Prof. Dr. Gesine Schwan Präsidentin Der Europa-Universität Viadrina Im Gespräch Mit Werner Reuß
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 22.02.2005, 20.15 Uhr Prof. Dr. Gesine Schwan Präsidentin der Europa-Universität Viadrina im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, herzlich willkommen zum alpha-forum, heute aus dem Palace-Hotel hier in München. Unser Gast ist Ihnen allen bekannt, zumindest seit dem "Wettbewerb" um das Amt des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin, wie man sagen muss, wenn Sie, die Kandidatin von SPD und Grünen, im Mai 2004 von der Bundesversammlung gewählt worden wären. Unser Gast ist Frau Professor Dr. Gesine Schwan, sie ist Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, ich freue mich, dass sie hier ist. Herzlich willkommen, Frau Präsidentin. Schwan: Schönen guten Tag, Herr Reuß. Reuß: "Gesine Schwan ist verliebt in die Normalität, von der Utopie ist sie nicht verführbar, nur von der Wirklichkeit. Sie ist der nicht-ekstatische Typ schlechthin", so beschreibt Sie eine Tageszeitung. Fühlen Sie sich damit richtig beschrieben? Schwan: Nein, nicht ganz. Ich bin schon immer interessiert gewesen am Spannungsverhältnis zwischen der Wirklichkeit, die allerdings auch wirklich präsent sein und bei der man sich nichts vormachen soll, und der Perspektive auf eine bessere Welt. Denn ohne die Perspektive auf eine bessere Welt würde es mir, so banal das auch klingen mag, nicht gefallen zu leben. Reuß: "Intellektuelle Neugier", haben Sie einmal als eine Ihrer großen Stärken bezeichnet und hinzugefügt: "Ich habe jeden Tag Lust, etwas Neues zu lernen." Was sind denn Ihre Hauptinteressensgebiete? Schwan: Das ist eben das Problem, die Interessensgebiete sind immer schon sehr breit gestreut gewesen. Wobei ich aber schon sagen muss, dass für mich bereits relativ früh klar war, dass ich nicht in den naturwissenschaftlichen Sektor gehen möchte. Stattdessen interessiert mich eben alles, was mit dem Menschen zu tun hat: nicht nur in intellektueller Hinsicht, sondern auch in musischer Hinsicht, denn ich wollte ursprünglich sogar Musiklehrerin werden. Ich habe an der Schule viel Theater gespielt, aber auch alles, was mit fremden Kulturen zu tun hat, interessiert mich sehr. Und es interessiert mich auch sehr, was in den Menschen vorgeht: Das fasziniert mich immer wieder. Reuß: "Wer nur rational entscheidet, ohne Gefühl oder Vision, der macht was falsch", haben Sie einmal gesagt. Aus der Distanz betrachtet scheinen Sie ein sehr rationaler Mensch zu sein: Entscheiden Sie auch manchmal aus dem Bauch heraus? Schwan: Ja, natürlich. Ich glaube auch, dass der so genannte Bauch oder dass das Gefühl nicht einfach irgendetwas Irrationales ist, sondern eigentlich die spontane Zusammenfassung sehr verschiedener Erfahrungen und Eindrücke darstellt. Im Gefühl ist man immer als ganze Person angesprochen, aber in das Gefühl gehen auch rationale Erwägungen ein; freilich nicht in dem Sinne, dass man die einzelnen Aspekte akut auseinander nehmen würde, sondern mehr in dem Sinne, was man sich im Laufe der Zeit an rationalen Einsichten erarbeitet hat. Reuß: In Ihrem Buch "Politik und Schuld" haben Sie die Deutschen beschrieben als "eine Nation, der es auffällig an Wärme und auch an Vertrauen fehlt". Woran liegt es, dass uns Deutschen Wärme und Vertrauen fehlt? Schwan: Zunächst einmal habe ich bei dieser Aussage zurückgegriffen auf das Ergebnis einer empirischen Untersuchung, die in Allensbach gemacht worden war. Ich war von ganz anderen Überlegungen her dahin gekommen, dass ich den Eindruck gewonnen habe, dass es in Deutschland an Wärme und Vertrauen fehlt. Als ich dann das Ergebnis dieser vergleichenden Umfrage in Westeuropa, den USA und Japan vom Ende der achtziger Jahre gesehen habe und durch diese Umfrage im Grunde genommen empirisch bestätigt worden bin – denn eigentlich kann man mit der Empirie etwas nicht unmittelbar bestätigen, sondern man kann nur immer ein Indiz dafür finden, dass in der Tat sein könnte, was man annimmt –, war ich doch sehr verblüfft. Frau Noelle-Neumann hat die Ergebnisse damals ganz anders als ich interpretiert: Sie hat diesen Mangel an Wärme, Zuversicht und Vertrauen darauf zurückgeführt, dass die Deutschen nach 1945 durch die Sieger gedemütigt worden wären. Ich behaupte stattdessen, dass es erstens auch schon vor 1945 deutlich an Wärme und Vertrauen gefehlt hat, dass sich dies später aber noch sehr gesteigert hat, weil es nach 1945 bei all dem, was sie – vor allem seit den sechziger Jahren – an Aufarbeitung der Vergangenheit gemacht haben, für die Deutschen sehr, sehr schwer gewesen ist, sich wirklich mit der Vergangenheit zu konfrontieren. Denn wir haben uns lange Zeit einfach nicht klar gemacht, wie viele Menschen doch letztlich entweder direkt als Täter oder als Zuschauer oder als Halb-Beteiligte involviert waren in