13. Jg. / Nr. 4 ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT Dezember 2006 MITTEILUNGEN Preis: 1,10 Euro

Schostakowitsch in Wien MANFRED MUGRAUER

or hundert Jahren, am 25. Sep- ferenten Boris Stojanow, um ihnen eine Friedenskongress, der im Juni desselben tember 1906, wurde Dmitrij Dmi- Einladung nach Wien zu überreichen, die Jahres in Wien stattfand, übermittelte Vtrijewitsch Schostakowitsch in auch vom Direktor der Staatsoper Franz Schostakowitsch eine Grußbotschaft.11 St. Petersburg geboren. Anlässlich dieses Salmhofer und vom Bundesminister für In der Literatur wird Schostakowitschs Gedenktages war seine Musik in den Unterricht Felix Hurdes unterzeichnet Eintreten für den Frieden unterschiedlich Wiener Konzertsälen 2006 so präsent war.2 Salmhofer hatte bereits wenige bewertet, wobei Bernd Feuchtner, der an wie nie zuvor. Als einer der führenden Wochen zuvor in einem Brief an der Ernsthaftigkeit dieses Engagements Komponisten seiner Zeit avancierte Schostakowitsch seine „Bewunderung keinen Zweifel lässt,12 der Wahrheit ge- Schostakowitsch zum zweiten musikali- über Ihre symphonischen Meisterwerke“ wiss näher kommen dürfte als der Her- schen „Jahresregenten“ neben Wolfgang zum Ausdruck gebracht und ihm ein Ex- ausgeber der nicht autorisierten Schosta- Amadeus Mozart. emplar seines „Befreiungshymnus“ als kowitsch-Memoiren Solomon Wolkow, In der Forschungsliteratur wird vor al- Zeichen seiner „Hochschätzung“ über- der davon ausgeht, dass Schostako- lem die enge Beziehung der Musik mittelt, der am 11. April in einem Fest- witschs Teilnahme am Friedenskampf Schostakowitschs zu der sie umgebenden konzert anlässlich des ersten Jahrestages nur „unter dem ständigen, groben Druck Wirklichkeit hervorgehoben: Er wird als der Befreiung Wiens durch die Rote Ar- der sowjetischen Behörden und mit Komponist beschrieben, der wie kaum mee neben der 9. Symphonie Schostako- großem Widerwillen“ stattfand.13 ein/e Künstler/in der Musikgeschichte im witschs in einem Konzert der Wiener Die friedenspolitischen Aktivitäten politischen, gesellschaftlichen und kultu- Symphoniker unter Josef Krips uraufge- Schostakowitschs stießen auch in Öster- rellen Umfeld seiner Zeit verankert war. führt worden war.3 Schostakowitsch hat- reich auf Widerhall: Mitte 1950 richteten Nachdem sein künstlerisches Schaffen te dem Dirigenten zuvor ein Widmungs- mehrere sowjetische Komponisten, dar- mit seinem politischen Leben untrennbar exemplar seiner 9. Symphonie zukom- unter auch Schostakowitsch, ein offenes verbunden ist, kommt in der musikwis- men lassen4 und gemeinsam mit drei Schreiben an die Musikschaffenden des senschaftlichen Beschäftigung mit dem weiteren sowjetischen Komponisten eine Auslands mit der Frage: „Was tut ihr zur Werk Schostakowitschs der Erforschung Einladung der WOKS – der Unionsge- Festigung des Friedens?“.14 Gottfried der biographischen Umstände eine be- sellschaft für kulturelle Verbindungen Kassowitz, Lehrer an der Wiener Musi- sondere Bedeutung zu. Ein Ausschnitt mit dem Ausland in Moskau – an Krips kakademie und musikalischer Leiter der daraus – die Österreich-Bezüge seines hi- zu einer Gastspielreise in die Sowjetuni- Orchesterkonzerte der „Russischen Stun- storischen Umfelds – soll Gegenstand on unterzeichnet.5 In deren Rahmen diri- de“ der RAVAG, berichtete der Öster- dieses Aufsatzes sein, auch vor dem Hin- gierte Krips im Jänner 1947 in Leningrad reichischen Zeitung, dass dieser Aufruf tergrund, dass die Angaben darüber in auch Schostakowitschs 5. Symphonie,6 Schostakowitschs „bei allen österreichi- der Literatur spärlich, zumeist unvoll- die er als „beste Tondichtung der Gegen- schen Friedensfreunden und allen auf- ständig und auch fehlerhaft sind.1 Im wart“ bezeichnete.7 Nach dem Prager rechten, fortschrittlichen Künstlern ein Mittelpunkt stehen seine fünf Besuche in Musikkongress 1947 war im Wiener Ku- begeistertes Echo gefunden“ habe.15 Der Wien, die er vor allem in Ausübung sei- rier zu lesen, dass Schostakowitsch An- Antrag von Schostakowitsch in War- ner politischen Ämter unternahm. Ergän- fang Juni Wien besuchen werde, um an schau, „zwischen den Künstlern aller zend wird knapp auf die Beziehungen des einem Konzert mitzuwirken, das ihm zu Länder persönliche Beziehungen und ei- sowjetischen Komponisten zur öster- Ehren veranstaltet werde.8 Dies ließ sich nen Austausch der Werke herzustellen“, reichischen Musik und die Schostako- jedoch ebenso wenig realisieren wie der wurde vom Komponisten Marcel Rubin witsch-Rezeption in den österreichischen angekündigte Besuch im Jahr 1946. auch in Österreich bekannt gemacht.16 Konzertsälen und Medien eingegangen. Dmitrij Schostakowitsch besuchte Wien Diese Initiative Schostakowitschs und erstmals im Dezember 1952, um am die in Warschau gefassten Beschlüsse, Weltfriedenskongress 1952 „Völkerkongress zum Schutz des Frie- die ebenso auf die Erweiterung der kul- Ein Besuch Schostakowitschs in Wien dens“ teilzunehmen, der vom 12. bis turellen Beziehungen abzielten, war für war zunächst bereits in den Jahren 1946 19. Dezember 1952 unter großer interna- die Österreichisch-Sowjetische Gesell- und 1947 angekündigt. Mitte 1946 be- tionaler Beteiligung tagte.9 Insgesamt hat- schaft bereits 1951 Anlass, beim Sekre- fand er sich gemeinsam mit Aram Chat- ten Schostakowitschs gesellschaftspoliti- tariat des Zentralkomitees der KPÖ schaturjan, David Oistrach und Lew sche Aktivitäten, insbesondere sein Enga- dafür einzutreten, bei der WOKS „drin- Oborin auf einer Reise durch Westeuro- gement für den Frieden, in diesen Jahren gend für eine größere Anzahl von Einla- pa. Als die Künstler in Prag eintrafen, stark zugenommen: 1949 wurde er zur dungen an Österreich zu plädieren“, entsandte die Gesellschaft zur Pflege der New Yorker Friedenskonferenz entsandt, worauf die Einladung einer österreichi- kulturellen und wirtschaftlichen Bezie- 1950 nahm er am 2. Weltfriedenskongress schen Musiker-Delegation in die So- hungen zur Sowjetunion ihren Musikre- in Warschau teil.10 Dem österreichischen wjetunion geplant wurde.17 2 Beiträge Dass Schostakowitsch – wie in der Li- teratur behauptet – auch am 3. Weltfrie- denskongress in Wien im Dezember 1952 ein Referat gehalten hat,18 erscheint aufgrund der vorhandenen Quellen eher unwahrscheinlich.19 Sicher ist, dass er ei- ner Diskussion von Musikschaffenden vorstand, dort jedoch bedauern musste, dass nur 19 Musiker am Kongress anwe- send seien.20 Erbittert über diese man- gelnde Aktivität der Musiker in der inter- nationalen Friedensbewegung sei bei dieser Aussprache, die nach Abschluss des Kongresses stattfand, der Entschluss gefasst worden, „alles zu tun, um die Musikschaffenden weitgehend in das ge- sellschaftliche Leben einzubeziehen und für die edle Sache des Friedenskampfes Dmitrij Schostakowitsch mit Joseph Marx und Franz Salmhofer im Juni 1953. zu mobilisieren“, so Schostakowitsch in seinem Kongressbericht.21 weichquartier im wohnt hatte, kamen über das „musika- Am 18. Dezember fand im Vortrags- bei.27 Im Rahmen einer Pressekonferenz lisch glanzvoll(e), szenisch laut der da- saal des Konservatoriums der Stadt Wien sprach Schostakowitsch, der mit dem maligen Kritik großteils enttäuschend(e)“ eine Begegnung von Schostakowitsch Filmregisseur G. Alexandrow („Begeg- Musikfest35 zustimmende, gleichzeitig je- mit österreichischen Komponisten und nung an der Elbe“) nach Wien gereist doch auch vorsichtig kritische Worte: Be- Musikschaffenden statt, an der u.a. Al- war, über die Rolle der Musik im Film sonders hob er seine Bewunderung für fred Uhl, Marcel Rubin, Hanns Eisler, und betonte, dass es für sowjetische die Wiener Philharmoniker,36 für die Mitglieder des Professorenkollegiums Komponisten „eine Ehre und eine „glänzende Orchesterkultur“, hervor, we- und bekannte Wiener Instrumentalisten Pflicht“ sein, „an der Filmarbeit, die wie niger befriedigend hielt er die Leistungen teilnahmen. Schostakowitsch brachte bei keine andere Kunst die Massen erreicht, der Sänger und noch weniger – insbeson- dieser Gelegenheit erstmals in Wien drei teilzunehmen“.28 Vor der Abreise der dere bei „Fidelio“ – die Inszenierung.37 seiner Präludien und Fugen für Klavier Delegation am 15. Juni29 referierte Der Erinnerung des Presse-Musikkriti- zu Gehör.22 Seine öffentlichen Erklärun- Schostakowitsch – auf Vermittlung der kers Franz Endler entsprechend besaß gen standen im Zeichen der Betonung ÖSG und auf Einladung der steirischen Schostakowitsch „als einziger […] die der Völkerfreundschaft zwischen Öster- Musikdirektion30 – auch im Saal des Courage, seine Meinung unverblümt zu reich und der Sowjetunion: Bei der Be- Landeskonservatoriums in Graz vor Gra- sagen“. Er „fand die Aufführung dem gegnung mit der Musikern und Kompo- zer Musikausübenden, Komponisten, Anlaß nicht unbedingt entsprechend“ und nisten habe er erkannt, dass sich diese Kapellmeistern der Grazer Oper und Stu- äußerte „nicht nur freundliche, sondern „zutiefst für die heutige Sowjetmusik in- dierenden des Konservatoriums „über auch klug-kritische Worte“.38 Im Rah- teressieren sowie auch wir in unserem die Heranbildung und die Lage der so- men einer Pressekonferenz übte Schosta- Lande lebhaft alles Gute und Interessan- wjetischen Komponisten“.31 kowitsch darüber hinaus Kritik am auch te aufnehmen, was von den Musikern in Der dritte Wien-Besuch fand 1955 heute noch umstrittenen Eisernen Vor- allen Ländern geschaffen wird“.23 statt, als Schostakowitsch gemeinsam mit hang von Rudolf Eisenmenger.39 Dieser dem Direktor der Moskauer Oper Mich- soll ihn an die „Seifenetikette einer Par- ÖSG-KKongress 1953 und ail Tschulaki als Ehrengast der Wieder- fümerie“ erinnert haben.40 Eine wie bei Staatsopern-WWiedereröffnung eröffnung der Wiener Staatsoper bei- seinen ersten beiden Wien-Besuchen an- Bereits ein halbes Jahr später weilte wohnte. Die Einladung dazu war von beraumte Zusammenkunft mit öster- Schostakowitsch erneut in Wien, als Mit- Seiten der Wiener Staatsoper und der reichischen Komponisten musste glied der sowjetischen Freundschaftsde- Bundesregierung ergangen, nachdem of- Schostakowitsch absagen, da er Nach- legation, die an der Generalversammlung fenbar auf dem Wege der Öster- richt vom Ableben seiner Mutter erhielt der Österreichisch-Sowjetischen Gesell- reichisch-Sowjetischen Gesellschaft und und sofort abreisen musste.41 Er kam ge- schaft am 6. und 7. Juni 1953 teilnahm.24 der KPÖ entsprechende Fühlungnahmen rade noch rechtzeitig mit dem Flugzeug Am Flughafen wurde Schostakowitsch in Moskau stattgefunden hatten.32 Bei zur Beerdigung am 12. November.42 von ÖSG-Präsident Hugo Glaser will- der Eröffnungspremiere („Fidelio“) kam kommen geheißen25 und nach Beendi- es auch zu einer Begegnung Schostako- Präsident der SÖG 1958 gung der Tagung, am 9. Juni, auch von witschs mit dem Dirigenten Bruno Wal- Als Schostakowitsch 1958 erneut beim Bundespräsident Theodor Körner emp- ter,33 den der Komponist bereits 1926 in Kongress der Österreichisch-Sowjeti- fangen.26 Anlässlich seines zweiten Wi- Moskau kennengelernt hatte, um ihm die schen Gesellschaft zu Gast war, war er en-Aufenthalts fand erneut eine Zusam- Partitur seiner 1. Symphonie auf dem wenige Monate zuvor zum Präsidenten menkunft mit österreichischen Kompo- Klavier vorzuspielen.34 der neu gegründeten Schwestergesell- nisten, an der u.a. Joseph Marx und Auch von Schostakowitsch, der neben schaft der ÖSG in Moskau, der Sowjet- Franz Salmhofer teilnahmen, statt. An den Premieren von „Fidelio“ und „Don isch-Österreichischen Gesellschaft freien Abenden wohnte er Vorstellungen Giovanni“ den Generalproben von „Die (SÖG), gewählt worden. Den Angaben der Wiener Staatsoper in ihrem Aus- Frau ohne Schatten“ und „Aida“ beige- Martin Grünbergs zufolge, des damali-

4/06 Beiträge 3 gen Zentralsekretärs der Gesellschaft, künstlerischen Jury anwesend zu sein,54 Uhl, der von Joseph Marx den Vorsitz soll die ÖSG durchgesetzt haben, dass ein Ansinnen, das er auch in einer Gruß- der ÖSG-Musiksektion übernommen hat- Schostakowitsch zum Präsidenten der botschaft an die Teilnehmer im Jahr dar- te, sprach einleitende Worte. Nachdem SÖG gewählt wurde. Dieser Schritt soll auf wiederholte,55 dennoch kam es in Schostakowitsch den Wunsch geäußert in weiterer Folge auch der ÖSG „einen diesem Jahr ebenso wenig zu einem Wi- hatte, Werke lebender österreichischer Bekanntheitsgrad und eine Popularität“ en-Besuch wie im Jahr 1960, als er – Komponisten kennenzulernen, wurde ein verliehen haben, die schlagartig allen gemäß den Angaben von Krzysztof Mey- zweiter Termin zur Vorführung zeit- klar machte, dass unsere Tätigkeit keine er – im Rahmen einer Europa-Tournee genössischer österreichischer Musik auf Einbahnstraße ist, sondern dass wir im gemeinsam mit Jewgenij Mrawinskij, Tonbändern und Schallplatten vereinbart. Interesse unseres Landes auch in der So- Gennadij Roschdestwenskij und den Le- Diese fand am Vortag der Staatsopern- wjetunion Informationen, kulturelle Er- ningrader Philharmonikern auch in premiere im Österreich-Haus auf dem Jo- rungenschaften und andere Inhalte ver- Österreich geweilt haben soll.56 sefsplatz statt und dauerte drei Stunden breiten“, so Grünberg.43 Schostako- lang, wobei sich Schostakowitsch zu je- witsch war zu diesem Zeitpunkt der ÖSG „Katerina Ismailowa“ dem einzelnen Werk Notizen machte. bereits zu einem „vertrauten Freund“ ge- und Ehrungen Danach erklärte er, dass er vom öster- worden.44 ÖSG-Präsident Glaser inter- Der letzte Wien-Besuch von Dmitrij reichischen Musikschaffen der Gegen- pretierte seine Wahl auch als „Verbeu- Schostakowitsch stand im Zusammen- wart stark beeindruckt sei und sich zu gung vor der österreichischen Musika- hang mit der österreichischen Erstauf- Hause mit den Werken, die er gehört ha- lität“.45 Bei der SÖG-Gründungsver- führung seiner neu bearbeiteten Oper be, auf Grund seiner Notizen und Unter- sammlung am 24. Juli 1958 in Moskau „Katerina Ismailowa“, die am 12. Februar lagen noch eingehend befassen werde. waren der stellvertretende Vorsitzende 1965 in der Wiener Staatsoper stattfand. Marcel Rubin überliefert folgende Aussa- des Ministerrates der UdSSR Anastas Gemäß einer Äußerung von Hugo Glaser ge eines der „bekanntesten Komponi- Mikojan, Botschafter Norbert Bischoff, soll diese Aufführung auf Anregung der sten“ Österreichs: „Seltsam. Wir sind sowie Bundeskanzler Julius Raab anwe- ÖSG zustande gekommen sein, als „wür- hier schon mit so manchen berühmten send, der anlässlich des Besuches einer diger und glanzvoller Auftakt zu dem Kollegen aus dem Ausland zusammenge- Regierungsdelegation in der Sowjetuni- Festprogramm, das die Zwanzigjahrfeier kommen. Aber bis zu Schostakowitsch on weilte.46 In der ersten Sitzung des der Befreiung Österreichs umfassen hat sich keiner für irgendeine Musik 102-köpfigen SÖG-Vorstands47 wurde wird“.57 Schostakowitsch erreichte Wien außer seiner eigenen interessiert.“66 Karl Schostakowitsch zum Vorsitzenden ge- am 2. Februar, wurde bereits am Ostbahn- Brix erinnerte sich Jahre später an diesen wählt, ein Amt, das der Komponist – zu- hof von Staatsoperndirektor Musiknachmittag und hob die „Feinfüh- letzt nach seiner Wiederwahl 197148 – begrüßt und nahm in den Folgetagen an ligkeit“ hervor, „mit der Schostakowitsch bis zu seinem Tod 1975 bekleidete. den letzten Proben teil.58 Neben Vorstel- Vorzüge oder Schwächen der Komposi- In seiner neuen Eigenschaft als SÖG- lungen des „Rosenkavaliers“ und der tionen beurteilte, ohne je zu verletzen Präsident führte Schostakowitsch die so- „Fledermaus“ in der Wiener Staatsoper oder zu übertreiben“.67 wjetische Delegation beim V. Bun- und des „Grafen von Luxemburg“ in der Dieser fünfte Besuch Schostakowitschs deskongress der Österreichisch-Sowjeti- Volksoper besuchte Schostakowitsch in Wien war auch seine letzte Österreich- schen Gesellschaft am 29./30. Novem- auch eine Aufführung von Mahlers 5. Reise, kam doch im August 1974 aus ge- ber 1958 in Wien an. Nachdem er „mit Symphonie und der d-Moll-Messe von sundheitlichen Gründen eine geplante einer lang andauernden, überaus herzli- Bruckner.59 Nach der Premiere seiner Reise nach Salzburg, um der Aufführung chen Ovation“ begrüßt worden war, Oper zeigte er sich über die Darbietung seiner 10. Symphonie durch die Berliner ging Schostakowitsch in seiner Anspra- sehr zufrieden und hob die „vorzügli- Philharmoniker unter Herbert Karajan che näher auf die Tätigkeit der SÖG ein. che(n) Sänger“ und das „ausgezeichnete nicht mehr zustande.68 Eine von Lothar Anlässlich des Kongresses wurde er Orchester“ hervor.60 Das Publikum feierte Seehaus erwähnte Wien-Reise im Jahr auch vom Bundespräsidenten Adolf den Komponisten „inmitten der Schar sei- 1969, um die vom Vorstand der Wiener Schärf empfangen.49 Mit Charlotte Eis- ner Mitarbeiter sehr herzlich“.61 Mozart-Gesellschaft verliehene Mozart- ler, Sängerin und erste Frau Hanns Eis- In der Forschungsliteratur wird die Medaille entgegen zu nehmen,69 ent- lers, die aufgrund ihrer Tätigkeit für den „künstlerische Ehrlichkeit und spricht nicht den Tatsachen. Vielmehr Staatlichen Musikverlag in Moskau in Integrität“62 Schostakowitschs unterstri- nahm Schostakowitsch diese ihm im De- den 1930er Jahren50 Russisch sprach, chen und das Bild eines bescheidenen, zember 1969 zuerkannte Auszeichnung70 seit 1925 der KPÖ angehörte51 und ab gütigen und hilfsbereiten Menschen ge- „in Anerkennung seiner schöpferischen 1957 als verantwortliche Redakteurin zeichnet. Auch Hugo Glaser hob 1965 Leistungen und seines Beitrages zur Ver- des Mitteilungsblattes der ÖSG-Musik- die „große Beliebtheit“ Schostakowitschs breitung der Musikwerke Mozarts in der sektion wirkte,52 besuchte Schostako- in der österreichischen Hauptstadt her- UdSSR“ im Februar 1970 in Moskau vom witsch die Wiener Staatsoper und eine vor: „Er wurde von allen Seiten mit einer ÖSG-Präsidenten Hugo Glaser entge- Bruckner-Messe in der Hofkapelle, die Herzlichkeit geehrt, wie sie nur selten ei- gen.71 Darüber hinaus wurde Schostako- auf ihn eine starke Faszination ausgeübt nem Gast zuteil wird“.63 So gab die 1964 witsch mit zwei hohen Ehrungen der Re- haben soll. Ihrem Sohn Georg Eisler ge- gegründete Gesellschaft für Musik – wohl publik ausgezeichnet: In Anerkennung stattete der Komponist, ihn mehrere am 4. Februar64 – einen Empfang für den seiner Bemühungen um die Herstellung Stunden lang zu portraitieren.53 sowjetischen Komponisten.65 Auf Einla- von Kontakten zwischen Österreich und Zwar kündigte Schostakowitsch im dung der ÖSG nahm Schostakowitsch an der Sowjetunion auf dem Gebiete der Mu- Rahmen dieses Wien-Aufenthalts an, bei einer Aussprache mit österreichischen sik erhielt er am 15. März 1967 in der den bevorstehenden VII. Weltjugend- Komponisten, einem „zwanglosen Bei- österreichischen Botschaft in Moskau aus festspielen 1959 in Wien als Mitglied der sammensein“, teil. Der Komponist Alfred den Händen von Bundeskanzler Klaus das

