Bach H-Moll-Messe Dresdner Kammerchor
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22. MRZ 2018 Bach h-Moll-Messe Dresdner Kammerchor KONZERTSAAL PROGRAMM Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) Messe in h-Moll BWV 232 für Soli, Chor und Orchester (1749) I. Missa Kyrie Gloria PAUSE II. Symbolum Nicenum Credo III. Sanctus IV. Osanna, Benedictus, Agnus Dei, Dona nobis pacem Hans-Christoph Rademann | Dirigent Johanna Winkel | Sopran Anke Vondung | Alt Daniel Johannsen | Tenor Arttu Kataja | Bass Dresdner Kammerchor (Einstudierung: Tobias Mäthger) Orchester der Gaechinger Cantorey AUF EINLADUNG DER DRESDNER PHILHARMONIE HÖHEPUNKT, FAZIT, GLAUBENSBEKENNTNIS BACH: MESSE IN H-MOLL KEIMZELLE IN DER TRAUERPHASE Zweieinhalb Jahre vergehen. Im September August der Starke ist tot. Es ist der 1. Februar 1736 wiederholt Bach seine Anfrage, und 1733. Sachsen trägt Trauer. Anschließend diesmal erhält er Antwort: Am 19. November wird eine fast fünfmonatige Staatstrauer wird er zum „Compositeur bey der König- angeordnet. Es darf keine Musik aufgeführt lichen HofCapelle“, also zum Hofkompo- werden. In dieser Zeit arbeitet Johann nisten ernannt. Bei Bachs Orgelkonzert an Sebastian Bach an einer neuen Messe, zwei der frisch erbauten Silbermann-Orgel in Sätze stellt er fertig, „Kyrie“ und „Gloria“. der Frauenkirche erhält er am 1. Dezember Inzwischen amtiert Friedrich August II. als schließlich die Urkunde. Diesen Dresdner neuer Kurfürst. In Dresden überreicht Bach Hoftitel schätzt Bach besonders, er führt ihn ihm die beiden Sätze und ersucht um ein stets an erster Stelle und behält ihn bis zu „Prædicat von Dero Hoff-Capelle.“ Zunächst seinem Tod. passiert nichts. Anfang 1734 wird der Kurfürst als August III. zum neuen König von Polen DANK-MUSIK? gekrönt. Als er nach Leipzig kommt, im Oder war doch alles ganz anders? Fest steht, Oktober 1734, ehrt man ihn mit Bachs Kan- dass Bachs erster Brief an den neuen Kur- tate „Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen“ fürsten im Februar 1945 verloren ging. (BWV 215). Zu den beiden Abschnitten Allerdings gibt es eine Kopie, die bis zu den seiner Messe erhält Bach allerdings keine verwendeten Wasserzeichen exakt ist. Seit Rückmeldung. 2016 nun steht die ese im Raum, dass der 2 22. MRZ 2018, Kulturpalast „Endlich soll auch die Endursache aller Musik und also auch des Generalbasses seyn nichts anderes als nur Gottes Ehre und Recreation des Gemüths; wo dies nicht in Acht genommen ist, das ist keine recht eigentliche Musik.“ Johann Sebastian Bach ursächliche Zusammenhang von Brief und MODERNE TECHNIK UND ALTE FRAGEN Messe eine Erfindung des 19. Jahrhunderts Unabhängig von allen offenen Fragen ist sei. Grund der Annahme: Die eingereichten unstrittig, dass Bach an seiner h-Moll-Messe Teile der „Missa“ weisen vier unterschied- über etliche Jahre hinweg arbeitete. Aus liche Handschriften auf, von Bach selbst, Vergleichen der Handschriften geht hervor, von seiner Frau Anna Magdalena, Sohn Carl dass er das Werk erst im Dezember 1749 Philipp Emanuel sowie von einer weiteren, vollendet hat. Röntgenuntersuchungen der bislang nicht identifizierten Hand. Daraus Handschriften ergaben, dass der Bach-Sohn ergibt sich die Frage, ob Bach für eine Carl Philipp