das, was damals geschehen ist. Dieses Buch "Politik und Schuld" befasst sich also mit der Frage, was eigentlich mit der Psyche der Menschen passiert – und zwar nicht nur bei denen, die in der Zeit des Nationalsozialismus bereits erwachsen waren, sondern auch bei den Kindern und z. T. sogar bei den Kindeskindern –, wenn es nicht gelingt, sich mit dieser Tat auseinander zu setzen. Eine Einsicht, die man aus verschiedenen Quellen gewinnen kann, aus psychologischen, psychoanalytischen und auch theologischen Quellen, besteht darin, dass dann, wenn man bestimmte Taten und Schuldgefühle vor sich verschließen muss, insgesamt der Sektor des Gefühls sehr leidet. Denn man kann sozusagen nicht einfach nur einen Teil seines Gefühls verschließen, um den Rest offen zu lassen: Das geht so eben nicht. Und es kommt noch hinzu, dass derjenige, der latente und ungeklärte Schuldgefühle hat – das muss nun gar nichts mit der Politik zu tun haben, das kann auch aus dem ganz normalen Leben resultieren, denn dieser psychologische Mechanismus ist ja völlig unabhängig von einer akuten politischen Sache –, dass der in der Regel ein sehr beschädigtes Selbstwertgefühl hat. Das Selbstwertgefühlt ist aber nun einmal die Grundlage des Vertrauens und des Selbstvertrauens: Wenn man kein ruhiges Selbstwertgefühl hat – übrigens haben all die, die sich besonders aufplustern, in der Regel kein Selbstwertgefühl –, dann hat man kein Vertrauen zu sich selbst und hat auch kein Vertrauen in andere. Dieser enge Zusammenhang existiert in der Tat so. Aus diesem Grund habe ich daher folgende These: Diese nicht verarbeitete Schuld ist nicht nur menschlich von Bedeutung und sehr traurig – auch für diejenigen, die in der Zeit des Nationalsozialismus noch Kinder waren –, sondern das hat auch politische Folgen, weil man eben in einer Demokratie möglichst viele Bürger braucht, die ein einigermaßen gestandenes Selbstbewusstsein haben und damit auch Selbstvertrauen und Fremdvertrauen. Dieser Mechanismus gilt jedoch nicht nur für die Deutschen, um das hier einmal ganz klar zu sagen. Ich habe das anhand von Quellen und Selbstzeugnissen von Deutschen nach 1945 untersucht – man könnte das auch für die Zeit nach 1989 so untersuchen, obwohl das natürlich quellenmäßig sehr viel schwieriger ist und das insgesamt ein komplizierterer Vorgang ist –, aber das gilt natürlich überall dort, wo Verbrechen geschehen sind. Das gilt in Afrika oder Asien ganz genauso. Es gibt auch große Diskussionen über dieses Thema in Japan. Dieser Mechanismus ist also universal gültig und insofern könnte er einen manchmal sogar ein wenig in die Resignation treiben, weil sich ja überall auf der Welt so viel Schuld aufgeladen hat, dass es fast schon eine religiös-theologische Frage wird, wie man damit fertig werden kann. Dennoch ist es meiner Meinung nach von eminenter Bedeutung, sich diesen Mechanismus klar zu machen. Zumal er ja nicht auf der Hand liegt und auch für viele Menschen unangenehm ist: Sie möchten nicht darüber reden, weil sie sich immer selbst betroffen fühlen, wenn von Schuld die Rede ist. Mir jedenfalls lag sehr daran, das alles mal ein wenig näher zu analysieren und auszubreiten. Reuß: Damit sind wir schon beim Thema "Vertrauen" angelangt. "Politik und Vertrauen" war immer ein wichtiges Thema für Sie. Der deutsche Korporatismus, die deutsche Konsensgesellschaft gilt ja vielen als zu unbeweglich, als zu reformunfreudig. Sie haben einmal gesagt: "Uns fehlt ein freier Diskurs von Themen, weil wir in Wahrheit keine Konsensgesellschaft sind, sondern eine Misstrauensgesellschaft ohne Grundkonsens. Was als Konsens daherkommt, ist nichts anderes als ein Stillhalteabkommen." Wie könnte denn ein solcher Grundkonsens aussehen? Schwan: Er müsste erstens immer wieder erneuert werden: Es gibt ihn nicht ein für alle Mal. Selbst dann, wenn wir sagen, und das tun ja die großen politischen Akteure, die Parteien und die Verbände, dass wir in der Demokratie bestimmte Werte verfolgen und uns in unseren Taten daran auch orientieren - Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind seit der Französischen Revolution dafür sozusagen das Muster, obwohl damals ja noch von Gleichheit, also von Rechtsgleichheit die Rede gewesen ist –, selbst dann also, wenn das so propagiert wird, stimmt es nicht, dass uns diese Werte wirklich orientieren und uns allen ein Herzensbedürfnis sind. Wenn man genauer hinsieht, dann stellt man fest, dass diese Werte für viele politische und gesellschaftliche Akteure völlig nebensächlich sind. Sie legitimieren das z. B. in der Wirtschaft damit, dass sie nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten Gewinn machen müssen. Das stimmt ja auch und das ist gar nicht falsch. Insofern hatte eben auch Marx durchaus Recht, als er in seinen frühen Schriften wie meinetwegen "Zur Judenfrage" meinte, dass das so nicht funktionieren kann. Werte