Inhaltsverzeichnis Plenarprotokoll 18/95

Deutscher

Stenografischer Bericht

95. Sitzung

Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 17: b) Antrag der Abgeordneten Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias Erste Beratung des von der Bundesregierung W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur der Fraktion DIE LINKE: Gesundheits- Erhöhung der Sicherheit informationstech- förderung und Prävention konsequent nischer Systeme (IT-Sicherheitsgesetz) auf die Verminderung sozial bedingter Drucksache 18/4096 ...... 9037 A gesundheitlicher Ungleichheit ausrich- Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister ten BMI ...... 9037 B Drucksache 18/4322 ...... 9057 C (DIE LINKE) ...... 9038 D c) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz- Asche, Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Gerold Reichenbach (SPD) ...... 9040 C Terpe, weiterer Abgeordneter und der Dr. (BÜNDNIS 90/ Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: DIE GRÜNEN) ...... 9042 C Gesundheit für alle ermöglichen – Ge- rechtigkeit und Teilhabe durch ein mo- (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 9044 B dernes Gesundheitsförderungsgesetz Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/4327 ...... 9057 D DIE GRÜNEN) ...... 9045 D Hermann Gröhe, Bundesminister (DIE LINKE) ...... 9047 A BMG ...... 9058 A Christina Kampmann (SPD) ...... 9048 A Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) ...... 9059 D (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9050 A Helga Kühn-Mengel (SPD) ...... 9061 A (CDU/CSU) ...... 9051 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) ...... 9061 B (SPD) ...... 9053 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 9054 C DIE GRÜNEN) ...... 9063 A Hansjörg Durz (CDU/CSU) ...... 9056 A (CDU/CSU) ...... 9064 D Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9066 B Tagesordnungspunkt 18: Birgit Wöllert (DIE LINKE) ...... 9067 A a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Dr. (SPD) ...... 9068 C Gesetzes zur Stärkung der Gesund- Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ heitsförderung und der Prävention DIE GRÜNEN) ...... 9069 D (Präventionsgesetz – PrävG) Drucksache 18/4282 ...... 9057 C Reiner Meier (CDU/CSU) ...... 9070 D II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Marina Kermer (SPD) ...... 9072 A Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 9088 D Heiko Schmelzle (CDU/CSU) ...... 9073 B Bettina Müller (SPD) ...... 9089 D Martina Stamm-Fibich (SPD) ...... 9074 C (CDU/CSU) ...... 9076 A Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Tagesordnungspunkt 19: Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erste Beratung des von den Abgeordneten Gleichen Lohn für gleiche und gleichwer- Dr. Harald Terpe, , Katja Dörner, tige Arbeit für Frauen und Männer durch- weiteren Abgeordneten und der Fraktion setzen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Drucksache 18/4321 ...... 9091 A Entwurfs eines Cannabiskontrollgesetzes Cornelia Möhring (DIE LINKE) ...... 9091 B (CannKG) Drucksache 18/4204 ...... 9077 C Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) ...... 9092 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9077 D DIE GRÜNEN) ...... 9093 D (CDU/CSU) ...... 9079 B Petra Crone (SPD) ...... 9094 D (CDU/CSU) ...... 9096 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9081 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) ...... 9097 C Marlene Mortler (CDU/CSU) ...... 9082 A Matthäus Strebl (CDU/CSU) ...... 9098 D Frank Tempel (DIE LINKE) ...... 9082 C Nächste Sitzung...... 9099 D (SPD) ...... 9083 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 9085 A Anlage 1 Rudolf Henke (CDU/CSU) ...... 9086 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 9101 A Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9087 A Anlage 2 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) ...... 9087 C Amtliche Mitteilungen ...... 9102 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9037

(A) (C)

95. Sitzung

Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin : Verfügbarkeit und Sicherheit der Systeme. Der techni- Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die sche Fortschritt hat uns also ein Stück weit verwundbar Sitzung ist eröffnet. oder verwundbarer gemacht, auch durch die digitale Welt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Das Bundesamt für Sicherheit in der Informations- technik geht davon aus, dass allein in Deutschland mehr gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhö- als 1 Million Internetrechner Teil eines sogenannten hung der Sicherheit informationstechnischer Botnetzes ist. Das bedeutet, dass sie jederzeit für IT- Systeme (IT-Sicherheitsgesetz) Angriffe missbrauchbar sind, ohne dass das der Betrei- Drucksache 18/4096 ber bemerkt. Mehr als 250 Millionen Varianten von Überweisungsvorschlag: Schadprogrammen sollen heute schon in Umlauf sein, Innenausschuss (f) und täglich kommen über 300 000 neue Varianten hinzu. (B) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Erfolgreiche technische Dienste und zuverlässige An- (D) Ausschuss für Wirtschaft und Energie wendungen im Internet brauchen Vertrauen in die Si- Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur cherheit der IT-Systeme. Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO Wir beraten heute in erster Lesung über einen Gesetz- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für entwurf, der diesem Ziel dient und zwei wichtige Be- die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu standteile enthält. Erstens. Wir ergreifen Maßnahmen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so zum Schutz unserer kritischen Infrastrukturen. Das sind beschlossen. die Teile unserer Netze, die für unser Leben von zentra- ler Bedeutung sind, wie die Energieversorgung, die Was- Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung serversorgung, die Geldversorgung, der Verkehr, die erhält als erster Redner das Wort Dr. Thomas de Gesundheitsversorgung und viele andere Bereiche. Si- Maizière, Bundesminister des Innern. cherheit bedeutet hier, dass die Netze verfügbar sind, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) dass sie schlicht funktionieren, dass sie ohne Störungen betrieben werden können. Deshalb werden wir die Be- treiber solcher kritischen Infrastrukturen mit dem Gesetz Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- verpflichten, Mindeststandards an IT-Sicherheit einzu- nern: halten und erhebliche IT-Sicherheitsvorfälle an das Bun- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! desamt für Sicherheit in der Informationstechnik zu mel- Meine Damen und Herren! Der kluge Mann und die den. Diese Informationen werden ausgewertet und kluge Frau bauen vor. Das gilt schon seit Menschenge- anschließend anderen, ähnlichen Betreibern kritischer denken. Wir errichten Deiche, um uns bestmöglich vor Infrastrukturen zur Verfügung gestellt, damit diese sich den Gefahren eines Hochwassers zu schützen, in den wappnen oder eingetretene Schäden beseitigen können. Bergen befestigen wir Abhänge, damit sie nicht auf Stra- Sie können dann ihrerseits zielgerichtete Maßnahmen ßen rutschen, wir legen Vorräte an und legen einen Not- zum Schutz der Infrastruktur ergreifen, noch bevor sie groschen für den Ernstfall zurück. Kurz: Es liegt in der selbst zum Opfer eines entsprechenden Angriffs werden, Natur des Menschen, Vorsorge zu treffen. In der digita- oder, wenn sie es bereits geworden sind, gemeinsam mit len Welt sollte es nicht anders sein. Digitale Infrastruktu- anderen den Schaden beheben. ren und IT-Systeme sind das Rückgrat unserer modernen Gesellschaft. Durch sie entstehen in nahezu allen Le- Der zweite wichtige Baustein betrifft Maßnahmen, bensbereichen neue Potenziale, Freiräume und Syner- die auch andere in Deutschland betriebene IT-Systeme gien. Gleichzeitig wächst aber die Abhängigkeit von die- sicherer machen. Ich will drei dieser Maßnahmen nen- sen Systemen und damit auch die Bedeutung der nen: 9038 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière (A) Erstens. Wir verpflichten die Betreiber von Websei- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (C) ten, zum Beispiel von Onlineshops, ihre IT-Systeme GRÜNEN]: Das ist mal eine Taktik, ja!) durch wirksame und zeitgemäße Vorkehrungen vor dem unerlaubten Zugriff zu schützen. Damit wollen wir ver- Auch hier sollen unter anderem EU-weite Mindestanfor- hindern, dass über unzureichend geschützte Webserver derungen für Betreiber kritischer Infrastrukturen aufge- Viren, Trojaner und andere Schadprogramme verbreitet stellt werden. Auch hier sind Meldeverfahren hinsicht- werden. lich kritischer Sicherheitsvorfälle vorgesehen. Was wir in diesem Fall also machen, ist nicht, zu war- Zweitens. Wir werden Telekommunikationsunterneh- ten, dass Europa uns eine Vorgabe macht, und diese dann men verpflichten, ihre Kunden zu warnen, wenn sie be- irgendwie zögerlich und auf Druck der EU mit Fristver- merken, dass der Anschluss des Kunden für Angriffe säumung usw. umzusetzen. Diese Zeit haben wir in der missbraucht wird. Gleichzeitig sollen sie ihre Kunden schnellen Welt des Internets nicht. Was wir heute ma- auf mögliche Wege zu deren Abwehr hinweisen. Viele chen, ist, wenn Sie so wollen, eine vorweggenommene Telekommunikationsunternehmen machen das schon Umsetzung einer künftigen Richtlinie. Damit das klappt, heute, aber eben nicht alle. sind wir in engstem Kontakt mit der EU-Kommission Drittens. Wir wollen dem Bundesamt für Sicherheit in und natürlich mit dem Rat, damit das Ganze so kompati- der Informationstechnik die Erlaubnis geben, bestimmte bel ist, dass es nachher auch zusammenpasst. IT-Produkte auf ihre IT-Sicherheit zu überprüfen und die Trotzdem geht das alles nur gemeinsam – in Europa Ergebnisse bei Bedarf auch zu veröffentlichen. Das wird und in Deutschland. Der Gesetzentwurf sieht ein Wech- die Transparenz der Sicherheit von IT-Produkten erhö- selspiel zwischen Unternehmen und Behörden vor: Mel- hen und zu mehr Akzeptanz der IT-Sicherheit als eigen- den und Warnen, Standards und Sicherungsmaßnahmen ständigem Wert eines IT-Produktes führen. entwickeln. Das alles funktioniert nämlich nur, wenn (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- man zusammenarbeitet. Auch das ist ein Prinzip, das neten der SPD) hinter den hier vorgelegten Regelungen steckt. Wir wol- len auch bei der IT-Sicherheit eine neue Form der Ko- Meine Damen und Herren, was wir mit diesen Maß- operation mit der Wirtschaft; denn wir als Aufsichtsbe- nahmen machen, ist nichts anderes, als dass wir eta- hörde wollen nicht nur Vorschriften machen. blierte und bewährte Maßnahmen aus der sogenannten analogen Welt in die sogenannte digitale Welt übertra- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gen. Wir stellen in der analogen Welt Mindestanforde- der SPD) rungen für Lebensmittel und Haushaltsgeräte auf. Wir Ein letzter Gedanke. Die Sicherheit unserer IT-Sys- (B) machen das genauso bei Banken und Finanzdienstleis- teme soll auch ökonomisch dem Standort Deutschland (D) tern im Bereich des Risikomanagements. Wir verlangen und dem Standort Europa dienen. Das haben wir zum sogar von Lebensmittelbetrieben, dass sie bei Gefahren Beispiel von Standards in der Umweltpolitik gelernt. IT- für die Gesundheit die Bevölkerung gegebenenfalls öf- Sicherheit made in Germany soll nicht nur unsere Netze fentlich warnen und ihre Lebensmittel aus den Regalen sicherer, sondern auch unsere Wirtschaft erfolgreicher zurückziehen. Im Flugverkehr schreiben wir Meldungen machen. über sicherheitsrelevante Vorfälle an das Luftfahrt-Bun- desamt vor. Seit langer Zeit verpflichten wir Grund- Meine Damen und Herren, wir wollen die deutschen stückseigentümer, im Winter auf ihren Gehwegen zu IT-Systeme zu den sichersten in der Welt machen. Der streuen, um Unfälle von Personen zu vermeiden. Nichts vorgelegte Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes, den wir anderes machen wir jetzt im Bereich der IT. ab heute beraten, ist dazu ein erster und wichtiger Schritt. Viele Menschen haben den Eindruck, dass die Einhal- tung und Durchsetzung von Recht und Ordnung in der Vielen Dank. digitalen Welt unerreichbar seien. Die Digitalisierung sei (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zu dynamisch, der Cyberraum zu global, die Amerikaner seien zu stark; da könne man halt nichts machen. Ich sehe das anders. Auch wenn man im Internet in einer Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Millisekunde scheinbar jeden Ort der Welt erreichen Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Jan Korte von kann: Es gibt ein physisches Netz in Deutschland, es gibt der Fraktion Die Linke das Wort. IT-Systeme, die hier in Deutschland betrieben und ange- (Beifall bei der LINKEN) boten werden. Sie unterliegen dem deutschen Recht, und damit können wir auch Regeln für diese Systeme aufstel- len. Jan Korte (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Eine Bemerkung vorweg, weil alle bedeutenden Innen- politiker des Bundestages hier versammelt sind: Ich Gleichzeitig handeln wir auch international. In Eu- freue mich darüber, dass heute die rot-rot-grüne Landes- ropa arbeiten wir parallel zu dem Gesetzentwurf, den wir regierung in Thüringen das V-Leute-Unwesen abge- ab jetzt beraten, an dem Zustandekommen einer Richtli- schaltet hat. nie für die Netzwerk- und Informationssicherheit in der Europäischen Union, an der sogenannten NIS-Richtlinie. (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9039

Jan Korte (A) Das ist ein guter Tag für den Rechtsstaat, die Demokratie – genauso gut – beim BND sollen bis zu 30 Stellen ent- (C) und die öffentliche Sicherheit. stehen. Ausgerechnet bei den Geheimdiensten, die in Teilen eher für IT-Unsicherheit und nicht für IT-Sicher- ( [CDU/CSU]: Ein schlechter heit stehen, gibt es massive Aufwüchse. Das kann doch Tag für Thüringen, Herr Korte!) nicht wahr sein, wenn wir über so etwas reden. – Ich wollte die Freude mit Ihnen teilen. Geteilte Freude (Beifall bei der LINKEN – Clemens Binninger ist doppelte Freude. [CDU/CSU]: Mannomann!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich fand diese Argumente schon überzeugend. Aber nun zum Thema. Das IT-Sicherheitsgesetz wird auch von der Fraktion Die Linke als grundsätzlich sinn- (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Da waren voll erachtet, Sie der Einzige!) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Damit – Ganz ruhig bleiben! – Es gibt noch überzeugendere. Es können Sie Ihre Rede beenden! Das Wich- wird noch viel obskurer. Das werden Sie feststellen, tigste ist gesagt!) wenn Sie sich jetzt einmal anschauen, was demgegen- über eigentlich bei der Bundesbeauftragten für den Da- um die kritischen Infrastrukturen in den Bereichen Ener- tenschutz an Stellenaufwuchs vorgesehen ist. Das sind gie, Wasser, Verkehr und in anderen Bereichen zu schüt- gerade mal lächerliche zwei bis sieben Stellen. Das ist zen. Das wird von uns durchaus anerkannt. Allerdings zunächst einmal eine Frechheit gegenüber der Bundes- kommen jetzt die Probleme, und deswegen will ich an beauftragten für den Datenschutz, Ihrer Exkollegin Ihrer Vorlage Folgendes engagiert kritisieren: Andrea Voßhoff, und das ist in der Tat ein materielles Erstens. Wir bräuchten, bevor wir in diese Beratung Symbol dafür, dass Sie die Zeichen der Zeit schlicht einsteigen, eigentlich eine detaillierte Bestandsauf- nicht erkannt haben. So einfach ist das. nahme: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN]: So ist das!) Man muss mir wirklich einmal erklären, welche Welche digitalen Infrastrukturen sind eigentlich gegebe- Schutzfunktion für die informationelle Selbstbestim- nenfalls wann betroffen? Denn man muss es sich kaska- mung eigentlich die Geheimdienste haben – spätestens denartig vorstellen – nehmen Sie ein Energieversor- in den letzten zwei Jahren, nach Snowden. Das müsste gungsunternehmen, das angegriffen wird –: Was hat das mir einmal jemand erklären, am besten der Bundesin- (B) im Detail dann für Folgen für die untergeordneten Berei- nenminister. (D) che? Das wäre eine erste Frage, die wir angehen müssen. Wenn wir das zusammenfassen – zwei bis sieben Stel- Das Grundproblem bei Ihrer Vorlage und bei Ihrem len für den Datenschutz bei der Datenschutzbehörde ge- Denken insgesamt im Bereich von IT-Sicherheit und an- genüber Dutzenden von Stellen bei den Sicherheitsbe- derem ist aber, dass das Ganze zu sehr aus der Perspek- hörden –, dann ist das das ganze Sinnbild für Ihre tive des staatlichen Sicherheitsapparates gesehen wird; verfehlte Politik. An dem Stellenplan kann man erken- das ist der Kern auch Ihres Gesetzentwurfs. Ein Grund- nen: Die Wahrheit ist immer konkret. Deswegen ist Ihr problem bei Ihrer Vorlage ist, dass dort die Frage von Entwurf nicht sinnvoll. Datenschutz und anderem zu untergeordnet ist, liebe (Beifall bei der LINKEN) Kolleginnen und Kollegen. Nach diesen eigentlich schon bemerkenswert ein- (Beifall bei der LINKEN) leuchtenden Argumenten noch ein drittes Argument. Zweitens. Bei einem Gesetzentwurf und all dem, was (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Michael daraus folgt, ist die entscheidende Frage, die zu betrach- Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vielleicht mal ten ist, natürlich die Personalfrage. Was in diesem ein überzeugendes!) Gesetzentwurf zum Personal vorgesehen wird, ist nun wirklich der Kracher. Bei Ihrem IT-Sicherheitsgesetz Schauen wir uns das BSI an, das zu einer Zentralstelle profitieren, was den Aufwuchs an Stellen angeht, insbe- weiterentwickelt werden soll. Richtig wäre doch, hier sondere diejenigen, die seit Snowden beim Datenschutz zunächst einmal eine grundsätzliche Debatte über die und bei der IT-Sicherheit grandios versagt haben bzw. Frage zu führen: Was ist denn eigentlich die Rolle des grandios versagen wollten. Ausgerechnet die profitieren BSI, und was sind seine Aufgaben? Darüber müssten wir davon. doch hier erst einmal ganz grundsätzlich diskutieren. Ich will es konkret machen. Beim Bundesamt für Si- Einen Hinweis will ich dann doch geben: Dankens- cherheit in der Informationstechnik, BSI – ich komme werterweise hat netzpolitik.org gerade veröffentlicht, darauf später noch zu sprechen –, soll es einen Auf- dass das BSI angeblich – es wird wohl so sein – an der wuchs von 115 bis 216 Stellen geben. Beim Bundeskri- Entwicklung des Staatstrojaners beteiligt war. Das ist na- minalamt soll es einen Aufwuchs von 48 bis 78 Stellen türlich ein ganz dolles Ding und führt nicht dazu, dass es geben. Jetzt wird es selbst für Ihre Verhältnisse wirklich bei den Bürgerinnen und Bürgern auch nur ansatzweise sehr schräg: Beim Bundesamt für Verfassungsschutz soll Vertrauen in das BSI geben kann; denn – da muss man es einen Aufwuchs von 26 bis 48 Stellen geben, und historisch einen Schritt zurückgehen – das BSI ist be- 9040 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Jan Korte (A) kanntermaßen eine Ausgründung aus dem BND gewe- Gerold Reichenbach (SPD): (C) sen. Deswegen sagt die Linke: Wir brauchen hier eine Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Generalüberprüfung der Rolle des BSI, wir brauchen vor und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass die allem eine Offenlegung des Tätigkeitsberichts – der Digitalisierung und die digitale Vernetzung immer wei- sollte nicht eingestuft sein –, und wir brauchen hier eine tere Lebensbereiche durchdringen, ist inzwischen ein grundsätzliche Debatte darüber, was wir mit dem BSI ei- Allgemeinplatz geworden; aber das ist keine Banalität. gentlich anfangen wollen. Während der heutigen Debatte werden wir erleben, dass es dunkel wird. Das hat eine natürliche Ursache, nämlich (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten die Sonnenfinsternis, die im Laufe des Vormittags ein- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tritt. Es könnte aber auch andere Gründe haben. Im Rah- In diesem Zusammenhang will ich – durchaus im men einer Veranstaltung zum Thema „Vernetzung und Sinne des BSI, wie ich glaube – etwas anmerken. Das IT-Sicherheit“ erzählte neulich ein Professor, dass man BSI ist dem Bundesinnenministerium untergeordnet, sich unter Kollegen darüber unterhielt, wie man von was zu Recht immer kritisiert wird, aber natürlich eine Wien aus die Jalousien beim Deutschen Bundestag he- bestimmte Linie in der inneren Sicherheit hat. Insofern rauf- und herunterfährt. Das hört sich zunächst sehr lus- wäre es doch, glaube ich, im Zuge der Beratung über das tig an, Herr Korte, IT-Sicherheitsgesetz eine hervorragende Idee, darüber (Jan Korte [DIE LINKE]: Ich habe nicht ge- nachzudenken, wie wir zunächst einmal die Unabhän- lacht!) gigkeit des BSI herstellen können. Wir haben das gerade erst vor kurzem bei der Bundesbeauftragten für den Da- aber das ist eine neue Qualität, mit der wir es zu tun ha- tenschutz gelöst, indem wir das BfDI zu einer obersten ben: dass unsere Systeme nämlich vom Ausland aus an- Bundesbehörde gemacht haben. Es wäre doch wirklich greifbar sind, weil immer mehr unserer Lebenssysteme ein Fortschritt, das BSI dem Zugriff des Innenministe- von Rechneranlagen digital gesteuert werden und inter- riums zu entziehen, was grundsätzlich sinnvoll ist, und national vernetzt sind. Das erklärt dann vielleicht auch es zu einer obersten Bundesbehörde zu machen, um eine für Sie, warum wir auch die präventive Seite gegenüber wirkliche Unabhängigkeit herzustellen. Das wäre etwas, solchen Angriffen stärken müssen. Damit haben Sie die was wirklich sinnvoll wäre. Erklärung, warum wir auch die Dienste in diesem Be- reich und hinsichtlich dieser Fähigkeiten stärken müs- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Ich fasse zusammen: Ein IT-Sicherheitsgesetz ist eine CDU/CSU) (B) (D) grundsätzlich gute Idee; das ist anzuerkennen. Die Aus- Unsere Kraftwerksbetreiber bereiten sich seit Mona- führung, so wie Sie sie angehen, ist leider mangelhaft. ten darauf vor, einen Blackout zu verhindern, der auf- Wenn Sie allerdings jetzt im Zuge der Beratung auf die grund der Stromschwankungen, induziert durch die Son- Hinweise der Opposition hören würden und könnten, nenfinsternis, bei den Solaranlagen auftreten könnte. dann könnte es ein fortschrittliches IT-Sicherheitsgesetz Aber was wäre, wenn solche Schwankungen nicht durch geben, und wir hätten im Bereich der Innenpolitik ein- ein vorhersehbares Ereignis, sondern durch eine Cyber- mal etwas Richtiges im Falschen erreicht. attacke ausgelöst würden? Ein Blackout wäre vermutlich (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) nicht mehr zu vermeiden, und es drohten für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland drastische Folgen, wie Solange aber die Bundesregierung bei der staatlichen wir sie gemeinsam im Grünbuch über die „Risiken und Ausspähung und Kompromittierung von IT-Systemen Herausforderungen für die Öffentliche Sicherheit in mitmacht oder sie zumindest hinnimmt, ohne etwas da- Deutschland“ beschrieben haben und wie es auch in der gegen zu tun, so lange befindet sie sich auf der Seite der TAB-Studie im Auftrag des Deutschen Bundestages dar- Gefährder von IT-Sicherheit. Wenn Ihnen IT-Sicherheit gelegt wurde. also so doll am Herzen liegt, wie Sie es gerade engagiert Wir sind zunehmend von Datenverarbeitung und vorgetragen haben, dann fordere ich Sie auf, die Seiten funktionierenden, sicheren Infrastrukturen und Kommu- zu wechseln und unsere Vorschläge aufzunehmen. Dann nikationsinfrastrukturen abhängig. Ob Lebensmittelver- würden wir ein ganzes Stück weiterkommen. sorgung, Wasser-, Strom- und Energieversorgung, Logis- Vielen Dank. tik und Entsorgung, Gesundheitswesen oder öffentliche Sicherheit, aber auch Behörden und Verwaltung: Alle (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten sind sie heute von funktionierenden IT-Strukturen und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Kommunikationssystemen abhängig. Und diese sind in Bezug auf kriminelle oder staatliche Angriffe von außen in hohem Maße gefährdet. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Gerold Gleiches gilt übrigens für die Unternehmen und selbst Reichenbach von der SPD-Fraktion. für private Haushalte. Wir bewegen uns auch privat im- mer mehr in einer digital vernetzten Welt. Zukünftig (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten werden immer mehr Funktionen davon abhängig sein: der CDU/CSU) unser Auto, unsere Heizung, unsere Geld- und Warenge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. 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Gerold Reichenbach (A) schäfte, nicht zuletzt unsere Brandsicherheit, wenn Toas- reiche Spediteure verfügen am und um den Flughafen (C) ter und Herd über IT-Kommunikation gesteuert werden. über eigene Pharmabereiche. Ein Ausfall dieser kriti- schen Infrastruktur hätte kaum absehbare Folgen, nicht Darum müssen wir uns verstärkt der IT-Sicherheit nur für den Güter- und Personenverkehr, sondern auch widmen, und dazu gehören mehr Kapazitäten zur Be- für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in der kämpfung von Cyberkriminalität, ein besserer Schutz Bundesrepublik Deutschland. kritischer Infrastrukturen, einschließlich – das sage ich ausdrücklich – staatlicher Einrichtungen, Die Logistikketten sind nämlich über ITK-Systeme (Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) und intelligente Steuerung längst eng miteinander ver- knüpft. Auch wenn die Spediteure, die die Produkte zu und mehr Investitionen in IT-Sicherheit sowohl im pri- den Flug- und Seehäfen bringen, nach wie vor überwie- vaten als auch im öffentlichen Bereich. gend kleine und mittlere Unternehmen sind und damit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten selbst wohl keine kritische Infrastruktur sind: Die dahin- der CDU/CSU) ter stehenden vernetzten ITK-Systeme sind es sehr wohl. Wenn die IT-Steuerung der Seehäfen durch eine Cyber- Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht zuletzt des- attacke lahmgelegt würde, dann litte Deutschland ganz halb hat die Koalition vereinbart – ich zitiere mit Erlaub- schnell im wahrsten Sinne des Wortes unter Speiseröh- nis der Präsidentin –, „ein IT-Sicherheitsgesetz mit ver- renverengung und Darmverschluss. Darum ist der Ge- bindlichen Mindestanforderungen an die IT-Sicherheit setzentwurf gerade in Bezug auf die kritischen Infra- für die kritischen Infrastrukturen und der Verpflichtung strukturen bewusst so gestaltet, dass er mit der rasanten zur Meldung erheblicher IT-Sicherheitsvorfälle“ zu schaf- technischen Entwicklung Schritt halten kann. fen. Wir haben geliefert. Ein entsprechender Gesetzent- wurf liegt nun vor. Im Gesetzesvorschlag werden die kritischen Infra- strukturen in ihrer Sektorenzugehörigkeit und Funktio- Wir wollen mit dem Gesetz für mehr Schutz der Bür- nalität für die öffentliche Sicherheit und die Versorgung gerinnen und Bürger im Netz sorgen. Deswegen werden sowie die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens defi- wir die Ermittlungszuständigkeiten und Ermittlungsfä- niert. Herr Korte, ich kenne kein Gesetz – von der Se- higkeiten des Bundeskriminalamtes im Bereich Cyber- veso-Richtlinie bis zu anderen Gesetzen –, bei dem der crime stärken und ausbauen; denn Gelegenheit macht Gesetzgeber vorher bis zum kleinsten Unternehmen ge- Diebe. wusst hätte, wer letztendlich davon betroffen sein würde. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (B) Deswegen werden wir das BSI stärken und ausbauen GRÜNEN]: Aber so ein bisschen würde es (D) und ihm die Möglichkeit bieten, Marktprodukte zu ana- helfen! – Jan Korte [DIE LINKE]: Eine Ah- lysieren und auf ihre Sicherheit zu überprüfen. Diese nung könnte man ja haben!) verstärkten Befugnisse binden wir ausdrücklich und klar an den Zweck, den Bürgerinnen und Bürgern sowie Un- – Die haben wir ja. Ich habe es gerade eben beschrieben. ternehmen und Behörden Hilfestellungen sowie Hin- weise für ihre IT-Sicherheit zu geben. Wir tun das nicht, Die Definition dessen, was nach dem gegenwärtigen wie Sie gerade unterstellt haben, um Lücken auszufor- Entwicklungsstand – das ist die entscheidende Frage; schen und diese zu nutzen. wir als Gesetzgeber haben uns nicht nur nach dem ge- genwärtigen Entwicklungsstand zu richten – im Einzel- Wir wollen mit dem Gesetz den Schutz der Informa- nen unter kritischer Infrastruktur zu verstehen ist, wollen tionstechnik des Bundes weiter vorantreiben und für das wir bewusst dem Instrument der Rechtsverordnung über- Funktionieren einer zunehmend digitalisierten öffentli- lassen, um die nötige Flexibilität zu haben, auf die chen Verwaltung Sicherheitsstandards setzen. schnellen technologischen Entwicklungen reagieren zu Damit einhergehend – last, but not least – wollen wir können. Dazu werden wir einen Identifikationsprozess die IT-Sicherheit bei Unternehmen und vor allem bei kri- aufsetzen, in den wir die Betreiber und Branchen mit tischen Infrastrukturen stärken. Kritische Infrastrukturen einbeziehen werden. sind im Wandel. Im 19. Jahrhundert waren Postkut- Ein wesentliches Element des Gesetzes sind die Mel- schenstationen kritische Infrastrukturen. Heute sind es depflichten. Meldungen können anonym erfolgen, wenn Flughäfen, die man damals nicht kannte und vermutlich es um ein Lagebild über die Cybersicherheitslage geht. nicht einmal erahnte. Während sich dieser Wandel in der Bei bestimmten Vorfällen machen anonyme Meldungen Vergangenheit in längeren Zeiträumen vollzog, sind es allerdings keinen Sinn mehr. Man stelle sich vor, beim heute nur noch wenige Jahre. Gleichzeitig schreitet die Kraftfahrzeugbundesamt ginge die anonyme Meldung Vernetzung rasant voran. ein, dass es Fahrzeuge mit nicht funktionierenden Brem- Bleiben wir beim Beispiel der Verkehrs- und Logis- sen gebe, aber es würde nicht gesagt, welche Fahrzeuge tikbranche. Der Flughafen Frankfurt ist mit einem Car- und welche Hersteller es sind. Genauso wie im Automo- goaufkommen von 2,2 Millionen Tonnen der führende bilverkehr und bei der Sicherheit im Straßenverkehr Cargoflughafen in Europa. In Frankfurt werden fast können von der Funktionsfähigkeit kritischer Infrastruk- 50 Prozent des gesamten Luftfrachtvolumens abgewi- turen Menschenleben abhängen. Diese sind höherrangig ckelt. Frankfurt verfügt aber auch über hochspeziali- zu bewerten als die Interessen der Wirtschaft. Darum sierte Einrichtungen für das Handling von Pharma. Zahl- dürfen Meldungen nicht mehr anonym erfolgen, wenn es 9042 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Gerold Reichenbach (A) zu Ausfällen oder Beeinträchtigungen der Funktionsfä- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE (C) higkeit kritischer Infrastruktur kommt. GRÜNEN): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das zentrale Thema der CeBIT in diesem Jahr ist die massive Gefähr- Ich finde, wir sollten den jetzt aufgesetzten Mechanis- dung unserer digitalen Infrastruktur durch Massenaus- mus auch auf seine Wirksamkeit hin überprüfen und für spähung und IT-Angriffe. Ohne Edward Snowden hätten das Gesetz eine Evaluierung nach einem angemessenen wir heute nicht ansatzweise den Überblick über die tat- Zeitraum vorsehen. sächliche Bedrohungslage. IT-Sicherheit und Schutz von kritischen Infrastruktu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren ist nicht nur eine Frage der Sicherheit der Bürger und bei der LINKEN – Widerspruch bei Abge- heute, sie wird immer mehr zur entscheidenden Frage ordneten der CDU/CSU) für die Wachstumsmöglichkeiten und die Chancen der Digitalisierung selbst. Denn die Menschen würden es IT-Sicherheit war immer wichtig. Aber spätestens seit Stuxnet, Regin, dem Heartbleed Bug und dem über- nicht akzeptieren, in immer mehr wichtigen Lebensbe- wachten Handy der Kanzlerin ist völlig klar: Im Bereich reichen von unsicheren IT-Infrastrukturen abhängig zu der IT-Sicherheit brennt in Deutschland die Hütte lich- sein. Als Staat und Gesellschaft können wir es nicht ein- terloh. Ein zentrales Risikoszenario für Betriebs- und fach hinnehmen, für Angriffe und Bedrohungen von au- Geschäftsgeheimnisse, für Kommunikation und Privat- ßen immer anfälliger zu werden. Vertrauen und Sicher- heit ist nicht nur die organisierte Kriminalität, es sind heit werden die entscheidenden Faktoren für die weitere auch die sich verselbstständigenden Geheimdienste und digitale Entwicklung unserer Wirtschaft und Gesell- ihnen gefällig zuarbeitende Unternehmen. schaft sein. Natürlich ist zuvörderst die Wirtschaft in der Pflicht, in die Sicherheit von IT-Strukturen zu investie- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren. Dort aber, wo die Schadenswirkung über das eigene sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Unternehmen oder die eigene Branche hinausgeht, wo Das ist die Ausgangslage auch nach zehn Jahren Bun- Sicherheitslücken auch Dritte in erheblichem Umfang desinnenministerium unter CDU/CSU-Führung, meine schädigen oder gefährden können, ist der Gesetzgeber in Damen und Herren. der Pflicht, die notwendigen Sicherheitsrahmenbedin- gungen vorzugeben. Jeder weiß: Wir brauchen einen verbesserten Grund- rechtsschutz der Menschen und eine Erhöhung der IT-Si- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der cherheit für Unternehmen und Behörden. Das sind zwei (B) CDU/CSU) Themen, die man heute nicht mehr trennen kann. Und (D) sosehr Ihr Ministerium, Herr de Maizière, in den letzten So haben wir es übrigens – der Minister hat es erwähnt – Jahren für die grundrechtsfeindliche Vorratsdatenspei- in der alten industriellen Welt völlig selbstverständlich cherung gekämpft hat, so wenig Substanzielles haben immer wieder getan und tun es auch heute noch. Dies Sie im letzten Jahrzehnt für den Bereich der IT-Sicher- gilt es auch für die digitale und vernetzte Welt zu gestal- heit vorzuweisen. ten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN IT-Sicherheit und Vertrauen in kritische Infrastruktu- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ren werden zu immer wesentlicheren Standortfaktoren. Zur CeBIT 2015 legen Sie jetzt Ihren übereilten, un- Ich habe viele Gespräche mit Betreibern kritischer Infra- reifen Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes vor, der völ- strukturen geführt, mit Vertretern der Wirtschaft und lig zu Recht von allen Seiten kritisiert wird. Weder bringt auch mit Vertretern von ausländischen Unternehmen, die er mehr IT-Sicherheit für Deutschland, noch schafft er dies bestätigten. Gerade auch Vertreter aus dem Ausland das notwendige Vertrauen in die Nutzung der Kommuni- sahen – aus ihrer Sicht manchmal etwas neidisch – die kationsinfrastruktur unserer Zeit, das Internet. Wer IT- Chance, dass dieses weltweit eines der ersten IT-Sicher- Strukturen schützen will, braucht zunächst eine differen- heitsgesetze zu einem echten Standortvorteil für die zierte Einschätzung der Gefährdungslage; Kollege Korte Bundesrepublik Deutschland werden kann. hat es angesprochen. Diese haben Sie bis heute nicht vorgenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz wird die Koalition nicht nur für mehr Sicherheit unserer (Gerold Reichenbach [SPD]: Das stimmt doch Bürgerinnen und Bürger sorgen. Mit diesem Gesetz wird gar nicht!) der Standort Deutschland fit für die digitale Zukunft. Es ist deshalb vielleicht konsequent, aber eben inhalt- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. lich falsch, hier lediglich mit weitgehend unbestimmten Verfahrensregelungen um die Ecke zu kommen. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Sie denken IT-Sicherheit eben nicht ganzheitlich, son- Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Konstantin dern stellen hier nur auf den Bereich kritischer Infra- von Notz das Wort. strukturen ab. Selbst bei diesen Regelungen springen Sie Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9043

