- vor der Gesetzesflut, gleich ob aus Berlin oder Brüssel kommend,

- davor, sich die Post auf allen Gebieten als Vorbild zu nehmen und gleichfalls das Leistungsangebot einzuschränken,

- energisch davor, die zweite Tatsacheninstanz in Zivilsachen abzu- schaffen. Er hat davon gehört – wahrscheinlich von seinen Eltern – dass mitunter nicht nur Anwälte sondern auch Richterinnen und Richter einen Sachverhalt nicht in den Griff bekommen und dass es dann beruhigend ist, wenn es eine zweite Instanz gibt.

Nur zwei Tatsacheninstanzen erlauben es der Anwaltschaft – und auch nur in Grenzen – in erster Instanz nicht alles ausufernd – hirsebreiartig – vortragen zu müssen, sondern den Sachverhalt zu filtern.

Bei Abschaffung der zweiten Tatsacheninstanz könnte ein ganz norma- ler bürgerlicher Rechtsstreit in ein „Hauen und Stechen" übergehen. Ei- nige mögen es dann „Event“ nennen und von daher unterhaltend fin- den. Der Sache dient es eher nicht.

Es muss eine Kontrollinstanz geben, auch die Möglichkeit, den Sachver- halt in tatsächlicher Hinsicht nachzujustieren und neue Schwerpunkte zu bilden.

Aus gutem Grund gibt es auch im Gesetzgebungsverfahren verschiede- ne Stufen: Referentenentwürfe, Ministerentwürfe und dann noch drei Lesungen.

Der Junge mit Fernrohr ermutigt alle Anwesenden, für die Beibehaltung der zweiten Tatsacheninstanz in Zivilsachen zu kämpfen.

Er wird zu einer Podiumsdiskussion mit diesem Thema einladen. Auf 74 dem Podium hofft er auf jeden Fall zu sehen Sie, Frau Ministerin Lütkes, und Sie, Herrn Präsidenten Dose. Als Moderatorin wählt er in diesem Augenblick aus, Sie, Frau Präsidentin Görres-Ohde.

Zurück zum Ort der heutigen Veranstaltung.

Mit leuchtenden Augen fällt der Blick des Jungen auf die Namen der an das Landgerichtsgebäude angrenzenden Plätze und Straßen.

Er meint nicht die Viktoriastraße, sondern

- den Theodor-Heuss-Platz, - die Kurt-Schumacher-Allee, - die Adenauerallee und,

Frau Ministerin Lütkes, Sie werden es nicht glauben:

- die Fischerstraße.

Die Personen, nach denen der Platz und die Straßen benannt wurden bzw. dessen Name sich in der Fischerstraße wiederfindet, stehen für Ei- genschaften, die bei einer Verhandlungsführung und bei der Urteilsfin- dung kein Nachteil zu sein brauchen.

Theodor Heuss steht für liberales Bürgertum, für Ausgleich. Vielleicht der geborene Mediator; aber schlau genug, um zu wissen, dass nicht alle Rechtsstreitigkeiten für ein Mediationsverfahren geeignet und nicht alle Beteiligten von Rechtsstreitigkeiten einem Mediationsverfahren zu- geneigt sind. Theodor Heuss würde auch die Gefahr sehen, dass es sich bei der Mediation um ein Trojanisches Pferd handeln könnte: nämlich um ein wunderbar verpacktes Sparprogramm der Justiz.

Kurt Schumacher steht für Leidenschaft und Kampfgeist; gute Eigen- schaften eines Strafverteidigers.

Konrad Adenauer steht für Nachhaltigkeit, für klare Sprache, für holz- schnittartige Vereinfachung, auch für die Kunst, Dinge schlicht auszu- blenden. Eine Eigenschaft – so will mir scheinen – die sowohl bei der Richterschaft als auch bei der Anwaltschaft anzutreffen ist und in Urtei- len, Schriftsätzen immer mal wieder durchschimmert.

Joschka Fischer steht für die Fähigkeit, Menschen zu begeistern und mitzunehmen, auch für Lernfähigkeit. Sein Lebensweg ist geradezu ein Plädoyer für die Beibehaltung einer zweiten Tatsacheninstanz in Zivilsa- 75 chen.

Genug mit den Betrachtungen/Wünschen des Jungen mit Fernrohr.

Wenn Sie, Richterinnen und Richter, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landgerichts Itzehoe, die wichtigsten Mahnungen und Wünsche des Jungen beachten und erfüllen, und dann noch - entsprechend dem Cha- rakter des neuen Landgerichtsgebäudes - die Verhandlungen und Ur- teilsgründe transparent gestalten/formulieren und darüber hinaus das Foyer des Gebäudes für öffentliche Veranstaltungen - gern auch für ge- meinsame mit der Anwaltschaft - nutzen, wird der Junge mit Fernrohr sich bei Ihnen wohlfühlen und weiterhin fröhlich und interessiert bli- cken, weil er eine leistungsfähige, zukunftsorientierte und bürger- freundliche Justiz kennenlernte.

Behandeln Sie ihn gut, den Jungen mit Fernrohr.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. 76 AM RANDE BEMERKT

WOLFGANG ZEPTER UND PETER MÜLLER-RAKOW

In den Schleswig-Holsteinischen Anzeigen zum 50. Geburtstag des Landgerichts und der Staatsanwaltschaft Itzehoe befindet sich auch die Rubrik

„Am Rande bemerkt …“ sie soll fortgesetzt werden:

Mammutprozesse

Die zeitlich längsten Strafprozesse haben vor der legendären 1. Straf- kammer des Landgerichts Itzehoe unter Vorsitz des im Jahre 2009 im Alter von 80 Jahren verstorbenen Vorsitzenden Richters am Landgericht Manfred Selbmann stattgefunden. Kurz nach dem 50. Geburtstag des Landgerichts, am 4. Mai 1987, verurteilte die Strafkammer zwei Männer aus Hamburg und Rantrum wegen schwerer räuberischer Erpressung jeweils zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren und 6 Monaten. Die Haupt- verhandlung hatte am 8. Oktober 1985 begonnen, sie fand an 72 Ver- handlungstagen statt.

Länger noch, 91 Verhandlungstage, in der Zeit vom 17. Oktober 1988 bis zum 26. April 1990, dauerte der in der Itzehoer Öffentlichkeit von Anfang bis Ende - auch wegen seines Bezugs zum Rotlichtmilieu - viel beachtete Prozess gegen eine junge Frau und zwei Männer, die wegen gemeinschaftlichen Mordes bzw. Anstiftung dazu zum Nachteil eines Hilfsküsters aus zu 10 Jahren Freiheitsstrafe bzw. lebens- langer Freiheitsstrafe verurteilt wurden; die Urteilsgründe schafften es auf 636 Seiten.

„Schneller“ Prozess

Dass auch die Staatsanwaltschaft nicht immer zur Beschleunigung bei- tragen kann, zeigt Folgendes:

Am 21. Oktober 1999 erreichte die Staatsanwaltschaft eine (ausdrück- lich nur an sie gerichtete) Terminsladung zum 11. November 1999, in der Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitgeteilt wurden. Soweit all- täglich, wäre da nicht folgender Zusatz gewesen: 77 „Sollten Sie vor dem Termin die Geldbuße in Höhe von 500 DM nach- weislich gezahlt haben, könnte der Termin aufgehoben werden.“

Da weder der eingeteilte Sitzungsvertreter noch die Behördenleiterin bereit waren, die 500 DM - für den Angeklagten - zu zahlen, hat der Prozess dann doch stattgefunden.

Ausverkauf

Vielleicht hätte sich die Staatsanwaltschaft in vorgenannter Sache groß- zügiger zeigen können, wenn ihr ein Schreiben einer Aktiengesellschaft aus Düsseldorf, spezialisiert auf Unternehmensverkäufe, vom 11. April 2003 früher zugegangen wäre. Das „persönlich und vertraulich“ an den Geschäftsleiter der Staatsanwaltschaft gerichtete Schreiben teilt mit, dass die vorgenannte Gesellschaft aktuell mit einer Firma in Verbindung stehe, die „ein Unternehmen in Ihrem Geschäftsbereich zu übernehmen wünscht“. Warum seitens der Staatsanwaltschaft davon abgesehen worden ist, das Landgericht zu verkaufen, ist in den hiesigen Verwal- tungsvorgängen nicht vermerkt.

Amtsgericht weg

Welche Folgen die Auflösung eines Amtsgerichts haben kann, machen die Gründe eines Kostenfestsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts Elmshorn aus dem Jahre 1993 deutlich, in dem ein vorheriger, davon abweichender Kostenfestsetzungsbeschluss, aufgehoben wird. Dort heißt es:

„Der Klägervertreter ist seit 1977 beim Amtsgericht Uetersen als Rechtsanwalt zugelassen, somit hat sich nicht der Rechtsanwalt mit dem Kanzleisitz vom Gericht entfernt, sondern das Gericht hat sich dem Anwalt durch Auflösung des Amtsgerichts entzogen. Für Fahrten vom ehemaligen Gerichtsort zum neuen Gerichtsort entstehen die Gebühren gemäß § 2 b BRAGO."

Aus dem früheren Leben des Leitenden Oberstaatsanwalts - oder: Staatsanwaltschaft zu langsam?

Im Jubiläumsjahr 1987 fand vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Itzehoe der sogenannte „Zapfhahn-Prozess“ statt, weil sich nach um- fangreichen Ermittlungen herausgestellt hatte, dass der Wirt des Lokals „Zapfhahn“ in Elmshorn im großen Stil Diebesgut umgeschlagen hatte.

Glaubt man der damaligen „Norddeutschen Rundschau“, bescherte der 78 Prozess der Öffentlichkeit eine Gerichtsverhandlung, die an Spannung und Turbulenzen nichts zu wünschen übrig ließ. Unter der Überschrift „Zeuge im Gericht mit Pistole bedroht - Staatsanwalt verfolgte den flüchtenden Täter“ berichtete Werner Brorsen, noch heute als Gerichts- reporter in Itzehoe aktiv, über den Fall. Besser als er es getan hat, kann das Geschehen nicht wiedergegeben werden:

„Was schon bei und kurz nach der Vernehmung des ersten Zeugen im Gerichtsflur geschah, könnte Stoff für einen Krimi abgeben. Mathias P., einer der „Zulieferer“ des Angeklagten, bekannte auf eindringliches Be- fragen durch den Richter, dass er unmittelbar vor seinem Zeugenauf- tritt von einem weiteren Zeugen sowie dem Sohn des Angeklagten be- droht worden sei. Ronald C. und Thomas B. hätten ihm Schläge ange- droht, falls er den Angeklagten belastende Aussagen machen würde. Richter Selbmann sagte dem Zeugen Hilfe der Justiz zu und erinnerte ihn an die Zeugenbelehrung, wonach Verschweigen oder Falschaussage unter schwerer Strafandrohung steht. Mathias P. sagte aus und wurde nach seiner Vernehmung prompt von Thomas B. und Ronald C. auf dem Gerichtsflur in die Zange genommen, wobei Thomas B. ihn außerdem mit einer Feuerwaffe bedrohte.

Nun gab es für Staatsanwalt Zepter kein Halten mehr. Die Polizei wurde angefordert und Ronald C. noch im Gerichtsflur festgenommen und ab- geführt. Thomas B. hatte schneller geschaltet. Kaum, dass er den Staatsanwalt aus dem Gerichtssaal stürzen sah, ergriff er die Flucht, riss sich im Treppenhaus los, als der Staatsanwalt versuchte, ihn fest- zuhalten, und lief auf die Straße. Staatsanwalt Zepter rannte hinterher, musste aber nach hundert Metern die buchstäbliche Verfolgung eines Straftäters durch die Anklagebehörde aufgeben, weil ihn seine lange schwarze Robe hinderte, seine sportlichen Fähigkeiten voll auszunut- zen.

Um 11:42 Uhr war die Flucht aus dem Landgericht dennoch zu Ende. Denn Thomas B. hatte den nächsten Zug nach Elmshorn genommen und wurde hier auf dem Bahnhof von Beamten der Elmshorner Kripo in Empfang genommen. Im Laufe des Tages wurden die beiden jungen Leute zur Zeugenvernehmung vorgeführt, und heute entscheidet der Haftrichter, ob sie in Haft bleiben. Durch das sinnlose Delikt der Zeu- genbedrohung und -nötigung riskiert Thomas B. nun auch noch die Aussetzung der Bewährung einer elfmonatigen Jugendstrafe.

Nach dieser dramatischen „Einlage“ geriet auch die Ehefrau des Ange- klagten, die den Prozess als Zuhörerin verfolgte, in Verdacht, in irgend- einer Weise an dem Komplott gegen den Zeugen beteiligt zu sein. Sie 79 wurde durchsucht, und als in ihrem Porsche zwischen Frühstücksbroten ein mit Munition gefülltes Magazin gefunden wurde, erfolgte eine vor- läufige Festnahme, die allerdings gegen Abend aufgehoben wurde.“

Dass der Angeklagte wegen Hehlerei in 13 Fällen und Körperverletzung in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten ver- urteilt wurde, soll nicht unerwähnt bleiben.

„Spots“ aus dem Gerichtssaal

- Berichterstattung im Pinneberger Tageblatt von Klaus-Werner Oksas (wer ihn noch kennt):

„Ganz in blau stöckelte gestern, pünktlich um 13:00 Uhr, die knackige Carmen (28) in den Saal 1 des Pinneberger Amtsgerichts. Bei so viel holder Weiblichkeit rieb sich selbst der Staatsanwalt die Augen - und ließ sich milde stimmen.“

Die Einstellung des Verfahrens wegen Verletzung der Unterhalspflicht - Carmen hatte für ihren Sohn keinen Unterhalt geleistet, obwohl sie dem ältesten Gewerbe der Welt nachgegangen sein soll - gemäß § 153 a StPO hatte allein sachliche Gründe und beruhte nicht - wie das Pinne- berger Tageblatt behauptete - darauf, dass die Angeklagte erwartungs- voll mit den Wimpern in Richtung Staatsanwalt klimperte, als es um dessen Zustimmung ging.

- Angeklagt vor dem Schwurgericht unter Vorsitz des ehemaligen Land- gerichtspräsidenten Kurt Gerhard war im Jahre 1989 Bärbel T., der vorgeworfen wurde, ihrem zeitweiligen Lebensgefährten mehrere Hiebe mit einem Beil auf den Kopf versetzt zu haben. Bärbel T. war noch im- mer nicht gut auf das Opfer zu sprechen. Als ihr die - aus dem Haushalt des Opfers stammende und stark verrostete - Tatwaffe vorgelegt wur- de, äußerte sie: „Ungepflegt wie alles bei Herrn W“.

- Im Jahre 1990 verhandelte die 1. Strafkammer unter Vorsitz des Vor- sitzenden Richters am Landgericht Selbmann ein Sexualdelikt zum Nachteil der 69 Jahre alten Hertha O. - genannt „Kippen-Elly“ -, die als Putzfrau unter anderem regelmäßig die Bahnhofstoiletten in Pinneberg säuberte. Als der Vorsitzende der Strafkammer sich anhand von Fotos zum wiederholten Male den Tatort - Herrentoilette - beschreiben ließ, bemerkte „Kippen-Elly“: „Herr Richter, Sie tun, als ob Sie noch nie auf einer Herrentoilette waren“. 80 DER „BROKDORF-PROZESS“

FRIEDRICH-GERHARD WIEDUWILT

In den frühen achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts standen zahl- reiche Strafverfahren im Blickpunkt des - auch überregionalen - öffent- lichen Interesses, die im Zusammenhang mit einer Großdemonstration (mit nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 40.000 und 100.000 Teilnehmern) gegen den Bau des Kernkraftwerks Brokdorf in der Wils- termarsch am 28. Februar 1981 standen. Von den Verfahren - nicht nur beim Landgericht sondern auch beim Amtsgericht Itzehoe, in dem ei- gens zu diesem Zweck sogar ein besonders gesicherter Sitzungssaal eingerichtet wurde - fanden viele in einer heute kaum noch vorstellbar aufgeheizten, ja feindseligen Atmosphäre statt. Am deutlichsten offen- barte sich dies im Ablauf einer Hauptverhandlung, die als der Brokdorf- Prozess in die Justizgeschichte eingegangen ist und vom 1. Oktober 1981 bis zum 13. Mai 1982 an insgesamt 55 Verhandlungstagen vor ei- ner Jugendkammer des Landgerichts stattfand.

Angeklagt waren der damals zwanzigjährige Abiturient Markus M. und der sechsunddreißig Jahre alte Arbeiter Michael D., denen gemein- schaftlicher besonders schwerer Landfriedensbruch in Tateinheit mit ge- fährlicher Körperverletzung zum Nachteil eines saarländischen Polizei- beamten vorgeworfen wurde.

Seine besondere Brisanz hatte das Verfahren deshalb erlangt, weil es, ausgelöst durch ein in der Illustrierten „Stern“ veröffentlichtes Foto, an- fangs unter dem Vorwurf des versuchten Mordes geführt wurde - eine Bewertung, die allerdings schon bei Anklageerhebung nicht mehr auf- recht erhalten wurde. Das geradezu legendär gewordene Foto zeigte ei- nen Polizeibeamten in Einsatzausrüstung, der, nachdem er in einen Wassergraben gerutscht war, vom Rand des Grabens aus von zwei De- monstranten mit einem Knüppel und einer Schaufel attackiert wurde. Diese beiden Demonstranten wurden im Laufe der Ermittlungen als Markus M. und Michael D. identifiziert.

Natürlich war die Anti-Kernkraft-Szene von Anfang an äußerst aufge- bracht darüber, dass zwei ihrer Aktivisten mit dem Vorwurf des ver- suchten Mordes in zuvor nie dagewesenem Maße „kriminalisiert“ wur- den. Und auch wenn Anklage dann nur noch wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung erhoben wurde, hielt diese Stimmung bis zum Ende des Prozesses an, zumal der Angeklagte Michael D. sich seit An- fang April in Untersuchungshaft befand. 81 Als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft habe ich damals in persön- lichen Notizen einen Teil der Geschehnisse vermerkt, die einen Eindruck von der aufgeheizten „Stimmung“ in der Hauptverhandlung und deren zeitweise chaotischem Ablauf vermitteln und die ich hier - auszugsweise und in stark gekürzter Form - wiedergebe.

1. Verhandlungstag

Die Verteidiger der Angeklagten beantragen zunächst, wegen des gro- ßen Zuhörerinteresses in einen größeren Saal umzuziehen, hilfsweise weitere Stuhlreihen aufzustellen, nachfolgend die Zulassung sogenann- ter Prozessbeobachter.Sodann beantragen sie, das Verfahren gemäß § 260 StPO in Verbindung mit Artikel 6 der Menschenrechtskonvention einzustellen, weil ein faires Verfahren unmöglich sei.

Es kommt zu Störungen durch die Zuhörer in Form von Beifalls- und Missfallenskundgebungen. Auch auf Transparenten bekunden Zuhörer ihre Solidarität mit den Angeklagten.

2. Verhandlungstag

Nach erheblichen Störungen aus dem Zuhörerraum kommt es auf An- ordnung des Kammervorsitzenden zu einer Saalräumung durch Polizei- kräfte. Zuhörer zertrümmern im Eingangsbereich des Landgerichtsge- bäudes drei Verbundglasscheiben.

Die Verteidiger beantragen erneut die „erweiterte Zulassung der Öffent- lichkeit“. Im weiteren Verlauf lehnen sie die Berufsrichter der Jugend- kammer wegen Befangenheit ab, weil das Gericht zur Unterstützung der Protokollierung eine Tonaufzeichnung des Verhandlungsgeschehens angeordnet hat.

3. Verhandlungstag

Bei Verlesung der Anklageschrift kommt es erneut zu lautstarken Stö- rungen aus dem Zuhörerraum („Hey, was ist hier los? Angeklagt ist die Atomindustrie und jetzt kommen sie mit dem alten Scheiß!“). Offenbar um einer befürchteten Saalräumung zuvor zu kommen, verlassen die Zuhörer nahezu geschlossen den Saal.

Bei Fortsetzung der Anklageverlesung erklärt der Angeklagte D., dass er die Anklage nicht weiter anhören wolle und erzwingt durch Störungen seine Entfernung aus dem Saal (§ 177 GVG). 82 4. Verhandlungstag

Unbekannte beschmieren die Toiletten vor dem Sitzungssaal und den Nachtbriefkasten vor dem Gerichtsgebäude mit Parolen wie z. B. „Frei- heit für Michael“.

5. Verhandlungstag

Von Zuhörern werden Stinkbomben geworfen, was für die Dauer der Vernehmung des Zeugen und Nebenklägers Rolf S. zum Ausschluss der Öffentlichkeit (mit Ausnahme der Pressevertreter) führt.