Emanuel über längere Zeiträume Bewerbung bei Hofe wirklich ein solches an einer Revision gearbeitet und (auf Wunsch Sammelsurium verschiedener Schriften ein- des Vaters?) in das originale Manuskript gereicht haben könnte. Außerdem ergab eine eingegriffen hat. Doch selbst moderne Untersuchung der Wasserzeichen, dass die Analyse-Techniken stoßen an Grenzen, wenn Noten erst im Jahr 1736 geschrieben worden das Original durch Tintenfraß beschädigt sind, also drei Jahre nach Bachs Bewerbung. ist und ausradierte Stellen und sogar Löcher Das aber würde bedeuten: Bach hat sie nicht keine eindeutigen Befunde mehr zulassen. als Bewerbung eingereicht, sondern als Dank Gesicherte Erkenntnis hingegen ist, dass nach seiner Ernennung zum „Compositeur Carl Philipp Emanuel für eine Aufführung bey der Königlichen HofCapelle“. im Jahr 1786 das „Credo“ bearbeitete. Bach h-Moll-Messe — Dresdner Kammerchor 3 „Die h-Moll-Messe ist der Mont Blanc der Kirchenmusik – höher kann man in der abendländischen Musik nicht hinaus.“ Franz Liszt Auf jeden Fall hat Bachs Messe im Laufe den Komponisten einmal um eine große ihrer Entstehung an Ausmaß gewonnen, am Fugen-Improvisation bittet, liefert Bach Ende besteht sie aus vier großformatigen sechsstimmig. Doch damit nicht genug. Bach Chören und ebenfalls vier großformatigen entwirft einen Plan, der sich systematisch Solosätzen. Auch die erste Instrumentation und in einer bis dahin nicht gekannten Weise revidiert Bach und weitet sie aus. Was aber mit dieser Form auseinandersetzt: Er beginnt bezweckt er damit? Plant er eine Messe mit „Die Kunst der Fuge“, die als eine Art Modellcharakter? Hat er eine bestimmte Gegenstück zur h-Moll-Messe angesehen Aufführung im Sinn? Nichts ist gesichert. werden kann. Denn in der Messe erstreckt Die h-Moll-Messe garantiert bis heute die sich der Kontrapunkt nicht nur auf den Einsatz Rätselfreude unter allen Bach-Forschern. und die Führung von Stimmen, sondern auf Grob lässt sich eine Zweiteilung erkennen: weitere musikalische Kriterien: auf die Dyna- zunächst der erste Teil, von eher düsterer mik und auf den Wechsel zwischen vokalen Natur, spannungsgeladen, in h-Moll; und und instrumentalen Stilarten. Das zeigt sich dem entgegen dann der zweite Teil, der durch bereits im „Kyrie“: Auf eine ausgedehnte ein jubelndes Glaubensbekenntnis in feier- Fuge in „Kyrie eleison I“ folgt im „Christe“ lichem D-Dur eröffnet wird. Überhaupt ein fast schon modernes Opernduett, worauf wirkt dieser zweite Teil insgesamt, trotz Bach anschließend eine Kehrtwende vollzieht verhaltener Sätze wie „Benedictus“ und und sich im „Kyrie eleison II“ am Stile antico, „Agnus Dei“, insgesamt strahlender, festlicher. dem traditionellen Stil der Kirchenmusik des 16. Jahrhunderts, orientiert. Schon in EIGENER ANSPRUCH diesem ersten Abschnitt deutet Bach an, Bach hatte die Neigung, sich selbst immer worauf er hinausmöchte: Er will mehr als wieder zu übertreffen. Als König Friedrich II. eine Messe, er sucht nach einer Synthese, nach 4 22. MRZ 2018, Kulturpalast einem Amalgam, in dem Altes und Neues VOLLENDETES PARODIEVERFAHREN zusammenkommen und zu einer neuen Bach hat etliche Ideen und musikalische Einheit wachsen, ähnlich wie Beethoven es emen übernommen, von anderen Kompo- später