4/06 4 Beiträge Beitrag über den Komponi- greifender gesellschafts- und kulturpoli- sten in Erscheinung.76 Ein tischer Umbrüche, in der die westeu- Foto aus dem Jahr 1959 ropäische Avantgarde-Musik im sowjeti- zeigt Schostakowitsch ge- schen Musikleben auf lebhaftes Interesse meinsam mit Norbert Bi- stieß. Ausländische Künstler wurden von schoff bei der Suppé-Feier in der Assoziation Zeitgenössischer Musi- Moskau.77 Im Jahr darauf ker (ASM), der auch Schostakowitsch sprach der Komponist bei nahe stand, eingeladen, in der Sowjetuni- einem Jubiläumskonzert an- on zu gastieren und brachten dabei ein lässlich des 100. Geburts- neues Repertoire mit, neben den Werken tags von .78 Gustav Mahlers auch solche von Neue- In seiner Eigenschaft als rern wie Arnold Schönberg, Ernst Kre- SÖG-Präsident wies nek und Alban Berg.85 Laut Michael Ko- Schostakowitsch darauf hin, ball war es der Komponist und Musik- dass darüber hinaus auch die kritiker Boris Assafjew, der Schostako- Gedenk- und Jubiläumsda- witsch zum Studium der 2. Wiener Schu- ten von Josef Haydn, Jo- le ermuntert haben soll.86 Am 13. Juni hann Strauß und Hugo Wolf 1927 traf Schostakowitsch anlässlich der mit Konzerten und Vorträ- Moskauer Inszenierung von „Wozzeck“ gen feierlich begangen wor- mit Alban Berg zusammen, dessen „un- den sind.79 Sein Werkver- mittelbar anregende Rolle“ für Schosta- zeichnis weist – ohne Opus- kowitschs Oper „Die Nase“ in der Litera- zahlen – eine Neuinstrumen- tur ebenso hervorgehoben wird87 wie der tierung der Operette „Wie- Einfluss von Bergs Violinkonzert auf das ner Blut“ und der Polka 1. Violinkonzert des sowjetischen Kom- „Vergnügungszug“ von Jo- ponisten.88 Berg wiederum besuchte die hann Strauß aus den Jahren Erstaufführung von Schostakowitschs Dmitrij Schostakowitsch mit dem ihm 1967 verliehe- 1938 bzw. 1940 auf. 1. Symphonie ein Jahr später in Wien nen Großen silbernen Ehrenzeichen für Verdienste Hugo Glaser betonte 1965 und teilte ihm in einem Brief mit, dass er um die Republik Österreich. Schostakowitschs Verbun- „sie, namentlich den 1. Satz, famos“ fin- ihm vom Bundespräsidenten verliehene denheit mit der österreichischen Musik, de.89 Ebenso 1927 wohnte Schostako- „Große silberne Ehrenzeichen für Ver- „seine Bewunderung für Mozart, Bruck- witsch in Leningrad den Proben zu dienste um die Republik Österreich“.72 ner und Mahler“.80 Die besondere Affi- Schönbergs „Gurreliedern“ unter Nikolaj Am 30. Mai 1974 wurde Schostakowitsch nität der Musik Schostakowitschs, vor al- Malko bei. Auch 1934 soll Schostako- in Moskau im Rahmen einer Feier von lem seines symphonischen Schaffens, zu witsch jede Probe besucht haben, als Bundeskanzler Kreisky das „Ehrenzei- Gustav Mahler wird auch in der For- Fritz Stiedry mit der Leningrader Phil- chen der Republik Österreich für Wissen- schungsliteratur hervorgehoben.81 Seit harmonie Schönbergs „Orchestervaria- schaft und Kunst“ überreicht, als „Symbol der Mahler-Renaissance versäumte tionen“ op. 31 einstudierte.90 des Dankes für Schostakowitschs Schostakowitsch keine Gelegenheit, sich Mit dem österreichischen Dirigenten – Bemühungen um die Intensivierung der in Erklärungen zu Mahler zu bekennen.82 1924–25 Direktor der Wiener Volksoper, kulturellen Beziehungen zwischen der Vor allem von den kommunistischen 1933 als Chefdirigent der Berliner Städ- UdSSR und Österreich“.73 Musikkritikern wurde in der zeitgenössi- tischen Oper entlassen und seither künst- schen Mahler-Rezeption die Verbin- lerischer Leiter des Philharmonischen Schostakowitsch und dungslinie von Mahlers Musik als Gip- Orchesters in Leningrad – war Schosta- die österreichische Musik felwerk der humanistischen Kunst zur kowitsch auch aufgrund der Urauf- Schostakowitschs Bemühungen um die Symphonik von Sergej Prokofjew und führung des 1. Klavierkonzerts 1933 und österreichische Musik und österreichi- Dmitrij Schostakowitsch hervorge- der 4. Symphonie, die er im November sche Komponisten waren zahlreich und hoben.83 Als mit der 1. Symphonie Mah- 1936 noch vor ihrer Uraufführung mannigfaltig: Bei offiziellen Anlässen lers Musik am 3. Juni 1945 erstmals zurückzog, verbunden. Schostakowitschs trat er als Festredner auf, so z.B. bei der nach der Befreiung wieder in Wien er- Entscheidung, die Symphonie nicht zur Festsitzung im Großen Saal des Moskau- klang, hob die Österreichische Zeitung – Aufführung zu bringen, fiel in eine Phase er Konservatoriums anlässlich des 125. das Organ der Roten Armee in Öster- verschärfter Kulturpolitik und wachsen- Todestags von Franz Schubert am 19. reich – Schostakowitsch als Komponi- der Druckausübung: Auch im Bereich November 1953, einberufen vom sowjet- sten hervor, der die besten Traditionen der Musik wurde der Diskurs über den ischen Kulturministerium gemeinsam Mahlers würdig fortsetze.84 „sozialistischen Realismus“ verengt und mit der WOKS und dem sowjetischen Es war vor allem die Freundschaft „modernistische Tendenzen“, atonale Komponistenbund.74 Die Rede Schosta- Schostakowitschs mit Ivan Sollertinski, und zwölftontechnische Kompositions- kowitschs wurde gemeinsam mit einem dem Verfasser der ersten sowjetischen weisen, mit dem Etikett des „Formalis- Schubert-Konzert aus Moskau auch in Studie über die Symphonien Mahlers, mus“ belegt. Der Startschuss dieser der „Russischen Stunde“ der RAVAG die ihn mit der Musik des österreichi- Kampagne richtete sich direkt gegen im Radio übertragen.75 Anlässlich der schen Komponisten bekannt machte. Schostakowitsch, als in der Prawda am Mozart-Feiern zu dessen 200. Geburtstag Entscheidend war die kulturelle Atmos- 28. Jänner 1936 nach Jahren des Erfolgs trat Schostakowitsch mit einem kurzen phäre der 1920er Jahre, einer Zeit tief- ein vernichtender redaktioneller Artikel

4/06 Beiträge 5 gegen dessen Oper „Lady Macbeth von Zwölftonmusik weder bei den Komponi- sein müsse, „das ausschließlich durch die Mzensk“ mit dem Titel „Chaos statt Mu- sten noch beim Publikum viel Wider- bürgerliche sowjetfeindliche Propaganda sik“ erschien. Die Linie von 1936 wurde hall.“96 Im selben Jahr wurde im Schwer- herbeigeführt wurde“, wies Schostako- im Jahr 1948 – nach einer Phase deutli- punktheft „20 Jahre Kunst in Freiheit“ witsch die österreichische Schwesterge- cher Entspannung in den Kriegsjahren – der Österreichischen Musikzeitschrift sellschaft zurecht.102 Die Frage, inwie- wieder aufgenommen. Im Zusammen- Schostakowitschs am 31. Mai 1964 in der weit sich der Komponist mit dem propa- hang mit Schostakowitschs Herangehen Prawda publizierte Verurteilung der Do- gandistischen Inhalt der wohl nicht von an die 2. Wiener Schule sind diese Etap- dekaphonie und seriellen Musik als „ei- ihm selbst formulierten Äußerungen pen sowjetischer Musikgeschichte91 vor nes der großen Übel in der Kunst des 20. identifizierte, indem er seinen Namen allem in einer Hinsicht von Interesse: Jahrhunderts“ und des Avantgardismus dafür hergab, hat Georg Eisler auch im Selbst als im Jahr 1958 die Beschlüsse als „eine zutiefst reaktionäre, dekadente Zusammenhang mit Schostakowitschs der „Formalismus“-Resolutionen offizi- Erscheinung“ abgedruckt, wobei diesem Statements zur Zwölftonmusik und welt- ell korrigiert wurden und in der Musik- Urteil eine bissige redaktionelle Vorbe- politischen Ereignissen aufgeworfen: szene erneut eine größere Offenheit ein- merkung vorangestellt wurde.97 Wie sehr „Sie klangen nicht sehr persönlich, wie kehrte, blieb Schostakowitsch bei seiner diese Stellungnahmen Schostakowitschs viele, offenbar von anderen aufgesetzte öffentlich bekundeten Ablehnung der auch in der österreichischen Fachwelt zur Phrasen. […] Alle diese dezidierten Er- Zwölftonmusik. Diesbezügliche Stellun- Kenntnis genommen worden sind, davon klärungen klangen falsch und fremd, gnahmen des Komponisten fanden auch zeugt ein hektographiertes Schreiben wenn man sich an das Erscheinungsbild in Österreich ihren Widerhall: Anlässlich Hans Erich Apostels, das dieser als Rück- des Komponisten erinnerte.“103 des „Warschauer Musikfestes“ im Sep- blick auf das Jahr 1965 an Komponisten- tember 1959 erinnerte er daran, dass sich kollegen verschickte: Die Kritik des so- Nachholbedarf nach 1945 in den 1920er Jahren die sowjetischen wjetischen Komponisten – „als größter Abschließend zur Rezeption von Komponisten „für die verschiedensten Eklektizist aller Zeiten“ – an der Dodeka- Schostakowitschs Leben und Schaffen in spekulativen Experimente auf allen Ge- phonie charakterisierte Apostel als „Dik- den österreichischen Medien und einige bieten“ begeistert hätten, sich jedoch tatur der geistigen Bequemlichkeit“.98 Ausschnitte aus der Aufführungsge- bald von deren „Fruchtlosigkeit“ und Insgesamt ist im Zusammenhang mit schichte seiner Werke, wobei aufgrund „Isolierung vom realen Boden der Wirk- dieser Verurteilung der Zwölftonmusik der Quellenlage der Wiener Musikverein lichkeit“ überzeugen hätten können: zu beachten, dass sich Schostakowitsch und das Wiener Konzerthaus, und hier „Die Zwölftonmusik hat nicht nur keine häufig öffentlich zu Fragen der Musik, wiederum vor allem Erstaufführungen Zukunft, sie hat auch keine Gegenwart. der Kunst im Allgemeinen und in Ausü- im Mittelpunkt stehen.104 Schostako- Sie war nur ,Mode‘, die bereits vorüber- bung seiner Ehrenämter auch zu aktuel- witschs 1. Symphonie erklang in Wien geht.“ Diese 1960 im Tagebuch publi- len politischen Fragen äußerte. Viele die- bereits am 28. November 1928 – ein Jahr zierte ablehnende Äußerung92 führte in ser Stellungnahmen – Interviews, Arti- nach der ersten Aufführung außerhalb der KPÖ-nahen Intellektuellenzeitschrift kel, Reden – wurden in der österreichi- der Sowjetunion in Berlin unter Bruno zur zweiten großen Diskussion über die schen, der KPÖ nahe stehenden Presse Walter105 – in einem Konzert der Wiener Zwölftonmusik nach 1955, an der sich nachgedruckt,99 wobei vor allem seine Symphoniker unter Robert Heger106 und u.a. – durchaus kontrovers – die Kompo- Bekenntnisse zur offiziellen Ästhetik konnte „einen starken Publikumserfolg“ nisten Marcel Rubin, Friedrich Wildgans und Kulturpolitik der Partei in den erzielen.107 Am 21./22. November 1936 und Karl Heinz Füssl beteiligten. Die 1950er und 1960er Jahren als besonders dirigierte Arturo Toscanini dasselbe Debatte fand mit dem Nachdruck eines „systemkonform“ interpretiert wurden. Werk im Abonnementkonzert der Wie- Beitrags von Schostakowitsch aus der Bekannt ist auch, dass diese Äußerungen ner Philharmoniker.108 Wenige Monate Prawda vom 7. September 1960 – eine häufig nicht aus der Feder von Schosta- zuvor, am 16. August, brachten die Phil- seiner schärfsten Attacken auf das kowitsch selbst stammten.100 Vor diesem harmoniker die Symphonie bereits im Zwölftonsystem93 – ihren Abschluss.94 Hintergrund ist auch seine Stellungnah- Rahmen eines Orchesterkonzerts bei den Seine Ablehnung der Zwölftonmusik me zum Einmarsch der Warschauer Ver- Salzburger Festspielen unter der Leitung betonte Schostakowitsch auch im Rah- tragsstaaten in Prag im Jahr 1968 zu wer- von Artur Rodzinski zu Gehör. Hinsicht- men öffentlicher Erklärungen in Wien: ten, die er im Auftrag des SÖG-Vorstan- lich der Rezeptionsgeschichte des Schaf- Im Interview mit dem kommunistischen des an den Präsidenten der ÖSG, Hugo fens von Schostakowitsch vor 1945 ist Abend ließ er 1953 positiven Bezugnah- Glaser, richtete, nachdem dieser in ei- noch ein Klavierabend von Shura Cher- men auf die Wiener Klassik und Gustav nem Brief vom 28. August seine „Be- kassky am 22. Oktober 1936 im Mozart- Mahler seine ablehnende Haltung ge- stürzung“ über die Intervention der so- Saal des Wiener Konzerthauses zu er- genüber dem „Formalismus gewisser wjetischen Truppen in der Tschechoslo- wähnen, in dessen Rahmen fünf Präludi- Moderner“ folgen: So gehe das sowjeti- wakei geäußert hatte. Dieser vom Ar- en dargeboten wurden. Nach dem „An- sche Publikum bei Schönberg „allenfalls beitsausschuss der ÖSG beschlossene schluss“ Österreichs im März 1938 dürf- bis zu den Gurreliedern“, wolle „ihm Brief erging an Schostakowitsch und die te bis 1945 in den Wiener Konzertsälen aber nicht zu einem Zwölftonsystem fol- Mitglieder der Gesellschaft, war jedoch kein Werk Schostakowitschs erklungen gen“.95 Auch zwölf Jahre später, 1965, nicht zur Veröffentlichung bestimmt. sein, auch nicht in den Jahren zwischen hob er in einer Aussprache mit öster- Die vom SÖG-Präsidenten unterschrie- 1939 und 1941, als es infolge des reichischen Komponisten Bruckner und bene Reaktion war „ungemein scharf“:101 deutsch-sowjetischen Freundschaftsver- Mahler als populäre österreichische Die sozialistischen Länder seien der trages zu einem gewissen Maß an Kultu- Komponisten in der Sowjetunion hervor, Konterrevolution zuvorgekommen, wes- raustausch kam. Ab 1941 wurde die Auf- darüber hinaus nannte er Schönberg, We- halb „diese ,Bestürzung‘ die Folge eines führung von Werken russischer Kompo- bern und Krenek: „Allerdings finde die offensichtlichen Missverständnisses“ nisten ausnahmslos verboten.109

4/06 6 Beiträge In der ersten Nachkriegssaison spiegel- Ehren des Staatsfeiertages der Sowjetuni- zur Sowjetunion setzte in der zweiten te sich der Nachholbedarf gegenüber on“.115 Am 9. Februar 1946 fand im Rah- Nachkriegssaison, 1946/47, ihre Veran- Werken sowjetischer Komponisten in 17 men des von der Gesellschaft veranstalte- staltungstätigkeit mit sechs russischen Erstaufführungen wider, wobei – gemäß ten „1. Russischen Symphoniekonzerts“ Abonnementkonzerten und vier Festkon- der Darstellung des Kritikers der Öster- der Wiener Symphoniker unter Kresimir zerten fort.123 Im Festkonzert zu Ehren reichischen Zeitung Hajas – Schostako- Baranovic die Erstaufführung der 5. Sym- des 29. Jahrestages der Gründung der witsch als der „führende, kühnste moder- phonie statt.116 Dieses 1937 uraufgeführte Sowjetmacht im Großen Musikvereins- ne Sowjetkomponist“ am stärksten in den Werk, das Schostakowitsch nach seiner saal erklang am 5. November 1946 er- Konzerten vertreten war.110 Diese Auf- Verurteilung im Jahr 1936 als „Antwort neut die 5. Symphonie in der bewährten führungswelle war vor allem auf die Ak- eines sowjetischen Künstlers auf berech- Kombination Wiener Symphoniker und tivitäten der Gesellschaft zur Pflege der tigte Kritik“ ausgab, blieb bis heute das Josef Krips, nachdem zunächst die Er- kulturellen und wirtschaftlichen Bezie- meistgespielte auch in den Wiener Kon- staufführung der 5. Symphonie von Pro- hungen zur Sowjetunion – der späteren zertsälen. Die Erstaufführung der kofjew angekündigt worden war.124 Beim Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft 9. Symphonie folgte am 11. April im 6. Russischen Symphoniekonzert am – und den Bemühungen ihrer Musiksekti- „Festkonzert zum 1. Jahrestag der Befrei- 25. April 1947 stand erneut die „Lening- on zurückzuführen. Die Viermächtebe- ung Wiens durch die Rote Armee“ im rader“ auf dem Programm, dieses Mal satzung Österreichs fand auch im Gast- Musikverein. Es dirigierte Josef Krips. unter der Stabführung von Rafael Kube- spiel Moskauer Künstler im Sommer Friedrich Wildgans – Komponist und lik, der das „Monumentalwerk […] zu 1945 und in den kulturellen Aktivitäten Musikkritiker der Österreichischen Zei- gewaltiger dynamisch-differenzierter der Kommunistischen Partei Österreichs tung – hob hervor, dass Schostakowitsch Klangwirkung“ führte.125 Am 1. und kulturpolitische Resonanz. Am 2. August nunmehr nach Überwindung der Einflüs- 2. Februar 1947 stellte Krips „das fun- interpretierten im Mozart-Saal des Kon- se Bruckners und Mahlers „seinen per- kelnde Kolossalgemälde“126 der 5. Sym- zerthauses die Starinstrumentalisten Lew sönlichen Stil in Reinkultur“ gefunden ha- phonie im Rahmen des 4. Abonnement- Oborin, David Oistrach und Swjatoslaw be, bescheinigte der Aufführung jedoch konzerts der Wiener Philharmoniker Knuschewitzkij Schostakowitschs 2. Kla- einen „Mangel an Proben“.117 Auch Peter auch dem konservativeren Wiener Publi- viertrio. Auch die KPÖ trat nunmehr als Lafite entdeckte „ein gleichsam neues kum vor.127 Im Schubert-Saal des Kon- Konzertveranstalter in Erscheinung: So Profil des russischen Meisters“.118 zerthauses erklang am 23. April 1947 fand die österreichische Erstaufführung In Veranstaltungen der Gesellschaft erstmals das 1. Streichquartett, dargebo- des bekanntesten Werks Schostako- wurde das Wiener Publikum auch mit ten vom Amsterdamer Streichquartett,128 witschs, seiner 7. Symphonie – der „Le- kammermusikalischen Werken und dem das das Werk auch im Rahmen eines ningrader“ –, in einem Konzert der Wie- Liedschaffen Schostakowitschs bekannt Hauskonzerts der Universal-Edition am ner Stadtleitung der KPÖ zu Ehren der al- gemacht: Im ersten Hauskonzert russi- 24. Jänner des Folgejahres spielte.129 liierten Siegermächte am 28. Oktober scher Werke im Festsaal des Palais La- Die Saison 1947/48 war die letzte, in 1945 im Großen Musikvereinssaal statt. risch, dem Sitz der Gesellschaft, sang Lju- der Abonnementkonzerte der Gesell- Josef Krips dirigierte die Wiener Sym- bomir Pantschew am 30. Dezember 1945 schaft zur Pflege der kulturellen und phoniker,111 die in ersten Jahren bis 1948 die „Vier Romanzen nach Puschkin“, am wirtschaftlichen Beziehungen zur So- oftmals von Parteien, Verbänden und Ge- Flügel saß Otto Schulhof.119 Das Konzert wjetunion stattfanden. In den darauf fol- sellschaften „gemietet“ wurden und vor wurde am 20. Jänner 1946 als „1. Russi- genden Jahren beschränkte man sich auf diesem Hintergrund an zahlreichen Feier- scher Kammermusikabend“ im Brahms- die Ausrichtung von wenigen Festkon- stunden und Festsitzungen mitwirkten.112 Saal des Musikvereins wiederholt.120 Am zerten und die Durchführung der Öster- Die Wiener Revue berichtete vom über- dritten Abend dieser Reihe am 27. April reichisch-Sowjetischen Freundschafts- wältigenden Eindruck, den das Werk hin- präsentierte das Philharmonia-Quartett wochen. Während sich die „großen Kon- terlassen haben soll.113 Die bereits zuvor Schostakowitschs 2. Streichquartett.121 zertgesellschaften“ Wiens zu dieser Zeit geplante Erstaufführung der in den Doch auch weitere Konzertveranstalter – wie Friedrich Wildgans in einem Brief Kriegsjahren während der Belagerung setzten Werke von Schostakowitsch auf an formulierte130 – wieder Leningrads entstandenen Symphonie im ihre Spielpläne: Die Erstaufführung des in den Händen „der alten großkapitalisti- „slawischen Konzert“ der KPÖ-Leitung Konzerts für Klavier, Trompete und schen und reaktionären Kreisen“ befan- der tschechoslowakischen Sektionen in Streichorchester fand gar in einem von den und kaum neue Musik programmier- Wien musste zunächst verschoben wer- der ÖVP-nahen Österreichischen Kul- ten, setzte die österreichisch-sowjetische den, da das Notenmaterial nicht rechtzei- turvereinigung veranstalteten Konzert Freundschaftsgesellschaft 1947/48 ihren tig eingetroffen war.114 der Wiener Philharmoniker unter Fritz Kurs fort und brachte vor allem russisch- In der ersten Konzertsaison der Nach- Sedlak im Wiener Konzerthaus am sowjetische und neue österreichische kriegszeit erklangen in mehreren von der 19. November 1945 im Mozart-Saal Musik. In diesem Rahmen erklangen in Gesellschaft zur Pflege der kulturellen statt. Solistin dieser „vielbeachteten“122 den folgenden Saisonen erneut die bei- und wirtschaftlichen Beziehungen zur So- Aufführung war Clara Reganzini. Radio den beliebtesten Symphonien Schostako- wjetunion veranstalteten Konzerten der Wien brachte am 14. April 1946 im Fest- witschs: Am 4. November 1947 (aus- Wiener Symphoniker im Großen Musik- konzert anlässlich des 1. Jahrestages der zugsweise) die 7. Symphonie in der Fest- vereinssaal – vor allem symphonische – Befreiung erstmals nach Kriegsende die veranstaltung zum 30-jährigen Staatsju- Werke des sowjetischen Komponisten, 1. Symphonie. Es spielten die Wiener biläum der Sowjetunion im Großen Mu- z.B. am 5. November 1945 die 7. Sym- Symphoniker unter Felix Prohaska im sikvereinssaal, offiziell im Auftrage der phonie, in einem gemeinsamen Konzert Großen Konzerthaussaal. Österreichischen Bundesregierung. Es der Symphoniker mit den Wiener Philhar- Die Gesellschaft zur Pflege der kultu- konzertierten die Wiener Philharmoniker monikern unter Krips im „Festkonzert zu rellen und wirtschaftlichen Beziehungen unter Rudolf Moralt.131 Beim Festkon-

4/06 Beiträge 7 zert zum Jahrestag der Befreiung Wiens am 12. April 1948 stand im Musikverein erneut die 5. Symphonie auf dem Pro- gramm, es spielten die Wiener Sympho- niker unter Jaroslav Krombholc.132