6. Verhandlungstag

Bereits seit Beginn der Hauptverhandlung kursieren unter den Sympa- thisanten der Angeklagten Flugschriften (sog. Prozessinfos), von denen eine zur Untermauerung die Öffentlichkeit betreffender Gerichtsent- scheidungen auszugsweise verlesen wird. Darin heißt es u. a.: „Wir Zu- schauer … wozu sind wir da? Immer wieder aktiv in den Prozess einzu- greifen, je zielgerichteter und tatkräftiger, desto besser. Um den ge- planten Prozessverlauf zu verhindern, um das Gericht lächerlich zu ma- chen. … Wo Wut ist über die Sauereien des Gerichts, da muß sie raus.“

7. Verhandlungstag

Obwohl die Vernehmung des Zeugen S. noch andauert, beantragen die Verteidiger zum wiederholten Male, die Öffentlichkeit wieder herzustel- len. Der Angeklagte M. erklärt, die Öffentlichkeit sei insbesondere „aus Anlass des fünften Jahrestages der Bauplatzbesetzung in Brokdorf“ wie- der herzustellen. Er verlässt nachfolgend eigenmächtig den Saal. Es er- geht gegen ihn Haftbefehl wegen Fluchtgefahr, der allerdings noch am selben Tag außer Vollzug gesetzt wird.

8. Verhandlungstag

Die Verteidiger beantragen, einen für den folgenden Tag geladenen Sachverständigen abzuladen, da sie insoweit nicht vorbereitet seien. Derartige Anträge wiederholen sie in der Folgezeit mehrfach auch bei geladenen Zeugen.

Der Angeklagte D. nimmt während der Verhandlung demonstrativ sein mitgebrachtes Mittagessen ein. 83 9. Verhandlungstag

Als eine dem Kreis der Atomgegner zuzurechnende Zeugin nach ihrer Vernehmung den Saal verlässt, wird sie von den anwesenden Zuhörern stehend mit Beifall geehrt.

13. Verhandlungstag

Zuhörer lassen eine weiße Maus im Sitzungssaal laufen. Die Verfahrens- beteiligten ignorieren es. Der Angeklagte D. randaliert, Zuhörer gelan- gen in den vorderen Teil des Sitzungssaales, es kommt zum Polizeiein- satz.

15. Verhandlungstag

Aus dem Zuhörerbereich werden die Richter und der Staatsanwalt mit zahlreichen Farbeiern beworfen. Es folgt eine Räumung unter Polizeiein- satz. Die Öffentlichkeit wird für die Dauer der Beweisaufnahme ausge- schlossen. Der Angeklagte D. erzwingt erneut durch Störungen seine Entfernung aus dem Saal.

22. Verhandlungstag

In einer gemeinsamen Erklärung verweigern zwei Zeugen jegliche Aus- sagen zur Demonstration am 28. Februar, weil sie Schadensersatzforde- rungen wegen ihrer Teilnahme befürchten.

24. Verhandlungstag

Mit Rücksicht auf einen Hinweis des mit einer Verfassungsbeschwerde zweier Zeitungsverlage befassten Berichterstatters des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts werden ab sofort auch solche Presse- vertreter als Zuhörer zugelassen, die nicht über einen offiziellen Presse- ausweis verfügen. Dies hat zur Folge, dass sich an den folgenden Ver- handlungstagen der Saal mit angeblichen „Pressevertretern“ diverser obskurer Publikationsorgane („Atommüll-Zeitung“ u. ä.) füllt, die mit den Angeklagten sympathisieren.

32. Verhandlungstag

Bei der Vernehmung eines Polizeibeamten werden von den Verteidigern wiederholt Fragen gestellt, die ersichtlich nicht von der vorliegenden Aussagegenehmigung gedeckt sind. Die Verteidiger bestehen jedoch darauf, sukzessive wegen jeder einzelnen dieser Fragen eine Entschei- 84 dung des Dienstvorgesetzten einzuholen, was zu erheblichen Verzöge- rungen führt.

40. Verhandlungstag

Nach wie vor werden von Sympathisanten der Angeklagten „Prozessin- fos“ in Form von Flugschriften verteilt, in denen die Verfasser mehr oder weniger offen dazu aufrufen, die Hauptverhandlung zu stören.

46. Verhandlungstag

Nach vorangegangenen Kontroversen über die Terminsplanung erschei- nen alle vier Verteidiger eigenmächtig nicht zur Verhandlung. Es ergibt sich die Problematik, dass eine Auferlegung der Kosten nur im Falle ei- ner Aussetzung der Hauptverhandlung möglich wäre. Der Prozess wäre dann „geplatzt“.

48. Verhandlungstag

In der vorangegangenen Nacht haben Unbekannte eine Flasche mit Buttersäure in das Haus eines psychiatrischen Sachverständigen gewor- fen, der an diesem Tag ein Gutachten erstatten soll.

Der Angeklagte M. wirft dem Gericht „Psychiatrisierung von Atomkraft- gegnern“ vor und kündigt an, das Gutachten „nicht ohne weiteres hin- zunehmen“.

50. Verhandlungstag

Der Angeklagte M. stellt einen 21 Seiten umfassenden Beweisantrag mit der Behauptung, „dass es nicht gelungen ist, den Bau des AKW Brokdorf durch den Einsatz von legalen Mitteln zu verhindern und sich aus dieser Tatsache heraus … ein Widerstandsrecht zur Verhinderung des Atommeilers Brokdorf ergibt.“

52. Verhandlungstag

Die Verteidiger stellen diverse Beweisanträge zum Ablauf der Demonst- ration, in denen sie als Zeugen den Leiter des Landesamtes für Verfas- sungsschutz, den Ministerpräsidenten des Landes Schleswig-Holstein, sogenannte Demonstrationsbeobachter und den Leitenden Oberstaats- anwalt in Itzehoe benennen. 85 53. Verhandlungstag

Bei Beginn des Plädoyers des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft kommt es zu lautstarken Zwischenrufen von zahlreichen Zuhörern. Als zwei Zuhörer aus dem Saal entfernt werden, kommt es zu Auseinander- setzungen mit Justizwachtmeistern, die eine Räumung des gesamten Zuhörerbereichs erforderlich machen. Dabei wird ein offenbar mit Schwefelwasserstoff gefülltes Glasröhrchen geworfen.

Nach Wiedereinlass der Zuhörer werden erneut Sprechchöre laut, und es wird eine weitere „Stinkbombe“ geworfen. Es ergeht ein Beschluss, die Öffentlichkeit bis zur Urteilsverkündung auszuschließen, dem sich eine Saalräumung unter Polizeieinsatz anschließt.

54. Verhandlungstag

Alle vier anwesenden Verteidiger geben eine Erklärung ab, in der sie es ablehnen, Plädoyers zu halten, weil ihr Selbstverständnis als Verteidiger es verbiete, „für eine ausschließlich vom politischen Ziel bestimmte Jus- tiz den Legitimationsrahmen im Schlussplädoyer abzugeben.“

55. Verhandlungstag

Das letzte Wort des Angeklagten D. besteht aus einem Schwall diverser Beleidigungen gegen das Gericht.

Bei Verkündung des Urteilstenors dringt die Stimme des Kammervorsit- zenden trotz auf volle Leistung eingestellter Verstärkeranlage nur knapp gegen den von Zuhörern verursachten Lärm durch. Von Zuhörern wer- den mit Wasser gefüllte Plastikbeutel auf das Gericht geworfen.

Noch während der Verkündung des Urteilstenors beantragt der Ange- klagte M. seinen Ausschluss von der weiteren Verhandlung. Nach Ableh- nung dieses Antrags steigt er auf den Verteidigertisch und wandert von dort aus über den Richtertisch.

Nach Beendigung der Verlesung des Urteilstenors wird bei anhaltend massiven Störungen von Seiten der Zuhörer der Saal unter Polizeiein- satz geräumt. Auch die Angeklagten erzwingen erneut ihren Aus- schluss.

Anzumerken bleibt noch, dass die Angeklagten wegen gemeinschaftli- chen Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurden, der Angeklagte Mi- 86 chael D. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten, der Angeklagte Markus M. zu einer Jugendstrafe von drei Jahren.

Auf die Revisionen der Angeklagten ist das Urteil später im Rechtsfol- genausspruch aufgehoben und der Angeklagte D. zu einer Freiheitsstra- fe von zwei Jahren und vier Monaten, der Angeklagte M. zu einer Ju- gendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. 87 JUSTIZ UND KULTUR IM LANDGERICHTSBEZIRK ITZEHOE E.V.

Zwischenbilanz nach sieben Jahren

DIETMAR WULLWEBER

Früher sind die Gerichte mit der Kultur nur dann in Berüh- rung gekommen, wenn ihnen entsprechende streitige Sach- verhalte zur Entscheidung vor- gelegt wurden. Das war der Fall, falls es beispielsweise um Plagiatsvorwürfe, die notwen- dige Abgrenzung der Kunst zu anstößigen Darstellungen oder schlicht um den richtigen Ge- nuss ging: Die Gerichte waren immer dann, aber auch nur dann gefragt, wenn die Betei- ligten sich nicht einigen konn- ten. Dabei sind in die korrekte Form gerichtlicher Entschei- dungen gekleidet zuweilen neue Kunstwerke hervorgegan- gen, etwa das berühmte Phari- säer-Urteil des Kollegen Jacob- sen aus Flensburg, in dem die notwendige Menge Rums in dem in Schleswig-Holstein bekannten und beliebten Heißgetränk verbraucher- freundlich und zugleich literarisch ansprechend festgelegt wurde (DRiZ 1982, 151 f). Diese Befassung mit der Kunst bleibt eher dem Einzelfall überlassen, eröffnet damit kaum Gestaltungsmöglichkeiten der Kunstin- teressierten in den Gerichten, führt nicht zu einer verstärkten Wahrneh- mung der Gerichte als „Serviceeinrichtungen“ für den Bürger in der Öf- fentlichkeit und lässt Bürger und Gerichte nicht näher zusammenrü- cken. Was lag näher als zu versuchen, Gerichte auch zu einem Ort der Kunst zu machen, um damit neue Foren für die Präsentation von Kunst zu gewinnen.

Einen ersten aktiven und erfolgreichen Versuch unternahm die frühere Präsidentin des Landgerichts Itzehoe Konstanze Görres-Ohde mit dem Verein Kultur und Justiz in den Räumlichkeiten des alten Landgerichts an der Breitenburger Straße. Frau Görres-Ohde konnte auf ihre vielfälti- 88 gen Kontakte zur Kultur zurückgreifen und sie für das Landgericht fruchtbar machen. Berühmte Autoren wie Günter Grass trugen zum Er- folg des Projekts bei. Leider schliefen die Aktivitäten mit dem Weggang der Präsidentin wieder ein.

Neuen Schwung gewann die Kunstidee erst nach dem Umzug des Land- gerichts in die ehemaligen Räumlichkeiten der Post im Herbst 2004. Hier stand eine großzügige lichtdurchflutete Eingangshalle (die ehemali- ge Schalterhalle) ebenso zur Verfügung wie ein geräumiger Bereich vor den Zivilsitzungssälen im Erdgeschoss. Die weißen Wände wirkten ste- ril. Eine Arbeitsgruppe nahm sich erstmalig am 11. Februar 2005 des Problems an. Eine Verschönerung des Gerichts stand ebenso wie die Durchführung von Lesungen und Musikveranstaltungen auf dem Pro- gramm. Itzehoer Vereine sollten interessiert, die Itzehoer Buchhand- lung Gerbers für eine Mitwirkung an Lesungen gewonnen werden. Weil sich viele im Gericht der Idee widmeten, zeigte sie schnell konkrete Umrisse. Björn Gerbers war sofort bereit, die frühere Lesungsreihe aus dem alten Landgericht in den neuen Räumlichkeiten wieder aufleben zu lassen, Autoren anzuwerben und die Veranstaltungen zu bewerben. Björn Gerbers erwies sich bis heute als engagierter und verlässlicher Partner, der überdies dem Verein das wirtschaftliche Risiko der Lesun- gen abnahm.

Die „Kulturbegeisterten“ wollten Nägel mit Köpfen machen, gründeten am 8. April 2005 den Verein „Justiz und Kultur im Landgerichtsbezirk It- zehoe“, der am 6. Mai 2005 in das Vereinsregister des Amtsgerichts It- zehoe unter Nummer VR 0858 IZ eingetragen wurde. Die Aufgaben der Vorsitzenden übernahm Vizepräsidentin Barbara Krix, die den Verein mit viel Geschick und Engagement bis zu ihrer Pensionierung Ende 2007 führte. Dem Verein wurde durch das zuständige Finanzamt die Gemeinnützigkeit verliehen. So ist die notwendige strikte Trennung zwi- schen den originären Aufgaben der Rechtsprechung und den Aktivitäten des Vereins in den Räumlichkeiten des Landgerichts herbeigeführt wor- den.

Nicht alle Ideen der ersten Stunde hat der Verein durchhalten können. So sollte aus jeder Ausstellung ein Werk des Künstlers erworben wer- den und die Räumlichkeiten des Landgerichts auf Dauer bereichern. Das von Jürgen Wilms, freischaffender Maler und Bildhauer aus Dithmar- schen, vom Verein aus der ersten Ausstellung käuflich erworbene Ölge- mälde hat bis heute einen dauerhaften Platz im Zivilsitzungssaal 2 ge- funden. Da die Kleinstadt Itzehoe kein Hort vermögender Kunstinteres- sierter ist, die den neu gegründeten Verein finanziell großzügig ausstat- ten wollten und der Verein bisher auch keinerlei Erbschaft antreten 89 konnte, musste die gute Idee so schnell wieder begraben werden, wie sie geboren wurde: Weitere Kunstwerke wurden nicht käuflich erwor- ben. Gleichwohl durfte der Verein die Arbeiten einzelner Künstler auch über das jeweilige Ausstellungsende hinaus in den Räumen des Landge- richts zeigen. So gab bzw. gibt es über längere Zeiträume Dauerleihga- ben der Maler Mojkin Prigge und Volker Teichgräber und des Fotografen Jochen Desler. Michael Hargens-Wegel schenkte dem Verein ein Werk.

In den sieben Jahren seines Bestehens führte der Verein 31 Ausstellun- gen und 24 Lesungen, also insgesamt 55 Veranstaltungen durch. Die beiden aktuellen Ausstellungen von Tim Feicke und Sylvia Meggers wer- den noch bis Anfang August 2012 in den Räumlichkeiten des Landge- richts zu sehen sein. Viele Künstler haben sich mit dem Verein und sei- nen „Akteuren“ fast angefreundet und deshalb anlässlich einer zweiten Veranstaltung ihre Bildwerke gezeigt oder aus ihren Büchern gelesen. Die Bandbreite der Veranstaltungen und der gezeigten Kunst ist beacht- lich. Zwar stand das Ziel im Vordergrund, einheimischen noch nicht so bekannten Künstlern ein Forum zur Präsentation zu bieten, aber auch weithin bekannte Akteure haben den Weg in die Provinz nicht gescheut.

Die Fülle des Programms macht die Mitglieder des Vereins schon ein wenig stolz. So haben hier so bekannte Autoren wie Uli Wickert, Hell- muth Karasek, Arno Surminski oder Henning Scherf aus ihren Werken gelesen. Arved Fuchs führte in die Fotoausstellung seines Expeditionsfo- tografen Torsten Heller ein. Einheimische Autoren wie Heinz Jürgen Schneider, Werner Brorsen oder Siegfried Lindhorst stellten ihre Krimi- nalromane vor. Das Programm war gespannt von Fußball (Axel Form- eseyn über den HSV) über goldene Führungsregeln (Konstanze Görres- Ohde), einer Dokumentation über die Fürsorgeerziehung in den fünfzi- ger und sechziger Jahre bis hin zu einer Podiumsdiskussion über das Richterbild des Grundgesetzes, hervorgegangen durch eine Arbeit unse- res pensionierten Kollegen Dr. Godau-Schüttke, unter Beteiligung des früheren BGH-Präsidenten Prof. Dr. Günter Hirsch.

Mitglieder des Künstlerbundes Steinburg sowie der beiden in Itzehoe ansässigen Fotovereine Lichtbildfreunde und „photo creativ“ zeigten ihre Werke. Darüber hinaus gab es eine Vielzahl weiterer höchst inte- ressanter Veranstaltungen, die an dieser Stelle keine ausdrückliche Er- wähnung finden, damit der Rahmen dieser kurzen Vereinsgeschichte nicht gesprengt wird. Das mögen die betroffenen Künstler nachsehen. Wer sich ein vollständiges Bild über die Aktivitäten des Vereins ver- schaffen möchte, ist dazu herzlich eingeladen: Im ersten Stock hängen die von den Künstlern signierten Plakate zu allen vom Verein durchge- führten Veranstaltungen. Der Betrachter gewinnt durch sie einen 90 vollständigen Überblick über die Aktivitäten des Vereins. Ergänzende Informationen sind auch über die Internet-Seite des Landgerichts abzu- rufen, die einen Link zu „Justiz und Kultur“ enthält.

Zum Glück ist derzeit auch nicht erkennbar, dass der Verein alsbald sei- ne Veranstaltungstätigkeit einstellen müsste. Seine Mitglieder haben ihre anfängliche Kunstbegeisterung nicht eingebüßt. Die Vorstandsmit- glieder teilen sich die Arbeit. Dr. Bernhard Flor zeichnet als stellvertre- tender Vorsitzender für die Lesungen verantwortlich. Julia Gärtner nimmt die Aufgaben der Pressesprecherin wahr. Halina Lindemann ist Schriftführerin. Peter Anhut ist Kassenwart, achtet streng auf ausgegli- chene Finanzen und sorgt zudem für die bildliche Dokumentation. Anne-Christin Jabbusch füllt die Aufgaben einer Veranstaltungsbeauf- tragten aus. Der Autor dieser Zeilen ist seit 2008 Vorsitzender und or- ganisiert die Kunstausstellungen. Die Vereinsmitglieder unterstützen die Aktivitäten. Sie setzen sich außer aus Justizangehörigen auch aus An- wälten, Repräsentanten der Stadt Itzehoe und aus der Kunst zuge- wandten Bürgern zusammen. Eine Vielzahl von Besuchern hält dem Verein und seinen Veranstaltungen die Treue. Die Räumlichkeiten des Landgerichts genießen unverändert eine so hohe Beliebtheit, dass Aus- stellungswünsche von Künstlern erst nach einem Vorlauf von etwa zwei Jahren erfüllt werden können. Insgesamt erscheint das geschilderte Ge- flecht so stabil, dass wir den nächsten Jahren positiv entgegensehen. Dabei wird der Verein auch zukünftig neuen Ideen gegenüber aufge- schlossen sein.

Zu besonderem Dank sind wir der hiesigen Presse, insbesondere den Mitarbeitern der Norddeutschen Rundschau für ihre objektiv-positive Berichterstattung verpflichtet. Nicht vergessen sein sollen auch die „gu- ten Geister“, die anlässlich der Veranstaltungen für den äußeren Ablauf einschließlich des Getränkeverkaufs zuständig sind. Ferner sind unsere Wachtmeister positiv zu erwähnen, die stets für Auf- und Abbau der Veranstaltungen sorgen und die Künstler hilfreich unterstützen.

Durch diese Zeilen mögen sich all diejenigen angesprochen fühlen, die neugierig geworden und an einer Mitwirkung interessiert sind. Aktive Mitglieder sind stets herzlich willkommen. Aber es sind natürlich weiter- hin sämtliche Besucher bei Veranstaltungen des Vereins gern gesehen. Tragen Sie alle zukünftig zum weiteren Erfolg des Vereins bei. 91 DAS GERICHTSJUBILÄUM UND DIE SCHULE

SIGRUN SCHMIDT, GUNDULA FRIEDRICH, SÖNKE NAGEL, KARIN LINDER

Anlässlich des 75-jährigen Geburtstags des Landgerichts und der Staatsanwaltschaft erhielten die Itzehoer Schulen die Aufforderung, sich an der Ausgestaltung der Jubiläumsfeierlichkeiten zu beteiligen, „um so die Bedeutung der Justiz für das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu reflektieren und zu pointieren.“ – so stand es in dem Anschreiben des Präsidenten Herrn Dr. Flor.

Dieser Aufforderung kamen die Auguste Viktoria Schule, das Sophie- Scholl-Gymnasium und die Waldorfschule nach und bereiteten verschie- dene Themen medial auf.

Sophie-Scholl Gymnasium

Das Sophie-Scholl Gymnasium hat sehr gerne das Angebot aufgenom- men, sich aus Anlass des Geburtstages des Landgerichts und der Staatsanwaltschaft in Itzehoe theoretisch wie praktisch mit Fragen der Justiz zu befassen.

