Die Zeit Vor Augen. Die Chronos-Uhr Im Thronsaal Des Berliner Schlosses
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Kulturgeschichte Preußens – Colloquien #9 Die Zeit vor Augen. Die Chronos-Uhr im Thronsaal des Berliner Schlosses Autor: Silke Kiesant Datum: 11.12.2020 DOI: 10.25360/01-2020-00014 Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz Namensnennung · Keine kommerzielle Nutzung · Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/byncnd/4.0/ Zitierhinweis: in: Silke Kiesant (Hrsg.) unter Mitarbeit von Florian Dölle nach dem Konzept von Saskia Hüneke, Kaleidoskop. Seitenblicke auf die Bildhauerkunst in den preußischen Schlössern und den Gärten, in: Kulturgeschichte Preußens – Colloquien #9, 11/12/2020, DOI: 10.25360/01-2020-00014 Silke Kiesant Die Zeit vor Augen. Die Chronos-Uhr im Thronsaal des Berliner Schlosses Abstract 1793 oder kurz darauf erwarb Friedrich Wilhelm II. von Preußen für die Königskammern im Berliner Schloss ein bedeutendes Kunstwerk, das eine Skulptur, eine Uhr und ein mechanisches Musikinstrument miteinander verband: die Flöten- und Klavieruhr mit einem bekrönenden lebensgroßen Chronos. Der König platzierte das Stück im zentralen Raum der Macht: in seinem Thronsaal.1 Als monumentales Raumkunstwerk mit fast drei Metern Höhe vereinigte die Chronos- Uhr mehrere Funktionen, wobei die Anzeige der genauen Uhrzeit nicht im Vordergrund stand, vielmehr diente es als Musikautomat, Bildwerk und Mahnmal. Während der massive Unterbau mit der Uhr- und Musikspielmechanik während bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg verlorenging, blieb die marmorne Chronos-Figur, die die Züge des Geschichtsschreibers Herodot zeigt, bis heute erhalten. Der Beitrag zeigt den Einfluss der Gräfin Lichtenau auf die Entstehung und Erwerbung der Uhr auf und versucht, den Hersteller zu identifizieren. <1> Aufbau der Uhr Das Kunstwerk bestand ursprünglich aus zwei Teilen: aus dem 1,41 m hohen Sockel, in dem die Mechanik untergebracht war, und aus der 1,54 m hohen Chronos-Statue. (Abb. 1) Der Sockel Das verhältnismäßig große und stabile Postament mit abgeschrägten Ecken bestand aus grauem schlesischen Marmor. Wegen seiner Funktion als Substruktion für die Marmorstatue war es besonders massiv ausgeführt. Bronze- Dekorationen zeigten vorn in einem oblongen Feld einen vergoldeten Strahlenkranz mit dem Gesicht des Apollon, in den Ecken jeweils einen Korb mit Blumen, ein Ährenbündel, Weintrauben sowie eine Theatermaske – Symbole für die jeweiligen typischen Beschäftigungen in den vier Jahreszeiten. Die Seiten des Postaments waren nur mit dem Strahlenkranz ohne Umrandung etwas schlichter gestaltet. An allen vier Seiten befanden sich herausnehmbare, mit grüner Seide hinterlegte Füllungen als Schallöffnungen. <2> Abb. 1: Chronos-Uhr im Schloss Monbijou, Abbildung aus: Paul Lindenberg: Das Die Mechanik Hohenzollern-Museum in Berlin, Berlin 1892, Im Inneren des Kastens verbargen sich das Klavierwerk, Tf. VII ein Saiteninstrument im Mahagoni-Rahmen, sowie zwei Flötenregister. Der Spielwerksmechanismus 1 SPSG, historische Inv. Nr. HM 4436 (Uhrkasten verloren), Chronos: SPSG, Skulpt.slg. 1097. – Vgl. mit ausführlichen Quellen: Silke Kiesant: Prunkuhren am brandenburgisch-preußischen Hof, Petersberg 2013, Kat. 41, 377-380, hier 378, Abb. 41.2, Aufnahme der Chronos-Uhr im Thronzimmer des Berliner Schlosses, Messbild, vor 1945 (BLDAM). 