Spielball im Kalten Krieg Als dasselbe Werk am 27. April 1949 im Konzerthaus bei einem Konzert der Wiener Symphoniker unter Sergiu Celi- bidache erneut dargeboten wurde, hatte sich die Beurteilung Schostakowitschs in den Medien bereits grundlegend gewan- delt: Friedrich Saathen deutete das po- puläre Werk in der Österreichischen Mu- sikzeitschrift nunmehr als „ein tragisches Exempel für die Verwirrung und Ratlo- sigkeit, die gewisse Zwangsausrich- tungsmethoden unter den fortschrittli- chen Komponisten Rußlands gestiftet haben. Auch vom rein musikalischen Standpunkt: viel Fassade, wenig dahin- ter.“133 Insgesamt war ab 1948 die Re- zeption des Schaffens und Wirkens Dmitrij Schostakowitsch, Präsident der Sowjetisch-Österreichischen Gesell- Schostakowitschs in Österreichs Kon- schaft, und Martin Grünberg, Zentralsekretär der Österreichisch-Sowjetischen zertsälen und Medien zunehmend vom Gesellschaft, 1963 in Moskau. Kalten Krieg bestimmt. Bis dahin domi- nierten in der Presse zustimmende Stel- nen ZK-Resolution wurde Schostako- Klangbilds der verfallenden modernen lungnahmen, wofür – unter dem Ein- witsch an erster Stelle der Komponisten Musik“.138 Am Institut für Wissenschaft druck der Anti-Hitler-Koalition der einer „formalistischen, volksfeindlichen“ und Kunst hielt der kommunistische Pu- Kriegsjahre und der Viermächtebesat- Richtung genannt.136 Der Beschluss ver- blizist Hugo Huppert einen Vortrag zum zung in Österreich – auch die positive urteilte erneut Musik jenseits des Soziali- Thema „Musik und Demokratie“,139 der Aufnahme seiner „Leningrader“ Sym- stischen Realismus und erhob Forderun- im Wesentlichen diese Argumentation phonie im Westen mitverantwortlich gen nach mehr Parteilichkeit, Einpräg- wiederholte: Die Komponisten dürften war.134 Peter Lafite etwa, Herausgeber samkeit, Volksverbundenheit usw. Be- nicht Vorbildern nachstreben, „die der der Österreichischen Musikzeitschrift, zweckt war die „Disziplinierung der spätbürgerlichen Verfallskultur an- würdigte Schostakowitsch 1947 anläss- Komponisten in ästhetisch-ideologischer gehören“, sondern müssten „Diener der lich eines Konzerts der Wiener Philhar- Hinsicht“, zahlreiche Werke der genann- Geisteserziehung und Herzensbildung moniker als einen „der fruchtbarsten“ ten Komponisten verschwanden kurzzei- von Millionen“ sein. Schostakowitsch und „originellsten Komponisten des Ta- tig von den Spielplänen.137 hielt er zu Gute, dass dieser „in mancher ges. Sein Werk steht mitten in der Zeit Im Umfeld der sowjetischen Besat- Liedkompositionen, in manchem sym- und wird darum auch vom konservativen zungsmacht und der Kommunistischen phonischen Satz schon bezeugt (hat), daß Publikum unserer konservativsten Kon- Partei Österreichs wurde die Resolution ihm der Musikgeschmack des Volkes zertvereinigung mit zögernder Zurück- gegen den Formalismus zustimmend zur nicht fremd ist“.140 Seine auch in Wien in haltung aufgenommen“.135 Kenntnis genommen. Die Aufgabe, den den vergangenen Jahren oftmals aufge- Trotz des ambivalenten Verhältnisses Beschluss öffentlich zu kommentieren, führten Werke verschwanden nun aus ei- der sowjetischen Staatsmacht zu kam Marcel Rubin – Komponist und 1947 ner Aufzählung der „wichtigsten sympho- Schostakowitsch wurde dieser mit der In- aus dem Exil zurückgekehrter Musikkriti- nischen Kompositionen“ sowjetischer tensivierung des Kalten Krieges im We- ker der Österreichischen Volksstimme – Meister im ÖSG-Organ Die Brücke. Al- sten vor allem als führender Repräsen- zu, der ihn sowohl im Leitartikel des lein die Filmmusik und Streichquartette tant des sowjetischen Kulturlebensund KPÖ-Zentralorgans als auch in der theo- Schostakowitschs, der sich „schon vor Verfechter der parteioffiziellen Kunst- retischen Zeitschrift der KPÖ erläuterte. Jahren […] an die Maniriertheit eines doktrin – als Vertreter des „sozialisti- Den Inhalt des ZK-Beschlusses referie- dem internationalen ,Modestil‘ angepaß- schen Realismus“ – wahrgenommen. rend charakterisierte Rubin die „Verken- ten, um jeden Preis ,neuen‘ Tonsatzes ver- Daran änderte auch nichts, dass Schosta- nung der gesellschaftlichen Rolle der Mu- loren“ hatte, erschienen – dem der KPÖ kowitsch 1948 erneut ins Kreuzfeuer der sik durch einzelne Sowjetkomponisten“ nicht nahe stehenden – Rudolph Franz Kritik geriet und scharf gemaßregelt wur- als eine der „ideologischen Ursachen der Brauner erwähnenswert.141 de. So kam es als Höhepunkt der mit dem unbefriedigenden musikalischen Lage“ Der Beschluss des Zentralkomitees der Namen Andrej Schdanow verbundenen und kritisierte deren Isolierung vom Volk, KPdSU wurde auch über die kommuni- Kulturkampagne der Jahre 1946–48 An- ihre „Anpassung an den verdorbenen Ge- stischen Strukturen hinaus in der öster- fang 1948 auch zur Verurteilung der Ent- schmack musikalischer ,Feinschmecker‘, reichischen musikalischen Öffentlichkeit wicklung des sowjetischen Musiklebens. Spezialisten und Individualisten“, sowie diskutiert. Ein Diskussionsabend der Ge- In einer am 10. Februar 1948 beschlosse- deren „Nachahmung des chaotischen sellschaft zur Pflege der kulturellen und

4/06 8 Beiträge Friedrich Wildgans wiederum trat zunächst zwar nicht öffentlich gegen den sowjetischen Musikerlass auf, deren In- halt führte jedoch zu ernsten Spannungen zwischen ihm und der KPÖ, die 1950 in seinem Austritt bzw. Ausschluss aus der Partei mündeten.146 Diese Auffassungsun- terschiede traten 1949 auch bei Gründung der – von Arbeiter-Zeitung als kommuni- stisch denunzierten147 – Österreichischen Gesellschaft für zeitgenössische Musik zu Tage: Wildgans kritisierte deren Nahever- hältnis zu den kulturpolitischen Auffas- sungen der KPÖ, die wiederum auf dem Boden der sowjetischen Beschlüsse stand. Als Proponenten dieser Gesellschaft zur „Erneuerung der österreichischen Musik“ traten neben Marcel Rubin u.a. auch Jo- seph Marx, Theodor Berger, Alfred Uhl, Alois Melichar und Franz Salmhofer auf.148 Bei der angeblich in der sowjeti- schen musikwissenschaftlichen Zeit- schrift Sowjetskaja Musyka im Mai 1948 Dmitrij Schostakowitsch wird von Marcel Rubin in Wien begrüßt (o.D.). veröffentlichten „Zustimmung öster- reichischer Komponisten zum ZK-Be- wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjet- der Musikfreunde kommentierten die schluß“149 handelt es sich jedoch in Wahr- union am 4. März 1948 wurde sowohl Musikkritiker den ZK-Beschluss ver- heit um die Wiedergabe eines Beitrags von der Tagespresse besprochen, als auch ständnisvoll und allgemein zustim- des Komponisten Alois Melichar im von Erik Werba in der Österreichischen mend: Es sei in der „Wechselrede […] Österreichisches Tagebuch. Melichar, Musikzeitschrift zum Anlass für weiter- der im sozialistischen Staat bestehende Leiter der Abteilung „Ernste Musik“ im gehende Betrachtungen genommen. Wer- ,soziale Auftrag‘ des schöpferischen Wiener Rundfunk, Komponist und Ka- ba fasste die „ausführlichen, fesselnden Musikers gegen seinen individualisti- pellmeister, trat in jenen Jahren als vehe- Ausführungen“ des Referenten Marcel schen Freiheitsanspruch abgewogen menter Kritiker der atonalen, dodekapho- Rubin zusammen und schätzte ein, dass und manche Unklarheit beseitigt“ wor- nischen und seriellen Moderne und Geg- die Diskussion im Palais Coburg unter den, fasste E. Herzog den Diskussions- ner des „kleinbürgerlich-versnobbten Ul- dem Vorsitz von Joseph Marx, „an der abend der Freundschaftsgesellschaft traradikalismus und unfruchtbaren Expe- maßgebliche Köpfe des Wiener Kultur- über die Richtlinien des ZK „zur Förde- rimentalismus“ auf. Sein Eintreten für ei- und Musiklebens teilnahmen, […] das rung eines mehr volkstümlichen Schaf- ne „wirklichkeits- und volksnahe Kunst“ Merkmal durchaus positiver Haltung zur fens der Sowjetkomponisten“ zusam- ließ auch ihn den sowjetischen Musiker- aufgezeigten Sachlage“ getragen habe. men.143 Rudolph F. Brauner hob gar die lass befürworten: Die Organe der sowjeti- Besonders hob er Rubins Argument her- große Bedeutung dieser Angelegenheit schen Musikkultur hätten recht daran ge- vor, dass sich in der Sowjetunion das „auch für uns Österreicher“ hervor: Es tan, „nicht erst so lange zu warten, bis je- höchste gesellschaftliche Organ des sei „notwendig, daß auch unsere Musik ne hyperradikalen, nihilistischen Ent- Volkes mit der Kultur in der gleichen Ge- […] zu einem höheren Grade an allge- wicklungstendenzen, die sich wie eine nauigkeit befasse wie etwa mit der Land- meiner ,Verständlichkeit‘ zurückkehrt, Krätze auf den blühenden Leib der mittel- wirtschaft und der Industrie. Nachdem um den Anschluß an das Leben nicht zu und westeuropäischen Musik gelegt ha- die sowjetischen Komponisten erstmals verlieren“.144 Angestoßen von im ZK- ben, auch in ihrem bisher gesunden Musi- in der Geschichte Gegebenheiten vorfän- Beschluss aufgeworfenen grundsätzli- kland zu wuchern begännen“.150 den, für „einen umfassenden Publikum- chen Fragen des Verhältnisses von Mu- Die gemaßregelten Komponisten, dar- skreis“ zu schreiben, hätten diese auch sik und Gesellschaft reflektierten diese unter auch Schostakowitsch und Pro- die Pflicht – im Sinne einer „Vereinigung Stellungnahmen also stärker die Pro- kofjew, reagierten entschuldigend auf die von Künstler und Gesellschaft“ – für die duktions- und Rezeptionsbedingungen Kritik. Schostakowitschs Absicht, „einen Gesellschaft schreiben. Marx schloss die zeitgenössischer Musik im kapitalisti- Weg zur realistischen Volkskunst zu su- Veranstaltung mit der Charakterisierung schen Westen, unter verkürzter Bezug- chen und zu finden“, wurde auch in der des Beschlusses als „wohlmeinende För- nahme auf Probleme des sowjetischen Österreichischen Musikzeitschrift notiert derung des Künstlers durch den Rat, sich Musiklebens. Dieser Linie folgte auch und von der bürgerlichen und sozialde- nicht in Spekulation und etwas weltfrem- der kommunistische Musikwissenschaf- mokratischen Presse hämisch kommen- der formaler Gestaltung zu verlieren, ter Georg Knepler im Tagebuch, der die tiert.151 Einige neue Kompositionen sondern auf die Stimme des eigenen Her- Voraussetzungen, unter denen die So- Schostakowitschs wie das 1949 geschaf- zens zu lauschen und auf die im Volke wjetkomponisten arbeiten und jene der fene Oratorium „Lied von den Wäldern“ vorhandenen Motive“.142 modernen Musik in Österreich kontra- oder die Kantate „Über unserer Heimat Auch in der britischen Weltpresse und stierte, ohne inhaltlich weiter auf den scheint die Sonne“ von 1952 folgten nun in den Konzertblättern der Gesellschaft ZK-Beschluss einzugehen.145 ebenso wie Prokofjews Werk „Auf Frie-

4/06 Beiträge 9 denswacht“ (1950) einer vereinfachenden reich“ schreiben werde.156 In Anspielung Schostakowitsch, Chatschaturjan usw. „realistischen“ Tonsprache, um den For- auf sein Engagement im Friedenskampf „mit dem Kommunistischen Manifest ent- derungen der Resolution von 1948 Genü- legte ihm eine österreichische Tageszei- deckt und möchten objektive Bewunderer ge zu tun. Insgesamt häuften sich auf ein tung nahe, eine Pastoralmusik „Die Frie- slawischer Musikkultur am liebsten antiö- „Massenpublikum“ zugeschnittene Lie- denstaube im Schafspelz“ zu schrei- sterreichischer Neigung zeihen“, kritisier- der, patriotische Chöre, Kantaten und ben.157 Ähnliches Niveau zeichnete die te der zu dieser Zeit anerkannteste öster- Oratorien. Diese kompositorische Ent- Beiträge jener österreichischen Journali- reichische Komponist.163 wicklung wurde von Marcel Rubin als sten aus, die sich darüber belustigt zeig- Im kulturellen Umfeld der sowjeti- Beweis genommen, wie hilfreich die Kri- ten, dass Schostakowitsch aus dem Bau schen Besatzungsmacht und der KPÖ er- tik des Jahres 1948 für die kompositori- von Kanalbauten in Stalingrad und dem langte Schostakowitsch in diesen Jahren sche Arbeit Schostakowitschs und „den Studium der Tagesordnung des Partei- auch als politischer Liedkomponist Be- Aufschwung der gesamten sowjetischen kongresses der KPdSU Inspirationsquel- deutung: Vor allem das Weltfriedenslied und auch der volksdemokratischen Mu- len bezöge.158 („Frieden der Welt“) nach Worten von sik“ gewesen sei.152 Mit dem Hinweis auf In Konsequenz dieser kulturpolitischen Jewgenij Dolmatowski aus dem Film seine Reise zum New Yorker Friedens- Frontstellung im Kalten Krieg erklangen „Begegnung an der Elbe“164 und „Der kongress 1949, den ihm verliehenen bis 1955 in den großen Wiener Kon- Zukunft entgegen“165 erfreuten sich „Stalin-Preis“ 1950 und die Zuerkennung zertsälen Schostakowitschs Symphonien großer Beliebtheit. Letzteres wurde auch des Titels „Volkskünstler der UdSSR“ im nur wenige Male: Als Wilhelm Furtwäng- bei der Feier der KPÖ zu Stalins 70. Ge- Jahr 1954 wurde auf das „Klagegeschrei“ ler am 28. Jänner 1950 die 9. Symphonie burtstag am 18. Dezember 1949 im reagiert, wonach es sich um Maßregelun- in das Programm eines Abonnementkon- Großen Konzerthaussaal166 und beim gen der Sowjetkomponisten, um „Berufs- zerts der Wiener Philharmoniker im Mu- Eröffnungskonzert der 3. Österreichisch- verbot, Gefängnis oder gar ,Liquidie- sikverein aufnahm, beklagte Hermann Sowjetischen Freundschaftswochen im rung‘“ gehandelt habe.153 In einem von Ullrich die „Minderwertigkeit“ des „Neuen Theater an der Scala“ 1951 ge- der ÖSG-Musiksektion veranstalteten Werks: „War es nötig, gerade diese Sym- sungen.167 „Frieden der Welt“ wurde bei Vortrag im Kammersaal des Musikver- phonie zu dem vielbegehrten und selten einem Arbeiter-Chorkonzert am 9. Juni eins über „Die neuesten Schöpfungen der verliehenen Rang einer philharmonischen 1951 im Mozart-Saal des Konzerthauses Sowjetmusik (1948 bis 1953)“ am Novität zu erheben?“, fragte der Leiter und bei der Festveranstaltung zum 16. Februar 1953 betonte Marcel Rubin der Kulturredaktion des Neuen 15. KPÖ-Parteitag am 3. November 1951 vor einem Fachpublikum, dass der ZK- Österreich.159 Oberflächliche und banale ebenso im Konzerthaus von einem Mas- Beschluss „den freien Schaffensdrang der „Wald- und Wiesenmusik“ urteilte die senchor – bestehend aus dem Wiener Ar- Sowjetkomponisten“ in keiner Weise ge- Welt am Montag und informierte ihre Le- beiterchor der KPÖ, dem Chor der Freien hemmt habe, sondern im Gegenteil ihnen serInnen, dass Schostakowitsch „sicherem Österreichischen Jugend und Chorverei- geholfen habe, „den Weg zu einer Musik Vernehmen nach […] gegenwärtig an ei- nigungen einzelner Betriebe, etwa der zu finden, die die Traditionen der russi- ner Kantate über den Stand der Gußeisen- Voith- und Rax-Werke – unter der Lei- schen und internationalen Musik mit dem produktion im Donezbecken und an der tung von Marcel Rubin dargeboten.168 gesamten Volksempfinden der heutigen Vertonung des Sommerfahrplans“ arbei- Auch bei den Abschlussfeiern der Wer- Zeit verbindet“.154 1956 druckte das Ta- te.160 Als die 10. Symphonie Schostako- beaktion der SPÖ Wien am 9. November gebuch auszugsweise eine autobiographi- witschs – wenige Monate nach ihrer öster- 1948 und 17. März 1954 im Konzerthaus sche Skizze Schostakowitschs aus So- reichischen Erstaufführung durch die wurden politische Lieder Schostako- wjetskaja Musyka nach, in der der Kom- Wiener Symphoniker unter Kurt Richter witschs gesungen. Werke von Schostako- ponist seine „feste Überzeugung“ kund- am 27. März 1955 im Großen Sendesaal witsch standen 1950 ferner am Programm tat, dass die „zeitgenössischen moderni- des Funkhauses161 – in einem Konzert des von drei Festkonzerten der „Russischen stischen Strömungen“, denen auch er sich New York Philharmonic Orchestra unter Stunde“ der RAVAG im Wiener Musik- einige Zeit zugeneigt hatte, „keinerlei Dimitri Mitropoulos am 13. September verein. Das Arbeiterkonzert der „Russi- Perspektiven haben“.155 erneut im Großen Konzerthaussaal er- schen Stunde“ im Februar 1952 begann Die „Rehabilitierung“ der 1948 kriti- klang, war sich die nichtkommunistische mit der „Leningrader“ Symphonie. Gott- sierten Komponisten beschleunigte vor Presse in ihrer Ablehnung einig: „Potem- fried Kassowitz dirigierte das Orchester dem Hintergrund der zunehmenden Pola- kinsche Dörfer, in Noten gesetzt. Viel der RAVAG.169 Bei der Trauerfeier der risierung des Kalten Krieges die Schosta- Fassade, nichts dahinter, „strapaziös“, ÖSG aus Anlass des Ablebens von Josef kowitsch-Rezeption als systemkonformer „gefesselte Phantasie“, urteilte die Arbei- W. Stalin am 11. März 1953 im Großen und parteitreuer „Staatskomponist“. ter-Zeitung, als „marxistisch-leninistisch- Musikvereinssaal erklang das Largo aus Schostakowitsch wurde nun wiederholt stalinistische Selbstkritik“ und „geistige seiner 5. Symphonie neben Werken von Gegenstand von Pressepolemiken, die Bankrotterklärung des sozialistischen Beethoven und Tschaikowskij.170 Bei ei- neben seinen öffentlichen Äußerungen Realismus in der Musik“ tat der Neue Ku- ner Aufführung im Sowjetischen Infor- auch sein kompositorisches Schaffen the- rier das von der Volksstimme als „Spit- mationszentrum in der Treitlstraße am matisierten: So wurde sein „Lied von den zenwerk der zeitgenössischen Musik“ 27. Juni 1954 spielten Karl Brix, Gott- Wäldern“, das die sowjetischen Wieder- charakterisierte Werk ab.162 Joseph Marx fried Marcus und Richard Matuschka das aufforstungspläne zum Inhalt hatte, in der versuchte dieser politisch motivierten Klaviertrio Nr. 2.171 Herbert Alsen sang sozialdemokratischen Arbeiter-Zeitung Verurteilung sowjetischer Musik entge- im Festkonzert der ÖSG zum 10. Jahres- als „Propagandastückerl“ charakterisiert. genzuwirken: Österreichische McCarthy- tag der Befreiung Wiens am 15. April Der Wiener Montag stellte die Frage, ob Schüler, „phantasievolle Schnüffler“, hät- 1955 im Musikverein zwei Sätze aus dem der Komponist „auch ein Lied über die ten einen „geheimnisvollen Zusammen- „Lied von den Wäldern“. Karl Etti diri- Waldschlägerungen im östlichen Öster- hang“ des Schaffens von gierte die Wiener Symphoniker.172

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Fixer Programmpunkt Schostakowitsch „dem Gedenken der Mariss Jansons, Mstislaw Rostropo- Opfer von Krieg und Faschismus“ wid- witsch und Valery Gergiev. Bei den Bre- Nach Abschluss des österreichischen mete, ließ das Weller-Quartett am 25. genzer Festspielen führten die Wiener Staatsvertrages und vor dem Hintergrund und 26. November 1963 im Mozart-Saal Symphoniker 1973, 1977, 1992/93/97 der weltpolitischen Entspannung kehrten des Konzerthauses erklingen. und 2000 die 1., 5. und 6. Symphonie auf, auch Werke Schostakowitschs – vor allem Am 12. Februar 1965 fand in der Wie- zunächst unter der Leitung von Maxim seine 5. Symphonie – verstärkt auf die ner Staatsoper in Anwesenheit des Kom- Schostakowitsch, Sohn des Komponisten, Spielpläne der großen Wiener Konzertge- ponisten die Premiere seine überarbeite- hierauf unter Kyrill Kondraschin, Donald sellschaften und Orchester zurück. Die ten Oper „Katerina Ismailowa“ statt, die Runnicles und Vladimir Fedosejev. 1988 Wiener Festwochen brachten die erste in Moskau 1962 zur Wiederaufführung und 1990 dirigierte Dmitrij Kitaenko in Begegnung Wiens mit einem Orchester, gelangt war, was Marcel Rubin – in An- Konzerten der Moskauer Philharmoniker das in den folgenden Jahrzehnten – 1956, spielung auf die vernichtende Kritik des ebenso die 5. und 6. Symphonie.180 Um 1960, 1966, 1972, 1978 und 1982 – unter Jahres 1936 – als „glänzenden Frei- Schostakowitsch verdient machte sich seinem Dirigenten Jewgenij Mrawinskij spruch“ interpretierte.177 In Wien diri- auch das ORF-Symphonieorchester unter zu zahlreichen umjubelten Gastspielen gierte Jaroslav Krombholc, es sangen Leif Segerstam mit zwei Erstaufführun- nach Wien zurückkehrte und dabei auch u.a. Ludmilla Dvorakova, Gerhard Stolze gen: Am 25. März 1977 präsentierten sie immer wieder Werke von Schostako- und Paul Schöffler. Der zweiten Beset- im Großen Konzerthaussaal die 4. Sym- witsch auf das Programm setzte: den Le- zung neun Tage nach der Premiere gehör- phonie, die Schostakowitsch nach seiner ningrader Philharmonikern. Am 23. Juni ten u.a. Hilde Zadek, Jean Cox und Oskar Maßregelung 1936 zurückgezogen hatte 1956 fand mit David Oistrach als Solisten Czerwenka an. Die Wiederaufnahme der und die erst Ende 1961 unter Kyrill Kon- im Großen Musikvereinssaal die öster- Oper im Jahr 1968 leitete Serge Baudo, draschin in Moskau ihre verspätete Pre- reichische Erstaufführung seines 1. Vio- neu im Ensemble waren u.a. Inge Borkh, miere hatte. Am 16. Februar 1978 erlebte linkonzerts statt. Die Veröffentlichung ei- Otto Edelmann und Anton Dermota.178 die 14. Symphonie unter Segerstam ihre nes Beschlusses des ZK der KPdSU vom Am 12. August 1965 dirigierte Kurt österreichische Erstaufführung, den 28. Mai 1958, mit dem die „Formalis- Sanderling mit der Staatskapelle Dresden Basspart sang Heikki Toivanen. Rudolf mus“-Resolution des Jahres 1948 revi- die Erstaufführung der 8. Symphonie bei Barschai leitete am 21. Februar 1979 im diert wurde,173 förderte weiter das nach den Salzburger Festspielen, die 6. Sym- Musikverein das New Israel Orchestra Stalins Tod einsetzende „Tauwetter“ im phonie erklang erstmals am 15. Oktober bei einer Aufführung der von ihm bear- kulturpolitischen Diskurs und erhöhte 1966 im Musikverein beim Gastspiel der beiteten Kammersymphonie. fortan auch das internationale Ansehen Leningrader Philharmoniker unter Mra- In kammermusikalischer Hinsicht sind der sowjetischen Musik. Herbert Karajan winskij. Wenige Tage danach, am 28. vor allem Aufführungen des Borodin- brachte am 5. und 6. Dezember 1959 im Oktober, folgte im Konzerthaus eine wei- und Glinka-Quartetts hervorzuheben. Musikverein mit den Wiener Symphoni- tere Erstaufführung: Rostropowitsch in- Als letzteres am 31. Oktober 1981 im kern die 10. Symphonie. Als die 5. Sym- terpretierte das 2. Violoncellokonzert, er- Mozart-Saal gemeinsam mit Elisabeth phonie beim Gastspiel der Leningrader neut mit dem NÖ. Tonkünstlerorchester, Leonskaja das Klavierquintett spielte, Philharmoniker unter Mrawinskij am 5. dieses Mal unter Heinz Wallberg. wurde in der Volksstimme das Bedauern November 1960 im Musikverein erklang, Ab 1966 wurden Symphonien und ausgesprochen, „daß die Kammermusik reagierten sämtliche Wiener Musikkritiker Konzerte Schostakowitschs immer wie- von Schostakowitsch bei uns noch so gut zustimmend. Die Österreichische Musik- der im Zyklus „Große Symphonie“ der wie unbekannt ist“ und es auch mit sei- zeitschrift sprach von einem „einzigartigen Wiener Symphoniker im Musikverein ner Symphonik „bei uns nicht zum be- Triumph der Orchesterkultur“.174 aufgeführt, Dirigenten waren u.a. Yuri sten“ stehe.181 Sämtliche Streichquartette Die in der Sowjetunion beliebte, den Temirkanow, Gennadij Roschdestwens- Schostakowitschs erklangen im März sozialistischen Realismus verkörpernde kij, Jewgenij Swetlanow und Rudolf Bar- und Mai 1994 im Mozart-Saal des Kon- 11. Symphonie „Das Jahr 1905“ stieß schai. Im memoriam Schostakowitsch zerthauses im Zyklus „Borodin Quartett bei ausländischen Kritikern allgemein nahm Leonard Bernstein am 13. August & Tokyo String Quartet“. Die „Suite auf Ablehnung und „spöttische Verach- 1975 bei den Salzburger Festspielen das nach Gedichten von Michelangelo Buo- tung“.175 So charakterisierte auch Rudolf Largo aus der 5. Symphonie in sein Pro- narrotti“ aus dem hierzulande immer Klein die österreichische Erstaufführung gramm auf. Es spielte das London Sym- noch wenig aufgeführten Spätwerk dieses Werks durch das Staatliche Sym- phony Orchestra. Schostakowitschs war am 5. März 2001 phonieorchester der UdSSR unter Kon- Der Programmanteil von Werken erstmals in einer Interpretation von Ser- stantin Iwanow am 23. Juni 1961 im Schostakowitschs begann sich ab 1975 gej Leiferkus (Bariton) zu hören. Rahmen der Wiener Festwochen als po- bei den großen österreichischen Orche- Am 24. Februar 1983 brachte Rosch- litisch motiviert, was seiner Meinung stern bei etwa zwei Prozent einzupen- destwenskij mit den Wiener Symphoni- nach „als Entschuldigung für solchen deln.179 In Abonnementkonzerten der kern die Erstaufführung der selten aufge- musikalischen Greuel nicht“ ausreich- Wiener Philharmoniker standen Werke führten 3. Symphonie „Der 1. Mai“ und te.176 1962 folgte eine weitere Erstauf- Schostakowitschs zwischen 1959 und ließ wenige Tage darauf die 4. Symphonie führung im Rahmen der Wiener Festwo- 1993 nur vier Mal auf dem Programm: „wie ein(en) Orkan in und durch den chen: Mstislaw Rostropowitsch präsen- Eugene Ormandy dirigierte 1959 und Großen Saal des Konzerthauses“ fegen.182 tierte dem Wiener Publikum im Musik- 1966 die 5., Gennadij Roschdestwenskij Die in der Sowjetunion umstrittene verein das 1. Violoncellokonzert mit 1978 die 4. , Georg Solti 1993 die 5. 13. Symphonie „Babi Jar“ wurde wohl dem NÖ. Tonkünstlerorchester unter der Symphonie. Es folgten 1996, 1997, 2001, am 6. Mai 1987 erstmals in Wien darge- Stabführung Hans Swarowskys. Das be- 2003 und 2006 sechs Vorstellungen der boten: Václav Neumann dirigierte im Mu- kannte Streichquartett Nr. 8, das 4., 5., 8., 9., 10. und 11. Symphonie unter sikverein die Wiener Symphoniker. Auf-

