Unbekannt Und Übersehen Ein Schickardtbau Im Ehemals Herzoglichen Schloss in Neuenstadt Am Kocher
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Unbekannt und übersehen Ein Schickardtbau im ehemals herzoglichen Schloss in Neuenstadt am Kocher In der Burgen- und Schlösserlandschaft Baden-Württembergs ist das ehemals herzogliche Schloss in Neuenstadt am Kocher nur wenig bekannt. Im Vorfeld einer zurzeit angedachten Umnutzung von zwei der ehemals sechs herrschaft- lichen Bauten fanden in den letzten Jahren umfangreiche bauhistorische Untersuchungen statt, die nunmehr für den sogenannten Türnitzbau neue Erkenntnisse und neue Fragen zur Urheberschaft des ihm zugrunde liegenden Entwurfs erbracht haben. Gerd Schäfer Unter dem Titel „Denkwürdigkeiten der herzog- und besteht heute noch aus vier von einstmals lich württembergischen Stadt Neuenstadt“, einer sechs herrschaftlichen Bauten. Um 1825 wurden Art handschriftlicher Dokumentation einer Stadt- zwei Gebäude, das sogenannte „Steinhaus“ und führung, hat der Neuenstadter Diakon Philipp das unter den Württembergern errichtete Amts- Christoph Gratianus im Februar 1782 neben den haus auf Drängen der Stadt abgebrochen. Die frei- Sehenswürdigkeiten des Städtchens auch einige werdende Fläche wollte die Stadt für einen neuen Anmerkungen zum dortigen Schloss und zu des- Marktplatz innerhalb der Altstadt gewinnen. sen Entstehung festgehalten. Er schreibt, dass das Die vier noch vorhandenen Schlossgebäude werden Schloss im Jahr 1560 unter Herzog Christoph von volksmündlich bezeichnet mit „Prinzessinnenbau“ Württemberg (1515– 1568) errichtet worden sei. und daran angefügtem „Langen Bau“, (in den Akten In den folgenden Jahrhunderten übernahmen die ab dem beginnenden 17. Jahrhundert wird dieser nachfolgenden Stadtchronisten diese Information Komplex als das „Alte Schloss“ bezeichnet). Der weitgehend kritiklos. einstige Marstall wird seit dem 19. Jahrhundert als Die Schlossanlage Neuenstadt steht am höchsten „Forstamt“ bezeichnet, der nachfolgend näher be- Punkt der im 14. Jahrhundert entstandenen Stadt trachtete Türnitzbau (Abb. 1) als „Neues Schloss“. 1 Marktplatzansicht des Türnitzbaus 2013. Die schmucklosen Fenster - gewände der beiden Obergeschosse entstan- den nach 1840, jene im Erdgeschoss, rechts des Hauseinganges, um 1865 mit dem Einbau einer Poststation. Die beiden Garagentore wurden 1926 eingebrochen, an- stelle bauzeitlicher Re- naissancegewände. Die kleinen Gewände über den Toren belichten ein Zwischengeschoss über gewölbten Kammern. Der ursprüngliche Nebenein- gang wurde 1844 mit dem Einbau des heute erhaltenen Elementes zur Hauseingangstür. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2019 269 2 Freilage des Marktplat- Zufallsfunde bei der Marktplatz - ten, ein- bis dreigeschossigen Bauten; gruppiert zes 2013. Blick aus dem erneuerung um schmale Hofflächen. Drei Gebäude waren 2.OG des Türnitzbaus ganz aus Stein errichtet, die drei anderen ab dem während der Freilage des Bei der Erneuerung der Marktplatzoberflächen 1.Obergeschoss mit Fachwerkaufbauten gestaltet. Marktplatzes brach im Sommer 2013 ein Bagger in einen Hohl- In einer 1819 durch den Neuenstadter Werkmeis- raum ein. Hieraus ergab sich die Gelegenheit zur ter Gross entstandenen Grundrissaufnahme