Steingröver Spätvorstellung

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Steingröver Spätvorstellung Fotografie und Film 393 Reinhild Steingröver: Spätvorstellung: Die chancenlose Generation der DEFA Berlin: Bertz+Fischer 2014, 280 S., ISBN 978-1-86505-404-3, EUR 12,90 Seit über zwei Jahrzehnten hat sich an Gruppe produzierte zwischen 1990 der Universität Amherst (Massachusetts) und 1991 drei Spielfilme:Letztes aus der eine profunde Filmforschung etabliert, DaDaeR (1990), Banale Tage (1991) und die auch die verdrängte Geschichte der Das Land hinter dem Regenbogen (1991), DEFA in den Jahren zwischen 1988 die die Umbruchsjahre, laut Steingröver und 1992 aus der Sicht ihrer Akteure „auf einzigartige Weise einfangen und beleuchtet. Spätvorstellung: Die chan- damit wesentliche Gegenstimmen zu cenlose Generation der DEFA, das unter späteren, häufig westdeutschen Produk- dem Titel Last Features: East German tionen über diese Zeit wie Good Bye, Cinema’s Lost Generation 2014 zunächst Lenin! (2003) und Das Leben der Ande- auf Englisch erschien, beginnt mit einer ren (2006) sind“ (S.16). überraschenden Feststellung: Die letzte Dieses gegenstimmige Potenzial Regiegeneration der DEFA sei weder bildete sich bereits seit 1983 in einem komplett chancenlos gewesen, noch 17 Thesen umfassenden Dokument über seien alle Spielfilme der letzten Periode die Kritik an den Ausbildungsinhalten der Gegenstand dieser Untersuchung. der Filmhochschule, den mangelnden Der Begriff ‚Spätvorstellung‘ beziehe Fördermöglichkeiten für junge Regis- sich auf die Tatsache, dass diese letzte seur_innen und den fehlenden Zugän- Generation erst zwanzig Jahre später, gen zu internationalen Filmfestivals beispielsweise aus Anlass von Jahres- heraus, ohne dass es zu substanziellen tagfeiern oder auf dem Wendeflicks Veränderungen kam. „Statt prak- Festival in Los Angeles 2009, ihre tische Berufserfahrungen zu sammeln Filme einem interessierten Publikum und innovative Ideen zu erproben“, so zeigen durfte. Steingröver, „hatte die vierte und letzte In der vorliegenden Studie beschäf- Regiegeneration die sprichwörtlichen tigt sich Reinhild Steingröver aus- Windmühlen bekämpft“ (S.17). Eine schließlich mit der erst Anfang 1990 ihrer wenigen Alternativen bestand gegründeten Produktionsgruppe darin, ihr kreatives Schaffen in einer DaDaeR, in der Jörg Foth, Herwig inoffiziellen Super-8-Szene zu doku- Kipping, Peter Welz, Helke Missel- mentieren (vgl. Löser, Claus/Fritzsche, witz, Peter Kahane, Andreas Dresen Karin [Hg.]: Gegenbilder: Filmische Sub- und Andreas Voigt sich in ihren Film- version in der DDR 1976-1989. Berlin: werken mit Themen wie dem Verhältnis Janus Press, 1996). Neben solchen des Künstlers zum Staat, Formen des Ausweichstrategien, die zu „eine(r) Art Widerstands und Verweigerung sowie Lebensretter für eine ganze Generation Utopien auseinandersetzten. Diese junger Künstler“ (Günther, Thomas: 394 MEDIENwissenschaft 03/2015 „Die subkulturellen Zeitschriften in nach, mit welch innovativen filmischen der DDR und ihre kulturgeschicht- Verfahren in der Endphase der DEFA liche Bedeutung.“ In: Das Parlament, gearbeitet wurde. 08.05.1992, S.36) wurde, zeichnete sich 5.) Die Dokumentarfilme der soge- der Wille nach individuellen Initiati- nannten Wendezeit stießen, so die Ver- ven ab, die die Homogenität der Main- fasserin, auf ein großes Interesse des stream-DEFA-Filme zu überwinden Publikums. Am Beispiel der Leipzig- versuchten. Diesen Bemühungen, die Pentalogie (1986-1997) von Andreas sich in der Produktion der DaDaeR- Voigt zeigt sie auf, wie wechselnde Gruppe abzeichneten, geht Steingröver Stimmungen „aus der Zeit der Mobili- nach. sierung von DDR-Bürgern durch wach- Obwohl es eine Reihe von Stu- sende Straßenproteste bis hin zum Fall dien zu den letzten DEFA-Filmen der Mauer und schließlich vom Ende gibt, fehlen auch 25 Jahre nach ihrer der DDR“ (S.192) erfasst werden. In Produktion „genaue Lesarten ihrer diesem Kontext verweist sie auch auf das formalen Experimente, ihrer thema- Schaffen von Jürgen Böttcher, Winfried tischen Unterschiede, ihres Kontextes Junge und Volker Koepp, die im Rah- innerhalb der Biografie des