Schülerinnen und Schüler einer 10. Klasse haben die Gelegenheit ge- nutzt, sich über Justiz, den Standort der Justizeinrichtungen sowie de- ren Bedeutung zu informieren.

Die Klasse hat in mehreren Arbeitsgruppen vielfältige Aufgabenstellun- gen entwickelt und eine Homepage erstellt. Diese Homepage umfasst Fotogeschichten, einen Kurzfilm, die Dokumentation einer in Itzehoe durchgeführten Bürgerbefragung und die Präsentation einer Hörstation. Besondere Vertiefung erfuhren die Arbeiten dann zunächst durch einen spannenden Besuch des Leitenden Oberstaatsanwalts Zepter in der Schule. Dies wurde nachfolgend mit einem Besuch der Schülerinnen und Schüler im Landgericht fortgesetzt. Dort konnten die Räumlichkei- ten einschließlich der Arrestzellen besichtigt und der Präsident des Landgerichts, der Wachtmeister Rehberg und der Staatsanwalt Müller- Rakow über fast zwei Stunden intensiv mit Fragen gelöchert werden.

Auguste Viktoria Schule

„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ 92 Mit diesen Worten beginnt Franz Kafka seinen Roman „Der Prozeß“, der zum Lektürekanon an den schleswig-holsteinischen Gymnasien zählt. Gericht, Gerechtigkeit, Schuld und Unschuld, das Ausgeliefertsein des Protagonisten an die anonyme nicht fassbare aber allmächtige Justiz – all das führt Schüler und Schülerinnen zu der Frage: „Wie funktioniert die Justiz?

Eingebettet in den Französisch- und Deutschunterricht sowie den WiPo- Unterricht beschäftigte sich die Klasse 12 a des sprachlichen Profils mit dieser Fragestellung, wobei im Verlauf dieses Vorgehens sich themati- sche Schwerpunkte ergaben, die dann medial aufbereitet wurden.

Der Gerichtssaal und seine Ausgestaltung mit der entsprechenden An- ordnung der Rechtsorgane im Raum führten zu der Präsentation, die vi- suell durch Fotos, Texte und ein Video unterstützt werden.

In einem fiktiven Streitgespräch zwischen „Realität“ und „Gerichtsshow“ diskutieren ein „wahrer“ und ein „Fernseh“-Richter miteinander.

Ein computergestütztes Quiz soll das vorher erworbene Wissen der Be- sucher der Präsentation animieren, sich zu überprüfen und anregen, weitere Details über die Justiz in Erfahrung bringen zu wollen.

In einer Fotostrecke wird der Verlauf einer Verhandlung nachgestellt und erläutert.

Die szenische Umsetzung einer Straftat wird in einer Fotostory mit Text- unterstützung präsentiert.

Das Thema „Literatur und Justiz“ wurde explizit am Beispiel von Albert Camus „L`Etranger“ aufgearbeitet, besonders wurde hierbei das Ver- hältnis Angeklagter und Gericht ins Visier genommen und in einer bild- gestützten Darstellung aufgearbeitet.

Neben dem methodischen Gewinn ein doch zunächst einmal trocken an- mutendes Thema wie das der Justiz ansprechend und spannend umzu- setzen, lag der Lern- und Erkenntniszuwachs für die Schüler und Schü- lerinnen aber vor allem darin, dass sie erkannten:

- wie wichtig das Wissen ist, wie Gesetze unser Leben bestimmen, - wie wichtig das Wissen ist, wie Gesetze verabschiedet werden, - dass die Justiz kein gesellschaftsferner Raum ist und - dass wir alle in ein und demselben Rechts-Raum leben. 93 Die Besuche der Schülerinnen und Schüler im Landgericht sowie die Be- suche von Herrn Dr. Flor (Präsident) und Herrn Engelmann (Vorsitzen- der Richter am Landgericht) in der Klasse waren begeisternd und ver- mittelten die Authentizität, die es braucht, um sich mit diesen Themen auseinandersetzen zu wollen. Gleichwohl verhalfen sie den Schülerin- nen und Schülern bei der Berufsfindung; eine vorher für viele Schüle- rinnen und Schüler nicht anvisierte Perspektive.

Alles in allem war die Arbeit an den Projekten aus schulischer Sicht eine hervorragende Angelegenheit, das reale Leben in die Schule zu holen und Lernen an anderen Orten zu betreiben.

Freie Waldorfschule Itzehoe

Schule und Gericht?

„Warum“ und vor allem „wie“?

Wenige Anmerkungen, weshalb wir so dankbar sind, dass durch die Ini- tiative des Landgerichts Itzehoe hier eine Verbindung geknüpft wurde.

Rechtskunde steht nicht auf dem Stundenplan, aber „Recht und Ge- rechtigkeit“ sind auf jeden Fall ein bedeutsames Thema in der Entwick- lung junger Menschen. Die Inhalte des Unterrichts sollten deshalb ge- nau die Fragen bearbeiten, die die Schüler/innen haben – nicht die all- täglichen Fragen sind hier gemeint, sondern die tieferen, latenten Fra- gen, auch Lebensfragen, könnte man sie nennen, weil sie in dem aktu- ellen Lebensabschnitt von tragender Bedeutung sind.

Die jungen Menschen in einer 9. Klasse sind mit etwa 15 Jahren oft seelisch hin- und hergerissen, schwanken zwischen schwarz und weiß. Die einseitige Betrachtung triumphiert – zunächst – mit großer Macht. Gerade da trifft die Frage nach Recht und nach Gerechtigkeit auf ein tiefes Interesse. Die Beschäftigung mit den eigenen Pflichten und mit den Konsequenzen des Handelns, zum Beispiel bei einem Rechtsbruch, ist eine gute Grundlage für das so notwendige, differenzierte Urteilen.

Im Fach Deutsch wurde darauf in diesem Jahr eingegangen, indem die tragischen Beziehungen in zwei Werken Friedrich Schillers den Schüler/ innen bewusst wurden. Hier Auszüge aus dem Plädoyer eines Verteidi- gers des Angeklagten Christian Wolf aus Schillers „Verbrecher aus verlo- rener Ehre“, verfasst von einer Schülerin:

„Hohes Gericht, geehrte Geschworene, es ist wahr, mein Mandant, 94 Christian Wolf, hat all diese Verbrechen begangen. Er hat gelogen und betrogen, geraubt und gemordet. Doch kann kein Urteil gefällt werden, bevor nicht Folgendes hinzugefügt wurde: Es waren weder Bosheit noch Habgier, die ihn zu diesen Abscheulichkeiten getrieben haben, sondern Hunger, Not und Verzweiflung. Nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde und sich eine ehrliche Arbeit suchen wollte, gab es niemanden, der ihm eine Stelle gegeben hat. Die Räuber waren die einzigen Menschen in diesem Land, die ihn tolerierten, und so musste er selbst ein Räuber werden. … Auch war er geständig und reuevoll. .. Alles, was er braucht, ist eine Chance. So beantrage ich als Strafe die Zwangsrekrutierung in die Armee…"

Die Schüler und Schülerinnen der 9. Klasse haben mehrheitlich diesem Antrag zugestimmt, obwohl verschiedene Urteilsanträge erwogen wur- den:

„Tod durch Fallbeil oder drei Jahre Gefängnis bei Wasser und Brot, an- schließend 100 Sozialstunden oder Freispruch oder Waldorflehrer wer- den“

Im letzten Antrag deutet sich schon der zweite Schwerpunkt im Schul- jahr an – der Humor. Humor bringt ja die einseitige Betrachtung zum Fließen. So hat die Klasse eine Zeit lang das Gedicht von Heinz Erhard rezitiert:

Nächstenliebe

Die Nächstenliebe leugnet keiner, doch ist sie oft nur leerer Wahn, das merkst am besten du in einer stark überfüllten Straßenbahn. Du wirst geschoben und mußt schieben, der Strom der Menge reißt dich mit. Wie kannst du da den Nächsten lieben, wenn er dir auf die Füße tritt. (Das große Heinz Erhard Buch, S. 300)

Inmitten der Charakterisierung von Maria Stuart und Elisabeth I. aus dem Drama von Fr. Schiller wurde die Klasse im Landgericht mit einem Fall von Raub und Körperverletzung konfrontiert:

„Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, Ende des letzten Jahres zu- sammen mit zwei anderen Polen einen Pennymarkt überfallen zu ha- ben. Sie bedrohten die Kassiererin, brachen die Kasse mit einem Mes- 95 ser auf und entwendeten ca. 1000 – 1500 € aus der Kasse. Des Weite- ren wurde ihm zur Last gelegt, mit seinen Kameraden ein Juwelierge- schäft in Uetersen ausgeraubt zu haben. Sie räumten das Schaufenster mit der Diamantenauslage aus und brachen den gläsernen Tresen auf, … Vermutlich stießen Sie die Zeugin auf die Straße, wobei sie hinfiel, sich das Knie verdrehte und einen Innen- und Außenbänderriss erlitt …“

Noch vor der Urteilsverkündung (4 Jahre, 10 Monate Haft) musste die Klasse die Verhandlung verlassen. So waren die Schüler/innen angehal- ten ein eigenes Urteil zu versuchen.

„ Da der Angeklagte von Beginn an geständig war und auch Reue zeig- te, denke ich, dass das Strafmaß auf eine Gefängnisstrafe von 2 bis 3 Jahren festgelegt werden sollte.“

„Ich denke an vier bis fünf Jahre Haft. Aber muss das nicht ein polni- sches Gericht entscheiden, oder muss er dort nur seine Strafe absit- zen?“

(alle Texte aus den Heften von Nele Brack, Maria Köhler, Lotta Mahnke, 9. Klasse)

Diese Erlebnisse flossen bei allen Schülerinnen und Schülern in die wei- tere Bearbeitung von „Maria Stuart“ ein und werden sicherlich auch prägend sein für die Fragen, die sie ans Leben haben. Da mag auch das Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer helfen, das sie ebenfalls rezitier- ten.

Das Fundament

Sei wahr und wirf ihn weit zurück Den Schleier über deinen Blick und sieh’ dich wie einen andern an und benenn’ es alles, was du getan! Die Wahrheit ist ein scharfes Schwert, Das mitten in die Seele fährt. Der Zauber weicht, es flieht der Schein, Die Luftgebäude stürzen ein. Und wenn der Staub verronnen ist, so nimm dich selber, wie du bist. Dann baue wieder und bau’ zu End Auf dies bescheidene Fundament. (Conrad F. Meyer) 96 DER PROZESS GEGEN DEN STAUBMASKENMÖRDER

EBERHARD HÜLSING

Im Jahr 1999 begann vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Itzehoe ein spektakuläres Verfahren. Spektakulär schon deshalb, weil die zugrunde liegende Tat bereits aus dem Jahr 1986 datierte:

In der Nacht vom 22. auf den 23.06.1986 waren die Eheleute Christa (47 Jahre) und Jürgen L. (41 Jahre) und der Sohn von Christa L., der 25-jährige Frank J., im Haus der Eheleute L. in Hemdingen auf brutale Art und Weise getötet worden.

Der Täter hatte sich zwischen 01:30 und 03:00 morgens mittels eines Nachschlüssels Zugang zum Haus verschafft, wo sich zu dieser Zeit le- diglich Frank J. aufhielt und in seinem im Keller befindlichen Zimmer schlief. Wahrscheinlich hatte sich der Täter ein schweres, eher rundes Werkzeug, wie z. B. einen sog. Totschläger und/oder eine Baseballkeu- le, als Tatwerkzeug mitgebracht. Nicht auszuschließen war aber auch, dass Teile des zum Kamin in dem Tathaus gehörenden schmiedeeiser- nen Kaminbestecks, die nach der Tat fehlten, zur Tatausführung ver- wandt wurden.

Auch hatte der Täter Schutzkleidung bzw. Kleidung zum Wechseln mit- gebracht, um zu verhindern, dass die eigene Kleidung durch die Tataus- führung beschmutzt wird.

Der Täter hatte sich mit dem Tatwerkzeug in die Kellerräume in das Zimmer des Geschädigten Frank J. begeben. Dieser lag schlafend auf dem Bauch, nur mit einem Slip und ein paar Socken bekleidet.

Mindestens viermal hatte der Täter mit dem Tatwerkzeug auf die rechte rückwärtige Halsregion und die rechte Kopfseite des Schlafenden einge- schlagen, der infolge dieser stumpfen äußeren Gewalteinwirkung an ei- nem Schädelhirntrauma in Verbindung mit Bluteinatmung verstarb.

Anschließend war der Täter im Haus verblieben und hatte auf die Ehe- leute L. gewartet, die nach Schließung ihrer Gaststätte in Hamburg ge- gen 03:10 Uhr gemeinsam mit ihrem Hund, einem weißen Terrier na- mens Whisky, nach Hause gekommen waren und sich sogleich zu Bett begeben hatten. 97 Nachdem er sicher sein konnte, dass die Geschädigten und der Hund endlich schliefen, war der Täter zunächst in die Küche geschlichen, um mit einem Werkzeug auf den Hund einzuschlagen, damit dieser nicht bellte. Dabei wurde der Hund so verletzt, dass er Hundefutter erbrach und blutend sowie bewusstlos liegen blieb. Anschließend hatte der Täter den Hund ins Badezimmer gebracht und ihn dort eingeschlossen.

Danach hatte sich der Täter, ausgerüstet mit dem Tatwerkzeug, ins ebenerdig liegende Schlafzimmer der Eheleute L. begeben, die schla- fend im Ehebett lagen.

Er hatte mindestens fünfmal auf die rechte Gesichtsregion und die rech- te Schädelseite des Geschädigten Jürgen L. und mindestens viermal auf das Gesicht und die linke Schädelseite der Geschädigten Christa L. ein- geschlagen, so dass beide infolge der stumpfen äußeren Gewalteinwir- kung an einem schweren Schädelhirntrauma verstarben.

Wie auch schon bei der Tötung des Frank J. hatte er dabei so zuge- schlagen, dass zahlreiche Blutspritzer nach oben und gleichzeitig hinter die Opfer bis an die Zimmerdecke gelangt waren.

Anschließend hatte der Täter versucht einen Raubmord vorzutäuschen, indem er aus einigen Schränken Gegenstände herausriss und auf dem Fußboden verteilte.

Als er den Tatort verlassen hatte, hatte er die bei der Tat mit sich ge- führte und sehr wahrscheinlich auch benutzte Staubmaske zurückgelas- sen.

Schnell war der mit der Tochter der getöteten Eheleute L. befreundete Vladimir E. in Verdacht geraten, die grausame Tat begangen zu haben. Die Ermittlungen gegen ihn waren allerdings zunächst im Sande verlau- fen, weil seine damalige Lebensgefährtin, die Zeugin Stefanie A., ihm ein Alibi gegeben hatte, wonach beide die ganze Nacht vom 22. auf den 23.06.1986 gemeinsam in ihrem Hotelzimmer in Hamburg verbracht hätten. In der Folgezeit ergaben die Ermittlungen keine neuen Erkennt- nisse, so dass sie zunächst eingestellt werden mussten. Der verdächti- ge Vladimir E., der sich auch unmittelbar nach der Tat um die Tochter der getöteten Eheleute L. gekümmert hatte, hatte dieser sogar noch bei der Abwicklung der Erbangelegenheiten geholfen.

In den 90er Jahren hatte die Forschung im Bereich der DNA große Fort- schritte gemacht. Im Jahre 1997 nahm daher EKHK Lindhorst vom K 1 der Kriminalpolizei Itzehoe die Ermittlungen wieder auf und veranlasste, 98 dass die am Tatort sichergestellte Staubmaske vom Landeskriminalamt untersucht wurde. Auf Grund dieser Untersuchungen konnten fünf Per- sonen, denen 1986 bereits Speichelproben entnommen worden waren, als Spurenverursacher ausgeschlossen werden. Hingegen fanden sich in der Speichelprobe von Vladimir E., die diesem ebenfalls bereits 1986 entnommen worden war, mehrere Merkmale, die mit dem Spurenmate- rial der Staubmaske übereinstimmten. Damit kam Vladimir E. als Spu- renverursacher in Betracht, allerdings trat die übereinstimmende Merk- malskombination bei einem von 6800 Männern der mitteleuropäischen Bevölkerung auf. Bei der Untersuchung einer von Vladimir E. im Okto- ber 1998 erneut freiwillig abgegebenen Speichelprobe kam das Land- eskriminalamt zu gleichen Ergebnissen.

Als die Zeugin im November 1998 unter Vorhalt des DNA-Ergebnisses als Beschuldigte vernommen wurde, erklärte sie, dass das von ihr dem Vladimir E. gegebene Alibi falsch gewesen sei. Er habe sie dazu ge- drängt. Tatsächlich sei sie in der Nacht vom 22. auf den 23.06.1986 al- lein in ihrem Hotelzimmer gewesen, Vladimir E. sei erst in den frühen Morgenstunden zurückgekehrt.

Auf Grund der neu entstanden Verdachtslage wurde Vladimir E. am 07.12.1998 verhaftet und wegen Mordes aus Habgier in drei Fällen an- geklagt.

Am 13.09.1999 begann die Hauptverhandlung; am 08.10.1999 wurde die Zeugin Stefanie A. erstmalig vernommen.

Wie schon in ihrer polizeilichen Vernehmung vom November 1998 be- kundete die Zeugin, dass der Angeklagte nicht die Tatnacht mit ihr zu- sammen im Hotel verbracht habe, sondern allein fort gewesen und erst am frühen Morgen zurückgekommen sei. Bei dieser Aussage machte die Zeugin einen ungewöhnlich angespannten Eindruck auf die Kammer. Sie erschien stark belastet und weitaus nervöser als sonst Zeugen in ver- gleichbaren Situationen wirken. Dieses Verhalten der Zeugin steigerte sich noch als konkret nachgefragt wurde, was sie unter „am frühen Morgen“ verstünde. Die von dieser Frage sichtbar irritierte Zeugin be- kundete schließlich nach einigem Zögern, dass sie damit 2.00 bis 3.00 Uhr morgens meine, jedenfalls noch vor 4.00 Uhr. Als die Zeugin auch nach mehrfachen Nachfragen bei der Aussage blieb, dass der Angeklag- te in der Tatnacht spätestens um 4.00 Uhr im Hotel zurück gewesen sei, wurde sie gleich danach entlassen und nicht weiter befragt. Sollte nämlich Vladimir E. um 4.00 Uhr im Hotel gewesen sein, müsste er an- gesichts der Fahrstrecke von Hemdingen nach Hamburg den Tatort spä- testens um 3.30 Uhr verlassen haben. Nach dem Gutachten des Sach- 99 verständigen Dr. Püschel vom rechtsmedizinischen Institut des Universi- tätsklinikums Hamburg war aber zumindest Christa L. erst weit nach 4.00 Uhr getötet worden.

Aufgrund der neuen Sachlage hob die Kammer den Haftbefehl gegen den Angeklagten am Ende des Verhandlungstages auf. Am darauffol- genden Montag, dem 11.10.1999, sollte die Hauptverhandlung mit den Plädoyers fortgesetzt werden. Es wurde allseits mit einem Freispruch des Angeklagten gerechnet.

Im Laufe des folgenden Wochenendes kam es jedoch zu einer unerwar- teten Wendung. Die Zeugin Stefanie A., die aus der Zeitung erfahren hatte, dass der Angeklagte nach ihrer Aussage auf freien Fuß gekom- men war, nahm Kontakt zur Kriminalpolizei auf und berichtete, dass sie in ihrer Aussage vor Gericht am Freitag nicht die Wahrheit gesagt habe. Tatsächlich sei sie auf Anweisung von Vladimir E. mit diesem auf der Bundesstraße 4 nach Bilsen gefahren, habe dort auf sein Geheiß auf dem Parkplatz des Restpostenmarktes Willi Mohr in Bilsen geparkt und gewartet, während Vladimir E. zu Fuß in Richtung Hemdingen gegangen und mehrere Stunden weg geblieben sei.

Nach langwierigen Vernehmungen der Zeugin Stefanie A. am 11. und 13.10.1999 wurde der Angeklagte am Abend des 13.10.1999 durch die Kammer wieder in Untersuchungshaft genommen.