wer- Dokumentation von noch vorhandenen Kelleran- den alle Einzelbauten des Ensembles dargestellt lagen und Fundamenten der beiden 1826 an der (Abb. 3). Die beiden dort gelb angelegten Ge- Stelle des heutigen Marktplatzes abgebrochenen bäude (Amtshaus und Steinhaus) waren damals Gebäude (Abb. 2). Wertvolle Informationen zu zum Abbruch bestimmt, was zur Folge hatte, dass Typologien und Entstehungszeiten der Ensemble- der Türnitzbau an seiner Südseite freigestellt bestandteile ergänzten fortan das schärfer wer- wurde und seither vom neu entstandenen Markt- dende Gesamtbild. platz her einsehbar ist. Das Ensemble erstreckt sich auf rund 100 m Länge entlang der Talkante zum Kochergrund hin und Dendrochronologie und alte Akten dehnte sich in die Stadtfläche hinein auf einer Breite von rund 50 m bis an die Hauptstraße aus. Im Vorfeld einer Umnutzungsplanung des Tür- In ihrer Blütezeit bestand die Schlossanlage aus nitzbaus und des Forstamts, wurden zwischen mehreren dicht auf einer engen Fläche gedräng- 2012 und 2018 umfangreiche bauhistorische Un - 3 Bauaufnahme 1819 von Werkmeister Gross. 270 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2019 tersuchungen durchgeführt. Durch eine Untersu- Eines der Blätter (Abb. 4) zeigt die Grundrisse chung der Decken und Dachwerke ließen sich die zweier bislang durch die Schickhardt-Forschung Fälldaten der Bauhölzer (alle als Floßholz) für den nicht eindeutig identifizierter Bauten. Die mit Türnitzbau dendrochronologisch auf die Jahre württembergischem Fuß und Zoll verzeichneten 1603 und 1604 datieren. Maßangaben der Grundrissdarstellung auf der lin- Mit diesem Ergebnis fällt die Errichtung des Ge- ken Blattpartie sind mit den heutigen Abmessun- bäudes in die Zeit von Herzog Friedrich I. von Würt- gen des Türnitzbau-Erdgeschosses übereinzubrin- temberg (1557– 1608) und in die Schaffenszeit des gen. Die rechts auf diesem Blatt abgebildete Bau- herzoglich-württembergischen Landbaumeisters struktur konnte mit dem 2013 dokumentierten Heinrich Schickhardt (1558– 1635). Die Datierung Grundriss als die maßhaltige Darstellung jenes des Bauholzes und der Fund einer Schriftquelle ursprünglich dicht vor dem Türnitzbau stehenden lässt die bisher vielfach zitierte Angabe der Ent- und 1826 abgebrochenen Steinhauses aus der stehungszeit des Türnitzbaus mit „erbaut 1559– zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erkannt 65 unter Herzog Christof“ letztlich hinfällig wer- werden. den. Denn wir wissen nun auch, dass Herzog Fried- rich I. erst am 27. Juli 1606 den Vorgängerbau des Historische Bauaufnahme und Türnitzbaus, namentlich das „alte Bandhaus zur aktueller Befund Erbauung des neuen Schlosses“ käuflich erworben hatte. Dieses neue Wissen um den Türnitzbau in- In der erhaltenen Bauaufnahme von 1819 wird an tensivierte die Suche nach weiteren Schriftquel- der Fuge zwischen Steinhaus und Türnitzbau ein len zu diesem Bauwerk in den staatlichen Archiven. „Schnecken“-Treppenhaus in einer rechteckigen Neben der bereits genannten historischen Bau- Baustruktur dargestellt. Von diesem 1826 abge- aufnahme von 1819 fanden sich im Nachlass von brochenen Treppenhaus fanden sich 2013 in drei Heinrich Schickhardt zwei bemerkenswerte Skiz- Meter Tiefe unter dem Marktplatz noch original zenblätter, die