Dr. Konstantin von Notz (A) zu kurz: Vor der eigenen behördlichen Haustüre wird (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) nicht gekehrt, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Netzwirtschaft und IT-Kommunikation brauchen vor allem Vertrauen in die Sicherheit der Infrastruktur. Diese nur Unternehmen müssen nach Ihrem Gesetzentwurf Erkenntnis ist richtig. Doch statt endlich dafür zu sorgen, Meldungen machen, Behörden aber nicht. Wie soll denn geht seit Jahren in Ihrer Verantwortung Vertrauen weiter auf diese Weise das gewünschte Gesamtlagebild der verloren. Das liegt auch daran, dass Sie hier im Entwurf IT-Angriffe entstehen und analysiert werden? Das ist das dem Innenministerium unterworfene BSI ins Zen- schlicht unschlüssig, meine Damen und Herren! trum des Meldesystems stellen; dies hat der Kollege (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Korte ja angesprochen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informations- Es gibt weitere massive Unklarheiten und Widersprü- technik ist eben nicht unabhängig, sondern abhängig von che: einem Innenministerium, das die Vorratsdatenspeiche- rung fordert, den Ankauf von Sicherheitslücken billigt, Niemand weiß derzeit, welche Unternehmen wegen eine zumindest unklare Haltung zum Thema Verschlüs- kritischer Infrastruktur meldepflichtig werden und wel- selung hat und ihm, also dem BSI, aufgibt, Bundestroja- che eben nicht. Sie wollen das später festlegen. Zu Recht nersoftware zu basteln. Das kann so nicht weitergehen. will die Wirtschaft aber jetzt wissen, was auf sie zu- Das BSI muss endlich in zentralen Aufgabenbereichen kommt. unabhängig werden. Niemand weiß, was mit den beim BSI anlandenden (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Daten geschehen soll, also was das BSI mit den Daten sowie bei Abgeordneten der LINKEN) anfängt und wem es diese Daten eventuell übermittelt. Und diese Bundesregierung muss sich endlich effekti- Schon alleine die Rechtssicherheit der Unternehmen er- ven inhaltlichen Maßnahmen für mehr IT-Sicherheit zu- fordert hier eine klare gesetzliche Regelung, meine Da- wenden. Die Vorschläge dafür liegen längst auf dem men und Herren. Tisch, und namhafte deutsche Staatsrechtler haben Ihnen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzge- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – bers zum umfassenden Schutz unserer digitalen Infra- Gerold Reichenbach [SPD]: Mit der Begrün- strukturen in einer denkwürdigen Anhörung im Aus- dung können Sie jedes Umweltgesetz weg- schuss ins Stammbuch geschrieben: Wir brauchen eine (B) schießen!) Abkehr von der globalen Massenüberwachung und von (D) weltweiten IT-Eingriffen durch Geheimdienste, auch Und auch die Gelegenheit zur Harmonisierung, Herr durch deutsche. Reichenbach, mit der auf EU-Ebene parallel in Verhand- lung befindlichen Richtlinie genau zu diesem Thema Sie wollten doch Deutschland zum Verschlüsselungs- warten Sie nicht ab, sondern Sie schaffen einen nicht land Nummer eins machen. Ja, dann sorgen Sie dafür, abgestimmten deutschen Sonderweg. Der Minister lobt dass durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen sich hier auch noch für dieses Vorgehen. Das ist aber an- endlich Standard werden! gesichts der Internationalität des Internets und der grenz- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN überschreitenden Vernetzung von IT-Systemen ein schlicht sowie bei Abgeordneten der LINKEN) abwegiger Ansatz, meine Damen und Herren! Fördern Sie konsequent Open-Source-Technologien, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sorgen Sie dafür, dass zentrale Softwarekomponen- sowie bei Abgeordneten der LINKEN – ten eine grundlegende Prüfung der Quellcodes durchlau- Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er hat fen, Herr de Maizière! Statt Blackboxsystemen brauchen doch gesagt, es wird europaweit abgestimmt! wir inhaltlich geprüfte Sicherheit wenigstens in den zen- Sie haben nicht zugehört!) tralen Komponenten der Webinfrastruktur. Schließlich schaffen Sie mit Ihrem rein reaktiven Ge- Und: Der Staat darf eben nicht, wie von Ihnen ge- setz überhaupt keine wirksamen proaktiven Anreize, um plant, zum Hehler von Sicherheitslücken werden. die Wirtschaft mitzunehmen. Weder gibt es positive An- reize, wie beispielsweise Privilegierungen für diejeni- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen, die aufgrund praktischer IT-Schutzmaßnahmen tat- sächlich etwas vorzeigen können, noch wagen Sie es, Dieser Markt gehört international geächtet und nicht den umgekehrten Weg zu gehen und beispielsweise durch Staatsknete gefördert. durch steuernde Maßnahmen wie Haftungsregelungen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehr Sicherheit zu fördern. Der Entwurf zeigt hier leider sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ein halbgares Weder-noch, und er wird sein Ziel verfeh- len. Das ist für das Jahr 2015, für ein Land wie die Bun- Schließlich: Hören Sie endlich auf, die EU-Daten- desrepublik Deutschland und für einen sensiblen Bereich schutzrechtsreform weiter zu behindern und zu verwäs- wie den der kritischen Infrastrukturen einfach skandalös sern! Sie ist ein elementarer Baustein für die IT-Sicher- wenig, meine Damen und Herren! heit. 9044 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Dr. Konstantin von Notz (A) Sie haben aus Ihrem Gesetzentwurf die Regelung zur und dass es nicht aufgrund dieser Entscheidung und (C) „Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür“ nach möglicher Folgeentscheidungen, die jetzt die anderen massiver Kritik wieder herausgenommen. Aber wer bür- Bundesländer im Verfassungsverbund vornehmen, zu ei- gerrechtliche Einsicht dieser Großen Koalition erwartet ner Verschlechterung der Sicherheitslage und einer hö- hat, wird wieder einmal enttäuscht; denn Sie von Union heren Gefährdung der Bürgerinnen und Bürger in Thü- und SPD haben gemeinsam und unbelehrbar die Vorrats- ringen kommt. datenspeicherung durch die Vordertür des Bundestages nun wieder hereingetragen. hat sich in (Jan Korte [DIE LINKE]: Das war ja maßgeb- den letzten Tagen nicht nur als irrlichtender Vizekanzler lich Ihr Verfassungsschutz in Thüringen! Also gegen Bürgerrechte einen Namen gemacht – eine Topbehörde! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Aber die gefährdeten doch die Bür- gerinnen und Bürger in Thüringen! – Wider- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: spruch bei der CDU/CSU) Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Ich halte die Entscheidung, die heute vorgenommen Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE wird, für hochbedenklich, GRÜNEN): (Beifall bei der CDU/CSU) – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin –, er hat nicht nur die Glaubwürdigkeit seines eigenen Minister- und es bleibt abzuwarten, wie die anderen Landesverfas- kollegen beschädigt, er hat als Wirtschaftsminister of- sungsschutzämter darauf reagieren. fenbar auch nicht verstanden, welchen fundamentalen Nun komme ich zum Thema des heutigen Vormittags; Stellenwert Vertrauen in die digitale Welt heute hat – das hat durchaus auch etwas mit dem Thema Sicherheit Vertrauen, das Ihr ungenügender Gesetzentwurf leider zu tun. Es geht bei dem Schutz kritischer Infrastrukturen nicht wiederherzustellen vermag. Das ist ungenügend. und unserer IT-Kommunikation natürlich darum, dass Ganz herzlichen Dank. wir einen kooperativen Ansatz wählen, genauso wie im Verfassungsschutzverbund. Man meint vielleicht, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir über Sicherheit unserer Informationstechnik spre- und bei der LINKEN) chen, auf den ersten Blick, rein technisch betrachtet, dass es nur um den Schutz elektronisch gespeicherter In- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: formationen sowie um deren Systeme geht. Es geht aber, Als nächster Redner hat der Kollege Stephan Mayer meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen – das von der CDU/CSU das Wort. haben auch die Diskussionen über Überwachungs- und (B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Spionagemaßnahmen anderer Staaten oder anderer Un- (D) Christina Kampmann [SPD]) ternehmen eindrucksvoll gezeigt –, auch um die Grund- werte unseres Staates. Es geht um wichtige Grundrechte unserer Bürgerinnen und Bürger und auch der Wirt- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): schaft. Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Erlauben Sie mir, bevor Was oft mit den Schlagworten „Schutz der Vertrau- ich auf das IT-Sicherheitsgesetz eingehe, eine kurze Ant- lichkeit“, „Integrität“ und „Verfügbarkeit“ unserer IT- wort an den Kollegen Korte, Systeme umschrieben wird, meint im Grunde auch den Schutz der Privatheit und von all dem, was die Men- (Jan Korte [DIE LINKE]: Na endlich!) schen dem Netz anvertrauen. Es geht um unsere vertrau- der ja eben darauf hingewiesen hat, heute wäre ein guter liche Kommunikation, um unsere Einkäufe im Netz, um Tag für Deutschland, Gesundheitsdaten, um unsere Urlaubserinnerungen und um vieles mehr. (Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, genau!) Für Unternehmen geht es um ihre Funktionsfähigkeit weil die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen die und den Schutz ihres Know-hows, ihres geistigen Ei- V-Leute abgeschaltet habe. gentums. Es geht um die Möglichkeit, neue Geschäfts- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- modelle entwickeln zu können, ohne einer Ausspähung ruf von der CDU/CSU: Eine Schande, Herr ausgesetzt zu sein oder Opfer einer kriminellen Machen- Korte!) schaft zu werden. Heute ist ein schlechter Tag für Thüringen, um es klar zu Für unsere Gesellschaft, meine sehr verehrten Kolle- sagen. ginnen und Kollegen, geht es insgesamt darum, dass IT-Sicherheit mittlerweile das Gerüst ist, ohne das das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) öffentliche Leben und unsere Wirtschaft und letztendlich Und ich sage Ihnen auch, warum, und das ohne jeglichen wohl auch unser Gemeinwesen insgesamt nur schwer- Zynismus und ohne Sarkasmus. Ich hoffe wirklich, dass lich existieren könnten. diese heutige prekäre Entscheidung, die die Landesre- Wie sehr die Sicherheit unserer IT-Systeme tagtäglich gierung vorgenommen hat, sich im Nachhinein nicht ne- bedroht wird, belegen eindrucksvoll die Zahlen aus dem gativ auf die Sicherheitslage in Thüringen auswirkt letzten Lagebericht des Bundesamtes für Sicherheit in (Jan Korte [DIE LINKE]: Umgekehrt!) der Informationstechnik aus dem Jahr 2014 – der Innen- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9045

Stephan Mayer (Altötting) (A) minister hat schon darauf hingewiesen –: Es gibt derzeit (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (C) weltweit über 250 Millionen verschiedene Varianten von GRÜNEN]: Bitte!) Schadprogrammen, tagtäglich kommen etwa 300 000 neue hinzu. Das BSI geht davon aus, dass allein in weil Sie insinuiert haben, dass das Bundesinnenministe- Deutschland bereits heute mehr als 1 Million Internet- rium eine unklare Haltung zur Verschlüsselungstechnik rechner Teil eines Botnetzes sind, das heißt, ohne das habe: Wissen des Besitzers des Internetrechners Teil eines kri- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE minellen Netzwerkes sind, GRÜNEN]: Ja! – Jan Korte [DIE LINKE]: Ja!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Seit zehn Jahren regieren Sie!) Der Bundesinnenminister und auch die CDU/CSU-Bun- destagsfraktion haben eine eindeutige und klare Haltung und von der Tendenz her nimmt das bedauerlicherweise zur Verschlüsselungstechnik. stark zu. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie es noch einmal!) GRÜNEN]: Ja!) Wir machen uns, mit Verlaub, auch nicht zu Hehlern von Das Bundesamt für Sicherheit in der Informations- Sicherheitslücken. technik hat festgestellt, dass im Vergleich von 2013 zu (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE 2014 die Zahl der Spam-E-Mails um 80 Prozent zuge- GRÜNEN]: Natürlich! Der BND will die an- nommen hat, kaufen!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Das ist eine infame Unterstellung, die Sie hier vorge- GRÜNEN]: Ja, während Sie an Staatstrojanern nommen haben, die so einfach nicht zutrifft. Dem arbeiten!) möchte ich in aller Deutlichkeit entgegnen. dass die Zahl der E-Mails, die Schadsoftware aufweisen, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- innerhalb nur eines Jahres um 36 Prozent zugenommen neten der SPD) hat. Wir alle kennen Stuxnet, aber auch viele weitere spektakuläre IT-Sicherheitsvorfälle aus den letzten Jah- Eine Sicherheitslücke in der IT ist natürlich umso gra- ren, die diese Gefährdungssituation weltweit, aber auch vierender für das Allgemeinwohl, je stärker sogenannte in Deutschland, belegen. Das BSI hat im Frühjahr letzten kritische Infrastrukturen betroffen sind. (B) Jahres zwei Sicherheitsvorfälle offenkundig gemacht, (D) bei denen insgesamt etwa 34 Millionen digitale Identitä- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: ten, E-Mail-Konten oder Passwörter, gestohlen wurden. Herr Kollege Mayer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Notz zu? Dennoch glaube ich – und das ist das Bemerkens- werte –, dass immer noch viele Firmen, aber auch pri- vate Nutzer den Ernst der Lage häufig deutlich unter- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): schätzen. So müssen wir immer noch feststellen, dass in Selbstverständlich. Sehr gerne. der Praxis häufig nur geringe Schutzmaßnahmen getrof- (Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der Stehler fen werden. Einfache, aber notwendige Schutzmaßnah- ist kein Hehler!) men unterbleiben, sei es aus Kostengründen, sei es schlicht aus Bequemlichkeit oder auch aus Ahnungslo- sigkeit. Aus diesem Grunde können wir auf staatliche Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE Mindestvorgaben in bestimmten Bereichen letztlich GRÜNEN): nicht verzichten. Ja, der Stehler ist kein Hehler. – Tut mir leid, dass ich Sie jetzt direkt unterbreche, und danke, dass Sie die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Frage zugelassen haben. Ich will kurz auf die Vorwürfe neten der SPD) antworten. Das alles zeigt, meine sehr verehrten Kolleginnen und Sagen Sie, Herr Mayer, für das Innenministerium Kollegen, die große Bedeutung, die die IT-Sicherheit – vielleicht kann der Minister kurz nicken –, dass der mittlerweile für uns und unser gesamtes Leben hat, aber BND von seinen Plänen, in Zukunft Sicherheitslücken auch den großen Handlungsbedarf, vor dem wir stehen. anzukaufen, Abstand nimmt? Wenn das nicht der Fall ist, wie würden Sie das denn nennen, wenn jemand ille- Mit dem nun vorliegenden Entwurf eines IT-Sicher- gale Sicherheitslücken ankauft, und zwar nicht, um sie heitsgesetzes bringen wir eines der ersten größeren Vor- zu schließen, sondern um sie zu nutzen? Also entweder haben der Digitalen Agenda in dieser Legislaturperiode distanzieren Sie sich davon, oder Sie können diesen Vor- auf den Weg. Mit diesem IT-Sicherheitsgesetz wird die wurf leider nicht entkräften, Herr Mayer. Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung aus dem Jahr 2011 konsequent fortgesetzt und erweitert. (Gerold Reichenbach [SPD]: Konstantin von Notz, das ist Grundkurswissen: Für den BND Herr Kollege von Notz, ich möchte Ihnen klar erwi- ist das Kanzleramt zuständig, nicht der Innen- dern, minister!) 9046 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

(A) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): muss diese Meldung mit Klarnamen vollzogen werden. (C) Sehr geehrter Herr Kollege von Notz, ich distanziere Bis diese Erheblichkeitsschwelle erreicht wird, ist die mich von der Behauptung, die Sie vorgenommen haben, Meldung auch anonym möglich. Ich glaube, dass dies weil sie einfach nicht zutrifft. Es stimmt nicht, dass das ein erheblicher Fortschritt ist, um auszuschließen, dass Bundesinnenministerium Sicherheitslücken ankauft. es zu der von der Wirtschaft befürchteten Prangerwir- kung kommt. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, es toleriert!) Mir ist auch sehr wichtig, dass wir mit diesem IT-Si- cherheitsgesetz einen kooperativen Ansatz verfolgen. Es stimmt auch nicht, dass der Bundesinnenminister hier Die Befürchtungen und die Zweifel, die teilweise in der irgendwelchen Sicherheitslücken oder Backdoors das IT-Wirtschaft vorhanden sind, dass es letzten Endes eine Wort geredet hat. Einbahnstraße ist, dass also nur die Betreiber kritischer (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Infrastrukturen an die neue zentrale Meldestelle des BSI GRÜNEN]: Das habe ich nicht gesagt!) melden und es keine Rückkopplung gibt, werden da- durch ausgehebelt und ausgeräumt, dass es sehr wohl der Es gibt eine klare Position des Bundesinnenministers, Ansatz dieses Gesetzes ist, dass die Betreiber kritischer und diese wird zu 100 Prozent von der CDU/CSU-Bun- Infrastrukturen natürlich gleichermaßen durch das BSI destagsfraktion geteilt. informiert werden und möglicherweise im Vorfeld, noch (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Von vor dem Eintritt von Schadensereignissen, vor dem Ein- der SPD auch!) tritt von Cyberangriffen, entsprechend alarmiert werden und sich so besser vorbereiten und rüsten können. Die Vertraulichkeit und die Integrität der Kommuni- kation sind für uns außerordentlich wichtige Grund- (Beifall der Abg. Nadine Schön [St. Wendel] werte. Gerade die von Ihnen genannte Verschlüsselungs- [CDU/CSU]) technik wird derzeit von der Bundesregierung und auch vom BSI finanziell unterstützt und vorangetrieben. Dieser kooperative Ansatz, der mit diesem Gesetzent- wurf verfolgt wird, ist aus meiner Sicht ein erheblicher (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Fortschritt. GRÜNEN]: Aber nicht ins Gesetz geschrie- ben!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD) Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist für uns ein ganz wichtiges und essenzielles Sicherungsinstrument. Wir werden parallel zu dem Schutz kritischer Infra- (B) strukturen die Kompetenzen des BSI ausbauen. Die (D) (Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Warnbefugnisse des BSI werden gestärkt. Ferner wird Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) die Möglichkeit geschaffen, dass die Öffentlichkeit ge- Dabei bleibt es auch. Die Behauptung wird auch nicht nauso wie auch die deutsche Wirtschaft stärker beraten wahrer, wenn Sie sie häufiger wiederholen. wird. Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Sicher- Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir heitslücke in der IT ist natürlich umso gravierender, je gehen jetzt in das parlamentarische Verfahren. Wir wer- stärker die kritischen Infrastrukturen betroffen sind. Wir den am 20. April eine Anhörung zu diesem Thema alle kennen Horrorszenarien und auch entsprechende durchführen. Ich sage hier für die Unionsfraktion ganz Science-Fiction-Filme; aber die Gefahr ist real. Die Ge- klar: Wir sind offen für Hinweise, für Verbesserungsvor- fahr, dass es auch in Deutschland zu einer massiven Be- schläge von allen Seiten. Ich habe schon den Eindruck einträchtigung der öffentlichen Ordnung kommt, droht – auch nach den ersten Rückmeldungen aus der Wirt- durchaus, beispielsweise wenn sich ein länger andauern- schaft –: Der Grundansatz dieses Gesetzes wird vollum- der Stromausfall ereignet, wenn die Lebensmittelversor- fänglich geteilt. Im Detail kann man mit Sicherheit noch gung ausfällt, wenn die Wasserversorgung ausfällt oder über das eine oder andere sprechen. wenn es zeitweise zum Zusammenbruch des Telekom- Ich bin auch der festen Überzeugung, dass es uns mit munikationsnetzes kommt. diesem IT-Sicherheitsgesetz gelingt – Das IT-Sicherheitsgesetz, das wir heute in der ersten Lesung debattieren, regelt daher konsequenterweise die Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Bereiche, in denen wir uns als moderne Gesellschaft Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Ausfälle der IT weder leisten können noch wollen. Bei unseren kritischen Infrastrukturen muss daher künftig ein Mindeststandard an IT-Sicherheit vorgehalten wer- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): den. Die Betreiber der kritischen Infrastrukturen werden – ich komme sehr gerne zum Ende –, Schrittmacher gehalten, erhebliche IT-Sicherheitsvorfälle zu melden. innerhalb der Europäischen Union zu sein und die Ver- Ich empfinde es schon als erheblichen Fortschritt, dass handlungen bezüglich der NIS-Richtlinie auf europäi- es in Zukunft möglich sein wird, diese Meldungen bis zu scher Ebene voranzutreiben. Das IT-Sicherheitsgesetz einer gewissen Erheblichkeitsschwelle anonym zu ma- – davon bin ich fest überzeugt – wird für die kommende chen. Also erst wenn eine erhebliche Beeinträchtigung NIS-Richtlinie Vorbild sein. Insoweit ist das kein rein oder wenn ein Ausfall der kritischen Infrastruktur droht, nationaler Ansatz, – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9047

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: BSI-Gesetz regelt in § 3 Nummer 13 b Folgendes: Es be- (C) Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal bitten, zum steht eine Unterstützungspflicht des BSI Schluss zu kommen! … bei der Auswertung und Bewertung von Infor- mationen, die … im Rahmen der gesetzlichen Be- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): fugnisse nach den Verfassungsschutzgesetzen des – sondern ein Vorbild für die europäische Ebene. Mit Bundes und der Länder anfallen … einem entsprechend konstruktiven Ansatz, denke ich, Auch dort steht nichts davon, dass das BSI Informatio- sollten wir auch die parlamentarischen Verhandlungen nen an das Bundesamt für Verfassungsschutz weiterge- führen. ben darf. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Gerold Reichenbach [SPD]: Soll es ja auch (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht!) neten der SPD) Sie begründen also einen Stellenaufwuchs beim Bun- desamt für Verfassungsschutz mit einer Datenweitergabe Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: durch das BSI an das Bundesamt für Verfassungsschutz, Als nächste Rednerin hat die Kollegin Halina für die es keine Rechtsgrundlage gibt. Sie merken doch Wawzyniak von der Fraktion Die Linke das Wort. selbst, dass das irgendwie nicht geht, oder? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Da ich viele wertvolle Stunden meines Lebens in der Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen Enquete „Internet und digitale Gesellschaft“ verbracht und Kollegen! Was wir grundsätzlich vom IT-Sicher- habe, ärgert mich noch etwas. Offensichtlich werden heitsgesetz halten, hat mein Kollege Jan Korte schon ge- nämlich die Berichte dieser Enquete bei der Erstellung sagt. Prinzipiell ist das Anliegen komplett richtig. Aber von Gesetzentwürfen einfach nicht berücksichtigt. Da es hilft nicht, etwas richtig zu meinen, man muss es auch muss man sich die Frage stellen: Wozu machen wir eine richtig machen. solche Enquete dann überhaupt? (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ich werde jetzt versuchen, ein wenig in die Details zu Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (B) gehen. Ich fange damit an, dass das Bundesamt für Ver- GRÜNEN]: Genau! Skandalös ist das!) (D) fassungsschutz bis zu 50 Stellen bekommen soll. Das macht 3,3 Millionen Euro aus. Jetzt ist die Frage: Wofür Die Projektgruppe „Zugang, Struktur und Sicherheit eigentlich? Ganz am Ende des Gesetzentwurfs schreibt im Netz“ hat beispielsweise kritische Infrastrukturen de- der Normenkontrollrat: Der Stellenaufwuchs finiert. Ihr Gesetzentwurf nennt Sektoren kritischer In- frastrukturen. Aber die Sektoren „Staat und Verwaltung“ resultiert aus der Auswertung der vom BSI sowie „Medien und Kultur“ tauchen im Gesetzentwurf – dem Bundesamt für Sicherheit in der Informations- nicht auf. Wenn Sie mir jetzt mit Länderhoheit kommen, technik – dann sage ich: Nehmen Sie wenigstens die Bundesver- waltung mit hinein, und reden Sie mit den Ländern, da- zur Verfügung gestellten Informationen und sich mit auch diese zwei Sektoren noch aufgenommen wer- daraus … ergebenden Handlungserfordernissen. den! Abgesehen davon, dass ich es politisch falsch finde, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten dass das BSI offensichtlich Daten an das Bundesamt für des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verfassungsschutz weitergibt, stellt sich jetzt die span- nende Frage: Auf welcher Rechtsgrundlage passiert das Auch vom sogenannten Kerckhoff-Prinzip ist bei Ih- überhaupt? nen nichts zu lesen, obwohl die Enquete empfohlen hat, auf dieses Prinzip zu setzen. Das Prinzip besagt, dass (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- kritische Infrastrukturen Systeme benötigen, deren NIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Konstantin von Funktionsweise prinzipiell vollständig offengelegt wer- Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist den kann. Die Enquete urteilte – ich zitiere –: das! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE Der Open-Source-Weg, also das Kerckhoff-Prinzip, GRÜNEN]: Hören Sie jetzt gut zu, Herr ist daher für Kritische Infrastrukturen ein geeigne- Mayer!) ter Weg. Sie verweisen in Ihrem Gesetzentwurf auf den § 8 b Auch davon steht nichts in Ihrem Gesetzentwurf, ob- des BSI-Gesetzes. Da werden aber nur Unterrichtungs- wohl das in der Enquete einstimmig so gesehen worden pflichten geregelt, kein Recht zur Datenübermittlung. ist. Das Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein hat richtig festgestellt: Auch im Bundesverfassungs- Sie hätten den Gesetzentwurf auch nutzen können schutzgesetz findet sich keine Regelung bezüglich einer – das ist der letzte Punkt –, um Regelungen zu schaffen, Pflicht des BSI, Daten an das BfV zu übermitteln. Das die Sicherheitsforscher und Entdecker von Sicherheits- 9048 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Halina Wawzyniak (A) lücken vor straf- und zivilrechtlicher Verfolgung schüt- nen verschicken oder einkaufen? Sind sie Opfer oder Tä- (C) zen, wenn sie damit verantwortlich umgehen. Das hatten ter? Haben sie eine Schuld, oder haben sie eine Mit- Linke, Grüne und SPD in einem Sondervotum in der schuld? Wer ist eigentlich zuständig für Sicherheit im Enquete gefordert. Netz? Und wie gehen wir damit um, wenn es dabei nicht um Fotos, sondern um Infrastrukturen wie Verkehr, Ge- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE sundheit, Wasser oder Energie geht, also solche kriti- GRÜNEN]: Ein sehr gutes Sondervotum!) schen Infrastrukturen, die maßgeblich für das Funktio- Kurz und gut: Sie machen mit dem Gesetzentwurf ein nieren unseres Gemeinwesens, die öffentliche Sicherheit wichtiges Anliegen durch einen komplett falschen An- und Ordnung sind? Das IT-Sicherheitsgesetz, über das satz kaputt. Ich kann nur hoffen, dass wir in der weiteren wir heute diskutieren, gibt Antworten und formuliert Debatte dem eigentlich sinnvollen Anliegen noch sinn- eine staatliche Verantwortung, von der ich zutiefst über- voll Rechnung tragen. zeugt bin, liebe Kolleginnen und Kollegen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Mayer [Altötting] [CDU/CSU]) Aber brauchen wir denn überhaupt ein IT-Sicherheits- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: gesetz? Ich sage eindeutig Ja. Denn die Gefahr, Opfer ei- Als nächste Rednerin hat die Kollegin Christina nes Cyberangriffs zu werden, ist in den letzten Jahren er- Kampmann von der SPD-Fraktion das Wort. heblich gestiegen. Cybercrime ist heute die fünftteuerste (Beifall bei der SPD) Verbrechensart der Welt. Angriffe sind von nahezu je- dem Ort der Welt zu jeder Zeit und auf die unterschied- lichsten Ziele möglich. Gleichzeitig sind immer mehr Christina Kampmann (SPD): technische Systeme mit dem Internet verbunden und Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und auch untereinander vernetzt. Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt ein paar Dinge, ohne die diese Digitalisierung, von Es ist eine Sache, ob sich Rihanna und Co. mit plötz- der jetzt alle sprechen, nicht funktionieren kann: Sicher- lich auftauchenden Nacktfotos im Netz rumschlagen heit zum Beispiel. Ohne Sicherheit kein Vertrauen, ohne müssen. Eine andere Sache ist es, ob es einen gezielten Vertrauen keine Nutzung, ohne Nutzung keine Ange- Angriff auf eine kritische Infrastruktur gibt; denn dieser bote. kann eine Bedrohung für unsere ganze Gesellschaft sein. Hier hat der Staat eine klare Verantwortung. Die Frage, Aber welche Verantwortung hat eigentlich der Staat, die wir uns heute stellen, ist: Kann er dieser Verantwor- (B) wenn es um die Sicherheit im Netz geht? Schauen wir tung mit dem IT-Sicherheitsgesetz gerecht werden? Um (D) uns dazu ein Zitat von Günther Oettinger, seines Zei- die Antwort gleich vorwegzunehmen: Ja, das IT-Sicher- chens Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesell- heitsgesetz findet Antworten auf die wesentlichen He- schaft in der Europäischen Union, an. rausforderungen, denen wir politisch begegnen müssen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Herrn von Notz sage ich: Das ist kein deutscher Sonder- GRÜNEN]: Oje!) weg, wie Sie das nennen, sondern das ist ein gutes Bei- spiel, mit dem wir international vorangehen und auch in- – Nein, ich meine nicht das aktuellste, Herr von Notz, in ternational Standards setzen werden, dem er die Verfechter der Netzneutralität als talibanartig bezeichnet. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Double Stan- GRÜNEN]: Schade eigentlich!) dards!) Das habe ich weder verstanden noch konnte ich taliban- nicht für alle und nicht immer so umfassend, wie ich mir artige Züge bei mir oder bei Ihnen feststellen. das gewünscht hätte – dazu sage ich gleich noch etwas –; (Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei aber es bildet sehr wohl eine Grundlage, auf der man Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE aufbauen kann und die in einer funktionierenden Sicher- GRÜNEN) heitsarchitektur eine zuverlässige Basis bilden wird. Ich meine das Zitat, mit dem Günther Oettinger quasi Aber schauen wir uns einmal die Inhalte an: Worum seine Bewerbungsrede vor dem Europäischen Parlament geht es in diesem Gesetz eigentlich, und welche Ziele gehalten hat. Nach dem Skandal um Nacktfotos aus ge- können damit tatsächlich erreicht werden? Ich möchte hackten Apple-Benutzerkonten gefragt, antwortete vor allem auf zwei Punkte eingehen, die in der öffentli- Oettinger: chen Diskussion besonders im Fokus standen. Zum ersten Mal gibt es für Betreiber kritischer In- Wenn jemand so blöd ist und als Promi ein Nackt- frastrukturen eine gesetzliche Verpflichtung, einen Min- foto von sich selbst macht und ins Netz stellt, hat er deststandard an IT-Sicherheit zu schaffen und einzu- doch nicht von uns zu erwarten, dass wir ihn schüt- halten. Das ist den einen zu wenig, weil die zen. Branchenverbände selbst Vorschläge für Sicherheitsstan- Hat er das wirklich nicht? Und was ist mit denjenigen, dards machen können; den anderen ist der bürokratische die so blöd sind und über das Internet sogar Informatio- Aufwand zu hoch, insbesondere was die Meldepflicht an Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9049

Christina Kampmann (A) das BSI angeht. Was sie damit verkennen, ist die Tatsa- sagen würde: Sie passen da eigentlich ziemlich gut hi- (C) che, das IT-Sicherheit zwar teuer ist, aber ein Mangel an nein. Sicherheit um so vieles teurer ist, dass sich heute nie- mand mehr der Illusion hingeben darf, man könne darauf Ich denke zum Beispiel an die Aussage, dass Deutsch- wirklich ernsthaft verzichten, liebe Kolleginnen und land Verschlüsselungsstandort Nummer eins werden Kollegen. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit der soll. In meinen Ohren klingt das jedes Mal richtig gut. Möglichkeit zur grundsätzlich anonymen Meldung einen Fakt ist aber: Verschlüsselung geschieht nur selten von guten Kompromiss für alle Akteure gefunden haben, der selbst. So etwas wie eine marktgetriebene Verschlüsse- die Arbeit des BSI in wesentlichen Punkten erleichtern lung ist zwar zu finden, sie kommt aber ungefähr ge- wird und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit der nauso häufig vor wie eine Niederlage von Arminia Bie- Netze im Bereich kritischer Infrastrukturen erhöht. lefeld im DFB-Pokal, nämlich quasi nie. (Beifall bei der SPD – Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich [SPD]: Das ist schon mal gut!) zweitens auch noch ein paar Punkte zum Thema BSI sa- gen. Ich finde es richtig und wichtig, dass das BSI im Warum sollte man also nicht eine Verpflichtung zur Rahmen des IT-Sicherheitsgesetzes gestärkt wird. Die Transportverschlüsselung für Telekommunikationsunter- Zuständigkeit des BSI geht inzwischen weit über die Ab- nehmen aufnehmen? wehr von Gefahren für die IT des Bundes hinaus: Es dient zunehmend auch Unternehmen, Verwaltungen und (Burkhard Lischka [SPD]: Sehr richtig!) der Politik als Ansprechpartner in Fragen von Cyber- Dass IT-Hersteller und -Diensteanbieter für Daten- sicherheit. Herr Korte, es für diese Aufgabe mit zusätzli- schutz- und Sicherheitsmängel ihrer Produkte haften sol- chen Stellen zu stärken, ist die richtige Entscheidung. len, steht ebenfalls im Koalitionsvertrag, und auch diese Dazu gibt es keine Alternative. Regelung hätte ihren Platz in diesem Gesetzentwurf, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten weil damit ein deutlicher Gewinn an IT-Sicherheit er- der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Wir reicht werden könnte. können mal darüber diskutieren! – Meine sehr verehrten Damen und Herren, IT-Sicher- Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE heit ist die unverzichtbare Bedingung für die Digitalisie- GRÜNEN]: Doch, die Unabhängigkeit des rung. Ich glaube, das ist heute mehr als deutlich gewor- BSI!) den. Ohne Sicherheit im Netz, ohne ein Maximum – Das haben auch Sie in diesem Kontext erwähnt. Ich dessen, was wir tun können, um unsere Systeme zu habe bei Ihrer Rede sehr genau zugehört; davon können schützen, ist all das, was uns in Zukunft ausmachen (B) Sie ausgehen. wird, hinfällig. (D) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt immer Alternativen!) GRÜNEN]: Dann legen Sie einen besseren Gesetzentwurf vor!) Was aber nicht geht – das sage ich in aller Deutlich- Industrie 4.0 ist ohne IT-Sicherheit null und nichtig, keit auch im Hinblick auf die Berichterstattung der ver- und die Cloud-Technologie wäre ohne Cybersicherheit gangenen Tage –, ist eine Doppelfunktion des BSI, die komplett sinnlos. Weitere Beispiele sind E-Government, zwei Dinge in sich vereint, die quasi genauso unverein- Smart Meter, autonomes Fahren, intelligentes Wohnen bar sind wie die rechtliche Gleichstellung von Mann und und digitales Arbeiten. Selbst das Spielen wird in Zu- Frau und die faktische Entgeltungleichheit im 21. Jahr- kunft zur sicherheitstechnologischen Herausforderung hundert von immer noch 22 Prozent. werden, wenn die just angekündigte WLAN-Barbie in Das BSI hat eine klare Rolle in der Cybersicherheits- deutschen Kinderzimmern ihr Unwesen treibt; denn ab architektur des Bundes und eine eindeutige Zuständig- Herbst soll es ein Modell geben, das Gespräche der keit für die defensive Sicherheit in unserem Land. Eine Kleinsten in unseren Kinderzimmern aufzeichnen wird. Doppelfunktion, mit der auf der einen Seite die Bürger Es ist nicht auszudenken, was passiert, wenn die erste und die Unternehmen geschützt werden sollen, auf der Barbie gehackt wird. anderen Seite aber aktiv dazu beigetragen würde, Sicher- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE heitslücken erst zu ermöglichen, würde nicht nur der GRÜNEN]: Stoppt die WLAN-Barbie!) Glaubwürdigkeit des BSI, sondern auch der Politik ins- gesamt schaden. Deshalb wollen wir IT-Sicherheit für – Genau, darin sind wir uns einig. und nicht gegen die Menschen in unserem Land schaf- fen. Um diesen Konflikt grundsätzlich zu vermeiden, (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE setzt sich die SPD auch weiterhin für eine größere Unab- GRÜNEN]: Ja!) hängigkeit des BSI ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann so viele (Beifall bei der SPD) Beispiele aufzählen, die zeigen: Vieles von dem, was heute bereits Realität ist und in Zukunft noch viel stärker Meine sehr verehrten Damen und Herren, tatsächlich auf uns zukommt, wird schlichtweg nicht möglich sein, gibt es weitere Punkte, auf die wir uns im Koalitionsver- wenn wir nicht ein Maximum an Cybersicherheit ge- trag geeinigt haben, die aber in diesem Entwurf des IT- währleisten. Deshalb ist es gut, dass wir mit dem Ent- Sicherheitsgesetzes noch nicht auftauchen, obwohl ich wurf des IT-Sicherheitsgesetzes einen Anfang gemacht 9050 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Christina Kampmann (A) haben, der für entscheidende Bereiche des öffentlichen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C) Lebens die Schaffung und Einhaltung von Mindeststan- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) dards vorschreibt. Ihr Ziel ist es doch, die kritische Infrastruktur zu Klar ist aber: Das kann tatsächlich nur ein Anfang schützen. Sie nehmen die Wirtschaft in die Pflicht – da- sein. Denn die Gefährdungslage wird eher zu- als abneh- bei unterstützen wir Sie –, stellen aber an die eigene kri- men, und nicht nur die technischen, sondern auch die tische Infrastruktur des Bundes nur sehr geringe Anfor- politischen Herausforderungen werden mit der weiteren derungen. Da kann ich die Kritik aus der Wirtschaft digitalen Durchdringung aller Lebenswelten zunehmend schon verstehen, die da lautet: Das, was ihr von uns ver- größer. Lasst uns deshalb nicht auf dem ausruhen, was langt, würden wir gerne auch bei euch sehen. – Das aber wir erreicht haben, sondern die Digitalisierung politisch liefern Sie nicht. so gestalten, dass sie zu dem wird, was sie verdient hat: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einem positiven Zukunftsversprechen. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Danke schön. Bei 50 Milliarden Euro liegt nach Schätzungen der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schaden der deutschen Volkswirtschaft durch Cyberatta- der CDU/CSU) cken. Der Bundeswirtschaftsminister stellt zu Recht fest, dass gerade in Kleinbetrieben Bedenken bei der Datensi- cherheit die Digitalisierung hemmen. Jetzt frage ich Sie Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: allerdings: Welchen Beitrag also leistet Ihr vorgelegter Vielen Dank. – Als nächster Redner hat der Kollege Gesetzentwurf? Wird mit diesem Gesetzentwurf der Dieter Janecek von Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Wirtschaft geholfen, mit der Gefahr von Cyberangriffen besser umzugehen? Die Antwort ist eindeutig Nein. Ent- Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hält der Gesetzentwurf wirksame Instrumente, die die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Kampmann, Unternehmen zur Verbesserung der IT-Sicherheit benöti- der Vergleich mit Arminia Bielefelds Rolle im DFB- gen? Auch das ist nicht der Fall. Hilft der Gesetzentwurf Pokal reizt mich nun schon ein bisschen. Sie wollen die insbesondere den kleinen und mittleren Unternehmen IT-Sicherheit international voranbringen, wie das auch bei der Digitalisierung? Auch das ist noch weniger der Kollege Mayer gesagt hat. Aber Champions League ist Fall. das noch lange nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜND- Sie verlieren sich in Ihrem Gesetzentwurf in Unklar- (B) NIS 90/DIE GRÜNEN]) heiten. Das geplante IT-Sicherheitsgesetz wird in dieser (D) Form keinen Beitrag zur Steigerung der IT-Sicherheit in Das, was Sie hier vorlegen, ist im Gegenteil eher Kreis- Deutschland leisten. Ich sage Ihnen auch, warum. Ihr klasse. Gesetzentwurf schreibt zwar eine Meldepflicht bei IT- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ Sicherheitsvorfällen vor. Es bleibt aber völlig unklar, DIE GRÜNEN) was mit diesen Meldungen passiert. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik kann sich durch Kommen wir zum Schutz unserer digitalen Infra- die Dokumentationspflicht ein Lagebild über die IT-Si- struktur. Die SPD ist bei diesem Thema noch nicht so cherheit verschaffen. Das ist vorgesehen. Die Frage ist lange dabei, aber die Union beschäftigt sich damit schon allerdings: Was passiert mit diesen Daten? Die Frage ist seit zehn Jahren. auch: Welche Planungs- und Rechtssicherheit geben Sie den Unternehmen? Sie sind mit diesem Thema in der Tat überfordert. Es hat zwei Jahre vom ersten Referentenentwurf – damals (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch unter Innenminister Friedrich – bis heute gedauert. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wie bei der digitalen Agenda insgesamt, kann man auch Schauen wir uns einmal die Begrifflichkeiten an: Der hier feststellen: Es ist wahrlich kein großer Wurf. Es ist „Stand der Technik“ solle berücksichtigt werden, heißt eine konsequente Fortsetzung Ihres Klein-Kleins der di- es in § 8 a Absatz 1 Ihres Gesetzentwurfes. „Erhebliche gitalen Agenda. Störungen“ sollen gemeldet werden, so § 8 b Absatz 4. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Von „kritischer Infrastruktur“ ist in § 1 die Rede. All sowie bei Abgeordneten der LINKEN) diese Begriffe sind unklar definiert. An diesem Gesetz- entwurf lässt sich überhaupt nicht erkennen, welche Un- Das, was Sie hier vorlegen, ist ein Gesetzentwurf zur ternehmen von der Meldepflicht überhaupt betroffen Simulation von IT-Sicherheit. sind. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN]: Ja!) Alles in allem – die Liste ließe sich noch lange fort- Das, was wir aber brauchen, ist ein wirkungsvolles Re- setzen –: So viel Unklarheit hilft Unternehmen bei der gelwerk, ja sogar ein dynamisches Regelwerk, auf dem IT-Sicherheit nicht weiter. Dass Unternehmen und ihre Sie aufbauen und die IT-Sicherheit tatsächlich verbes- Verbände Meldepflichten kritisieren, ist natürlich wenig sern können. überraschend. Dennoch stellt sich hier schon die Sinn- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9051

Dieter Janecek (A) frage: Wo ist denn hier der direkte Beitrag zur Verbesse- der größten Treiber –, und vom Verhalten der Kunden, (C) rung der IT-Sicherheit? Tragen die vorgesehenen ver- egal ob es Unternehmen sind, die immer mehr auf Tech- schärften Berichtspflichten tatsächlich dazu bei, das IT- nik setzen müssen, oder ob es der Privatnutzer ist, der Sicherheitsniveau von Unternehmen zu verbessern? Der sich dazu entschließt, künftig alles online und mithilfe Schwerpunkt Ihres Gesetzentwurfes müsste doch viel- von Apps und Ähnlichem zu machen. mehr auf der Behebung von und dem vertrauensvollen Das sind die drei entscheidenden Punkte. Sie haben Austausch über IT-Sicherheitslücken und -Schwachstel- eine so starke Dynamik, dass es keine Regierung und len liegen. Das tut er eben nicht. keine Partei geben wird, die sagt: Wir können alle Ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fahren sofort erkennen und schaffen vorneweg entspre- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) chende Regelungen. – Das ist schlicht und einfach nicht möglich. Der Gesetzgeber muss diese Entwicklungen im Sie bieten auch keinen Anreiz, Angriffe möglichst früh Blick behalten und dann – er wird aber immer einen zu identifizieren und dadurch Schaden abzuwenden. Im Schritt hinterher sein – richtig reagieren und eine gesetz- Gegenteil: Sie schaffen eine Meldebürokratie, deren Ver- liche Regelung schaffen. Das tun wir heute. wertung, Analyse und Bereitstellung unklar bleiben. Wir reden heute über ein sehr spezielles Segment. Es Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuelle Bun- geht um kritische Infrastrukturen. Ich verstehe nicht, wa- desregierung und die Vorgängerregierung waren beim rum kaum ein Debattenbeitrag ohne die üblichen War- Thema IT-Sicherheit jahrelang im Dämmermodus. Jetzt nungen vor dem Verfassungsschutz und der Vorratsda- sind Sie endlich aufgewacht. Das ist gut so; da stimme tenspeicherung auskommt. Das geht am Thema vorbei. ich auch Herrn Korte zu, da gehen wir in eine Richtung. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Die Herausforderungen sind komplex; das ist keine der SPD) Frage. Der vorgelegte Gesetzentwurf überzeugt aber nicht, weder inhaltlich noch konzeptionell; denn er hilft Ich würde gerne mit Ihnen darüber diskutieren, wie wir nicht, die Herausforderungen in der IT-Sicherheit zu be- kritische Infrastrukturen schützen können. Aber dann wältigen. Der Schutz kleiner und mittelständischer Un- müssen wir uns von solchen Aussagen lösen und bereit ternehmen und der Privatuser vor Cyberangriffen bleibt sein, in der Sache zu diskutieren. dabei außen vor. Das kann uns nicht zufriedenstellen. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Deshalb: Wenn Sie Champions League sein wollen, GRÜNEN]: Das hängt schon zusammen!) dann machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben. Auf unsere konstruktive Begleitung dabei können Sie sich verlas- Dazu war bislang eher wenig zu hören. (B) sen. Es mag parteipolitisch nett klingen, wenn Sie sagen (D) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – darauf haben Sie ein paarmal abgehoben –, wir seien sowie bei Abgeordneten der LINKEN) aufgewacht, würden aber immer noch zu wenig machen. Das sind doch die üblichen rhetorischen Floskeln, mit denen man in der politischen Debatte, finde ich, eher für Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Langeweile als für einen konstruktiven Dialog sorgt. Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Clemens Binninger von der CDU/CSU das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- GRÜNEN]: Seit zehn Jahren sind Sie in der neten der SPD) Verantwortung!)