In den nun folgenden Wochen und Monaten erfolgte eine umfangreiche Beweisaufnahme mit der zum Teil mehrtägigen Vernehmung zahlreicher Zeugen, Ortsbesichtigungen sowie der Bescheidung vieler Beweisanträ- ge. Nach Erstattung des Gutachtens des Landeskriminalamtes hinsicht- lich der auf der Staubmaske befindlichen DNA-Spuren beantragte die Verteidigung, die Staubmaske erneut, nunmehr durch das Institut für Rechtsmedizin an der Universität Hamburg, auf DNA-Spuren untersu- chen zu lassen. Doch dieser Schuss sollte nach hinten losgehen. Durch den Fortschritt in der DNA-Forschung konnte das rechtsmedizinische In- stitut noch mehr Merkmale nachweisen als das erste DNA-Gutachten, so dass das im Januar 2000 erstattete Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass die auf der Staubmaske gefundene, mit der des Angeklagten übereinstimmende Merkmalskombination nur bei einer von ca. 500 Mil- lionen Personen der hiesigen Bevölkerung, das entspricht 0,0000002 %, auftritt.

Nach zahlreichen weiteren Beweiserhebungen konnte am 49. Verhand- lungstag schließlich die Beweisaufnahme geschlossen werden und der Staatsanwalt hielt sein Plädoyer. Er beantragte, den Angeklagten wegen 100 dreifachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Zur allseitigen Überraschung beantragte die Nebenklägervertreterin Freispruch.

Am nächsten Verhandlungstag wurde auf Antrag der Verteidigung er- neut in die Beweisaufnahme eingetreten. Nachdem die Beweisaufnah- me erneut geschlossen worden war, beantragten die Verteidiger Frei- spruch.

Am 06.10.2000 wurde im vollbesetzten Saal 28 des alten Landgerichts unter Teilnahme vieler Medienvertreter das Urteil gegen Vladimir E. ver- kündet:

Der Angeklagte wurde wegen Mordes in drei Fällen zu einer lebenslan- gen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Außerdem wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt.

Gegen das Urteil legte der Angeklagte Revision ein, die jedoch vom Bundesgerichtshof verworfen wurde. 101 EIN ZIVILPROZESS AUS DEM JAHRE 1992

Die Hochdonner Hochbrücke, menschliche Bedürfnisse und die Schwerkraft

DR. BERNHARD FLOR

Großer Presseauflauf im Gericht: Kamerateams sowie regionale und so- gar überregionale Vertreter der schreibenden Zunft versammeln sich im Gerichtsgebäude – und sie gehen nicht wie sonst so häufig zu einer spektakulären Strafsitzung, sondern sie besuchen eine Zivilverhand- lung. Und hier werden sie unter anderem Ohren- und Augenzeuge des nicht minder spektakulären Umstandes, dass der Kläger mit dem Be- merken: „Dies ist die Ausbeute eines Tages!“ Papierschnitzel mit dem Logo der DB und Anhaftungen von Fäkalienkleinstpartikeln- zum Glück in einer Tüte verschlossen - der Richterbank präsentiert.

Worum ging es?

Die Deutsche Bahn hatte im Zuge des Ausbaus des Nord-Ostsee-Kanals in den Jahren 1913 bis 1920 eine noch heute majestätisch über den Nord-Ostsee-Kanal bei Hochdonn führende Eisenbahnbrücke errichtet. Über diese mit täglich über 60 Zügen befahrene Strecke lief und läuft unter anderem der Bahnverkehr von Hamburg nach Sylt.

Streitpunkt war nun die Praxis – wir alle erinnern die Mahnung, Toilet- ten nicht auf dem Bahnhof zu benutzen – den Inhalt der Toiletten aus offenen Abgängen etwa 40 cm oberhalb der Gleise in der Art eines Plumpsklos zu entleeren. Die wunderschöne Brücke war und ist auch heute noch so konstruiert, dass es zwar Riffelbleche gibt, diese aber nicht in der Lage sind, all das auf dem Weg nach unten zu bremsen, was da so aus den WC´s durchaus bestimmungsgemäß heraustrat.

Der Kläger nun hatte in unmittelbarer Nachbarschaft der imposanten Brücke ein schönes Grundstück mit direktem Blick auf die Brücke einer- seits und den Kanal andererseits erworben. Die Brücke störte ihn trotz des gut vernehmbaren Zugverkehrs eigentlich nicht. Es störte ihn ledig- lich, dass die Freude am Verspeisen von Selbstgebackenem an schönen Sommertagen im Garten und das dortselbige Aufhängen der Wäsche zum Trocknen angesichts des unliebsamen und als ekelerregend be- schriebenen Kontakts mit den von oben kommenden Fäkalienkleinstpar- tikeln erheblich getrübt war. 102 Er zog im Jahre 1991 vor das Landgericht, um die Bundesbahn zur Ab- hilfe zu verpflichten.

Das Gericht musste nun Festellungen dazu treffen, ob der klägerische Vortrag in tatsächlicher Hinsicht zutrifft und in rechtlicher Hinsicht be- werten, ob Belästigungen seitens des Klägers hinzunehmen sind. Zur Ermittlung der Tatsachen diente eine Beweisaufnahme, die schon bei der Anhörung des Klägers den eingangs beschriebenen Höhepunkt hat- te.

Das Gericht ist nach Durchführung der Beweisaufnahme zu der Über- zeugung gelangt, dass das klägerische Grundstück durch die vom Klä- ger gerügte Art der Nutzung der Brücke Störungen im Sinne des § 1004 BGB erfährt.

Es hat sodann geprüft, ob der Kläger zur Duldung verpflichtet sei, da die Einwirkungen das Grundstück nur unwesentlich beeinträchtigten. Hier hat das Gericht festgestellt dass es sich bei dem Papierflug um „ähnliche Einwirkungen“ im Sinne des § 906 I BGB handele, die dieses wesentlich beeinträchtige.

Das Gericht hat nachfolgend untersucht, ob der Kläger auch diese als wesentlich bewerteten Beeinträchtigung dulden müsse, weil sie durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt werde und nicht durch Maßnahmen verhindert werden könne, die Be- nutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar seien, §§ 906 II 1 BGB.

Die interessante Frage, ob die Belästigungen durch die Benutzung der Kanalbrücke begrifflich als ortsüblich Benutzung des „anderen Grund- stücks“ angesehen werden könne, hat das Gericht unter Hinweis auf vergleichbare Rechtsprechung mit der Begründung bejaht, dass die im flachen Land auf Kilometer hinaus erkennbare Konstruktion das Gesicht der Landschaft präge und immer dem schienengebundenen Verkehr ge- dient habe. Dieser Punkt ging somit an die Bahn.

Dennoch siegte der Kläger, da das Gericht zu der Überzeugung gelangt ist, dass der Kläger diese wesentlichen Beeinträchtigungen ungeachtet der Ortsüblichkeit nicht zu dulden habe. Die Bahn könne diese Belästi- gungen nämlich durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahme verhindern, zumindest habe diese ihre Behauptung der Unzumutbarkeit von Abhilfe- maßnahmen nicht hinreichend unter Beweisantritt substantiiert.

Schließlich seien Ansprüche auch nicht angesichts des seinerzeit auf Grundlage des Preußischen Gesetzes über die Einsenbahnunternehmun- 103 gen vom 3. November 1838 rechtmäßig errichteten Bauvorhaben aus- geschlossen, da durch die Vorschriften jener Norm zivilrechtliche Folge- ansprüche gegen den Unternehmer nicht ausgeschlossen seien.

Die Beklagte wurde sodann antragsgemäß verurteilt, „durch geeignete Maßnahme zu verhindern, dass durch die Benutzung der Zugtoiletten während der Überfahrt über die Eisenbahnbrücke in Hochdonn dem Grundstück des Klägers…Fäkalienkleinstpartikel und Toilettenpapier zu- geführt werden“.

Der Rechtsstreit wurde zweitinstanzlich vor dem Oberlandesgericht wei- ter geführt. Das Oberlandesgericht hat das Urteil im Kern bestätigt, aber den wirtschaftlichen Aufwand der zur Beseitigung der Störungen erforderlichen Maßnahmen höher eingeschätzt und daher der Bundes- bahn eine Frist von fünf Jahren gegeben, um die erforderlichen Verän- derungen vorzunehmen.

Wir schreiben nun das Jahr 2012: Möge der geneigte Leser bei der nächsten Fahrt über die Hochbrücke bei Hochdonn überprüfen, ob die Deutsche Bahn ihren Verpflichtungen nachgekommen ist. 104 UNTERBRINGUNG DES LANDGERICHTS ITZEHOE

PETER ANHUT UND REINER REHBERG

Nachdem die ehemals preußische Stadt Altona durch das Groß-Ham- burg-Gesetz vom 26.1.1937 ein Teil Hamburgs geworden und damit nicht mehr zur Provinz Schleswig-Holstein gehörte, musste eine Neu- ordnung der Landgerichtsbezirke erfolgen. Das Landgericht Altona wur- de aufgehoben, für die bei Preußen verbliebenen Teile des Bezirks war ein neues Landgericht einzurichten. Insbesondere die Städte Elmshorn und Itzehoe hatten sich um den Sitz dieses neu zu errichtenden Land- gerichts beworben. Die Entscheidung zu Gunsten Itzehoes fiel auf Grund der zentraleren Lage des Ortes im zu bildenden Landgerichtsbe- zirk als auch wegen des Umstandes, dass Elmshorn der sich weiterhin ausbreitenden Hansestadt Hamburg zu nahe erschien.

Bei der Bewerbung um den Sitz des Landgerichts hatte die Stadt Itze- hoe sich verpflichtet, ein Gerichtsgebäude zur Verfügung zu stellen. Es handelte sich dabei um die im Jahr 1856 von dem Inhaber der Itzehoer Zuckerfabrik, Charles de Vos, erbaute herrenhausähnliche Villa in der Breitenburger Straße 70, dem sogenannten Westerhof, in dem sogar der Deutsche Kaiser Wilhelm I. während eines Manövers vom 10. bis 16. September 1881 gewohnt hatte. Der repräsentative Bau mit hohen und großen Zimmern, einem großartigen Portal und einer vielfach ge- gliederten Außenfassade brachte jedoch wegen ungünstiger Raumauf- gliederung, unzureichender funktionsgerechter Zimmer und insbeson- dere wegen fehlender Sitzungssäle mit gesicherten Zugängen für Inhaf- tierte, nicht vorhandener Warteräume für Beteiligte und fehlender Ar- restzellen organisatorische Probleme mit sich. So mussten unter ande- rem zunächst Schwurgerichtssitzungen im Gebäude des Amtsgerichts oder im Ständesaal des Rathauses abgehalten werden.

Bereits mit Einzug des Gerichts und dem zeitgleichen Einzug der Staatsanwaltschaft, mit der sich das Landgericht das Gebäude teilen musste, war die Notwendigkeit eines Neubaus oder aber einer Erweite- rung bei gleichzeitigem Umbau des Westerhofes offenkundig. Nachdem ein Abriss des Westerhofes mit Neubau nicht in Frage kam, da es sich bei dem Gebäude – so wörtlich – „um ein Wahrzeichen der Stadt Itze- hoe handelt, dessen Abriß in der Bevölkerung nur Erstaunen und Wider- spruch auslösen würde“, entschied man sich für einen Um- und Erwei- terungsbau. Die dafür schon sehr bald gefertigten Planungen fielen je- doch dem geltenden Vierjahresplan zum Opfer. Die entsprechenden Haushaltsmittel wurden Ende 1938 gestrichen und bis zum Kriegsende 105 nicht wieder bewilligt.

Erst im Jahre 1949 wurde die Villa in der Breitenburger Straße 37 zusätzlich angemie- tet. Die dadurch geschaffenen zusätzlichen Räume boten nunmehr die Möglichkeit, drin- gend benötigte Sitzungszimmer für die Zivil- kammern zu schaffen. Die räumliche Situation wurde dadurch zwar ein wenig entschärft, blieb jedoch weiter unzureichend. In langen, schwierigen Verhandlungen mit dem Finanz- ministerium und dem Finanzausschuss des Landtages wurde um einen Neubau gerungen. Die über Jahre andauernden Bemühungen zei- tigten letztlich im Jahre 1953 Erfolg, als mit den Bauarbeiten auf dem Gelände der ehema- Dr. Hugo Hinrichsen ligen Stallungen des Westerhofes in der Breit- Präsident des Landgerichts enburger Straße 68 begonnen wurde. 1954 - 1962

Die Fertigstellung des Neubaus erfolgte dann im Herbst 1954. Während die Staatsanwaltschaft weiterhin im Westerhof verblieb, bezog das Landgericht den Neubau. Damit standen erstmals Sitzungssäle mit Be- ratungszimmern für das Schwurgericht sowie für die Strafkammern zur Verfügung. Sowohl der Neubau als auch der Westerhof wurden im Laufe der folgenden Jahre weiter ausgebaut und modernisiert. Und obwohl die Staatsanwaltschaft im Jahre 1973 aus dem Westerhof in das Gebäude des Holsteincenters zog, reichten die beiden Gebäude nicht aus, den stetig wachsenden Platzbedarf des Landgerichts zu befriedigen.

1982/83 erfolgte die Renovierung des Westerhofs. Die Belange des Brandschutzes mussten befriedigt werden und eine neue Treppe wurde eingebaut. Während dieser ca. 10 Monate dauernden Baumaßnahme wurden Teile des Landgerichts im alten Kasernengebäude in der Gude- willkaserne in der Oelixdorfer Straße 2 unterbracht.

Im Frühjahr 1991 wurde dann zur Schaffung weiterer Dienstzimmer so- wie behelfsmäßiger Sitzungssäle der Ausbau des Dachgeschosses des Westhofes durchgeführt, dabei konnten auch Räume für die Ausgestal- tung einer Bücherei gewonnen werden. Nach dem Ausscheiden eines Hausmeisters konnte die ehemalige Wachtmeisterdienstwohnung im Westerhof zu Referendarunterrichtsräumen umgebaut werden und nachdem die Druckerei des Landgerichts aufgelöst wurde, wurden die bislang dafür genutzten Räume als Serviceeinheitsbüros umgewidmet. 106 Trotz aller dieser Um-, An- und Erweiterungsbaumaßnahmen stand dem Landgericht Itzehoe nie ausreichende Raumkapazität zur Verfügung. Erst nach langer Suche konnte mit dem Abschluss des Mietvertrages im Jahre 2002 für das ehemalige Postgebäude endlich eine räumlich ange- messene Unterbringung geschaffen werden. Seit dem 25.10.2004 ist das Landgericht Itzehoe unter der Anschrift Theodor-Heuss-Platz 3 zu finden. 107 UMZÜGE

VOLKMAR ZIMMERMANN

Es war für behinderte Menschen entwürdigend, wenn sie samt Rollstuhl in Ermangelung einer Aufzugsanlage von vier Justizwachtmeistern über enge Treppen in den Behelfs-Sitzungssaal 65 in das Dachgeschoss im Landgerichtsgebäude „Neubau“ (erbaut 1954) getragen werden muss- ten. Der Zustand der sanitären Anlagen entsprach bei Weitem nicht mehr dem aktuellen Standard – und führte bisweilen zur großen Erhei- terung des Publikums. Kellerarchive im „Westerhof“ (erbaut 1856), großflächig von Schimmelpilz befallen, durften nach den Empfehlungen des Betriebsarztes von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nur für max. 30 Minuten täglich betreten werden; das Anlegen einer Atem- schutzmaske (die DIN-Norm ist abhanden gekommen) wurde dabei dringend angeraten. Die mit der Instandhaltung der Landgerichtsge- bäude beauftragte Landesbauverwaltung hatte längst aufgegeben; nachhaltige Renovierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen wurden – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr angegangen; Repara- turstau wurde im Laufe der Jahre zum Programm. Diese Not machte gelegentlich aber auch erfinderisch: Es dürfte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landgerichts noch gut in Erinnerung sein, dass die Strafsitzungssäle im Neubau unter Anleitung des Justizhelfers Kreisel (gelernter Maler und Dekorateur) von den Wachtmeistern in einer Wo- chenendaktion neu gestrichen wurden.

Vorschläge des Energieberaters des Landes zur Verringerung der exor- bitant hohen Gasverbräuche sowie dringend notwendige Brandschutz- maßnahmen gerieten regelmäßig zu einer Beschäftigungstherapie für den Geschäftsleiter, ohne dass dieser mangels eigener Haushaltsmittel an den Missständen etwas ändern konnte.

Zusätzlich mit hohem finanziellen Aufwand geschaffene Dienstzimmer in den Dachgeschossen beider Gebäude waren, wie das Landesamt für Arbeitssicherheit später feststellte, nur stundenweise – aber nicht ganz- tägig - nutzbar; einerseits waren die nach den Bauvorschriften einzu- haltenden Brüstungshöhen nicht eingehalten worden, andererseits ver- fügten einige Diensträume nur über Dachflächenfenster; erst als der Geschäftsleiter die inkriminierten Zimmer der alleinigen Nutzung durch Richterinnen und Richter zuwies (seine Notlüge: „Richterinnen und Richter arbeiten täglich weitaus überwiegend zu Hause oder in Sit- zungssälen und nutzen ihre Dienstzimmer somit nur stundenweise“), wurde von der drohenden Schließung der Dienstzimmer Abstand ge- 108 nommen.

Auch „Harald“, der Hausmarder, schlug gelegentlich zu. Beutegut ver- steckte er in nicht zugänglichen Dachschrägungen des Neubaus, so dass dort befindliche Dienstzimmer wegen des sich ausbreitenden Ver- wesungsgeruchs für regelmäßig fünf Tage nicht nutzbar waren; Aus- quartierungen oder Heimarbeit der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren die Folge. Schlimmer war es da schon, wenn sich „Harald“ in die auf dem Dachboden verlegte IT-Verkabelung verbiss, so dass schlagartig ganze Bereiche des Neubaus ihre EDV nicht nutzen konnten. Irgendwie muss „Harald“ mit in das neue Gerichtsgebäude am Theodor-Heuss-Platz umgezogen sein: Kabelbisse in den Motorräumen der Dienstkraftfahrzeuge des Landgerichts sind zu verzeichnen ...

Insgesamt war der Zustand der Gebäude in der Breitenburger Straße schon in den 1990er Jahren beklagenswert. Selbst Besucher aus der ehem. DDR konnten es nicht fassen, dass ein Landgericht in einem „al- ten Bundesland“ so unwürdig untergebracht ist. Geflügeltes Wort der auswärtigen Anwaltschaft: „Wenn die Qualität der Rechtsprechung dem Gebäudezustand entspricht, dann gute Nacht Marie ...“.

Das Gegenteil war, wie man allenthalben weiß, immer der Fall.

Das Landgericht Itzehoe hatte am Standort Breitenburger Straße keine Zukunft mehr, wie bereits Landgerichtspräsidentin Konstanze Görres- Ohde nach Ablehnung der von ihr vorgeschlagenen Baumaßnahmen (Herstellung von Barrierefreiheit durch Aufzug, Verbindung der beiden Gebäude durch Übergang, Erweiterung des Neubaus mit „Stelzenlösung“ zur Erhaltung der Parkplätze am Neubau etc.) erkennen musste. Neubaupläne, noch initiiert von Konstanze Görres-Ohde und weiterverfolgt von ihrem Nachfolger Kurt Gerhard, scheiter- ten aus vielerlei Gründen.

Verzagtheit war jedoch nie Sache des Landge- richts Itzehoe.

So traf es sich gut, dass mit Präsident Geert Mackenroth, Vizepräsidentin Barbara Krix, Verwaltungsreferent Gerd Krüger und dem Geschäftsleiter Menschen zu Anfang des Jahr- Geert Mackenroth tausends zusammentrafen, die sich mit den Präsident des Landgerichts obwaltenden unzulänglichen Zuständen nicht 2000 - 2003 109 abfinden mochten.

Als „Trüffelschwein“ erwies sich Gerd Krüger, der – bevor dies in den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Post und den Medien überhaupt bekannt wurde – in Erfahrung bringen konnte, dass die Deutsche Post ihr Verwaltungs- und Verteilungszentrum am Theodor-Heuss-Platz 3 in Itzehoe aufgeben wolle.

Nach „verdeckten Ermittlungen“ stellte die Gerichtsleitung die Eignung des Postgebäudes für Landgerichtszwecke wie folgt fest: Gesamtfläche von ca. 5000 qm ausreichend, im Postverteilerzentrum können Sit- zungssäle und Vorführzellen in ausreichender Zahl und Größe errichtet werden, der Verwaltungstrakt der Post ist nahezu 1:1 für die Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter des Landgerichts nutzbar, Räume für Ausbil- dungszwecke (Referendare) sind vorhanden, Raum für Bücherei und Ar- chive steht zur Verfügung, eine großzügige und offene Wachtmeisterei ist ohne nennenswerte Umbaumaßnahmen einzurichten, Schließfächer der Post sind als Anwaltsfächer nutzbar, eine Cafeteria ist vorhanden, desgleichen Teeküchen und Kopierräume auf den Stockwerken, das Foyer erlaubt die Einrichtung eines „Servicepoints“ sowie die Durchfüh- rung kultureller Aktivitäten, Barrierefreiheit ist gewährleistet (Aufzug, automatische Türen), Sicherheitsstandards können eingehalten werden, gute Parkplatzsituation, Busbahnhof vor der Tür, Bahnhof Itzehoe fünf Minuten entfernt.