4/06 Beiträge 11 führungen der Wiener Philharmoniker der „musikantischen“ 9. und 6. Symphonie unter Leonard Bernstein im Oktober 1985 und Oktober 1986 im Großen Musikver- einssaal sind seit 2006 auch als DVD er- hältlich. Einen Hinweis auf so manche Publikumsreaktionen gibt ein Bericht in der Österreichischen Musikzeitschrift über eine Aufführung der 5. Symphonie der Wiener Symphoniker unter Semyon Bychkov im Dezember 1985 im Konzert- haus: „Leider lichteten sich nach der Pau- se etwas die Reihen des Großen Konzert- haussaales. Es scheint sich bei den Wie- nern noch nicht herumgesprochen zu ha- ben, daß Schostakowitsch in seinen Sym- phonien größtenteils klassizistisch wirkt und ausdrücklich in der auf dem Pro- gramm stehenden ,Fünften‘ auf tonal (d- moll) geschrieben hat.“183 Symphonien und Konzerte Schostako- Dmitrij Schostakowitsch mit dem österreichischen Botschafter Norbert Bischoff witschs erklangen in Wien immer wieder bei der Franz von Suppé-Feier in Moskau 1959. (alle Fotos: AKG, Bildarchiv) im Rahmen von Gastspielen renommier- ter Klangkörper im „Internationalen Or- skauer Kammermusiktheaters und 1992 „den echten und ehrlichen Erfolg“ seiner chester- und Chorzyklus“ der Gesellschaft in der Wiener Kammeroper zu hören.185 Kunst „in der Musikwelt des Westens der Musikfreunde. Besondere Erwähnung Ein Gastspiel des Bolschoi-Theaters in ebenso wie des Ostens“ aus der „Verbin- verdient eine Aufführungsserie all seiner der Staatsoper machte das Wiener Publi- dung von revolutionärer Gesinnung und Symphonien in den Jahren 1990 bis 1993. kum 1986 mit dem Ballett „Das goldene evolutionärer Weiterführung der Musik- Eliahu Inbal leitete im Konzerthaus die Zeitalter“ bekannt.186 In der Originalfas- sprache“ und charakterisierte beispiels- Wiener Symphoniker. Die 15. und die im sung erschien seine „Lady Macbeth von weise seine 5. Symphonie als „kulturell Westen weniger populäre 12. Symphonie Mzensk“ erstmals 1992 auf der Bühne: In eine reife Frucht der sozialistischen Ge- dürften in diesem Rahmen am 18. Okto- einer Regie von Christine Mielitz konnte sellschaft“.191 Der Opern- und Konzert- ber 1992 bzw. am 13. Juni 1993 erstmals das Werk in der Wiener Volksoper einen dramaturg Gerhard Müller wiederum be- in Wien zu hören gewesen sein. Seit den „durchschlagenden, ja sensationellen Er- schreibt die Erstaufführung seiner 1980er Jahren ließ sich kaum ein renom- folg“ erzielen. Es dirigierte Donald Run- 8. Symphonie in Salzburg 1965 als „eine mierter Dirigent die Gelegenheit entge- nicles.187 Die Salzburger Festspiele brach- der damaligen musikalischen Schlachten hen, mit einer Symphonie Schostako- ten das Werk im August 2001 mit Sän- des Kalten Krieges“: „Die konservative witschs in Wien aufzutreten: Über die gern aus St. Petersburg. Valery Gergiev österreichische Presse reagierte gehässig bisher genannten Dirigenten hinaus seien dirigierte die Wiener Philharmoniker, Pe- und mit denunziatorischem Tonfall. an dieser Stelle u.a. Vladimir Ashkenazy, ter Mussbach inszenierte.188 Einen „Tri- Schostakowitsch wurde abwertend als Bernard Haitink, Riccardo Muti, Seiji umph“ erlebte die Oper zuletzt am 20. Ju- ,Staatskomponist‘ und als ,Vertreter des Ozawa, André Previn, Simon Rattle, ni 2004 am Innsbrucker Landestheater.189 sozialistischen Realismus‘ bezeich- Wolfgang Sawallisch und Franz Welser- 2005 wurde die 1958 uraufgeführte Ope- net“.192 In einem Nachruf in der Öster- Möst genannt. Besonders hervorzuheben rette „Moskau-Tscherjomuschki“ unter reichischen Musikzeitschrift hob Rudolf sind in diesem Zeitraum – auch im Ju- dem Titel „Moskau, Moskau“ an der Wie- Klein das „musikalische Qualitätsgefälle“ biläumsjahr 2006 – Aufführungen ver- ner Kammeroper aufgeführt.190 zwischen seiner „politischen“ Musik und schiedener Klangkörper unter der Lei- der Musik „losgelöst von aller Politik“ tung der großen Schostakowitsch-Diri- Vom „Sowjetkomponisten“ hervor. Schostakowitsch sei der Beweis genten Vladimir Fedosejev, Valery Ger- zum „Dissidenten“ dafür, „daß man nur einen Schritt unter giev und Mariss Jansons. Schostakowitsch gehört heute zu den das Maximum der Qualität zu gehen Vereinzelt gab es auch Aufführungen regelmäßigen Programmpunkten in den braucht, um banal zu sein“.193 von Werken des sowjetischen Komponi- Konzertsälen, 2006 waren so viele Werke Unter dem Eindruck der Veröffentli- sten auf Österreichs Bühnen: 1978 fand des sowjetischen Komponisten zu hören chung nicht autorisierter „Memoiren“ im im Villacher Kongresshaus in Anwesen- wie nie zuvor. Auf die politischen Zu- Jahr 1979194 kam es zu einer Neubewer- heit der Witwe des Komponisten die Er- sammenhänge seiner Musik wird auch tung unter umgekehrten Vorzeichen: Es staufführung der Oper „Die Nase“ in ei- heute noch, jedoch in veränderter Form mangelt seither nicht an Versuchen, den ner Aufführung der Moskauer Kammero- aufmerksam gemacht. Zunächst blieb – bisher als loyalen „Staatskomponisten“ per und des Kammerorchesters unter trotz der Entspannung der internationalen der Sowjetunion charakterisierten Gennadij Roschdestwenskij statt. Im Jahr und kulturpolitischen Lage – die Rezepti- Schostakowitsch zum heimlichen Dissi- darauf folgte in Klagenfurt eine Inszenie- on Schostakowitschs bis zu seinem Tod denten zu stilisieren, zum Komponisten rung von „Katerina Ismailowa“.184 „Die vom Kalten Krieg bestimmt. Auf beiden mit „zwei Gesichtern“, der hinter der Nase“ war 1987 auch im Wiener Rai- Seiten wurde sein Schaffen vor allem po- Maske gesellschaftlicher Anpassung ver- mundtheater in einem Gastspiel des Mo- litisch gedeutet: Marcel Rubin erklärte schlüsselte Botschaften des Widerstands

4/06 12 Beiträge in seinen Werken versteckte. Der „alten sident der Österreichisch-Sowjetischen Gesell- Wiener Staatsoper durch eine Delegation ver- Mythisierung eines linientreuen Sowjet- schaft, und nicht als Vorsitzender ihrer sowjeti- treten zu sein, wenn sie eine offizielle Einladung künstlers“ folgte „eine neue, daß er eben schen Schwestergesellschaft ausgewiesen wird dazu erhält“, teilte der ZK-Sekretär der KPÖ dies nicht gewesen sei, sondern gar ein (Jachimowicz, Edith: Künstlerleben im totalitären Friedl Fürnberg Ende Dezember 1954 der ÖSG Dissident“.195 Insgesamt wurde jedoch Interieur. Dmitrij Schostakowitsch, in: Musik- mit (AKG, ZPA, Gedächtnisprotokoll über Mittei- die Debatte über die Authentizität der freunde, Jänner 2006, S. 14–17, hier S. 17). lungen von Gen. Fürnberg zu unseren „Vor- „Memoiren“ und eine veränderte Deu- 2/ Österreichische Zeitung (i.d.F. ÖZ), schlägen“, 31.12.1954, S. 1). tung seines Lebens und Wirkens in der 23.5.1946. 33/ ÖVst, 8.11.1955. österreichischen Musikwissenschaft be- 3/ Österreichische Nationalbibliothek (i.d.F. 34/ Walter, Bruno: Thema und Variationen. Erinne- stenfalls am Rande zur Kenntnis genom- ÖNB), Musiksammlung, F142 Salmhofer 1219, rungen und Gedanken. Stockholm 1947, S. 410. men. In der Österreichischen Musikzeit- Brief von Franz Salmhofer an das Präsidium 35/ Mühlegger-Henhapel, Christiane: Die Wie- schrift fand sich seit ihrer Gründung im des Verbandes der Komponisten der USSR, ner Oper von 1869 bis 1955, in: Dembski, Ulri- Jahr 1946 bis 2005 kein eigenständiger z.H. Dmitri Schostakowitsch, 4.5.1946, S. 1. ke/Greisenegger-Georgila, Vana/Lesák, Barba- Beitrag über das Schaffen des sowjeti- 4/ Das kleine Volksblatt, 20.2.1946. ra/Mühlegger-Henhapel, Christiane (Hg.): Aus schen Komponisten. Die deutschen Mu- 5/ Österreichische Volksstimme [i.d.F. ÖVst, ab Burg und Oper. Die Häuser am Ring von ihrer sikwissenschafterInnen Dorothea Rede- 21.2.1957 Vst], 18.8.1946. Eröffnung bis 1955. Wien 2005, S. 4–9, hier S. 9. penning und Detlef Gojowy haben 1998 6/ ÖVst, 28.1.1947. 7/ ÖVst, 17.1.1947. 36/ ÖVst, 9.11.1955. bzw. seit 2002 mehrere Rezensionen 8/ Wiener Kurier, 30.5.1947. 37/ Die Brücke, Nr. 12/1955, S. 4–5, hier S. 4. über einschlägige Neuerscheinungen 9/ ÖZ, 12.12.1952. 38/ Die Presse, 24.9.1966; Die Presse, beigesteuert196 und auf diesem Weg über 10/ Meyer, Krzysztof: Schostakowitsch. Sein 11.8.1975. den Stand und Aufschwung der interna- Leben, sein Werk, seine Zeit. Bergisch Glad- 39/ Wiener Montag, 14.11.1955. tionalen Schostakowitsch-Forschung in- bach 1995, S. 341–346; ÖZ, 3.12.1950. 40/ Matejka, Viktor: Operette um ein Opern- formiert. Mit Gojowys Beitrag zu seinem 11/ ÖZ, 7.6.1950. haus, in: Tb, Nr. 23, 19.11.1955, S. 3. 100. Geburtstag im Juli-Heft 2006 wurde 12/ Feuchtner, Bernd: Dimitri Schostakowitsch. 41/ Der Abend, 10.11.1955. abermals Anleihe bei der deutschen Mu- „Und Kunst geknebelt von der groben Macht“. 42/ Meyer (wie Anm. 10), S. 384. sikwissenschaft genommen.197 An den Künstlerische Identität und staatliche Repressi- 43/ Rede von Martin Grünberg am 22.9.2000 heimischen Universitäten wurden in den on. Kassel 2002, S. 162. beim Festabend anlässlich des 75. Gründungsta- letzten Jahren einige Diplomarbeiten und 13/ Wolkow, Solomon: Stalin und Schostako- ges des „Russischen Zentrums für internationale, Dissertationen verfasst.198 witsch. Der Diktator und der Künstler. Berlin wissenschaftliche und kulturelle Zusammenar- Die enge Verbindung von Musik und 2004, S. 362. beit“ im Russischen Kulturinstitut in Wien, in: Wal- Politik im Werk des sowjetischen Kom- 14/ ÖVst, 13.7.1950. 15/ ÖZ, 5.11.1950. ter, Claus (Hg.): rot-weiß-rote PaN-Geschichten ponisten bestätigt auch am österreichi- 16/ Österreichische Friedenszeitung, Nr. 4/ 1945–2005. Wien 2005, S. 431–437, hier S. 432. schen Beispiel die These von Schostako- 1951, S. 5. 44/ Die Brücke, Nr. 9/1956, S. 27. witsch als „besonderes historisch-ästheti- 17/ Alfred Klahr Gesellschaft (i.d.F. AKG), Zen- 45/ Glaser, Hugo: Willkommensgruß für Dmitri sches Rezeptionsphänomen“:199 Nach der trales Parteiarchiv der KPÖ (ZPA), Brief der Schostakowitsch, in: Mitteilungsblatt der Fachsek- anfänglichen Offenheit, die vor allem im ÖSG, Zentralsekretär Otto Langbein, an das tionen der Österreichisch-Sowjetischen Gesell- Nachholbedarf nach den Jahren der NS- Sekretariat des ZK der KPÖ, 30.4.1951, S. 1. schaft, Nr. 127, Februar 1965, S. 2–3, hier S. 2. Diktatur und im „antifaschistischen 18/ Vgl. Seehaus, Lothar: Dmitrij Schostako- 46/ Gründung einer Sowjetisch-Österreichi- Grundkonsens“ der unmittelbaren Nach- witsch. Leben und Werk. Wilhelmshaven 1986, schen Gesellschaft in der UdSSR, in: Sowjet- kriegszeit gründete, wurde die weitere S. 113; Meyer (wie Anm. 10), S. 377. union heute, Nr. 31, 3.8.1958, S. 4. Rezeption rasch vom beginnenden Kalten 19/ Weder in der zeitgenössischen Pressebe- 47/ Vgl. Schostakowitsch, D. [Dmitrij]: Unsere Krieg bestimmt. Der in der Sowjetunion richterstattung, noch in einer vom Österreichi- Kontakte mit Österreich, in: Neue Zeit. Außen- gemaßregelte und zugleich gefeierte und schen Friedensrat herausgegebenen Protokoll- politische Wochenschrift, Nr. 26, Juni 1960, mit den höchsten Auszeichnungen be- broschüre (Völkerkongreß für den Frieden, Wi- S. 11–12, hier S. 11. dachte Komponist wurde im Westen zum en, vom 12. bis 20. Dezember 1952. Reden und 48/ Vst, 4.6.1971. Inbegriff eines systemnahen Staatskünst- Dokumente. Beilage der „Oesterreichischen 49/ Vst, 30.11.1958; Brücke Österreich Sowjet- lers. Erst als sich in der Musikwissen- Friedenszeitung“, hg. vom Österreichischen union. Mitteilungen der Österreichisch-Sowjeti- schaft die Interpretation Schostako- Friedensrat. Wien o.J. [1953]), findet sich ein schen Gesellschaft, Jänner 1959, S. 3 und 4. witschs als Mann mit „zwei Gesichtern“ Hinweis darauf. 50/ John, Eckhard: Vom Traum zum Trauma. durchzusetzen begann und er im Zuge 20/ Österreichische Friedenszeitung, Nr. Musiker-Exil in der Sowjetunion, in: Heister, dieser Neubewertung vor allem als „Op- 1–2/1953, S. 6–7, hier S. 7. Hanns-Werner/Maurer Zenck, Claudia/Petersen, fer“ des politischen Systems wahrgenom- 21/ Schostakowitsch, D. [Dmitrij]: Fortschrittli- Peter (Hg.): Musik im Exil. Folgen des National- men wird, stellt sein Schaffen auch im che Musiker im Kampf für den Frieden, in: So- sozialismus für die internationale Musikkultur. Westen einen fixen Bestandteil der Kon- wjetwissenschaft. Kunst und Literatur, Nr. Frankfurt/M. 1993, S. 255–278, hier S. 267. zertprogramme dar. Der Impuls des abge- 1/1954, S. 7–14, hier S. 7. 51/ AKG, ZPA, Bezirksleitung Wien-Hernals, laufenen Schostakowitsch-Jahres 2006 22/ ÖZ, 18.12.1952; ÖZ, 19.12.1952; Tagebuch „Verdiente Genossen“, o.D. [1945]. wird der Rezeption des Komponisten (i.d.F. Tb), Nr. 1, 3.1.1953, S. 5. 52/ Vgl. Mitteilungsblatt der Musik-Sektion der wohl weiteren Auftrieb verleihen. 23/ ÖZ, 1.1.1953. 24/ ÖVst, 9.6.1953. Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft, 25/ ÖVst, 6.6.1953. 26/ ÖZ, 10.6.1953. Nr. 6, Oktober 1957, S. 16. Anmerkungen: 27/ Der Abend, 25.10.1955. 53/ Eisler, Georg: Ein falscher Demetrius? Die Me- 1/ Ein aktuelles Beispiel ist ein Aufsatz in der 28/ ÖVst, 10.6.1953. 29/ ÖZ, 16.6.1953. moiren des Dmitrij Schostakowitsch, in: Wiener Programmzeitschrift der Wiener Gesellschaft der 30/ Wahrheit, 14.6.1953. 31/ ÖZ, 20.6.1953. Tagebuch, Nr. 3, März 1980, S. 25–27, hier S. 25. Musikfreunde, in dem Schostakowitsch als Prä- 32/ „Die WOKS ist bereit, bei der Eröffnung der 54/ Vst, 2.12.1958.