Clemens Binninger (CDU/CSU): – Ja, wir regieren seit zehn Jahren. Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist das Pro- gen! Industrie 4.0, Internet der Dinge, Cloud Computing blem!) und Smart Meter sind nur einige wenige Begriffe, die zeigen, wie sehr sich auch unsere Wirtschaft verändert Das ist gut für dieses Land, wie ich finde. und dass immer mehr vom Austausch von Informationen (Beifall bei der CDU/CSU – Gerold und Daten abhängt. Darüber sollten wir uns klar sein, Reichenbach [SPD]: Mit der SPD haben Sie Herr Kollege von Notz. Denn Sie erwecken immer wie- das auch gemacht!) der den Eindruck, man könnte mit staatlicher Regulie- rung alles lösen. – Es ist natürlich ganz toll, wenn die SPD mit dabei ist. Das habe ich vergessen. Aber es stimmt schon. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klar!) (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nächste Mal Grün wählen! Das wird nicht gehen. Dann wird es besser!) Die Entwicklungen, mit denen wir es zu tun haben, Übrigens hat die Netzpartei Die Grünen in dieser Zeit sind meiner Ansicht nach von drei Punkten bestimmt: keinen Gesetzentwurf vorgelegt. Auch in den Ländern von Innovationen – auf sie haben wir nicht immer direkt haben Sie sich nicht mit Maßnahmen zur IT-Sicherheit Einfluss –, von Geschäftsmodellen – dabei geht es um hervorgetan. Wir haben in dieser Zeit das BSI gestärkt. die Frage, womit man Geld verdienen kann; das ist einer Wir haben eine Anti-Botnet-Initiative und die Allianz 9052 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Clemens Binninger (A) für Cyber-Sicherheit auf den Weg gebracht. Was das Wir haben überhaupt kein Lagebild, aus dem hervor- (C) Thema De-Mail angeht, ist zu sagen, dass eine Kom- geht, woher Angriffe kommen, wie sie aussehen und plettverschlüsselung vorgesehen ist. welche Sektoren – Energieversorgung, Finanzwirtschaft, Gesundheitsversorgung oder Logistik – hauptsächlich (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE angegriffen werden. Wir wissen schlicht und einfach zu GRÜNEN]: Gratuliere! Hättet ihr das mal frü- wenig. Es ist unsere Herausforderung, das zu ändern und her gemacht!) zu lösen. Deshalb machen wir dieses Gesetz. Sie mögen alles als zu langsam und zu wenig kritisieren. Aber wir haben mehr gemacht als Sie alle, Grüne und Das Gesetz beinhaltet eine Reihe von Komponenten. Linke in der Opposition, in den ganzen Jahren zusam- Wir stärken die Rolle des BSI. Man kann sicherlich da- men. Sie haben das Thema auch nicht entdeckt, und Sie rüber diskutieren, wie groß die Unabhängigkeit des BSI haben bislang auch keine konstruktiven Vorschläge vor- sein sollte. Aber dass wir eine Stelle brauchen, die die gelegt. Kompetenzen bündelt und der Wirtschaft als Ansprech- partner zur Verfügung steht, kann niemand bestreiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wie gesagt, wir stärken das BSI, wenn es um Produktun- Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE tersuchungen, die Warnfunktion und die Rolle als An- GRÜNEN]: Wir machen Ihnen konkrete Vor- sprechpartner für die Wirtschaft geht. Das ist ein guter schläge, Herr Binninger! Sehr konkrete Vor- und wichtiger Schritt für die Cybersicherheit in diesem schläge!) Land. Trotzdem – deswegen habe ich meine Ausführungen so eingeleitet – kann man beim Thema IT-Sicherheit nie (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) den Punkt definieren, an dem man feststellen kann: Nun Des Weiteren geht es um eine Regelung der Melde- haben wir alles gemacht; es bleibt nichts mehr zu tun. – pflicht. Unternehmen und Verbände wie BITKOM hat- Das wird nicht möglich sein, weil die starke Dynamik ten am Anfang Sorge: Was wird da von uns verlangt? bleibt und von uns verlangt, dass wir immer wieder et- Können wir uns den damit verbundenen bürokratischen was tun müssen. Aufwand überhaupt leisten? Ist es geschäftsschädigend, Zu den Herausforderungen bei den kritischen Infra- wenn ein großes Unternehmen aus der Finanzwirtschaft strukturen haben Sie kaum ein Wort verloren, obwohl melden muss, dass sein Rechenzentrum gehackt wurde? die Linken und die Grünen sonst immer sagen, der Staat – Mittlerweile bekommen wir überwiegend positive tue zu wenig bei der Spionageabwehr. Aber wenn die Rückmeldungen. Die Unternehmen sagen: So wie es ge- Behörde, die für Spionageabwehr zuständig ist, der Ver- setzlich geregelt ist, ist es gut. Bis zu einem bestimmten (B) fassungsschutz, mehr Stellen bekommt, dann ist das Grad wird die Anonymität gewahrt. (D) auch wieder nicht recht. Das ist unglaubwürdig und überzeugt in keinem einzigen Punkt. So widersprüchlich Kleine Unternehmen können eine gemeinsame Mel- kann nur die Linke argumentieren. destelle bei ihrem Verband einrichten, die sich dann an das BSI wendet. Wir garantieren die Anonymität. Alle (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch der Unternehmen aus dieser Branche profitieren davon, weil Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE]) sie gewarnt werden: Bank XY oder Logistiker XY Vor welchen Herausforderungen stehen wir eigent- wurde mit diesem oder jenem Modus Operandi oder die- lich? Herr Kollege von Notz, Sie haben vorhin ein sehr sem oder jenem Trojaner angegriffen. Achtung! Wapp- dramatisches Bild gewählt: In Deutschland brennt die net euch, und setzt entsprechende Maßnahmen um! – Hütte, was die IT-Sicherheit angeht. – Das könnten Sie Dieser Schritt geht mehr als nur in die richtige Richtung. sicherlich weiter ausdehnen, aber ich würde es nicht so Er schafft die Grundlage dafür, dass wir unsere kriti- dramatisch formulieren. schen Infrastrukturen für die Bevölkerung und die Ver- sorgung sicherer machen. Hier gehen wir einen wichti- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Bei gen Schritt nach vorne. seiner Rede gab es die Sonnenfinsternis!) Nun zum Punkt, den Sie ein paarmal kritisiert haben. – Jetzt wird es gleich dunkel, aber erst nach meiner Sie haben gesagt, im Gesetz sei zu wenig geregelt und es Rede. enthalte zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe. Auch da- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rüber haben wir uns Gedanken gemacht. Aber ich garan- NEN]: Weil die SPD kommt, oder was?) tiere Ihnen: Wer sich mit diesem Thema seriös auseinan- dersetzt, wird erkennen, dass sich in einem statischen Ich gebe Ihnen in einem Punkt recht, Herr Kollege Gesetz nie alle denkbaren Begrifflichkeiten für alle Zei- von Notz. Ich gebe Ihnen recht, dass wir überhaupt nicht ten regeln lassen: Was ist ein Cyberzwischenfall? Wann wissen, wo kritische Infrastrukturen heute angegriffen ist er meldepflichtig? Welche Unternehmen und welche werden, weil die Betreiber, privatwirtschaftliche Unter- Branchen sind einzubeziehen? Es handelt sich vielmehr nehmen, kein Interesse daran haben, das öffentlich zu um einen dynamischen Prozess, wie Sie selber gesagt machen, aus Angst vor Rufschädigung oder was auch haben, Herr Kollege von Notz. Deshalb wählen wir den immer. Verordnungsweg, um es Exekutive, Parlament und Wirt- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE schaft zu ermöglichen, diese Fragen gemeinsam zu be- GRÜNEN]: Durch Ihr Gesetz auch nicht!) antworten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9053

Clemens Binninger (A) Wer gehört zu den Betreibern kritischer Infrastruktu- Wir haben über wegweisende Empfehlungen der En- (C) ren? Dazu gehört sicherlich nicht jedes Stadtwerk. Viel- quete-Kommission geredet. leicht gehören aber Stadtwerke ab einer bestimmten Größe dazu. Wir gehen von etwa maximal 2 000 Betrei- Eine der Hauptbotschaften des damaligen Innen- bern kritischer Infrastrukturen aus, die am Ende unter ministers war: Wir müssen im Bereich des IT-Sicher- die Meldepflicht fallen können. Auf jeden Fall werden heitsgesetzes endlich vorankommen. – Diese Botschaft wir auch in Zukunft immer wieder überprüfen müssen, hat sich, glaube ich, vor allem an den damaligen Koali- ob wir alle Betreiber kritischer Infrastrukturen erfasst tionspartner gerichtet. Es zeigt aber auch, wie lange wir haben oder ob es neue Sektoren gibt, die es aufgrund be- die notwendige Diskussion hier im Parlament führen. stimmter Geschäftsmodelle zu berücksichtigen gilt. Wenn heute der Vorwurf im Raum steht, dass wir zu Diese Dynamik lässt sich nicht im Gesetzgebungsver- lange gebraucht haben, kann ich für diese Koalition nur fahren auflösen. Dazu braucht man den Verordnungs- sagen: Ich finde es gar nicht schlecht, dass wir nach ei- weg. nem Jahr ein solch wichtiges, ein solch wegweisendes Gesetz hier auf den Weg bringen. Ich halte es für drin- gend notwendig, dass wir im Bereich der IT-Sicherheit Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: endlich vorankommen. Herr Kollege, es tut mir leid, aber ich muss Sie in Ih- rer Dynamik unterbrechen. Sie müssen zum Schluss (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten kommen. der CDU/CSU) Ich glaube, dass wir heute einen Paradigmenwechsel Clemens Binninger (CDU/CSU): einleiten, den wir nicht zu kleinreden sollten. Wir defi- Ich überziehe selten, aber noch habe ich Licht. nieren die Rolle des Staates im Bereich der IT-Sicherheit Einen Punkt möchte ich noch ankündigen. Die Regie- heute anders. Wir machen heute mit diesem Gesetz deut- rung und die sie tragenden Fraktionen sind durchaus of- lich, dass der Staat eine Aufgabe im Bereich der Kon- fen für konstruktive Vorschläge. Wir selber haben einige trolle, des Lagebildes und auch der Informationseinho- Ideen, wie wir nachjustieren können. Das gilt insbeson- lung hat und dass er dort ganz andere Rechte hat. Wir dere für die Standards in der Verwaltung. Wir werden in alle wissen doch, wie notwendig es ist, dass der Staat jedem Fall über die Frage der Evaluierung reden müs- eine andere Rolle bekommt. Das erkennen wir, wenn wir sen. Die Unternehmen bekommen zwei Jahre Zeit für uns die Verletzlichkeit einer modernen Gesellschaft an- die Umsetzung. Wir müssen dann nach einer bestimmten schauen, wenn wir sehen, wie verletzlich öffentliche Da- Zeit erneut prüfen. seinsvorsorge, der Energiebereich, der Verkehrsbereich, der Gesundheitsbereich sind. Wir erkennen, der Staat (B) (D) Dieses Gesetz schafft auf einem wichtigen Feld eine muss eine andere Rolle bekommen, und die bekommt er gute Grundlage, um die IT-Sicherheit in unserem Land mit diesem Gesetz. zu verbessern. Ich kann Sie nur dazu einladen, daran konstruktiv mitzuwirken. Ich warne aber auch davor – der Kollege von Notz hat das vorhin angesprochen –, dass wir hier den Eindruck Herzlichen Dank. erwecken, das IT-Sicherheitsgesetz sei die Antwort auf (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Snowden und alle Bedrohungen, die sonst irgendwie im Raum stehen. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Als nächster Redner hat der Kollege Lars Klingbeil GRÜNEN]: Snowden ist keine Bedrohung!) von der SPD-Fraktion das Wort. – Konstantin, darum geht es gar nicht, sondern es geht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten darum, dass wir heute einen Teil definieren. der CDU/CSU) Viele andere Aufgaben liegen politisch noch vor uns, Lars Klingbeil (SPD): wenn es darum geht, Vertrauen in die IT-Infrastruktur, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vertrauen in Kommunikation, Vertrauen auch in Ge- Ich bin dem Kollegen Binninger für die Tonlage, die er heimdienste wiederherzustellen. Da müssen wir noch in diese Diskussion hineingebracht hat, sehr dankbar. Ich eine ganze Palette von Aufgaben erledigen. Das IT-Si- finde, diese Tonlage ist der Diskussion, die wir heute cherheitsgesetz ist ein kleiner Teil. Andere Punkte sind führen, angemessen. genannt worden. Da geht es um IT-Sicherheitsforschung. Da geht es um die Herstellung von digitaler Souveräni- ( [SPD]: Ja!) tät. Da geht es um Verschlüsselungs- und Kryptotechno- Ich erinnere mich noch daran, dass ich gegen Ende logien. All das ist auch im Koalitionsvertrag angelegt. der letzten Legislatur als Sprecher der SPD in der En- Auch wir Sozialdemokraten werden Druck machen, dass quete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ hier in den nächsten Jahren etwas passiert, wenn es da- beim damaligen Innenminister Friedrich eingeladen war; rum geht, Vertrauen in Kommunikation wiederherzustel- Konstantin von Notz war auch dabei. len. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des GRÜNEN]: Das waren noch Zeiten!) Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU]) 9054 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Lars Klingbeil (A) Ich will ein paar Punkte nennen, die für uns im parla- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) mentarischen Verfahren sehr wichtig sein werden, und neten der SPD) dem Kollegen Janecek ausdrücklich anbieten: Wenn es Ideen gibt, wie man in die Champions League aufsteigen Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): kann, dann werden wir sie uns im parlamentarischen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verfahren genau anschauen. Big Data, Internet der Dinge, Industrie 4.0, Smart Grids, Ein Punkt, den wir sicherlich diskutieren werden – ei- Smart Meter – das sind die Schlagworte, die in dieser niges ist angesprochen worden –, ist die Frage: Hat der Woche die Diskussionen um die Digitalisierung bestim- Staat für das Lagebild eigentlich auch die Angriffe abzu- men; denn diese Woche ist CeBIT-Woche. Darum geht liefern, die auf ihn ausgeübt werden? Da gab es gestern es bei der größten IT-Messe der Welt und nicht, lieber noch die Kritik, dass das Gesetz, was diesen Punkt an- Kollege Konstantin von Notz, um die Snowden-Enthül- geht, verfassungswidrig sei. Ich glaube nicht, dass es lungen. Ich habe auf der CeBIT vor allem erlebt, dass verfassungswidrig ist. Aber wir bieten schon an, dass wir man sich damit beschäftigt, wie sich die Welt verändert, uns das noch einmal anschauen. Es ist auch in unserem wenn sie zunehmend vernetzt ist, wenn alles intelligen- Interesse, dass klar ist, was der Staat melden muss. ter, vernetzter und auch smarter wird. Ein Weiteres hat die Kollegin Kampmann angespro- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE chen: die Rolle des BSI. Wir halten es für richtig, dass GRÜNEN]: Alles wird intelligenter? Schön das BSI aufwächst, dass es eine neue Verantwortung be- wär’s!) kommt. Aber wir wollen auch noch einmal über die Un- Wir wissen um die Potenziale dieser Vernetzung für abhängigkeit des BSI und über die Frage, wie sie ge- die Wirtschaft und die Gesellschaft. Wenn man sich nur stärkt werden kann, reden. Die Kritik aus der Wirtschaft, den Bereich Landwirtschaft anschaut: Es gibt heute das BSI sei Diener zweier Herren, müssen wir im parla- schon Möglichkeiten, mittels Knopfdruck zu sehen, wie mentarischen Verfahren sehr ernst nehmen. weit die Pflanzen in ihrer Entwicklung sind, ob Regen Was die Meldepflicht angeht, kann ich den Vorwurf kommt und man das Feld nicht bewässern muss. Maschi- der Rechts- und Planungsunsicherheit nicht verstehen. nen korrespondieren untereinander, setzen sich selbst in Wir alle wissen, dass es eine entsprechende Verordnung Gang. Das ist Landwirtschaft 4.0. Hier sieht man, wie geben wird. Wir alle wissen auch, wie schwierig und wie vernetzt das alles ist. sensibel die Definition von „kritische Infrastruktur“ ist. Das Gleiche gilt auch bei der Energieversorgung. Es geht um die Frage: Welche Angriffe sind es eigent- Windräder, PV-Kollektoren werden anhand von IT- lich, die anonym oder namentlich gemeldet werden müs- Strukturen gesteuert. Man kann sehen, wie das Wetter (B) sen? Wenn wir diesen Paradigmenwechsel vollziehen sich entwickelt, wann man viel Strom braucht. Er wird (D) wollen, dann muss dem eine sensible Debatte voraus- intelligent gesteuert ins Netz eingespeist. Da wird in den gehen. Diese Debatte muss die Politik auch mit der nächsten Jahren viel passieren. Wirtschaft sehr sensibel führen. Da hat sich der Innen- minister auf den Weg gemacht; da hat sich die Bundesre- Es gibt viele Szenarien, die uns guter Hoffnung sein gierung auf den Weg gemacht. Ich halte das für richtig. lassen, dass wir die Chancen der Digitalisierung in Man kann von der Politik nicht immer sofort hundertpro- Deutschland nutzen können und alle davon einen Mehr- zentige Antworten erwarten. Deswegen ist der Weg über wert haben im Hinblick auf Wirtschaftlichkeit, auf Effi- eine Rechtsverordnung hier genau richtig. zienz und auf Ressourcensparsamkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will für uns Dies sind gute Szenarien, aber es gibt auch die Hor- noch einmal ausdrücklich sagen: Das ist heute die erste rorszenarien. Horrorszenarien kann man sich vorstellen, Lesung. Wir gehen jetzt in ein parlamentarisches Verfah- wenn man einmal darüber nachdenkt, was denn passiert, ren mit Anhörungen, in denen wir uns viele Punkte si- wenn genau diese Netze, diese Infrastrukturen nicht cherlich noch einmal genau anschauen werden. Aber mehr funktionieren oder – schlimmer noch – wenn sie das, was hier grundsätzlich passiert – dass der Staat eine von außen manipuliert werden. Deshalb müssen wir al- andere Verantwortung im Bereich der IT-Sicherheit be- les dafür tun, dass die Infrastrukturen, die die Versor- kommt –, das ist der richtige Weg. Es wurde Zeit, dass gung der Menschen in unserem Land sicherstellen, auch hier endlich etwas passiert. Wir sind froh, dass es uns funktionieren. Diese müssen wir besonders schützen. nach einem Jahr Große Koalition gelungen ist, das IT-Si- Deshalb legen wir heute das IT-Sicherheitsgesetz vor, cherheitsgesetz auf den Weg zu bringen. Ich würde mich das zum einen darauf abzielt, vor allem die kritischen In- freuen, wenn sich die Opposition konstruktiv in die De- frastrukturen wirkungsvoll zu schützen: mit Mindest- batte einbrächte, vielleicht nicht ganz so krawallig, wie standards, mit Meldepflichten; der Minister hat das im es heute an der einen oder anderen Stelle der Fall war. Einzelnen ausgeführt. Vielen Dank. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) neten der SPD) Die zweite Zielrichtung des Gesetzes ist, das Sicher- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: heitsniveau der informationstechnischen Systeme in Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat die Kollegin Deutschland insgesamt zu heben; denn wir beobachten Nadine Schön von der CDU/CSU-Fraktion das Wort. immer noch eine gewisse Sorglosigkeit bei Unterneh- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9055

Nadine Schön (St. Wendel) (A) men, bei kleinen und mittleren Unternehmen, auch bei Der zweite Punkt ist die Diskussion über die unbe- (C) der Bevölkerung. Wir haben die Diskussion etwa um stimmten Rechtsbegriffe. Natürlich muss man als Unter- Snowden, um Hackerangriffe, um Datendiebstahl in gro- nehmen wissen, ob man von einem Gesetz betroffen ist ßem Umfang, aber das spiegelt sich nicht unbedingt im oder nicht. Insofern muss man sich die Begriffe „kriti- Nutzerverhalten wider. Noch heute werden die angemes- sche Infrastruktur“, „bedeutende Störungen“, „Stand der senen Sicherheitsmaßnahmen, die man ergreifen könnte, Technik“ alle noch einmal anschauen. Aber Digitalisie- nicht ergriffen. rung ist eben schnelllebig. Deshalb muss das Gesetz so gestaltet sein, dass wir nicht bei jeder technischen Neue- Deshalb ist es wichtig, dass wir dafür sorgen, dass die rung im Bundestag ein neues Gesetzgebungsverfahren in User informiert werden, wenn etwa Angriffe von außen Gang setzen müssen, um auf diese Neuerung zu reagie- auf das Netz erfolgen. Deswegen werden wir die Provi- ren. Wir brauchen ein Gesetz, das flexibel ist, mit dem der dazu verpflichten, das an die Nutzer zu melden. Das wir flexibel auf Neuerungen, auf Entwicklungen einge- war uns schon bei den Koalitionsverhandlungen ein ganz hen können. Wir müssen es so offen gestalten, dass das wichtiges Anliegen; deshalb haben wir es aufgenom- möglich ist. Wir müssen Rechtssicherheit auf der einen men. Wir werden dafür sorgen, dass die Grundsicherheit Seite, aber eben auch die Schnelllebigkeit auf der ande- sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Privatper- ren Seite im Auge behalten. Das werden wir uns jetzt bei sonen erhöht wird. den Beratungen noch einmal genau anschauen. Das ist Das IT-Sicherheitsgesetz ist ein Maßnahmenpaket. unser Ziel, und das sind die Kriterien, an denen wir un- Der Minister hat die einzelnen Punkte ausführlich darge- ser Gesetz ausrichten. stellt. Wir werden in den nächsten Wochen ausführlich (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. über die einzelnen Punkte sprechen und überlegen, wie Burkhard Lischka [SPD]) effizient oder effektiv die einzelnen Maßnahmen sind, welche Wechselwirkungen es aber auch gibt, um dann Der dritte Punkt betrifft folgende Fragen: Was pas- möglichst viel Sicherheit für die Menschen in unserem siert mit den Daten? Wie viele Daten werden überhaupt Land zu gewährleisten. erhoben? Was hat die Wirtschaft denn selbst davon? Das sind sehr wichtige Fragestellungen, die Sie auch heute Ich will der Diskussion nicht vorgreifen, aber zu zwei, zu Recht angesprochen haben. Es ist eben so, dass es für drei Punkten, die schon kritisch angemerkt wurden, et- die Unternehmen sensible Daten sind; denn es geht um was sagen. Geschäftsprozesse. Deshalb ist es wichtig, dass gewähr- Das Erste ist: europäische Lösung. Natürlich haben leistet ist, dass die Daten sicher und vertraulich behan- wir in Europa einen großen Binnenmarkt, aber derzeit delt werden. Es ist wichtig, dass das nicht ein Einfallstor noch mit 28 fragmentierten digitalen Märkten. Das kann für Wirtschaftsspionage wird. Aber das werden wir si- (B) (D) so nicht bleiben. Deshalb begrüßen wir auch sehr, dass cherstellen. Das ist elementar für den Wirtschaftsstand- Günther Oettinger die Digitalunion ausgerufen hat. Wir ort Deutschland. Deshalb werden wir den Schutz der Da- brauchen natürlich einheitliche Standards in ganz Eu- ten, die hier erhoben werden, sicherstellen. Es werden ropa. Was Deutschland jetzt macht, ist, wie die Kanzle- natürlich auch nur die Daten erhoben, die elementar rin gesagt hat, die Blaupause für diese Diskussionen auf sind, um beurteilen zu können, ob ein Angriff stattfindet, europäischer Ebene. Wir bringen das, was wir hier ins um die Angriffsmuster zu erkennen. Gesetz schreiben, natürlich auch auf der europäischen Natürlich werden auch die Unternehmen etwas davon Ebene ein. haben. Uns geht es doch nicht nur darum, zu sehen, was (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE in Deutschland zurzeit an Angriffen da ist. Das Gesetz GRÜNEN]: Die werden sich bedanken!) hat zum Ziel, mit den Unternehmen zu korrespondieren, zu warnen und auf diese Angriffe reagieren zu können, Man erwartet von Deutschland als dem Land, das im Be- sonst würde das Ganze ja gar keinen Sinn machen. Inso- reich IT-Security unbestritten Vorreiter in Europa ist, fern sind so manche Vorwürfe, die heute hier in den dass wir vorangehen, dass wir unsere Vorschläge ein- Raum gestellt wurden, wirklich abstrus. Natürlich wird bringen. das Gesetz so ausgestaltet, dass die Unternehmen etwas (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE davon haben. IT-Sicherheit ist etwas, was uns als Staat GRÜNEN]: Man spricht wieder deutsch in der angeht, was aber auch die Unternehmen selbst angeht; digitalen Welt!) denn IT-Sicherheit ist auch ein Wirtschaftsfaktor für die Unternehmen. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir zum einen mit unserem Gesetz eine Vorreiterrolle einnehmen und uns zum anderen parallel dazu bei den Diskussionen auf Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: europäischer Ebene einbringen. Wir können jetzt nicht Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Schluss kom- warten, bis das in Europa ausdiskutiert ist, bis es eine men. Richtlinie gibt, bis diese umgesetzt wird. Wir brauchen das Gesetz jetzt; denn wir brauchen jetzt mehr Sicher- Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU): heit. Deshalb machen wir das zweigleisig, und das ist ge- Deshalb werden wir darauf großes Augenmerk legen. nau der richtige Weg. Liebe Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. gen, IT-Sicherheit ist maßgeblich für den wirtschaftli- Burkhard Lischka [SPD]) chen Aufschwung in Deutschland. Deshalb werden wir 9056 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Nadine Schön (St. Wendel) (A) das Gesetz schnell und zügig beraten, zusammen mit den und zeigt, wie ein solcher Angriff aussehen kann und mit (C) Unternehmen, die es betrifft. Ich freue mich schon sehr welchen Folgen zu rechnen ist. auf die Beratungen. Die AG Digitale Agenda wird sich hier genauso einbringen wie die Innenpolitiker. Ein Krimineller auf der Flucht ist möglicherweise auf freie Straßen angewiesen. Wie er das erreichen kann, ha- Herzlichen Dank. ben Wissenschaftler in Michigan demonstriert. Mit der Erlaubnis der örtlichen Straßenverkehrsbehörde haben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- IT-Spezialisten fast 100 drahtlos miteinander vernetzte neten der SPD) Ampeln übernommen und konnten in der Folge die Rot- phasen der jeweiligen Ampeln nach Belieben steuern. Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Wie konnte das passieren? Die Angreifer haben sich Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Hansjörg simpler, aber gleichzeitig signifikanter Sicherheitslücken Durz das Wort. bedient. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE Burkhard Lischka [SPD]) GRÜNEN]: Ja! Im Siemens-Steuerungssys- tem!) Hansjörg Durz (CDU/CSU): Die Drahtlosverbindung war unverschlüsselt, und die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen Zugangsdaten waren noch auf die Standardeinstellung und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! programmiert. Dabei war es den Forschern möglich, le- Die Vernetzung, insbesondere die Vernetzung der Wirt- diglich mit einem Laptop und einem Funksender auf das schaft, ist das zentrale Thema der heute zu Ende gehen- gesamte System zuzugreifen. den CeBIT in Hannover; Nadine Schön hat bereits darauf hingewiesen. In der vernetzten Wirtschaft kom- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE muniziert – was sich viele nicht vorstellen können, aber GRÜNEN]: Aber genau die müssen das nicht heute schon sehr real ist – alles mit allem. Das in diesem melden! Das ist nämlich eine öffentliche Be- Zusammenhang in jüngster Zeit am häufigsten genannte hörde!) Schlagwort lautet Industrie 4.0. Als Ergebnis des Feldversuchs hielten die Forscher ein Neben dem industriellen Bereich ist eine weitere systemimmanentes Fehlen von Sicherheitsbewusstsein praktische Anwendung in dieser vernetzten Welt, die be- fest. Es fehlen also nicht die notwendigen IT-Systeme, sonders im Fokus der Öffentlichkeit steht, das vernetzte, sondern es fehlt am Sicherheitsbewusstsein. auch autonom genannte Fahren. Kaum eine Vision be- (B) flügelt die Fantasie der Menschen so wie die Vorstellung Genau hier setzt das IT-Sicherheitsgesetz an. (D) selbstfahrender Autos – im Positiven, aber auch im Ne- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE gativen. Diese Ambivalenz dem selbstfahrenden Auto GRÜNEN]: Eben nicht!) gegenüber lässt sich auf die Digitalisierung insgesamt übertragen. Der zentrale Punkt, auf den Politik reagieren muss und auf den wir mit dem heutigen Gesetzesvorschlag reagie- In der Erfassung und Analyse riesiger Datenmengen ren, ist, Bewusstsein zu schaffen. Ein Leben ohne digi- liegen enorme Potenziale für die Wissenschaft, für die tale Vernetzung können und wollen wir uns in der heuti- Wirtschaft, für die Verbrauer, für die Gesellschaft insge- gen Gesellschaft nicht mehr vorstellen. Wir leben in samt. Bei aller Euphorie dürfen wir aber nicht vergessen: einer vernetzten Welt. Wir erleben diese Vernetzung tag- Zunehmende Vernetzung macht Systeme insgesamt auch täglich: in der Kommunikation untereinander, im Büro, anfälliger. Wenn auf immer mehr Systeme über das In- beim Onlineeinkauf, bei der Kommunikation mit Behör- ternet zugegriffen werden kann, bedeutet dies auch im- den, Unternehmen und Banken. Experten gehen davon mer mehr potenzielle Einfallstore. Deshalb ist Vernet- aus, dass im Jahr 2020 weltweit 50 Milliarden Geräte zung ohne Cybersicherheit nicht denkbar. Vernetzung miteinander vernetzt sein werden, von der Industriean- und Sicherheit sind zwei Seiten derselben Medaille. lage bis zur Uhr, von der PV-Anlage auf dem Dach bis Die Informationsgesellschaft ist verwundbar – wie zur Heizung im Keller. Daraus ergeben sich enorme sehr, darauf haben meine Vorredner heute bereits mehr- Chancen. fach hingewiesen. Auch ich möchte noch einmal die Zahl nennen, dass etwa 40 Prozent der deutschen Firmen Wir müssen aber auch ein Bewusstsein für die Gefah- in den vergangenen zwei Jahren das Ziel von Computer- ren schaffen, die durch Vernetzung entstehen. Dies gilt kriminalität waren. Die Schadenssumme beläuft sich auf umso mehr, wenn mit dem Einsatz von IT Risiken für geschätzte 54 Milliarden Euro. Diese Zahlen zeigen, andere geschaffen werden. Das gilt also zuallererst für dass die Bedrohung nicht abstrakt, sondern real ist. An- den Bereich der kritischen Infrastrukturen, sprich: für zahl und Qualität der Angriffe auf IT-Systeme nehmen jene Zweige, die für das Funktionieren von Staat, Wirt- zu. schaft und Gesellschaft essenziell sind: Energie, Wasser, Transport, Verkehr und Gesundheit. Angriffe auf kriti- Dennoch klingen diese Zahlen immer sehr weit ent- sche Infrastrukturen stellen eine besondere Bedrohung fernt. Um es ein Stück konkreter und fassbarer zu ma- dar, da ein Ausfall weitreichende Folgen für das Ge- chen, möchte ich ein praktisches Beispiel heranziehen, meinwohl hätte. Sie gehören daher verstärkt unter das Mitte vergangenen Jahres durch die Medien ging Schutz gestellt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9057

Hansjörg Durz (A) Der vom Bundesminister vorgelegte Entwurf eines (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) IT-Sicherheitsgesetzes begegnet diesen Herausforderun- neten der SPD) gen, die sich durch die zunehmende Vernetzung stellen. Denn erstens schafft er ein Bewusstsein für die Gefahren Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: und Risiken, die mit der Digitalisierung einhergehen. Es Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die werden jene Bereiche adressiert, deren Infrastrukturen Aussprache. als kritisch anzusehen sind, und diesen Bereichen wird ein gewisses Maß an IT-Sicherheit verbindlich vorge- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- schrieben. wurfs auf Drucksache 18/4096 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Zweitens ist im Gesetzentwurf die Zusammenarbeit anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann der staatlichen Institutionen mit der Wirtschaft, mit den ist die Überweisung so beschlossen. betroffenen Branchen angelegt. Dies gilt sowohl für die Festlegung der Einzelsegmente der betroffenen Bran- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 c auf: chen als auch für die Definition der branchenweiten Standards. Damit werden die Erfahrung und das Wissen a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- aus der Wirtschaft genutzt. Der Staat alleine kann und gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- wird diese Herausforderung nicht in den Griff bekom- kung der Gesundheitsförderung und der Prä- men. Der Weg führt nur über die Zusammenarbeit von vention (Präventionsgesetz – PrävG) Staat und Wirtschaft. Dieser Denkansatz liegt diesem Drucksache 18/4282 Gesetzentwurf zugrunde und ist vollkommen richtig. Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Ausschuss für Gesundheit (f) Sportausschuss Burkhard Lischka [SPD]) Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drittens bleibt der Gesetzentwurf nicht bei der Defi- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO nition eines bestimmten Status quo stehen, sondern nimmt die Dynamik der Digitalisierung auf. Er etabliert b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgit einen fortlaufenden Informationsaustausch zwischen Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), Wirtschaft und Behörden und sorgt damit dafür, dass Er- Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter fahrungen und Erkenntnisse weitergegeben werden. Dies und der Fraktion DIE LINKE ist dringend geboten; denn sobald Verwundbarkeiten von Gesundheitsförderung und Prävention konse- IT-Strukturen bekannt sind, können diese branchenüber- (B) quent auf die Verminderung sozial bedingter (D) greifend genutzt werden. Im weltweiten Netz sind gesundheitlicher Ungleichheit ausrichten Lücken in kürzester Zeit gescannt. Umso wichtiger ist die Kommunikation und Zusammenarbeit untereinander. Drucksache 18/4322 Dabei ist es für die Wirtschaft absolut sinnvoll, dass die Überweisungsvorschlag: Meldungen in aller Regel anonym erfolgen können. Ich Ausschuss für Gesundheit denke, dass damit ein vernünftiger Ausgleich zwischen privatwirtschaftlichem Interesse und Schutzbedürftigkeit c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula der Allgemeinheit erreicht werden konnte. Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dieser Ausgleich, dieses Augenmaß ist auch im wei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN teren Verfahren notwendig, wenn definiert wird, welche Unternehmen von dem Gesetz konkret betroffen sind. Es Gesundheit für alle ermöglichen – Gerechtig- gilt aber auch, den administrativen und organisatori- keit und Teilhabe durch ein modernes Ge- schen Aufwand insgesamt möglichst gering zu halten, sundheitsförderungsgesetz indem zum Beispiel das Gesetz mit bereits existierenden Drucksache 18/4327 Anforderungen bestimmter Branchen synchronisiert Überweisungsvorschlag: wird. Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Arbeit und Soziales Vernetzung und Sicherheit sind zwei Seiten derselben Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Medaille. Die Chancen, die sich aus der Digitalisierung Ausschuss für Bildung, Forschung und gerade für die deutsche Wirtschaft bieten, sind überra- Technikfolgenabschätzung gend. Die Potenziale werden aber nur dann zu heben Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sein, wenn bei der Vernetzung auch den Risiken begeg- die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei- net wird. Bundesminister de Maizière hat einen Gesetz- nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Wenn entwurf vorgelegt, der einen wichtigen Beitrag dazu leis- die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen ten wird. Er schafft Bewusstsein und geht die haben, können wir mit der Debatte beginnen. Herausforderungen in einem kooperativen Ansatz zwi- schen Staat und Wirtschaft an. Der Entwurf des IT-Si- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort in der Debatte cherheitsgesetzes ist ein erster und ein sehr guter Schritt hat für die Bundesregierung der Bundesminister Gröhe. der Digitalen Agenda der Bundesregierung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Vielen Dank. neten der SPD) 9058 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

