JUSTIZ UND ERINNERUNG Hrsg
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Verein Verein zur Erforschung nationalsozialistischer zur Förderung Gewaltverbrechen und justizgeschichtlicher ihrer Aufarbeitung Forschungen A-1013 Wien, PF 98 A-1013 Wien, PF 98 Tel./Fax 315 49 49 Tel./Fax 315 49 49 E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] Bankverbindung: Bank Austria 660 502 303 Bankverbindung: Bank Austria 660 501 909 JUSTIZ UND ERINNERUNG Hrsg. v. Verein zur Förderung justizgeschichtlicher Forschungen und Verein zur Erforschung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen und ihrer Aufarbeitung vormals „Rundbrief” Euro 4,- Nr. 10 / Mai 2005 Die vorliegende Ausgabe von “Justiz und Erinnerung” dient als Arbeits- grundlage für den Ersten Wiener Workshop zur Europäischen Nachkriegs- justiz. Sie wurde von der Gemeinde Wien/MA7 (Kultur) gefördert. Beiträge Die Außerordentliche Volksgerichte (“MLS”) in den böhmischen Ländern 1945-1948 Katerina Kocová Katerina Kocová Die Außerordentlichen Volksgerichte („MLS“) in den böhmischen Ländern. .................................................... 1 Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, der in dem sieg- reichen Kampf gegen das Nazi-Regime fürchterliche Martin O. Achrainer Opfer moralischer und physischer Art mit sich brachte, Zum Umgang mit den NationalsozialistInnen in Tirol begann man mit der Verfolgung und der Bestrafung für die nach 1945 .................................................................... 11 begangenen Kriegsverbrechen. Der Wunsch, der Gerech- tigkeit Genüge zu tun, veranlasste nicht nur die CSR, son- Susanne Uslu-Pauer dern alle vom Krieg betroffenen Staaten dazu, sich mit der Kriegsende in Österreich – Todesmärsche und ihre ge- Situation auseinander zu setzen und mit den Übeltätern ab- richtliche Ahndung ..................................................... 15 zurechnen. Konsens bestand bezüglich einer zentralen Forderung: Die Schuld sollte geahndet werden. Die politi- Gabriele Pöschl sche und strafrechtliche Verantwortung der Nationalsozia- Der halbierte Prozess – Die Einstellung eines Teils des listen für die Kriegsverbrechen wurde von der Anti-Hitler- Strafverfahrens gegen Franz Murer im Jahr 1955 ..... 19 Koalition durch die Einrichtung des Internationalen Ge- richtshofs in Nürnberg anerkannt.Darüber hinaus wurde Sabine Loitfellner dieses Prinzip in den meisten Einzelstaaten auf jeweils na- Was blieb von den österreichischen Auschwitzprozessen tional spezifische Weise umgesetzt. In der CSR wurde am der 70-er Jahre? ......................................................... 23 19. Juni 1945 das Dekret des Präsidenten der Republik Nr. 16 „über die Bestrafung von NS-Verbrechern, Verrätern Claudia Kuretsidis-Haider sowie deren Helfer und über die Außerordentlichen Volks- „Denn man soll aus Auschwitz Lehren ziehen“: gerichte“ herausgegeben, das sogenannte „große Retribu- Überlegungen zum Projekt tionsdekret“.1 Die Geltungsdauer des Dekrets betrug ein „Auschwitzausstellung in Wien“ ............................... 25 Jahr. Sie wurde jedoch durch ein Sondergesetz zweimal – d.h. bis zum 4. Mai 1947 – verlängert (sog. erste Retribu- Michael Alexander Kranewitter tion). Nach Februar 1948, der tiefgreifende Veränderungen Grenzpolizeikommissariat Stanislau. Die Verbrechen ei- in Politik und Gesellschaft mit sich brachte, wurde die Fra- ner Sicherheitspolizeistelle in Ostgalizien und die juris- ge der Retribution (“Vergeltung”) erneut gestellt. Schon tische Verfolgung der Täter in Österreich, der Bundesre- am 25.März 1948 wurde das Gesetz Nr. 33 herausgegeben, publik Deutschland und der DDR (Vorstellung der womit die Geltung des Retributionsdekrets erneuert wur- Diplomarbeit) ............................................................. 27 de. Gleichzeitig wurde damit auch eine Verordnung über das Außerordentliche Volksgericht herausgegeben (sog. Impressum ................................................................... 28 zweite Retribution).2 Es handelte sich im Grunde um so et- was wie Standesgerichte, die schnell und streng urteilen Buchtipps .............................................................. 