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55/ VII. Weltfestspiele der Jugend und Studenten 82/ Vgl. Blaukopf, Kurt: Gustav Mahler oder auch der Österreichischen Musikzeitschrift eine für Frieden und Freundschaft. Wien, Der Zeitgenosse der Zukunft. Kassel, Basel Notiz wert war (ÖMZ, Nr. 4/1957, S. 175–176). 26.7.–4.8.1959, hg. von der Ständigen Kommissi- 1989, S. 266. 100/ Vgl. u.a. Shitomirski, Daniel: Blindheit als on des Internationalen Komitees zur Vorbereitung 83/ Rubin, Marcel: Mahler – ein Balcaz der Mu- Schutz vor der Wahrheit. Aufzeichnungen eines der VII. Weltfestspiele der Jugend und Studenten sik, in: Österreichisches Tagebuch (i.d.F. ÖTb, Beteiligten zu Musik und Musikleben in der ehe- für Frieden und Freundschaft. Wien 1959, S. 7. ab 1950 Tb), Nr. 5, 30.1.1948, S. 15; Knepler, maligen Sowjetunion. Berlin 1996, S. 229f. 56/ Meyer (wie Anm. 10), S. 414. Georg: Gustav Mahler. Zu seinem 100. Ge- 101/ Vgl. Walter (wie Anm. 43), S. 435. 57/ Glaser (wie Anm. 45), S. 2. burtstag am 7. Juli 1960, in: Weg und Ziel, 102/ AKG, ZPA, Brief von Dimitri Schostako- 58/ Bildtext in: Vst, 3.2.1965. Nr. 7–8/1960, S. 514–519, hier S. 519. witsch im Auftrag des Vorstandes der SÖG an 59/ Vst, 7.2.1965; Rubin, Marcel: Schostako- 84/ ÖZ, 20.5.1945. den Präsidenten der ÖSG Hugo Glaser, witsch im Gespräch, in: Österreichische Musik- 85/ Geiger, Friedrich: Musik in zwei Diktaturen. 20.9.1968, S. 1. zeitschrift (i.d.F. ÖMZ), Nr. 2/1965, S. 112. Verfolgung von Komponisten unter Hitler und 103/ Eisler, Georg: Ein falscher Demetrius? (wie 60/ „Katerina Ismailowa“ in Wien. Dmitri Stalin. Kassel u.a. 2004, S. 31. Anm. 53), S. 26. Schostakowitsch über die Aufführung in der 86/ Koball, Michael: Pathos und Groteske. Die 104/ Vgl. dazu die Zusammenstellung von Otto Wiener Staatsoper, in: Sowjetunion heute, deutsche Tradition im symphonischen Schaffen Biba und das dortige Register (Biba, Otto (Hg.): Nr. 8, 21.2.1965, S. 18–19, hier S. 19. von Dmitri Schostakowitsch. Berlin 1997, S. 66. Die Programm-Sammlung im Archiv der Gesell- 61/ ÖMZ, Nr. 2/1965, S. 113. 87/ Kröplin, Eckart: Dmitri Schostakowitsch, in: schaft der Musikfreunde in Wien 1937–1987. 62/ Schwarz, Boris: Musik und Musikleben in Bermbach, Udo (Hg.): Oper im 20. Jahrhundert. Tutzing 2001, S. 757), sowie die Programmda- der Sowjetunion von 1917 bis zur Gegenwart. Entwicklungstendenzen und Komponisten. Stutt- tenbanken im Internet (www.musikverein.at/su- Wilhelmshaven 1982, S. 760. gart, Weimar 2000, S. 508–530, hier S. 515f. che/sucheErweitert.asp, http://konzerthaus.at/ 63/ Glaser, Hugo: Aus der Geschichte der Oe- 88/ Wolkow (wie Anm. 13), S. 338. archiv/datenbanksuche). Die nachfolgenden sterreichisch-Sowjetischen Gesellschaft. Eine 89/ Abgedruckt in: Barsova, Inna: Die Rezeption Angaben folgen diesen drei Findstellen, jene im persönliche Erinnerung, in: Festschrift anläss- der deutsch-österreichischen Avantgarde in Rahmen der Salzburger Festspiele der Zusam- lich des 20. Jahrestages der Gründung der Russland (1911–1948), in: Musikgeschichte in menstellung von Jaklitsch (Jaklitsch, Hans: Die Österreichisch-Sowjetischen Gesellschaft, hg. Mittel- und Osteuropa, Nr. 6, S. 146–173, hier Salzburger Festspiele, Bd. 3: Verzeichnis der von der Österreichisch-Sowjetischen Gesell- S. 171 (www.uni-leipzig.de/~musik/Heft6_156- Werke und der Künstler 1920–1990. Salzburg, schaft. Wien 1965, S. 19–24, hier S. 24. 183.pdf [1.12.2006]). Wien 1991). 64/ Vgl. die Speisekarte mit rückseitiger Widmung 90/ Gervink, Manuel: Schostakowitsch aus der 105/ Walter (wie Anm. 34), S. 344. von Schostakowitsch in: ÖNB, Handschriften- Sicht der deutsch-österreichischen Moderne. 106/ Jakubow, M. [Manaschir]: Zeittafel, in: sammlung, Autogr. 1261/33–1, Korr. Bielka. Arnold Schönbergs spätes Urteil über Schosta- Dmitri Schostakowitsch und seine Zeit. Mensch 65/ W.S. [Walter Szmolyan]: Gesellschaft für kowitsch, in: Schmalenberg, Hilmar (Hg.): und Werk. Niederrheinisches Museum der Stadt Musik: Rückblick und Vorschau, in: ÖMZ, Schostakowitsch in Deutschland. Berlin 1998, Duisburg 16. September – 28. Oktober 1984. Nr. 1/1966, S. 38–39, hier S. 38. S. 1–21, hier S. 3; John (wie Anm. 50), S. 257. Duisburg o.J. [1984], S. 9–26, hier S. 10 (dort 66/ Vst, 12.2.1965; [Heinz Hollitscher]: Zusam- 91/ Vgl. dazu Schwarz (wie Anm. 62); Geiger, fälschlich „Robert Hager“); Werba, Erik: Sechzig menkunft von Dmitri Schostakowitsch mit öster- Friedrich: Komponieren unter Stalin. Ansatz- Jahre Wiener Symphoniker, in: ÖMZ, reichischen Musikern, in: Sowjetunion heute, punkte musikhistorischer Forschung, in: Geiger, Nr. 11/1960, S. 530–532, hier S. 532. Nr. 8, 21.2.1965, S. 19–20; Vst, 23.9.1966. Friedrich/John, Eckhard (Hg.): Musik zwischen 107/ Pisk, Paul A.: Musik in Wien, in: Anbruch, 67/ Vst, 25.9.1971. 68/ Vst, 15.8.1974. Emigration und Stalinismus. Russische Kompo- 11. Jg. (1929), Nr. 2, S. 82. 69/ Seehaus (wie Anm.18), S. 191. nisten in den 1930er und 1940er Jahren. Stutt- 108/ Hellsberg, Clemens: Demokratie der Köni- 70/ Szmolyan, Walter: Dmitri Schostakowitsch gart, Weimar 2004, S. 52–69; ders.: Musik in ge. Die Geschichte der Wiener Philharmoniker. zum 65. Geburtstag, in: ÖMZ, Nr. 10/1971, zwei Diktaturen (wie Anm. 85), S. 112–135. Wien 1992, S. 450. S. 584–585, hier S. 584. 92/ Schostakowitsch, Dmitri: Über den Streit der 109/ Vgl. Prieberg, Fred K.: Musik im NS-Staat. 71/ Vst, 26.2.1970. musikalischen Auffassungen, in: Tb, Nr. 3, März Köln 2000, S. 372–374. 72/ Wiener Zeitung, 16.3.1967; Szmolyan (wie 1960, S. 8. 110/ ÖZ, 17.5.1946. 111/ ÖZ, 30.10.1945. Anm. 70), S. 584. 93/ Schwarz (wie Anm. 62), S. 547–550, bes. 112/ Kobau, Ernst: Die Wiener Symphoniker. 73/ Vst, 1.6.1974. S. 548. Eine sozialgeschichtliche Studie. Wien, Köln, 74/ ÖZ, 20.11.1953; Die Brücke, Nr. 1/1954, S. 12. 94/ Abschluss der Diskussion: TB diskutiert Weimar 1991, S. 123–126. 75/ Der Abend, 11.12.1953. Über den Streit der musikalischen Auffassun- 113/ Wiener Revue. Halbmonatsschrift für Kul- 76/ Die Brücke, Nr. 2/1956, S. 3. gen, in: Tb, Nr. 11, November 1960, S. 4. tur, Kunst, Theater, Film und Unterhaltung, 77/ AKG, Bildarchiv. 95/ Der Abend, 9.6.1953. 1. Jg., Nr. 5, November 1945, S. 28. 78/ Schwarz (wie Anm. 62), S. 541. 96/ Rubin, Marcel: Schostakowitsch im Ge- 114/ Vgl. Faksimile in Graf, Doris: Die Kulturpo- 79/ Schostakowitsch, D. [Dmitrij]: Unsere Kon- spräch, in: ÖMZ, Nr. 2/1965, S. 112. litik der Besatzungsmächte 1945–1955 und die takte mit Österreich, in: Neue Zeit. Außenpoliti- 97/ Schostakowitsch, Dmitri: Musik und Zeit, in: Auswirkungen auf das Wiener Konzertleben. Di- sche Wochenschrift, Nr. 26, Juni 1960, ÖMZ, Nr. 5–6/1965, S. 271–275, hier S. 272 plomarbeit Hochschule für Musik und darstel- S. 11–12, hier S. 11; Schostakowitsch, Dmitry und 274. lende Kunst in Wien 1995, S. 233–234; Wiener D.: Im Zeichen des Friedens, der Freundschaft 98/ ÖNB, Musiksammlung, F13 Wellesz 1061, Kurier, 25.9.1945. und der Zusammenarbeit, in: Festschrift (wie Beilage zum Brief von Hans Erich Apostel an 115/ ÖZ, 6.11.1945. 116/ ÖZ, 12.2.1946. Anm. 63), S. 25–27, hier S. 26. Erich Wellesz, 22.1.1966. 117/ ÖZ, 14.4.1946. 80/ Glaser (wie Anm. 45), S. 2. 99/ Z.B. sein Prawda-Artikel über die „Lehren 118/ ÖMZ, Nr. 4/1946, S. 147. 81/ Exemplarisch: Meyer, Krzysztof: Mahler und des XX. Parteitags für die Musikschaffenden“ 119/ Mitteilungen der Gesellschaft zur Pflege Schostakowitsch, in: Kolleritsch, Otto (Hg.): Gu- (ÖVst, 21.6.1956) oder sein Diskussionsbeitrag der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehun- stav Mahler. Sinfonie und Wirklichkeit. Graz am Zweiten Kongress der sowjetischen Kom- gen zur Sowjetunion, 1. Jg., Nr. 7, 30.12.1945, 1977, S. 118–132. ponisten (Tb, Nr. 5, Mai 1957, S. 10–11), der S. 2; ÖZ, 1.1.1946.

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120/ ÖZ, 25.1.1946. freund, in: Konzertblatt der Gesellschaft der Mu- 173/ Vst, 10.6.1958. 121/ ÖZ, 27.4.1946. sikfreunde, 2. Jg., Folge 14, 15.4.1948, S. 17–23, 174/ ÖMZ, Nr. 11/1960, S. 538–539, hier S. 538. 122/ Konzertvorschau auf das Programm vom hier S. 21 (Hervorhebung im Original). 175/ Schwarz (wie Anm. 62), S. 509. 1. bis 15. Oktober 1946, in: Konzertblatt der Ge- 145/ Knepler, Georg: Wenn sich das Volk für 176/ ÖMZ, Nr. 8/1961, S. 377–379, hier S. 378. sellschaft der Musikfreunde, 1. Jg., Folge 1, Musik interessiert. Zu der Diskussion über So- 177/ Vst, 14.2.1965. 1.10.1946, S. 14–16, hier S. 15 wjetmusik, in: ÖTb, Nr. 9, 27.2.1948, S. 7–8. 178/ ÖMZ, Nr. 2/1965, S. 113; ÖMZ, Nr. 6–7/ 123/ Vgl. ÖZ, 20.9.1946. 146/ Weltpresse, 15.7.1950; ÖVst, 15.7.1950. 1968, S. 353. 124/ Mitteilungen der Gesellschaft zur Pflege 147/ Arbeiter-Zeitung, 20.2.1949. 179/ Mark, Desmond: Wem gehört der Konzert- der kulturellen und wirtschaftlichen Beziehun- 148/ Eine Österreichische Gesellschaft für zeit- saal? Das Wiener Orchesterrepertoire im inter- gen zur Sowjetunion, 2. Jg., Nr. 80, 29.10.1946. genössische Musik, in: ÖMZ, Nr. 1–2/1949, nationalen Vergleich. Zur Frage des musikali- 125/ ÖMZ, Nr. 4–5/1947, S. 127. S. 33; Rubin, Marcel: Ein Unbekannter auf Ab- schen Geschmacks bei John H. Mueller. Wien, 126/ Rubel, Peter: Funkkritik, in: ÖTb, Nr. 4, wegen. Eine notwendige Erwiderung, in: ÖTb, Mülheim a. d. Ruhr 1998, S. 129. 8.2.1947, S. 17. Nr. 3, März 1949, S. 14. 180/ Vgl. die Zusammenstellung in: Willaschek, 127/ Es handelte sich dabei nicht um die öster- 149/ Gojowy, Detlef: Dimitri Schostakowitsch Wolfgang/Forster, Karl (Hg.): Bühnenwelten. reichische Erstaufführung wie Peter Lafite (Wie- mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Werkstatt Bregenz. Intendanz Alfred Wopmann ner Kurier, 4.2.1947) und im Anschluss daran Reinbek 1983, S. 78. von 1983 bis 2003. Wien 2003, S. 334–399. auch Scheit/Svoboda fälschlich schreiben 150/ ÖZ, 22.10.1948; Melichar, Alois: Der russi- 181/ Vst, 14.11.1981. (Scheit, Gerhard/Svoboda, Wilhelm: Feindbild sche Musikerlaß – und wir, ÖTb, Nr. 11, 182/ Vst, 23.3.1983. Gustav Mahler. Zur antisemitischen Abwehr der 12.3.1948, S. 6–7, hier S. 6. 183/ ÖMZ, Nr. 2/1986, S. 107. Moderne in Österreich. Wien 2002, S. 139). 151/ ÖVst, 27.4.1948; ÖMZ, Nr. 6/1949, 184/ Vst, 20.8.1978; Vst, 18.4.1979. 128/ ÖZ, 25.4.1947. S. 167–168, hier S. 168; „Schostakowitsch tut 185/ Vst, 25.6.1987; ÖMZ, Nr. 7–8/1992, 129/ Gayda, Thomas: Zur Auseinandersetzung Buße“ (Wiener Kurier, 27.4.1948), „Schostako- S. 469–470. um Organisation und Ästhetik der zeitgenössi- witsch wird brav sein“ (Arbeiter-Zeitung, 186/ Vst, 25.3.1986. schen österreichischen Musik im Konzertleben 27.4.1948). 187/ ÖMZ, Nr. 2–3/1992, S. 152–153, hier Wiens in den ersten Jahren nach 1945. Diss. 152/ Rubin, Marcel: Was lernen wir von der So- S. 152. Universität Wien 1988, S. 107. wjetmusik, in: Weg und Ziel, Nr. 4/1952, 188/ ÖMZ, Nr. 10/2001, S. 51–58, hier S. 52f.; 130/ Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Nach- S. 287–293, hier S. 292. www.salzburgfestival.at/spielplanarchiv_ lass Viktor Matejka, Box 15, Brief von Friedrich 153/ ÖVst, 11.12.1949; ÖVst, 10.5.1950; ÖZ, werk.php?lang=de&id=198 [1.12.2006]. Wildgans an Ernst Krenek, 15.8.1947, S. 2. 24.2.1953; Der Abend, 9.3.1950; Der Abend, 189/ ÖMZ, Nr. 8–9/2004, S. 59–60, hier S. 59. 131/ Das Programm. Mitteilungen der Gesell- 3.8.1954. 190/ www.wienerkammeroper.at/ueber-uns.de. schaft zur Pflege der kulturellen und wirtschaftli- 154/ ÖVst, 18.2.1953; Die Musiksektion, in: Die php#werkeat [1.12.2006]. chen Beziehungen zur Sowjetunion, 3. Jg., Brücke, Nr. 3/1953, S. 22. 191/ Vst, 23.9.1961; Vst, 8.11.1960. Nr. 23 [recte 123], 28.10.1947, S. 1. 155/ Der 50jährige Dimitri Schostakowitsch: Ge- 192/ Müller, Gerhard: Mein Schostakowitsch – 132/ ÖVst, 14.4.1948. danken über den beschrittenen Weg, in: Tb, Aus Erinnerungen und Aufzeichnungen eines 133/ ÖMZ, Nr. 5/1949, S. 128–129, hier S. 128. Nr. 19, 6.10.1956, S. 1–2, hier S. 1. Kritikers, in: Wolter, Günter/Kuhn, Ernst (Hg.): 134/ Exemplarisch: Weltpresse, 6.11.1945; 156/ Arbeiter-Zeitung, 26.4.1951; Wiener Mon- Dmitri Schostakowisch – Komponist und Zeit- Weltpresse, 9.8.1947. tag, 27.12.1949. zeuge. Berlin 2000, S. 178–193, hier S. 181. 135/ Wiener Kurier, 4.2.1947. 157/ Wiener Tageszeitung, 21.7.1950. 193/ ÖMZ, Nr. 9/1975, S. 484. 136/ Der Beschluss ist abgedruckt in: Kuhn, 158/ Arbeiter-Zeitung, 17.10.1950; Wiener Ta- 194/ Zeugenaussage. Die Memoiren des Dmitrij Ernst: „Volksfeind Dmitri Schostakowitsch“. Ei- geszeitung, 24.9.1952. Schostakowitsch. Aufgezeichnet und herausge- ne Dokumentation der öffentlichen Angriffe ge- 159/ Ullrich, Hermann: Fortschritt und Tradition. geben von Solomon Volkov. Hamburg 1979. gen den Komponisten in der ehemaligen So- Zehn Jahre Musik in Wien 1945–1955. Wien 195/ Streller, Friedbert: Schostakowitsch – Dis- wjetunion. Berlin 1997, S. 105–111. 1956, S. 314. sident oder Opportunist?, in: Kuhn, Ernst/Wehr- 137/ Geiger: Komponieren unter Stalin (wie 160/ Welt am Montag, 6.2.1950. meyer, Andreas/Wolter, Günter (Hg.): Dmitri Anm. 91), S. 52–69, hier S. 66f. 161/ Bild-Telegraf, 18.3.1955. Schostakowitsch und das jüdische musikalische 138/ ÖVst, 22.2.1948; Rubin, Marcel.: Musik und 162/ Arbeiter-Zeitung, 16.9.1955; Neuer Kurier, Erbe. Berlin 2001, S. 139–151, hier S. 139. Sozialismus (Zum Beschluß des Zentralkomi- 14.9.1955; ÖVst, 23.6.1955. 196/ ÖMZ, Nr. 9/1998, S. 86; Nr. 8–9/2002, tees der KPdSU über die Sowjetmusik), in: Weg 163/ Professor Marx über Musik jenseits des S. 92; Nr. 6/2003, S. 74–75; Nr. 7/2004, und Ziel, Nr. 3/1948, S. 216–219, hier S. 216. „Eisernen Vorhanges“, in: Die Brücke, S. 78–79; Nr. 10–11, S. 79–80. 139/ ÖZ, 17.3.1948. Nr. 6/1954, S. 25. 197/ Gojowy, Detlef: Leidenschaftliches Zeug- 140/ Huppert, Hugo: Musik und Demokratie, in: 164/ Lieder zum Jugendtreffen der 50.000. Für nis einer tragischen Zeit. Dmitri Schostako- Stimme der Zeit. Monatsschrift für Politik und Frieden und Freiheit Pfingsten 1951 in Wien. witsch zum 100. Geburtstag (1906–1975), in: Kultur, 1. Jg. (1947/48), Nr. 8/9, Februar/März Wien 1951, S. 14–15; Hundert Kampf- und ÖMZ, Nr. 7/2006, S. 16–24. 1948, S. 56–67, hier S. 58, 61 und 66. Volkslieder. Wien 1952, S. 132–133. 198/ Hervorzuheben ist: Rakic, Zorica: Dmitri 141/ Brauner, Rudolph Franz: Die zeitgenössische 165/ Lieder für die VII. Weltfestspiele der Ju- Schostakowitsch. Komponist musikalischer Ly- Komponistengeneration der Sowjetunion, in: Die gend und Studenten für Frieden und Freund- rik und Satire in ausgewählten Vokalwerken. Brücke, Nr. 10–11/1948, S. 65–69, hier S. 66ff. schaft. Wien 26. Juli bis 4. August 1959. o.O. Diss. Universität Wien 2005. 142/ Vgl. Werba, Erik: Musik und Gesellschaft. [Wien] o.J. [1959], S. 11. 199/ Poldjajewa, Jelena: Zur historischen Kate- Ein Beschluss – Eine Diskussion – Eine Klarstel- 166/ ÖVst, 20.12.1949. 167/ ÖZ, 2.10.1951. gorisierung und ästhetischen Bewertung des lung, in: ÖMZ, Nr. 3/1948, S. 82–84, hier S. 83. 168/ ÖVst, 6.11.1951. 169/ ÖVst, 15.2.1952. Schaffens von Dmitri Schostakowitsch aus dem 143/ Weltpresse, 8.3.1948. 170/ AKG, ZPA, Programmzettel. Blickwinkel der Avantgarde der 50-er Jahre, in: 144/ Brauner, Rudolph F.: „Verständliche“ Musik! 171/ ÖZ, 30.6.1954 Schostakowitsch in Deutschland (wie Anm. 90), Eine zeitgemäße Betrachtung für den Konzert- 172/ ÖVst, 17.4.1955. S. 23–43, hier S. 43.

4/06 Beiträge 15 Otto Bauer in der Kritik von links „Austromarxismus-WWiederentdeckung“ als „linkes Missverständnis“ PETER GOLLER tto Bauers in den 1970er Jahren „Nationalitätenfrage“ des jungen Bauer Um 1980 diente in Kreisen der so ge- erfolgte „Renaissance“ im Zug von 1907 „keinen marxistischen Charak- nannten bundesdeutschen „Eurolinken“, Ovon „Drittem Weg“ und „Euro- ter“, da sie die Nation (als „Schicksalsge- vor allem in „linkssozialistischen“ Krei- kommunismus“1, der Versuch, seinen in meinschaft“) nicht materialistisch, son- sen der SPD der Bauer’sche „demokrati- den „west-integrierten“ Sozialdemokra- dern in psychologischen Begriffen fasst. sche Weg zum Sozialismus“ als „Stan- tien nach 1945 erledigten „integralen So- Politisch bewertet führt dies – wie im Fall dortbestimmung für marxistische Sozial- zialismus“ – parallel zu Antonio Grams- Renners – dazu, dass auf das Prinzip der demokraten“. Ein Bauer-Gegner wie ci2 – für einen diffus „linkssozialisti- nationalen Selbstbestimmung als einer Christoph Butterwegge erklärte hinge- schen Weg“ zu reaktivieren, wurde nicht Losung der sozialen Revolution verzichtet gen: Bauer bietet keinen Ausweg aus der zuletzt von Theoretikern des revolu- wird. Bauer ist für Vranicki der Ideologe ideologischen Krise der SPD, da er ja tionären Sozialismus als ideologisches der „Schwierigkeiten“, der „Hindernisse“, Exponent des real reformistischen Aus- Scheinmanöver erkannt. der „notwendig intermedialen Stadien“, tromarxismus war, da er die Grundbe- Von marxistischer Seite erhoben Hans- sein „Zentrismus“ ist real rechter Oppor- griffe der marxistischen Staatstheorie im Jörg Sandkühler und Rafael de la Vega tunismus. Bauer ist nach Vranicki im Ein- Sinn bürgerlicher Staatsrechtslehre ver- mit ihrer Textsammlung „Austromarxis- klang mit den Bernsteinschen Revisioni- ändert hat, den Staat also klassenneutral mus“ 1970 früh Einspruch gegen den sten auf die bürgerliche Idee der formalen auffasste, der Diktatur des Proletariats Rückgriff auf Otto Bauer oder Max Ad- Mehrheit, am parlamentarischen Weg fi- klassenabstrakt den Begriff der „Demo- ler. Die Austromarxisten sind nur ein xiert, der nur im Fall der bürgerlichen kratie“ gegenüberstellte. Bauer hat sich scheinbar linkes Theorieangebot, um in Konterrevolution proletarische Gegenge- in sämtlichen Konflikten bis zum Jahr der Krise des Reformismus die Binnen- walt defensiv in Aussicht stellt: „Die Rol- 1934 unter dem Titel der „Parteinheit“ stabilität der Sozialdemokratie zu er- le der Gewalt wird zu einer rein defensi- gegen die jeweiligen linksoppositionel- höhen. Eine „Kritik in marxistisch-leni- ven, was bedeutet, dass man die Taktik len Gruppen gestellt. Selbst die um Kurt nistischer Perspektive“ ist notwendig, und den Kampf des Proletariats primär Rosenfeld oder Max Seydewitz 1929 um das austromarxistische Angebot als auf den demokratischen Parlamentaris- formierte Opposition gegen den „Tole- ein revisionistisch antimaterialistisches mus ausrichtet und auf Wahlsiege hofft. rierungskurs“ der SPD hat Bauer fallen kenntlich zu machen. Der Austromarxis- Es ist daher kein Wunder, dass in ent- gelassen. Ein Vergleich zwischen dem mus zählt nach Sandkühler und de la Ve- scheidenden Augenblicken, wie sie zum „zentristischen“ Reformisten Bauer und ga zum „das bürgerliche System stabili- Beispiel 1934 in Österreich eintraten, die dem Revolutionär Gramsci ist unzuläs- sierenden Reformismus“. Der Sammel- sozialistische Arbeiterpartei trotz der Un- sig. Wirkungsgeschichtlich verhindert band legt den „philosophischen Revisio- terstützung durch die bewaffnete Organi- Bauer’sches Denken den unabdingbaren nismus des ‚Zurück-zu-Kant‘“ im Aus- sation des Schutzbundes ohnmächtig blei- Bruch mit der sich dem „Neoliberalis- tromarxismus offen und erinnert an seine ben musste.“ mus“ nähernden europäischen Sozialde- opportunistische Politik vor dem Februar Bauers von aller revolutionären Hal- mokratie der Gegenwart.5 1934: „Der Austromarxismus scheint tung abgewandtes Denken, sein Unver- Wichtige Argumente gegen Bauer als sich mit seinem Scheitern in den 30er ständnis gegenüber der von Marx und brauchbaren Protagonisten einer „neuen Jahren sein Urteil gefällt zu haben. Er Engels an Hand der Pariser Kommune Eurolinken“ lieferte Peter Kulemann schien tot. (…) Der Austromarxismus beschriebenen Diktatur des Proletariats, 1979 mit „Am Beispiel des Austromar- hat, beobachtet man den Buchmarkt, sei- im Sommer 1917 von Lenin in „Staat xismus“: Otto Bauer hat die revolutionäre ne Renaissance.“ Warum? Er ist keine und Revolution“ erneuert, zeigt sich Theorie von Marx in ein Arsenal Gefahr für die Sozialdemokratien Go- nach Vranicki an Bauers wenige Tage nachträglicher Legitimation des legalisti- desberger Zuschnitts, in den meisten nach dem 12. Februar 1934 im „Auf- schen Reformdenkens der österreichi- Punkten ist er assimilierbar, er bindet stand der österreichischen Arbeiter“ schen Sozialdemokratie seit 1907 ver- wie das historische Vorbild potentielle (Prag 1934) erhobener Klage, dass das wandelt. Der Austromarxismus gilt Kule- Linksopposition und wirkt demoralisie- Bürgertum das beschwichtigende Ver- mann als „Legitimationsideologie post rend innerhalb der kommunistischen halten der Sozialdemokratie gegenüber festum“, als Theorie von der „Unver- Konkurrenz.3 den revolutionären Massen 1918/19 meidlichkeit des Reformismus“, gleich- Im Jahr 1972 – die österreichische Sozi- nicht dankt: „Ein revolutionärer Politiker gültig, ob man Renners „Kriegsmarxis- aldemokratie nahm gerade unter der Ägi- der Avantgarde der Arbeiterklasse hätte mus“ oder Bauers Thesen vom „Klassen- de ehemaliger „Revolutionärer Soziali- keinerlei Illusionen darüber haben dür- gleichgewicht“, von der unausweichlich sten“ wie Manfred Ackermann, Karl fen, wie die Besänftigung der Geister in reformistischen Beendigung der „öster- Czernetz oder Joseph T. Simon die neun- einer revolutionären Situation und die reichischen Revolution“ 1918/19 be- bändige Bauer-Werkausgabe in Planung – Rettung der Bourgeoisie von dieser trachtet. Bauer benützte Marx und Engels wurde in deutscher Übersetzung die aus schließlich honoriert wird. Ihr Klassenin- nur, um mit ihnen gelehrt den Rückzug Sicht eines jugoslawischen Rätesozialis- teresse war immer noch stark und ent- der österreichischen Sozialdemokratie mus vorgetragene Bauer-Kritik des Zag- schlossen genug, den Klassenfeind mit 1918, 1927 oder 1934 zu rechtfertigen.6 reber Philosophen Predrag Vranicki zu- zynischer Dezimierung und vulgärsten Nicht zuletzt in Reaktion auf verschie- gänglich. Für Vranicki trägt schon die Insinuationen zu belohnen.“4 dene Otto-Bauer Tagungen österreichi-