Was nun folgte, kann sich der geneigte Leser sicherlich gut vorstellen: Anträge, Berichte, Erlasse, Verfügungen, Stellungnahmen, Besprechun- gen, Besichtigungen, Verhandlungen, Zusagen, Absagen, Irritationen, Raumpläne, Besuche von Möbelausstellungen und Tischlereibetrieben – auch in der JVA Neumünster –, Kostenberechnungen, zugeknöpfte Haushaltsabteilungen, Beteiligung von Personal- und Richterräten, Gleichstellungs- und Schwerbehindertenbeauftragten, Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Arbeitssicherheitsausschuss, Bauamt, Kreisbrandschutzinspektor, Landesamt für Gesundheit und Arbeitssi- cherheit, Besuch einer Justizstaatssekretärin, Besuche von Abgeordne- ten, Anfragen des Bundes der Steuerzahler, Pressegespräche, Beden- kenträger, Befindlichkeiten, Unmut, Euphorie.

Eines Tages, kaum mehr erwartet (und von vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern befürchtet), gab es „grünes Licht“ zur Verlagerung des Landgerichts von der Breitenburger Straße zum Theodor-Heuss-Platz.

Gut, dass sich in Erwartung des Umzuges im Landgericht rechtzeitig Projekt- und Lenkungsgruppen gebildet hatten, die sofort ihre Ergebnis- 110 se präsentieren konnten (Auszug):

Projektgruppe I – Eingangsbereich/Sicherheit – Leitung Lutz Sonntag: u.a.: ein Servicepoint ist einzurichten und ständig durch Wachtmeister zu besetzen, definierte Bereiche werde mittels Kamera überwacht, Überwachung der Kamerabilder erfolgt am Servicepoint, Bildervergla- sungen im Hause nur aus Acryl – kein Glas -, Übernahme des Notruf- systems (Notruftaster in sämtlichen Räumen und Sälen, Alarm auflau- fend in der Wachtmeisterei) aus dem „alten“ Landgericht, Personalzu- gang auch vom Parkplatz aus.

Projektgruppe II – EDV – Leitung Detlef Krebs: u. a.: Anschluss Hardware im neuen Gebäude durch IT-Teams; Unter- stützung durch IT-Mitarbeiter anderer Gerichte ist gewährleistet.

Projektgruppe III – Sitzungssäle – Leitung Hedda Peters: u. a.: Strafsitzungssäle mit Podest, Zivilsitzungssäle ohne Podest, An- fertigung der Richtertische möglichst durch JVA Neumünster, ggf. Aus- schreibung durch GMSH, einheitliche, verkettbare Stühle für Sitzungs- säle und Wartezonen.

Projektgruppe IV – Umzug/Mobiliar – Leitung Volkmar Zimmermann: u. a.: Umzug „en bloc“, keine Sitzungen während des Umzuges, Ein- richtung eines Notdienstes, Nottelefone (Handys), Geschäftsstellen so- wie Richterinnen und Richter sind in räumlicher Nähe untergebracht, laufende Akten werden von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterin selbst ver- und entpackt, Erstellung einer „Zielliste“ zur Beschriftung der Umzugsgutes, Archivgut ca. 1000 lfd. Meter, zentrale Bücherei, „neueres Mobiliar“ wird mitgenommen, altes „Resopal- und JVA-Mobili- ar“ der aufgelösten kleinen Amtsgerichte aus den 1960er Jahren, sowie die mit „RKK“ („Reichskleiderkammer“) gekennzeichneten Vorhänge werden zu Gunsten der Landeskasse verwertet/ggf. der Vernichtung zu- geführt, Bildung von „Möbel-Umbauteams“ (Kevin Prox, Dirk Bobeth- Wagner, Frank Struve, Stefan Werth), Beschaffungen (Umzugsleistun- gen, Mobiliar, Zeiterfassungssystem, Sonnenschutz, Teppichboden etc.) ausschließlich durch die GMSH. Geschäftsleiter begleitet/überwacht die von der „Post Bauen AG“ (Bauregie) bzw. „Stadler AG“ (Bauausführung) vorzunehmenden Umbaumaßnahmen im neuen Gebäude ganztägig „vor Ort“, Besichtigung der Räumlichkeiten im neuen Landgerichtsgebäude durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter („sanftes Heranführen an die neuen Örtlichkeiten“ – „Abbau von Befindlichkeiten“) wird ermöglicht.

Projektgruppe V – Kultur/Veranstaltungen pp. - Leitung Sonja Rudorf: u. a.: Beschaffungen: Bühne im Foyer (falls finanzierbar: stationär/ver- 111 senkbar), mobile Lautsprecheranlage, Rednerpult, Stapelstühle (auf Wagen transportierbar), Wiederaufnahme kultureller Aktivitäten im neuen Landgericht (Gründung eines Vereins „Kultur und Justiz").

Projektgruppe VI – Parkplätze – Dr. Frauke Wiggers/später Peter Schmidt: Die zur Verfügung stehenden 100 Parkplätze sind ausreichend, so dass keine „beschränkenden Maßnahmen“ erforderlich sind.

Geert Mackenroth und Gerd Krüger verließen das Landgericht in Rich- tung Sachsen bzw. Justizministerium Kiel. „Wer nicht da ist, stört auch nicht“, bemerkte ein Mitarbeiter trocken und wandte sich wieder seinen Aufgaben zu; Nachfolger/innen waren nicht in Sicht, so dass der weite- re Gang der Dinge allein durch Vizepräsidentin und Geschäftsleiter zu verfolgen war. Stephanie Lüdke, jetzt Geschäftsleiterin des AG Pinne- berg, wechselte an das Landgericht und nahm sich vieler Verwaltungs- und Umzugsangelegenheiten an, Hartmut Schulz wurde mit Aufgaben der Vizepräsidentin betraut.

Während der Umbauphase bezog der Geschäftsleiter, wie geplant, sein „Baubüro“ im neuen Landgerichtsgebäude; mit dem Bauleiter der Post Bauen AG, Dipl.-Ing. Fründt, wurden täglich Baubesprechungen und Gebäudebegehungen durchgeführt; hierdurch war Schlimmeres zu ver- hindern; so etwa die Errichtung eines Zivilsitzungssaals mit dicker mit- tiger Betonsäule (bis heute von Stephanie Lüdke „Akropolis-Zimmer“ genannt). Während der Umbauphase geriet die „Stadler AG“ in Insol- venz; auch dank seiner Erfahrungen als für Insolvenzsachen zuständi- ger Rechtspfleger bei dem Amtsgericht Elmshorn wusste der Geschäft- leiter Handwerker daran zu hindern, eingebaute Sachen (Sanitär, Heiz- körper, Türen etc.) „herauszureißen“; nach Verhandlungen war der In- solvenzverwalter zudem bereit, die bestehenden Verträge ohne finan- ziellen Mehraufwand abzuwickeln. Der geplante Umzug musste schließ- lich um zwei Monate verschoben werden.

Der Umzug selbst vom 19. bis 22.10.2004, durchgeführt durch das Um- zugsunternehmen Oskar Gerdsen aus Kiel (Werbeslogan: „Stark wie Oskar“), verlief dann völlig unspektakulär. Die Einrichtungen der Dienst- zimmer und Akten gelangten dank der von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorgenommenen „Zielortbeschriftungen“ auf jedem Gegen- stand/Karton sogleich an ihren neuen Standort. Nahezu zeitgleich mit dem Umzugsgut wurde das neu beschaffte Ergänzungsmobiliar angelie- fert – prima koordiniert durch Andreas Winkelmann, GMSH Kiel. „IT-An- schlussteams“, gebildet aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der IT- Stellen vieler Gerichte im Lande und angeführt von Detlef Krebs, er- 112 schlossen Dienstzimmer für Dienstzimmer, Sitzungssaal für Sitzungs- saal. Im Übrigen stellte sich heraus: Projekt- und Lenkungsgruppen sind eine feine Sache, im Zweifel muss aber einer „das Sagen“ haben – und das war der Geschäftsleiter, was allseits gutgeheißen wurde. Am 21.10.2004 war das Landgericht bereits wieder arbeitsfähig. Am 25.10.2004 konnte der „normale Gerichtsbetrieb“ wieder aufgenommen werden. Zwei Dinge gingen während des Umzuges dann doch schief: Eine Mitarbeiterin beklagte sich über fehlendes Papier in den Toiletten, die Farbe der von der Post übernommenen Jalousien fand nicht überall Zustimmung. Nun ja ...

Die „Haushälter“ waren zufrieden: Zur Verfügung gestellte Haushalts- mittel in Höhe von 478.000,00 € wurden (nur) in Höhe von 471.000,00 € in Anspruch genommen.

Abschließend allseits warme Worte in der offiziellen Einweihungsfeier und eine Umzugsparty der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (selbst- verständlich nach Dienstschluss), von der noch heute gesprochen wird. Der Rotweinfleck auf dem Hemd des Geschäftsleiters, lieber Kollege Hans-Heinrich Wittenhagen, ging im Übrigen nie wieder heraus; da hal- fen auch die sofort ergriffenen Säuberungsversuche nicht weiter.

Nahezug unbemerkt blieben die von den Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfern weitgehend selbst organisierten Umzüge der Be- währungshilfestellen Pinneberg (in eine Drittanmietung), Elmshorn (in die umgebaute Hausmeisterwohnung im Amtsgericht), Meldorf (in die umgebauten Wochenendarrestzellen im Amtsgericht) und Itzehoe (in das Kellergeschoss des neuen Landgerichts).

Somit ist festzuhalten: Das Landgericht Itzehoe ist mit seinen Dienststellen der Bewährungshilfe innerhalb von fünf Jahren in neue Räumlichkeiten gezogen. Das soll uns erst einmal einer nachmachen.

Die alten Landgerichtsgebäude verfolgten den Geschäftsleiter noch eini- ge Zeit, da von ihm Besichtigungsrundgänge potentieller Erwerber zu begleiten waren; ernstzunehmende Kaufinteressenten wechselten sich ab mit Glückrittern und Abstaubern; von Nutzung als Spielbank oder Bordell war bisweilen deutlich die Rede. Daher ist es schön, dass die Gebäude des alten Landgerichts nunmehr von einem Itzehoer Privat- mann erworben wurden, der im Neubau eine Musikschule betreibt. Den Westerhof will er selbst bewohnen. Erste Rückbaunassnahmen und Re- novierungsarbeiten im Westerhof bringen bereits einige in dem histori- schen Gebäude verborgene Schätze ans Tageslicht (z. B. Kreuzgangde- cke im ehem. Anwaltszimmer, wertvolle Kacheln in den Kellern, aufwän- 113 dige Holzfußböden).

Ausblick: Der Mietvertrag über das Landgerichtsgebäude am Theodor- Heuss-Platz 3 endet im Jahre 2024. Nach den gemachten Erfahrungen müsste eigentlich sofort in Mietvertragsverlängerungsverhandlungen eingetreten oder mit der Suche nach neuen Standorten für das Landge- richt Itzehoe begonnen werden. 114 DER „PLATTENLEGER“-PROZESS

JÜRGEN ENGELMANN

Am 29. Juli 1991 nahmen in Hamburg Ereignisse ihren Lauf, die zu ei- nem aufwändigen Verfahren führten, das das Landgericht Itzehoe ab September 1991 für etliche Monate bis in das Jahr 1993 beschäftigte und zwar nicht nur die Strafkammern.

Am 9. Juni 1991 hatte das Landeskriminalamt Hamburg – Abteilung Observation – einen Überwachungsauftrag hinsichtlich einer Hamburger Anschrift erhalten, weil sich ein Hinweis darauf ergeben hatte, dass sich an dieser Anschrift möglicherweise eine Person aus dem Umfeld der RAF aus Bielefeld aufhalten könnte. Unglücklicherweise hatte dieser Sympathisant entfernte Ähnlichkeit mit einem der späteren Angeklag- ten, dem damals 26 Jahre alten Knud A., der Anfang Juli 1991 an der genannten Anschrift bemerkt und von den Beamten des Landeskrimi- nalamtes Hamburg fälschlich für die gesuchte Zielperson gehalten und in der Folgezeit intensiv observiert wurde.

Nachdem man Knud A. zunächst am 15., 16. und 17. Juli 1991 bei völ- lig unauffälligen Einkäufen im Hamburger Schanzenviertel beobachtet hatte, entdeckten die Beamten ihn im Zuge ihrer weiter durchgeführten Observationsmaßnahme erneut am 29. Juli 1991 im Bereich des Schul- terblattes/Juliusstraße in Hamburg, als er gerade mit dem späteren Mit- angeklagten, dem damals 24 Jahre alten Ralf G., das Gebäude des Kul- turzentrums „Alte Flora“ in Hamburg betrat. Bei der „Alten Flora“ han- delt es sich um einen Gebäudekomplex mit einem Gebäudeteil, der ab- gerissen werden sollte, um einem Theater-Neubau Platz zu machen. Diese Bauabsichten hatten bei Teilen der Wohnbevölkerung jenes Bezir- kes Unmut hervorgerufen. Es hatte Demonstrationen und Veranstaltun- gen gegeben, bei denen der Erhalt des Gebäudes zu Wohnzwecken und als Kulturzentrum gefordert worden war. Es war zu einer Besetzung des so genannten Flora Parks gekommen, der am 23 Juli 1991 von der Hamburger Polizei gewaltsam geräumt worden war. Bei dieser Räumung gab es erhebliche Auseinandersetzungen mit den Demonstranten, die teilweise dem „linken Spektrum“ zugerechnet wurden.

An dem schon geschilderten 29. Juli 1991 beobachteten jetzt vier Be- amte und eine Beamtin des Landeskriminalamtes Hamburg, die jeder einen unauffälligen Zivil-Pkw zur Verfügung hatten, die späteren Ange- klagten Knud A. und Ralf G. in der Folgezeit weiter und verfolgten sie auch, als diese mit einem geliehenen Pkw VW Golf eines Freundes das 115 Hamburger Stadtgebiet verließen und über die Bundesautobahn A 23 nach Pinneberg fuhren. In der Folgezeit fielen ihrerseits die Beamten, die den Kontakt zu den jungen Männern nicht verlieren wollten, diesen offensichtlich auch auf. Sie wunderten sich, wiederholt den gleichen Fahrzeugen mit Hamburger Kennzeichen zu begegnen.

Nachdem Knud A. und Ralf G. in Pinneberg zunächst ein Eiscafé aufge- sucht hatten, beabsichtigten sie, sich noch das Gelände einer Pinneberg Baufirma anzusehen, die an den Bauarbeiten um die „Alte Flora“ In Hamburg beteiligt war. Wiederum wurden sie jetzt von noch vier Ham- burger Beamten verfolgt, die die jungen Männer aber im Peiner Weg, einer Sackgasse in der Nähe der Bahnstrecke Hamburg – Kiel, aus den Augen verloren. Auf einer über die Bahnstrecke führenden Fußgänger- brücke bemerkten die Beamten etwa 10 Minuten nachdem sie die jun- gen Männer letztmalig gesehen hatten, in einer Entfernung von 375 m zwei Personen, die sich offensichtlich auf den Gleisen zu schaffen mach- ten und augenscheinlich dort Gegenstände abgelegten. Die Polizisten meinten spontan, in den beiden Personen die zuvor observierten Män- ner wiederzuerkennen und leiteten Maßnahmen ein, die Gegenstände von den Gleisen zu entfernen, was aber misslang.

Schon wenige Minuten nach der Beobachtung hatte ein Zug aus Ham- burg, der in Pinneberg nicht gehalten hatte und auf dem Weg nach Kiel war, die Gegenstände auf den Schienen ohne Schaden zu nehmen, überfahren. Die Beamten konnten im Nachhinein die Gegenstände, die auf den Schienen gelegen hatten, als zwei Betonplatten identifizieren, die ursprünglich zur Abdeckung der neben den Gleisen befindlichen Ka- belkanäle für die Signalanlagen gelegen hatten und von denen an Ort und Stelle schon eine größere Anzahl als nur zwei Platten fehlten. Per- sonen traf man vor Ort nicht mehr an, so dass die Beamten aus Ham- burg, die über Funk Verstärkung aus Pinneberg angefordert hatten, am Abstellraum des Pkw der zuvor observierten jungen Männer warteten, um diese bei der Rückkehr zum Auto festzunehmen. Etwa 20 Minuten nachdem der Zug über die Betonplatten gefahren war, kehrten Knud A. und Ralf G. an den Abstellraum ihres PKW zurück und wurden dort fest- genommen. Die völlig überraschten Männer machten keine Angaben zur Sache und wurden in Polizeigewahrsam und einen Tag später in Unter- suchungshaft genommen.

Der Tatvorwurf lautete zunächst auf gefährlichen Eingriff in den Schie- nenverkehr durch Hindernisbereiten in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen. Durch das später zuständige Amtsgericht Itzehoe wur- de der Tatvorwurf auf Antrag der Staatsanwaltschaft um den Vorwurf des gemeinschaftlich versuchten Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln 116 erweitert. Dies war auch Tatvorwurf der Anklage vom 27.09.1991 zum Landgericht Itzehoe. Die seinerzeit zuständige fünfte Strafkammer (Schwurgerichtskammer I) des Landgericht Itzehoe ließ in der im Jahr 1991 bestehenden Besetzung mit Beschluss vom 20.12.1991 die Ankla- ge zur Haupthandlung zu und beraumte gleichzeitig Termin zur Haupt- verhandlung auf den 27. Januar 1992 an, was zur Folge hatte, dass die Haupthandlung von der traditionsgemäß jedes Jahr wechselnden ande- ren Besetzung der Ersten Großen Strafkammer durchgeführt werden musste.

Schon in der Zeit der Untersuchungshaft hatten Freunde und Bekannte und auch ein großer Teil der so genannten linken Szene aus Hamburg sich mit den beiden Angeklagten solidarisch gezeigt und mit einer Viel- zahl von Aktionen und Demonstrationen die Freilassung aus der Unter- suchungshaft gefordert. Diese Aktionen, die möglicherweise nicht oder jedenfalls nicht in vollem Umfang den Beifall der beiden Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten fanden, gipfelten in Farbaufschriften am Landgericht Itzehoe wie: „Freispruch für Knud und Ralf“ und: „das Ge- richt pennt“ sowie der Aufschrift an einer Autobahnbrücke über die Bundesautobahn 23 von Hamburg nach Itzehoe: „tötet Selbmann“. Herr Selbmann war der seinerzeitige Vorsitzende der nunmehr für die Hauptverhandlung zuständigen Schwurgerichtskammer I.

Nicht nur zu Beginn, sondern während des gesamten Laufes der Haupt- verhandlung gab es ein reges Publikumsinteresse, das insbesondere auch aus Angehörigen der sogenannten „alternativen Linken“ In Ham- burg bestand und deren Interesse auch darauf gerichtet war, die Ar- beitsweise der Hamburger Polizei in Zusammenhang mit den Demonst- rationen über das „Alte Flora"-Gelände kritisch darzustellen.

Auch die Verteidigung hielt die große öffentliche Beteiligung für wichtig, um die ihrer Meinung nach im Hintergrund stehende Taktik des Land- eskriminalamtes Hamburg zu entlarven. Das Publikumsinteresse führte nicht nur zu massiven Störungen außerhalb des Gerichtsgebäudes, wel- che in den ersten Hauptverhandlungstagen zu erheblichem Polizeiein- satz der Schutzpolizei bis hin zum Aufstellen von Absperrgittern führte, sondern auch zu immer wiederkehrenden dauernden Störungen der Hauptverhandlung.

Bereits am ersten Tag der Haupthandlung hob die Schwurgerichtskam- mer die bestehenden Haftbefehle auf, weil nach Meinung der jetzt zuständigen Richter trotz weiter bestehenden hinreichenden Tatver- dachtes kein dringender Tatverdacht des versuchten Mordes gegen die beiden Angeklagten und keine Fluchtgefahr bestand. Da die Angeklag- 117 ten für die Fortdauer der Verhandlung – sie erschienen wie erwartet zu jedem Verhandlungstag pünktlich – nicht mehr vorgeführt werden mussten, entspannte sich die Demonstrationslage vor dem Landgericht etwas. Dennoch zog sich das Verfahren schleppend und langwierig hin.

Die Verteidigung stellte die verschiedensten Anträge, um die ihrer Mei- nung nach bewusste falsche Verdächtigung der beiden Angeklagten durch das Landeskriminalamt Hamburg und die dahinter stehende Inte- ressenrichtung zur Kriminalisierung der gesamten alternativen Szene wegen der Demonstrationen hinsichtlich der „Alten Flora“ aufzudecken. Im Laufe des Verfahrens hielt sich aber auch die Staatsanwaltschaft mit Anträgen nicht zurück.