(A) Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit: uns ein Aufbruchsignal sein, die Impfquoten in Deutsch- (C) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- land wieder zu erhöhen, meine Damen, meine Herren. gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- mit einigen Schlagzeilen dieser Woche beginnen. Der neten der SPD) Spiegel eröffnet die Woche mit dem Demografietitel „Deutschland, deine Zukunft 2030“. Vorgestern veröf- Deshalb werden wir die Überprüfung und Beratung im fentlicht die DAK eine Studie über Stress und Doping Hinblick auf den Impfstatus, den eigenen und den der am Arbeitsplatz. Und wir stellen fest, dass in Deutsch- Kinder, zu einer wesentlichen Maßnahme dieses Geset- land seit dieser Woche 1 000 Menschen an Masern er- zes machen. Denn Schutzimpfungen gehören zu den krankt sind. Das alles sind Schlagzeilen dieser Woche, wirksamsten präventiven Maßnahmen gegen Infektions- alles Themen, die damit zu tun haben, was wir jetzt bera- krankheiten. ten, nämlich den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention, kurz: den Es besteht außerdem Handlungsbedarf im Bereich der Entwurf eines Präventionsgesetzes. Ich bin froh, dass Kleinkinderimpfungen, die eben, anders als vom Robert- wir nach einer Reihe von Anläufen in der Vergangenheit Koch-Institut empfohlen, häufig nicht bis zur Voll- jetzt darüber reden. Deshalb stehen wir jetzt an der Weg- endung des zweiten Lebensjahres erfolgen. Vor der erst- marke, um ein solches Gesetz gemeinsam zu erarbeiten maligen Aufnahme in eine Kita sollen Sorgeberechtigte und auf den Weg zu bringen. deshalb in Zukunft umfassend über den Impfstatus bera- ten werden. Dies stärkt Kinder und Eltern im Sinne einer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- guten Gesundheitsvorsorge. Ich sage sehr deutlich: Ich neten der SPD) bin dazu bereit, auch im Rahmen des anstehenden parla- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, in einer Gesell- mentarischen Verfahrens über die Frage zu diskutieren, schaft des längeren Lebens, die zugleich durch einen ob die hier vorgesehenen Schritte ausreichen oder wir Wandel der Lebensstile und der Arbeitswelt gekenn- weitere Schritte zur Durchimpfung unserer Bevölkerung zeichnet ist, sind gezielte Gesundheitsförderung und gehen müssen. Wir sind es unserer Bevölkerung, die wir Prävention von entscheidender Bedeutung. Sie tragen schützen wollen, schuldig, dies sachlich und vorbehalt- dazu bei, dass Krankheiten erst gar nicht entstehen oder los zu diskutieren. der Krankheitsverlauf positiv beeinflusst werden kann, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie dass Menschen gesund älter werden und die Lebensqua- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE lität steigt. Wir haben dank guter Lebens- und Arbeitsbe- GRÜNEN) dingungen, dank einer sehr guten gesundheitlichen Ver- (B) sorgung in diesem Land und dank des medizinisch- Prävention und Gesundheitsförderung tragen dazu (D) technischen Fortschritts heute gute Chancen, ein höheres bei, Wohlbefinden, Mobilität und Lebensqualität für Lebensalter zu erreichen als die Generationen vor uns. Menschen jeden Alters und aller sozialen Schichten zu 81 Jahre ist aktuell die durchschnittliche Lebenserwar- erhalten und zu verbessern. Sie dürfen sich also nicht nur tung in Deutschland, mit der guten Tendenz: weiter stei- an diejenigen richten, die bereits fit sind; alle müssen gend. Jeder von uns wünscht sich auch im hohen Le- mitgenommen werden. bensalter gute Gesundheit. Die erfreuliche Nachricht ist: Wir selbst können dazu beitragen, dass aus der Hoffnung (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. auf ein gesundes Leben auch Wirklichkeit werden kann. Helga Kühn-Mengel [SPD]) Damit bin ich bei den Vorteilen einer umfassenden Ich möchte das Thema Gesundheitsvorsorge wahrlich Gesundheitsförderung. Drei Punkte möchte ich benen- nicht primär unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten be- nen: Prävention unterstützt die Gesundheit, steigert die trachten. Aber in einer großen Volkswirtschaft wie der Lebensqualität und spart Gesundheitskosten. Es ist also unsrigen, die zudem unter einem wachsenden Fachkräf- eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. temangel leidet und in der länger und flexibler gearbeitet wird, ist auch unter ökonomischen Gesichtspunkten eine Nun kann man gesundheitsbewusste Lebensstile nicht Verstärkung der Anstrengungen zur Gesunderhaltung einfach anordnen, wie man vielleicht Alkoholgrenzen der Erwerbstätigen bis zum Erreichen des Rentenalters oder Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr gefragt. anordnen kann. Wir können aber einen Rahmen schaf- fen, der es den Menschen erleichtert, sich dieses Themas Die in dieser Woche präsentierte Studie der DAK hat anzunehmen, der sie motiviert, etwas für die eigene Ge- noch einmal unterstrichen, wie wichtig Gesundheit am sundheit zu tun. Genau diesen Weg schlagen wir mit Arbeitsplatz ist. Es ist weder im Interesse der Arbeitneh- dem Präventionsgesetz ein. mer noch im Interesse der Arbeitgeber noch im Interesse des Gesundheitswesens, dass sich die Belegschaft bis Prävention ist keine Frage des Alters. Sie beginnt im zum Äußersten dopt, um durchzuhalten oder neue wahrsten Sinne des Wortes in den Kinderschuhen und Höchstleistungen am Arbeitsplatz zu erbringen. Dies hat sollte auf dem ganzen Lebensweg ernst genommen und nur Verlierer zur Folge. Dem wollen wir entgegenwir- als Anliegen betrachtet werden. Ich erwähnte bereits ein- ken. gangs den aktuellen Masernausbruch. Von Windpocken und Grippewelle will ich in diesem Zusammenhang gar (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht sprechen. Allein dieser Masernausbruch muss für neten der SPD) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9059

Bundesminister Hermann Gröhe (A) Prävention ist gerade in einer alternden Gesellschaft Wir wollen es den kleinen und mittleren Betrieben (C) mit vielen Mehrfacherkrankungen oder chronischen Er- durch die Bündelung von Beratungstätigkeit, aber auch krankungen von besonderer Bedeutung; denn viele der durch die Zusammenarbeit mit Handwerks- sowie Indus- in diesem Zusammenhang zu nennenden Krankheiten trie- und Handelskammern erleichtern, dass betriebliche – Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressio- Gesundheitsförderung auch in kleinen und mittelständi- nen, Erkrankungen des Bewegungsapparats – hängen schen Betrieben zu einem wichtigen Merkmal der Ar- eben auch mit Fragen des Lebensstils, einer ausreichen- beitsplatzgestaltung wird. Dies dient dem Vermeiden den Bewegung, einer angemessenen, gesunden Ernäh- von Fehlzeiten und schafft attraktive Arbeitsplätze in rung zusammen. Deswegen ist es wichtig, hier die Wei- Zeiten von Fachkräftemangel. Deshalb soll dies weiter chen dafür zu stellen, dass Menschen ihnen rechtzeitig gefördert werden. entgegenwirken. Dabei führen wir nicht nur das zusammen, was die Wir wissen aus Erhebungen der Berliner Altersstudie, gesetzlichen Krankenversicherungen in diesem Bereich dass deutschlandweit ungefähr 46 Prozent der Menschen tun, sondern auch die Träger der gesetzlichen Rentenver- über 70 unter Bluthochdruck leiden. Wir wissen zu- sicherung sowie der gesetzlichen Unfallversicherung gleich, dass eine gesunde Ernährung und ausreichend werden einbezogen. Ebenso ist es uns wichtig, in der Bewegung dem entgegenwirken können. Umsetzung der nationalen Präventionsstrategie in eine Landesrahmenvereinbarung – Kernstück ist die Ermitt- Was bedeuten dieses klare Bekenntnis und der Aufruf lung regionaler Präventionsbedarfe und eine angemes- zu wirksamer Prävention, der sich an alle richtet, nun für sene Beantwortung – auch alle weiteren Akteure einzu- unseren Gesetzentwurf? Mit dem Gesetzentwurf sollen beziehen: Land, kommunale Spitzenverbände usw. Dem die Gesundheitsförderung und Prävention insbesondere guten Beispiel der UPD folgend, wollen wir in diesem in Lebenswelten wie Kita, Schule, Arbeitsplatz oder Zusammenhang einladen, und ich erwarte eine entspre- Pflegeheim gestärkt und durch gemeinsame Anstrengun- chende Bereitschaft zur Mitwirkung – auch der privaten gen aller Beteiligten gefördert werden. Da, wo Men- Kranken- und Pflegeversicherung. schen leben, lernen, arbeiten, sollen sie erreicht werden. Deswegen werden wir die Angebote in den Lebenswel- Mit dem Ihnen heute vorliegenden Präventionsgesetz ten stärken, indem das entsprechende finanzielle En- mit seinen vielfältigen Maßnahmen schaffen wir einen gagement der Krankenkassen deutlich erhöht wird. wichtigen Baustein, wenn es darum geht, die Gesund- heitschancen für alle Menschen in diesem Land zu erhö- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- hen. Deshalb freue ich mich auf die vor uns liegenden neten der SPD) parlamentarischen Beratungen. (B) Zudem erhalten erstmals die Pflegekassen einen aus- Herzlichen Dank. (D) drücklichen spezifischen Präventionsauftrag für die Be- reiche der stationären Altenpflege, die aber beispiels- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) weise auch Tagespflegeeinrichtungen umfassen. Über 500 Millionen Euro werden damit zukünftig aus den Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Krankenversicherungen und den Pflegekassen zur Verfü- Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Sabine gung stehen. Wir wollen, dass diese Aktivitäten besser Zimmermann von der Fraktion Die Linke das Wort. koordiniert werden, auch mit dem, was andere, bei- (Beifall bei der LINKEN) spielsweise die Kommunen, in diesen Bereichen tun, und wir wollen diese Maßnahmen weiter qualifizieren. Deshalb soll die Bundeszentrale für gesundheitliche Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Aufklärung die Krankenkassen mit der Entwicklung von Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und kassenübergreifenden Konzepten, gerade im Hinblick Kollegen! Jeder von Ihnen hier möchte, denke ich, ge- auf Chancengleichheit, Verfahren zur Qualitätssicherung sund durchs Leben kommen. Für uns alle mag das viel- sowie zur Evaluation, unterstützen. leicht weniger ein Problem sein; denn wir haben Einfluss auf unsere Lebensumstände und sind gesundheitlich gut Wir werden bei den Jugenduntersuchungen wie bei den versorgt. Vorsorgeuntersuchungen insgesamt den Präventions- aspekt verstärken, indem diese nicht allein krankheitsbe- Aber das gilt für viele Menschen in diesem Land zogen ausgerichtet sind, sondern auch risikobezogen und nicht. Dabei denke ich an meinen Kollegen aus Zwickau, daher rechtzeitig auf die Gefahren etwa durch Über- der Leiharbeitnehmer ist, drei Kinder hat, alleinerzie- gewicht, Bewegungsmangel, übermäßigen Alkoholkon- hend ist und drei Jobs braucht, um überleben zu können: sum, zu starken Stress und anderes eingegangen wird. Er arbeitet erstens im Schichtsystem bei einem Automo- bilzulieferer, dort fährt er Stapler. Zweitens hat er einen Ein besonderes Anliegen ist es mir, in der betriebli- Minijob in einem Einkaufszentrum, und drittens arbeitet chen Gesundheitsförderung deutlich voranzukommen er am Wochenende zusätzlich bei einem Fußballklub im und dabei auch die kleinen und mittelständischen Be- Securitybereich mit. Er hat deutlich schlechtere Lebens- triebe mitzunehmen. Wir wissen aus einer Fülle von Bei- bedingungen als alle hier in diesem Haus. Menschen, die spielen auch von dem betriebswirtschaftlichen Nutzen wenig verdienen, haben in jedem Lebensalter – von der kluger Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung, Kindheit bis zum Tod – ein doppelt so hohes Risiko, die den Arbeitsalltag, gerade auch in größeren Betrieben, ernsthaft krank oder zum Pflegefall zu werden oder vor- prägen. zeitig zu sterben, wie die Menschen, die gut verdienen. 9060 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) Die Linke sagt: Das ist ein Unding in so einem rei- (Beifall der Abg. [DIE (C) chen Land. LINKE]) (Beifall bei der LINKEN – Maria Klein- Es braucht für alle Menschen Rahmenbedingungen, und Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: diese Rahmenbedingungen müssen allen Menschen glei- Das sagen wir auch!) chermaßen ein gesundes Leben ermöglichen. Es kann doch nicht sein, dass sich arme Menschen einige (Beifall bei der LINKEN) Untersuchungen beim Arzt nicht leisten können, weil ih- nen das Geld fehlt. Schwere Erkrankungen zeigen sich Fakt ist: Die Menschen mit dem größten Risiko, zu in der Gruppe der Gutverdiener rund vier Jahre später. erkranken, behindert zu sein oder vorzeitig zu sterben, Wer arm ist, stirbt früher, und schon zu Lebzeiten wirkt sind zugleich die mit dem geringsten Einkommen, dem sich Armut negativ auf Gesundheit und Lebensqualität geringsten Bildungsstand, der schwächsten sozialen Un- aus. terstützung und mit dem geringsten politischen Einfluss. Hier muss die Politik ansetzen: Arbeitslosigkeit bekämp- Die Schere zwischen Arm und Reich ist nach zehn fen, Rahmenbedingungen für gute Arbeit schaffen, Bil- Jahren Hartz IV und Sozialstaatsabbau deutlich ausei- dungschancen eröffnen und Ausgrenzungen beenden. nandergegangen. Dass Sie dabei zusehen und das noch gutheißen können, liebe Genossinnen und Genossen der (Beifall bei der LINKEN) SPD, ist unerträglich. Aber Ihre bisherige Politik setzt den unsozialen Weg der (Beifall bei der LINKEN) Vorgängerregierungen weiter fort, und der ist für viele Menschen in unserem Land eine Sackgasse und führt Sie haben keine Antworten auf dieses sozialpolitische aufs gesellschaftliche Abstellgleis. Aber was ist auch an- Problem. Mich wundert schon, wie man die Augen so deres von einer Regierung zu erwarten, in der der klei- vor der Realität verschließen kann. nere Partner, die SPD, die Agenda-2010-Politik und die Der Entwurf der Bundesregierung zum Präventions- Hartz-Reformen als Grundstein für ein vermeintliches gesetz bleibt weit hinter den internationalen Standards Jobwunder feiert und der größere Partner, die Union, zurück. Der UN-Sozialpakt von 1973, den die Bundesre- Europa seit Jahren mit Spardiktaten malträtiert. publik ratifiziert hat, schreibt das Recht eines jeden In Griechenland erleben wir, was Ihre Sparpolitik an- Menschen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit gerichtet hat. Sehr viele Menschen haben keine Kran- fest. Gesundheit meint dabei das vollständige geistige, kenversicherung mehr, damit keinen Zugang zur Kran- soziale und körperliche Wohlergehen der Menschen. Um kenversorgung, Operationen gibt es nur mit Vorkasse, (B) dieses Ziel zu erreichen, muss die wirksame Verringe- Frauen finden keinen Platz mehr für eine sichere Geburt, (D) rung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit in den Mittelpunkt gerückt werden. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen zur Sache!) (Beifall bei der LINKEN) weil sie die Kosten der Entbindung selbst tragen müssen, Schon Heinrich Zille hat gesagt: die Zahl der Totgeburten ist um ein Viertel angestiegen, Man kann einen Menschen mit einer Axt erschla- und es gibt keine Versorgung mehr mit wichtigen Krebs- gen, man kann ihn aber auch mit einer Wohnung er- medikamenten. Was können wir da wohl anderes erwar- schlagen. ten? Soll heißen: Wohnbedingungen, das gesellschaftliche Spätestens bei diesen drastischen Beispielen, meine Umfeld, aber auch die Arbeitsbedingungen bestimmen Damen und Herren der Regierungsfraktionen, müssten entscheidend, ob Menschen gesund bleiben oder nicht. Sie eigentlich vor Scham rot anlaufen. Was heißt das nun? Ich sage, dass Menschen nur gesund (Dr. [SPD]: Lächerlich!) leben können, wenn bestehende sozial-, geschlechts-, behinderungs- und migrationsbedingte Unterschiede ab- Es gibt eine Lösung, und die heißt: Die Schere zwischen gebaut werden. Arm und Reich muss endlich geschlossen werden. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Die Linke ist fest davon überzeugt, dass Gesundheits- Die Umverteilung von oben nach unten – Herr versorgung und Prävention als gesamtgesellschaftliche Lauterbach, das sagen Sie auch – muss ganz oben auf Aufgabe verstanden werden müssen. der Tagesordnung stehen. Nur so können wir etwas in Deutschland verändern. (Beifall bei der LINKEN – [CDU/ CSU]: Geht es mal konkret zur Abwechs- Danke schön. lung?) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl Daher helfen zum Beispiel Ihre Kampagnen zum indivi- Lauterbach [SPD]: Genau! Mindestlohn! – duellen Gesundheitsverhalten, Herr Spahn, überhaupt Jens Spahn [CDU/CSU]: Es lebe der Sozialis- nicht. Gesunde Lebensbedingungen müssen in allen Be- mus! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: reichen – Betrieb, Stadtteil, Schule, Wohnen oder wo Mindestlohn ist ein Anfang, aber nicht die Lö- auch immer – geschaffen werden. sung!) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9061

(A) Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: Niedriglohnbereich haben, die nicht von den Arbeits- (C) Als nächste Rednerin hat die Kollegin Helga Kühn- marktreformen, die Sie immer so hochhalten, profitie- Mengel von der SPD-Fraktion das Wort. ren? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) der CDU/CSU) Helga Kühn-Mengel (SPD): Helga Kühn-Mengel (SPD): Frau Kollegin, ich bin der Meinung, dass der Min- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- destlohn ein Einstieg in eine Verbesserung der Lebens- legen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Frau Kolle- situation von Menschen ist. Ich bin der Meinung, dass gin Zimmermann, Sie hätten erwähnen müssen, dass die knapp 4 Millionen Menschen fast eine Verdoppelung des Senkung der Arbeitslosigkeit und der Mindestlohn, der Einkommens erleben. Ich bin der Meinung, dass wir auf den Status von wenigstens 3,7 Millionen Menschen ver- diesem Felde weiterarbeiten müssen. Aber es hat grö- bessert hat, ganz wesentliche Beiträge zur Gesundheits- ßere Erfolge gegeben – die man auch benennen muss –, förderung und zur Prävention sind, die die Lebenssituation der Menschen deutlich verbes- sern. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE nicht nur wegen der verbesserten Einnahmesituation der GRÜNEN) Menschen, sondern auch, weil Arbeit Teilhabe ist. Das ist nämlich auch ein gesundheitsfördernder Aspekt. Es ist richtig: Prävention und Gesundheitsförderung – der Herr Minister hat es bereits gesagt – sind eine Ant- Mit Blick auf die Gruppen, die Sie angesprochen ha- wort auf den demografischen Wandel, auf längere Le- ben, ist viel getan worden, nicht nur durch erhebliche bensarbeitszeiten, auf veränderte Arbeitsbedingungen, Anstrengungen im Bildungsbereich, durch die Versteti- auf die Zunahme chronischer Erkrankungen und auf un- gung der Frühen Hilfen und deren Ausbau, sondern auch gleiche Gesundheitschancen. in der Arbeitsmarktpolitik; den Mindestlohn habe ich be- reits erwähnt. Umgekehrt können wir sagen: Wirkungsvolle Präven- tion und Gesundheitsförderung sind geeignet, Lebens- Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn: qualität zu erhöhen, die Lebenserwartung zu steigern, Frau Kühn-Mengel, lassen Sie eine Zwischenfrage die Zahl der gesunden Jahre zu vermehren und auch von Frau Zimmermann zu? volkswirtschaftlichen Schaden zu verringern. Denken (B) Sie allein an die große Zahl der Menschen, die durch (D) psychische Erkrankungen erwerbsunfähig werden. Helga Kühn-Mengel (SPD): Bitte, Frau Zimmermann. Um zu sehen, wo wir stehen, ist es manchmal wichtig, auch einen Blick zurück zu werfen. Seit 1989 gibt es den (Jens Spahn [CDU/CSU]: Die hat doch gerade Präventionsparagrafen im SGB V. Der Gesetzgeber hat geredet! – Gegenruf des Abg. Matthias W. damals die Krankenkassen mit der Möglichkeit ausge- Birkwald [DIE LINKE]: Darum geht es doch stattet, Angebote für die primäre Prävention zu machen, nicht! – Weiterer Gegenruf des Abg. Harald im Übrigen ohne nähere Begründungen und Aufträge Weinberg [DIE LINKE]: Sie hat trotzdem das und auch ohne Deckelung. Einige große Krankenkassen, parlamentarische Recht!) zum Beispiel die AOK Nordrhein, die AOK Niedersach- sen und einige Betriebskrankenkassen, haben damals be- Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): gonnen, betriebliche Gesundheitsförderung zu etablie- Vielen Dank, liebe Kollegin Kühn-Mengel, dass Sie ren, und damit gezeigt, dass auch große Tanker, die oft die Frage zulassen. – Sind Sie meiner Meinung, dass der als schwerfällig eingestuft werden, innovativ sein kön- Mindestlohn von 8,50 Euro nicht aus der Bedürftigkeit nen. herausführt, dass wir 10,36 Euro bräuchten? Das alles hatte mit einer Enquete-Kommission, die es (Jens Spahn [CDU/CSU]: 12! 12!) damals zur Strukturreform der gesetzlichen Krankenver- sicherung gab, zu tun. In diese Kommission hatte übri- – Eigentlich 12 Euro, richtig; es kommt darauf an, wel- gens Minister Blüm einen in seinen Augen hoffnungs- ches statistische Amt Sie befragen. vollen Menschen geschickt, der Horst Seehofer hieß und (Jens Spahn [CDU/CSU]: 15! 15!) der 1996 als Gesundheitsminister nichts Besseres zu tun hatte, als diese Möglichkeiten der Primärprävention wie- Auf jeden Fall liegt die Niedriglohnschwelle bei der abzuschaffen. 10,36 Euro. Das heißt, Sie müssten Ihr Leben lang 10,36 Euro pro Stunde verdienen, damit Sie später nicht Rot-Grün hat das 1999 dann korrigiert und die Prä- in Altersarmut kommen. vention mit einem wichtigen Zusatzauftrag versehen, dass sie nämlich ungleiche Gesundheitschancen verrin- Meine zweite Frage ist: Sind Sie auch meiner Mei- gern soll. nung, dass die Arbeit anders verteilt worden ist, dass wir Millionen von Minijobs haben, dass wir Millionen Men- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE schen in Teilzeit haben, dass wir Millionen Menschen im GRÜNEN]: Das war genau richtig!) 9062 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Helga Kühn-Mengel (A) Danach gab es noch eine Reihe von Anläufen zu einem Warum gibt es im Setting, in der Lebenswelt, nicht (C) Präventionsgesetz, und zwar 2005, 2007 und 2011. Jetzt endlich auch betriebliche Gesundheitsförderung in haben wir einen Gesetzentwurf, der es schaffen wird. Werkstätten für Menschen mit Behinderung? Das ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten missen wir. der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche GRÜNEN) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Warum kommen wir immer auf die ungleichen Ge- Warum keine Präventionsangebote für Ältere in der sundheitschancen zu sprechen? In den reichen Ländern Pflege? Wir wissen, dass es auch hier Potenziale gibt, ergeben sich etwa drei Viertel der Krankheitslast aus ei- die – im wahrsten und im übertragenen Sinne des Wor- ner bestimmten Gruppe von Erkrankungen. Das sind – sie sind bereits genannt worden – die Herz-Kreislauf- tes – zu mobilisieren sind. Warum greifen wir nicht ein Erkrankungen, die muskuloskelettalen Erkrankungen, gutes Beispiel, das es in Berlin gibt, auf, dass nämlich der Krebs und – mit der größten Steigerung – die psychi- ein Sozialarbeiter der Kommune in die kinder- und ju- schen Erkrankungen. Aber diese Erkrankungen – das ha- gendärztlichen Praxen kommt – der Kinderarzt hat ja ben die Sachverständigen immer gesagt, damals auch demnächst die besondere Aufgabe, auch Präventionsan- der Sachverständige Lauterbach – sind einer primären gebote und Empfehlungen auszusprechen – und dann die Prävention besonders zugänglich. Von daher ist es ganz Angebote, die es in der Region gibt, aufgreift, vermittelt wichtig, dass wir auf diesem Gebiet große Anstrengun- und dabei mit für den Zugang sorgt? gen unternehmen. Hinzu kommt: Die unteren sozialen Idealerweise könnte, so meinen wir, ein kommunaler Schichten sind hier überrepräsentiert. Diese erreichen Präventionsrat der Frage nachgehen: Welche Bedarfe wir nicht mit Broschüren, Flyern und Vorträgen, sondern gibt es in der Region und im Quartier? nur da – das gilt für die Erwachsenen und für die Kin- der –, wo sie leben, arbeiten, gemeinsam lernen und (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE spielen: im Setting, in der Lebenswelt. GRÜNEN]: Ja, die Gesundheitskonferenzen (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem zum Beispiel!) BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Alle Betroffenen, alle Akteure sollten mitmachen und geordneten der CDU/CSU) mitgestalten. Ich sage es noch einmal: Teilhabe und Par- Genau da setzt das Gesetz an. Die Leistungen zur Ver- tizipation – das gilt gerade für benachteiligte Gruppen – hinderung und Verminderung von Krankheitsrisiken und haben per se einen gesundheitsfördernden Effekt. Inso- die Förderung der gesundheitlichen Kompetenz werden fern ist die Einbeziehung der Menschen ganz wichtig. (B) zu Pflichtleistungen der Krankenkassen. Die Lebenswel- (D) ten werden gestärkt. Ab 2016 stehen für jeden Versicher- Wir fangen ja nicht bei null an. Es gibt schon gute Ar- ten 7 Euro zur Verfügung, mindestens 2 Euro für die be- beitsansätze. Wir haben eine gemeinsam erarbeitete Ar- triebliche Gesundheitsförderung, mindestens 2 Euro für beitsschutzstrategie. Wir haben eine betriebliche Gesund- die anderen Lebenswelten. Insofern kann dort, wo die heitsförderung, die über gute Daten verfügt, die auch Menschen leben, ein Angebot gemacht und verstetigt deutlich machen, dass sich gesundheitsfördernde Ange- werden. bote rechnen. Nacharbeiten müssen wir bei den kleinen und mittleren Unternehmen; das ist ganz klar. Die Kommune ist der Ort des Präventionsgeschehens. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Und wir haben die Angebote der gesetzlichen Kran- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- kenversicherung im Setting schon seit einer Reihe von NEN) Jahren, qualitätsgestützte Angebote für Kinder in Kin- dertagestätten und Schulen – es geht um Bewegung, Er- Dazu gehört auch das Quartier. Das müssen wir im Ge- nährung, Stressbewältigung –, also vieles, worauf wir setzentwurf, Herr Minister, unbedingt noch nachtragen. aufsetzen können. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Übrigens: In den Kindergärten werden dann auch die GRÜNEN]: Oh! – Kordula Schulz-Asche privat versicherten Kinder mit durchgezogen; die PKV [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird im engagiert sich ja an dieser Stelle nicht, vielleicht noch Bundesrat dann aber leider zustimmungs- nicht. Das ist ein Angebot für alle Kinder, da wird nicht pflichtig werden!) gefragt: Wie bist du versichert? Das Quartier umfasst Kindergärten, Schulen, Betriebe, Wohnheime, Werkstätten für Menschen mit Behinde- Was wir uns wünschen, ist Prävention und Gesund- rung, heitsförderung, die auch mit Qualität versehen sind. Da sieht das Gesetz Modellprojekte vor. Das ist auch ganz (Beifall des Abg. [DIE wichtig. Wir haben natürlich unter Freunden auch die LINKE]) Kritik gehört, dass es falsch ist, die wichtige und gute Seniorenzentren, die ambulante und die stationäre Arbeit der BZgA aus Beitragsgeldern zu finanzieren. Pflege, das Ehrenamt, die Selbsthilfe und einen hoffent- Hier müssen zur Finanzierung auch Steuermittel heran- lich starken öffentlichen Gesundheitsdienst, den wir in gezogen werden; das halten wir für wichtig. diesen Zeiten ganz besonders brauchen. (Beifall des Abg. Harald Weinberg [DIE (Beifall bei Abgeordneten der SPD) LINKE]) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9063

Helga Kühn-Mengel (A) Wir würden den Betrag anheben, der jetzt in die Le- allen existierenden Präventionsangeboten nicht erreicht. (C) benswelten geht, aber das abhängig machen von den Er- Sie werden nicht erreicht durch eine gute Betreuung in gebnissen des Präventionsberichtes. Wir wünschen uns der Kita. Sie werden nicht erreicht von Vorsorgeuntersu- auch eine Verbindung zu den großen Programmen, die es chungen. Sie werden zum Beispiel auch im Bereich der noch gibt, etwa „Soziale Stadt“ im Kernbereich der Kariesprophylaxe nicht erreicht. Es sind immer die glei- Menschen; auch das muss Erwähnung finden. chen Kinder, die von diesen Präventionsmaßnahmen nicht erreicht werden. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Maria Der bedenkliche Anstieg der Zahl derer, die von zum Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Teil extremem Übergewicht und Diabeteserkrankungen NEN]: Warum steht es nicht drin im Gesetz?) im Kindesalter betroffen sind, ist ein Zeichen von unzu- reichendem Zugang zu gesunder Ernährung. Hinzu kom- Schließlich wünschen wir uns eine Förderung der Selbst- men schlechte Wohnverhältnisse, Umweltbelastungen hilfe; die ist im Präventionsgeschehen ganz wichtig. wie Lärm und Luftverschmutzung. Die Freizeitangebote Vielen Dank. sind gering, wenn man sich nicht einmal die Mitglied- schaft in einem Verein leisten kann. So zieht sich ein di- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rekter Zusammenhang von Armut und Krankheit durch der CDU/CSU) das ganze Leben hindurch bis zum Tod.

Vizepräsident : In Deutschland sterben ärmere Männer fast elf Jahre Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- früher als wohlhabende, und bei den Frauen beträgt der ordneten Kordula Schulz-Asche, Fraktion Bündnis 90/ Unterschied fast achteinhalb Jahre. Die Grünen. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da muss die CDU mal zuhören! Die hat das im Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Plenum noch kürzlich geleugnet!) NEN): Auch in Deutschland gilt: Wer weniger hat, stirbt früher. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Darf das in Deutschland, einem der reichsten Länder der Bürgerinnen und Bürger! Liebe Frau Kühn-Mengel, ich Welt, im 21. Jahrhundert sein? möchte Ihnen an dieser Stelle bereits sagen, dass Sie für viele der Vorschläge, die Sie hier gerade gemacht haben, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf unsere volle Unterstützung zählen können. und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜND- (B) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten NIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Matthias W. (D) der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE Birkwald [DIE LINKE]: Nein!) GRÜNEN) Meine Damen und Herren von der Großen Koalition, Das ist genau der Ansatz von Gesundheitsförderung und daher finde ich die Frage berechtigt, ob Ihr Entwurf ei- Prävention, den wir für längst überfällig halten. nes Präventionsgesetzes, den Sie hier vorlegen, ein gro- Ich kann Ihnen auch sagen, warum. Ich möchte meine ßer Wurf ist. Ich sage: Nein. Denn Sozialprosa allein Rede damit beginnen, dass ich eine Schülerin einer För- reicht nicht aus. Wir müssen auch an die Umsetzung ge- derschule zitiere. Sie hat gesagt: Wir haben keine hen. Hier bleiben Sie leider bei dem schwarz-gelben Chance, und wir kriegen auch keine. – Meine Damen Vorgängermodell. und Herren, das ist die Realität: 10 bis 15 Prozent der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kinder und Jugendlichen in Deutschland befinden sich, und bei der LINKEN) wie die Langzeitstudie des renommierten Robert-Koch- Instituts darstellt, in keinem guten gesundheitlichen Zu- Unsere Umwelt, unser Alltag – das ist unserer Ge- stand. sundheit Schmied. Dies hat diese Bundesregierung noch nicht verstanden. Wenn wir die Gesundheit aller dauer- In dieser Woche wurde eine Studie der Bertelsmann haft fördern wollen, müssen wir in langfristige Maßnah- Stiftung zum Einfluss von Armut auf die Entwicklung men an den Orten investieren, an denen die Menschen von Kindern vorgestellt. Da konnten Sie zur Kenntnis ihr Leben, ihren Alltag verbringen: in der Kindertages- nehmen, dass in Deutschland jedes sechste Kind in Ar- stätte, in der Schule, im Betrieb, in Krankenhäusern, in mut lebt, davon die Hälfte dauerhaft, also nicht nur für Heimen und vor allem auch im Stadtteil, wo sie wohnen. kurze Zeit. Arme Kinder wachsen in der Regel ohne Va- ter oder mit Eltern auf, die nur geringe schulische und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) berufliche Abschlüsse haben. Diese Kinder – das zeigt Das sind die Orte, an denen Gesundheitsförderung er- die Bertelsmann-Studie – haben bei allen schulrelevan- lernt, gemeinsam organisiert und vor allem auch tatsäch- ten Entwicklungsmerkmalen Defizite, und das meistens lich gelebt werden kann. Ziel muss es sein, jede Einzelne schon im zweiten oder dritten Lebensjahr, also wenn sie und jeden Einzelnen zu stärken, Gesundheitsrisiken zu noch sehr klein sind. Sie haben Probleme bei der Moto- reduzieren und damit am Ende auch Krankheiten zu ver- rik, sie haben Probleme beim Gleichgewicht, bei der meiden. Konzentration, beim Sprechen und beim Verstehen. Und, meine Damen und Herren, auch das stellt die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bertelsmann-Studie fest: Diese Kinder werden von fast sowie bei Abgeordneten der LINKEN) 9064 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Kordula Schulz-Asche (A) Wir müssen endlich umdenken! Die Aufklärung über Krankenkasse, auch keine Politikerin und kein Politiker (C) gesunde Ernährung und gesundes Leben führt häufig weiß, wie in einer Kita, in einer Schule, in einem Betrieb nicht zu einer Verbesserung. Oft scheitert es an der Um- und in einem Stadtteil Gesundheitsförderung am besten setzung, an der Realität: an Billigpamps, an zu hohen gestaltet und gelebt werden kann. Das wissen die Men- Kosten für gesundes Essen in der Kita, in der Schule und schen vor Ort am besten; denn sie sind die Experten ih- im Betrieb, an mangelnden Sportmöglichkeiten oder an res Stadtteils und ihres Alltags. Deshalb ist uns die Be- einer miesen Arbeitskultur in Unternehmen mit hoher teiligung aller an diesem Prozess so wichtig. psychischer Belastung. In den Kommunen laufen diese Fäden zusammen, Bei älteren Menschen führen Einsamkeit und das und die Konzepte werden dort gemeinsam mit den Men- Wohnen in einem Umfeld voller Barrieren zu Pflegebe- schen entwickelt. Auch das fehlt im Gesetzentwurf der dürftigkeit. Lassen Sie mich dies sagen: Nicht erst im Großen Koalition bisher leider völlig. Pflegeheim müssen wir mit Gesundheitsförderung und (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Prävention beginnen, sondern schon im Stadtteil, wo die GRÜNEN]: Und das ist ein wesentliches Menschen leben; denn hier kann man ansetzen und Pfle- Merkmal!) gebedürftigkeit tatsächlich vermeiden. Deswegen ist die Arbeit im Stadtteil von besonderer Bedeutung. Individuelle, zeitlich begrenzte Kursangebote führen nicht zu besserer Gesundheit; das ist bewiesen. Auf (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diese wird in Ihrem Gesetzentwurf aber weiter geschwo- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ren. Nicht das Werben der Krankenkassen um Versi- Meine Damen und Herren, wir müssen umdenken! cherte aus der Mittelschicht kann das Leitbild von Prä- Wir setzen bei der Gesundheitsförderung auf Chancen- vention sein, sondern das Wissen und die Kompetenz für gerechtigkeit, auf einen konkreten Bezug zu den Alltags- alle, gesund zu leben, und vor allem die Möglichkeit, das welten der Menschen, auf die Beteiligung aller, auf auch zu tun, wenn man möchte. Langfristigkeit statt der heute vorherrschenden Projekti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN tis sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Das gilt auch für die Schülerin, die ich eingangs zi- GRÜNEN]: Genau! Ganz wichtig!) tiert habe. Wir sind davon leider in Deutschland noch und auf die Einbeziehung wesentlicher Akteure und vor sehr weit entfernt. Daran ändert auch der vorgelegte Ent- allem auch der Bürgerinnen und Bürger vor Ort. wurf eines Präventionsgesetzes der Bundesregierung bisher leider nichts. Der Bundesrat hingegen – das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) möchte ich ausdrücklich loben – hat eine ganze Reihe (D) Wir wollen das in den Kitas, wir wollen das in den Schu- wichtiger Hinweise gegeben und hätte sicher auch noch len, wir wollen das in den Betrieben – nicht nur in den mehr zu sagen, vor allem wenn es um die Beteiligung großen, wofür es schon gute Beispiele gibt, sondern auch der Kommunen geht. Von daher bin ich auch nach der in den kleinen –, und wir wollen das besonders im Stadt- Rede von Frau Kühn-Mengel auf die weiteren Beratun- teil. Wir wollen kein naturwissenschaftlich-medizini- gen dieses Gesetzentwurfs gespannt. sches Konzept, sondern wir brauchen ein breites sozial- Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. politisches Projekt für mehr Gerechtigkeit und mehr Gesundheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Vizepräsident Peter Hintze: Dafür setzen wir auf eine breite Finanzierung, an der Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- sich alle Sozialversicherungsträger, natürlich die gesetzli- ordneten Rudolf Henke, CDU/CSU-Fraktion. chen und die privaten Kranken- und Pflegeversicherungen, zu beteiligen haben, aber auch die Rentenversicherung, die (Beifall bei der CDU/CSU) Unfallversicherung und die Berufsgenossenschaften. Alle haben ein Interesse daran, dass ihre Mitglieder nicht Rudolf Henke (CDU/CSU): erkranken, Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wenn man über (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Prävention spricht, muss man das nicht mit einer Lei- GRÜNEN]: Auch die Arbeitsagenturen!) chenbittermiene tun und natürlich gehören auch der Bund, die Länder und die (Beifall bei der CDU/CSU) Kommunen dazu. und darf dabei nicht den Eindruck erwecken, als sei das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine traurige Angelegenheit. Vielmehr sollte man zu- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) nächst einmal sagen, dass man sich richtig darüber Frau Kühn-Mengel hat die Bedeutung der Kommu- freuen kann, welche großen Möglichkeiten die Medizin, nen zu Recht hervorgehoben; denn die Kommunen und die Sozialwissenschaften und der Wandel hin zu einer die Kreise sind der Dreh- und Angelpunkt gelingender auf Beteiligung gerichteten Demokratie mit viel Freiheit Gesundheitsförderung. Keine Ärztin, kein Arzt, keine und mit vielen Einflussmöglichkeiten geschaffen haben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9065