4/06 16 Beiträge scher und deutscher Jungsozialisten7 linke“ wieder aktuell scheint: „So kann gramms von 1926 mit seinem Konzept wurde die Bauer-Konjunktur in „Weg man bei seinem ‚historischen Fatalis- der „defensiven Gewalt“, die Fortschrei- und Ziel“ schon im Jänner 1980 im be- mus‘ anknüpfen, bei der Vorstellung ei- bung von Bauers Idee eines „neuen Hain- sten Fall als ideologische Krisenerschei- nes automatischen Zusammenbruchs, ei- feld“. Bauers „integraler Sozialismus“ nung der „symbiotisch mit dem Kapital“ nes ‚Weltgerichts‘, wo nicht die Arbei- beruht vor allem auf der Verteidigung des verwachsenen westeuropäischen Sozial- terklasse mit dem Gegner abzurechnen Reformismus als einer notwendigen Ent- demokratien interpretiert, als Symptom, habe, sondern zuvorkommend die Ge- wicklungsstufe der Arbeiterbewegung: dass der seit der Wirtschaftskrise Die Kritik am Reformismus, am Oppor- 1974/75 stagnierende „sozialdemokrati- tunismus fällt bei Bauer auch 1936 deut- sche Wohlfahrtsstaat“ nicht mehr aus- lich nachsichtiger aus, als jene an der schließlich mit Rückgriffen auf Keynes „Demagogie“ der Kommunisten. oder auf Popper’schen „Kritischen Ra- Frei bestreitet 1980 mit Recht, dass sich tionalismus“ rechtfertigbar ist. die Ideologen des „Dritten Weges“ auf Ernst Wimmer erklärte die „Wieder- das Erbe der Volksfront von 1935 berufen entdeckung“ Bauers damit, dass in ver- können: „Ist es richtig, die vom 7. Welt- schiedenen sozialdemokratischen Grup- kongress der Komintern entworfene Stra- pen und im „undogmatisch“ kommuni- tegie der Einheits- und Volksfront mit stischen Lager Italiens, Frankreichs oder dem ‚Eurokommunismus‘ oder mit dem Spaniens, in denen mit der Oktoberrevo- integralen Sozialismus gleichzusetzen?“ lution von 1917 auch die Kategorie Bruno Frei, der nach Mitgliedschaft „Diktatur des Proletariats“ verpönt war, zur österreichischen Sozialdemokratie nach wenigstens zum Schein marxisti- 1934 in die KPD aufgenommen wurde, schen Theorien der legal sozialistischen stellt 1980 fest, dass jemand, der in den Machtergreifung gesucht wurde. Solche zwanziger Jahren Anhänger Bauers war, Theorien des „sanften, risikolosen Hinü- damals die Niederlage des Austromar- bergleitens in eine neue Ordnung über xismus miterlebt hat, der gesehen hat, Sechzehntel, Achtel, Viertel der Macht“ Otto Bauer (1881–1938) wie erledigt Bauer in der SPÖ nach 1945 konnte man in Bauers „Weg zum Sozia- war, über die Kurzlebigkeit der Bauer- lismus“ (1919), in Bauers „Kampf um schichte das höchst persönlich besorgen Konjunktur vorab Bescheid weiß: „Für die Macht“ (1924) oder in Bauers Erläu- werde. (Etwa beim späten Viktor Adler) einen österreichischen Kommunisten, terungen zum Linzer Programm (1926) Ebensogut kann man andere Fäden her- der die ‚Zeit zwischen zwei Weltkrie- finden: „Wer wäre reicher an solchen auszupfen: diverse Theorien des ,Gra- gen‘ tätig miterlebt hat, ist der Versuch Theorien als der Austromarxismus, der dualismus‘, des sanften Hineinwachsens einer Rehabilitierung des Austromarxis- sich unter Bedingungen entwickelte, wo in den Sozialismus ohne qualitativen mus nicht nachvollziehbar.“9 zuweilen die große Mehrheit der Soziali- Sprung, ohne erbitterten Klassenkampf In seiner 1972 veröffentlichten Auto- sten die Machtergreifung für das Vor- bis zur Revolution; eine der zahllosen biographie beschreibt Frei, dass er bis in dringlichste hielt, ja die Sozialdemokra- Spielarten, mit denen man das große die frühen dreißiger Jahre geglaubt hat, tische Partei sogar im bürgerlichen Staat Loch zu stopfen versuchte, welches dass sich die österreichische Partei von über einen bewaffneten Arm verfügte: durch das natürliche Ausbleiben des ‚au- der deutschen Sozialdemokratie unter- den Republikanischen Schutzbund. tomatischen Zusammenbruchs‘ und die scheidet: „Immer noch war ich über- Kaum eine Frage, welche auf dem Weg Ausklammerung der Arbeiterklasse als zeugt, in meiner Heimat sei es anders als zur Macht auftauchen kann, die nicht im geschichtsgestaltende Kraft in der Theo- in Deutschland, Otto Bauer sei nicht Her- Austromarxismus theoretisch angerissen rie entstehen musste.“8 mann Müller, Renner nicht Ebert.“ Am wurde, freilich meist nur, um zu ‚bewei- Linzer Parteitag 1926 nahm Frei als be- sen‘, dass die Verhältnisse ‚noch nicht Bruno Frei über den geisterter Anhänger von Otto Bauer teil, reif‘ seien, dass ein ‚Abwarten des Reife- „integralen Sozialismus“ von dem er auch als „Fechter mit dem prozesses‘, dass der Rückzug in Perma- Bruno Frei bezeichnete ebenfalls An- Wort dialektische Funken schlagend“ nenz, die Flucht vor Entscheidungen das fang 1980 in „Weg und Ziel“ das Wieder- spricht: „Soll der Erzähler den atemlos an Ratsamste seien.“ anknüpfen an Bauer als linkssozialisti- den Lippen des Meisters hängenden Ge- In der ideologisch-philosophischen sche Illusion. Frei erinnerte daran, dass folgsmann beschreiben, der bereit war, in Neutralität des Bauer’schen Austromar- Bauer seinen „integralen Sozialismus“ der berühmten Formel ‚demokratisch so- xismus – er verpflichtet nicht auf den 1936 organisatorisch innerhalb der refor- lange wir können, Diktatur nur, wenn dialektischen Materialismus, Bauer mistisch sozialistischen Internationale man uns zwingt und soweit man uns selbst sympathisierte etwa mit Ernst angesiedelt wissen wollte: „Es erweist zwingt‘, ein Versprechen zu sehen, das Machs Positivismus –, in Bauers „gra- sich also, dass der Integrale Sozialismus die Schranken der bürgerlichen Demo- dualistisch“ sozialistischer Transformati- nichts weiter ist, als die Liquidierung der kratie sprengte? Soll er für das Herzklop- on, in seinen in der „Gleichgewichts- kommunistischen Parteien und der revo- fen des Jüngers Verständnis erbitten, das theorie“ verankerten Elementen eines lutionären Internationale, das Aufgehen einen befiel, als die Botschaft von der un- klassenneutralen Staats, in Bauers steter dieser Organisationen im Reformismus.“ mittelbar bevorstehenden Eroberung der Flucht zu den Notwendigkeiten der Ge- Der „integrale Sozialismus“ ist für Frei Macht in Österreich verkündet wurde?“ schichte sieht Wimmer den Grund, war- nur eine an die Bedingungen der faschi- Noch Ende 1933 habe er im persönlichen um der Austromarxismus nach Jahrzehn- stischen Periode, der Illegalisierung an- Gespräch Otto Bauers Versicherung, die ten des Vergessenseins für eine „Euro- gepasste Fortschreibung des Linzer Pro- österreichische Partei wird nicht das Jän-

4/06 Beiträge 17 nerschicksal der SPD erleiden, zur dagegen grübelte darüber nach, wie die norieren, so wenn Lenin 1920 mit Spott Kenntnis genommen: „,Das kann in päpstliche Enzyklika ‚Quadragesimo an- auf Bauers Modell „sozialer Machtfakto- Österreich nicht passieren; wir haben no‘ nun eigentlich im Sinne des Klassen- ren“, das den proletarischen Klassen- vorgesorgt.‘ [so Otto Bauer – Anm.] (…) kampfes auszulegen sei. (…) Ihr Grund- kampf in eine bürgerlich empirische So- Wenige Wochen später, im Geschützfeu- satz war eine patriarchalische Wohltäter- ziologie auflöst, reagiert hat,14 oder wenn er auf den Karl-Marx-Hof, hatten diese gesinnung gegenüber der Arbeiterschaft. Trotzki bis 1933 Bauer als Theoretiker Worte keine Gültigkeit mehr.“10 ‚Wer Knecht ist, soll Knecht bleiben!‘, „ohne politischen Willen“ analysiert, der Möglicherweise waren Frei auch zeit- sagt das berühmt gewordene Wort eines nur „in dem Kampfe gegen den revolu- genössische Kritiken an Otto Bauer be- Kölner Bischofs. Und die göttliche Vor- tionären Flügel – in der Anhäufung von kannt, wie jene von Karl Kraus, der Bau- sehung herrscht. (…) Der durch sein bür- Gründen und Tatsachen, sowie Zitaten er 1930 in dem Gedicht „Der Führer“ gerliches Verantwortungsbewusstsein gegen eine revolutionäre Aktion“ auffällt. gehemmte sozialdemokratische Führer Im Mai 1933 empfahl Trotzki der „Op- Otto Bauer verabsäumte nicht, sein um- position in der SPÖ“ den Bruch mit der fassendes Wissen aufzubieten, um den Partei, nicht nur mit Otto Bauer, sondern revolutionär erregten Arbeitern noch ein- auch mit der „Halbopposition“ Max Ad- mal nachzuweisen, wie sie sich auch in lers, von dem Trotzki schon im Zusam- diesen Rahmen eingliedern und sich den- menhang mit der Kritik an der deutschen noch ‚marxistisch‘ betätigen könnten. Parteiabspaltung „Sozialistische Arbeiter- Der Kampf um die Auslegung der Enzy- partei (SAP)“ gemeint hatte, dass ein klika, meinte er, sei im Grunde genom- „verzweifelter Sozialdemokrat“ noch lan- men die gegebene Form des Klassen- ge kein Revolutionär ist: „Die sozialde- kampfes in der heutigen Situation. ‚Jetzt mokratischen Massen vor politischer Zer- weiß ich nimmer, solln wir jetzt Betbrü- setzung, Verseuchung, Verfaulung retten der werden oder Kommunisten?‘ sagte ist unmöglich, ohne Bauer und Co. unver- der Dicknasige [Vertrauensmann – söhnlichen Kampf anzusagen. Dieser Anm.] aus dem ‚Karl-Marx-Hof‘ zu Pe- Kampf muss unvermeidlich zur Spaltung ter und schüttelte verwirrt den Kopf. ‚Ich führen.“ Die Aufgabe der Linksoppositi- glaub bald, die vom Parteivorstand gehn on ist der Bruch mit der austromarxisti- jeden Tag in die Kirch und lesen bloß schen Tradition. Gegenüber den in der noch heimlich den Marx …‘“12 Sozialdemokratie organisierten Arbeiter- Sogar Leopold Spira, Mitherausgeber massen muss die Linksopposition „das des „Wiener Tagebuch“, der Zeitschrift Wort ‚Verrat‘“ aussprechen: „Man muss Bruno Frei (1897–1988) der „KPÖ-Dissidenten“ des Jahres 1969 erklären, dass Bauer, Danneberg, Seitz – gestand 1992 widerwillig, dass nicht und Co. (sie alle muss man beim Namen vorwarf, die Handlungsunfähigkeit und erst nach der Enttäuschung über die fran- nennen) das österreichische Proletariat Apathie der Sozialdemokratie hinter ei- zösische Linksregierung von 1981 der verraten haben wie Wels und Co. das Pro- nem historischen Determinismus, hinter Rückgriff auf den Austromarxismus, da- letariat Deutschlands verraten haben.“15 scheinradikalen Phrasen zu verbergen, mit auch die ganze „Otto Bauer-Renais- Vergessen ist neben der von Rosa Lu- jede politische Niederlage fast metaphy- sance“ ein enttäuschendes Alibi für den xemburg oder Georg Lukács geübten sisch in einen Fortschritt umzuinterpre- zerfallenden „Eurokommunismus“ war Abrechnung mit den opportunistischen tieren: „Wie wir haben in der Hand die und schon gar keinen Platz in den sich Tendenzen des „Proudhonisten“ Otto Massen, / ja da kann der Gegner sich ver- schon abzeichnenden „neuen Sozialde- Bauer16 auch – da nicht in Legenden pas- stecken: / blind gehorchen sie, wenn wir mokratien“ all der Vranitzky, Blair oder send – die Kritik des jungen Ernst Fi- sie lassen / stracks und imposant die Schröder haben wird.13 scher an Otto Bauers „integralem Sozia- Waffen strecken.“11 lismus“, einem Modell, dem nicht erst Möglicherweise kannten Bauer-Kriti- Die Kritik des jungen von „linken Erneuerern“ der Gegenwart ker wie Frei auch jenen Abschnitt aus Ernst Fischer vergeblich Leben einzuhauchen versucht Oskar Maria Grafs 1936 veröffentlich- Der historische Otto Bauer selbst war wurde. Mitte 1936 bringt Ernst Fischer tem Zeitroman „Der Abgrund“ mit jener ein ständiger Gegner der innerparteili- in „Weg und Ziel“ Bauers Verbindung Tage vor dem 12. Februar 1934 angesie- chen revolutionären Option. Über ein von reformistischem und revolutionärem delten Szene, in der Wiener kampfberei- Vierteljahrhundert – einsetzend nach den Sozialismus im Zeichen der Volksfront- te Wiener Genossen darüber verzwei- Wahlrechtskämpfen 1907 bis hin zur Fe- losung des VII. Weltkongresses der feln, dass Otto Bauer im „Kampf“ und in bruarniederlage 1934 – nahm Bauer an Kommunistischen Internationale Ver- der „Arbeiterzeitung“ mit gelehrter Text- allen Schnittstellen der Geschichte 1914, ständnis entgegen. Fischer sieht in Bau- philologie marxistische Elemente aus der 1918, 1927 oder 1933 gegen jede sich in- ers „integralem Sozialismus“ aber doch dem Austrofaschismus dienenden päpst- nerhalb der SDAP im Ansatz formulie- nur modifizierten Austromarxismus, zu- lichen Enzyklika „Quadragesimo Anno“ rende Linksopposition Stellung. In der mal die Spaltung der Arbeiterbewegung destillieren will. Graf stellt den Otto Otto-Bauer-Rezeption der 1970er Jahre im organisatorischen Rahmen der sozial- Bauer vom Ende 1933 als verzweifelten, blieb dies – da störend – unbeachtet und demokratischen Internationale überwun- bildungsbürgerlichen Grübler über dem heute wird dies von den Ideologen einer den werden soll. ‚Quadragesimo Anno‘-Text hin und „neuen europäischen Linken“ übersehen, Über Bauers – vor siebzig Jahren – im stellt ihm den in Leipzig angeklagten die auch alle Kritik am „Menschewisten“ Februar 1936 in Druck gegebenes Werk Georg Dimitroff entgegen: „Otto Bauer Bauer von Seite Lenins oder Trotzkis ig- „Zwischen zwei Weltkriegen?“ heißt es

4/06 18 Beiträge bei Fischer, dass es ideologischer Aus- Fischer für unakzeptabel, dass Bauer Revolution nichts anderes als ein Natur- druck der „tiefen Krise der II. Internatio- weitgehend auf eine totalitarismustheore- prozess, in dem etwas geschieht, gleich- nale“ ist: „Otto Bauer rechtfertigt nicht tische Einschätzung zurückfällt. Fischer gültig, durch wen es geschieht.“20 nur den Reformismus, verkündet nicht wirft Bauer eine „gewaltsame und unauf- In den 1969 veröffentlichten Erinne- nur die fatalistische Auffassung ‚Alles richtige Gleichsetzung der fascistischen rungen zitiert Fischer seinen Angriff auf musste so kommen, wie es kam, es gab und der proletarischen Diktatur“ vor: Otto Bauer in der Zeitschrift „Kommuni- keine andre Möglichkeit!‘, verschleiert „Gleichzeitig denunziert [Otto Bauer] die stische Internationale“ aus dem Jahr nicht nur die Notwendigkeit der klaren Diktatur des Proletariats als ‚Diktatur ei- 1934. Fischer schildert Bauer dort als ei- Wahl zwischen revolutionärem und re- ner allmächtigen Parteibürokratie‘“. nen Theoretiker der Arbeiterklasse, der formistischem Sozialismus – er vermei- Unverändert sieht Fischer bei Bauer sich nie aus dem „Netz seiner enormen det es auch, den sozialdemokratischen 1936 auch dessen lebenslange Verwand- bürgerlichen Bildung“ lösen konnte und Arbeitern zu sagen, was zu tun ist, um die lung des historischen Materialismus in deshalb einerseits die Welt des Kapitalis- Einheitsfront auszubauen und die Eini- ein System schicksalhaft objektiver Ge- mus als „riesengroß“, die Kräfte des Pro- gung der Arbeiterklasse herbeizuführen; setzmäßigkeiten beibehalten, so wenn letariats als unterlegen einschätzte.21 Der er gibt ihnen nur den Rat, innerhalb der Bauer die reformistische Periode der Ar- nun „undogmatische“ Ernst Fischer ist II. Internationale eine ‚Synthese zwi- beiterbewegung als notwendig ge- Ende der 1960er Jahre aber nicht zufällig schen Reformismus und revolutionärem schichtliche Stufe legitimiert. Bauer ver- bemüht, die seit 1933 zerstörte Harmonie Sozialismus‘ zu propagieren und der ge- wandelt nach Fischer die materialistische mit Bauer im Zeichen des heranreifen- schichtlichen Entwicklung zu vertrauen.“ Geschichtsauffassung in einen apologeti- den so genannten „Eurokommunismus“ Fischer wirft Bauer vor, das alte zentristi- schen „historischen Fatalismus“, der ein wieder herzustellen. sche „Einerseits-andererseits“-Zaudern revolutionäres Handeln in Lenins Sinn nicht überwinden zu können. Otto Bauer unmöglich macht. Bei Otto Bauer ist der Anmerkungen: wird nicht klar, dass es kein Zurück zur Weg von der Analyse des Reformismus 1/ Vgl. Stichwort „Austromarxismus“, in: Marxi- Ideologie des „Linzer Programms“ von zu seiner Anerkennung und sogar Vertei- stisch-leninistisches Wörterbuch der Philoso- 1926 gibt. Mit seinem „integralen Sozia- digung ein sehr kurzer:18 „Dieser histori- phie 1, hrg. von Georg Klaus und Manfred Buhr, lismus“ will Bauer aus der Sicht des 1934 sche Fatalismus ist die tiefe, die tödliche Reinbek 1972, 179–181. zur KPÖ übergegangenen Redakteurs der Schwäche aller geschichtlichen und poli- 2/ Vgl. etwa Detlev Albers: Versuch über Otto „Arbeiterzeitung“ Fischer primär verhin- tischen Konzeptionen Otto Bauers; stets Bauer und Antonio Gramsci, Berlin 1983. dern, dass die illegalen Kader der Revo- geneigt, die objektiven Schwierigkeiten 3/ Vgl. Hans-Jörg Sandkühler und Rafael de la lutionären Sozialisten den Weg zum Mar- und damit den Gegner zu überschätzen, Vega: Einleitung, in: Austromarxismus. Texte zu xismus-Leninismus nehmen. Besonders die Kraft der Arbeiterklasse, die Bedeu- „Ideologie und Klassenkampf“ von Otto Bauer, scharf weist Fischer deshalb Bauers For- tung führender Parteien und führender Max Adler, Karl Renner, etc., Frankfurt 1970, mulierung: „Der integrale Sozialismus Männer zu unterschätzen, übersieht Otto 6–47. kann sich heute nur innerhalb der Soziali- Bauer, dass in entscheidenden geschicht- 4/ Vgl. Predrag Vranicki: Geschichte des Mar- stischen Arbeiter-Internationale ent- lichen Situationen die Entwicklungs- xismus I, Frankfurt 1972, 372–384. wickeln“17 zurück: „Der ‚integrale Sozia- möglichkeiten durchaus nicht eindeutig 5/ Vgl. Einleitung zu Christoph Butterwegge: Aus- lismus‘ war schon einmal vorhanden – in vorausbestimmt sind, dass das Ergebnis tromarxismus und Staat. Politiktheorie und Praxis der österreichischen Sozialdemokratie; er solcher Situationen nicht nur von histori- der österreichischen Sozialdemokratie zwischen ist in einer neuen Situation der alte Aus- schen ‚Naturgesetzen‘, sondern in ho- den beiden Weltkriegen, Marburg 1991. tromarxismus.“ Bauer will eigentlich die hem Maße von dem Scharfblick, der Ent- 6/ Vgl. Peter Kulemann: Am Beispiel des Aus- alte „Parteieinheit“ retten, wäre es nach schlossenheit, der Aktivität der handeln- tromarxismus. Sozialdemokratische Arbeiterbe- ihm gegangen, wären selbst eine Rosa den Kräfte abhängt.“ wegung in Österreich von Hainfeld bis zur Doll- Luxemburg, ein Karl Liebknecht in der Wenn Otto Bauer das Scheitern der fuß-Diktatur, zweite Auflage, Hamburg 1982, Partei Gustav Noskes geblieben. Nach deutschen Novemberrevolution als histo- 31–38, 231–237. Fischer gibt es keine akademisch abstrak- risch unausweichlich darlegt, so dient das 7/ Vgl. Otto Bauer und der „dritte“ Weg. Die te Synthese von Reformismus und Bol- nach Fischer nur dazu, die subjektive Rol- Wiederentdeckung des Austromarxismus durch schewismus, es gibt nur den offenen Weg le der rechtssozialdemokratischen Kreise Linkssozialismus und Eurokommunismus, hrg. zum Marxismus-Leninismus. Den „inte- um Ebert, Scheidemann oder Noske über- von Detlev Albers, Josef Hindels und Lucio gralen Sozialismus“ lehnt Fischer ab: „Es sehen zu können. Fischer fällt an Bauer Lombardo Radice, Frankfurt 1979. gibt keine Synthese zwischen Reformis- vor allem die „passive Form der Darstel- 8/ Ernst Wimmer: Rückgriffe auf den Austromar- mus und Kommunismus, wohl aber gibt lung“ auf, so Wendungen wie „der Streik, xismus, in: Weg und Ziel 1980, 71–74. es eine Verständigung, eine Vereinigung der Aufstand … wurde niedergeworfen“. 9/ Bruno Frei: Eine Otto-Bauer-Renaissance?, auf revolutionärer Grundlage.“ Bauer stellt sich zu selten die Frage, wer in: Weg und Ziel 1980, 7–9 – Ähnliche Ableh- Fischer gesteht Bauer zu, in Fragen der niedergeworfen hat, so etwa im Fall des nung einer Bauer-“Neuentdeckung“ deutete ne- Volksfront, der Verteidigung der bürger- „Kapp-Putsches“ 1920:19 „Wer hat die ben Arnold Reisberg („Februar 1934“, Wien lichen Demokratie einem Dimitroff nahe gewaltigen revolutionären Energien, die 1974) auch Leopold Hornik an. Vgl. etwa Leo- zu kommen. Außerdem zählt Bauer zu je- der Kapp-Putsch entfesselte, wieder abge- pold Hornik: Otto Bauer über die Ursachen und nen wenigen Theoretikern der Sozialde- würgt? Die sozialdemokratische Lehren des Februar 1934, in: Arbeiterbewegung mokratie, die den sozialistischen Aufbau Parteiführung. Der Geschichtsschreiber und Faschismus. Internationale Tagung der Hi- in der Sowjetunion anerkennen. Aller- mag die Beweggründe der Sozialdemo- storiker der Arbeiterbewegung Linz, 10. bis 14. dings verkennt auch der späte Bauer nach kratie erklären, aber er darf die Schuld der September 1974. (=ITH-Tagungsberichte 9), Fischer die konterrevolutionären Gefah- Sozialdemokratie nicht einfach ver- Wien 1976, 346–352. ren in der Sowjetunion, vor allem hält es schweigen, er darf nicht so tun, als sei die 10/ Bruno Frei: Der Papiersäbel. Autobiogra-