Kernstück der Haupthandlung war die Vernehmung der vier Polizeibe- amten, von denen drei die Angeklagten durch Beobachtung von der Fußgängerbrücke in 375 m Entfernung teils mit bloßem Auge, teils auch unter Zuhilfenahme eines Fernglases eindeutig wieder erkannt haben wollten. Zu Beginn ihrer Vernehmung erschienen die Beamten nicht in ihrem gewöhnlichen Erscheinungsbild, sondern waren von professionel- len Maskenbildnern aus Hamburg geschminkt und verändert worden, was den Angeklagten natürlich sofort auffiel und nicht nur bei der Ver- teidigung und den Angeklagten auf Empörung, sondern auch bei der Schwurgerichtkammer auf – gelinde gesagt – völliges Unverständnis stieß. Die weitere Beweisaufnahme mit diesen Zeugen gestaltete sich auch deswegen schwierig, weil die Innenbehörde ihnen nur einge- schränkte Aussagegenehmigungen erteilt hatte, auf die sich die Beam- ten häufig zurückgezogen. Die Aussagegenehmigungen wurden erst nach Gegenvorstellung der Kammer teilweise ausgedehnt. Die Zeugen verweigerten auch die von der Schwurgerichtskammer auf Antrag der Verteidigung angeordneten Tonbandaufnahmen ihrer Aussagen, so dass die Kammer gezwungen war, die Zeugen mit Ordnungsmitteln zu bele- gen. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde allerdings der Be- schluss, die Aussagen auf Tonband aufzunehmen, vom Oberlandesge- richt Schleswig wieder aufgehoben.

Durch die Beharrlichkeit von Kammer und auch Verteidigung konnte schließlich aufgeklärt werden, dass die Hamburger Polizeibeamten bei der Observation des Angeklagten Knud A. einer Verwechslung aufge- sessen waren. Diese Tatsache ergab sich aus der ganzen Ermittlungsak- te zuvor nicht, weil die Polizei sie bewusst nicht dort aufgenommen hat- te. Außerdem hatten die Beamten in der Ermittlungsakte Hinweise ge- geben, wonach ihnen beide Angeklagte aus dem „Umfeld um die Unru- hen bei der Flora“ bekannt gewesen seien, was sich im Laufe der Hauptverhandlung ebenfalls als unrichtig herausstellte. Im Rahmen die- 118 ser Aufarbeitung wurden auch verschiedene Vorgesetzte der Beamten aus dem Hamburger Landeskriminalamt als Zeugen vernommen.

In der weiteren Beweisaufnahme wurde nicht nur ein Sachverständige für den Schienenverkehr angehört, um zu klären, welche Gefahr für den Zug durch die auf den Gleisen liegenden Betonplatten bestanden hatte, sondern auch ein Gutachter des Fachgebietes „Wahrnehmungs-Psycho- logie“, der auf Antrag der Verteidigung beigezogen worden war und über den so genannten „Michotte’schen Tunneleffekt“ berichtete. Dieses nach dem belgischen Wahrnehmungs-Psychologen Albert Michotte be- nannte Phänomen beschreibt, dass ein Wahrnehmungsobjekt, das bei- spielsweise eine bestimmte Zeit hinter einem Schirm verschwindet und dann auf der anderen Seite wieder sichtbar wird, vom Betrachter fast zwingend als identisches Objekt dort gesehen wird, auch wenn es hin- ter dem Schirm ausgetauscht worden ist. Der Gutachter kam zu dem Schluss, dass dieser Effekt und damit eine unbewusste Wahrnehmung auch bei den ermittelnden Polizeibeamten vorgelegen haben könnte, weil diese die beiden Angeklagten zunächst über längere Zeit beobach- tet, sie dann aber für etwa 15 min aus den Augen verloren hatten, be- vor man auf den Schienen in 375 m Entfernung erneut auf zwei Männer aufmerksam wurde, die möglicherweise den Angeklagten nur entfernt ähnlich sahen.

Mit am 8. März 1993, dem 58. Verhandlungstag, verkündeten Urteil wurden die beiden Angeklagten vom Anklagevorwurf freigesprochen, weil die Kammer auf der Grundlage der einzig zur Verfügung stehenden Belastungszeugen, nämlich der beobachtenden Kriminalbeamten aus Hamburg nicht zu der Überzeugung gekommen war, dass die Beamten tatsächlich die Angeklagten auf den Schienen beobachtet hatten. Hierzu trugen nicht nur die detailarmen Aussagen der Polizeibeamten hinsicht- lich der konkreten Wiedererkennungssituation bei, sondern auch die da- durch zu Tage getretene fehlende Selbstkritik bei Beobachtung über die große Distanz sowie die verdeckt gehaltenen Informationen und auch täuschenden Handlungen im Rahmen der Ermittlungen. Die von der Staatsanwaltschaft gegen das freisprechende Urteil zunächst einge- reichte Revision wurde nach Vorlage der schriftlichen Urteilsgründe zu- rückgenommen, so dass das Urteil noch im Laufe des Jahres 1993 rechtskräftig wurde.

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Arbeitsweise und Tätig- keit des Hamburger Landeskriminalamtes auch in diesem Verfahren und ansonsten im Zusammenhang mit den Vorgängen um die „Alte Flora“ später noch Gegenstandes eines Hamburger Untersuchungsausschusses war. 119 BEST OF LANDGERICHTSBEZIRK

Das Fußballturnier im Landgerichtsbezirk Itzehoe

DR. JÖRN HARDER

Immer am Mittwoch vor Himmelfahrt um 15.00 Uhr treffen sich die Mitarbeiter aller Gerichte des Landge- richtsbezirks Itzehoe und der Staatsan- waltschaft auf einem Stück grünen Rasen. Es geht bei diesem Termin nicht um Ak- ten und Para- graphen, sondern um etwas viel Wichtigeres: Den Pott.

Das jährliche Fußballturnier „Best of Landgerichtsbezirk“ hat sich in den letzten 4 Jahren zu einer Frage der Ehre für jedes Gericht im Landge- richtsbezirk entwickelt. War es anfangs als ein nettes ungezwungenes Justizfrühlingsfest mit einem sportlichen Rahmenprogramm angedacht, so hat sich die sportliche Komponente des Fußballturnieres inzwischen als äußerst wichtiger und zentraler Bestandteil des Treffens etabliert. Schon Wochen vorher starten überall im Landgerichtsbezirk geheime Trainings, Testspiele und Taktikbesprechungen. Themen wie Mann- schaftsaufstellung, Schwächen der Gegner und die Vorteile einer Raum- deckung raunen durch die Flure und dominieren die Kaffeerunde. Alle wissen, worum es geht: „Wir müssen gewinnen, alles andere ist pri- mär“1.

1 Legendäres Zitat von Krankl, Hans (* 14. Februar 1953 in Wien, eigentlich Johann Krankl) ist ein ehemaliger österreichischer Fußballspieler und Popsänger. Nach seiner aktiven Karriere als Spieler wurde er Fußballtrainer. Zuletzt war er Trainer des Linzer Traditionsvereins LASK in der österreichischen Bundesliga. 120 „Das sind Gefühle, wo man schwer beschreiben kann“2.

Als ich als Proberichter im Jahre 2010 für das Landgericht Itzehoe auf- laufen durfte, wurde der „Himmelfahrtsmittwoch“ für mich zu einem ganz besonderen Turnier. Denn das sportliche Großereignis stand in die- sem Jahr unter dem Untermotto: „football is coming home“ bzw. „Ret- tet den Pokal vor den Meldorfern“. Die Dithmarscher siegten sowohl im Jahre 2008 als auch im Jahre 2009. Sollte es ihnen auch möglich wer- den, im Jahre 2010 das Turnier für sich zu entscheiden, so dürften sie „den Pott“ für immer behalten (3 Siege in Folge). Soweit wollen wir es am Landgericht natürlich nicht kommen lassen. Dass das Turnier, wel- ches jedes Jahr auf dem Fußballplatz eines anderen Gerichtes stattfin- det, 2010 in Itzehoe stattfinden sollte, interpretierten wir als einen Heimvorteil für uns3.

Das Schicksal eines Proberichters ist es, dass man aufgrund wechseln- der Einsatzorte jedes Jahr einer neuen Mannschaft zugeteilt wird. Mit dem Einsatz am Landgericht hatte meine bisherige Transferhistorie je- doch ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Für mich war das Landge- richt das „Bayern München“ des Landgerichtsbezirkes. Das Landgericht ist gegenüber den Amtsgerichten die „höhere Instanz“. Unwillkürlich verbindet sich damit der Nimbus einer höheren Liga. Auch verfügt das Landgericht über einen Präsidenten und den am besten bezahlten Kader (viele R2 Stellen)4 sowie die Stadt Itzehoe über das modernste Stadion des Bezirkes.

Mein Problem bei meinem Transfer zum Landgericht war: Ich spiele zwar wahnsinnig gerne, doch bin ich in Sachen Fußball leider annähernd talentfrei. Mein einziges Anliegen war es, dass dies nicht allzu früh auf- fiel5. Entsprechend nervös war ich vor meinem Einsatz für das Landge- richt.

2 Klinsmann, Jürgen: Fussballweisheit 3 Zum Mythos des Heimvorteils vgl. Alfermann / Stoll, Sportpsychologie, Ein Lehrbuch in 12 Lektionen, Großmann/ Froböse/Frommann, Dumm kickt gut: und 44 andere Sportirrtümer. (In der Bundesligasaison 2006/07 ging nur in 43,8 Prozent der Fälle (weniger als die Hälfte!) die heimische Mannschaft als Sieger vom Platz. 4 Gewonnen hatte das Landgericht bis zum Jahre 2010 allerdings noch nichts, so dass der Vergleich mit dem Rekordmeister letztlich wohl doch hinkt. 5 Möller, (Andi) Andreas: Fussballweisheit: „Mein Problem ist, dass ich immer sehr selbstkritisch bin, auch mir selbst gegenüber." 121 „Ihr Fünf spielt jetzt vier gegen drei!“6 Taktik, Training und Auf- stellung

Mit dem Richter am Landgericht Johann Lohmann unterhielt ich mich schon Wochen vor dem Turnier über eine mögliche Aufstellung und Tak- tik des Landgerichts. „Also ich sehe mich ganz klar in der Position des Mittelstürmers“ war dessen knappe Antwort.

Ich warf ein, dass man für die Position des Mittelstürmers einige cha- rakterliche Voraussetzungen mitbringen müsse, über die mein Gegen- über wohl ersichtlich nicht verfügen dürfte.

„Und welche sollten das sein?“, fragte dieser spürbar vorwurfsvoll zu- rück.

„Nun“ entgegnete ich: „Es ist schließlich wissenschaftlich belegt, dass sich Mittelstürmer durch eine gewissen Eindimensionalität auszeichnen7. Das heißt, dass diese bei der Suche nach Entscheidungen - von Natur aus - das „Für und Wider“ nicht gegeneinander abwägen können, son- dern mehr einem animalischen Impuls folgend, den Ball mittels Klein- hirn direkt ins Tor dreschen8. Der Torerfolg hängt dabei von Millisekun- den ab. Überlegen, ob man lieber den Gegenspieler umspielt, oder ob doch besser direkt volley geschossen werden soll, ist dabei eher hinder- lich9. Wer zweimal nachdenkt hat schon verloren… verstehst?“

„Aha“ entgegnete mein Gegenüber, nickte kurz, und entgegnete darauf- hin bestimmt: „Ich bin Libero“.

„Jupp“, sagte ich.

Eine Woche vor dem Turnier war ein letztes Testspiel gegen die Staats- anwaltschaft angesetzt. Kurz vor dem Anpfiff dreht sich Dr. Flor, der Präsident des Landgerichts Itzehoe, auf dessen Rücken der Spielerna- men: „El Capitan“ zu lesen war, zu mir um und rief mir zu: „Wir spielen doch die klassische Raute, nicht wahr…?“. Dabei nickte er mir aufmun- ternd zu. Ich nickte verschwörerisch zurück.

6 Langner, Fritz: Fussballweisheit 7 Höner, Oliver Entscheidungshandeln im Sportspiel Fußball – Analyse im Lichte der Rubikontheorie, Hofmann, Schorndorf; 1., Aufl. (September 2005), a.A. offenbar: Großmann/Froböse/Frommann, Dumm kickt gut: und 44 andere Sportirrtümer. 8 Hörner, a.a.O. 9 Hörner, a.a.O. 122 Tatsächlich hatte ich keine Ahnung, was eine Raute10 – und dazu noch in ihrer „klassischen“ Variante11 - im Fußball sein sollte. Klar kannte ich die Rautetaste vom Diensttelefon, doch fiel es mir schwer, dieses Zei- chen auf das Spielfeld zu übertragen, zumal wir 6 Feldspieler und ein Torwart waren. Auch kannte ich die „Raute“ von der Flagge des HSV. Diese unterschied sich dramatisch von der Rautentaste auf meinem Diensttelefon. Was um Fritz Walters Willen konnte mein Präsident mit der Dienstanweisung „klassische Raute“ nur meinen12?

Im Vertrauen darauf, dass meine Mitspieler mit der landgerichtsintern offenbar langjährig erprobten Rautentaktik vertraut waren, beschloss ich, nach außen hin Souveränität auszustrahlen und mich ansonsten dem Spielrhythmus anzupassen. Wir verloren 7:3.

„Zuerst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu“13.

Am Turniertag herrschte waschechtes Fritz Walter Wetter14. Der einset- zende Regen tat der Begeisterung auf den Zuschauerrängen und auf dem Spielfeld jedoch keinen Abbruch. Die Richterin Gabriele Beelen- Schwalbach hatte sich mit ihrer Big Band und einigen Instrumente auf der Tribüne verschanzt und pfefferte heiße Rythmen auf’s Spielfeld15.

10 Raute, die: Meine Unkenntnis habe ich auf theoretischer Ebene inzwischen mit der einschlägigen Fußballliteratur überbrückt: Im Mittelfeld kann mit Raute (ein Defensiver, zwei Außen, ein Offensiver) oder im Quadrat (zwei Defensive, zwei Offensive) gespielt werden. Die Raute eignet sich besonders gut, wenn die Mannschaft über einen klassischen Regisseur (Landgerichtspräsidenten)verfügt, der als Offensiver die gesamte Breite ausnutzen kann und die Bälle als Spielmacher verteilt. In Abgrenzung hierzu wird mit dem Quadrat das Spielfeld für den Gegner sehr eng, und ein schneller Ballbesitz wird erzwungen. 11 Vgl. zur „Rautentaktik" die sich bei Fußballkundigen im Rahmen des 4-4-2 Systems auch als „klassisch" etabliert haben dürfte: Biermann, Christoph und Fuchs, Ulrich: Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung ändern kann: wie moderner Fußball funktioniert. 5. Auflage. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. Wilson, Jonathan: Inverting the Pyramid: The History of Football Tactics. Orion Books Ltd., London 2008. 12 Vgl. Biermann und Fuchs a.a.O. 13 Wegmann, Jürgen: Fußballweisheit 14 Benannt nach Walter, Fritz: Kapitän der Weltmeistermannschaft der WM 1954. Damit ist das regnerisches Wetter gemeint, das er zum Spielen vorzog. Er hatte sich im Zweiten Weltkrieg mit Malaria angesteckt, deshalb fiel es ihm schwer, bei Hitze zu spielen. Außerdem spielte er bei schwerem, nassem Boden seine Technik aus (so auch während des Endspiels der WM 1954, bei dem es ausdauernd regnete). „Fritz, Ihr Wetter." – „Chef, ich hab' nichts dagegen." (Walter, Fritz vor dem Endspiel zu Herberger, Sepp) 15 Zum Einfluss musikalischer Unterstützungen siehe: Ewald, Isabelle, Fangesänge beim Fußball - Darstellung und Analyse musikalischer Handlungen von Fußballfans bei Heimspielen des Hamburger Sportvereins im Jahre 2005 (Oktober 2007), Dresher, B. E. und Friedberg, Nila, Formal Approaches to Poetry. Recent Developments in Metrics (Phonology and Phonetics [Pp]), Lavric, Eva, Pisek, Gerhard, Skinner, Andrew C. und Wolfgang Stadler, The Linguistics of Football; Kopiez, Reinhard und Brink, Guido, Fußball-Fangesänge.: Eine Fanomenologie (incl. CD) 123 Auf diesem hatten sich Dr. Bernhard Flor, Dr. Bernhard Henneberg, Dr. Riever Nagel, Anne-Katrin Bärhold, Lysann Mardorf, Johann Lohmann, Nils Giffhorn, Michael Kreuzig, Frank Struve, Christian Vollert, Peter Kleiß, Peter Niedermeier und ich eingefunden, um für das Landgericht den Pokal 2010 zu erstreiten.

Für das erste Spiel gegen die Staatsanwaltschaft hatten wir uns vorge- nommen, kein Gegentor zu kassieren. Das klappte bis zum ersten Ge- gentor auch ganz gut16. Die Staatsanwaltschaft führte bereits nach we- nigen Minuten 2:017. Ich sehe noch immer vor mir, wie die Stürmer der Staatsanwaltschaft im Zuge des Torjubels bäuchlings über den nassen Rasen rutschten. Im Anschluss spielten wir gegen das Sozialgericht. Dieses Gericht, das aufgrund der geringen Mitarbeiterzahl traditionell über einen sehr kleinen Kader verfügt, war eine leichte Beute. Michael Kreuzig schoss das Landgericht mit dem 1:0 sehenswert in Führung. Johann Lohmann erhöhte kurz darauf durch einen gezielten Schuss ins obere linke Eck auf 2:0.

Mit diesem Sieg stand unser Einzug in die Endrunde fest. Um uns für das Halbfinale zu qualifizieren, mussten wir gegen das Amtsgericht Elmshorn antreten. Doch auch nach 12 regulären Spielminuten und 5- minütiger Verlängerungsphase kamen beide Mannschaften nicht über ein 0:0 hinaus. Die Entscheidung brachte schließlich das Neunmeter- schiessen. Michael Kreuzig vom Landgericht versenkte seinen Schuss als erster souverän in den Maschen des Elmshorner Schlussmanns. Die Elmshorner glichen aus.

Für uns stellte sich die Frage, wer die Bürde des nächsten Schusses übernehmen sollte. Das Halbfinale war in greifbare Nähe gerückt und die Spannung auf dem Platz mit Händen zu greifen. Ich hätte in dieser Situation nichts dagegen gehabt, das Itzehoer LG ins Halbfinale zu brin- gen. Doch als ich in mich hinein horchte, spürte ich deutlich, wie mir das Fußballerherz längst in die Hose gerutscht war. Zu einem beherzten Schuss, fühlte ich mich einfach nicht in der Lage. Ich gab die Kirsche18 deshalb an Johann Lohmann weiter. Dieser streichelte das Leder, nahm wenige Schritte Anlauf und semmelte den Ball beherzt und deutlich über das Elmshorner Tor hinaus. Er schoss diesen soweit in den Itzeho-

16 Häßler, Thomas: Fussballweisheit 17 Ristic, Aleksander: Fussballweisheit: „Für uns war damit klar, dass wenn man ein 0:2 kassiert, ein 1:1 nicht mehr möglich ist." 18 Frei nach Emmerich, Lothar (ehem. Nationalsp.), der mit der Aufforderung: „Gib mich die Kirsche!" den Ball von seinen Mitspieler zu fordern pflegte. Überliefert ist von ihm auch: „Ich habe nie lange gefackelt, die Kartoffel immer sofort auf die Bude geballert." 124 er Abendhimmel, dass der Zeugwart des Itzehoer SV 09 den Ball ver- mutlich noch heute sucht19.

Die Elmshorner versenkten ihren Schuss – davon unbeeindruckt- er- neut.

In dieser brenzligen und für die Mannschaft entscheidenden Situation riss ein weiterer Kollege20, das Ruder entschlossen an sich. Klar hätte dieser den Ball jetzt nehmen und lässig im Tor versenken können. Doch das wäre zu einfach und zu kurz gedacht.

Denn die Situation legte es nahe, dass – selbst im Falle eines Treffers - es am Ende immer noch dabei geblieben wäre, dass der verschossene Neunmeter uns das Halbfinale gekostet hätte. Johann Lohmann hätte dann allein die Last zu tragen gehabt und müsste damit dann auch für alle Zeit leben.