85 konnte ein- und ausgeschaltet werden. Die Musik war auf sechs mit Messing belegten Mahagoniholzwalzen programmiert, die in einem eigenen Holzkasten aufbewahrt wurden. Die Stundenuhr in Verbindung mit der heute verlorenen Erdkugel aus vergoldeter Bronze war zu Füßen des Chronos auf dessen Sockelplatte angebracht. (Abb. 2) Abb. 2 Chevalier de Werder, Chronos, Detail der Grundplatte mit dem leeren Platz für die früher dort befindliche Stundenuhr, 1793, Marmor, SPSG, Marmorpalais, Skulpt.slg. 1057, SPSG, Foto: Silke Kiesant, 2019 Die Kugel drehte sich einmal innerhalb von 24 Stunden um die eigene Achse. An der Stelle des Äquators befand sich ein weiß-emaillierter Ring mit der Stundeneinteilung. Die Anzeige der Zeit erfolgte durch die Zunge der sich am Fuß windenden, bronzenen Schlange. Bei dem Achttagegehwerk handelte es sich vermutlich um ein Pendulenwerk à cercle tournant, das heißt, es war in diesem Fall horizontal im Inneren der Erdkugel angeordnet. Die Uhr schlug zu den halben und vollen Stunden. 86 <3> Die Skulptur (Abb. 3-5) Abb. 3 Chevalier de Werder, Chronos, 1793, Marmor, Höhe: 154 cm, SPSG, Marmorpalais, Skulpt.slg. 1057, SPSG, Foto: SPSG / Wolfgang Pfauder, 2003 87 Abb. 4 Chevalier de Werder, Chronos, SPSG, Marmorpalais, Skulpt.slg. 1057, SPSG, Foto: Silke Kiesant, 2019 88 Abb. 5 Chevalier de Werder, Chronos, SPSG, Marmorpalais, Skulpt.slg. 1057, SPSG, Foto: Silke Kiesant, 2019 89 Die jugendlich-muskulöse Figur tritt dem Betrachter energisch mit einem Schritt entgegen, wobei der linke Fuß fest auf der Erde steht. Beim rechten Fuß setzt nur der Ballen auf, die Ferse ist leicht angehoben. Um die Hüfte ist ein Tuch geschlungen, das auf der linken Seite verknotet und durch ein diagonal über den Oberkörper laufendes Band gehalten wird. Das stark ausgeprägte, in „Ruheposition“ angeordnete Flügelpaar auf dem Rücken gleicht die leichte Vorwärtsbewegung aus. Der Baumstumpf verleiht der Statue Stabilität. Bis auf das bärtige Gesicht mit den horizontalen Stirnfalten, das den Gott der Zeit als gealterten Mann erscheinen lässt, ist die Haut glatt und makellos. Flügel und Bart sind somit die einzigen verbliebenen Attribute des Chronos. Die Sense aus vergoldeter Bronze, die er in seiner Linken hielt, ging verloren; ebenso die (ehemals) vor seinem rechten Fuß liegende Erdkugel mit der am Boden fixierten Schlange und der Stundenanzeige. Der rechte Arm mit dem ausgestreckten Zeigefinger weist noch auf diese Stelle und auf die eigentliche Funktion des gesamten Kunstwerks. <4> Entstehungs- und Erwerbungsgeschichte unter Friedrich Wilhelm II. Die Chronos-Uhr wird erstmals als Nachtrag im Inventar des Berliner Schlosses von 1793 im Thronzimmer erwähnt: “Eine Acht Tage Uhr, befindlich in einem von grau schlesischem Marmor verfertigten Postumente, schlägt Stunden und halbe Stunden, spielt vermöge eines mahagoni Seiten Instruments und zwey Flöten=Sätzen Forte et Piano. Auf diesem Postumente stehet die Zeit in großer Figur von weißen Marmor, und zwischen seinen Füßen windet sich eine bronzirte Schlange herum, die mit ihrer Zunge die Stunden an dem emaillirten Stundenring, welches sich an der zu den Füßen befindlichen bronzenen Erdkugel /: die sich alle 24 Stunden einmahl herum dreht :/ zeigt. Zu dieser Uhr sind 6 mahagoni Walzen mit Meßing beschlagen.