Rudolf Henke (A) Auf dem Gebiet der früheren DDR hat sich durch die oder misslingt, sondern es ist eine Frage aller Felder der (C) friedliche Revolution und ihre Folgen die Lebenserwar- Politik. tung um acht Jahre erhöht. Das war durch Politik be- Ich habe hier schon gesagt, dass wahrscheinlich auch wirkte Prävention. die Vermeidung einer inadäquaten Energieproduktion (Beifall bei der CDU/CSU) und die Vermeidung von Risiken durch Atomstrom Prä- vention ist. Das ist das größte gesundheitliche Präventi- Natürlich haben sich auch dadurch, dass es gelungen ist, onsprojekt, Menschen aus der Arbeitslosigkeit und aus der beklagten und bei viel zu vielen immer noch anzutreffenden Armut (Beifall bei der LINKEN) herauszuholen, die gesundheitlichen Chancen verbes- das wir jemals gestemmt haben und in dessen Umset- sert. Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik bedeutet, dass zung wir uns befinden. sich als Nebeneffekt auch die gesundheitliche Situation der Menschen verbessert. Darüber darf man sich auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mal freuen, finde ich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt gibt es die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Frage: Reichen die in diesem Gesetzentwurf vorgesehe- neten der SPD) nen Mittel? Sie alle haben schon recht, wenn Sie sagen: „Vorbeu- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE gen ist besser als heilen!“ Dieses Zitat stammt von dem GRÜNEN]: Das ist eine Inhaltsvermeidungs- Arzt, der Goethe, Schiller und Herder behandelt hat, rede!) Christoph Wilhelm Hufeland. Man kann lange darüber philosophieren, ob die Mittel (Helga Kühn-Mengel [SPD]: Die sind alle tot! – reichen. Wir verdoppeln die Mittel. Wir verpflichten die Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Krankenkassen, in Zukunft mehr auszugeben. Wir ver- pflichten die Pflegekassen zum ersten Mal überhaupt, ei- – Ja, sie sind alle tot, Frau Kühn-Mengel. Am Ende sind gene Mittel einzusetzen, um bei den von ihnen Versi- auch wir alle tot. cherten Prävention zu fördern. Das ist alles gut. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir wollen Wahr ist aber auch – das muss man ehrlicherweise sa- alle in den Himmel, nur nicht sofort!) gen –: Der Gesamtbetrag von etwas mehr als 500 Millio- Das ist auch eines der Probleme: Wir sollten nicht der Il- nen Euro, der dadurch zustande kommt, entspricht unge- lusion unterliegen, als könnten wir mit Prävention der fähr den Ausgaben, die an einem einzigen Tag in Sterblichkeit entgehen. Wir haben leider – Frau Kühn- Deutschland für Behandlungen anfallen. An jedem Tag, (B) (D) Mengel, das ist wichtig – ein Verständnis von Gesund- den Gott geschaffen hat, geben die Krankenkassen heit, das gewissermaßen mit der Assoziation des ewigen 500 Millionen Euro für Behandlungen aus. Lebens verbunden ist. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Wir müssen bei der Prävention achtgeben, so glaube GRÜNEN]: Da haben Sie jetzt mal recht!) ich jedenfalls, dass wir nicht diejenigen diskriminieren, Insofern ist das nur ein Schritt auf einem Weg. die unter einer Behinderung leiden, krank werden oder Leistungseinschränkungen durch das Alter erleben. Wir (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE müssen achtgeben, dass unser Bemühen um Prävention GRÜNEN]: Dafür haben Sie jetzt zehn Jahre nicht in eine Art von Gesundheitswahn umschlägt, weil gebraucht!) die Sterblichkeit uns Menschen weiterhin miteinander Er ist aber bei weitem nicht der einzige Schritt. Ich verbinden wird. Wir werden auch bei einer erfolgreichen nenne nur das Krebsfrüherkennungs- und -registerge- Prävention Sterbliche bleiben. setz. Wir haben auch in früheren Zeiten im Bereich Prä- (Beifall bei der CDU/CSU) vention Schritte unternommen, die sehr wirksam sind. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einmal Egal wie man über einzelne Aspekte diskutiert: Wir als Beispiel für soziale Intervention Rudolf Virchow haben bei der Darmkrebsprophylaxe Riesenerfolge er- nennen. Rudolf Virchow hat hier in Berlin gewirkt. Von zielt. Wir haben einen Riesenerfolg mit dem Hörscree- ihm stammt der Satz: ning bei den ganz kleinen Kindern. Früher musste man bis zum zweiten Lebensjahr warten, bis man Hörstörun- Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und die gen feststellen konnte. Heute sind schon in den ersten Politik ist weiter nichts als Medizin im Großen. drei Monaten Interventionen möglich. Dieser Rudolf Virchow, der an der Charité über Jahr- Wir haben einen Riesenerfolg beim Screening von zehnte hinweg einen Lehrstuhl für Pathologie gehabt Schwangeren auf Diabetes. Heute tritt der Schwanger- hat, hat hier in Berlin die Kanalisation eingeführt. Er hat schaftsdiabetes nicht mehr als plötzliches Unglück auf, hier in Berlin Schlachthöfe eingeführt. sondern man kann ihn früh erkennen und etwas dagegen (Beifall des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) tun. Er hat zum Schutz armer Menschen die Infektionskrank- Es gibt eine ganze Reihe von Beispielen dafür, dass heiten bekämpft. Deswegen stimmt es: Es ist nicht eine auch ärztliche Primärberatung beispielsweise zu Nikotin Leistung allein der Medizin, wenn Prävention gelingt und Alkohol schon in kurzer Zeit Wirkungen erzielt und 9066 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Rudolf Henke (A) dass durch Bewegungsaktivierung viel erreicht wird. dorthin, wo ebenfalls ein Interesse daran besteht, dass (C) Aber es ist auch richtig, dass weder die Individualmedi- die Fachkräfte, auf die man angewiesen ist, möglichst zin noch eine über Kurse der Krankenkassen vermittelte lange gesund bleiben, dann haben wir dort eine exzel- Medizin alleine reichen. Vielmehr besteht die Herausfor- lente Chance. Die Bedingungen dafür, dass das gelingt, derung für uns darin, die Gestaltung der Gesellschaft als werden durch das Präventionsgesetz erheblich verbes- Ganzes im Blick zu behalten. sert. Deswegen ist es richtig, von dem eingesetzten Geld Das ist nicht der einzige Schritt. Es muss ein Be- 2 Euro pro Tag in die betriebliche Gesundheitsförderung wusstsein für die verschiedenen Möglichkeiten geschaf- zu investieren, weil wir damit ein Gesamtkonzept schaf- fen werden. Ich glaube, damit habe ich Ihre Frage zutref- fen, mit dem wir die Menschen in den Betrieben, an ih- fend und gut beantwortet. ren Arbeitsplätzen, ansprechen können. Das ist enorm wichtig, weil wir damit die Leistungen von Betriebsärz- (Beifall bei der CDU/CSU) ten, arbeitsmedizinischen Diensten, verantwortlichen Ich möchte gerne auf einen weiteren Punkt zu spre- Unternehmen, den dort tätigen betrieblichen Interessen- chen kommen. Es wurde kritisiert, dass der ärztlichen vertretungen und den Gewerkschaften zusammenbrin- Präventionsempfehlung zu viel Bedeutung beigemessen gen können. Mit der Arbeitsschutzkonzeption, dem Tä- wird. Es gibt Kritiker, die fragen: Welche Rolle spielen tigwerden der arbeitsmedizinischen Dienste in den die Medizin und insbesondere der ärztliche Beruf im Zu- Betrieben und der Beratung der Versicherten in den Be- sammenhang mit der Prävention? Nehmen wir als Bei- trieben können wir ein Gesamtgefüge erreichen, das spiel die Förderung unseres Bewegungsverhaltens. Es dazu beiträgt, dass der Betrieb ein Ort wird, in dem Ge- gibt Metaanalysen, die zeigen, dass sich bereits bei einer sundheitsförderung vorangebracht wird. moderaten, regelmäßigen Bewegung eine Senkung der Ich glaube, darauf hat die Arbeitnehmerschaft in Sterblichkeit um 20 bis 34 Prozent erreichen lässt. Selbst Deutschland lange gewartet. Dass das jetzt endlich in bei leichter Aktivität von 15 Minuten am Tag lässt sich diesem Umfang in Gang kommt, ist ein großer Schritt das Sterberisiko um etwa 14 Prozent reduzieren. Wir nach vorne. Das ist sehr zu begrüßen. wissen aus Studien, dass eine ärztliche Beratung, selbst wenn sie nur kurze Zeit dauert, sowohl beim Ernäh- (Beifall bei der CDU/CSU) rungsverhalten als auch beim Genussmittelkonsum – ob nun Nikotin oder Alkohol – und auch beim Bewegungs- Vizepräsident Peter Hintze: verhalten nachhaltige Veränderungen auslösen kann. Herr Abgeordneter, die Kollegin Schulz-Asche hat Wir können Menschen – genauso wie 90 bis 95 Pro- den Wunsch zu einer Zwischenfrage. Wollen Sie sie zu- (B) zent der gesamten Bevölkerung –, die keine Präventions- (D) lassen? kurse besuchen und keinen Zugang zur betrieblichen Ge- sundheitsförderung haben, weil sie arbeitslos sind, Rudolf Henke (CDU/CSU): zumindest in der ärztlichen Praxis erreichen und auf Ja. diese Weise durch Gesundheitsförderung und Prävention eine Wirkung zu erzeugen, für deren Existenz es wissen- Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaftliche Belege gibt. Niemand muss ein schlechtes NEN): Gewissen haben, wenn er Maßnahmen der ärztlich emp- Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – fohlenen Prävention in Anspruch nimmt. Mir ist lieber, Sie haben gerade zu Recht von den positiven Erfahrun- dass die ärztliche Präventionsempfehlung Realität wird, gen mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement ge- als dass wir uns darüber streiten, wer Mitglied der Natio- sprochen. Es gibt in großen Unternehmen schon sehr nalen Präventionskonferenz sein soll. Sicherlich ist es viele gute Beispiele. Die Frage ist eher, wie man die diskussionswürdig, ob hier die professionelle Kompe- 90 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen errei- tenz noch mehr gestärkt werden soll. Aber das ist eine chen kann. Welche Vorstellungen haben Sie, um gerade andere Frage. die kleinen Unternehmen, zum Beispiel eine Kraftfahr- Der heutige Tag hat uns zu Beginn unserer Debatte zeugwerkstatt oder einen kleinen Laden, zu erreichen? eine Abnahme der Helligkeit beschert. Nun bringt er uns wieder die Helligkeit der vollen Sonneneinstrahlung. Rudolf Henke (CDU/CSU): Das erinnert an bestimmte festliche Tage. In Pennsylva- Ich glaube, dass es klug ist, wenn man die Hand- nia gibt es eine Stadt namens Punxsutawney. Dort wird werkskammern und die Industrie- und Handelskammern am 2. Februar der Groundhog Day gefeiert. An diesem daran beteiligt. Dabei geht es beispielsweise darum, den Tag grüßt das Murmeltier. Ein bisschen verhält es sich Unternehmen deutlich zu machen, dass es schon jetzt mit dem Gesetzgebungsprozess zum Präventionsgesetz Steuervorteile in erheblicher Höhe gibt. Für jeden Ar- wie mit dem Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Es beitnehmer können bis zu 500 Euro pro Jahr eingesetzt fängt immer wieder von vorne an. Irgendwann kommt werden, ohne als geldwerter Vorteil versteuert werden zu ein zeitlicher Schnitt, und dann wird man wieder an den müssen. Wenn wir es schaffen, die betriebliche Gesund- Anfang der Geschichte zurückversetzt. Ich bin aber fest heitsförderung, die in den großen Betrieben schon statt- davon überzeugt, dass nun der Punkt gekommen ist, an findet – sie sind in diesem Bereich sehr weit –, mithilfe dem der Start des neuen Tages bedeutet, dass er im der Gewerkschaften, der Unternehmensverbände und Happy End eines gelungenen und verabschiedeten Prä- auch der Politik in andere Betriebe zu transportieren, ventionsgesetzes enden wird. Lassen Sie uns gut disku- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9067

Rudolf Henke (A) tieren und vielleicht noch Verbesserungen an dem Ge- Für uns ist Gesundheit Menschen- und Grundrecht an (C) setzentwurf vornehmen, wo es möglich ist. sich im Sinne der UNO und der WHO, ein Höchstmaß – das kann man, glaube ich, nicht oft genug wiederho- Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Wir ge- len – an körperlichem, geistigem und sozialem Wohlbe- hen mit Optimismus in die nun anstehenden Beratungen. finden. Herzlichen Dank. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das ist mehr als die Sicherung von Beschäftigungsfähig- neten der SPD) keit und die Senkung der Krankheitskosten, die im vor- gelegten Gesetzentwurf immer noch im Vordergrund ste- Vizepräsident Peter Hintze: hen. Es braucht also noch viele Nachbesserungen, damit Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- ein künftiges Präventionsgesetz internationalen Stan- ordneten Birgit Wöllert, Fraktion Die Linke. dards genügt. Einige Vorschläge dazu wurden vom Bun- desrat schon eingebracht, und die sollten wir sehr ernst Birgit Wöllert (DIE LINKE): nehmen. Vielen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Kolleginnen Was bedeutet Gesundheitsförderung? Es ist ein Pro- und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf zess, in dem die Menschen lernen, mehr Kontrolle über der Tribüne! Herr Henke, Sie haben darauf verwiesen, ihr eigenes körperliches, geistiges und soziales Wohlbe- wie lange schon der Anlauf zu diesem Präventionsgesetz finden zu erlangen und es selbst in die Hand zu nehmen, währt. Es handelt sich nun um den vierten Anlauf. Ich die Bedingungen dafür, also die Verhältnisse, in denen beginne meine Rede genauso wie der Minister mit einer sie leben, zu ihren Gunsten zu ändern und zu verbessern. Schlagzeile. Nach dem Kabinettsbeschluss im Dezember Das jedoch bedeutet, die Menschen als Expertinnen und titelte die Stuttgarter Zeitung: „Nur Gröhe findet seinen Experten in eigener Sache zu akzeptieren und auch ein- Entwurf richtig gut“. zubeziehen. Beteiligung der Menschen ist der Schlüssel (Jens Spahn [CDU/CSU]: Gähn!) für erfolgreiche Gesundheitsförderung. Auch der vierte Anlauf wird wahrscheinlich etwas (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten schwierig. Damit bin ich wieder bei Ihnen, Herr Henke. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Offenbar sind wir uns darüber einig, dass noch viele Dieser wirkliche Paradigmenwechsel – dass Gesundheit Punkte des Präventionsgesetzes verbesserungswürdig eben mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit – ist sind. (B) auch mit diesem Gesetzentwurf nicht gelungen. (D) Was wurde vor allem kritisiert? Erstens: Nicht geeig- Professor Rosenbrock, Präsident der Bundesarbeits- net ist dieser Entwurf für die Reduzierung sozialer Un- gemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, weist in ei- gleichheiten. Zweitens: Nicht alle Sozialversicherungs- nem Interview im Februar dieses Jahres darauf hin, dass träger wurden beteiligt. Drittens: die vorrangige die steigende Lebenserwartung zu zwei Dritteln durch Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversiche- freundlichere Lebensverhältnisse, bessere Bildung und, rung. Viertens: ein überholtes Verständnis von Präven- daraus resultierend, auch weniger belastendes Gesund- tion. heitsverhalten begründet ist. Maximal ein Drittel der Dass die Reduzierung sozialer Ungleichheit nicht ge- Steigerungen geht auf verbesserte medizinische Gesund- nügend im Blick ist, hat meine Kollegin Zimmermann heitsversorgung zurück. Dennoch glaubten Politiker und schon gesagt. Frau Schulz-Asche wies darauf hin, und die Bevölkerung, so Rosenbrock, die Gesundheit komme auch bei Frau Kühn-Mengel kamen einige dieser Punkte vom Arzt. zur Sprache. Wo aber können wir körperliches, geistiges und sozia- Allerdings sind auch andere Kritikpunkte nach wie les Wohlbefinden positiv beeinflussen? Wir müssen die vor aktuell. Ich war 33 Jahre Lehrerin, bevor ich in die tatsächlichen Lebensverhältnisse in den Blick nehmen. Politik ging. Ich bleibe dabei: Ich fange beim Positiven Das können in den Lebenswelten zum Beispiel sein: in diesem Gesetzentwurf an. Dazu findet sich tatsächlich Baumindeststandards für Kitas und Schulen, die das na- auch einiges. Ich beschränke mich hier auf vier Punkte: türliche Bewegungsbedürfnis von Kindern und Jugendli- Erstens: eine größere Hinwendung zum Ansatz der Ge- chen in den verschiedenen Altersgruppen berücksichti- sundheitsförderung in Lebenswelten. Zweitens: deutli- gen. Das kann sich aber auch in Schulwegsicherung und che Erhöhung der Finanzierungsmittel. Drittens: Einbe- Verkürzung langer Schulwege für Kinder manifestieren. ziehung der Pflege in die Prävention. Viertens: (Jens Spahn [CDU/CSU]: Das soll die GKV Ausweitung der Leistungen für Hebammen. finanzieren, stimmt’s?) Trotz dieser positiven Ansätze gibt es grundsätzliche Kritik von meiner Fraktion, Die Linke, an diesem Ge- – Warten Sie. Zur GKV komme ich in diesem Zusam- setzentwurf. Deshalb haben wir einen eigenen Antrag menhang gleich. – Nicht zu vergessen ist, dass auch die vorgelegt. Dieser folgt mehr einem modernen, interna- Gestaltung des Tagesablaufs und das pädagogische tionalen Ansatz von Gesundheitsförderung. Klima in Kita und Schule das Wohlbefinden der dort Lernenden, aber auch der dort Arbeitenden positiv oder (Beifall bei der LINKEN) negativ beeinflussen können. 9068 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Birgit Wöllert (A) Erst vergangene Woche war ich in meinem Wohnort Dr. Edgar Franke (SPD): (C) Spremberg in einer Kita. Ein altes Gebäude ist abge- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- rissen worden, und am gleichen Standort ist ein neues ren! Gesundheitspolitik ist immer auch Gesellschafts- Gebäude errichtet worden. Zwischenzeitlich waren die politik. Das wussten Sozialdemokraten, Frau Zimmermann, Kinder in einer ehemaligen, viel größeren Kita unterge- schon immer. bracht. Sie hatten da viel Platz zum Toben. Die Leiterin erzählte, wie genussvoll die Kinder sich dort auf den (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Einige großen Fluren und freien Flächen – ohne zusätzlichen andere Demokraten auch!) Sportunterricht – bewegt haben. Wir wissen: Soziale Faktoren wie niedriges Einkommen, Die neue Kita ist nun barrierefrei, auf die Bedürfnisse geringer Bildungsstand und Arbeitslosigkeit haben Aus- der Kinder ausgerichtet, hat an diesem Standort das wirkungen auf Gesundheitschancen. Natürlich hängt höchstmögliche Maß an Bewegungsräumen innen und auch die Lebenserwartung davon ab. Sozialer Status und außen, eine Kinderküche, die gute Ernährung erlebbar Gesundheit hängen zusammen. und erfahrbar macht. Wir haben 1999 in § 20 SGB V hineingeschrieben (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: – gerade Sozialdemokraten waren das –: Prävention Genau!) muss sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheits- chancen vermindern. Die Türen sind klemmsicher. Der Wickeltisch ist mit ausziehbarer Treppe. Die Stühle für Erzieherinnen und ( [CDU/CSU]: Christdemokraten Erzieher sind verstellbar. Selbstverständlich hat jedes auch!) Kind im Waschraum seinen eigenen Zahnputzbecher Das ist so etwas wie ein sozialdemokratischer Pro- und seine eigene Zahnbürste. – Da hat die GKV, die ge- grammsatz, liebe Kolleginnen und Kollegen. setzliche Krankenversicherung, keinen Cent reinge- steckt. (Beifall bei der SPD) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Warum auch?) Wir müssen mit Präventionsmaßnahmen die gesamte Gesellschaft erreichen. Aber es ist in der Praxis oftmals – Das ist der Mangel Ihres Gesetzes. Zuhören hilft. so, dass Präventionsmaßnahmen als Marketingaktionen (Jens Spahn [CDU/CSU]: Ach so, wir sollen der Krankenkassen missbraucht werden, dass vor allen jetzt die Kindergärten finanzieren!) Dingen junge, gesunde Menschen geworben werden sol- len, dass Angebote gemacht werden für Menschen, die Das leistet der Gesetzentwurf in keiner Weise. Des- (B) ohnehin auf ihre Gesundheit achten. Das ist ein fakti- (D) halb sagen wir: Gesamtgesellschaftliche Anliegen müs- sches Problem. sen auch gesamtgesellschaftlich finanziert werden und nicht nur durch die gesetzliche Krankenversicherung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Prävention muss mehr sein als Aufklärung und Sportkurse. Es kann nicht (Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/ darum gehen, dass wir gesunden und fitten Menschen CSU]: Wer bezahlt denn die Kita? So was zusätzlich Gymnastik-, Yoga-, Qigong-Kurse oder was Dämliches habe ich schon lange nicht mehr auch immer anbieten. Wir müssen diejenigen Menschen gehört!) erreichen, die aufgrund ihrer Lebensumstände Gesund- heit und Vorsorge nicht in den Mittelpunkt stellen. Vizepräsident Peter Hintze: Frau Kollegin. Natürlich wissen wir alle: Das geht nur in den Le- benswelten. Wir müssen bei den Kitas, in den Schulen, in den Betrieben, eben in der Lebensgestaltung anfan- Birgit Wöllert (DIE LINKE): gen. Frau Schulz-Asche, als Kommunalpolitikerin, als Ich komme sofort zum Schluss. – Deshalb schlagen Kommunalpolitiker – ich bin ehemaliger Bürgermeister – wir einen Fonds vor, in den alle Sozialversicherungsträ- weiß man, wo gesellschaftliche Veränderungen sich ger, die Länder und der Bund einzahlen. Von den Ge- vollziehen: in der Kommune, in den Quartieren, natür- samtmitteln des Fonds sollen 75 Prozent von den Kom- lich in den Sozialräumen. munen abgerufen werden können. Ihnen sollen keine zusätzlichen Kosten entstehen. So findet Gesundheits- (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche förderung dort statt, wo die Menschen leben und ihre Le- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) bensumwelt selbst mitgestalten können. Aber Familie ist auch wichtig. Danke. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN]: Kommt in eurem Gesetz auch nicht vor!) Vizepräsident Peter Hintze: Die Menschen müssen wir dort erreichen. Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- ordneten Edgar Franke, SPD-Fraktion. Meine hochgeschätzte Kollegin Helga Kühn-Mengel hat viele Themen angesprochen. Ich möchte ein paar (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Schwerpunkte nennen, die für mich wichtig sind: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9069

Dr. Edgar Franke (A) Erstens. Wir brauchen vor allen Dingen, meine sehr wissen, dass Diabetes erhebliche Kosten in zweistelliger (C) verehrten Damen und Herren, eine zielgerichtete und Milliardenhöhe verursacht, dass er die Volkswirtschaft bessere Zusammenarbeit aller Präventionsakteure. Das belastet, und wir wissen auch, dass falsche Ernährung, ist ganz wichtig. Das sind nicht nur Krankenkassen, extremes Übergewicht und zu wenig Bewegung Risiko- Schulen, Bildungsträger und Kommunen. Ich habe frü- faktoren sind. Mit diesen Risikofaktoren haben natürlich her bei der Berufsgenossenschaft gearbeitet. Da hatte auch wir als Abgeordnete zu kämpfen. man eine Doppelstruktur, einen staatlichen Arbeits- Wir müssen und wollen aber das Erkrankungsrisiko schutz und einen der Berufsgenossenschaften, die in der senken. Damit beugen wir nicht nur Krankheiten vor, Selbstverwaltung organisiert sind. Das sind Themen, die sondern entlasten letztlich auch das Gemeinwesen von wir wirklich praktisch, handwerklich angehen müssen. erheblichen Kosten. Man sagt immer: Krankheit verhü- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des ten ist besser als Krankheiten vergüten. – Dieser Pro- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) grammsatz ist im Grunde genommen wichtig. Es wird ja eine nationale Diabetesstrategie diskutiert. Auf Bundes- Zweitens. Wir brauchen eine nationale Präventions- ratsebene ist ein Diabetesplan in die Diskussion gebracht konferenz, um Ansätze in der Prävention und in der Ge- worden. Aus meiner Sicht ist, glaube ich, wichtig, dass sundheitsförderung zu bündeln. wir auch und gerade im Rahmen der Diskussion des Prä- Drittens. Wir brauchen Arbeitsschutz und gesundheit- ventionsgesetzes diese Probleme in die Beratung einbe- liche Prävention in den Betrieben – mit den Sozialpart- ziehen; denn hier geht es um Lebenswelten. Beim Dia- nern. Auch das ist ein Thema, das wir uns wirklich im betes steht das Gesundheitsziel „Erkrankungsrisiko Detail anschauen müssen. senken, Erkrankte früh erkennen und behandeln“ aus- drücklich so im Gesetz. Diese Themen haben eine be- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE sondere Bedeutung und müssen ressortübergreifend be- GRÜNEN]: Tut ihr aber nicht! Das ist das Pro- raten werden. blem!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Präventi- Wir müssen viertens den Zugang zu Präventionsange- onsgesetz sorgen wir dafür, dass Arbeit nicht krank boten für Personen mit besonderen beruflichen und macht. Wir sorgen dafür, dass gesundes Aufwachsen und familiären Belastungen erleichtern. Ich denke an Allein- Gesundheitschancen von Menschen nicht länger von ih- erziehende, Schichtarbeiter oder pflegende Familienan- rem Lebensumfeld abhängen. Der vorliegende Entwurf gehörige. Auch das ist ein Thema, wie wir alle wissen. bietet alle Chancen, dass diese Ziele im Rahmen des Ge- Ich war früher einmal Chef einer kommunalen Kranken- setzgebungsverfahrens umgesetzt, gegebenenfalls auch pflegestation. Da hatten fast alle, die dort gearbeitet ha- noch präzisiert werden und dass, lieber Herr Henke, das (B) ben, Rückenprobleme. Aber das bedeutet natürlich auch, Murmeltier der Präventionsgesetzgebung uns nicht jedes (D) dass wir, gerade wenn wir Gesundheitspolitik machen, Jahr aufs Neue grüßt. Das wäre mein politischer so etwas erkennen müssen. Wunsch. Wir müssen fünftens Früherkennungsuntersuchungen Ich danke Ihnen. für Kinder, Jugendliche und Erwachsene weiterentwi- ckeln. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es gibt noch viele Details, die man nennen könnte. Der Herr Minister hat beispielsweise den Impfschutz Vizepräsident Peter Hintze: bzw. die verpflichtende Impfberatung vor Aufnahme in Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- der Kita angesprochen. Das sind, sagen wir einmal, hilf- ordneten Maria Klein-Schmeink, Fraktion Bündnis 90/ reiche Beispiele, die man nennen kann. Das ist, Frau Die Grünen. Schulz-Asche, mehr als Sozialprosa. Das hat wirklich materielle Substanz. Im Übrigen darf ich Ihnen auch Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- noch sagen: Alleine dass wir 2016 die Leistungen auf bis NEN): zu 7 Euro pro Versichertem und Jahr verdoppeln, wie es Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Sehr geehrter in diesem Gesetz steht, ist eine große Leistung, und das Herr Präsident! Ich glaube, an dieser Stelle zu Recht sa- können Sie ruhig anerkennen, liebe Frau Schulz-Asche. gen zu können: Mit diesem Gesetzentwurf dokumentiert der Bundestag, dass er kein Erkenntnisproblem hat, auch (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – kein Bekenntnisproblem. Alle führen das Wort einer Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention GRÜNEN]: Tun wir auch!) im Munde. Aber wir müssen uns doch fragen: Werden Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte noch ei- wir diesem Anspruch, diesem Bekenntnis und diesen Er- nen Punkt ansprechen, der mir besonders am Herzen kenntnissen mit diesem Gesetzentwurf eigentlich ge- liegt. Das ist der Diabetes, mit dem ich mich in letzter recht? Ich sage, wir sagen ganz deutlich: Das genau ge- Zeit auch als Ausschussvorsitzender in der einen oder schieht an dieser Stelle noch nicht. anderen Veranstaltung beschäftigt habe. Sie wissen, mit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN über 6 Millionen erkrankten Menschen ist der Diabetes, und bei der LINKEN) wenn man so will, die häufigste nichtübertragbare Krankheit in Deutschland. Sie betrifft nicht nur ältere Der erste große Fehler: Es fehlt so etwas wie eine Ge- Menschen, sondern immer häufiger auch Kinder. Wir samtstrategie zur Gesundheitsförderung. Gesundheits- 9070 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Maria Klein-Schmeink (A) förderung heißt nämlich mehr als Verhindern von Er- len zusammentun? Auch da lassen Sie bisher jegliche (C) krankungen. Gesundheitsförderung heißt, dass wir Antwort vermissen. gesellschaftlich in allen Lebensbereichen Strukturen schaffen, die es ermöglichen, gesund zu leben und die ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) genen Lebensverhältnisse gesund zu gestalten. Davon Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet die Bun- sind wir an ganz vielen Stellen weit entfernt. – Das ist deszentrale für gesundheitliche Aufklärung sozusagen der erste Punkt. als reisende Agentur für örtliche Vernetzung durch die Zweitens lassen Sie in diesem Gesetzentwurf jegliche Gegend ziehen soll, um zu schauen, wie verbindliche Strategie, jegliche Initiative vermissen, alle anderen Po- Arbeitsstrukturen, Vernetzungsstrukturen für Gesund- litikfelder in eine Gesamtstrategie einzubeziehen, die heitsförderung vor Ort geschaffen werden können. diesem Anspruch gerecht werden könnte. Meine Damen und Herren, es kann doch nicht sein, dass das der wesentliche Ansatz ist. Da müssen Sie nachsteu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie ern. Da brauchen wir etwas anderes. Wir brauchen Mög- der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) lichkeiten, die Mittel von Krankenkassen regional zu Das haben Sie sogar selber in einigen Reden deutlich bündeln, gemeinsam über Gesundheitskonferenzen oder gemacht. Natürlich muss es um den gesamten Bereich andere Steuerungsmechanismen, und es muss vor Ort der Kinder und Jugendlichen, der Familien gehen. Es verabredet werden können, wie diese Mittel eingesetzt muss um den gesamten Bereich des Wohnens gehen und werden. So herum muss es gehen. um den Bereich des Sports. Es muss um gesunde Ar- Darum müssen Sie dringend umsteuern. Dieser Ge- beitsbedingungen gehen, um die Reinhaltung von Luft setzentwurf hat noch sehr viel Potenzial. Wenn Sie dahin und um Umweltbedingungen insgesamt. Das sind die kommen wollen, dass wir Gesundheitsförderung und Faktoren, die gemeinsam berücksichtigt werden müssen. Prävention erstmalig wirklich ernst nehmen, dann muss Dazu gehören nicht zuletzt viele Maßnahmen, die eine noch viel passieren. gesunde Ernährung ermöglichen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der LINKEN) Mit Blick auf eine Gesamtstrategie fehlt all das bei der Herangehensweise in diesem Gesetzentwurf. Vizepräsident Peter Hintze: Es ist nicht so, dass wir sagen, das könne allein die Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- Krankenversicherung stemmen; natürlich nicht. Viel- ordneten Reiner Meier, CDU/CSU-Fraktion. mehr geht es darum, daraus eine gesamtgesellschaftliche (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Aufgabe zu machen, die jeden Bereich in die Pflicht nimmt. Reiner Meier (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Das ist das Erste, und wir drängen darauf, dass Sie da ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Gleich getan ist nachsteuern. viel erspart.“ Dieser Satz bringt auf den Punkt, was Prä- vention im Gesundheitsbereich meint: nicht warten, bis Das Zweite ist: Sie haben zu Recht in vielen Reden der Körper und die Gesundheit Schaden nehmen, son- hervorgehoben, welche Rolle die soziale Benachteili- dern versuchen, es möglichst gar nicht so weit kommen gung auch in Bezug auf die gesundheitlichen Risiken zu lassen. spielt. Wenn wir da wirklich tätig werden wollen, wie kann es dann sein, dass Sie ausgerechnet den Bereich der Wenn wir heute in erster Lesung den Entwurf des Prä- Arbeitslosenversicherung, das SGB II, außen vor lassen ventionsgesetzes beraten, dann sollten wir uns Folgen- bei den wesentlichen Akteuren, die zusammenwirken des klarmachen: Weltweit leiden immer mehr Menschen müssen und vor Ort vernünftige Maßnahmen in Angriff an Zivilisationskrankheiten. Deutschland ist da leider nehmen müssen? Da müssen Sie dringend nachbessern. keine Ausnahme. Etwa 350 000 Bundesbürger sterben jedes Jahr an den Folgen von Herz-Kreislauf-Erkrankun- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie gen. Das entspricht etwa 40 Prozent aller Todesfälle in der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE]) Deutschland. Zum Vergleich: Im gesamten letzten Jahr Zu Recht ist auch gesagt worden, es muss um Maß- hatten wir bundesweit 3 368 Opfer im Straßenverkehr zu nahmen vor Ort gehen. Es muss um die Alltagswelten beklagen. Angesichts dieser Fakten fragt man sich: Wa- gehen; denn nur so können wir viele Menschen errei- rum tun wir uns so schwer, hier und da weniger zu essen, chen, die nicht ohnehin schon gesundheitsbewusst leben. gesünder zu leben, uns besser zu bewegen, mehr Sport Wenn das so ist, dann müssen wir doch schauen: Wie zu betreiben oder die Vorsorgeuntersuchungen nicht zu machen wir das vor Ort? Wie schaffen wir es, vor Ort vernachlässigen? – statt immer nur ein Projektchen nach dem anderen ein- (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE zurichten, eine Maßnahme, die nur ein halbes Jahr läuft GRÜNEN]: Das ist auch eine gute Frage!) und dann wieder ausläuft; drei Jahre später kommt dann eine andere Krankenkasse mit einer anderen Maßnahme – Die Antwort ist einfach: Der Mensch ist nun einmal ein konzertierte, stetige Maßnahmen zu installieren, bei de- Gewohnheitstier und ändert nur dann seine ungesunden nen sich alle Akteure verbindlich mit gemeinsamen Zie- Gewohnheiten, wenn er gute Anreize dafür hat und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9071

Reiner Meier (A) wenn man es ihm möglichst leicht macht, gesünder zu rund 800 allein in Berlin – mit steigender Tendenz. Al- (C) leben. lein in Berlin sind es mehr Fälle, als in manchen Jahren bundesweit festgestellt wurden. Eine Schule musste we- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. gen Masern zeitweise geschlossen werden oder sogar Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Schüler ohne Impfstatus vom Unterricht ausgeschlossen GRÜNEN]) werden, obwohl sie kurz vor der Abiturprüfung standen. Bei der Umsetzung der Ziele stellt das Präventionsge- setz auf den Lebensweltenansatz ab. Das heißt, wir holen Liebe Kolleginnen und Kollegen, die aktuellen Ereig- die Menschen dort ab und bieten die Leistungen dort an, nisse zeigen, die Entscheidung, sich impfen zu lassen, wo sie einen großen Teil ihrer Lebenszeit verbringen. kann erhebliche Konsequenzen haben, weil sie auch an- Besonders für jene, die bislang weniger auf Präventions- dere betrifft. Dabei scheinen mir drei Aspekte besonders angebote zurückgegriffen haben, sind einfach erreich- wichtig. bare Angebote ein guter Weg, um ihre Gesundheitschan- Erstens. Unsere Verfassung schützt das Selbstbestim- cen deutlich zu verbessern. mungsrecht und die körperliche Unversehrtheit. Beides Wenn wir auf Dauer etwas bewegen wollen, müssen wird durch Impfungen berührt. Ohne gesetzliche Grund- wir aber auch zulassen, dass jeder von sich aus die freie lage darf hier nicht eingegriffen werden. Andererseits ist Entscheidung trifft, Präventionsangebote anzunehmen. der Staat aber verpflichtet, die körperliche Unversehrt- Da ist es weniger erfolgreich, mit Bevormundung oder heit nicht nur des Einzelnen, sondern die Unversehrtheit mit Verboten anzukommen. Die Kolleginnen und Kolle- aller Bürger dieses Staates zu gewährleisten. gen von den Grünen erinnern sich sicherlich noch an den Zweitens. Unsere Rechtsordnung schützt das elterli- Veggie-Day und daran, welche Diskussionen das hervor- che Sorgerecht als tragenden Pfeiler der Familie. Eltern gerufen hat. bestimmen über die Impfung ihrer Kinder. Sie tragen (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE aber auch die Verantwortung für ihr Wohlergehen und GRÜNEN]: Er war ja kein Verbot!) ihre Gesundheit. Eltern brauchen deshalb ein Angebot qualifizierter, seriöser Beratungen zu den Impfungen, Übrigens ist er eine Erfindung der katholischen Kirche damit sie sich nicht auf Gerüchte vom Hörensagen ver- und nicht Ihrer Partei, meine Damen und Herren. lassen müssen. Ich denke dabei insbesondere an die Be- (Beifall bei der CDU/CSU) hauptung, dass eine Masernimpfung Autismus auslöst – eine Behauptung, die nachweislich falsch ist und sich Ich sehe Impfen als Prävention ersten Ranges an. dennoch hartnäckig hält. (Beifall bei der CDU/CSU) (B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D) Schutzimpfungen sind die wirksamsten Präventionsin- Drittens. Wenn man nun den Nutzen der empfohlenen strumente der Medizin, die uns heute zur Verfügung ste- Impfungen mit den potenziellen Nebenwirkungen ver- hen. gleicht, überwiegt ganz klar der Nutzen. Moderne Impf- (Beifall bei der CDU/CSU) stoffe sind allgemein gut verträglich. Zudem erspart jede nicht ausgebrochene Krankheit den Menschen eine akute Jedes Jahr sterben 1,5 Millionen Kinder an Krankheiten, Behandlung mit Medikamenten, die deutlich stärkere für die es eigentlich wirksame Impfungen gäbe. Auch in Nebenwirkungen haben als die Impfung selbst. Deutschland bestehen erhebliche Impflücken, gerade bei Jugendlichen, aber auch bei Erwachsenen, die gar keine Wir wissen heute mehr über Infektionskrankheiten als bewusste Entscheidung gegen Impfungen treffen, son- je zuvor, und wir haben die Mittel, um gefährliche dern es spielen schlichtweg Vergesslichkeit, Bequem- Krankheiten endgültig auszurotten. Liebe Kolleginnen lichkeit oder Gleichgültigkeit eine Rolle. Unbestritten ist und Kollegen, wir dürfen deshalb nichts unversucht las- aber die Erforderlichkeit einer hohen Durchimpfungs- sen, um die Bevölkerung endgültig von diesen Krank- rate. heiten zu befreien. Der vorliegende Gesetzentwurf ent- hält gute Ansätze zur Verbesserung der Impfquoten. Wir Das Präventionsgesetz enthält drei wichtige Maßnah- werden im parlamentarischen Verfahren eingehend erör- men zur Steigerung dieser Impfquoten: Erstens. Im Rah- tern und diskutieren, welche Wege wir hier gehen. Las- men der nationalen Präventionsstrategie fließen die sen Sie mich abschließend klar sagen: Sollten unsere Empfehlungen der Ständigen Impfkommission in die Anstrengungen – – Zielvereinbarung ein. Wir schaffen dadurch einen ver- lässlichen Rechtsrahmen für eine trägerübergreifende Umsetzung dieses wichtigen Ziels. Zweitens. Die ver- Vizepräsident Peter Hintze: pflichtende Prüfung des Impfstatus bei Früherkennungs- Wenn der Abschluss kurz ist, ja. untersuchungen, besonders bei Kindern und Jugendli- chen, halte ich für dringend geboten. Drittens. Die Reiner Meier (CDU/CSU): Pflicht zur ärztlichen Impfberatung bei Erstaufnahme in Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Sollten Kindertageseinrichtungen ist sehr zu begrüßen. alle Anstrengungen, mit Anreizsystemen zum Ziel zu Die aktuelle Masernsituation – der Minister hat es an- kommen, in der Praxis fruchtlos bleiben, werden wir in gesprochen – in Deutschland zeigt: Wir verzeichnen einem zweiten Schritt auch verbindliche Maßnahmen 2015 bundesweit bereits über 1 000 Masernfälle, davon prüfen müssen. 9072 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Reiner Meier (A) Meine Damen und Herren, in diesem Sinne wünsche lebt, der verliert seine Tagesstruktur. Am Ende verharrt (C) ich uns allen eine konstruktive Beratung zu diesem man im schlimmsten Fall in hilfloser Resignation. Auch wichtigen Gesetz. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerk- darunter leidet langfristig die körperliche und seelische samkeit. Verfassung. Wer durch Arbeitslosigkeit krank wird und aufgrund der Krankheit nicht vermittelt werden kann, (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der sitzt in einem Teufelskreis. Deshalb sollten die Kran- kenkassen gemeinsam mit den kommunalen Trägern der Vizepräsident Peter Hintze: Grundsicherung und der Bundesagentur für Arbeit daran Ich habe eine Bitte an alle Redner. Wir haben es jetzt arbeiten, gesundheitliche Vermittlungshemmnisse zu be- ein paarmal erlebt, dass der zentrale Gedanke immer seitigen; nach Ablauf der Redezeit kommt. (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Es wäre an und für sich schön, wenn man ihn an den An- wir das nur mal verankern!) fang stellte und dann die Redezeit einhielte. denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, für das Erwerbs- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – personenpotenzial muss der Zugang zum Arbeitsmarkt Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie bei mit geeigneten Maßnahmen wieder ermöglicht werden. Presseerklärungen, jawohl, Herr Präsident!) Das Arbeitsleben ist dominant im Alltag, deshalb ist – Das war eine überparteiliche Bemerkung; es betraf alle es so wichtig und richtig, die betriebliche Gesundheits- Redner, die eben gesprochen haben. vorsorge zu stärken. Für die Beschäftigten in den Betrie- ben sind die Betriebsärzte erste Ansprechpartner. Des- Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- halb ist die Stärkung ihrer Aufgabe richtig; denn den ordneten Marina Kermer, SPD-Fraktion. Medizinerinnen und Medizinern sollte es als Erstes auf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fallen, wenn in einem Betrieb bestimmte Erkrankungen der CDU/CSU) gehäuft auftreten. Dabei nehmen wir die Bedenken der Gewerkschaften Marina Kermer (SPD): ernst. Die Betriebsärzte stehen in einem sensiblen Ver- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und trauensverhältnis. Das darf zu keinem Zeitpunkt infrage Kollegen! Meine Damen und Herren! Prävention heißt gestellt werden, ganz besonders nicht, wenn es um seeli- Vorbeugung, meint aber auch Vorsorge. Ich finde, wir sche Erkrankungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbei- (B) müssen genauso an Fürsorge denken, weil Erkrankungen tern geht. (D) manchmal Abwärtsspiralen in Gang setzen, die nur noch von Außenstehenden zu stoppen sind, weil der oder die Richtig ist auch die Feststellung des DGB, dass Betroffene sich selbst nicht mehr helfen kann. grundsätzlich der Arbeitgeber für das Arbeitsumfeld ver- antwortlich ist und niemand sonst. Man nennt es Fürsor- Das trifft vor allem auf psychische Erkrankungen zu. gepflicht. Viele große Unternehmen haben bereits gute Immer häufiger treten sie als Folgen beruflicher Belas- und zeitgemäße Präventionskonzepte. Einige große tungen auf. Ja, unsere komplexe Arbeitswelt bietet vie- Konzerne halten eigene Gesundheitsangebote vor und len Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Chancen zur sorgen im Vorfeld durch Arbeitsplatzgestaltung und Ar- Selbstverwirklichung; man kann persönliche Anerken- beitsorganisation für gute Bedingungen. nung und materiellen Wohlstand gewinnen, wenn man gut aufgestellt ist. Wenn man nicht so gut aufgestellt ist, Natürlich können kleine und mittelständische Unter- weil man gesundheitliche Einschränkungen hat, dann er- nehmen nicht mit Großkonzernen mithalten. Deshalb lebt man die komplexe Arbeitswelt oft als Überforde- wollen wir die Kooperation vor Ort stärken. Zum Teil rung und Dauerüberlastung. geht fehlende Prävention auf mangelnde Kenntnisse von In der Folge treten somatische und psychosomatische Präventionsangeboten zurück. Aus diesem Grund wer- Erkrankungen auf, also Erkrankungen des Körpers und den die Krankenkassen den Unternehmen Beratungs- der Seele, ausgelöst durch – erstens – die Arbeit selbst, möglichkeiten anbieten. Ja, es werden insgesamt 7 Euro die krank machen kann. Es ist immer weniger die kör- pro Versichertem für Prävention zur Verfügung gestellt, perlich harte Arbeit, die zu Erkrankungen führt, zum davon werden 2 Euro für die betriebliche Prävention ein- Beispiel zu Erkrankungen des Skeletts wie Rücken- gesetzt. Mit diesen zusätzlichen Mitteln wird es vor Ort schmerzen oder Knieverschleiß. Die steigenden Zahlen besser gelingen, passgenaue Prävention im Betrieb anzu- psychischer Erkrankungen sind alarmierend: Burn-out- bieten. Syndrom, Depressionen und Suchterkrankungen führen An dieser Stelle möchte ich auf die besondere Situa- immer häufiger in die Frühverrentung. Laut GKV-Spit- tion der Pflegekräfte in den Krankenhäusern und Pflege- zenverband hat die Zahl der Krankheitstage aufgrund einrichtungen eingehen. psychischer Erkrankungen zwischen 2002 und 2012 um nahezu 67 Prozent zugenommen. (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Genau!) Zweitens kann ein Arbeitsplatzverlust, oft unver- Denn dort haben wir besonders häufig körperlich und schuldet, den Beginn einer Erkrankung auslösen. Denn seelisch belastende Arbeitsbedingungen bei knappen wer auf Dauer ohne tägliche Aufgabe und Anerkennung Personaldecken. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9073