10, 22 sollten. Seite 2 Justiz und Erinnerung Nr. 10/Mai 2005 Die Retribution in der Slowakei verlief nach einer eige- dem Außerordentliche Volksgericht Prag standen die po- nen Vorschrift des Slowakischen Nationalrates.3 Die slo- litische Spitzen der Sudetendeutschen Partei bzw.des NS- wakische Retribution war vom Umfang her kleiner und Besatzungsregimes in der Tschechoslowakei, wie der fiel in der Tendenz wesentlich milder aus als die in den Staatsminister für Böhmen und Mähren, K.H.Frank, der böhmischen Ländern. Es wurden beinahe 110.000 Straf- stellvertretende Bürgermeister von Prag, Josef Pfitzner, anzeigen erstattet, vor Gericht kamen jedoch insgesamt oder die Gruppe ehemaligen sudetendeutschen Abgeord- 20.550 Personen. Auf 8.058 Aburteilte entfielen 65 To- neten und Senatoren des tschechoslowakischen Parla- destrafen (29 Urteile wurden vollgestreckt), die höchste ments aus der Zeit vor 1938.Das Volksgericht in Leit- Freiheitstrafe zwischen 20 und 30 Jahren wurde in 127 meritz behandelte sehr bedeutende Fälle von Verbrechen, Fällen bemessen. Über ein Drittel waren Freiheitsstrafen die im Theresienstädter Ghetto11 und in der Kleinen bis zu einem Jahr.4 Die Deutschen machten etwa 10% der Festung, dem Prager Gestapo-Gefängnis in Theresienstadt Verurteilten aus. Die Zielgruppe der hiesigen Retribution begangen worden waren. Einer der Verurteilten war Hein- waren die Ungarn (zirka 60% aller Verurteilten), dann rich Jöckel.12 Der ehemalige Kommandant der Kleinen Slowaken (zirka 29%), in erster Linie die Exponenten des Festung wurde im Jahr 1946 vom Volksgericht in Leit- Slowakischen Staates aus den Jahren 1939-1945.5 meritz zum Tode verurteilt und am 25.Oktober 1946 hin- gerichtet. Zwischen den Jahren 1945 und 1948 wurden Die Retributionsgerichtsbarkeit wurde als eine der Haupt- bei diesem Gericht laut Archivunterlagen mehr als 2.000 aufgaben der tschechoslowakischen Justiz in der unmittel- Fälle verhandelt.13 Ungefähr die Hälfte der Angeklagten baren Nachkriegszeit angesehen. Beim Justizministerium wurde freigesprochen. Es gab 26 Todesurteile, 5 davon wurde für diesen Zweck eine spezielle Retributionsabtei- betrafen drei Kommandanten und zwei Wachmänner aus lung eingerichtet.6 Die Tätigkeit der Außerordentlichen Theresienstadt. Es handelte sich um die Kommandanten Volksgerichte wurde nicht nur von den politischen Reprä- Anton Burger, Karl Rahm und Lagerinspektor Karl Ber- sentanten und der Presse, sondern auch der breiten Öffent- gel. Die zwei Wachmänner waren Franz Cserba und Ru- lichkeit verfolgt. Sie wurde zu einem Mittel des politischen dolf Haindl.14 Neben diesen Prozessen, die mit einem To- Kampfes und dies vor allem zwischen der kommunisti- desurteil endeten, wurden auch andere Leute aus There- schen Partei, die das Innenministerium beherrschte, und der sienstadt verurteilt. Zum Beispiel wurde am 14. Septem- Tschechoslowakischen National-Sozialistischen Partei, in ber 1948 Miroslav Hasenkopf verurteilt, der bei der tsche- deren Kompetenz das Justizministerium fiel. 7 chischen Polizei in Theresienstadt gearbeitet hatte. Er wurde zu 15 Jahre verurteilt und starb am 21. Mai 1951 im In den böhmischen Ländern, d.h. auf dem heutigen Gebiet Gefängnis Valdice.15 der Tschechischen Republik, gab es 24 Außerordentliche Volksgerichte.8 Als erstes eröffnete das Volksgericht Das Gerichtsverfahren Brünn seine Verhandlungen, als letztes nahm das Volks- Im Dekret war festgelegt, wie das Gerichtsverfahren ab- gericht in Eger im Februar 1946 die Tätigkeit auf.9 Das laufen sollte. Das Verfahren wurde vom „Volksgericht“ Brünner Gericht sprach seine ersten Urteile schon im Juni (MLS) auf Vorschlag des „Volksanklägers“ eingeleitet aus, und zwar noch auf Grundlage des Londoner Dekrets. und sollte ohne Unterbrechung stattfinden. In verfahrens- Im Mai hatte eine Delegation des Brünner Nationalaus- rechtlicher Hinsicht brachte das Retributionsgerichtswe- schuss (MNV) den damaligen national-sozialistischen sen ein wichtiges Novum, nämlich ein relativ starkes Lai- Justizminister Jaroslav Stránsky besucht, informierte ihn enelement. Senate der Außerordentlichen Volksgerichte über die kritische Situation in der Stadt und bat um Hilfe. bestanden aus einem durch den Präsidenten der Republik Nach ihrer Information befanden sich zur damaligen Zeit ernannten Berufsricher als Vorsitzenden und aus vier auf im Brünner Gefängnis an die 1.600 Personen, davon un- Vorschlag der kommunalen Verwaltungsorgane durch die gefähr 1.500 Deutsche. Die Stimmung unter der Bevölke- Regierung oder in ihrem Auftrag durch den Justizminis- rung radikalisierte sich. Es fielen Forderungen nach stren- ter ernannten „Richtern aus dem Volke“. Neu war, dass ger Bestrafung der Gefangenen. Im Falle, dass dies nicht diese Schöffen nicht nur bloß über Schuld oder Unschuld, in kürzester Zeit geschähe, drohe, dass das Volk die „Ge- sondern auch über das Strafmaß entschieden. rechtigkeit“ in seine Hände nähme. Dieser Zustand wurde unhaltbar, so dass der Nationalausschuss „vor dem Ge- Die „Volksrichter“ stellten das Laienelement dar, das den fängnis Maschinengewehre aufstellen musste... es droht Bezug der Gerichte zum Volk garantieren sollte. Sie wur- die Gefahr, dass die verhafteten Personen gelyncht wer- den aufgrund eines politischen Schlüssels ernannt, d. h. den, oder, dass der Nationalausschuss zu ihrem Schutz in aufgrund der von den Parteien der „Nationalfront“ ge- die tschechische Menge schiessen muss“. Stránsky infor- machten Vorschläge oder sie wurden aus