4/06 Beiträge 19 phie, Frankfurt 1972, 83, 106–109. 11/ Vgl. u.a. Karl Kraus: Die Dritte Walpurgis- nacht (1933), München 1967, 212–223. Lisa Gavric – Kommunistin 12/ Oskar Maria Graf: Der Abgrund. Ein Zeitro- man (1936), München 1994, 419f. und Widerstandskämpferin 13/ Vgl. Leopold Spira: Kommunismus adieu. Eine ideologische Biographie, Wien–Zürich 0 Jahre sind seit Beginn des Spani- wien – ihr Leben in Arbeitslosigkeit, 1992, 132–134. 7schen Bürgerkriegs (1936–1939) ver- Not, Hunger, die ständige Sorge um das 14/ W.I. Lenin: Referat über die internationale gangen. Stellvertretend für alle öster- Kind sowie der Ruf der jugoslawischen Lage der Kommunistischen Internationale (II. reichischen WiderstandskämpferInnen KP bewogen sie dazu. Dort herrschte ei- Kongress der Kommunistischen Internationale, im Ausland möchte ich anlässlich dieses ne faschistische Militärdiktatur, in der 19. Juli 1920), in: ders.: Werke 31, Berlin 1959, Jubiläums Lisa Gavric gedenken, die da- durch ein Ausnahmegesetz alle fort- 203–222. mals als eine der österreichischen Frei- schrittlichen Regungen unterdrückt und 15/ Leo Trotzki: Terrorismus und Kommunis- willigen die Spanische Republik unter- die KommunistInnen verfolgt wurden. In mus. Anti-Kautsky (1920), Berlin 1990, 163, 165 stützte. Ich habe sie leider nicht mehr der Heimatstadt Milans, der bosnischen oder u.a. Leo Trotzki: Was muss die Opposition persönlich getroffen, wurde aber auf ihr Stadt Tuzla, ließ sich die Familie nieder. in der SPÖ tun? Antwort an die österreichischen Schicksal aufmerksam, als ich ihre Toch- In ganz Jugoslawien wurden kommuni- Linken Sozialdemokraten, Prinkipo 3. Mai 1933, ter, Inga Tarassowa, im Laufe meiner stische Organisationen aufgebaut, Milan in: ders.: Schriften über Deutschland II, Frank- Recherchen zu dem Buch „Gelebte Soli- wurde in Tuzla Sekretär. Lisa identifi- furt 1971, 531–534. darität“ (Schutzbundkinder im sowjeti- zierte sich mit dem illegalen Widerstand, 16/ Vgl. Rosa Luxemburg: Die Akkumulation schen Exil) kennen gelernt habe. Sie hat unterstützte ihn. Sie hielt Kontakt mit des Kapitals oder was die Epigonen aus der mir von ihrer Mutter erzählt, die für sie dem Zentralkomitee der KPJ in Wien. Im Marxschen Theorie gemacht haben. Eine Anti- in dem Buch „Straße der Wirklichkeit“ Jänner 1933 wurde die Organisation von kritik (Leipzig 1921), in: dies.: Gesammelte Wer- ihr Leben, ihre Entwicklung zur Kom- einem Spitzel verraten, die Genossen in ke 5, Berlin 1990, 413–523 oder Georg Lukács: munistin und Widerstandskämpferin be- Tuzla und anderen Städten Bosniens Rosa Luxemburg als Marxist (Januar 1921), in: schrieb. Lisa Gavric mit ihrem mutigen, wurden verhaftet und wegen Hochver- derselbe: Geschichte und Klassenbewußtsein aufrechten Charakter, mit ihrem revolu- rats angeklagt. Ihr Mann und ihre Genos- [1923]. (=Lukács-Werke 2), Neuwied–Berlin tionären Pathos ist für mich ein Vorbild sen wurden zu einigen Jahren Zuchthaus 1968, 199–217. als Mensch, als Kommunistin. verurteilt, Lisa wurde aus Jugoslawien 17/ Otto Bauer: Zwischen zwei Weltkriegen?, Aufgewachsen in der kleinbürgerli- ausgewiesen. (Milan Gavric kämpfte Bratislava 1936, 335. chen Familie Bechmann in Wien, wurde nach einer abenteuerlichen Flucht aus 18/ Fischer bezieht sich hier auf Otto Bauer, Lisa mit ihren Geschwistern streng erzo- dem Gefängnis an der Seite der jugosla- ebenda 1936, 258f., also auf Formulierungen in gen. Nachdem sie über ihre Schwester wischen Partisanen. Er war nach 1945 Bauers „Zwischen zwei Weltkriegen?“ wie: „Der Trude einen Kreis kommunistischer Ju- als Journalist tätig und starb 1982.) Reformismus war keine bloße Verirrung. Er war gendlicher kennen lernte, konnte sie die Anfang 1934 fuhr Lisa mit ihrer Toch- nicht, wie Lenin (in ‚Was tun?‘ – Anm.) sagte, verlogene Atmosphäre ihrer Familie ter nach Wien, wo die KPÖ bereits ille- ‚die ideologische Versklavung der Arbeiter nicht mehr ertragen, verließ 1927 heim- gal arbeitete. Lisa schaltete sich in diese durch die Bourgeoisie‘. Er war die Taktik und lich das Elternhaus und fuhr auf’s Gera- Arbeit ein, erfüllte Aufträge der jugosla- Ideologie der Arbeiterklasse selbst in einer hi- tewohl nach Paris. Dort wohnte sie in ei- wischen und österreichischen KP. 1936 storischen Situation, in der einerseits eine prole- nem Hinterhofzimmer und arbeitete in fuhr sie im Auftrag der KPJ nach Paris, tarische Revolution aussichtslos erschien, in der einer kleinen Manufaktur – rechtlos, im wo im Mai die Volksfrontregierung ge- andererseits dem Proletariat eine breite Mög- Akkord und zu einem Elendslohn. Sie bildet worden war, und arbeitete poli- lichkeit gegeben war, seine Interessen inner- lernte die verschiedensten Menschen tisch für die französische KP. halb der kapitalistischen Gesellschaft mit ge- kennen, u.a. den jugoslawischen Kom- Als im Juli 1936 der faschistische Ge- setzlichen Mitteln erfolgreich zu vertreten. Die munisten Milan Gavric. neral Franco in Spanien durch einen Mi- geschichtliche Leistung der reformistischen Pra- Dieser stammte aus einer armen bosni- litärputsch die Volksfrontregierung stür- xis des Klassenkampfes war gewaltig. (…) Er schen Bauernfamilie; sein Vater brachte zen wollte, begann ein Bürgerkrieg. Na- war und ist eine unvermeidliche und eine frucht- es aber als erfolgreicher Kaufmann und bare Entwicklungsphase zwischen dem revolu- Geldverleiher zu Reichtum. Milan ertrug tionären Sozialismus des Zeitalters der bürgerli- seine Familie auch nicht und fuhr eben- Willi Weinert: chen Revolution der Vergangenheit und dem re- falls nach Paris. Dort fand er bald einen „Ich möchte, dass sie Euch alle volutionären Sozialismus des Zeitalters der pro- Freundeskreis, in dem Marxismus und immer nahe bleiben...“ letarischen Revolution der Zukunft.“ Kommunismus die Hauptthemen waren. Biografien kommunistischer 19/ Fischer bezieht sich hier auf Otto Bauer, Er öffnete Lisa, die sich noch nicht vom WiderstandskämpferInnen ebenda 1936, 290. Kleinbürgertum gelöst hatte, in vielen in Österreich 20/ Vgl. Ernst Fischer: Kommunismus oder „In- Diskussionen die Augen für die kommu- tegraler Sozialismus“?, in: Weg und Ziel 1936 nistische Idee. Wien: Verlag der Alfred Klahr Gesell- [DÖW Wien]. Sie heirateten 1929, Tochter Inge wur- schaft 2005, 96 S., zahlr. Abb., 5 Euro, 21/ Ernst Fischer: Erinnerungen und Reflexio- de geboren. Ihre Wohnung wurde zum ISBN 3–9501204–2–4 nen, Reinbek 1969, 314f., 340–349. – Auch konspirativen Zentrum jugoslawischer Die Broschüre kann um 5.– Euro (plus Ernst Fischer: Ein Gespräch mit Otto Bauer. Kommunisten, die aus ihrer faschisti- 1,75.– Versandkosten) unter grup- Zum 30. Todestag Otto Bauers, in: Weg und schen Heimat geflüchtet waren. Lisa und [email protected] bestellt werden und ist auch bei der KPÖ Graz erhältlich. Ziel (1968), 374–378. Milan fuhren jedoch 1930 nach Jugosla-

4/06 20 Beiträge Polizeigefängnis an der Elisabethprome- nade gesteckt, gefoltert, des Hoch- und Landesverrats, der Spionage, der Zerset- zung der Wehrmacht angeklagt. Aber als sich die deutsche Wehrmacht bereits auf zu lösen begann, wurde die Gerichtsver- handlung auf die Nachkriegszeit ver- schoben. Die Frauen wurden nach Deutschland, ins Konzentrationslager Ravensbrück gebracht. Die Hölle des KZs überlebten nur wenige, einige dank der Solidarität und dem mutigen Eintre- Elisabeth Gavric, Gestapo-Fotos ten von Mitgliedern des illegalen Lager- komitees. Lisa Gavric überlebte die zideutschland und das faschistische Itali- die deutsche Waffenstillstandskommissi- sechs Monate im KZ, „das Allerschreck- en unterstützten Franco mit allen Mitteln, on nach Österreich zurück. Nachdem die lichste“ in ihrem Leben, sie wurde als die das republikanische Spanien rief die An- Repatriierungsstelle in Paris ihre Rück- Französin „Louise Desmeth“ in einen tifaschisten der Welt zu Hilfe. Lisa Ga- kehr nach Wien abgelehnt hatte, nahm Transport des Schwedischen Roten vric entschloss sich, nach Absolvierung Lisa Kontakt mit der französischen Rési- Kreuzes geschmuggelt. eines sechsmonatigen Kurses für Kran- stance, und zwar mit der TA (Travail al- In Schweden erholte sich Lisa Gavric kenschwestern nach Spanien zu fahren. lemand = Deutsche Arbeit) auf. Diese von den psychischen und physischen Ihre Tochter ließ sie in der Obhut franzö- war ein Bereich der französischen Wi- Strapazen und kehrte danach nach Öster- sischer Genossinnen, welche die Kleine derstandsbewegung, der sich direkt mit reich zurück. Ab 1945 arbeitete sie als durch Vermittlung der Internationalen Soldaten der deutschen Wehrmacht in Funktionärin der KPÖ, in der Abteilung Roten Hilfe 1937 in die Sowjetunion in Frankreich befasste, mit dem Ziel, sie für Frauenarbeit in Wien, als Generalse- Sicherheit brachten (sie wuchs im Inter- von der Sinnlosigkeit des Krieges zu kretärin der Gesellschaft für Öster- nationalen Kinderheim in Iwanowo auf). überzeugen und zur Desertion und Mit- reichisch-Jugoslawische Freundschaft. Lisa kam mit einer Gruppe von Frauen arbeit zu gewinnen. Den größten Beitrag Ende 1948 übersiedelte sie nach Jugosla- in Albacete mit dem Schiff an, von wo dazu leisteten Frauen aus Österreich und wien – offensichtlich im Zusammenhang sie ins Hinterland gebracht und im Spi- Deutschland, die unter falscher Identität mit der Krise zwischen Jugoslawien und talzentrum Murcia in Lazarette aufgeteilt und illegal politische Arbeit leisteten. Li- der Sowjetunion. Sie lebte in Belgrad, wo wurden. Das Leben und die Arbeit dort sa Gavric unterrichtete an der Berlitz sie als Instruktorin deutscher Fachleute waren sehr schwer, da es an allem Not- Schule und begann, für die TA so ge- im Zentralrat der Gewerkschaften, da- wendigen fehlte, vor allem an Fachärz- nannte „Mädelarbeit“ zu machen. Sie nach als Chefredakteurin der Zeitschrift ten, geschulten Krankenschwestern und nahm Kontakt zu Soldaten auf, diskutier- „Schaffende“ sowie als Kommentatorin medizinischer Ausrüstung. Nach und te mit ihnen, steckte ihnen Flugblätter der deutschen Redaktion von Radio Ju- nach mussten sich die republikanischen oder eine Soldatenzeitung zu usw. Diese goslawien tätig war. Die letzten Jahre vor Truppen vor den Angriffen der Faschi- Soldatenarbeit war äußerst gefährlich, der Pensionierung arbeitete Lisa in Bel- sten zurückziehen. Anfang 1939 schließ- qualvoll und Nerven anspannend, aber grad im Institut für Probleme der interna- lich wurden die Interbrigaden von der die Frauen führten sie drei Jahre lang tionalen Wirtschaft und Politik. Front abgezogen, die Verwundeten wur- Tag für Tag durch. Stets waren sie der Ihre Tochter Inge hatte sich 1945 nach den mit dem Sanitätspersonal im Februar Gefahr ausgesetzt, verraten oder von ei- dem Wiedersehen mit ihrer Mutter ent- an die französische Grenze gebracht, wo- ner Wehrmachtsstreife gefasst zu wer- schieden, wieder in die Sowjetunion hin gleichzeitig Tausende von zivilen den. Schließlich wurde Lisa (illegaler zurück zu fahren. Sie besuchten einander Flüchtlingen sowie Soldaten der re- Name „Maria“) zur Leiterin dieser Frau- öfters, 1974 starb Lisa Gavric bei einem gulären Armee unterwegs waren. Die engruppe in Paris bestimmt. Aufenthalt bei der Familie ihrer Tochter französische Regierung hatte Spanien Ende 1943 fuhr Lisa Gavric mit einer in Dubna bei Moskau, wo sie auch be- bereits durch ihre Nichteinmischungspo- Gruppe von GenossInnen im Auftrag der graben ist. litik während des Bürgerkrieges im Stich KPÖ zu einem gefährlichen Einsatz nach CHARLOTTE ROMBACH gelassen. Nun schickte sie spanische Wien. Getarnt als französische Fremdar- Flüchtlinge zurück, begann eine Jagd beiterInnen, unter falschem Namen und nach antifaschistischen Ausländern, nach mit falschem Pass setzten sie den Wider- www.klahrgesellschaft.at Spanienkämpfern, nach deutschen und standskampf in der Heimat fort. Erst als – Sämtliche Beiträge aus den AKG-Mit- österreichischen Emigranten und Juden. die Gruppe verhaftet wurde und einer ih- teilungen der Jahrgänge 1994–2006 Lisa blieb einige Wochen in Paris, die rer führenden Funktionäre alles verriet, – Übersicht über aktuelle und bisherige Behörden verlängerten ihre Aufenthalts- konnte die Gestapo zuschlagen, denn bis Veranstaltungen der AKG genehmigung nicht mehr und wiesen sie dahin war sie nicht imstande gewesen, – Informationen über die Sammlungen nach Südfrankreich aus. Von dort wurde den GenossInnen der TA auf die Spur zu des Archivs der AKG sie mit einem Frauentransport in das In- kommen. Die in Paris lebenden Genos- – Beiträge und Bibliographien zur Ge- ternierungslager Gurs gebracht, wo sie sInnen tauchten unter, aber die nach schichte der KPÖ vier Monate verbrachte. Österreich Zurückgekehrten fielen der – Publikationen des Verlages der Alfred Von Arles in Südfrankreich meldete Gestapo im Juni 1944 in die Hände, dar- Klahr Gesellschaft sie sich 1941 im Auftrag der KPÖ über unter auch Lisa; sie wurden in Wien ins

4/06 Beiträge 21 Anna Hornik-SStröhmer (1890–1966) Eine Frau, die nicht vergessen werden darf or 40 Jahren ist Anna Hornik-Ströh- Die meisten aus der Gruppe der Linksra- Frauentag zu organisieren. Die öster- Vmer gestorben. Mehr als ein halbes dikalen wurden verhaftet. reichische Delegation war von diesem Jahrhundert hat sie ein Stück Geschichte Kurz danach hat sich Anna Ströhmer Vorschlag begeistert und bereitete eine der revolutionären Arbeiterbewegung der inzwischen gegründeten Kommunisti- große Demonstration in Wien vor. Es und der Frauenbewegung in Wort und schen Partei angeschlossen. Sie wurde ging damals ums Wahlrecht, den Acht- Schrift und mit Einsatz ihrer ganzen Per- Leiterin der Frauenarbeit der Partei und stundentag und gegen die drohende sönlichkeit mitgestaltet. Als 20-jährige Chefredakteurin der Arbeiterin. Anna Kriegsgefahr. Anna erzählte, dass die trat sie der Sozialdemokratischen Partei nahm als Delegierte am 2. und 3. Welt- Männer sie zuerst ausgelacht hätten. Sie bei. 1912 gründete sie die erste kongress der Komintern teil und lernt dort meinten, die Frauen würden sich nur bla- Mädchengruppe in der Sozialistischen mieren. 20.000 Frauen waren dem Auf- Jugend. Bis zu ihrem Tod hat ihre ganz ruf gefolgt und haben auf der Ringstraße besondere Aufmerksamkeit der Gewin- sehr eindrucksvoll für ihre Rechte de- nung und Aktivierung der Frauen für ih- monstriert. re Rechte und eine bessere Gesellschaft Seither ist der Internationale Frauentag gegolten. Sie gehörte seit 1914 dem zum weltweiten Kampftag der Frauen „Karl Marx Klub“ an, in dem sich die geworden. Das hat sicher dazu beigetra- Linken, die sich gegen die kriegsfreund- gen, dass das Wahlrecht und wichtige so- liche Politik der Sozialdemokratie wehr- zialpolitische Fortschritte erzielt werden ten, gesammelt hatten. Bekannte Frauen- konnten. Vieles aber, wofür die Pionier- persönlichkeiten wie Adelheid Popp, innen der Frauenbewegung, wie Anna Therese Schlesinger, Gabriele Proft und Hornik-Ströhmer gekämpft haben, ist andere gehörten zu diesem Klub der kon- noch immer nicht durchgesetzt worden, sequenten Kriegsgegner. Im Winter zum Beispiel: Der gleiche Lohn für 1915/16 gründete Anna Ströhmer mit ih- gleichwertige Arbeit, soziale Sicherheit nen das geheime „Aktionskomitee der und ausreichende Kinderbetreuungsein- Linksradikalen“. Lenin, Clara Zetkin und andere Persön- richtungen. In vieler Hinsicht werden Die Kriegsjahre hatten 1917 der Bevöl- lichkeiten der revolutionären Arbeiterbe- heute erkämpfte Errungenschaften unter- kerung viel Leid, Hunger und Elend ge- wegung kennen. Von Clara Zetkin wurde graben, wie das besonders bei der wach- bracht und weitere Kürzungen der Mehl- sie sehr geschätzt. In einem Brief an Anna senden Zahl von prekären Arbeitsver- und Brotration trieb die Stimmung zur Ströhmer schreibt sie 1921: „Es würde hältnissen sichtbar wird. Dabei habe ich Explosion. Die Oktoberrevolution 1917 mich sehr freuen, wenn ich persönlich mit noch gar nicht die unglaubliche grausa- in Russland, die Schluss mit dem Krieg Ihnen Rücksprache nehmen könnte nicht me Unterdrückung und Gewalt gegen machte, hatte auch ihr Echo in Öster- nur über die Situation sondern auch über Frauen, ihrer Rechtlosigkeit in vielen reich. Die kleine Gruppe der „Linksradi- den Plan einer internationalen Frauenkon- Ländern erwähnt. kalen“ um Anna Ströhmer wurde zur In- ferenz hier in Deutschland.“ Zeit ihres Lebens hat Anna Hornik- itiatorin des großen Jännerstreiks 1918, Im Jahre 1938 musste Anna nach Eng- Ströhmer mit ihrer großen Erfahrung und der im Herzen der Kriegsindustrie in land emigrieren. Als sie 1946 nach Wien Sachkenntnis geholfen. Für den Kampf Wiener Neustadt seinen Ausgang nahm. zurück kam, war sie sofort wieder für die gegen die Diskriminierung am Arbeits- Drei Tage später streikte schon eine Vier- Interessen der Frauen, in der KPÖ, in der platz, um gleichen Lohn, Ausbildungs- telmillion Menschen in der ganzen Mon- Gewerkschafts- und Genossenschaftsbe- und Aufstiegsmöglichkeiten, für ein mo- archie. Mit den Losungen: „Brot“, „Nie- wegung aktiv. Ich habe Anna Hornik- dernes Mutterschutzgesetz, gegen den der mit dem Krieg“, „Nieder mit der Re- Ströhmer nach dem Zweiten Weltkrieg als unseligen § 144, für eine Reform des gierung“ usw. wurde demonstriert. Mit Präsidentin des Wiener Bundes Demokra- längst veralteten Ehe- und Familien- Flugblättern für die sofortige Beendigung tischer Frauen kennen und schätzen ge- rechts sowie für ausreichende Kinderbe- des Krieges und gegen die Beschwichti- lernt. Im Jahr 1950 waren wir mit einer treuungseinrichtungen hat sie unzählige gungspolitik der sozialdemokratischen österreichischen Frauendelegation bei der Artikeln, Vorträge, Anträge an Regie- Führung mobilisierten die Linksradikalen internationalen Konferenz zum 50-jähri- rung und Abgeordnete verfasst. Auch die die aufgebrachten und kriegsmüden Mas- gen Jubiläum des Internationalen Frauen- Aufklärung der jungen Menschen über sen. Sie riefen zur Bildung von Arbeiter- tages in Kopenhagen. Ich habe dort die Faschismus und Krieg und die Gefahren und Soldatenräten auf. Wertschätzung, die von den Frauen aus al- der atomaren Aufrüstungen waren im Mit dem Beschluss der SP-Führung, ler Welt ihr entgegengebracht wurde, er- Mittelpunkt der Aktivitäten des Bundes den Streik unter vagen Versprechungen lebt. Auf der Konferenz erzählte sie von Demokratischer Frauen, die Anna tat- abzubrechen, löste sich die Streikbewe- ihren Erinnerungen an den ersten interna- kräftig unterstützte. gung auf – nur im Wiener Becken wei- tionalen Frauentag in Wien 1911. Anna Hornik-Ströhmer gehört zu den gerten sich die Streikenden aufzugeben. 1910 beschloss die Zweite internatio- großen Pionierinnen der Arbeiter- und Das letzte Flugblatt der Linksradikalen nale sozialistische Frauenkonferenz in Frauenbewegung, die niemals verges- zur Jännerrevolte wurde von Anna Kopenhagen, auf Vorschlag von Clara sen werden dürfen. Ströhmer und Leo Rothziegel verfasst. Zetkin, jedes Jahr einen internationalen IRMA SCHWAGER