“2 Das Thronzimmer gehörte zu den 1787 bis 1789 für Friedrich Wilhelm II. eingerichteten Königskammern, zu denen neben Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff und Carl von Gontard auch Carl Ludwig Bauer Entwürfe für das Interieur – Letzterer besonders für das Konzert- und des Thronzimmers – lieferten.3 Geht man von einer Urheberschaft Bauers für die Ausstattung des Thronzimmers, die sich an französischen Entwürfen des Louis Seize-Stil orientierte, aus, so liegt es nahe, dass dieser auch die Dekoration des Uhren-Postaments beeinflusste. Der Strahlenkranz an der Vorderseite spielt auf eine ähnliche Gestaltung der Decke im Thronsaal an. Die Eckverzierungen an der Vorderseite finden sich an der Dekoration der Wände bzw. des Kamins in ähnlicher Weise wieder. Ursprünglich zierten die Wände dieses Raums keine Gemälde, sondern eine tiefrote Samtbespannung mit vergoldeter Fassung. Von Anfang an stand eine Uhr dem Thronbaldachin gegenüber. Zuerst war es noch die von Friedrich II. für das Neue Palais in Potsdam erworbene französische Pendule im Régence-Stil auf Piedestal mit Schildpattfurnier und reich vergoldeter Bronze, die heute im Schloss Köpenick (Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz) bewahrt wird.4 1793 oder kurz danach nahm diesen Platz die Chronos-Uhr ein. Ein erheblicher Anteil an der Vermittlung der Uhr an den König kommt seiner ehemaligen Geliebten zu: Wilhelmine Encke, verheiratete Ritz, später vom König zur Gräfin Lichtenau erhoben, schrieb im August 1793 an ihren Mann, den Geheimkämmerer des Königs, Johann Friedrich Ritz (1755-1809): “wehgen des königs neuhe uhr mitt die schtatüe der zeitt klinkt es fürchtterlich viel aber doch nicht viel mehr als Berger seine und wen in gantz teutschlandtt eine schönere uhr ist als die und da bei so 2 SPSG, Hist. Inventare, Nr. 44: Schloss Berlin, 1793: I. Corps de Logis Sr. jetzt regierenden Majestät F. W. II., 11. – Kurz darauf auch bei Rumpf, 1803/04, 170f. 3 Burkhardt Göres / Adelheid Schendel: Die Königskammern im Berliner Schloß, in: Ausst.-Kat. Friedrich Wilhelm II., 1997, 220-223, hier 222. – Burkhardt Göres: Carl Ludwig Bauer – Hofbeamter, Innenarchitekt und Mechaniker, in: Kunst in Preußen. Hans-Joachim Giersberg zum 65. Geburtstag, Berlin 2003, 107-125. 4 SPSG, Hist. Inventare, Nr. 44: Schloss Berlin, 1793, S. 12. – Vgl. Kiesant: Prunkuhren (wie Anm. 1), Kat. 1. 90 ein grosses artiges an sehhen so bezahle sie aus meinr tasche ich habe sie gestern zu samm gesetzt gesehhen es ist über alle erwartung schön.“5 Diese Briefstelle zeigt, wie sich Wilhelmine Ritz persönlich – wenn nötig auch mit eigenem Geld – an den Erwerbungen des Königs zur Ausstattung der Königskammern und hier ganz dezidiert für die Uhr mit dem Chronos engagierte. <5> Ob die verloren gegangene Mechanik der Chronos-Uhr signiert war, ist nicht bekannt. Jedoch kommen