Marina Kermer (A) Es ist absurd, dass ausgerechnet in den Gesundheitsbe- CDU und CSU wollen dabei nicht bevormunden. Wir (C) rufen zu wenig Wert auf die Gesundheit der Beschäftigten wollen die Menschen stattdessen davon überzeugen, dass gelegt wird. Deshalb werden wir mit dem Pflegestellen- ihr Handeln die Lebensqualität erhöhen und das Leben förderprogramm im Rahmen der Krankenhausreform selbst verlängern kann. Denn nur wenn die Lebenswirk- einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Personal- lichkeit der Menschen in Kita oder Schule, am Arbeits- situation gehen. Auch das ist Prävention für Pflegekräfte platz oder im Pflegeheim im Sinne eines gesünderen und für Patientinnen und Patienten. Lebens verbessert wird, kann die Gesundheit der Bevöl- kerung nachhaltig verbessert werden. Insofern kann ich zu dem Antrag der Kolleginnen und Kollegen von der Linken sagen: Wir entlassen die Ar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- beitgeber nicht aus ihrer Verantwortung, stärken aber die neten der SPD) Hilfe für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Weil Prävention auf längere Frist die Kosten für nicht (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) mehr notwendige Krankenbehandlungen erspart, sind Denn was für die Gesellschaft nur Verlust an Arbeits- finanzielle Mittel hier gut investiert. Die von den Kran- kraft ist, bedeutet für den Einzelnen Verlust an Lebens- kenkassen in diesem Bereich einsetzbaren Mittel werden qualität. wir darum auf 490 Millionen Euro mehr als verdoppeln. Diesmal sind auch die Pflegekassen mit dabei. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das kann ja nur der Anfang sein!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deshalb ist uns Prävention so wichtig. Es geht uns um Zwei Themen liegen mir besonders am Herzen: die die Menschen. Weil das so ist, geben wir mehr Mittel für betriebliche Gesundheitsvorsorge und das Impfen. Prävention aus. Ich finde, das sind gut angelegte Mittel. Die berufliche Tätigkeit dominiert einen Großteil unse- Natürlich kann man leicht immer noch mehr Geld for- res Lebens. In Zeiten eines zunehmenden Fachkräfteman- dern, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Zimmermann. gels hat die Erhaltung der Gesundheit der Arbeitnehmer Aber „Mehr, mehr!“ rief auch der kleine Häwelmann in für die CDU/CSU allerhöchste Priorität. Ein gesünderes Theodor Storms Märchen, und wohin hat es ihn ge- Arbeitsumfeld stärkt die Arbeitsplatzzufriedenheit und bracht? Er ist am Ende ins Wasser gefallen. Das wollen damit die Identifikation und Verbundenheit der Arbeit- wir nicht. Besser wäre, wir bringen das Präventionsge- nehmer mit ihrem Unternehmen. Gerade kleinere Be- setz gemeinsam in trockene Tücher. triebe sind aufgrund der geringen Mitarbeiterzahl häufig nicht in der Lage, in Eigenregie sinnvolle Maßnahmen Danke. zur Vermeidung arbeitsbedingter Gesundheitsrisiken zu (B) (D) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) ergreifen. Wir stellen für diesen Bereich 140 Millionen Euro bereit, um gerade den Mittelstand bei der wichtigen Aufgabe der betrieblichen Gesundheitsvorsorge zu un- Vizepräsident : terstützen. Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Heiko Schmelzle, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- neten der SPD – Kordula Schulz-Asche (Beifall bei der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Heiko Schmelzle (CDU/CSU): Frage der Maßnahmen!) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Dass die Menschen in Deutsch- Das Impfen ist für mich eine weitere wesentliche land ein immer höheres Lebensalter erreichen, liegt si- Säule der Prävention. Impfen ist die effektivste medizi- cherlich auch daran, dass unser Gesundheitssystem im nische Präventionsmaßnahme. Impfen schützt weltweit weltweiten Vergleich ein sehr, sehr gutes ist. Millionen von Menschen vor Krankheiten, Behinderung und Tod, und vor allem: Impfen liefert im Bereich der Das heute eingebrachte Präventionsgesetz ist ein wei- Prävention messbare Ergebnisse. terer Baustein der Bundesregierung bei der Umsetzung ihres Versprechens, unser Gesundheitssystem zukunfts- Die Debatte um das Impfen ist allzu häufig ideolo- fest zu machen. gisch geprägt und wird leider von den wenigen Impfgeg- nern bestimmt. Wir müssen der Bevölkerung immer wie- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) der die Erfolge des Impfens bei der Bekämpfung und Durch den Dreiklang aus Präventionsgesetz, Versor- Ausrottung von Krankheiten ins Bewusstsein rufen. gungsstärkungsgesetz und Pflegestärkungsgesetz greifen Pocken, Tollwut, Pest, Diphtherie, Tuberkulose, Wund- wir drei grundlegende Bereiche auf. Das Versorgungs- starrkrampf, Gelbfieber, Kinderlähmung, Masern, Mumps, stärkungsgesetz soll hochwertige medizinische Versor- Röteln: Das Impfen ist eine einzige Erfolgsgeschichte. gung, unabhängig vom Wohnort, sichern. Das erste Pfle- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. gestärkungsgesetz hat Leistungen für Pflegebedürftige Helga Kühn-Mengel [SPD]) und Entlastungsangebote für pflegende Angehörige aus- geweitet. Das Präventionsgesetz soll gesundheitsför- Wir leben in einer mobilen Welt, in der wir binnen weni- dernde Maßnahmen stärken, um Krankheiten zu vermei- ger Stunden auf andere Kontinente reisen können. Güter den. werden weltweit transportiert. Krankheiten und Epide- 9074 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Heiko Schmelzle (A) mien können uns jedoch genauso schnell erreichen. Hier zu entwickeln, die dann verbindliche Grundlage der Ar- (C) gilt es, auch für unsere Bevölkerung die Impfquote zu beit der Ständigen Impfkommission wird. Die Ergeb- erhöhen, um dadurch vorzusorgen. nisse und die hieraus resultierenden Vorschläge sollten jährlich im Rahmen eines Impfberichts des BMG veröf- In der Mehrzahl der Fälle ist die Ursache für fehlende fentlicht werden. Impfungen nicht die offene Ablehnung des Impfens, sondern ist der Unwissenheit, der Nachlässigkeit und ei- Lassen Sie mich mit Blick auf den Frühlingsanfang nem mangelnden Problembewusstsein geschuldet. Ge- mit einer lyrischen Note schließen. Die Herausforderung rade junge Menschen gehen selten zum Arzt, und wenn ist die Knospe des Handelns. Lassen Sie uns im parla- sie einen Mediziner aufsuchen, haben sie in den seltens- mentarischen Verfahren gemeinsam daran arbeiten, dass ten Fällen ihren Impfpass dabei. Eine Impfberatung er- die Knospe zur Blüte wird und dann Frucht trägt. Denn folgt dann höchstens, wenn eine Fernreise ansteht. Für die Stärkung der Gesundheit beginnt mit der Prävention. die Erhöhung der Impfquoten benötigen wir daher ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- strukturiertes, bundeseinheitliches Impfkonzept für alle neten der SPD) Lebensphasen, welches die Menschen im wiederkehren- den Rhythmus auf das Impfen hinweist. Vizepräsident Peter Hintze: Wichtig ist der einfache und niedrigschwellige Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- Zugang zu den notwendigen Impfungen. Reine Informa- ordneten Martina Stamm-Fibich, SPD-Fraktion. tionsangebote reichen hier nicht aus. Dabei muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Impfungen um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der CDU/CSU) handelt. Martina Stamm-Fibich (SPD): (Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Maria Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Minister Gröhe! Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen NEN]: Jetzt auf einmal!) und Herren! Es ist schon viel gesagt worden; das macht es gegen Ende der Debatte immer ein bisschen schwie- Ich appelliere an alle, die gesellschaftliche Verantwor- rig. Ich versuche es jetzt mit ein bisschen Handfestem. tung gegenüber jenen, die nicht geimpft werden können, ernst zu nehmen; denn für einen wirksamen „Herden- Wie bei der Bildung – das haben wir heute schon oft schutz“ benötigen wir eine Impfquote von circa 95 Pro- gehört – hängen auch die Gesundheitschancen von Kin- dern und Jugendlichen in Deutschland von ihrer sozialen (B) zent. Genau hier setzen die vorgesehenen Maßnahmen an, (D) die meine Vorredner schon genannt haben. Ich möchte Herkunft ab. Zuletzt – auch das wurde heute schon aber noch ergänzen, dass die Krankenkassen künftig mit mehrfach erwähnt – hat dies die KiGGS-Studie des Fachärzten für Arbeitsmedizin oder mit Betriebsmedizi- Robert-Koch-Instituts bestätigt. Die KiGGS-Studie nern Verträge zur Durchführung von Schutzimpfungen kommt zu dem Ergebnis, dass bei Kindern aus sozial be- schließen können. nachteiligten Familien Risikofaktoren wie Bewegungs- mangel oder Übergewicht stärker verbreitet sind und Erlauben Sie mir einen persönlichen Hinweis zum dass ein Drittel der Kinder aus diesen Familien von Ver- Gesetzentwurf. Gemeinsam mit meinen CSU-Kollegen haltensproblemen, Hyperaktivität oder Problemen mit Reiner Meier und aus dem Gesundheits- Gleichaltrigen betroffen sind. Kinder aus armen Fami- ausschuss habe ich im Herbst 2014 ein Konzept zur Ver- lien hinken in ihrer Entwicklung hinterher. Schon vor besserung der Impfsituation in Deutschland vorgelegt. dem Schuleintritt sind sie massiv benachteiligt. Das geht Viele Erwägungen finden sich bereits heute im Regie- aus einer weiteren Studie, die uns diese Woche vorgelegt rungsentwurf wieder. Dennoch halten wir einen weiteren wurde, einer Studie der Bertelsmann Stiftung, hervor. Punkt für absolut bedenkenswert. Derzeit wird von den Die Studien zeigen: Zusätzlich zum Präventionsge- 17 Kassenärztlichen Vereinigungen das Modellprojekt setz sind langfristig weitere Investitionen in Bildung not- KV-Impfsurveillance durchgeführt. Dieses Projekt doku- wendig, aber auch in benachteiligte Quartiere und in In- mentiert Impfquoten, die Häufigkeit der Inanspruchnahme stitutionen. Nur so können wir die Gesundheitschancen von Vorsorgeuntersuchungen und Erkrankungszahlen re- für unsere Kinder verbessern. Mögliche Ansätze sehe präsentativ für alle Bundesländer und ermöglicht die ich hier bei dem Programm „Soziale Stadt“ oder bei der Aufschlüsselung dieser Zahlen bis auf Kreisebene für Förderung von Kitas. Für mich ist klar, dass Ressourcen die verschiedenen Altersgruppen. Genau dies fordern nicht nach dem sogenannten Gießkannenprinzip verteilt Sachverständige doch seit langem, zuletzt Professor werden dürfen. Kitas und andere Einrichtungen brau- Dr. Gerd Antes vom Deutschen Cochrane Zentrum bei chen mehr Geld, mehr Personal und andere Förderange- seinem Besuch im Gesundheitsausschuss. Nur mit solch bote. Dem muss das Präventionsgesetz Rechnung tragen. belastbaren Daten können wissenschaftlich fundiert Impflücken geschlossen und drohende Epidemien ziel- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genau bekämpft werden. der CDU/CSU) Wir können uns vorstellen, aus diesem Modellprojekt Die Basis für eine gesundheitsbewusste Lebensweise ab 2016 eine regelhafte, bundeseinheitliche und anony- im Erwachsenenalter wird in der frühen Kindheit gelegt. misierte Impfdatenerhebung beim Robert-Koch-Institut Daher hat die Umsetzung primärpräventiver und früher Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9075

Martina Stamm-Fibich (A) sekundärpräventiver Elemente im Kindesalter große Ef- – wir haben es schon oft gehört –: Vorbeugen ist besser (C) fekte. Beim Thema Kinder- und Jugendgesundheit ver- als Heilen. folgt die SPD-Bundestagsfraktion ein klares Ziel: Wir wollen gleiche Gesundheitschancen für alle Kinder er- Durch diese Stärkung des Untersuchungsprogramms reichen. hoffe ich auch auf eine Verbesserung der Impfquoten von Kindern im Schulalter. Ich bin überzeugt davon, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dass Impfungen, wenn sie mit Vorsorgeuntersuchungen der CDU/CSU) zusammenfallen, auch durchgeführt werden. Deshalb begrüße ich auch die in Artikel 8 des Gesetzentwurfes Das ist eine weitreichende Forderung, die viele Einzel- geplante Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Schutz- schritte erfordert. Einen ersten Schritt haben wir mit dem impfungen gehören zu den wichtigsten Maßnahmen im Entwurf eines Präventionsgesetzes getan. Rahmen der primären Prävention von Infektionskrank- Wer kleine Kinder hat, kennt dieses gelbe Heft. heiten. (Die Rednerin hält das Kinder-Untersuchungs- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der heft hoch) CDU/CSU) Es hilft Eltern, den Überblick über die vielen Vorsorge- Der Gesetzentwurf legt fest, dass die Überprüfung des termine zwischen Geburt und Einschulung, also über die Impfstatus und eine Impfberatung zum Bestandteil der sogenannten Us, zu behalten. Bisher allerdings enden die Gesundheitsuntersuchung bei Erwachsenen und bei Kin- Us – und damit auch das berühmte gelbe Vorsorgeheft – dern und Jugendlichen werden. Der Gesetzentwurf setzt mit dem Moment, in dem es richtig schwierig werden – sehr zu Recht – bei den Kleinsten an. Die Eltern von kann, wenn nämlich aus dem Kindergartenkind ein Kindern, die in eine Kindertagesstätte aufgenommen Schulkind wird, wenn Entwicklungsstörungen, Esspro- werden sollen, müssen künftig nachweisen, dass eine bleme oder Ängste auftauchen können. Ich begrüße des- ärztliche Impfschutzberatung erfolgt ist. Damit soll eine halb den Änderungsvorschlag zu § 26 SGB V. Ich freue höhere Beteiligung an den Schutzimpfungen, die die mich über die Anhebung der Altersgrenze für die Us. Ich Ständige Impfkommission empfiehlt, erreicht werden. freue mich vor allem über die Änderungen, die auf eine Wie wichtig Impfungen sind – wir haben auch das schon qualitative Verbesserung der bestehenden Früherken- einige Male gehört –, haben wir beim dramatischen Aus- nungsuntersuchungen hoffen lassen. bruch der Masern gemerkt. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Vizepräsident Peter Hintze: Ich begrüße vor allem die Erweiterung der Früherken- (B) nung um die psychosoziale Entwicklung sowie die präven- Frau Kollegin, wenn Sie auf Sachen hinweisen, die (D) tionsorientierte Beratung mit Überprüfung des Impfstatus. schon mehrfach gesagt worden sind, ist das in Ordnung. Auch dass Informationen zu regionalen Unterstützungs- Aber wenn die Redezeit überzogen ist, finde ich, könnte angeboten für Eltern und Kind Teil dieser Beratung sein man das weglassen; sie ist nämlich schon überzogen. sollen, findet meine ausgesprochene Anerkennung. Die (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Hei- letzte Entscheidung – die über das Wie – soll, wie so oft, terkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der der Gemeinsame Bundesausschuss fällen. Ich würde es SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- sehr begrüßen, wenn alle drei Untersuchungen, die U10, NEN) die U11 und auch die J2, zu Regelleistungen werden würden. Martina Stamm-Fibich (SPD): Von der Geburt bis zum fünften Lebensjahr sind Kin- Ich komme zum Ende. – Mit dem Gesetzentwurf hat der in Deutschland auch jetzt schon gut betreut. Seit in- der Gesundheitsminister ein erstes Etappenziel erreicht; zwischen sieben Jahren bieten die Kinderärzte zudem das begrüße und unterstütze ich ausdrücklich. Aber ein drei weitere Untersuchungen an, die U10 und die U11 Etappenziel ist eben ein Etappenziel. Das übergeordnete für Grundschüler und die J2 für 17-Jährige. Hier gibt es Ziel der SPD-Bundestagsfraktion habe ich genannt – ich für vorsorgewillige Eltern allerdings einen Haken: Nicht wiederhole es zum Schluss –: Wir wollen gleiche Ge- alle Krankenkassen übernehmen die Kosten von rund sundheitschancen für alle Kinder. Dieses Ziel ist erst er- 50 Euro pro Untersuchung, weil die drei Vorsorgeter- reicht, wenn uns Studien bessere Ergebnisse liefern. mine nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Kassen verankert sind. Eltern müssen also selbst in die Tasche Herzlichen Dank. greifen oder auf diese Vorsorge verzichten. Durch die flächendeckende Einführung einer zusätzlichen U- oder (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) J-Untersuchung entstehen für die Krankenkassen jähr- lich voraussichtlich Mehraufwendungen im niedrigen Vizepräsident Peter Hintze: einstelligen Millionenbereich. Dem gegenüber steht aber Als letztem Redner in der Aussprache erteile ich das ein enormes Einsparpotenzial Wort dem Abgeordneten Dietrich Monstadt, CDU/CSU- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Fraktion. durch die Vermeidung oder frühzeitige Erkennung von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Störungen der gesundheitlichen Entwicklung. Kurzum neten der SPD) 9076 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

(A) Dietrich Monstadt (CDU/CSU): mindert oder zumindest in ihrem Verlauf positiv beein- (C) Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin- flusst werden. nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, an dieser Stelle meinen Gesundheit erflehen die Menschen von den Göt- ganz herzlichen Dank dafür, dass unter Umsetzung des tern; dass es aber in ihrer Hand liegt, diese zu erhal- Koalitionsvertrages mit diesem Gesetz nach zehn Jahren ten, daran denken sie nicht. Debatte und vier Anläufen Prävention und Gesundheits- förderung in den Vordergrund der Gesundheitsversor- Dieses bekannte Zitat stammt von dem griechischen Phi- gung gerückt sind. losophen Demokrit, der zwischen 460 und 371 vor Christus lebte. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- ( [SPD]: Darf man dieser Tage wie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD] – Griechen zitieren?) Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat schwer an euch gelegen!) – Ich denke man darf das zitieren, weil das richtig ist. – Prävention ist also nicht nur heute im Rahmen der ersten Die dafür angedachten Mittel von circa 500 Millionen Lesung zum vorliegenden Gesetzentwurf von wesentli- Euro pro Jahr sind ein ganz wichtiger Schritt in die rich- cher Bedeutung, sondern bereits seit 2 400 Jahren ein tige Richtung. Thema. Meine Damen und Herren, als Unionspolitiker und Meine Damen und Herren, wie ist die Situation Betroffener ist es mir ein persönliches Ziel, aufzuklären, heute? Wir wissen, der demografische Wandel ist die ge- anzuleiten und die Eigenverantwortung eines jeden so zu sellschaftliche Herausforderung der nächsten Jahr- stärken, dass Volkskrankheiten wie Diabetes oder Adi- zehnte. Bis 2060 wird jeder zweite Deutsche mindestens positas verhindert werden können. Die Zahlen sind dra- 51 Jahre alt sein. Während es zurzeit 650 000 Deutsche matisch: In der Gesellschaft eher als Altersdiabetes gibt, die über 90 Jahre alt sind, werden es 2060 rund bekannt, nimmt auch die Zahl von Kindern und Jugend- 3,3 Millionen sein. lichen, die an Typ-2-Diabetes erkranken, erschreckend zu. Von aktuell insgesamt 10 Millionen Diabeteserkran- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, kungen – unter Einbeziehung einer nicht quantifizierba- hoffentlich!) ren Dunkelziffer – wird die Zahl der Betroffenen bis Wir leben in einer älter werdenden Gesellschaft, die zum Jahr 2025 auf circa 20 Millionen ansteigen. Der An- zusätzlich gekennzeichnet ist durch einen Wandel der teil der Menschen in Deutschland mit extremer Adiposi- Lebensstile: Fahrstuhl statt Treppe, Auto statt Fahrrad tas hat sich zwischen 1999 und 2009 fast verdoppelt. (B) oder zu Fuß gehen, Computer statt körperlicher Betäti- Diabetes wie auch Adipositas zählen damit zu den (D) gung in der Freizeit, FastFood statt gesunder Ernährung. häufigsten lebensstilbedingten Erkrankungen, mit oft- Allein aufgrund dieser Entwicklung ist von einer weite- mals dramatischen Konsequenzen: Dazu gehören Herz- ren Zunahme der bedeutsamen nichtübertragbaren Er- infarkte, Schlaganfälle, Amputationen, Erblindung, krankungen, insbesondere von Diabetes Typ 2 und Adi- Nierenversagen und eine deutlich geringere Lebenser- positas, auszugehen. wartung. Das ist, wie ich finde, eine erschütternde Er- Meine Damen und Herren, ich weiß persönlich, wor- kenntnis für die Gesundheitspolitik, aber auch für unsere über ich spreche: Ich bin insulinpflichtiger Typ-2-Diabe- Gesellschaft. tiker, und von meinen adipösen Ansätzen können Sie Jüngste Schlagzeilen wie „Volkskrankheiten verursa- sich selbst überzeugen. Ich möchte daher zum Schluss chen Millionen Tote“ oder „Sitzen ist das neue Rauchen“ dieser Debatte hier die Chance nutzen, gerade bei diesen brauchen wir nicht. Wir wissen, dass die Erkrankung bei beiden Erkrankungen einen Schwerpunkt zu setzen. Pa- vielen Patienten vermeidbar gewesen wäre. Falsche Er- rallel zum stattfindenden Naturereignis, meine Damen nährung, lebensstilbedingte Gewichtszunahme und zu und Herren, müssen Sie sich Diabetes wie eine nicht en- wenig Bewegung schon im Kindesalter sind dafür eine dende Sonnenfinsternis vorstellen: Er schiebt, schleicht Ursache. Das bedeutet: Wir müssen die Menschen noch sich langsam ins Leben, und der Schatten bleibt auf besser aufklären. Prävention und Aufklärung schon in Dauer. jungen Jahren halte ich für den Schlüssel, um den explo- Gerade vor meinem persönlichen Hintergrund freue dierenden Kosten, dem Tsunami, der auf uns zurollt, ent- ich mich, dass Prävention und Früherkennung, aber auch gegenwirken zu können. die Versorgung der Erkrankung Diabetes als primäres (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nationales Gesundheitsziel im Gesetzentwurf verankert der SPD) sind. Wenn man den jungen Menschen richtiges und gesun- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Ernährungsverhalten von vornherein anerzieht, dann der SPD) werden sie ihr Leben lang einen Fundus an Wissen ha- Das zeigt: Das Thema Diabetes ist in der Politik ange- ben. Und wenn sie später selbst Verantwortung tragen, kommen. Meine Damen und Herren, Prävention und dann erinnern sie sich vielleicht und versuchen, richtiges Früherkennung sind eine wichtige Säule der Diabetesbe- Körperverhalten zu leben. Das heißt konkret: Wir müs- kämpfung. Mit einem krankheitsübergreifenden Ansatz sen schon bei den ganz Jungen in Kitas und Schulen an- sollen lebensstilbedingte chronische Erkrankungen ver- setzen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9077

Dietrich Monstadt (A) Nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) kann bereits ein ungesunder Lebensstil während der neten der SPD – Maria Klein-Schmeink Schwangerschaft – falsche Ernährung, zu wenig Bewe- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da gung – ein erhöhtes Diabetesrisiko für das ungeborene alles nicht drin!) Kind bedeuten. Es gilt daher, auch hier anzusetzen. Ausgehend von der Initiative der norddeutschen Bun- Vizepräsident Peter Hintze: desländer – darunter auch mein eigenes, Mecklenburg- Ich schließe die Aussprache. Vorpommern –, ist es wichtig, dass wir die präventiven Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Ansätze, die in dem vorliegenden Gesetzentwurf Nieder- den Drucksachen 18/4282, 18/4322 und 18/4327 an die schlag gefunden haben, gerade für die beiden Erkran- in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge- kungen Diabetes und Adipositas weiterführen. In diesem schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Sinne haben wir als Union einen Antrag mit der Forde- Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. rung nach einer nationalen Diabetesstrategie auf den Weg gebracht, in der Hoffnung, dass wir diesen zeitnah Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: in der Koalition umsetzen können. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Franke, von daher bin ich Ihnen dankbar und Dr. Harald Terpe, Lisa Paus, Katja Dörner, wei- freue ich mich sehr darüber, dass Sie dies angesprochen teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- haben und auch unterstützen wollen. Auch Herr NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs Dr. Lauterbach hat in der Öffentlichkeit vielfach betont, eines Cannabiskontrollgesetzes (CannKG) dass er sich nachhaltig für die Bekämpfung von Diabetes Drucksache 18/4204 einsetzt. – Er nickt jetzt zustimmend. – Von daher noch- Überweisungsvorschlag: mals mein Appell an die Fraktion der SPD: Bringen Sie Ausschuss für Gesundheit (f) sich ein! Begleiten Sie diesen Antrag positiv! Auswärtiger Ausschuss Innenausschuss (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz neten der SPD) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Energie Meine Damen und Herren, wir müssen endlich weg Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft von den vielzähligen Einzelmaßnahmen und hin zu ziel- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur gerichteten und weitverbreiteten Aufklärungsmaßnah- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe men, die nachhaltige Wirkungen entfalten. In Anlehnung Ausschuss für Bildung, Forschung und (B) an die Antiraucherkampagne können die hier jährlich Technikfolgenabschätzung (D) vorgesehenen 35 Millionen Euro für bundesweite Kam- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für pagnen durch die Bundeszentrale für gesundheitliche die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu Aufklärung der Schlüssel zum Erfolg sein. Auch hier keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. setzt der Gesetzentwurf die richtigen Akzente. Ich eröffne die Aussprache. Als erster Rednerin er- (Beifall des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD]) teile ich der Abgeordneten Katja Dörner, Fraktion Bünd- Auf die Gesundheit zu achten und sich gesund zu ver- nis 90/Die Grünen, das Wort. halten, erfordert Wissen, Befähigung und Eigenverant- wortung. Aufgabe von Prävention ist es, dies zu entwi- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ckeln und zu stärken. Jeder Einzelne ist gefordert, durch Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! eine gesundheitsbewusste Lebensweise Krankheiten Liebe Kollegen! Die Verbotspolitik beim Thema Canna- vorzubeugen und die Erhaltung bzw. Wiederherstellung bis der letzten Jahre und Jahrzehnte ist gescheitert. Wir seiner Gesundheit zu fördern. Dafür muss dieser Ein- müssen bei diesem Thema endlich neue Wege gehen, zelne angesprochen, gewonnen und unterstützt werden. und wir Grüne wollen das tun. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Bedeu- tung von Prävention und Gesundheitsförderung deutlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu machen, genauso, wie gezielte Unterstützung dort zu und bei der LINKEN) leisten, wo der Einzelne von sich aus zu gesundheitsbe- Die Zahlen und Fakten sprechen eine ganz klare Spra- wusstem Verhalten nicht in der Lage ist. che: Rund 2,3 Millionen deutsche Erwachsene gebrau- Diese Aufgabe muss ressortübergreifend angegangen chen Cannabis, rund 22 Prozent der 15- und 16-jährigen und umgesetzt werden. Das Bundesgesundheitsministe- Schülerinnen und Schüler haben schon einmal Cannabis rium, das Bundesministerium für Ernährung und Land- konsumiert. Trotz des Verbots ist der Konsum in den wirtschaft, das Bundesministerium der Justiz und für letzten Jahren gestiegen. Cannabis ist eine Alltagsdroge. Verbraucherschutz und auch die Länder mit ihrer Verant- Das ist die Realität! wortung für die Schulen und Kindertagesstätten sind hier ( [CDU/CSU]: Das ist Ihre gemeinsam gefragt. Deshalb von mir ein deutliches Ja Realität!) zur Prävention und zum Entwurf des Präventionsgeset- zes. Ich freue mich auf eine lebendige Diskussion. Deshalb gibt es aus unserer Sicht dringenden Hand- lungsbedarf. Wir brauchen eine neue, vernünftige Herzlichen Dank. Grundlage für den Umgang mit Cannabis. 9078 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Katja Dörner (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bisfachgeschäft, das in unserem Gesetzentwurf vorgese- (C) und bei der LINKEN sowie der Abg. Daniela hen ist, wird der Verkäufer das zukünftig tun. Das macht Kolbe [SPD]) doch den entscheidenden Unterschied, liebe Kollegin- nen, liebe Kollegen. Wir legen Ihnen heute – das werden Sie sicherlich schon bemerkt haben – einen sehr fundierten und gut (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausgearbeiteten Gesetzentwurf vor, mit dem wir vorran- und bei der LINKEN sowie der Abg. gig zwei Ziele verfolgen: Wir wollen die Kriminalisie- [SPD]) rung erwachsener Konsumentinnen und Konsumenten Unser Gesetzentwurf sieht vor, dass Kinder und Ju- beenden. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, mündige gendliche Cannabisfachgeschäfte nicht betreten dürfen. Erwachsene vor sich selbst zu schützen. Hierzu bestünde Die Geschäfte müssen einen bestimmten Abstand zu gerade beim Cannabiskonsum auch gar kein Anlass. Er- Schulen und zu Einrichtungen der Kinder- und Jugend- wachsene sollen zukünftig 30 Gramm Cannabis oder hilfe einhalten. Cannabis darf nicht in Automaten oder drei Hanfpflanzen für den Eigenbedarf besitzen können. im Versandhandel angeboten werden. Auch ist in unse- Ich habe schon heute Morgen den Tickermeldungen rem Gesetzentwurf ein striktes Werbeverbot vorgesehen. entnommen, wie hier gegen unseren Gesetzentwurf ar- All das sind deutlich strengere Regelungen, als wir sie gumentiert wird. Ich will ganz klar in Richtung von heute für Alkohol vorsehen. Das zeigt, wie ernst es uns Herrn Spahn sagen: Die 30-Gramm-Grenze in unserem ist, Kinder und Jugendliche mit unserem Gesetzentwurf Gesetzentwurf hat nichts mit dem kurzfristigen Eigenbe- zu schützen. darf zu tun. Wer einen dermaßen verquasten und an den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Haaren herbeigezogenen Zusammenhang herstellt, der und bei der LINKEN sowie der Abg. zeigt einfach, dass er keine rationalen Argumente gegen Mechthild Rawert [SPD]) unseren Gesetzentwurf hat. Mit unserem Gesetzentwurf verfolgen wir aber auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitere Ziele. Wir ermöglichen beim Cannabiskonsum und bei der LINKEN sowie der Abg. überhaupt erst Verbraucherschutz; denn nur der kontrol- Mechthild Rawert [SPD] – Manfred Grund lierte Anbau und eine kontrollierte Abgabe stellen si- [CDU/CSU]: Die Menschheitsbeglücker! Sie cher, dass die heute fast schon üblichen und gefährlichen jubeln sich selber zu!) Beimischungen von Giftstoffen ausgeschlossen werden Die derzeitige Kriminalisierung von Konsumentinnen und auch der THC-Gehalt endlich dokumentiert und und Konsumenten muss beendet werden. Kiffen ist kein transparent gemacht wird. Verbrechen. (B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (D) Es ist aber auch klar, liebe Kolleginnen, liebe Kolle- Manfred Grund [CDU/CSU]: Ich denke, das gen: Wir wollen die schützen, die wirklich Schutz brau- sind mündige Menschen, die ihr befreien wollt chen: Das sind die Kinder und Jugendlichen. Es stimmt für Cannabis! Jetzt wollt ihr sie wieder gän- ja: Wenn Jugendliche Cannabis konsumieren, insbeson- geln! Unglaublich!) dere wenn sie das in größeren Mengen tun, dann kann Mit unserem Gesetzentwurf bekämpfen wir die orga- der Konsum schädlich sein und sehr negative Folgen ha- nisierte Kriminalität, weil damit dem Schwarzmarkt und ben. Das darf nicht verharmlost werden. der Dealerei endlich die Grundlage entzogen würde. Das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist übrigens sehr wichtig, um den Zugang zu Cannabis und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten für Jugendliche deutlich zu erschweren. der SPD) (Manfred Grund [CDU/CSU]: Was?) Deshalb wollen wir mit unserem Gesetzentwurf endlich Wir entlasten die Strafverfolgungsbehörden. Zurzeit die Grundlage für einen funktionierenden Jugendschutz werden jährlich rund 100 000 konsumnahe Delikte ver- schaffen. Wir werden wirksamen Jugendschutz erst dann folgt. Die meisten Verfahren werden zwar eingestellt, gewährleisten können, wenn wir ein reguliertes und kon- aber es werden viel Zeit und viele Ressourcen in die trolliertes System der Cannabisabgabe haben. Strafverfolgung investiert. Das kostet die Steuerzahler (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Jahr rund 1,8 Milliarden Euro. Das ist doch Geld, das und bei der LINKEN sowie der Abg. wir viel besser für die Suchtprävention einsetzen könn- Mechthild Rawert [SPD]) ten. Klar ist: Eine Abgabe an Kinder und Jugendliche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN muss ausgeschlossen sein. In unserem Gesetzentwurf ist und bei der LINKEN) eine Altersgrenze von 18 Jahren vorgesehen. Wer Can- Deshalb wundert es uns nicht – das freut uns auch –, nabis an unter 18-Jährige abgibt oder verkauft, macht dass wir für unseren Vorschlag sehr viel Zuspruch aus sich selbstverständlich weiterhin strafbar. den Reihen der Polizei und der Strafverfolgungsbehör- (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Kriminalisie- den erfahren. rung!) Ich will noch kurz auf einen anderen wichtigen As- Aber Fakt ist doch auch: Heute fragt der Dealer auf dem pekt eingehen. Wir wollen für den Straßenverkehr einen Schwarzmarkt nicht nach dem Ausweis. In dem Canna- Grenzwert für den Konsum von THC-Produkten schaf- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9079

Katja Dörner (A) fen. Wir sehen hier 5,0 Nanogramm pro Milliliter vor. tion ist meine Aufgabe als Drogenbeauftragte. Das heißt, (C) Das ist der Wert, oberhalb dessen nach rechtsmedizini- ich habe die Gesundheit der Menschen in unserem Land scher Forschung eine Beeinträchtigung der Fahrleistung im Blick, und dafür setze ich mich ein. nicht ausgeschlossen werden kann. Einen derartigen Grenzwert gibt es in fast allen anderen europäischen (Beifall bei der CDU/CSU) Ländern schon lange. Es ist völlig unsinnig, dass einem Ihr Gesetzentwurf hat die rechtlichen Auswirkungen Konsumenten der Führerschein entzogen werden kann, für die Gruppe der Freizeitkonsumenten im Blick. Damit obwohl er unter Cannabiseinfluss überhaupt nicht am das klar ist: Konsum wird in unserem Land nicht be- Straßenverkehr teilgenommen hat. Auch diese Art von straft; das ist eine sogenannte straffreie Selbstschädi- Kriminalisierung muss ein Ende haben. gung. Aber bei der rechtlichen Einstufung müssen wir (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die gesundheitlichen Risiken und Langzeitfolgen des und bei der LINKEN sowie der Abg. Ulli Konsums aller Gruppen beobachten. Das muss der Maß- Nissen [SPD]) stab sein. Das heißt, wir müssen abhängige Konsumen- ten und Jugendliche und die für sie bestehenden Risiken Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Zeit ist reif für besonders im Blick haben. eine vernünftige Cannabispolitik. Die Erfahrungen mit der Entkriminalisierung in anderen Ländern sind positiv. Viele erinnern sich vielleicht noch an die Feldzüge Diese Erfahrungen zeigen auch, dass viele Befürchtun- von Bündnis 90/Die Grünen gegen das Rauchen und für gen, beispielsweise dass der Konsum von Cannabis dann Rauchverbote in Gaststätten. Damals konnten die Ge- ansteigt, sich nicht bewahrheiten. setze nicht streng genug sein. Und heute? Vor diesem Hintergrund erwarte ich von den Regie- ( [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE rungsfraktionen, dass wir darüber endlich eine sachliche GRÜNEN]: Ach, Marlene!) Debatte führen können. Das Wiederkäuen längst wider- legter Vorwürfe beim Thema Cannabis muss aufhören. Sicherlich erinnern sich noch alle an ihren Beitrag zur Ernährungswende. Der Veggie-Day und Verbote sollten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es richten. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Der Wir brauchen endlich eine vernünftige Regelung, die Veggie-Day hat nichts mit Haschisch und Can- die sinnlose und teure Kriminalisierung beendet und vor nabis zu tun!) allem Kinder und Jugendliche endlich wirksam vor Can- nabiskonsum schützt. Ich bin sehr gespannt auf die Bera- Erst Harmloses verbieten und jetzt Gesundheitsschädi- (B) tungen, und ich freue mich auf die nächsten Wochen, in gendes erlauben: Das ist eine absolute Kehrtwende. (D) denen wir das näher erläutern werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube nicht, dass Sie den Gesetzentwurf gele- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen haben!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN) Ihre Drogenwende kann ich daher nicht akzeptieren. Denn die Legalisierung – und Ihr Gesetzentwurf bedeu- Vizepräsident Peter Hintze: tet faktisch eine Legalisierung – steht in direktem Wider- Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge- spruch zu den Zielen des Verbraucherschutzes sowie zu ordneten Marlene Mortler, CDU/CSU-Fraktion. Ihren bisherigen eigenen Zielen, und sie beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit unserer Präventionspolitik. Wir ha- (Beifall bei der CDU/CSU) ben vorhin die Debatte darüber aufmerksam verfolgt.