Regisseurs/ men der Gruppe document durch ihre Regisseurin und der Entwicklungen ästhetischen Innovationen (Experimente im Studio“ (S.19f.). Diese Zusammen- mit Ton und Kameraeinstellungen, Ein- hänge untersucht die Autorin in sechs beziehung des Regisseurs in die Hand- Einzelstudien. lungsabläufe) einen bedeutenden, erst in 1.) Unter den Leitmotiven ‚Narren jüngster Zeit wiederentdeckten Beitrag und Clowns oder Verweigerung als zur Evolution des deutschen Dokumen- Engagement‘ befasst sie sich mit zwei tarfilms geleistet haben. späten DEFA-Filmen: Egon Günthers 6.) „Architekten, Ziegen und Godot“ Stein (1991) und Jörg Foths Letztes aus bildet die letzte Spätvorstellung, in der DaDaeR (1990). der Jochen Kraußers satirischer Film 2.) Mithilfe der verbalen Metapher Leuchtkraft der Ziege – Eine Naturer- ‚Film muss zappeln‘ beleuchtet sie das scheinung (1987) und Peter Kahanes Schaffen der unzeitgemäßen Poeten Die Architekten (1990) nach Steingröver Ulrich Weiß und Herwig Kipping. ­­ den „Kollaps der Utopie in der spätso- 3.) Unter dem Stichwort ‚Absur- zialistischen Gesellschaft […] durch das des Endspiel‘ analysiert sie Peter Welz‘ Anpassen der Uhren (bzw. Realität) an Banale Tage nach einer Erzählung von die schneller vergehende Zeit“ (S.228) Michael Sollorz. markieren. 4.) Am Beispiel der Filmemache- Die mit zahlreichen Kommen- rin Helke Misselwitz, deren Ruf als taren in den Anmerkungen, mit Ver- begabte Dokumentaristin vor allem weisen auf wissenschaftliche Aufsätze auf Winter Ade (1988), Wer fürchtet sich und Zeitungsartikel versehenen Kapi- vorm schwarzen Mann (1989) und Sperr- tel zeichnen sich durch pointierte müll (1990) beruht, weist Steingröver Beschreibungen der Filminhalte, deren Fotografie und Film 395 ästhetischer Eigenarten und durch aus- zögerten Umbruch in der DDR liefern führliche Darlegung der innovativen und die gleichzeitig denjenigen wider- filmischen Verfahren aus. Das Buch ist sprechen, die behaupten, die DEFA- also ein „Akt der Rehabilitierung“ (Ralf Filme hätten nur ‚linientreue‘ Abbilder Schenk) der beinahe vergessenen letzten der DDR-Gesellschaft geliefert. DEFA-Generation, deren Filme grund- legende Erklärungsmuster für den ver- Wolfgang Schlott (Bremen) Brigitta B. Wagner (Hg.): DEFA After East Germany Rochester/New York: Camden House 2014 (Screen Cultures: German Film and the Visual), 349 S., ISBN 978-1-57113-582-7, GPB 60,– „Bis 1990 sind mehr als tausend Filme tion in Berlin, und wissenschaftlicher unterschiedlicher Gattungen in den Unterstützung mehrerer amerika- DEFA-Studios produziert worden. nischer Universitäten ab. Unter Leitung Heute sind sie ein Bestandteil des von Brigitta B. Wagner widmet sich deutsch-deutschen Filmerbes, das ein Team von Filmhistoriker_innen, weltweit hoch geschätzt wird“ (S.324). unterstützt und begleitet von amerika- Dieses Zitat stammt aus einem offenen nischen Germanistik-Studenten_innen Brief (2008) von mehr als hundert und einer Reihe von meist (ost)-deut- Film- und Kulturschaffenden an den schen Kulturwissenschaftler_innen und renommierten Filmregisseur Volker Archivar_innen, der Wieder-Sichtbar- Schlöndorff. Anlass war seine abfäl- machung einer Filmgeschichte, die lige Bemerkung über die „schreckliche nach 1990 in den Archiven zu vergessen Qualität der DEFA-Filme“ (vgl. Grote, drohte. Lars: „Plausch mit Volker Schlöndorff DEFA After East Germany setzt sich auf seinem sonnengelben Sofa beim aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit Warten auf den rbb.“ In: Märkische der Entstehung und wissenschaftlichen Allgemeine, 12.12.2008), und er mar- Betrachtung von DEFA-Filmen ausei- kiert eine wesentliche Phase der Auf- nander, die zwischen 1987 und 1994 arbeitung des DEFA-Filmerbes. Die unter unterschiedlichen Bedingungen Rückgewinnung von Kulturgut läuft gedreht wurden und einer einge- im Rahmen eines DEFA-Projekts an schränkten Rezeption, bedingt durch der Indiana University in Bloomington ideologische Vorgaben, aufgrund der mit Beistand verschiedener Stiftungen, politischen Turbulenzen zwischen darunter vor allem der DEFA Founda- 1989 und 1991 und durch die markt-.
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