konkreten Anlass zur Hypothese sei- versetzte Wendelsteine und ein Türgewände aus ner Urheberschaft an diesem Bauwerk gaben. Die der Zeit um 1600. Am Türnitzbau sind die zuge- Frage nach dem „geistigen Vater“ des Türnitzbaus mauerten Türanbindungen in dieses Treppenhaus stand nun im Focus. gut zu erkennen, nur in den sehr detailliert gefer- tigten Skizzen Schickhardts findet sich keine Spur Ein Modell, Heinrich Schickhardt von dieser Treppenanlage; weder in der Darstel- 4 Links unten die Auf- und das Schloss in Neuenstadt lung des Bandhauses, noch in jener des Steinhau- nahme des Erdgeschosses ses. zum späteren Türnitzbau. Der rechts abgebildete In seinem zwischen 1630 und 1632 verfassten „In- Hinsichtlich der ansonsten maßhaltigen Stimmig- Grundriss konnte 2013 ventarium“ nennt Heinrich Schickhardt unter der keit der detaillierten Skizzen im Vergleich mit den während der Freilage des Rubrik „in volgenden Schlössern viel gebaut und realen Bauwerken kann hieraus geschlossen wer- Marktplatzes mit dem in etlichen große Hauptgebey gethon“ auch Neu- den, dass es sich bei den Skizzen um eine Be- vorgefundenen Bestand enstadt. Damit ist bereits ein stichhaltiger Nach- standsaufnahme der um 1600 am Platz vorhan- des Steinhauses identifi- weis vorgelegt, dass er dort einen „Hauptbau“ er- denen Gebäudezustände handeln muss. ziert werden. richtet hat. Wie aus der jüngsten Bauforschung be- kannt wurde, sind alle anderen Elemente des Schlossensembles vor oder nach Schickhardts Wir- kenszeit errichtet worden. Es kommt also nur der Türnitzbau für diese Zeitstellung in Frage. Mit der gesicherten Datierung des Haues lässt sich eine Rechnung des Stuttgarter Hofschreiners Se- bastian Rottenburger von 1603 verknüpfen, über den Lohn für die Herstellung einer Visierung für den „Neuen Bau zu Neuenstadt“. Vermutlich ist damit ein Architekturmodell gemeint. Wenn 1603 ein Modell des Hauses entstand, musste die dafür erforderlich Vorarbeit wohl bereits seit längerer Zeit im Gange sein. Unklar ist bisher die Frage nach der entwurflichen Urheberschaft des verantwort- lichen Baumeisters. Starke Hinweise auf Heinrich Schickhardt liefern in dieser Frage zwei handschriftlich verfasste, mit ver- maßten Skizzen versehene Blätter aus seinem Nachlass. Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2019 271 Das Bandhaus in der Skizze kann damit als Vor- sein. Diese These wird durch zwei Beobachtungen gängerbau des Türnitzbaus identifiziert werden, untermauert: Wesentliche Teile der vorhandenen womit der Befund älterer Mauerpartien und Außenwände des Erdgeschosses wurden aus Kalk- andersartigen Baumaterials in einigen Teilen der bruch gemauert, die Obergeschosse und Giebel Türnitzbau-Außenwände ebenfalls eine Erklärung des Hauses indessen bestehen aus Sandsteinbruch erhält. Zudem ist der Gewölbekeller unter dem und Werkstein. Die sehr wahrscheinlich vom Vor- Türnitzbau noch aus dieser Vorgängerbebauung gängerbau, in den neu aufgebauten Türnitzbau erhalten. übernommenen Außenwände im Erdgeschoss er- Die „Schnecke“, wie man um 1600 steinerne Spin- hielten nach 1606 durch die neuen Funktionsan- deltreppen nannte, wurde 1606/07 an der Schloss- forderungen an das Gebäude größere Fensteröff- hofseite vor den beiden eng nebeneinander ste- nungen,