in seiner „Missa solemnis“ anstrebte. nisten, aber in erster Linie von sich selbst. Der Verbrämungsbegriff heute lautet: DAS KREUZ ALS KERN „Parodieverfahren“. Doch Bach bewegt sich Das „Credo“ ist der Kern dieser Messe. nicht auf dem Gebiet des urheberrechtlichen Daher hat es der erfahrene Zahlensymboliker Diebstahls, sondern folgt den Gewohnheiten Bach symmetrisch angeordnet. Im Zentrum seiner Zeit. Oft in Zeitnot, hat er vor allem steht der „Crucifixus“-Chor, der den Tod Jesu seine eigenen Kompositionen in neue Werke beweint. Dieser Chor ist die Mittelachse, umgemodelt, wobei die Noten meist gleich- sozusagen der Mittelpunkt des Kreuzes, bei geblieben sind und nur der Text ausgetauscht dem die Chorstimmen von oben nach unten wurde. Das „Weihnachtsoratorium“ etwa einsetzen, passend zu einer sich immer wieder ist ausnahmslos eine Neuverwertung älterer wiederholenden, absteigenden Bassfigur – Kantaten-Sätze. Und in der h-Moll-Messe? Zeichen der Grablegung. An einigen Stellen ist Bach tief ins haus- Darum herum gruppieren sich zwei weitere eigene Archiv hinabgestiegen. Etwa beim Chöre: „Et incarnatus“ und mit österlichem „Crucifixus“, dessen Vorlage sich in einem Jubel „Et resurrexit“. Diese Chöre wiederum Abschnitt seiner Kantate „Weinen, Klagen, werden von je einer Solo-Nummer um- Sorgen, Zagen“ von 1714 befindet. Das schlossen – zum einen von dem Duett „Et in „Osanna“ ist eine Bearbeitung jener Würdi- unum Dominum“ für Sopran und Alt, zum gungskantate, mit der man August III. in anderen von der Bass-Arie „Et in Spiritum Leipzig empfing. Auch beim „Agnus Dei“ Sanctum“. In dieser Arie kommt die dritte griff Bach auf eine weltliche Komposition Person der Trinität ins Spiel, der Heilige von 1725 zurück. Der eigentliche Kunst- Geist, weshalb Bach den Text in drei kniff Bachs besteht darin, dass er die bereits Abschnitte einteilt, die durch kurze instru- vertonten weltlichen Texte so gegen den mentale Zwischenspiele miteinander Messetext auszutauschen verstand, dass er verbunden sind. Am Anfang und Schluss nur minimale musikalische Änderungen des „Credo“ stehen jeweils zwei Chöre, die dafür benötigte. ähnlich konzipiert sind. Beim Übergang Trotz dieser vollendet beherrschten Parodie- zum jubelartigen „Et excepto“ übrigens technik hat Bach nicht alle Teile seiner durchschreitet Bach in einer für die damalige Messe aus früheren Kompositionen über- Zeit ungewöhnlichen Kühnheit alle Tonarten nommen. Sätze wie das „Confiteor“ entstehen des Quintenzirkels – auf diese Weise neu. Bei diesen Abschnitten handelt es sich möchte er den Weg vom Tod zum Ewigen mit großer Wahrscheinlichkeit um Bachs Leben abbilden. letzte Vertonungen geistlicher Texte. In einer Bach h-Moll-Messe — Dresdner Kammerchor 5 Aufführung gehört hat er sie mit ziemlicher gewesen wäre. Von Carl Friedrich Zelter, Sicherheit nie. Insofern bildet die h-Moll- Goethes musikalischem Intimus, wissen Messe die Zusammenfassung von Bachs wir, dass er bereits 1813 die gesamte Lebenswerk, Höhepunkt, Fazit und Glaubens- Messe mit seiner Berliner Sing-Akademie bekenntnis in einem. geprobt hat. DER WEITERE WEG Bei so viel Gedankenarbeit, die Bach geleistet hat, stellt sich bis heute die Frage: Wie hat er sich die ideale Aufführung seiner Musik vor-