Marlene Mortler (CDU/CSU): (Hubert Hüppe [CDU/CSU], an BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Da war der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Vorsitzende nicht da!) Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden heute über einen Gesetzentwurf, der in erster Linie Wenn wir in unserem Land mit legalen Suchtmitteln das Strafrecht im Blick hat. Wir reden aber auch über wie Alkohol und Tabak schon genug Probleme haben, eine Lobby, die ich als die brutalste Lobby in meiner bis- dann müssen wir keine zusätzliche Einladung für die il- herigen politischen Arbeit erlebt habe. legale Droge Cannabis aussprechen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – (Beifall bei der CDU/CSU – Sylvia Kotting- Widerspruch bei der LINKEN) Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt Wir reden über eine Lobby, die mir den Tod wünscht. es doch schon! – Matthias W. Birkwald [DIE Höhepunkt war die Eröffnung eine Facebook-Seite mit LINKE]: Das geht an der gesellschaftlichen dem Aufruf zur Hinrichtung von Marlene Mortler. Realität vorbei!) Meine Tochter hat mich einmal gefragt: Mutter, wie Das bricht Tabus und verharmlost. hältst du das überhaupt aus? – Ganz einfach, habe ich ihr geantwortet, wenn ich das nicht aushalte, dann bin ich Sicherlich, junge Menschen wollen Grenzen ausloten. fehl am Platz. Ich habe eine Motivation. Meine Motiva- Junge Menschen brauchen aber auch Grenzen. Wir wis- 9080 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Marlene Mortler (A) sen: Je jünger ein Cannabiskonsument ist, desto größer Vizepräsident Peter Hintze: (C) sind die Risiken für ihn: Frau Kollegin, der Abgeordnete Ströbele wünscht, eine Zwischenfrage zu stellen. Mögen Sie sie zulassen? (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Deshalb erst ab 18!) Marlene Mortler (CDU/CSU): belastete Atemwege, Entwicklungsverzögerungen so- International genießt unsere ausgewogene Drogenpo- wie psychische und körperliche Abhängigkeit. Das Aus- litik eine hohe Anerkennung. Zuletzt konnte ich das bei lösen bzw. das Verschlimmern von psychischen Erkran- der Tagung der CND, der Commission on Narcotic Drugs, kungen gehört zu den Risiken. Die Denk- und der internationalen Suchtstoffkommission, in Wien erle- Merkfähigkeit leiden. Dauerhafte Schäden des Gehirns ben. sind nicht auszuschließen, auch nicht nach einer Absti- nenz. (Zuruf von der LINKEN: Welchen Rotwein gab es da?) Vizepräsident Peter Hintze: Dort habe ich mit Drogenexperten und Gesundheits- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage eines ministern aus der ganzen Welt gesprochen. Auf dieser Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen? Konferenz haben sich Europa und selbst die USA für die unveränderte Aufrechterhaltung der sogenannten UN- Marlene Mortler (CDU/CSU): Drogenkonventionen ausgesprochen. Das können wir gerne zum Schluss machen. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Sie wissen (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schon, was in den USA passiert?) NEN]: Keine Argumente! – Weitere Zurufe Deutschland und 183 andere Nationen haben diese Kon- vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Oh!) ventionen 1961, 1971 und 1988 unterschrieben. Sie wol- Ich habe auf die Schädigung bei jungen Menschen len nun, dass wir aus diesen Einheitsabkommen austre- hingewiesen. Diese dürfen wir nicht verharmlosen. Erst ten. In der Opposition kann man sicherlich alles fordern. gestern habe ich dazu ein fünfstündiges Expertenge- Aber unsere Regierung trägt Verantwortung. Wir werden spräch im Gesundheitsministerium geführt. Ehrlich ge- unseren internationalen Ruf, unsere Verlässlichkeit und sagt, die Daten und Problemfälle aus den Behandlungs- unsere Glaubwürdigkeit mit Sicherheit nicht aufs Spiel einrichtungen, die mir gestern einmal mehr geschildert setzen, nach dem Motto „kurz raus, dann wieder rein“. wurden, sind wohl nur die Spitze des Eisbergs. Wir brau- Das ist unseriös. chen weitere Daten über die sozialen Folgen eines frü- (Beifall bei der CDU/CSU) (B) hen Cannabiskonsums, zum Beispiel über Schul- und (D) Ausbildungsabbrüche, über Jugendliche, die Jahre auf In der Konvention von 1961 steht ganz klar: Cannabis ihrem Lebensweg verlieren und in ihrer Entwicklung für den Freizeitkonsum ist illegal. – Für medizinische schwer und dauerhaft beeinträchtigt sind. und wissenschaftliche Zwecke gibt es Spielraum. Diesen Spielraum nutzen wir. Wir werden demnächst den Ent- (Frank Tempel [DIE LINKE]: Daran hat das wurf eines Gesetzes vorlegen, das mehr und schwer Verbot aber nichts geändert!) chronisch erkrankten Patienten den Zugang zu Cannabis- Es gibt also drängende Gesundheitsfragen, die durch arzneimitteln erleichtern soll. Ihren Gesetzentwurf trotz detaillierter Regelungen nicht Zur Erinnerung: Es war die unionsgeführte Bundesre- beantwortet werden. gierung, die zum ersten Mal überhaupt in diesem Land (Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel ein Cannabisfertigarzneimittel zugelassen hat. [DIE LINKE]: Auch nicht durch Verbote!) ( [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Unsere Drogenpolitik in Deutschland fußt auf vier NEN]: Das ist total lächerlich!) Säulen: erstens Prävention, zweitens Beratung und Hilfe, Es wird wieder die unionsgeführte Bundesregierung drittens Schadensminimierung bzw. -reduzierung und sein, die in unserem Land die Verkehrs- und Erstattungs- viertens Strafverfolgung. Wir dürfen unser eigenes fähigkeit von Cannabis als Medizin aus der Apotheke er- Suchthilfesystem und unsere Drogenpolitik im eigenen weitern wird. Dafür danke ich auch unserem Koalitions- Land nicht schlechtreden. Aber wir müssen selbstver- partner. Wir sind hier auf einer Linie; wir sind uns hier ständlich immer wieder nachbessern. Auch ich hinter- komplett einig. frage immer wieder mein eigenes Handeln und Denken: Gehe ich noch in die richtige Richtung? Ich befinde (Zuruf von der SPD) mich laufend im Gespräch mit Suchthilfeeinrichtungen und der Polizei und frage, ob eine Lockerung in Rich- Wir sind uns aber auch darin einig, dass wir Ihren Ge- tung Legalisierung geboten erscheint. Ich habe noch setzentwurf ablehnen. Er ist ein Experiment mit un- keine Stimme gefunden, die Ja gesagt hat. gewissem Ausgang und nicht einschätzbarem Risiko: Hanfanbau für jeden, 30 Gramm pro Einkauf; im Ge- (Lachen bei der LINKEN – Widerspruch beim setzentwurf steht nichts von einer Limitierung auf einen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frank Tempel Tag, einen Monat oder ein Jahr. Mein Kollege Jens [DIE LINKE]: Alle drei Polizeigewerkschaf- Spahn hat ausgerechnet: Diese 30 Gramm reichen für bis ten haben sich geäußert!) zu 120 Joints. Er hat treffend geschlussfolgert: Derje- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. 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Marlene Mortler (A) nige, für den das der „kurzfristige Eigenbedarf“ ist, ist Mittel werden für Prävention, Schadensminderung und (C) abhängig und braucht eher einen Arzt. Behandlung ausgegeben. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Andere Exper- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten finden Sie auch nicht mehr!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN) – Ich zitiere den zuständigen Experten in Uruguay, lieber Wenn Sie an die Basis gehen, in Behandlungseinrich- Kollege, der vor Ort der Oberexperte ist. Er sagt: Bereits tungen, dann wird man Ihnen genau das sagen: dass die der regelmäßige Konsum von 1 Gramm Marihuana am Ausstattung der Behandlungseinrichtungen und der Be- Tag bedeutet, dass man zur Risikogruppe gehört und da- ratungseinrichtungen mit Mitteln bei uns viel zu kurz mit ein gesundheitliches Problem hat. kommt. Deswegen ist dieser Ansatz in Deutschland na- türlich gescheitert. (Frank Tempel [DIE LINKE]: Wie ist das beim Alkohol?) Sie haben nicht ein Wort darüber verloren, dass unser Gesetz – ich möchte Sie auffordern, dazu noch einmal Unsere Gesundheit zählt. Es darf hier nicht um das Stellung zu nehmen – einen starken Akzent auf Jugend- große Geschäft gehen. Mit diesem Gesetzentwurf forcie- schutz setzt. Sie haben richtigerweise argumentiert, dass ren Sie ein Geschäft, eine Industrie, die Sie gestern noch Cannabis in der Entwicklung von Jugendlichen einen massiv bekämpft haben. Schaden anrichten kann. ( [CDU/CSU]: So ist es!) (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist keine Kurz- Deshalb fordere ich Sie auf – ich werde gleich einen per- intervention! Das ist ein Redebeitrag!) sönlichen Beitrag dazu leisten –: Kümmern Sie sich bes- Das haben wir bisher auch nie infrage gestellt. Vor allen ser um natürliche geistige Energie, die Sie frisch hält. Dingen wird es in unserem Gesetzentwurf überhaupt (Die Rednerin überreicht der Fraktion BÜND- nicht infrage gestellt. NIS 90/DIE GRÜNEN eine Tüte Nüsse) Ganz im Gegenteil: Wir stärken den Jugendschutz, Ich danke dem Präsidenten für die Geduld. weil wir etwas dagegen tun, dass die potenziellen Kon- sumenten auf dem Schwarzmarkt einkaufen, wo alles (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU so- Mögliche verkauft wird. wie bei Abgeordneten der SPD) Im Übrigen haben Sie auch nicht ein Wort darüber verloren, welche negativen Folgen sozusagen die Auf- Vizepräsident Peter Hintze: rechterhaltung des Schwarzmarkts in Deutschland für Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem das gesamte Geschehen hat, was die Konsummittel be- (B) (D) Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Fraktion Bündnis 90/ trifft. Die Grünen. Ich möchte Sie zu noch etwas auffordern. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Zuruf von der CDU/CSU: Wie lange soll das Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Mortler, noch gehen?) der Grund, warum die Patienten in Deutschland heute Es ist ja nett, dass Sie uns da offensichtlich eine Pflanze noch damit rechnen müssen, dass Cannabis als Medizin hingestellt haben. so schlecht verfügbar ist, ist das Verhalten der CDU/ CSU-Fraktion. Die Schuld liegt bei ihr, weil sie die Le- (Zurufe) galisierung von Cannabis seit Jahren und Jahrzehnten – Nüsse. behindert hat, und zwar mit genau den gleichen Argu- menten, die Kollege Spahn jetzt auch wieder bemüht, (Manfred Grund [CDU/CSU]: Die Pflanze war um unseren Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzes in beim Kollegen Özdemir! – Matthias W. Misskredit zu bringen. Birkwald [DIE LINKE]: Nüsse! Oh Gott, ich bin Nussallergiker!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Es gibt auch andere Bilder von Ihnen. Es verwundert mich gar nicht, wenn Sie immer nur Sie haben auch die folgende Frage nicht beantwortet: diejenigen hören, die davor warnen, so ein Gesetz zu (Manfred Grund [CDU/CSU]: Herr Präsident, machen. Es hängt immer davon ab, welche Gesprächs- was will der denn eigentlich?) partner man sich sucht. Man kann sich in unserer Gesell- schaft auch Gesprächspartner suchen, die Ihnen genau Was tun Sie eigentlich dafür, dass die negativen Folgen sagen werden, dass die Politik, die Sie bisher verfolgt des Alkoholismus in Deutschland angegangen werden? haben, in Deutschland gescheitert ist. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn Sie jetzt sagen: „Unsere Drogenpolitik basiert und bei der LINKEN) auf vier Säulen: Prävention, Schadensminderung, Be- Diese Vorwürfe gegenüber einem seriösen Gesetzent- handlung, Repression“ – Sie kommen erst am Ende zur wurf kann ich so nicht stehen lassen. Repression –, dann muss ich Ihnen entgegnen: Es ist doch genau umgekehrt. Es werden 70 bis 80 Prozent der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mittel für Repression ausgegeben, und die restlichen und bei der LINKEN) 9082 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

(A) Vizepräsident Peter Hintze: (Beifall bei der CDU/CSU – Dieter Janecek (C) Frau Mortler, mögen Sie darauf antworten? [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das spricht doch für den Gesetzentwurf!) Marlene Mortler (CDU/CSU): Ja. Vizepräsident Peter Hintze: Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge- ordneten Frank Tempel, Fraktion Die Linke. Vizepräsident Peter Hintze: Bitte. (Beifall bei der LINKEN)

Frank Tempel (DIE LINKE): Marlene Mortler (CDU/CSU): Ich habe übrigens keine Angst vor Zwischenfragen. – Herr Präsident! Herr Kollege Terpe, man merkt, dass Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Ihnen das Herz voll ist; mir auch. Herren! Besitz und Erwerb von Cannabisprodukten sind Die symbolischen Nüsse, die ich hier überreicht habe, in Deutschland strafbar. Auch der Anbau ist strafbar. Das sind wirklich für die geistige Gesundheit, um das noch ist die konkrete aktuelle Rechtslage in Deutschland. einmal klarzustellen. (Dietrich Monstadt [CDU/CSU]: Richtig so!) (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Von straffreiem Konsum zu reden, ist reichlich inkompe- NEN]: Unverschämtheit, ehrlich gesagt! – tent. Dr. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Mischung zwischen (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Kindergarten und Unverschämtheit!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Als Kriminalbeamter in Thüringen habe ich im Statt Hanf. dienstlichen Auftrag Strafanzeigen schreiben müssen, (Mechthild Rawert [SPD]: Damit kämen Sie weil Tüten mit Restanhaftungen von Cannabis den An- im Görlitzer Park allerdings nicht weiter! – fangsverdacht begründeten, dass der Betroffene im Be- Heiterkeit – Weitere Zurufe) sitz von Cannabis war. Bereits das führte zur Strafan- zeige. Wer diese Kriminalisierung von Menschen mit – Ich habe Zeit. dem Argument abtut, dass diese Verfahren wieder einge- stellt werden, den muss ich fragen: Wie rechtfertigt man, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Geben Sie Frau dass Hunderte von Polizeibeamten diese Anzeigen erst (B) Rawert mal eine Nuss, bitte!) (D) einmal schreiben müssen, dass Hunderte von Polizeibe- – Ich habe Zeit, Herr Präsident. amten unterwegs sind, um Kontrollen durchzuführen und Wohnungen zu durchsuchen, wenn die Verfahren Ich würde gern einen Kommentar aus der SZ vom von der Staatsanwaltschaft dann in der Regel wieder ein- 5. März zitieren, der das ziemlich auf den Punkt bringt: gestellt werden? Welchen Sinn macht das? Der Gesetzentwurf der Grünen versucht sich nun in (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- einer Art Entspannungspolitik: Erwachsene sollen NIS 90/DIE GRÜNEN) (natürlich gentechnikfreies) Cannabis in geringen Mengen und unter strengen Auflagen besitzen und Sie haben von vier Säulen der Drogenpolitik gespro- konsumieren dürfen, der Schwarzmarkt soll ver- chen. 86 Prozent der Mittel entfallen allein auf die Säule schwinden, die Staatskasse gefüllt, die Jugend ge- der Repression. Wer das damit begründet, dass der schützt werden. Schutz von Kindern und Jugendlichen beabsichtigt ist, dem muss ich sagen: Der Schwarzmarkt ist so ziemlich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der schlechteste Jugendschutz. sowie bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Wenn das so funktionierte und nebenbei der Krieg NIS 90/DIE GRÜNEN) zwischen den Anhängern der „Verbietet alles!“-Re- Die Strafbarkeit gilt aber auch für 40-, 50- und 60- ligion und den „Erlaubt alles!“-Gläubigen endete, Jährige. Sie gilt im Übrigen auch völlig unabhängig da- dann wäre das schön. von, ob der Cannabiskonsument tatsächlich einen ge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und sundheitsgefährdenden Umgang damit pflegt oder ob er des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ein Gelegenheitskonsument ist, der die festgestellte Menge lediglich dazu hat, um eine Weile damit auszu- Wenn darüber in Vergessenheit geriete, dass Hasch kommen. Auch er wird kriminalisiert. Hier wird ein Ver- gefährlich ist und bleibt, wäre das schlecht. Ein halten bestraft, das bei unsachgemäßem Umgang mögli- Cannabiskontrollgesetz kann regeln, was nicht ab- cherweise zu einer Selbstschädigung führt. Das ist zuschaffen ist. Dass mit ihm die große Bürgerfrei- einmalig im deutschen Strafrecht. heit verwirklicht werden soll, ist Mumpitz. Ja, der missbräuchliche Konsum – das wird nicht ig- Die Überschrift lautet „Im Rausch der Illusion“. – noriert; auch nicht im Antrag der Grünen – ist riskant, ist Dem ist nichts hinzuzufügen. gefährlich, und das besonders, wenn im sehr frühen Al- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9083

Frank Tempel (A) ter damit begonnen wird. Deswegen muss man natürlich ten, Sie finden keine Experten, die etwas anderes sagen. (C) klare Jugendschutzregeln schaffen. Während wir aber Das ist reichlich ignorant. hier darüber diskutieren, wie wir das machen können, schaffen wir es beim Alkohol noch nicht einmal, über (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- konkrete Werbeverbote zu reden. NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. [SPD] – Matthias W. Birkwald [DIE (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- LINKE]: 122 Strafrechtsprofessoren!) NIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kollegen von der Union und auch von der SPD, Sie, liebe Kollegen von der Union, lehnen die Legali- Sie haben noch eine zweite Chance: Es befindet sich sierung von Cannabis ab, damit nicht, wie man ja hört, nach wie vor im Beratungsprozess des Bundestages ein neben Tabak und Alkohol eine weitere gefährliche Antrag zur Evaluierung des Drogenstrafrechts. Sie ha- Droge auf den Markt kommt. Ich weiß nicht, in welcher ben da eine Chance. Stellen Sie die richtigen Fragen. Sie Welt Sie leben. Wir haben circa 2,5 bis 4 Millionen Can- glauben, Nachfrage und Angebot durch ein Verbot zu re- nabiskonsumenten in Deutschland. Diese Droge ist da, duzieren. Dann überprüfen Sie es. Es gibt viele Länder, und der Versuch der Durchsetzung des Verbots kostet die andere Wege gehen. Sie zweifeln die Zahlen an. eben sehr viel Geld, das an anderen Stellen für Präven- Überprüfen Sie es. Wir sagen, dass die fehlende Kon- tion fehlt. trolle Produkte auf dem Schwarzmarkt noch gefährlicher (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- werden lässt durch fehlende Wirkstoffgehaltangaben, NIS 90/DIE GRÜNEN) durch Streckmittel; Sie ignorieren das. Dann überprüfen Sie es! Stellen Sie die richtigen Fragen. Dieser Antrag ist Stattdessen haben wir einen Schwarzmarkt, Streckmittel noch in der Pipeline und soll hier beraten werden. Alle und keinen Einfluss auf den Wirkstoffgehalt, keinen Ju- Zahlen, Tendenzen und Fakten können auf den Prüf- gendschutz. Deswegen muss es einfach legitim sein, Al- stand; aber die Diskussion zu verweigern, ist einfach un- ternativen zu diskutieren. akzeptabel. Die Linken haben in der letzten Legislatur den Vor- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- schlag gemacht, eine nichtkommerzielle Lösung, ange- NIS 90/DIE GRÜNEN) lehnt an die Cannabis Social Clubs in Spanien, anzubie- ten. Das heißt, sowohl legal als auch illegal kann Ich möchte aber trotzdem ganz zum Schluss – die Zeit niemand mit diesem Produkt Geld verdienen. Das wäre ist abgelaufen – anerkennen, dass es zumindest die An- präventiv durchaus eine interessante Lösung. Die Grü- sage gibt, im Bereich der medizinischen Verwendung et- nen haben jetzt einen anderen Vorschlag eingebracht, der was zu machen. Ich hoffe sehr, dass es nicht nur darum (B) auch kommerzielle Lösungen beinhaltet, aber ebenfalls geht, den wenigen Erlaubnisinhabern jetzt Kosten zu er- (D) Lösungsansätze in den Bereichen Jugendschutz, Ver- statten, sondern dass es hier auch darum geht, zum Bei- braucherschutz und Prävention bietet. Das ist vielfach spiel den Zugang zur Anwendung von Medizinalhanf zu ganz klar eine bessere Lösung als Schwarzmarkt, Streck- erleichtern. Jeder Zehnte, der einen Antrag auf Erlaubnis mittel und Stigmatisierung von 4 Millionen Menschen in zur Verwendung von Medizinalhanf stellt, stirbt, bevor diesem Land. sein Antrag überhaupt entschieden ist. Jeder Zehnte stirbt, bevor der Antrag – Frau Mortler, ich rede auch mit (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Ihnen – überhaupt bearbeitet ist. Das ist unterlassene NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Hilfeleistung durch die Bundesregierung. ten der SPD) Danke schön. Wir haben natürlich überlegt, ob auch wir schnell noch einen Antrag vorlegen. Nein, das machen wir ganz (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- bewusst nicht. Wir reden heute über den Antrag der Grü- NIS 90/DIE GRÜNEN) nen. Den werden Sie eventuell wieder ablehnen. Das wurde ja in Ihrer nicht sehr sachlichen Rede eben deut- Johannes Singhammer (CDU/CSU): lich. Für diesen Fall verspreche ich Ihnen, dass wir hier Für die SPD hat jetzt der Kollege Burkhard Blienert wiederum einen Antrag vorlegen werden. Dieses Thema das Wort. werden Sie aus dem Bundestag nicht mehr herausbe- kommen. Das ist übrigens ein Versprechen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) Burkhard Blienert (SPD): In dieser Debatte zur Legalisierung müssen Sie ein- Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- fach einmal Ihre zwei, drei Experten, die Ihnen noch ge- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Ta- blieben sind, beiseitelassen und auf die wirklichen gesordnung will es so, dass wir direkt im Anschluss an Experten hören. Ich rede da von der Deutschen Haupt- die Debatte um ein Präventionsgesetz, in dem es um stelle für Suchtfragen, einem relativ breiten Sammelbe- Vorsorge und Krankheitsvermeidung geht, über eine cken. Alle drei Polizeigewerkschaften haben sich mitt- Droge diskutieren. Das passt gut zusammen. Bezogen lerweile zu dem Thema geäußert. Die Hälfte aller auf den Bereich Drogen und Sucht stellt die WHO ja Strafrechtsprofessoren hat sich zu diesem Thema geäu- fest, dass 40 Prozent aller Erkrankungen und frühzeitiger ßert. Sie stellen sich hier allen Ernstes hin und behaup- Todesfälle auf insgesamt drei Faktoren zurückzuführen 9084 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Burkhard Blienert (A) sind: Rauchen, Alkohol und unter Alkoholeinfluss ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C) ursachte Verkehrsunfälle. Das macht nur allzu deutlich, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wie wichtig ein lebensweltbezogener Ansatz einer er- folgreichen Prävention ist. ob nicht über neue Wege der Staat in die wichtige kont- rollierende und präventive Rolle gelangen würde. Ich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten warne aber eindringlich davor, die Gefahren von Canna- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE bis zu bagatellisieren und zu meinen, dass nur Jugendli- GRÜNEN) che vor dem Konsum zu schützen seien. Der vorliegende Gesetzentwurf behandelt die Frei- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gabe der illegalen Droge Cannabis. Da ergibt sich erst NEN) einmal ein Widerspruch. Aber es hat sich gezeigt, dass wir auf vielen Ebenen letztendlich über ein wesentliches Grundsätzlich sollte die Einschätzung gelten: Cannabis Ziel unserer Politik diskutieren müssen. Ich zitiere: Ge- ist eine Droge. Sie birgt Suchtpotenzial, und sie ist ge- rade Cannabis sundheitsschädlich. verlangt … nach umfassender, kontinuierlicher ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen, noch im Sommer sundheitspolitischer Beachtung. Es gilt, seinen des letzten Jahres wollten Sie in einem gemeinsamen Konsum nachhaltig zu begrenzen und seine gesund- Antrag mit den Linken die Wirkungen des Betäubungs- heitlichen und sozialen Folgen effektiv zu mindern. mittelrechts evaluieren lassen. Diesen Ansatz lassen Sie jetzt erst einmal fallen. Das war ein Zitat aus dem Vorstandsbeschluss der Deut- schen Hauptstelle für Suchtfragen aus dem Jahr 2004. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich finde, dieses Ziel ist für Cannabis nach wie vor rich- NEN]: Stimmen Sie dem denn zu? – Frank tig und wichtig. Es ist auch nach weiteren elf Jahren Tempel [DIE LINKE]: Der Antrag ist nicht bundesdeutscher Drogen- und Suchtpolitik noch nicht weg!) erreicht. Wir sind vielleicht sogar noch weiter davon ent- Sie wischen das Ziel der Erkenntnisgewinnung weg und fernt als 2004. stellen einen Gesetzentwurf vor, der medienwirksam von Es muss um die Frage gehen, einen möglichst umfas- Ihrem Parteivorsitzenden angekündigt wurde. Das ist für senden Gesundheitsschutz sicherzustellen und gleichzei- mich aber keine vertrauensbildende und vorsorgende tig die sozialen und wirtschaftlichen Folgen im Auge zu Gesundheitspolitik. behalten. Deshalb kann es eben nicht einfach um die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Fragestellung „Legal oder illegal?“ gehen. Rund ein (B) Viertel der Altersgruppe zwischen 18 und 64 Jahren ha- Die Idee eines regulierten Marktes für die Cannabisab- (D) ben Cannabis schon einmal konsumiert. Laut Suchtsur- gabe will ich gar nicht per se verdammen. Es lohnt sich vey 2012 konsumierten knapp 3 Millionen Personen mit Sicherheit, gerade weil die Verbotspolitik nicht die Cannabis in den letzten zwölf Monaten vor der Befra- erhoffte Wirkung hatte, den Blick zu weiten, in Länder gung. jenseits von Deutschland zu schauen, auch in andere eu- ropäische Länder wie Portugal, Niederlande und die (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Grund Schweiz. genug, es zu legalisieren! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Trotz Verbot!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Die Prävalenz hat eben trotz Illegalität der Droge nicht abgenommen. Aber die Inhalte und Regelungen müssen zweckdienlich (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Eben!) sein; sie dürfen nicht ideologisch sein. Zweckdienlich heißt für mich: Nicht der Genuss eines Suchtmittels hat Mit Ihrem Gesetzentwurf versuchen Sie nun einen ge- Vorrang, sondern die Prävention und ein sicherer Kon- wagten Spagat: den Konsum der illegalen Droge Canna- sum. bis in den Griff zu bekommen, sie als Genussmittel für Erwachsene hoffähig zu machen und gleichzeitig Ju- Unabhängig vom vorliegenden Gesetzentwurf muss gendliche vor dem Konsum zu schützen. Wörtlich heißt daher sichergestellt sein: Sollte sich eine regulierte Frei- es hierzu in der Begründung: gabe von Cannabis als sinnhaft herausstellen, so darf dies kein Einfallstor im Umgang mit anderen Drogen Notwendig ist ein gesundheitspolitischer Ansatz, werden. Wir dürfen nicht in eine Öffnungsschiene gera- der Prävention und Intervention bei Jugendlichen ten, die wir nicht beherrschen können. Deshalb gilt: Auf- und einen möglichst risikoarmen Konsum bei Er- gabe unserer Gesundheitspolitik muss weiterhin die Ab- wachsenen fördert. wehr und die Vorbeugung von Suchterkrankung bleiben; Ursache dieses Gesetzes ist natürlich die unbestrittene es darf nicht um die grundsätzliche Freigabe von Sucht- Einschätzung, dass die Prohibitionspolitik nicht dazu ge- stoffen unter dem Deckmantel des „Rechts auf Selbst- führt hat, dass Cannabiskonsum verhindert wurde, son- schädigung“ gehen. dern, wie im Gesetzestext dargelegt ist, noch anstieg. Für mich ist es daher politisch durchaus gerechtfertigt, Vizepräsident Johannes Singhammer: sich die Frage zu stellen, ob nicht andere Wege im Um- Herr Kollege Blienert, gestatten Sie eine Zwischen- gang mit Cannabis sinnvoller wären, frage des Kollegen Birkwald? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9085

(A) Burkhard Blienert (SPD): darüber zu reden. Ich glaube, die Zeit für diesen Prozess (C) Ja. Bitte. sollten wir uns auch nehmen, (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Kol- GRÜNEN] – Matthias W. Birkwald [DIE lege Blienert, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Zu- LINKE]: 40 Jahre schon!) nächst: Ich bin in dem Thema dieser Debatte emotional engagiert, weil ich vor 40 Jahren meinen ersten Artikel sonst geraten wir viel zu schnell in Widersprüche. dazu veröffentlicht habe, damals in der Schülerzeitung Zum zweiten Punkt. Dass der Kollege Isenberg aus mit dem schönen Namen Pegel; er trug den Titel: „Lega- Berlin notwendigerweise und richtigerweise darauf hin- lize it“. Die Legalisierung von Haschisch und Marihuana gewiesen hat, was für Berlin richtig und wichtig sein ist also ein Thema, das mir persönlich schon lange am kann, will ich gar nicht bewerten. Ich glaube, er hat Herzen liegt; denn es gibt keinen Grund, diese anders zu wichtige Sätze für Berlin gesprochen. Er hat auch deut- behandeln als Alkohol. lich gemacht, wie intensiv sich die SPD in den Ländern, Aber nun zu meiner konkreten Frage. Ich habe in Ih- in den großen Städten und Kommunen des Themas an- rer Rede nicht so richtig erkennen können, dass Sie da- nimmt. gegen sind, Haschisch und Marihuana zu legalisieren. (Zuruf von der LINKEN: Theoretisch, nicht Ich habe zumindest keine Argumente gehört. Sie haben praktisch!) sehr sachlich abgewogen. So frage ich Sie: Sind Sie ge- gen den Gesetzentwurf der Grünen, oder sind Sie dafür? Wir sind dabei, diese Meinungen zusammenzubringen Ich möchte Sie bitten, auch etwas zu der Bewertung und ergebnisbezogen zu diskutieren. zu sagen, die Ihr SPD-Kollege Thomas Isenberg, Mit- Ich denke, da wir in den letzten Jahren wenige Fort- glied des Abgeordnetenhauses von Berlin, vorgenom- schritte verzeichnen konnten, müssen wir uns jetzt we- men hat, und dazu, wie Sie zu der Differenz in den Auf- nigstens die Zeit nehmen, die wir notwendigerweise fassungen stehen. Er hat nämlich erst kürzlich erklärt: brauchen, um die richtigen Antworten zu finden. Die „Das Verbot von Cannabis ist gescheitert“, und er hat ge- richtigen Antworten können nur gefunden werden, wenn fordert, Modellprojekte für eine legale Abgabe von Can- wir uns danach richten, dass es nicht von oben, vom nabis einzuführen. Meine Frage ist: Wie stehen Sie Bund aus, verordnet werden kann, dazu? Wann kommt die SPD zu einer einheitlichen Posi- tion in Sachen Cannabislegalisierung? (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE (B) GRÜNEN]: Das Betäubungsmittelgesetz ist (D) Letzte Bemerkung: Wir haben heute nicht nur den ein Bundesgesetz! – Frank Tempel [DIE Equal Pay Day und die Sonnenfinsternis. Nein, wir ha- LINKE]: Das ist aber ein Bundesgesetz!) ben auch Frühlingsanfang. Vor allen Dingen haben wir heute aber den internationalen Tag des Glücks. sondern in den Ländern und Kommunen gleichzeitig eine Debatte geführt werden muss, und so dafür sorgen, (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, dass wir eine gesellschaftliche Akzeptanz bekommen, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE um über Drogen im Allgemeinen und natürlich Cannabis GRÜNEN) im Besonderen zu diskutieren. Machen Sie uns doch alle glücklich, und sagen Sie an (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dieser Stelle, dass die SPD auch einmal einem vernünfti- gen Gesetzentwurf der Opposition zustimmen kann. Ich komme zum Schluss. Vor diesem konkreteren Hintergrund bin ich bereit zu einer Debatte, auch über (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und einen regulierten Markt für die Abgabe von Cannabis. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der regulierte Markt darf aber nicht einem suchtmäßigen Konsum dienen. Eine Regulierung soll den Schwarz- Burkhard Blienert (SPD): markt austrocknen und Kriminelle von den Konsumen- Sehr geehrter Herr Kollege, ich freue mich zunächst ten fernhalten, Konsumenten entkriminalisieren, sehr über Ihr Zutrauen, dass die SPD das Glück tatsäch- lich bringen kann. (Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD]) (Beifall bei der SPD) und gleichzeitig starke präventive Maßnahmen vorse- hen. Ich finde, das haben wir heute schon gerechtfertigt. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Zum ersten Punkt Ihrer Frage. Wir reden heute über DIE GRÜNEN) einen gerade eingebrachten Gesetzentwurf. Wir werden ihn dann ja auch im Ausschuss beraten. Ich glaube, zur Hierzu reicht es nicht aus, lediglich den Jugendschutz zu gesamten Bandbreite beim Umgang mit dem Thema gewährleisten. Der Konsum kann auch für Erwachsene Cannabis – Cannabis als Medizin, Cannabis als Genuss- allenfalls in klaren Grenzen stattfinden. Freimengengrö- mittel, Cannabis als Risikofaktor, insbesondere für Ju- ßen, Anbauregelungen, Vertriebsstrukturen und steuer- gendliche, einer möglichen Drogenkarriere – gehört tat- rechtliche Maßnahmen müssen hierzu genauestens über- sächlich auch, Abwägungen zu treffen und ideologiefrei legt und diskutiert werden. 9086 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Burkhard Blienert (A) Mein Ziel wird es nicht sein, einen Rausch für alle zu chen was anderes! – Zuruf der Abg. Sylvia (C) gewährleisten. Mein Ziel wird es sein, gesundheitliche Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Prävention zu stärken und Lebensstile unter nachdrückli- chem Verweis auf Risiken und Nebenwirkungen be- Ich staune jetzt ein bisschen, wie man – auch in Be- stimmter Konsumverhalten nicht zu kriminalisieren, da- zug auf den heutigen Internationalen Tag des Glücks – mit der Staat wieder die Kontrolle über diesen Bereich zu dem Schluss kommen kann, dass das, was wir in Be- erhält, die er benötigt. zug auf Suchtstoffe, auf süchtig machende Substanzen, auf Abhängigkeit erzeugende Substanzen, brauchen, Vielen Dank. nicht ein Nichtverbreitungspakt, sondern ein Verbrei- tungspakt sei. Was wir brauchen, ist doch ein Nichtver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten breitungspakt für süchtig und abhängig machende Subs- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) tanzen, und der muss auf gesellschaftlicher Ebene geschaffen werden. Vizepräsident Johannes Singhammer: Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Rudolf (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Henke. Birkwald [DIE LINKE]: Durch Aufklärung! Nicht durch Verbote!) (Beifall bei der CDU/CSU) Deswegen müssen verantwortliche Politiker mit der illu- Rudolf Henke (CDU/CSU): sionären Verbreitung der Hypothese aufhören, dass Can- nabis glücklich macht. Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will erst einmal sagen: (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich glaube, dass ein solcher Antrag in den Deutschen NEN]: Das ist doch Quatsch!) Bundestag gehört, wenn – wie der Deutsche Hanfver- band über Emnid hat ermitteln lassen – 19 Prozent Zu- Denn das ist doch die Frage, die dahintersteckt. Die SPD stimmung dafür vorhanden ist – die anderen stimmen soll ja nicht Sie glücklich machen, sondern die SPD soll nicht zu –, einen kontrollierten Zugang zu einem nicht- Sie dadurch glücklich machen, medizinischen Cannabisnutzen zu ermöglichen. Der Ort der Debatte ist also in Ordnung. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dass sie dem Gesetzentwurf zustimmt!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!) dass der Zugang zu Cannabis ermöglicht wird. Genau das ist die falsche Botschaft an Kinder und Jugendliche (B) – Ja, wo soll man es sonst machen, wenn nicht im Parla- (D) ment? Ich finde das schon völlig normal. (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die werden im Ge- (Beifall des Abg. Dr. [BÜND- setzentwurf doch ausgenommen, Herr Henke!) NIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ja und an Menschen, die vor der Frage stehen: Wie gehen schön, dass Sie das zugeben! Das ist ja eine wir mit einer solchen Substanz um? tolle Erkenntnis!) Ich würde von verantwortlichen Politikern erwarten, Ich erinnere mich auch, dass man bei solchen Debat- dass sie sagen: Der Substanzorientierung, die in dieser ten und Auseinandersetzungen sehr individuelle Mei- Gesellschaft in der Tat fälschlicherweise verbreitet ist nungen haben kann. Ich habe mich als Mitglied der – wir assoziieren mit materiellen Dingen Glück –, müs- CDU-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag, als sen wir mannhaft und frauhaft entgegenstehen. Dazu es um die Frage ging, ob man die bayerische Lösung ei- müssen wir sagen: Weder das Nikotin noch der Alkohol nes Tabakverbots in Gaststätten in Nordrhein Westfalen noch das Cannabis noch andere illegale Drogen machen einführt, gegen die Haltung der damaligen CDU-geführ- glücklich. Wenn dieses Signal von der Debatte ausgehen ten Regierung dafür ausgesprochen. Ich wollte die baye- würde, dann wäre das eine Botschaft an die Kinder und rische Lösung in Nordrhein-Westfalen haben, was den Jugendlichen in unserem Land. Tabakkonsum anging. (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]) Insofern geht es hier eigentlich um die Frage: Wie be- kommen wir Generalprävention möglichst gut hin? Damals waren die Grünen der Meinung, dass es so, wie es in Bayern im Rahmen einer Volksabstimmung be- schlossen und dann gemacht wurde, richtig sei. Ich habe Vizepräsident Johannes Singhammer: es, wenn man so will, als eine Art kleinen Nichtverbrei- Herr Kollege Henke, gestatten Sie zwei Zwischenfra- tungspakt für Suchtmittel verstanden, den der kleine Ab- gen? Der Kollege Dr. Terpe und der Kollege Ströbele geordnete Rudolf Henke mit einer späteren grünen Ge- möchten diese stellen. sundheitsministerin geschlossen hat. (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da ging Rudolf Henke (CDU/CSU): es um Nichtraucherschutz! Das ist ein biss- Bitte. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9087

(A) Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Henke, Nun hat der Kollege Ströbele die Möglichkeit, seine lieber Rudolf, ich weiß nicht, ob die Rede nach dem Zwischenfrage zu stellen. Satz, der jetzt kam, eine ganz andere Richtung nimmt. Ich möchte aber fragen, wo du unserem Gesetzentwurf Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE entnommen hast, dass wir die glückseligmachende Be- GRÜNEN): deutung von Cannabis in den Vordergrund stellen. Ich Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulas- weiß nicht, woher du das nimmst. sen. – Sind Sie mit mir als Nicht-User der Meinung, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war (Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) auch eine Fehlinterpretation!) dass man Drogen überhaupt nicht nehmen soll, dass man keine Drogen nehmen soll und dass man, wenn man Rudolf Henke (CDU/CSU): schon Drogen zulassen will oder muss, diese nach ihrer Nein. Gefährlichkeit für die Gesellschaft behandeln sollte, und dass vor dem Hintergrund dieses Grundsatzes der Ge- nuss von Alkohol, und zwar nicht nur der übermäßige, Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sondern überhaupt der Genuss von Alkohol, weil auch Genau das Gegenteil ist der Fall. dieser dazu führen kann, (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dass Ich hoffe, dass die folgenden Ausführungen zeigen man vom Fahrrad fällt!) werden, dass der repressive Ansatz an den Problemen, die wir natürlich in der Gesellschaft mit Cannabis haben, dass er übermäßig wird, sowie der Genuss von Zigaret- überhaupt nichts geändert hat, sondern sie – im Gegen- ten bzw. Tabak um ein Vielfaches gefährlicher sind als teil – sogar befördert hat. der Genuss von Cannabis? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sind Sie außerdem mit mir der Meinung, dass man als sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ein billig und gerecht denkender Mensch, der die Drogen nach ihrer Gefährlichkeit behandelt, zu dem Ergebnis kommen muss, dass, wenn Alkohol und Zigaretten nicht Rudolf Henke (CDU/CSU): verboten sind – ich bin auch in diesen Fällen gegen ein Diese Einschätzung teile ich nicht. Meine Überzeu- Verbot –, auch Cannabis schon aus Gründen der Gerech- (B) gung ist, dass der repressive Ansatz, den wir verfolgen tigkeit gleichbehandelt werden muss, weil an Alkohol (D) – auch das, was Sie, Herr Tempel, und Ihre Kollegen als und Zigaretten jedes Jahr in Deutschland Zehntausende Polizeibeamte in Thüringen gewissermaßen als frucht- von Menschen sterben, am Genuss von Cannabis kein lose Arbeit empfunden haben –, nicht fruchtlos ist, son- einziger Mensch stirbt, dern zur generalpräventiven Wirkung beiträgt, die dazu (Widerspruch bei der CDU/CSU) führt, dass laut der erwähnten Befragung eben nur 19 Prozent dafür sind, einen kontrollierten Zugang zu ei- und – ich möchte Cannabis nicht bagatellisieren; es ist nem nichtmedizinischen Cannabiskonsum zu ermögli- gefährlich; ich rate auch allen davon ab, es zu nehmen – chen. das Mittel des Strafrechts ein ungerechtes Mittel im Gleichklang dieser Drogen ist? Ich glaube, wir müssen daran arbeiten, einen gesell- schaftlichen Konsens aufrechtzuerhalten, dass auch Can- Deshalb bitte ich Sie: Schließen Sie sich mir an. Set- nabis zu den Stoffen gehört, die man nicht nutzt, ge- zen Sie sich für ein Werbeverbot für Alkohol ein. Setzen nauso wie ich einen solchen Konsens für das Nikotin Sie sich dafür ein – das ist ein dringendes Gebot –, dass will, und ich will ihn auch gegen übermäßigen Alkohol- vom Konsum von Cannabis, Alkohol und Zigaretten Ab- konsum. Ich bin gern bereit, darüber zu diskutieren, auch stand genommen wird. Setzen Sie sich aber auch für eine mit jedem aus jeder grünen Fraktion in Deutschland: Gleichbehandlung der Drogen ein und dafür, dass man Was können wir zusätzlich tun, um den missbräuchli- Unterschiede nur anhand des Grades der Gefährlichkeit chen Alkoholkonsum einzuschränken? Und was können machen darf. wir tun, um den Tabakkonsum noch mehr zurückzudrän- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen? Aber das kann ich doch nicht mit Menschen tun, sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die gleichzeitig propagieren, dass man jetzt mit einem Kontrollgesetz den Leuten den Eindruck verschafft, als Rudolf Henke (CDU/CSU): gäbe es einen quasi risikofreien Konsum von Cannabis. Das ist das Problem. Vielen Dank, Herr Ströbele, für diese Frage. – Nach meiner Einschätzung und ärztlichen Kenntnis möchte Was die Frage mit der Glückseligkeit betrifft, also ob ich zunächst einmal sagen: In der Tat gibt es in Deutsch- die bei euch im Antrag steht: Es stimmt, Harald, sie steht land jährlich 40 000 Alkoholtote und 100 000 Nikotin- da nicht. Sie stand aber bei der Frage im Raum, die der bzw. Tabaktote. Deshalb haben wir allen Grund dazu, die Kollege von der Linken gestellt hat. Bemühungen, die wir in Gang gebracht haben, mit dem Entwurf eines Präventionsgesetzes so erfolgreich wie (Beifall bei der CDU/CSU) möglich voranzutreiben. 9088 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Rudolf Henke (A) Was nun die Behandlung auf gleicher Ebene und die Hirnarealen. Dass das einen nützlichen Effekt haben (C) genannte Konstruktion von Gerechtigkeit betrifft, so soll, das würde ich erst einmal bestreiten. finde ich, dass dies einfach der historischen Ausgangs- Ich würde auch vermuten: Wenn es um Landwirt- lage nicht gerecht wird, denn die historische Situation ist schaftspolitik ginge, würden Sie wahrscheinlich jedem so: Tabak, im Rückgang befindlich, hat eine hohe gesell- Landwirt, der anfängt, seine Hühner oder Hähnchen mit schaftliche Akzeptanz. Hanf zu füttern, dies verbieten und fordern, dass sofort (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Canna- ein Verbot her muss. Auch das darf natürlich keineswegs bis auch!) erfolgen. Dem würde ich auch zustimmen. Das ist ein historischer Sachverhalt. Wir kämpfen dage- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) gen. Wir setzen zum Beispiel Steuerpolitik ein, um den Tabakkonsum zu disincentivieren. Das ist eine kluge Ich halte also fest: Aus meiner Sicht brauchen wir uns Maßnahme angesichts des gesellschaftlichen Kräftever- nicht für die generalpräventive Wirkung zu schämen, die hältnisses beim Tabak. durch den repressiven Umgang mit Cannabisbesitz, -an- bau und -handel ausgelöst wird. Wir als Parlament haben Beim Alkohol ist das Kräfteverhältnis noch einmal allen Grund, Herr Tempel, Ihnen und Ihren Kollegen, die anders und komplizierter, weil es natürlich auch Daten aufseiten der Polizei an der Aufrechterhaltung dieser Ge- zu einem in bestimmten Grenzen und in bestimmten Fäl- neralprävention mitwirken, an dieser Stelle Danke zu sa- len gesundheitsverträglichen Alkoholkonsum gibt. gen. Das ist keine vergebliche Arbeit. (Zurufe der Abg. Ulle Schauws [BÜND- Wir haben allen Grund dazu, neben dieser repressiven NIS 90/DIE GRÜNEN]) Arbeit eine präventive Arbeit zu leisten, die die Aus- – Die Daten sind halt so, dass er in bestimmten Fällen einandersetzung über die psychischen Gefahren, die psy- auch eine kreislaufprotektive Wirkung entfalten kann. chischen Defekte, die Abhängigkeitspotenziale und auch Insofern sind Sie in einer rechtlich viel komplexeren Si- die körperlichen Schäden, die ausgelöst werden können, tuation. in den Mittelpunkt nimmt.