4/06 22 Rezensionen Reihe von thematischen Überschneidun- Marx über die Beziehungen zwischen so- Die Rote Armee gen und überflüssigen Wiederholungen. wjetischen Besatzungssoldaten und öster- in Österreich Wo wirklich Neues präsentiert wird, ge- reichischen Frauen. Sie enthalten in be- as Ludwig Boltzmann Institut für schieht das in oft fragwürdiger Weise. eindruckender Weise eine Fülle an neuen DKriegsfolgen-Forschung unter Lei- Zwei negative Beispiele sind die Beiträge Fakten und Erkenntnissen. tung von Stefan Karner nahm im Jahr von Natalja Eliseeva über den Einsatz der Von Interesse sind auch zwei Beiträge 2000 das Forschungsprojekt „Die Rote NKVD-Truppen in Österreich von April ehemaliger österreichischer Diplomaten, Armee in Österreich 1945–1955“ in An- bis Juli 1945 und von Nikita Petrov über von Herbert Grubmayr und Ludwig Stei- griff, das, unterstützt vom Bundesmini- die inneren Truppen des NKVD/MVD in ner, die kurzweilig, anschaulich und sterium für Bildung, Wissenschaft und Österreich 1945/46. Beide stützen sich amüsant ihre Erlebnisse mit den sowjeti- Kultur und persönlich gefördert von Bun- zwar auf die zahlreichen Primärquellen in schen Vertretern während der Staatsver- deskanzler Wolfgang Schüssel und Bun- Moskau, die Artikel sind aber lediglich tragsverhandlungen schildern. desministerin Elisabeth Gehrer, sich zum ein unkritisches, sich sklavisch an den Insgesamt stellt der Beitragsband trotz Ziel setzte, in Kooperation mit russischen Aktentext klammerndes Paraphrasieren mancher gravierender Mängel eine wich- Archiven und HistorikerInnen das bis da- ihres Inhalts ohne jeden Versuch der Ver- tige Bereicherung unseres Wissens über hin unerschlossene Quellenmaterial in allgemeinerung und eigener Einschät- die Zeit der sowjetischen Besatzung in Moskau aufzuarbeiten, um zu einer Ge- zung. Auf andere, aber nicht minder Österreich dar. Er räumt überdies auch samtdarstellung der sowjetischen Besat- schülerhafte Weise, geht Alexander Curi- mit mehreren sattsam bekannten Kli- zungsära sowie der Politik der UdSSR lin in dem Beitrag „Wie die ‚österreichi- schees auf, die in Österreich über „die gegenüber Österreich zu gelangen. sche Frage‘ gelöst wurde“ vor. Verbrämt Russen“ vorherrschen und rückt Dinge Das Ergebnis liegt nun in zwei um- mit einigen Fußnoten zu Aktenbeständen, zurecht, die bisher wegen antikommuni- fangreichen Bänden vor, die anlässlich die nichts zur Sache tun und mehr der De- stischer Ressentiments eine tendenziöse des Gedenkjahres im April 2005 erschie- monstration wissenschaftlicher Solidität Schieflage besaßen. nen und noch im selben Jahr eine 2. Auf- dienen sollen, enthält der Artikel buch- Noch besser gelungen ist der Doku- lage erlebten. Der eine Band enthält ins- stäblich nur Altes und längst Bekanntes, mentenband. Von den HerausgeberInnen gesamt 33 Beiträge zu den Themen „So- Dinge, die sowjetische HistorikerInnen sorgfältig redigiert vermittelt er einen wjetische Österreich-Planungen während schon vor 30 Jahren genauso gut oder tiefen Einblick nicht nur in die Art und des Zweiten Weltkriegs“, „Kriegsende schlecht niedergeschrieben haben. Weise, wie der Schriftverkehr in der Ära 1945“, „Struktur und Organisation des Der beste russische Beitrag stammt von Stalins ablief, sondern auch darüber, wie sowjetischen Besatzungsapparats“, „Be- Natalja Lebedeva über die österreichi- oft richtige und scharfsinnige politische freit und doch nicht frei“, „Alltag in der schen Kommunisten im Moskauer Exil, Diagnosen sowjetischerseits falschen sowjetischen Besatzungszone“, „Öster- der sich sowohl auf die neuen Quellen und illusionären gegenüber standen. Die reich in der sowjetischen Politik nach stützt als auch stilistisch sehr gut und in Berichte der sowjetischen Besatzungsin- dem Zweiten Weltkrieg“ und „Abschluss wohltuend objektivem Ton verfasst ist. stanzen an Stalin, das Politbüro, das ZK- des Staatsvertrages und Ende der Besat- Umso mehr verwundert, dass bei ihr ei- Sekretariat und die Regierung sind ge- zung 1955“. Der andere Band, thema- ner der führenden österreichischen Kom- wöhnlich sehr ausführlich, kranken aber tisch ebenso gegliedert, enthält 189 Do- munisten, Erwin Zucker-Schilling, per- an dem, was im Gegenzug auch in den kumente in russischer und deutscher manent als „Fritz Zucker-Schilling“ auf- Weisungen aus Moskau zum Ausdruck Sprache aus russischen Archiven. scheint, und das in der „2., durchgesehe- kommt: einer Befangenheit in bürokrati- Sammelbände sind in der Regel schnel- nen Auflage“ von den HerausgeberInnen scher Starrheit und der Scheu, Eigenver- ler und problemloser zu produzieren als übersehen und nicht korrigiert wurde. antwortung wahrzunehmen, solange Monographien, laufen aber Gefahr, un- Unter den Beiträgen der österreichi- nicht von höchster Stelle Direktiven aus- einheitlich und von unterschiedlicher schen HistorikerInnen, die, wie schon ge- gegeben wurden. Qualität der Beiträge zu sein. Dieser Ge- sagt, ein höheres Niveau an Wissen- Dennoch ist man überrascht, wie scho- fahr entging auch der erste Band leider schaftlichkeit und der Fähigkeit resümie- nungslos offen und wahrheitsgetreu man nicht. Die Güte der Artikel der russischen render Stoffdurchdringung aufweisen, ra- bisweilen berichtete. Beispiele hierfür HistorikerInnen steht mit wenigen Aus- gen zwei heraus, von Harald Knoll/Bar- sind zwei Dokumente über die USIA- nahmen hinter der der österreichischen bara Stelzl-Marx über die sowjetische und SMV-Betriebe sowie über die Tätig- zurück, und es gibt bei ihnen eine ganze Strafjustiz in Österreich und von Stelzl- keit der Österreichisch-Sowjetischen Ge- sellschaft (ÖSG) aus dem Jahr 1954. Der 10-seitige USIA-Bericht enthält eine Neuerscheinungen derartige Fülle an Zahlen, Fakten und In- formationen, dass er geradezu als neue Claudia Kuretsidis-Haider: „Das Volk sitzt zu Ge- und originäre Quelle für die – längst richt“. Österreichische Justiz und NS-Verbrechen am überfällige – gründliche historische Dar- Beispiel der Engerau-Prozesse 1945–1954. Innsbruck, stellung dieser Betriebe herangezogen Wien, Bozen: Studien-Verlag 2006 (Österreichische Ju- werden kann. Ebenso unbarmherzig legt stizgeschichte, Bd. 2), 496 S., EUR 53.00 er den Finger auf die Wunde der Peter Goller: Natalie Moszkowska (1886–1968). Eine Schwächen und Fehler, die die KPÖ bei marxistische Nationalökonomin (mit Anmerkungen der politischen Arbeit in den sowjeti- zu ihren Kontakten zur österreichischen Arbeiterbe- schen Betrieben beging und deren Quit- wegung). Angerberg: Bader 2007, 20 S. tung sie nach dem Abschluss des Staats- vertrages ausgestellt bekam. Ähnlich in-

4/06 Rezensionen 23 struktiv und nüchtern die Mängel benen- Kriegs-Ideologie zur Lektüre angele- Schrift, macht biografische Anmerkun- nend ist der Bericht über die ÖSG, in gentlich zu empfehlen sind. gen, wobei er ausführlich auf die Tätig- dem die Enttäuschung darüber zum Aus- keit des illegalen KJV im Raum Knittel- druck kommt, dass sie nur einen gerin- Stefan Karner, feld–Judenburg eingeht, in dem sich gen Einfluss ausübe und zu wenig aktiv Barbara Stelzl- auch Cäsars Widerstandstätigkeit gegen den Kampf gegen die antisowjetische Marx (Hg.): Die das Naziregime abspielte. Michael Propaganda in Österreich betreibe. Rote Armee in Schiestl zeichnet das Bild Judenburgs Die eigentliche Perle des Dokumenten- Österreich. So- von der Bürger- zur Arbeiterstadt, die sie bandes ist aber das Protokoll des Ge- wjetische Besat- durch den Aufbau der Schwerindustrie sprächs zwischen dem damals zweiten zung 1945– wurde. Martina Behr, Ilse Wieser und Mann hinter Stalin, dem ZK-Sekretär 1955. Beiträge. Helmut Konrad gehen auf Cäsars Vorzü- Andrej Shdanow, mit den KPÖ-Führern Graz–Wien– ge ein, junge Menschen anzusprechen Koplenig und Fürnberg in Moskau am München 2005 und ihr Interesse für die Probleme und 13. Februar 1948. Diese 4seitige Nieder- (Veröffentli- Schwierigkeiten der Vergangenheit zu schrift wurde nach ihrer Entdeckung chungen des Ludwig Boltzmann-Instituts wecken. Der Problematik der erzählten 2005 in den österreichischen Medien als für Kriegsfolgen-Forschung, Graz–Wi- Geschichte widmen sich Christian Ehe- Sensation präsentiert, weil sie die Ab- en–Klagenfurt, Sonderband 4, 2., durch- treiber und Bettina Ramp. sicht der KPÖ, Österreich zu zerreißen gesehene Auflage), 888 S. und einen sowjetzonalen Separatstaat zu Stefan Karner, Barbara Stelzl-Marx, errichten, zu beweisen scheint. Aus dem Alexander Tschubarjan (Hg.): Die Rote Protokoll geht jedoch hervor, dass Ko- Armee in Österreich. Sowjetische Besat- plenig und Fürnberg diesen Vorstoß un- zung 1945–1955. Dokumente. Graz–Wi- ternahmen, um endlich Klarheit über die en–München 2005 (Veröffentlichungen sowjetischen Zukunftspläne in Bezug des Ludwig Boltzmann-Instituts für auf Österreich zu erhalten. Diese Klar- Kriegsfolgen-Forschung, Graz–Wien– heit bekamen sie auch prompt, denn Sh- Klagenfurt, Sonderband 5, 2., durchge- danow kritisierte die Idee scharf. Er sehene Auflage), 979 S. wandte sich entschieden dagegen, die HANS HAUTMANN politische Perspektive darauf zu grün- den, dass die sowjetischen Truppen über längere Zeit in Österreich bleiben und Heimo Halbrainer (Hg.): „Ich bin immer nannte die Besatzung ein „Übel, das sich schon eine politische Frau gewesen“. in einem bestimmten Stadium zuneh- Maria Cäsar. Widerstandskämpferin und mend als Hindernis für die wirkliche de- Zeitzeugin. Eine Würdigung aus Anlass mokratische Entwicklung Österreichs er- des 86. Geburtstages. Graz: Clio 2006, weisen wird. Die Unabhängigkeit eines 162 S. Landes kann sich nicht auf ausländische Truppen stützen. Die inneren demokrati- aria Cäsar ist nach einer schweren schen Kräfte und die Führung der Kom- MErkrankung nun wieder in der Lage munistischen Partei – diese sind die wah- das zu tun, weswegen ihr in dem jüngst re Stütze der Unabhängigkeit.“ (S. 731) erschienenen Würdigungsbuch Kränze Zahlreiche Personen des steirischen So Shdanow am 13. Februar 1948. geflochten werden. Es sind Kränze der „öffentlichen Lebens“ stellen sich mit Dass er damit auch die Meinung Stalins Hochachtung gegenüber einer „aus dem Würdigungen für Maria Cäsar ein und kundtat, liegt auf der Hand. Während das Volk“, die es seit Jahrzehnten versteht, zeigen, dass ihre Wertschätzung keine im Falle der späteren DDR die Frage als Zeitzeugin jungen Menschen von Parteigrenzen kennt, was nicht zuletzt aufwirft, ob Stalin so weitsichtig war, die ihrem (harten) Leben in den 1930er Jah- durch die 1999 erfolgte Verleihung des Existenz eines Staates auf Dauer für un- ren in ihrer Heimat zu erzählen, und von Goldenen Ehrenzeichens des Landes möglich zu halten, „der sich auf auslän- ihrem Beitrag im Kampf gegen grünen Steiermark zum Ausdruck kam. dische Truppen stützt“, zerstört das im und braunen Faschismus, für eine besse- Lange Jahre gehörte sie dem Vorstand Falle Österreichs die Behauptung gründ- rer, für eine gerechtere Welt. Indem sie der ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT an, lich, dass er auf eine Einverleibung unse- authentisch von ihrem Leben erzählt – bevor sie ihre Funktion zurücklegte, weil res Landes in seinen Machtbereich aus und das mit dem Vorzug einer natürli- sie ihre konkrete Arbeit im Rahmen ihrer war und dass der Staatsvertrag erst durch chen Begabung dafür –, öffnet sie den Tätigkeit als Zeitzeugin an Schulen zu seinen Tod möglich wurde. nachgeborenen Generationen das Fenster sehr in Anspruch nahm. Wir als Alfred Den HerausgeberInnen der beiden für das Verstehen der größeren Zusam- Klahr Gesellschaft danken unserem ehe- Bände ist anzurechnen, dass sie auch mit menhänge, der Widersprüche eines Sy- maligen Vorstandsmitglied für ihre dieser Legende endlich aufräumen, stems, das auf der Ungleichheit beruht. Tätigkeit und wünschen Maria auch wei- wofür im Besonderen zwei längere Diese Ungleichheit zu überwinden, war terhin Schaffenskraft, damit noch viele Beiträge von Peter Ruggenthaler („War- und ist Maria Cäsars Lebensinhalt. Jugendliche die Chance erhalten, durch um Österreich nicht sowjetisiert werden Im vorliegenden Würdigungsband be- jenes Zeitfenster zu blicken, das ihnen sollte“, S. 61ff. und „Warum Österreich leuchten verschiedene Autoren Aspekte durch Marias Schilderungen der Vergan- nicht sowjetisiert wurde“, S. 649ff.) gei- des Lebens von Maria Cäsar. Heimo genheit geöffnet wird. stigen Veteranen der westlichen Kalten- Halbrainer, der Herausgeber dieser WILLI WEINERT

4/06 24 Rezension Lisa Rettl: PartisanInnendenkmäler. Anti- deutschsprachigen KärntnerInnen, nur in faschistische Erinnerungskultur in Kärn- sehr geringem Ausmaß am Widerstand ten. Innsbruck-Wien-Bozen: Studien-Ver- beteiligte. Kärnten war das einzige öster- lag 2006 (Der Nationalsozialismus und reichische Gebiet in der Zeit der NS- seine Folgen, hrsg. für die Forschungsge- Herrschaft, wo es, eingebettet in ein re- meinschaft zur Geschichte des National- guläres militärisches Organisationsnetz, sozialismus von Florian Freund/Bertrand der „Slowenischen Befreiungsfront“ (Os- Perz/Karl Stuhlpfarrer, Bd. 3) vobodilna fronta, OF), einen bewaffneten Widerstand gab, der sich in Antwort auf Mitteilungen der ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT ie Beschäftigung mit der Gedächt- die schweren und blutigen Verfolgungen Herausgeber und Medieninhaber: Dniskultur gehört zu den jüngeren entwickelte, denen die slowenische Min- ALFRED KLAHR GESELLSCHAFT Zweigen der österreichischen Zeitge- derheit seitens der nationalsozialistischen Präsident: Dr. Walther Leeb schichtsforschung. Wie auch andere neue Machthaber, ihrer Anhänger, Nutznießer MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Peter Goller, Fragestellungen nahm sie Ende der und Mitläufer ausgesetzt war. Am Kärnt- Hans Hautmann, Manfred Mugrauer, Charlotte 1980er Jahre im Zusammenhang mit der ner Beispiel lassen sich also die ge- Rombach, Irma Schwager, Willi Weinert Waldheim-Affäre ihren Ausgangspunkt schichtskulturellen Verarbeitungsformen Layout: Manfred Mugrauer und erbrachte seither wertvolle Ergebnis- des Gedenkens an die politischen und se und Erkenntnisse. Ihre Bedeutung als moralischen Katastrophen der ersten Adresse: Drechslergasse 42, 1140 Wien interdisziplinäres Forschungsfeld an der Hälfte des 20. Jahrhunderts geradezu ex- Tel.: (+43–1) 982 10 86 Schnittstelle von Kulturwissenschaft und emplarisch nachvollziehen. FAX: (+43–1) 982 10 86 DW 18 Zeitgeschichte liegt darin, dass sie über Lisa Rettl hat das in vorbildlicher Wei- e–mail: [email protected] den Umgang einer Gesellschaft mit ihrer se getan. Nach einer Einleitung, in der in Internet: www.klahrgesellschaft.at Vergangenheit Aufschluss gibt und, bündiger Form das Forschungsziel umris- Vertragsnummer: GZ 02 Z 030346 S komprimiert wie hinter einem Brennglas, sen wird sowie theoretische und metho- P.b.b., Verlagspostamt 1140 Wien die Kontinuität und den Wandel der Erin- dologische Fragen sowohl der Erinne- nerung, den Kampf zwischen Gedächtnis rungskultur insgesamt als auch die spezi- meindeämter sowie Pfarrchroniken), und „oben“ und „unten“ und damit den demo- fische Rolle der Denkmäler als „statische unter Ausschöpfung der Berichte in den kratischen Reifegrad, das Niveau der po- Zeichen dynamischer Prozesse“ behan- Tageszeitungen und der gesamten bisher litischen Kultur und die psychosozialen delt werden, folgt die historische Darstel- dazu erschienenen Literatur wird auf 331 Befindlichkeiten in einem Staat und des- lung des wechselvollen und oft dramati- Seiten die teils beschämende, teils grotes- sen Bevölkerung widerspiegelt. schen Schicksals der insgesamt neun Par- ke, aber auch ermutigende und von Hero- Lisa Rettl hat ein sehr umstrittenes Seg- tisanInnendenkmäler in Kärnten. Die Au- ismus zeugende, immer aber interessante ment der österreichischen Erinnerungskul- torin schildert detailliert die Umstände Geschichte dieser Denkmäler dargelegt. tur zum Gegenstand ihrer Untersuchung ihrer Errichtung und Enthüllung, das Dem Resümee Lisa Rettls, bezogen auf gemacht: ihre antifaschistische Ausfor- Echo in der Öffentlichkeit und die wüten- die Gedenkstätte Persmanhof, wo am mung in Kärnten an Hand der PartisanIn- den Reaktionen der „deutschkärntner“ 25. April 1945 elf Angehörige der Bau- nendenkmäler. Diese steht in diametralem Scharfmacher, die eine Stimmung er- ernfamilie Sadovnik von einer SS-Einheit Gegensatz zur offiziellen „deutschkärnt- zeugten, in der slowenische Partisanen- erschossen wurden, kann nur beigepflich- ner“ Gedächtniskultur, die nach wie vor gräber geschändet und drei Denkmäler, tet werden: „Gerade angesichts der gegen- von den mythischen Begriffen „Abwehr- das in St. Ruprecht bei Völkermarkt wärtigen internationalen politischen Ent- kampf“ und „Volksabstimmung 1920“ do- 1953, das in Robesch 1973 und das am wicklungen, die mit ihren zahlreichen miniert wird. Aus deren Sicht verfolgen Kömmel 1976 sogar gesprengt wurden. kriegerischen Auseinandersetzungen, die PartisanInnendenkmäler das Ziel, Das geschah, obwohl diese Denkmäler neoliberalen Wirtschaftspolitiken, ethni- Kärnten optisch zu „slowenisieren“ und und Gedenktafeln durchwegs nur in der schen Konflikten und Migrationsbewe- sind somit Ausdruck einer fortbestehen- Abgeschiedenheit der Kärntner Berge gungen wieder zu verstärkten Identitäts- den jugoslawischen Begehrlichkeit auf und Wälder aufgestellt waren (und wer- und Abgrenzungsängsten geführt haben Kärnten. Gleichzeitig verherrlichen sie, so den konnten), und damit öffentlich kaum und damit auch einer rechtspopulistischen wird gesagt, „Partisanenverbrechen“ und wahrnehmbar sind. Bezeichnend für Politik zu einem gewaltigen Aufschwung provozieren dadurch permanent die Kärntens Klima ist auch, dass alle slowe- verhalfen, ist das kritische, widerständige „deutschkärntner“ Bevölkerung. nischen Erinnerungszeichen auf Privat- Subjekt besonders gefragt. Und insbeson- Der Kampf um die Erinnerung verläuft grund liegen, und nicht auf Grundstücken dere in Kärnten, mit seinen stark mythisch daher in Kärnten nicht nur am politischen der öffentlichen Hand. und nationalistisch geprägten Vergangen- Strang der „Opfer“ und „Täter“, des anti- Dissertationen sind in aller Regel keine heitsdeutungen, in denen faschistische faschistischen Widerstandes versus Dul- kurzweilige Lektüre. Auch Lisa Rettls Grundpositionen – besonders auch im dung, „Pflichterfüllung“ und aktiver Be- Buch fordert vom Leser Bemühung und Alltagsleben – nach wie vor ihren festen teiligung an den nationalsozialistischen konzentrierte Aufmerksamkeit. Ist man Platz haben, bleibt das ‚alte‘ Anliegen der Verbrechen, sondern auch ethnisch zwi- dazu bereit, erschließen sich einem aber ehemaligen PartisanInnen, nämlich den schen deutschsprachiger Mehrheit und viele neue Zusammenhänge und überra- Persmanhof für slowenisch- und deutsch- slowenischer Minderheit. Der bewaffnete schende Einsichten. Fußend auf einer sprachige KärntnerInnen zu einem Ge- antifaschistische Kampf wurde fast aus- breiten Quellenbasis (Staatsarchiv, denkort, einem Ort der kritischen Reflexi- schließlich von Kärntner SlowenInnen Kärntner Landesarchiv, Diözesanarchiv on und der Begegnung werden zu lassen, getragen, der im Land lebenden Minder- Gurk, Aktenbestände der Kärntner Slo- aufrecht.“ (S. 249) heit, der gegenüber sich die Mehrheit, die wenenverbände und verschiedener Ge- HANS HAUTMANN

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