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SWR2 Musikstunde – Geiger. Komponist. Brahms-Freund (2) Von Wolfgang Sandberger

Sendung: 23. März 2021 Redaktion: Dr. Ulla Zierau Produktion: SWR 2021

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Einen schönen guten Morgen, ich bin Wolfgang Sandberger. Und auch heute geht es wieder um den großen Geiger Joseph Joachim.

Joseph Joachim sei ein „Teufelsbraten“ — so sein Mentor Bartholdy. Und der meint das liebevoll: der junge Geiger ist ein tollkühner Bursche, auf der Geige zu allem fähig. Was für Perspektiven: ein Wunderkind mit einem prominenten Förderer. Doch plötzlich stirbt Felix Mendelssohn, viel zu früh, noch keine 40. Der junge Geiger sucht nun neue Orientierung. Nach dem Tod seines Mentors gibt es für Joseph Joachim jedenfalls keinen Grund mehr, im konservativen zu bleiben. Dieses „Paradies“ - so Joachim - habe damit „seinen magischen Zauber verloren“.

Musik 1 4.29‘‘ Joseph Joachim: Romanze op. 2 Nr. 1 B-Dur Daniel Hope (Geige) Sebastian Knauer (Klavier) SWR M0313346 006

Die Romanze aus den Stücken op. 2, das letzte Stück, das der junge 13-jährige Joachim in Leipzig komponiert hat. Doch jetzt, nach dem Tod von Mendelssohn ist er auf der Suche nach einem neuen Vorbild und das heißt: , wie Joachim ein Ungar. Und: ein Visionär. Auch wenn die Biografen es nicht so gerne zugeben: ist kein Betriebsunfall in der Vita von Joseph Joachim, sondern eine prägende, ja faszinierende Etappe, um die es heute in der SWR2 Musikstunde gehen soll. Und die Schlüsselfigur in Weimar ist eben Franz Liszt, der Prototyp eines Virtuosen, dieser „wilde, vulkanische, himmelstürmende Liszt“ – wie ihn damals nennt. „Wenn Liszt“ - so Heine – „auf dem Pianoforte ein Gewitter spielt, sehen wir die Blitze über sein eigenes Gesicht dahinzucken, wie von Sturmwind schlottern seine Glieder, und seine langen Haarzöpfe träufen gleichsam vom dargestellten Platzregen.“ Orage – Gewitter

Musik 2 4.17‘‘ Franz Liszt: Orage - Gewitter aus: Pilgerjahren Alfred Brendel (Klavier) SWR M0011828 005

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Orage, das Gewitter aus den Pilgerjahren von Franz Liszt. Eine Aufnahme mit Alfred Brendel. 1847 zieht sich Franz Liszt nach Weimar zurück, um hier seine Vision von einem neuen musikalischen Zeitalter zu realisieren. Für den jungen Geiger Joseph Joachim ist das ein faszinierendes Experiment: Zukunftsmusik. Und Weimar ist ein magischer und geschichtsträchtiger Ort. Franz Liszt will hier das Erbe Schillers und Goethes zu einem neuen, mindestens: silbernen Zeitalter führen. Nicht museal, nein, sondern mit einem zukunftsweisenden Kulturprogramm.

Dazu gehört auch , der damals an seinen Freund Liszt schreibt: Er, Wagner, lese gerade in der Partitur seines Lohengrins, und da sei die „ungeheure Sehnsucht in ihm entflammt, dies Werk in Weimar aufgeführt zu wissen“. Und Liszt erfüllt diese Bitte: Ganz bewusst an Goethe Geburtstag, am 28. August 1850 bringt Liszt im Weimarer Hoftheater diese heraus: Wagners Lohengrin. Hunderte auswärtige Besucher kommen zu diesem Ereignis nach Weimar, Augen- und Ohrenzeuge ist auch der junge Joseph Joachim, der von Leipzig herüber gefahren kommt. Und der Lohengrin in Weimar ist ein Schlüsselerlebnis für den jungen Mann. Joachim ist vom ersten Ton an gebannt von den romantischen, ja magischen Klängen Wagners. Das filigrane Vorspiel zum ersten Aufzug des Lohengrins ist ja eine Sphärenmusik, in der die „wunderwirkende Niederkunft des heiligen Grals“ dargestellt ist, wie Wagner selbst formuliert. Die Musik beginnt mit leisen, hohen, zauberhaften Streicherklängen, wie muss das in den Ohren des jungen Geigers geklungen haben…

Musik 3 Richard Wagner: 8.06” Lohengrin-Vorspiel SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg Leitung: Michael Gielen SWR M0505470 004