Im Zuge einer sehr großen sportlichen und zugleich vorausschauenden Geste zeigte sich der Kollege sodann spontan solidarisch mit dem ohne- hin schon gebeutelten Johann Lohmann und befreite diesen aus seinem Dilemma. Zunächst deutete nichts darauf hin. Der Kollege legte sich den Ball auf den Neunmeterpunkt vor, visierte das Tor an, nahm Anlauf und… verzog den Ball dann leicht und für den Uneingeweihten kaum er- kennbar - aber doch ausreichend - so dass das Leder letztlich knapp am Elmshorner Tor vorbeirauschte.

Mit diesem verschossenen Neunmeter wurden zugleich Fakten geschaf- fen und die Hälfte der Last augenblicklich von Johanns Schultern ge- nommen.

Quasi gleichzeitig hatte sich damit allerdings das Projekt „Pott 2010“ für uns vom Landgericht erledigt.

„Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken!"21

Wir sagten zunächst nichts, nahmen uns ein Würstchen vom Grill, freu- ten uns, dass es endlich aufgehört hatte zu regnen, und sahen den Mel- dorfern zu, wie sie im Finale die Elmshorner bezwangen. Dabei versi-

19 Vgl. statt vieler: Baggio, Roberto, ital. Superstürmer welcher im WM Finale gegen Brasilien den letzten entscheidenden Elfmeter verschoss. 20 Der Name ist der Redaktion bekannt. 21 Matthäus; Lothar: Fussballweisheit 125 cherten wir uns in zahlreichen Gruppengesprächen22 immer wieder, dass wir eigentlich gar nicht mal so schlecht gespielt hatten, und dass Fußball aber heute wirklich auch nicht alles sei. Das Fußballturnier ist doch vielmehr ein nettes ungezwungenes Justizfrühlingsfest mit einem sportlichen Rahmenprogramm!

Also gingen wir und genossen den Abend. Wir trafen Kollegen aus an- deren Gerichten, mit denen wir im Verlaufe des Jahres seltener die Ge- legenheit fanden, einmal ins Gespräch zu kommen und plauschten über dies und das. Auch über das Turnier wurde gelegentlich gesprochen … nur über die verschossenen Neunmeter von Johann Lohmann und des Kollegen wurde andächtig geschwiegen23.

22 Irvin D., Yalom, Junek, Teresa, Kierdorf, Theo und Theusner-Stampa, Gudrun, Theorie und Praxis der Gruppentherapie. Ein Lehrbuch (Leben Lernen 66). 23 Schützenhöfer, Louis: Die Kunst des Verdrängens: Glücklich ist, wer vergisst. 126 STAATSANWALTSCHAFT ITZEHOE 1987 - 2012

PETER MÜLLER-RAKOW

Die am 1. Mai 1987 erschienenen Schleswig-Holsteinischen Anzeigen hatten - neben den üblichen amtlichen Veröffentlichungen, Personal- nachrichten und Ausschreibungen - nur ein Thema: 50 Jahre Landge- richt und Staatsanwaltschaft in Itzehoe.

Oberstaatsanwalt Wolfgang Neumann hat in der Ausgabe die Geschich- te und tägliche Arbeit der Staatsanwaltschaft Itzehoe in den Jahren 1937 bis 1987 ausführlich geschildert. Daran knüpft der vorliegende Beitrag an.

Die seither verstrichenen 25 Jahre waren für die Staatsanwaltschaft It- zehoe durch teilweise gravierende Veränderungen geprägt.

Ein Blick in die Statistik verdeutlicht die erhebliche Steigerung der Ar- beitsbelastung. Während im Jahr 1987 22.568 Js-Verfahren bearbeitet worden sind, sind es im Jahr 2011 30.229 gewesen. Diese Entwicklung hat insbesondere in den letzten Jahren einen Höhepunkt erreicht. Seit 2004 sind jährlich über 30.000 Js-Verfahren bearbeitet worden, im Jahr 2003 sind es noch 27.673 Js-Verfahren gewesen. Über die bloße Anzahl der Verfahren hinaus muss selbstverständlich auch die Qualität der ein- zelnen Verfahren betrachtet werden. Die Komplexität der Verfahren hat in den vergangenen Jahren zugenommen, da sich das Erscheinungsbild der Kriminalität gewandelt hat: Gab es früher den Einbrecher und Un- terhaltspflichtverletzer, so gibt es heute den Täter, der bei Vorbereitung und Ausführung von Straftaten Computer und Internet sowie Mobiltele- fone benutzt.

Vielfach arbeiten mehrere Täter hochgradig strukturiert zusammen. Zu- dem hat sich das Anzeigeverhalten der Bevölkerung geändert. Aufgrund der vorgenannten Umstände haben sich sowohl Ermittlungsaufwand als auch Bearbeitungszeit der einzelnen Verfahren verändert. Korrespon- dierend mit Anzahl und Qualität der Verfahren ist auch die Belastung durch den Sitzungsdienst gestiegen.

Eine ausgewogene Bewertung der Entwicklung der Arbeitsbelastung setzt auch einen Blick auf die Anzahl der Dezernenten voraus. 1987 sind bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe 24 Staatsanwälte und 8 Amts- anwälte tätig gewesen. Beide Zahlen gelten auch - trotz des deutlichen Anstiegs der zu bearbeitenden Js-Verfahren - für das Jahr 2011! In den 127 dazwischen liegenden Jahren hat es lediglich geringe Änderungen (nach oben und unten) dieser Zahlen gegeben.

Dem veränderten Erscheinungsbild der Kriminalität, den auf den Fort- schritten der Kriminaltechnik beruhenden neuen Ermittlungsmethoden sowie den gestiegenen gesellschaftlichen Ansprüchen an die Strafverfol- gung ist durch vermehrte Einrichtung von Sonderdezernaten Rechnung getragen worden. So haben neben den klassischen Sonderdezernaten wie Kapitalverfahren, Politische Verfahren und OK-Verfahren Dezernate wie Computer- und Internetverfahren, Verfahren betreffend Intensivtä- ter, DNA-Verfahren und Finanzermittlungen in den letzten Jahren Ein- gang in den Geschäftsverteilungsplan der Staatsanwaltschaft Itzehoe gefunden. Auch ein Dezernat „Kinderschutz“, welches Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, Verletzung der Fürsorge- oder Er- ziehungspflicht und Misshandlung von Schutzbefohlenen umfasst, ist eingerichtet worden. Durch dem speziellen Bereich der jeweiligen De- zernate entsprechende Fortbildungsveranstaltungen wird eine sachge- rechte Verfolgung auch außergewöhnlich komplexer Straftaten gewähr- leistet.

Im Zusammenhang mit den vorstehenden Ausführungen ist auch auf die durch die Staatsanwaltschaft Itzehoe aktiv betriebenen kriminalpoli- tischen Projekte hinzuweisen:

Sie ist neben dem Fachdienst für Jugend und Familie und der Schulauf- sicht des Kreises Pinneberg federführender Partner des seit 1998 bei der damaligen Polizeiinspektion Pinneberg angesiedelten „Projektes Raub“ gewesen. Entscheidend für die Entwicklung dieses Projektes war der zwischen 1987 und 1997 in der polizeilichen Kriminalstatistik des Kreises Pinneberg verzeichnete deutliche Anstieg von Raubdelikten im Bereich der Jugendkriminalität. Zwecks Feststellung belastbarer Dun- kelfelddaten ist 1999 eine an 23.500 Schüler von 55 weiterführenden Schulen des Kreises Pinneberg gerichtete aufwendige Fragebogenaktion erfolgt. In den darauffolgenden Jahren konnte das gesteckte Ziel - deutliche und nachhaltige Reduzierung der tatsächlichen Fallzahlen - er- reicht werden.

Der Notwendigkeit effizienter Strafverfolgung ist durch das sogenannte vorrangige Jugendverfahren Rechnung getragen worden. Im Rahmen dessen werden Arbeitsabläufe zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Ju- gendgerichtshilfen und Gerichten optimiert, was zu einer schnelleren Aufarbeitung der strafbewehrten Sachverhalte beiträgt. Das vorrangige Jugendverfahren hat sich bei der Verfolgung von Intensivtätern, bei mit erheblichen Gewalteinwirkungen verbundenen Straftaten und zum 128 Schutz der Tatopfer vor der Gefahr von Wiederholungen uneinge- schränkt bewährt.

Seit 2007 treibt die Staatsanwaltschaft Itzehoe das Pilotprojekt „Fall- konferenzen aus Anlass von Ermittlungsverfahren gegen jugendliche und heranwachsende Mehrfach- und Intensivtäter“, welches auf einem bei dem Generalstaatsanwalt in Schleswig entwickelten Konzept beruht, voran. Um die Entstehung bzw. Verfestigung „krimineller Karrieren“ zu verhindern, werden auf Initiative der Staatsanwaltschaft Fallkonferen- zen, an denen Polizei, Schulen, Täter und gegebenenfalls Erziehungsbe- rechtigte sowie unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles auch weitere Personen / Institutionen teilnehmen, einberufen. Die Einbezie- hung der unterschiedlichen Beteiligten bietet die Chance, die unter Um- ständen gegenläufige Wirkung gleichzeitig getroffener Einzelmaßnah- men zu vermeiden. Ergebnis der Zusammenarbeit ist eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Teilnehmern über die vorzunehmenden Maßnahmen, die künftig ein rechtstreues Verhalten und eine nachhalti- ge Änderung der Lebenssituation des Jugendlichen / Heranwachsenden ermöglichen sollen.

Ebenfalls im Bereich des Jugendstrafrechts angesiedelt sind die Projekte AGGAS (Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt an Schulen) und die Zu- sammenarbeit Justiz / ARGE / Agentur für Arbeit. Ersteres wird an Schulen in den Kreisen Pinneberg und Steinburg betrieben und beinhal- tet einen intensivierten Kontakt zwischen Schulen, Polizei und Jugend- dezernenten. Dies gewährleistet zeitnahe Reaktionen auf Straftaten im Bereich der Gewaltkriminalität, was zugleich die Gefahr von Wiederho- lungstaten minimiert. Das zweitgenannte Projekt, welches von der Staatsanwaltschaft Itzehoe seit 2009 im Kreis Pinneberg geführt wird, fördert die arbeitsmarktliche Integration delinquenter Jugendlicher und Heranwachsender.

Das letzte Projekt, auf welches hier der Blick gerichtet werden soll, ist die täterorientierte Strafverfolgung. Seit 2010 wird im Rahmen dessen gezielt ausgewählten jungen erwachsenen Intensivtätern sowohl ein fe- derführender polizeilicher als auch staatsanwaltlicher Dezernent zuge- ordnet. Durch die daraus resultierende Vermeidung von Informations- verlusten wird der Kontroll- und Verfolgungsdruck erhöht, wodurch wie- derum der Verfestigung „krimineller Karrieren“ entgegengewirkt wird.

Die erfolgreiche Arbeit der Dezernenten ist natürlich nicht ohne enga- gierte Unterstützung sämtlicher Mitarbeiter der Behörde denkbar. Um- sichtige Zusammenarbeit und optimale Gestaltung der Arbeitsabläufe gewährleisten die Bearbeitung der Ermittlungsverfahren in angemesse- 129 ner Zeit. Exemplarisch sei auf die bereits in den 90er Jahren begonnene Schaffung von Serviceeinheiten im Geschäftsstellenbereich, die flächen- deckend zuerst bei der Staatsanwaltschaft Itzehoe abgeschlossen wor- den ist, hingewiesen. Dies bedeutet, dass mittlerer Dienst und Schreib- dienst die Aufgaben der Geschäftsstelle gemeinsam erledigen. Dadurch wird eine gesicherte Vertretung in Urlaubszeiten, bei Dienstbefreiungen und in Krankheitsfällen gewährleistet. Die Anzahl der Mitarbeiter des mittleren Dienstes ist in den hier betrachteten Jahren stetig gewachsen. 1987 waren es noch 32 Mitarbeiter, 1995 bereits 38 und 2011 41 Mitar- beiter. Im Vergleich dazu ist die Anzahl der Mitarbeiter des Schreib- dienstes zurückgegangen. 1987 waren es 18, 2011 nur noch 14 Mitar- beiter.

Auch die räumlichen Verhältnisse haben erheblichen Einfluss auf die Qualität der täglichen Arbeit. Anfang 1973 hat die Staatsanwaltschaft im Holstein-Center angemietete Räumlichkeiten bezogen. Zunächst sind 3 Etagen genutzt worden, später waren es sogar 5 Etagen. Die Büros waren in für Wohnzwecke konzipierten Räumen untergebracht, der Ak- tentransport erfolgte mit Hilfe des öffentlich zugänglichen Fahrstuhls und das Archiv befand sich in einem abgetrennten Teil der Tiefgarage des Holstein-Centers. Die durch die räumlichen Gegebenheiten beding- ten Verhältnisse entsprachen Anfang der 90er Jahre nicht mehr den Be- dürfnissen moderner staatsanwaltschaftlicher Arbeit. Zudem kam es zur Kündigung des Mietvertrages durch den Vermieter.

Nachdem der für 1994 vorgesehene Neubau eines Justiz-Zentrums - Land- und Sozialgericht sowie Staatsanwaltschaft sollten in einem ge- meinsamen Gebäudekomplex untergebracht werden - aus Budgetgrün- den gescheitert war, musste kurzfristig eine andere Unterbringungs- möglichkeit gefunden werden. Eine Lösung bot sich mit der Anmietung des Gebäudes Feldschmiedekamp 2 an. Zwischen 1837 und 1964 ge- hörte jenes Gebäude zum Gelände der Kaffee-Großrösterei Christian Conrad von Holstein. 1968 wurde das gesamte Fabrikgelände an die Bauherren des Holstein-Centers verkauft. Das Gebäude Feldschmiede- kamp 2 wurde Anfang der 70er Jahre in das Holstein-Center integriert, mit einer Blechfassade versehen und in ein Möbelhaus umfunktioniert. Die nunmehr geplante Nutzung des Gebäudes erforderte umfangreiche Veränderungen. Die Notwendigkeit des umfassenden Umbaus eröffnete andererseits die Möglichkeit, den Innenausbau den speziellen Erforder- nissen der staatsanwaltschaftlichen Arbeit anzupassen. Die Freiheit der Planung erfuhr durch die baulichen Gegebenheiten jedoch einige Ein- schränkungen. Umplanungen wurden z. B. durch die Notwendigkeit ei- ner Brandschutzmauer zu einem in unmittelbarer Nachbarschaft gele- genen Fachwerkhaus erforderlich. Da eine Brandschutzmauer nicht mit 130 Fenstern versehen werden darf, konnten im Bereich dieser Wand lediglich Sanitär- und Lagerräu- me untergebracht werden. Die Kellerräume waren für die Un- terbringung des Archivs geeig- net. Nach Entfernung der am Gebäude angebrachten Blech- verkleidung wurde eine dem ur- sprünglichen Erscheinungsbild des Fabrikgebäudes nachemp- fundene architektonisch anspre- chende Klinkerfassade geschaf- fen. Somit stellt das Gebäude eine sichtbare Bereicherung des Feldschmiedeareals dar.

Am 12. September 1996 ist Richtfest gefeiert worden, in der Woche vom 9. bis zum 13. De- zember 1996 sind die neuen Diensträume bezogen worden. Die Baukosten beliefen sich auf insgesamt 8,7 Millionen DM. Unter Beteiligung des Justizmi- nisters Gerd Walter, des Generalstaatsanwalts Prof. Dr. Heribert Osten- dorf, der Leitenden Oberstaatsanwältin Dr. Holle Eva Löhr, des Bauher- ren Dr. Wulf-Dieter Greverath sowie des Bürgermeisters der Stadt Itze- hoe und des Kreispräsidenten hat am 6. Februar 1997 die feierliche Ein- weihung des Gebäudes stattgefunden. Die im Vorfeld erfolgten sorgfäl- tigen Planungsarbeiten und deren Umsetzung gewährleisteten nun- mehr eine in zeitlicher und organisatorischer Hinsicht optimale Ge- staltung der Arbeits- abläufe.

Aus Anlass des Umzu- ges ist eine weitgehen- de Neuausstattung der Staatsanwaltschaft mit insgesamt 89 PCs er- 131 folgt. Die Erstellung des neuen PC-Netzes war eine ausgesprochen um- fangreiche Aufgabe, die zur reibungslosen Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes im neuen Gebäude selbstverständlich unmittelbar nach dem Einzug geleistet werden musste. Hier wird ein weiterer Umstand, der die Arbeitsabläufe in den vergangenen 25 Jahren erheblich geprägt hat, deutlich. Anfang der 90er Jahre ist im Rahmen der damals neuen Computertechnologie das auf Schreibautomaten-Texten beruhende Schreibprogramm BUTLER zum Einsatz ge- kommen. Zusammen mit dem zunächst nur auf den Geschäftsstellen genutzten Programm GAST (Geschäftsstellenautomation) stellte es eine weitreichende Veränderung des Arbeits- ablaufes auch der Dezernenten dar. 1997/ 1998 ist das MESTA-Programm (Mehrländer- Staatsanwaltschafts-Automation) eingeführt worden, welches das Aktenkontrollprogramm GAST bei den Geschäftsstellen abgelöst hat. Nunmehr konnten sich auch die Dezernenten unter Verwendung der MESTA-Auskunftsmaske über den Sachstand der landesweit in Schles- Hans-Dieter Räfler wig-Holstein geführten Verfahren informieren. Behördenleiter der Weitere Verbesserungen der Arbeitsabläufe Staatsanwaltschaft Itzehoe haben sich durch Einführung des MESTA- von 1971 bis 1990 Schreibwerks, von MESTA-Text und durch die Nutzung der Spracherkennungssoftware DRA- GON ergeben.

25 Jahre sind eine lange Zeit. Natürlich erge- ben sich in einem solchen Zeitraum für eine Behörde wie die Staatsanwaltschaft Itzehoe prägende personelle und strukturelle Verände- rungen. In diesen Zeitraum fiel der Prozess der deutschen Wiedervereinigung. Im Jahr 1994 sind alle Abteilungsleiter und Dezernen- ten für einige Monate mit 1/5 ihrer Arbeits- kraft an die noch im Aufbau befindliche und stark überlastete Staatsanwaltschaft Rostock zur Unterstützung abgeordnet worden. Am 15. Oktober 1990 hat Leitende Oberstaatsan- wältin Dr. Holle Eva Löhr die Nachfolge des Leitenden Oberstaatsanwalts Hans-Dieter Räf- Dr. Holle Eva Löhr ler angetreten. Leitende Oberstaatsanwältin Behördenleiterin der Dr. Löhr war und ist bis heute die erste und Staatsanwaltschaft von 1990 bis 2006 einzige Frau, die in Schleswig-Holstein eine 132 Staatsanwaltschaft geführt hat.

Im Jahr 2002 ist die vierte Abteilung der Staatsanwaltschaft Itzehoe, deren Gegenstand u. a. Verfahren gegen Jugendliche und Heranwach- sende sowie Jugendschutzsachen, Vergewaltigungsverfahren und Straf- vollstreckungs- und Gnadensachen waren, in zwei Gruppen mit über- einstimmenden Aufgabenbereichen aufgeteilt worden. Am 1. Oktober 2006 hat Leitender Oberstaatsanwalt Wolfgang Zepter die Behördenlei- tung übernommen.

Da ich die Geschichte der Staatsanwaltschaft Itzehoe über einen großen Teil des Zeitraumes, mit welchem sich der vorliegende Beitrag beschäf- tigt, nicht selber verfolgen konnte, war ich bei der Recherche auf die tatkräftige Mithilfe von Mitarbeitern und Kollegen angewiesen, denen ich herzlich danken möchte. 133 DAS LANDGERICHT HEUTE

DR. BERNHARD FLOR

Schaut man allein auf die die durch das Landgericht generierten Ein- nahmen und Ausgaben, dann könnte das Landgericht heute mit seinen Einnahmen in Höhe von 2,8 Millionen Euro durchaus als mittelständi- sche Unternehmen vorgestellt werden. Leider müsste das Landgericht als Firma aber auch sogleich Insolvenz anmelden, da es nur etwa 28% der Gelder einnimmt, die es ausgibt. Den Einnahmen stehen Kosten von etwa 9,8 Millionen gegenüber. Auf diese Kosten entfallen etwa für Pro- zesskostenhilfe, Sachverständige, Dolmetscher und weitere Auslagen in Rechtssachen rund 1,6 Millionen Euro. Die Personalkosten bilden mit ca. 70% oder rund 6,9 Millionen Euro den größten Ausgabeanteil.