Das Lohengrin-Vorspiel von Richard Wagner mit dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Michael Gielen - Friedrich Nietzsche meint, diese Musik sei „blau, ja von opiatischer, narkotischer Wirkung“. Und das süße Wagner-Gift wirkt auch bei dem jungen Joseph Joachim, der die UA des Lohengrin in Weimar miterlebt, mit 19. Bald darauf lernt der Geiger Richard Wagner dann auch persönlich kennen. Was für ein Ereignis. Im Brief-Nachlass Joachims, der zu den großen Schätzen in unserem Lübecker Brahms Institut gehört, hat sich ein enthusiastischer Brief von Joachim an seinen Bruder in London erhalten. Hab ich mir grad noch mal angesehen, akkurat geschrieben und da heißt es nun: „Wagner selbst kennen zu

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4 lernen war für mich das eigentliche Fest, und ich danke neuerdings dem prächtigen Liszt die intime Bekanntschaft eines der bedeutendsten und liebenswürdigsten Menschen die mir vorgekommen sind, so begeistert, so wahr.“ Später trinken Wagner und Joachim sogar Brüderschaft und Joachim bietet seine Konzertmeisterdienste an - für die Uraufführung des Rings. Doch das Verhältnis wird durch den Antisemitismus Wagners überschattet. 1850, im Uraufführungsjahr des Lohengrins, erscheint sein Pamphlet über das „Judenthum in der Musik“ - mit großer Wirkung. Wagner selbst berichtet in seinen Lebenserinnerungen mit einem gewissen Stolz, dass der junge Joseph Joachim mal eine eigene Komposition zur Begutachtung vorgelegt habe - mit der ängstlichen Frage, ob er, Richard Wagner, dieser „Arbeit wohl etwas Jüdisches anmerken können würde?“ Was offenbart diese Frage nicht alles? Was für eine Ängstlichkeit, was für ein internalisierter Antisemitismus. Joseph Joachim komponiert damals in Weimar sein erstes Violinkonzert in g-Moll, ein Konzert in einem Satz, Musik, die ganz die Luft aus Weimar atmet…

Musik 4 Joseph Joachim 5‘00“ Violinkonzert g-Moll in einem Satze Thomas Christian (Violine) WDR Funkhausorchester Leitung: Stefan Blunier WDR 6133055103.1.01

In Weimar entsteht diese Musik und dort macht der junge Geiger Joachim Furore. Nicht zuletzt in der Damenwelt. Die Schriftstellerin Bettine von Arnim kommt damals mit ihren beiden Töchtern nach Weimar - und vor allem Gisela ist von Joseph Joachim angetan. Und umgekehrt. Mit veilchenblauem Duft schreibt sie, nein: schwärmt sie von dem jungen Geiger in einem Brief: Das Meer habe sie noch nie gesehen - aber „ein wogendes Meer von Musik habe sie in Weimar tausendfach in seinen Wellen begraben und mit jeder Welle sei sie gesünder wiederaufgetaucht“. Glücklich sei sie, „in diesem Meeresbrausen von Musik“, das Joseph Joachim verursache. Eine aufrauschende Begeisterung ströme aus ihm hervor - so . Und die junge Frau sucht nach poetischen Worten: Joachims Geigenspiel „erfrische und rufe neue Lebensgeister hervor“ und der „Frühling voll schwellendem Reiz ströme aus diesem Spiel, die Nachtigallen schweigen dazu, denn unersättlich sind sie, ihn zu hören und allen wird’s wohl - unsterblichkeitstrunken“…

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Musik 5 9.34‘‘ : Violinsonate op. 24 F-Dur „Frühlingssonate, 1. Satz Allegro Augustin Dumay (Violine) Maria João Pires (Klavier) SWR M0584576 016

Der erste Satz aus der Frühlingssonate von Ludwig van Beethoven, mit ….

Mit dem Geiger Joseph Joachim sind wir in der SWR2 Musikstunde heute in Weimar. Joachim macht dort die Bekanntschaft mit Bettine Brentano und deren beiden Töchter. Bettine ist ja so eine Art „Muse der Romantik“, einst schon war sie mit Goethe und Beethoven vertraut. Was für eine Frau, inzwischen ist sie 67, recht exaltiert und doch fasziniert sie damals junge Komponisten wie Joseph Joachim oder wenig später auch . Joachim aber interessiert sich genau genommen mehr für die bildhübsche Tochter Gisela. Und nicht nur er: Hans von Bülow oder auch Hermann Grimm sind weitere Anwärter auf das Herz von Gisela. - Johannes Brahms hat diese amourösen Irrungen und Wirrungen quasi in einem reflektiert, das er der Frau Mama, also Bettine von Arnim widmet - beziehungsreich. Denn in diesem Lied „Liebestreu“ geht es um einen Dialog zwischen Mutter und Tochter. Das junge Mädchen hat Liebeskummer und so meint die Frau Mama: „O versenk', o versenk' dein Leid, mein Kind, in die See, in die tiefe See!" -, doch die Tochter antwortet: „Ein Stein wohl bleibt auf des Meeres Grund, mein Leid kommt stets in die Höh'.“

Musik 6 2.13‘‘ Johannes Brahms: „Liebestreu“, Lied op. 3 Elina Garanca (Mezzosopran) Malcolm Martineau (Klavier) Deutsche Grammophon 483 9210

„Liebestreu“ von Johannes Brahms - ein Lied, das Bettine von Arnim gewidmet ist. Die spielt für den jungen Joseph Joachim in Weimar eine wichtige Rolle. Bettine macht Joachim mit Literatur vertraut, mit Goethe, Tieck, , , Mörike, Keller, Klaus Groth oder Theodor Storm. Ein zauberhaftes Aquarell spiegelt heute noch die künstlerische Verbindung

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6 zwischen der alternden Muse Bettine und dem blutjungen Geiger Joachim: Ein Quartettabend wird da gezeigt in diesem Aquarell von Carl Johann Arnold. Ein Aquarell mit viel Licht und Schatten. Ein Bild wie eine Momentaufnahme aus dem bürgerlichen Salon der Bettine, mit Büsten an der Wand und einem romantischen Altar. Der junge Joachim als erster Geiger des Quartetts wendet uns den Rücken zu. Nicht die Interpreten sind wichtig, sondern die in diesem Raum imaginär erklingende Musik. Der Maler hat die alternde Bettine ganz nah an das Quartett herangerückt, in einem Sessel hört sie zu, ganz nach innen gekehrt. Wahrscheinlich hört sie Musik von Beethoven, vielleicht das späte f-Moll-Quartett, das schon früh zu den Lieblingsstücken des jungen Joachim gehört...

Musik 7 4.20‘‘ Ludwig van Beethoven: Streichquartett f-Moll op. 95, Finale: Larghetto. Allegro agitato Quatuor Ébène SWR M0625245 008

Allegro agitato, das Finale aus dem f-Moll-Quartett von Beethoven mit dem Quatuor Ebene, ein Lieblingsstück des Geigers Joseph Joachim. Der also spielt in Weimar Quartett — zusammen mit Musikern wie dem Cellisten Bernhard Cossmann, ein klangvoller Name, zumindest für Cellisten, ich selbst hab mich jedenfalls jahrelang mit seinen Etüden abgequält. Bernhard Cossmann. Überhaupt lernt Joachim in Weimar viele Musiker kennen - ein enger Freund wird damals auch Joseph Joachim Raff, der junge Adlatus von Franz Liszt. Und die beiden jungen Musiker verbindet weit mehr also nur die Pointe, dass Joseph Joachim der komplette Vorname von Raff ist: Joseph Joachim Raff. In den Erinnerungen von Raff heißt es dazu: „Wir waren gleich Freunde. Drollig wars als wir uns in die Fremdenbücher im Schlosse, im Schillerhause und anderswo in Weimar einzeichneten. Da stand dann immer: Joseph Joachim, Joseph Joachim Raff.“ Und natürlich reizt diese Ähnlichkeit damals in Weimar auch zu dem Kalauer: „Schau, da kommt der Raff mit seinem Vornamen“. Raff ist übrigens der erste Komponist, der dem Geiger Joseph Joachim eine Komposition widmet. Am Ende von Joachims Lebens dann ist diese Liste lang - und klar: was widmet man einem virtuosen Geiger? Violinkonzerte wie Schumann, Bruch, Brahms oder Dvorak, um nur die prominentesten Widmungen zu nennen. Doch auch diese allererste Widmung an Joachim passt:

„Aus der Schweiz“ heißt das Charakterstück, das Raff für Geige und Klavier geschrieben hat. Es sind musikalische Erinnerungen an die Heimat von Raff, eine sehr persönliche Musik also,

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die er da dem Freund widmet. Doch wie immer: ganz uneigennützig sind solche Widmungen natürlich nie. Joachim soll diese Musik ja auch spielen, sprich: bekannt machen. Und dieses Kalkül geht auf. Joachim spielt dieses Charakterstück mit prominenten Klavierpartnern, zunächst mit Hans von Bülow und dann mit Franz Liszt: Und immer ist es Joachim, der dieses Stück von seinem Freund Raff vorschlägt. Wir hören den Schluss dieser Musik: Aus der Schweiz…

Musik 8 (auf Zeit, ca. 3 Minuten) Joseph Joachim Raff: 13.55‘‘ „Aus der Schweiz“ op. 57 1848 „seinem Freunde Joseph Joachim gewidmet“ Ingolf Turban (Violine) Jascha Nemtsov (Klavier) SWR M0012345 001

„Seinem Freunde Joseph Joachim gewidmet“ – die Komposition „Aus der Schweiz“ op. 57 von Joseph Joachim Raff, eine Aufnahme mit Ingolf Turban und Jascha Nemtsov zum Finale in der SWR 2 Musikstunde. Morgen geht es hier weiter in unserer Reihe zu Joseph Joachim, ich bin Wolfgang Sandberger. Das Manuskript und die Sendung zum Nachhören finden Sie auf unserer SWR2 Seite.

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