Die Aufgabe der Justiz besteht aber zum Glück nicht darin, den Staats- haushalt zu entlasten. Natürlich ist auch die Justiz der sparsamen Hau- haltsführung verpflichtet, ihre Aufgabe aber besteht in erster Linie da- rin, mit ihren Möglichkeiten der autoritativen Streitentscheidung und der Herbeiführung und Vermittlung einvernehmlicher Lösungen ein zivi- lisiertes Zusammenleben zu sichern. Als Kitt der Gesellschaft ist Justiz in ihren vielfältigen Ausformungen der Garant eines auf der Geltung des Rechts basierenden friedlichen Zusammenlebens.

Justiz findet täglich statt. Würde man alle Bürgerinnen und Bürger, die während eines Jahres im Landgerichtsbezirk Itzehoe unmittelbar an Ge- richtsverhandlungen teilnehmen, in ein Fußballstadion leiten, dann müsste man aus Kapazitätsgründen schon den Camp Nou in Barcelona auswählen. Denn selbst bei einer Begrenzung der Betrachtung allein auf die im letzten Geschäftsjahr eingegangenen 8.049 Zivilverfahren und 5.295 Familiensachen bei den Amtsgerichten sowie die 2.679 Zivilver- fahren bei dem Landgericht sind über 80.000 Menschen unmittelbare Teilnehmer einer Gerichtsverhandlung. Hierbei gehe ich konservativ von durchschnittlich fünf unmittelbar beteiligten Menschen aus - zwei Par- teien, zwei Rechtsanwälte und ein Zeuge. Jeder Beteiligte dürfte mit mindestens zwei Personen seines Vertrauens über dieses Erlebnis spre- chen, so dass weitere 160.000 Menschen mittelbar eigene Eindrücke von einer Gerichtsverhandlung haben. Die Zahl ist zwar frei nach Chur- chill etwas geschönt, da natürlich diverse Kläger oder auch Beklagte in mehreren Prozessen beteiligt sind und gerade die Prozessbevollmäch- tigten eine Vielzahl von Prozessen begleiten, aber die Aussage ist klar: Justiz findet vor Ort statt, wird vor Ort erlebt und vor Ort verantwortet. 134 Und Justiz findet nicht nur im Gerichtssaal statt. Insbesondere mit den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern sowie den Kräften in den Servi- ceeinheiten kommen die Bürgerinnen und Bürger dann in direkten Kon- takt, wenn es um die - erstinstanzlich in alleiniger Zuständigkeit der Amtsgerichte liegenden - Fragen und Anträge rund um das Grundbuch, den Nachlass, die Vollstreckung, das Handelsregister und die Betreuung geht.

33 Richterinnen und Richter, 9 Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, 33 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Serviceeinheiten, 10 Wacht- meisterinnen und Wachtmeister sowie 15 Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer arbeiten zum Stichtag 01.01.2012 beim Landgericht Itzehoe.

Im gesamten Landgerichtsbezirk mit den Amtsgerichten Pinneberg, Elmshorn, Itzehoe und Meldorf sind es insgesamt 98 Richterinnen und Richter, 94 Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, 30 Gerichtsvollziehe- rinnen und Gerichtsvollzieher, 255 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Serviceeinheiten 36 Wachtmeisterinnen und Wachtmeister sowie 15 Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer.

Sie alle sind gemeinsam die wirkmächtigste Visitenkarte der Justiz, denn die 564.000 Bürgerinnen und Bürger des Landgerichtsbezirks er- leben Justiz im unmittelbaren Kontakt mit den bei Gerichten tätigen Menschen. Dies ist eine gewaltige Herausforderung, Verpflichtung und Verantwortung, derer wir uns alle sehr bewusst sind.

Aufgabe der Justizverwaltung – sei es im Ministerium, beim Oberlan- desgericht, beim Landgericht und den Amtsgerichten - ist es, den Rich- terinnen und Richter, denen die rechtsprechende Gewalt anvertraut ist, den Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern sowie den weiteren Ent- scheidern die personellen, organisatorischen und logistischen Möglich- keiten zu gewährleisten, die sie benötigen, um ihren Aufgaben verant- wortungsvoll und in möglichst angemessener Zeit nachzukommen. Die Verteilung dieser Ressourcen geschieht im vertrauensvollen Zusammen- wirken der verschiedenen Entscheidungs- und Mitbestimmungsebenen.

Hier ist nicht der Ort, um über Sach- und Personalforderungen zu schreiben. Nur soviel: Es ist erfreulich, dass Schleswig Holstein sich seit vielen Jahren in der Tendenz erfolgreicher um die sächliche und perso- nelle Ausstattung der Justiz gekümmert hat als viele andere Bundeslän- der – möge es auch und gerade im Interesse der Rechtssuchenden da- bei bleiben. 135 Bei der technischen Unterstützung gab es im Vergleich zu den früheren Jahren eine elementare Veränderung. Eine für jede Mitarbeiterin und je- den Mitarbeiter vorgehaltene umfassende IT Ausstattung ist mittlerwei- le ebenso selbstverständlich, wie der individuelle und unbegrenzte Zu- gang zum Internet und zu den relevanten juristischen Datenbanken.

Organisatorisch war es sehr sinnvoll, die Arbeitsabläufe schon seit der 1996 begonnenen Einführung der Fachanwendung MEGA von der eher anonymen und strikt arbeitsteiligen Aufteilung und Trennung zwischen Richter, Rechtspfleger, Geschäftsstelle und Schreibkraft hin zu einer ein- heitlichen Bearbeitung durch eine möglichst auch räumlich beieinander liegende Serviceeinheit fortzuentwickeln. Die Arbeit in den Serviceein- heiten wird immer anspruchsvoller und orientiert sich tendenziell an der Idee der Richterassistenz – dies gilt es auszubauen.

Das Landgericht befand sich 67 Jahre an seinem ursprünglichen Stand- ort im Westerhof und dem später hinzugekommenen „Neubau“ an der Breitenburger Straße. Der aus baulichen Gründen notwendig gewordene Umzug vom Westerhof in das alte Postgebäude am Theodor Heuss Platz im Jahre 2004 war nicht unumstritten – viele trauerten der einmaligen Lage des Gebäudes im Park nach. Mit dem Einzug verstummten aber die kritische Stimmen schnell, denn der Zustand der Bausubstanz, die Helligkeit und Leichtigkeit der Säle und Räume, die direkte Anbindung zu Busbahnhof und zum Bahnhof stellen das Gericht als ein transparen- tes Gebäude dorthin, wo es hingehört: In die Mitte der Gesellschaft.

Die neuen Räumlichkeiten mit vielen leeren Wänden waren dann ein letzter Anstoß zur Gründung des Vereins Justiz und Kultur. Unter dem Vorsitz von Frau Krix wurde damit eine Idee aufgenommen, die schon in den 90er Jahren durch Frau Görres Ohde erfolgreich im Westerhof verfolgt wurde. Der Verein, dessen Leitung Herr Wullweber im Jahr 2008 übernommen hat, hat bislang 31 Kunstausstellungen und 24 Le- sungen organisiert.

Er hat überdies eine mit dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs Pro- fessor Hirsch, dem Journalisten Bommarius, Herrn Innenminister aD Baum und der seinerzeitigen Präsidentin des Oberlandesgerichts Gör- res–Ohde hochrangig besetzte Veranstaltungen zum Richterbild des Grundgesetzes sowie Veranstaltungen zur NS Justiz und zur Geschichte der Heimerziehung in Schleswig Holstein realisiert.

Die Richterinnen und Richter verstehen sich nicht nur als Streitentschei- der, sondern sehen die friedensstiftende Wirkung des Rechts auch und gerade in der Herbeiführung und Förderung einvernehmlicher Lösun- 136 gen. Mit viel Begeisterung, Engagement und Schwung wurde daher im Jahre 2006 das Angebot der gerichtsinternen Mediation geschaffen, um in geeigneten Fällen neben der sinnvollen und schon seit jeher geübten Praxis der Vergleichsgespräche im Rahmen einer streitigen Verhandlung mit einem ergänzenden Ansatz zur Streitlösung beizutragen.

In einem Mediationsverfahren unterstützt ein - nicht zur Entscheidung berufener – fortgebildeter Kollege, als Mediator bei Kaffee und Keksen in einem strukturierten Gespräch mit den Parteien diesen dabei zu hel- fen, eine eigenverantwortlich entwickelte Streitlösung zu finden.

Die Akzeptanz steigerte sich jährlich. 2011 wurden 114 Anfragen ge- stellt, bei 91 Verfahren gaben beide Parteien die Zustimmung, sich auf das Verfahren einzulassen; 64 der im Jahre 2011 durchgeführten Medi- ationsverhandlungen endeten mit einem Vergleich.

Eine gewisse Fassungslosigkeit verursacht daher nicht nur bei den ge- richtlichen Mediatorinnen und Mediatoren, dass das Gesetz zur Förde- rung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Kon- fliktbeilegung die gerichtliche Mediation von der Landkarte nehmen will.

Dieses in ganz Schleswig Holstein und vielen anderen Bundesländern mittlerweile fest und erfolgreich etablierte Modell der Streitschlichtung soll abgeschafft und in ein Güterichtermodell überführt werden.

Es fällt schwer zu verstehen, warum und auf wessen Betreiben der Bun- desgesetzgeber derart auf den Erfolg gerichtlicher Mediation reagiert. Wir werden aber innerhalb des neuen gesetzlichen Rahmens alles ver- suchen, um die in der Methode der gerichtsinternen Mediation für alle Beteiligten liegenden Chancen weiterhin zu realisieren.

Spannend ist sicher, ob und wie sich die mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Er- mittlungsverfahren einhergehenden Möglichkeiten der Verzögerungsrü- ge und einer Entschädigungsklage auf die tägliche Praxis auswirken wird. Die durchschnittliche Verfahrensdauer ist mit knapp 9 Monaten si- cher sehr angemessen; wir wissen aber alle, dass die Beteiligten einiger Verfahren aus differenziert zu bewertenden Gründen zu lange auf eine Entscheidung warten müssen.

Abschließend ein persönliches Wort:

Ich hatte das Glück, mit Wirkung zum 01. August 2004 zum Präsiden- ten des Landgerichts Itzehoe gewählt zu werden. Ich habe ein von 137 Herrn Mackenroth und Frau Krix vorzüglich bestelltes Haus vorgefun- den.

Die Kollegialität in und zwischen allen Diensten, die Fähigkeit und die Bereitschaft, anstehende Probleme zu lösen, die von Respekt, Ernsthaf- tigkeit, aber auch der notwendigen Lockerheit und Spontanität geprägte Zusammenarbeit mit der Anwaltschaft, mit den Amtsgerichten, dem Oberlandesgericht und den anderen Land- und Präsidialamtsgerichten, dem Ministerium und den örtlich ansässigen Behörden sind immer wie- der Grund zur Freude. Das und die kreativen Prozesse in der richterli- chen Arbeit lassen mich fast jeden Tag gerne zur Arbeit gehen. 138 MITARBEITER/INNEN DES LANDGERICHTS ITZEHOE AM 1.4.2012

Name Dienstbezeichnung

Ahsbahs, Peter Vorsitzender Richter am Landgericht Albat, Gabriele Justizamtsinspektorin Allewelt, Nicole Bewährungshelferin Andresen, Andreas Justizamtsrat (Bewährungshelfer) Andresen, Ulrike Justizangestellte Anhut, Peter Oberregierungsrat Assenheimer, Adalbert Erster Justizhauptwachtmeister Balk-Schwipps, Gisela Justizangestellte Bärhold, Anne-Katrin Richterin am Landgericht Beckmann, Karen Justizsekretärin Beelen-Schwalbach, Gabriele Richterin am Landgericht Berg, Anne Dr. Richterin Bobeth-Wagner, Dirk Joachim Erster Justizhauptwachtmeister Bottke, Britta Richterin am Landgericht Boyke, Reinhard Richter am Landgericht Braasch, Hans-Joachim Bewährungshelfer Breiholz, Evelyn Justizamtsinspektorin Domin, Gunter Bewährungshelfer Dreier, Melanie Justizamtfrau Eichhorst, Markus Dr. Richter Emmermann, Karen Richterin am Landgericht Emmermann, Klaus Vorsitzender Richter am Landgericht Engelmann, Jürgen Vorsitzender Richter am Landgericht Erb, Daniela Justizobersekretärin Feistritzer, Florian Richter Fischer, Sigrid Justizangestellte Flor, Bernhard Dr. Präsident des Landgerichts Frauen, Regina Justizangestellte Fricker, Martin Bewährungshelfer Gärtner, Julia Richterin am Landgericht Gottschalk, Anke Justizangestellte Groß, Dominik Dr. Richter am Landgericht Haupt, Birte Bewährungshelferin Henneberg, Bernhard Dr. Richter am Landgericht Hildebrandt, Isabel Richterin am Landgericht Hinz, Werner Dr. Vorsitzender Richter am Landgericht Hoffmann, Berit Justizhauptsekretärin Holland-Letz, Arne Justizangestellter Hülsing, Eberhard Vorsitzender Richter am Landgericht 139 Ibs, Andrea Justizangestellte Jabbusch, Anne-Christin Justizinspektorin Jannßen, Michaela Justizangestellte Jenke, Susanne Justizangestellte Johannßen, Karin Justizamtfrau Kästele, Karen Richterin am Landgericht Kleiß, Peter Sozialamtmann (Bewährungshelfer) Körber-Hengst, Rita Justizangestellte Krebs, Detlef Justizangestellter Kreienhop, Margit Justizangestellte Kreuzig, Michael Justizamtmann Kuhrts-Mahn, Marion Justizangestellte Laackmann, Kurt Justizamtsinspektor Laackmann, Sabine Justizangestellte Lahann, Andrea Justizangestellte Lange, Lore Dr. Vorsitzende Richterin am Landgericht Lauritsen, Claudia Justizhelferin Lindgen, Johannes Dr. Vorsitzender Richter am Landgericht Lohmann, Johann Christoph Richter am Landgericht Lönnies, Karen Justizangestellte Mardorf, Lysann Richterin am Landgericht Martens, Marina Justizobersekretärin Martens, Silke Justizangestellte Meggers, Iris Justizamtfrau Meier, Karl-Heinz Kraftfahrer Meifort, Kerstin Justizangestellte Misdorf, Helmut Sozialamtmann (Bewährungshelfer) Nagel, Riever Dr. Richter am Landgericht Niedermeier, Peter Justizamtsrat (Bewährungshelfer) Olsen, Peter Richter am Landgericht Otten, Geelke Dr. Richterin Päschke, Stefan Justizinspektor Perrey, Janette Justizangestellte Peschutter, Petra Justizhauptsekretärin Petersen, Holger Alfred Richter am Landgericht Philipp, Birgit Justizangestellte Pieper, Sabine Justizangestellte Prox, Kevin Justizhauptwachtmeister Rehberg, Reiner Justizhelfer Reinke, Anna Richterin Rittgerodt, Nicolaus Richter Rohmann, Gerlind Sozialoberinspektorin (Bewährungshelferin) Rudnick, Wolfgang Justizamtsinspektor 140 Rust, Alfred Richter am Landgericht Sand, Sabine Bewährungshelferin Schlüter, Monja Justizsekretärin Schmidt, Hans-Peter Vorsitzender Richter am Landgericht Seel, Jennifer Richterin Stapel, Wilhelm Vorsitzender Richter am Landgericht Stoffermeier, Jürgen Justizhelfer Struve, Frank Erster Justizhauptwachtmeister Teetz, Franziska Justizinspektorin Thams, Angelika Justizangestellte Trachsler, Daniela Dr. Richterin Trautsch, Martina Justizamtsinspektorin Voigt, Susanne Justizangestellte Vollert, Christoph Justizhelfer Vonnoe, Madaleine Bewährungshelferin Wendt, Merle Justizangestellte Wieden, Barbara Justizangestellte Wittenhagen, Hans-Heinrich Justizamtsrat (Bewährungshelfer) Wöhlermann, Monika Bewährungshelferin Wullweber, Dietmar Vizepräsident des Landgerichts Zils, Hans-Dieter Erster Justizhauptwachtmeister Zimmermann, Volkmar Justizoberamtsrat Zober, Marlies Justizangestellte 141 142 MITARBEITER/INNEN DER STAATSANWALTSCHAFT ITZEHOE AM 1.4.2012

Name Dienstbezeichnung

Adam, Angelika Oberamtsanwältin Andresen, Ann-Kristin Justizangestellte Assenheimer, Thomas Justizhauptsekretär Bade, Agnes Justizamtfrau Bestmann, Joachim Staatsanwalt (GL) Bewersdorff, Jana Staatsanwältin Blendek, Jutta Justizangestellte Blochel, Katja Justizoberinspektorin Boe, Elke Justizangestellte Böge, Hannelore Justizangestellte Boll, Sabine Justizangestellte Böthern, Sonja Justizangestellte Brey, Hanni Gerichtshelferin Candler, Christiane Gerichtshelferin De Maira, Christian Justizamtsinspektor Delfs, Manfred Justizamtsinspektor Dwenger, Klaus Staatsanwalt Erler, Sabine Justizangestellte Fausel, Gerd Justizobersekretär Fehr, Sebastian Staatsanwalt Feldmann, Gerd Erster Justizhauptwachtmeister Flüsloh, Angelika Justizamtsrätin Fock, Susanne Justizamtsinspektorin Freund, Christian Justizamtmann Friedel, Norbert Erster Justizhauptwachtmeister Führer, Sarah Staatsanwältin Gasa, Kjell Staatsanwalt Guninski, Sabine Oberamtsanwältin Gutermann, Hannelore Justizangestellte Hansel, Greta Staatsanwältin Hasch, Gisela Justizangestellte Hehr, Heike Justizangestellte Heidemann, Monika Justizangestellte Hill, Brigitte Justizangestellte Irmer-Tiedt, Christian Dr. Staatsanwalt Jahnke, Sascha-Gebhard Justizsekretär Jantzen, Martina Justizangestellte 143 Jessen, Karola Justizangestellte Jessen, Renate Justizangestellte Junge, Jessica Justizsekretärin Kessemeier, Jan Staatsanwalt Klindworth, Christina Justizangestellte Koch, Martina Justizangestellte Kopp, Marco Justizhauptwachtmeister Köser, Ute Justizamtsinspektorin Krause, Monika Staatsanwältin Krey, Nicole Justizangestellte Kubis, Margrit Justizangestellte Lausen, Katja Justizhauptsekretärin Lübke, Hartmut Oberamtsanwalt Marschke, Sabine Justizangestellte Meyn, Telse Justizamtsinspektorin Mitterer, Andy Staatsanwalt Mohr, Christian Dr. Amtsanwalt Müller, Jutta Justizangestellte Müller-Rakow, Peter Staatsanwalt Naujoks, Volkmer Justizangestellter Nehlep, Sandra Dr. Staatsanwältin Neubauer, Andreas Amtsanwalt Neumann, Reinhold Staatsanwalt Pickert, Dietmar Dr. Oberstaatsanwalt Poensgen, Stephanie Staatsanwältin Rademann, Doris Justizangestellte Reinhold, Joachim Dr. Staatsanwalt Rich, Sandra Justizoberinspektorin Riesner, Oliver Justizobersekretär Rohwer-Reimers, Martina Justizangestellte Rühmann, Dagmar Justizangestellte Runz, Ute Justizangestellte Schiller, Regina Justizangestellte Schilling, Sascha Justizaushelfer Schlüter, Corinna Justizhauptsekretärin Schonscheck-Günther, Mareina Justizamtsinspektorin Schrader, Gerald Justizoberamtsrat Schröder, Helmut Oberamtsanwalt Schröder-Kabel, Anja Justizangestellte Schumacher-August, Cora Justizangestellte Schwarzer, Thorsten Staatsanwalt Schwitters, Hendrik Dr. Staatsanwalt Sievers, Susanne Justizangestellte Sommerfeld, Ursula Justizangestellte 144 Soukup, Hartmut Justizangestellter Staack, Dagmar Staatsanwältin Steinberg, Ingrid Gerichtshelferin Stellmacher, Helga Justizamtsinspektorin Stoll, Christine Amtsanwältin (b) Stresemann, Lars Justizobersekretär Struve, Thomas Justizamtsrat Strüven, Tanja Justizangestellte Struwe, Inge Justizangestellte Stücker, Dirk Staatsanwalt Tesch, Margret Justizangestellte Thoms, Christina Justizinspektorin Thums, Ulrike Justizangestellte Viohl, Bernd Justizaushelfer Voigt, Mark Erster Justizhauptwachtmeister von der Geest, Sabine Justizangestellte Wantzen, Maxi Staatsanwältin Weilke, Imke Justizamtsinspektorin Wieduwilt, Friedrich-Gerhard Oberstaatsanwalt Witt, Edith Justizamtsinspektorin Witt, Horst Justizamtsinspektor Wolf, Bettina Oberamtsanwältin Zepter, Wolfgang Leitender Oberstaatsanwalt Ziemer, Jonna Dr. Staatsanwältin (GL) 145