Jetzt zur Cannabisproblematik: Ich würde der großen Vizepräsident Johannes Singhammer: Gesundheitsgefahr, die von Tabak und Alkohol ausgeht Kollege Henke, gestatten Sie wenige Sekunden vor – dem Argument, das Sie gebracht haben, stimme ich zu –, Ablauf Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage des Kol- keine weitere Gesundheitsgefahr addieren. Dies ist ja ge- legen Tempel? rade der Widerspruch, den ich Ihnen vorwerfe und mit dem Sie in meiner Wahrnehmung ein Stück weit un- (B) (D) glaubwürdig werden. Ich bitte dafür herzlich um Ver- Rudolf Henke (CDU/CSU): ständnis. Bitte. Ja. (Beifall bei der CDU/CSU) Frank Tempel (DIE LINKE): In Bezug auf die Gefahren möchte ich auf Folgendes Danke schön, dass Sie meine Frage noch zulassen. – aufmerksam machen: Ob Sie Cannabis rauchen oder Ta- Sie haben mehrfach auf eine generalpräventive Wirkung bak rauchen, Sie kommen, was die Gefährdung der des Verbots verwiesen. Ich würde gerne wissen, woher Atemwege und der Lunge angeht, was das Provozieren Sie die Annahme haben, dass das Verbot eine general- von Bronchialerkrankungen und von Lungenkrebs an- präventive Wirkung hat. Ich verweise auf die Zahlen der geht, natürlich zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Hinzu Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Dro- kommen die psychischen und sozialen Risiken. Deswe- gensucht in Lissabon – das sind Zahlen von 2011 –: Die gen sage ich: Es handelt sich nicht um ein vermeintlich Lebenszeitprävalenz von Cannabiskonsum ist in Holland harmloses Betäubungsmittel, sondern es ist eine Gefahr, fast auf das Zehntel genau so hoch wie in Deutschland. die wir nicht unterschätzen sollten. In Holland wird aber der Cannabiserwerb in Coffee- shops toleriert; er ist nicht legal, wird aber toleriert. Dort (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) droht keine Strafanzeige. In keinem Land, das von dem Die kognitive Leistungsfähigkeit von Dauerkonsumen- Cannabisverbot abgerückt ist, ist die Zahl der Konsu- ten kann stark beeinträchtigt werden. Die Aufmerksam- menten gestiegen. Das beobachten wir langfristig in Por- keit kann genauso leiden wie die Konzentration, das tugal, das beobachten wir kurzfristig in amerikanischen Kurzzeitgedächtnis und die Lernfähigkeit. Bundesstaaten, selbst in der Schweiz und in anderen Ländern. Überall dort, wo man das Mittel der Strafver- Wahr ist – das gestehe ich auch zu –, dass die Frage folgung abmildert, wo die Gefahr einer Strafanzeige ab- nach Befunden, die körperliche Veränderungen zeigen, nimmt, steigt die Zahl der Konsumenten nicht an. nicht einheitlich beantwortet werden kann, aber es gibt, kernspintomografisch geführt, Belege dafür, dass der Sie reden hier aber trotzdem von einer generalpräven- dauerhafte Einfluss von Cannabis im Bereich von tiven Wirkung. Sie reden auch von einem Signal, das Hippocampus und Amygdala, also bestimmter Hirn- von einer Legalisierung ausgehen würde. Sie wissen regionen, eine Volumenminderung zur Folge hat. Also aber schon, dass ein Verbot immer ein Eingriff in Grund- platt gesagt: Sie kriegen Löcher im Hirn, wenn Sie Can- rechte der Bürger ist, manchmal legitim, manchmal nicht nabis dauerhaft in höherer Dosis konsumieren. Jeden- legitim. Auf alle Fälle gibt es dafür einen verfassungs- falls kommt es zu einer Volumenminderung in diesen mäßigen Grundsatz, nämlich den der Verhältnismäßig- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9089

Frank Tempel (A) keit. Es geht also nicht darum, dass von der Abschaffung wahrscheinlicher wird als in der Normalbevölkerung. Je (C) eines Verbotes ein Signal ausgehen könnte. Vielmehr jünger die Konsumenten sind, umso größer ist das Ri- geht es darum, dass ein Verbot funktionieren muss: ge- siko. eignet, erforderlich und angemessen. Ich glaube, man würde sich mit solchen Argumenten Die Hälfte aller Strafrechtsprofessoren – über 120 in – im Gesetzentwurf der Grünen werden diese übrigens in Deutschland – hat festgestellt, dass genau diese Verhält- einer, ich sage mal, homöopathischen Dosis angespro- nismäßigkeit in allen drei Punkten – geeignet, erforder- chen – dann im Zusammenhang mit der Frage der Ver- lich, angemessen – nicht gewährleistet ist. Deshalb ha- hältnismäßigkeit auseinandersetzen müssen. Wenn es ben sie sich mit einer Resolution an den Deutschen diese Frage der Verhältnismäßigkeit gar nicht gäbe, dann Bundestag gewandt. Übrigens, nur sieben Straf- würden die Grünen ja auch nicht schreiben, dass man rechtsprofessoren haben deutlich geäußert, dass sie sich verhindern muss, dass Kinder und Jugendliche an diese dieser Resolution nicht anschließen wollen; die anderen Stoffe herankommen. Das ist natürlich auch ihr Ziel. In- haben sich einfach nicht beteiligt. Aber mehr als die sofern haben wir an dieser Stelle möglicherweise eine Hälfte aller Strafrechtsprofessoren in Deutschland hat politische Kontroverse über die Bewertung der Verhält- aktiv gesagt, dass die verfassungsgemäße Verhältnismä- nismäßigkeit. Meine Prognose ist, dass das Bundesver- ßigkeit dieses Verbots nicht gegeben ist; es ist weder ge- fassungsgericht dem Gesetzgeber an dieser Stelle eine eignet noch erforderlich oder angemessen. große Einschätzungsprärogative zubilligen würde, so- Sie reden trotzdem von einer generalpräventiven Wir- dass wir das dann zu beurteilen hätten. Ich habe Ihnen ja kung. Haben Sie dazu entsprechende Zahlen? Wie ist das bereits gesagt, welche Einschätzung wir da haben. belegt? Sagen Sie das hier einfach aus Ihrem Bauchge- Ich will mit dem Hinweis darauf schließen – das ist fühl heraus, oder gibt es da belegbare Zahlen? Diese wichtig, damit es niemand missversteht –, dass die Bun- würde ich mir natürlich ganz gerne ansehen. desregierung bekräftigt hat, schwer chronisch erkrankten (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Patientinnen und Patienten den Zugang zu Cannabisarz- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neimitteln erleichtern zu wollen, hierzu die betäubungs- mittelrechtliche Verkehrs- und Verschreibungsfähigkeit zu erweitern und Regelungen über einen Erstattungsan- Rudolf Henke (CDU/CSU): spruch in der gesetzlichen Krankenkasse zu schaffen. Vielen Dank für die Frage. – Zunächst einmal, Herr Das heißt, dass ein legaler Gebrauch von THC-reichem Kollege, gibt es keinen Zweifel daran, dass die Akzep- Cannabis nur für medizinische Zwecke und nur im Rah- tanz von Nikotin und von Alkohol – beide sind erlaubt – men einer ärztlichen Therapie vertretbar wäre. Das ist natürlich viel verbreiteter ist als die von Cannabis. (B) eine Position, die wir als Union nicht beanstanden, nicht (D) (Frank Tempel [DIE LINKE]: Es geht hier um kritisieren, sondern stützen. Insofern, glaube ich, werden Cannabis!) wir an dieser Stelle eine Veränderung erleben. Aber wir werden keine Veränderung in dem Sinne Ihres Gesetz- Durch die Tatsache, dass wir es mit einer Substanz zu entwurfs erleben. tun haben, deren Besitz, Handel und Herstellung bzw. Anbau strafbar ist, haben Sie jedenfalls schon einmal Ich bedanke mich sehr für die Aufmerksamkeit. eine andere Relation in der Wahrnehmung dieses Risikos als bei anderen Suchtstoffen, jedenfalls bei den von den (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Grünen beklagten. Ich finde es jedenfalls hoch wider- neten der SPD) sprüchlich, zu sagen: Der Beleg dafür, dass es keine ge- neralpräventive Wirkung des Verbotes gibt, liegt darin, Vizepräsident Johannes Singhammer: dass der Konsum niedriger als bei anderen Suchtstoffen Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungs- ist. Deswegen glaube ich, dass man schon davon ausge- punkt ist die Kollegin Bettina Müller, SPD. hen kann, dass diese Wirkung existiert. (Beifall bei der SPD) Sie fragen zu Recht nach der Verhältnismäßigkeit. Wenn Sie die Verhältnismäßigkeit betrachten – das würde ja im Zweifel verfassungsrechtlich geprüft wer- Bettina Müller (SPD): den müssen –, kann man feststellen, dass wir wissen- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schaftliche Befunde in Hülle und Fülle haben, die die Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! diagnostizierte Substanzabhängigkeit für Cannabiskon- Über den Umgang mit Drogenhandel und Drogenkon- sumenten nachweisen. Rund 20 Prozent der regelmäßig sum wird schon seit Jahrzehnten sehr ideologisch und konsumierenden Personen erfüllen die Kriterien eines auch sehr emotional diskutiert. Inzwischen sind diese schädlichen Gebrauchs nach F 10.1 der internationalen Debatten schon an vielen Punkten von den gesellschaft- Diagnosen-Klassifikation. Bei 10 Prozent dieser Perso- lichen Realitäten überholt worden, insbesondere was den nen sehen wir eine Abhängigkeit. Nach den Daten von Cannabiskonsum anbelangt. Entwicklungen wie die Petersen und Thomasius aus 2007 finden wir bei etwa Freigabe in Teilen der USA, die Situation in den libera- zwei von drei Cannabisabhängigen eine körperliche Ab- len Niederlanden, aktuelle Pläne zur Eröffnung von Cof- hängigkeitssymptomatik mit und ohne Toleranzbildung. feeshops in Berlin oder die Forderung nach Cannabis für Zudem sehen wir, dass die Entwicklung einer Psychose Schmerzpatienten zwingen uns als Gesetzgeber, uns mit durch Cannabiskonsum um das Zwei- bis Dreifache diesem Thema auseinanderzusetzen. 9090 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Bettina Müller (A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten oder Ausbildungsplatz; das ist insbesondere für Jugend- (C) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) liche im ländlichen Raum ein großes Problem. Ich komme aus dem ländlichen Raum und kenne einige Es ist überfällig, die geltenden rechtlichen Normen an Fälle, in denen das passiert ist. Das sind die sozialen die gesellschaftliche Realität anzupassen. Konsequenzen, die diese Politik auch mit sich bringt. Der von den Grünen vorgelegte Entwurf eines Canna- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem biskontrollgesetzes greift eine Vielzahl von Aspekten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf, bei denen auch die SPD Handlungsbedarf sieht, ins- besondere im Bereich der repressiven Kontrollpolitik. Die Rechtslage, die wir jetzt haben, führt zu einer Art Sanktions-Flatrate; so will ich das einmal nennen. Es ist Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind uns alle ei- kein Wunder, dass die Konsumenten mit so etwas wie nig, dass gerade Jugendliche durch den regelmäßigen Flatrate-Rauchen reagieren; denn es ist ja egal. Wenn Konsum von Cannabis Schaden nehmen. Aber wir ha- man raucht – egal wann und wie –, droht Strafe. Man ben es durch die Mittel des Strafrechts und andere recht- darf sich halt nur nicht erwischen lassen. Das ist die liche Sanktionen nicht geschafft, den Konsum einzu- Konsequenz, die die Jugendlichen daraus ziehen. Das dämmen und den Handel in den Griff zu bekommen. hat mit der strafrechtlichen Prävention, wie gesagt, (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nichts mehr zu tun. Daher sind die im Gesetzentwurf der BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Grünen enthaltenen Vorschläge im Hinblick auf Ände- rungen im Straßenverkehrsgesetz und in der Fahrerlaub- Die Konsumenten werden weiterhin kriminalisiert und nis-Verordnung aus meiner Sicht durchaus sachgerecht. stigmatisiert. Sie weigern sich daher auch, offen zu spre- chen und Hilfe anzunehmen. Wer würde gegenüber El- Wenn ich mir aber zum Beispiel die im Gesetzentwurf tern und Lehrern schon zugeben, dass er Cannabis kon- vorgesehene aufwendige Regulierung der gesamten sumiert, wenn permanent das Damoklesschwert des Handelskette anschaue – vom Anbau über den Großhan- Strafrechts über ihm schwebt? Wir erreichen die jungen del bis zum Einzelhandel –, dann habe ich doch Zweifel Leute mit dem generalpräventiven Ansatz auch deshalb an der Realisierbarkeit. Denn wichtige Aspekte wie die nicht mehr, weil die Sanktionen zum Teil grotesk über- Überwachung und Erteilung von Genehmigungen sowie zogen sind. die Kontrolle der Vorschriften werden nur in Abstim- mung mit den verschiedenen Ebenen – mit Bund, Län- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dern, Kreisen und Kommunen – sinnvoll umgesetzt wer- SES 90/DIE GRÜNEN) den können. (B) Nehmen Sie zum Beispiel das Straßenverkehrsrecht. Ein kontrollierter Cannabismarkt muss auch funktio- (D) Für Cannabis im Straßenverkehr gibt es keinen Grenz- nieren. Für die Kontrolle müssen die zuständigen Stellen wert, wie wir ihn beim Konsum von Alkohol kennen. finanziell und personell gut ausgestattet sein. Es muss Der Stand der Wissenschaft ist hier aber längst so weit, vermieden werden, dass die Behörden vor Ort von die- dass eine genaue Bestimmung der Fahruntüchtigkeit un- sen Aufgaben entweder überfordert sind oder gar über ter THC-Einfluss möglich ist. Deshalb ist es unhaltbar, das Ziel hinausschießen und Cannabiskonsumenten wenn von einem positiven THC-Befund ausgegangen – statt wie bisher mit den Mitteln des Strafrechts – künf- wird – der auch noch Tage nach dem Konsum vorhanden tig beispielsweise mit den Mitteln des Gewerberechts ist – und dann pauschal auf die Fahruntüchtigkeit ge- mit großem Aufwand und in unverhältnismäßiger Weise schlossen wird. verfolgen. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An dieser Stelle ist in dem Gesetzentwurf noch eini- Genau! Das müssen wir ändern!) ges unausgegoren, noch nicht zu Ende gedacht; dazu ge- Dann ist es im Grunde völlig egal, ob jemand tatsächlich hört auch die vorgeschlagene Cannabissteuer, gegen die akut bekifft Auto fährt oder seit Tagen nichts geraucht als solche – mit Blick auf Alkohol- und Tabaksteuer – hat: Der THC-Wert ist positiv, und somit wird bestraft. systemisch nichts zu sagen ist. Aber würde das dadurch Das hat mit strafrechtlicher Prävention nichts mehr zu eingenommene Geld für die Finanzierung dieses riesigen tun, liebe Kolleginnen und Kollegen. Aufklärungs- und Kontrollapparates, der insbesondere bei uns in Deutschland dann ja nötig wäre, ausreichen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (Zuruf des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE]) Noch unsinniger ist es, dass allein das Mitführen von Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns der Cannabis – egal in welcher Lebenslage, auch unabhän- Frage einer grundsätzlichen Neuausrichtung im Umgang gig vom Straßenverkehr – zu einer Strafanzeige führt mit Cannabiskonsumenten stellen. Der Entwurf der Grü- und der Betroffene auch noch bei der Führerscheinbe- nen ist ein Einstieg. Ich freue mich auf konstruktive Be- hörde gemeldet wird. Das führt in der Konsequenz nicht ratungen. selten dazu, dass der Führerschein entzogen wird. Ist der Vielen Dank. Führerschein für Mofa oder Auto weg, muss durch eine teure MPU nachgewiesen werden, dass sich der Konsu- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ment in der Zukunft rechtstreu verhalten wird. Der Füh- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE rerscheinentzug führt nicht selten zum Verlust von Job GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9091

(A) Vizepräsident Johannes Singhammer: Berufe verglichen werden. Im Finanz- und Versiche- (C) Damit schließe ich die Aussprache. rungsbereich erhalten Frauen sogar 30 Prozent weniger Lohn. Im Gesundheits- und Sozialwesen sind es immer- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- hin auch 25 Prozent; auch das liegt über dem Durch- wurfs auf Drucksache 18/4204 an die in der Tagesord- schnitt. nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Dazu sehe ich keine anderweitigen Vorschläge; deshalb gehe Die Ursachen – da stimmen Studien und Verbände ich von Ihrem Einverständnis aus. Dann ist die Überwei- auch überein – liegen in Folgendem: in der Abwertung sung so beschlossen. bzw. schlechteren Bewertung typisch weiblicher Berufe, in Erwerbsunterbrechungen zum Beispiel wegen Ich rufe jetzt den letzten Tagesordnungspunkt am Schwangerschaften – das trifft bei dem jetzigen Stand heutigen Tag auf: der menschlichen Entwicklung auch nur auf Frauen zu –, 20. Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia und in der zunehmenden Teilzeitbeschäftigung von Möhring, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, Frauen und der Minijobfalle. Ich erinnere: Beides ist weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE nicht immer freiwillig. – Oder Frauen erhalten einfach LINKE weniger, weil sie Frauen sind; zu so einem Beispiel komme ich später noch. Gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer durchsetzen Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch die öffentliche Debatte im Vorfeld des Equal Pay Day hat uns wieder ei- Drucksache 18/4321 nen Einblick in die unglückliche Ehe der GroKo gelie- Überweisungsvorschlag: fert: Kaum hat Ministerin Schwesig eine bessere Trans- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) parenz gefordert, geht das Geheule – zumindest bei Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Ausschuss für Wirtschaft und Energie einigen CDU-Männern – los. Ich glaube wirklich, in Ausschuss für Arbeit und Soziales Gleichstellungsfragen ist diese Ehe auch nicht mehr zu retten und führt vielleicht eher zur Ankurbelung der Pa- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für piertaschentücherproduktion. diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Wider- spruch sehe ich keinen. Dann ist auch das so beschlos- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und sen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ha, der Damit eröffne ich die Aussprache und erteile als ers- war gut!) ter Rednerin das Wort der Kollegin Cornelia Möhring (B) für die Fraktion Die Linke. Nun halte ich auch die angekündigte Transparenzini- (D) tiative für nicht ausreichend; deshalb auch der hier vor- (Beifall bei der LINKEN) liegende Antrag der Linken, der vor allem auf die Durchsetzung von Entgeltgleichheit zielt. Cornelia Möhring (DIE LINKE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen Es ist sicherlich hilfreich, wenn eine Frau in Gehalts- und Kollegen! Heute finden mehr als 1 000 Aktionen im verhandlungen über das Gehaltsgefüge Bescheid weiß. ganzen Land statt wie eben am Brandenburger Tor: Weil Allerdings kommen gar nicht so viele Frauen überhaupt heute der Equal Pay Day ist. Vielleicht sagt er nicht al- erst in die Situation, über ihr Gehalt zu verhandeln. Die len, die die Debatte verfolgen, etwas. Ich will deswegen Information über ungleiche Bezahlung ist aber hilfreich kurz sagen, was er eigentlich bedeutet: Der Equal Pay und notwendig, vor allem dann, wenn die einzelne Frau Day markiert den Tag, bis zu dem Frauen über den Jah- nicht alleine dagegen vorgehen muss, sondern wenn die reswechsel hinaus arbeiten müssen, um rechnerisch auf betriebliche Interessenvertretung und auch Verbände und das gleiche Jahresgehalt wie männliche Beschäftigte zu Gewerkschaften etwas durchsetzen können. Es muss kommen. Das sind auch in diesem Jahr wieder 79 Tage jetzt Schluss sein mit der Vereinzelung. Ich finde, wir zu viel. Ich finde das völlig inakzeptabel. brauchen endlich das Recht der Verbände, zu klagen. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN) Ja, wir brauchen auch Transparenz darüber, wie die Um es mal anders zu zeigen: Bei jedem Euro Lohn fehlt sogenannten Entgeltstrukturen aussehen. Jüngst ging ein Frauen eigentlich eine ganz schöne Ecke. Fall durch die Presse, der deutlich macht, wie wichtig dieses Wissen ist. Mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zi- Dass es diese Lohnungerechtigkeit gibt, ist mittler- tiere ich jetzt auszugsweise aus einem Artikel zum von weile unstrittig, jedenfalls bei den meisten, auch hier im mir bereits angedeuteten Beispiel: Haus. Was die Ursachen sind und auf welchem Wege mehr Gerechtigkeit erreicht werden kann, daran schei- Sie den sich die Geister. Dabei geht es nicht um Klecker- – die Mitarbeiterin eines bekannten Schuhherstellers – beträge, sondern um reichlich Geld: 7,9 Prozent beträgt der Lohnunterschied bei gleicher Tätigkeit mit völlig hatte geklagt, nachdem sie auf einer Betriebsver- vergleichbaren Qualifikationen. 22 Prozent beträgt die sammlung im Herbst 2012 von der schlechteren Be- Lohnlücke, wenn die Gehälter über alle Branchen und zahlung für Mitarbeiterinnen erfahren hatte … 9092 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Cornelia Möhring (A) Immerhin ging es um einen Bruttostundenlohn, der um Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) über 1 Euro geringer war. – Weiter heißt es dort: Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Ursula Groden-Kranich. Auch bei Sonderzahlungen hatten Frauen das Nach- sehen: Da Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie eine (Beifall bei der CDU/CSU) Anwesenheitsprämie an den Stundenlohn gekoppelt waren, fielen die Beträge für Mitarbeiterinnen ent- Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): sprechend niedriger aus. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor Gericht war un- Liebe Besucherinnen und Besucher! Vor ziemlich genau strittig, dass der geringere Lohn nur mit dem Geschlecht zwei Wochen durfte ich hier zu Ihnen sprechen. Es ging der Frau zusammenhing. Der Klägerin wurden die Nach- um die Beschäftigungssituation von Frauen. Schon in zahlung und eine Entschädigung zugesprochen. Mittler- dieser Debatte fiel mehr als einmal der Begriff „Entgelt- weile sind 103 weitere Verfahren gegen dieses Unterneh- ungleichheit“. In der letzten Woche konnte ich mit einer men auf dem Weg; und das ist auch gut so. Delegation des Familienausschusses die 59. UN-Wo- men-Konferenz in New York besuchen. Auch dort war (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- das Thema Equal Pay in aller Munde. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Unterschied zwischen den Gehältern von Män- nern und Frauen ist ein weltweites Phänomen, und es tun Dieses Beispiel zeigt Verschiedenes: sich auch die Länder schwer, die wir sonst zu Recht als Erstens. Transparenz ist wichtig und kann übrigens Vorbilder in Sachen Geschlechtergerechtigkeit betrach- auch durch die Einsicht von Betriebsräten in Lohn- und ten. In Schweden liegt der Gender Pay Gap aktuell zum Gehaltslisten erreicht werden. Beispiel bei 16 Prozent und bereinigt bei 6 Prozent. Auch dort bekommt man diesen unerklärten Rest nicht Zweitens. Damit nicht jede einzelne Frau in kompli- so einfach in den Griff. zierten und langwierigen Gerichtsverfahren klagen muss, müssen die Mitbestimmungsrechte ausgebaut und Wir wissen, dass ein Teil der Lohnlücke auf die Be- das Verbandsklagerecht eingeführt werden. rufswahl von Frauen und auf deren häufige Teilzeittätig- keit zurückzuführen ist. Die Linke spricht in ihrem (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Antrag von einer mittelbaren Form der Geschlechterdis- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE kriminierung. Hier sollten wir aber doch etwas genauer GRÜNEN) hinsehen und Frauen nicht pauschal als Opfer ihrer Teil- (B) zeittätigkeit oder Berufswahl betrachten. Grundsätzlich (D) Drittens. Solche Vergütungsstrukturen dürfen gar sollten wir Männer und Frauen eine echte Wahlfreiheit nicht erst entstehen und angewendet werden. Aus die- in ihrem Berufs- wie im Familienleben zugestehen und sem Grund sollten alle Betriebe und die Tarifpartner ver- auch zutrauen. pflichtet werden, die Vergütungsstrukturen diskriminie- rungsfrei und gerecht zu gestalten. (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich will Ihnen dazu noch ein Beispiel anführen: Nach NEN]: Aber das gibt es doch nicht!) den neuesten Zahlen haben Frauen, die in Betrieben mit Tarifbindung arbeiten, einen deutlichen Gehaltsvorteil. Doch egal ob wir von bereinigter oder unbereinigter Frauen, die in Betrieben des Einzelhandels arbeiten, in Lohnlücke, von mittelbarer oder direkter Diskriminie- denen es einen Tarifvertrag gibt, erhalten 17,3 Prozent rung reden: Es bleibt in jedem Fall ein hässlicher Rest an mehr Lohn als diejenigen, die in Betrieben ohne Tarif- Ungleichheit, den wir so nicht akzeptieren dürfen. Da- vertrag arbeiten. Wir sehen also, dass die Organisation in rum ist Equal Pay nicht nur bei der Oscar-Verleihung, der Gewerkschaft und natürlich auch der Abschluss von sondern auch in unserem Koalitionsvertrag ein wichtiges Tarifvereinbarungen außerordentlich wichtig sind. Thema, dem wir uns nun gemeinsam widmen. Daher hätte es Ihres Antrags gar nicht bedurft; denn Sie wissen, (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle dass die Koalition bereits daran arbeitet. Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der CDU/CSU) Für mehr Lohngerechtigkeit brauchen wir aber auch eine Aufwertung der Tätigkeiten im Sorgebereich und Es ist absolut richtig, dass wir konkrete Maßnahmen eine Umverteilung von Arbeit und Zeit. Das ist aber lei- ergreifen und über Selbstverpflichtungen von Unterneh- der noch ein längerer Weg. men hinausgehen. Hier sind jedoch alle Beteiligten ge- fragt, nicht nur der Gesetzgeber und nicht nur die Arbeit- Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie können das al- geber. Auch die Tarifpartner müssen hier massiv les jetzt schon mit uns auf den Weg bringen, wenn der nacharbeiten. Die Gewerkschaften, die gerade eben zu- Antrag der Linken in das angekündigte Gesetz zur Ent- sammen mit vielen anderen am Brandenburger Tor für geltgleichheit eingeht. Equal Pay demonstriert haben, haben in den letzten Vielen Dank. 20 Jahren mit Sicherheit nicht alles Mögliche oder Nö- tige getan, um Diskriminierung zu überwinden, ge- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten schweige denn Frauenberufe aufzuwerten. Allerdings des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) stellt sich mir die Frage: Was sind denn Frauenberufe? Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9093

Ursula Groden-Kranich (A) Die einzigen Aufgaben, die Männer nicht genauso gut (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C) erledigen könnten, sind Kinder zu gebären und diese zu neten der SPD) stillen. Ansonsten dürfen sich auch Männer engagieren. Auch die Aufwertung dieser Familienarbeit ist eine (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gesamtgesellschaftliche Anstrengung. Es genügt nicht, neten der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann- immer nur nach einer besseren Ausstattung der Sozial- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein- kassen zu rufen. Wir alle müssen diese Kosten ein Stück mal darüber nachdenken, warum das so ist!) weit mittragen und uns fragen, was wir selbst bereit sind für mehr Qualität in Pflege und Erziehung zu zahlen. Richtig ist auch, dass wir Entgeltungleichheit nur Wenn wir Frauen für eine Vollzeittätigkeit mehr externe überwinden können, wenn wir nicht nur Symptome, son- Kinderbetreuung wünschen, müssen wir auch bereit dern auch die Ursachen bekämpfen. In Rheinland-Pfalz sein, einen Teil unseres Gehaltes in ebendiese Kinderbe- werden beispielsweise Lehrkräfte nach zwei verschiede- treuung zu investieren, vor allem diejenigen, die das nen Tarifen eingestellt – dies betrifft leider auch und ins- auch könnten. Alles andere ist verlogen und trägt für die besondere Frauen –: Angestellte Lehrerinnen und Lehrer Erzieherinnen ganz sicher nicht zu einer Aufwertung ih- werden deutlich schlechter bezahlt als verbeamtete Leh- rer Arbeit bei. rerinnen und Lehrer. Diese ungleiche Behandlung ließe sich leicht vermeiden, ohne dass wir dazu ein neues Ge- Wir brauchen also einen Dreiklang von Lösungs- setz bräuchten. ansätzen. Wenn wir erstens schlechtbezahlte Familien- Auch mehr Transparenz bei den Lohnstrukturen ist si- arbeit aufwerten, zweitens für mehr weibliche Teilhabe cherlich ein guter Schritt, darf aber nicht in Gleichma- am Berufsleben sorgen und drittens die partnerschaftli- cherei oder fehlenden Anreizsystemen enden. Transpa- che Aufteilung der Familienarbeit fördern, dann bewir- renz alleine löst das Problem nicht. Das haben die ken wir damit automatisch mehr Entgeltgleichheit. Erfahrungen, beispielsweise in Österreich, gezeigt. Danke schön. Wichtig wäre zudem, gerade weil das Problem so (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. komplex ist und viele Lösungsansätze benötigt, dass be- Petra Crone [SPD]) reits vorhandene Instrumente genutzt werden und das Rad nicht immer wieder neu erfunden wird. Die damali- Vizepräsident Johannes Singhammer: gen CDU-Familienministerinnen hatten zum Beispiel Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulle Schauws für bereits im Jahr 2009 das Bewertungsverfahren Logib-D Bündnis 90/Die Grünen. eingeführt. Dies steht für „Lohngleichheit im Betrieb – Deutschland“ und ist eine Anwendung, mit der Unter- (B) (D) nehmen freiwillig, kostenlos und anonym ihre Entgelt- Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): strukturen unter Geschlechtergesichtspunkten analysie- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und ren können. Kollegen! Verehrte Gäste! Die Schauspielerin Patricia Arquette, die diesjährige Oscarpreisträgerin für die beste (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Nebenrolle, nutzte ihre Dankesrede in Los Angeles – Sie GRÜNEN]: Freiwillig!) haben sie vielleicht im Fernsehen verfolgt – für einen Dieses Angebot findet sich auch heute noch auf der flammenden Aufruf zur Gleichberechtigung und Lohn- Website des Familienministeriums. gleichheit von Frauen in den USA. Ich erwähne das, weil diese Schauspielerin und die Frauen hier eines gemein- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- sam haben: die Forderung nach gleichem Lohn für glei- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Super!) che Arbeit, und zwar unabhängig vom Geschlecht. Da- Da all das aber offensichtlich nicht ausreicht, ist das rum geht es am heutigen Equal Pay Day. Projekt Entgeltgleichheit in der Tat eine gesamtgesell- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schaftliche Aufgabe. Unsere Töchter müssen in Kita, bei der SPD und der LINKEN) Schule und Familie von klein auf zu beruflicher und finanzieller Selbstständigkeit erzogen werden. Junge Lohngleichheit sollte bei uns laut Gleichbehandlungs- Frauen müssen schon bei der Berufsorientierung und vor gebot im Grundgesetz eine Selbstverständlichkeit sein. den Familienpausen über alle Konsequenzen bis hin zur Das ist sie aber nicht. Der Gender Pay Gap zwischen Rente umfassend informiert werden. Frauen und Männern liegt seit zwei Dekaden wie einbe- toniert bei 22 Prozent. Frauen arbeiten, umgerechnet auf Und vor allem: Männer müssen mit ins Boot. Das El- das Arbeitsjahr, bis zum 20. März ohne Lohn. Damit ge- terngeldPlus war ein erster Schritt in die richtige Rich- hört Deutschland zu den Schlusslichtern in Europa. tung; denn längere Erziehungsauszeiten von Männern führen automatisch zum Abbau der Lohnungleichheit, Selbst wenn man berücksichtigt, dass Frauen häufiger ganz zu schweigen von den positiven Nebeneffekten: in Teilzeit arbeiten, Erwerbsunterbrechungen wegen ei- mehr Anerkennung für bisher typisch frauenorientierte ner Babypause haben oder seltener in den Hochlohn- Familienarbeit, mehr Verständnis und Flexibilität von branchen der Industrie tätig sind, so verdienen Frauen Arbeitgebern und Kollegen, eine immense Stärkung des auf den gleichen Positionen wie Männer durchschnittlich Vater-Kind-Verhältnisses und natürlich die unschätzbare immer noch rund 7 Prozent weniger. Das, liebe Kolle- Vorbildfunktion für nachfolgende Generationen von Vä- ginnen und Kollegen, ist ein Skandal. Damit wollen tern, Söhnen und Töchtern. Frauen sich nicht länger abfinden. 9094 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Ulle Schauws (A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dabei zeichnet sich ab, dass Sie zu kurz springen. Ihre (C) bei der SPD und der LINKEN) angekündigte Transparenzoffensive bei den Gehältern kann nur ein erster Schritt sein. Hinzu kommt, dass Frauen die Konsequenzen der Un- terbezahlung ein Leben lang tragen. Sie haben nicht nur Wir brauchen ein Entgeltgleichheitsgesetz, das diesen heute weniger im Portemonnaie; sie bekommen letzten Namen auch verdient. Wir brauchen verbindliche Rege- Endes auch weniger Rente, weil sie weniger eingezahlt lungen. Entgeltregelungen müssen mit einem Arbeitsbe- haben. Aus dem Gender Pay Gap von 22 Prozent wird so wertungssystem überprüft werden, und zwar anhand von ein Gender Pension Gap von 40 Prozent. Die Tendenz ist Kriterien, die für alle gleich sind. Diskriminierungen steigend. Das bedeutet am Ende für viele Frauen die Al- müssen innerhalb einer bestimmten Frist beseitigt wer- tersarmut. Das kann nicht so weitergehen. Deshalb, liebe den. Da finde ich es völlig absurd, wenn Unternehmen Kolleginnen und Kollegen, brauchen wir dringend ein schon jetzt bei den Transparenzvorschlägen der Bundes- Gesetz, um den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche regierung Unfrieden im Unternehmen befürchten. und gleichwertige Arbeit“ umzusetzen. Denn nur das ist (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist der Ham- gerecht. mer!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unfrieden entsteht doch dort, wo tatsächlich unfair be- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- zahlt wird, und nicht dadurch, dass das sichtbar wird. KEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Meine Fraktion hat bereits zum Equal Pay Day 2014 und der SPD) einen entsprechenden Antrag in den Bundestag einge- Ich sage Ihnen: Wer diese Firmenpolitik zuungunsten bracht, und ich freue mich, dass die Fraktion Die Linke von Frauen fortsetzen will, verspielt Vertrauen und An- nun einen weiteren guten Antrag vorgelegt hat. sehen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Noch eines: Was die Kollegin Kristina Schröder über Liebe Kolleginnen und Kollegen, Lohnungleichheit den Pay Gap denkt, lesen Sie besser selber auf Twitter entsteht einerseits durch mittelbare Diskriminierung. nach. Dafür ist mir meine Redezeit zu schade. Das heißt, in den klassischen Industrieberufen mit mehr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN männlichen Arbeitnehmern liegen die Gehälter weit über sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- denen der Dienstleistungs- und Sozialberufe, in denen KEN) viel mehr Frauen arbeiten. Es kann doch nicht sein, dass Wir wollen auch ein Verbandsklagerecht. Wir wollen (B) beispielsweise ein Müllmann einen relativ hohen Lohn (D) erhält, weil er schwere Lasten trägt, aber das gleiche Ar- Frauen stärken, damit sie bei Klagen um gleichen Lohn gument für eine Altenpflegerin, die ebenso schwer he- nicht mehr alleine mit dem finanziellen Risiko und der ben muss, nicht gilt. Das geht nicht. Furcht um ihren Arbeitsplatz dastehen; denn Entgeltdis- kriminierung ist ein gesellschaftliches und kein indivi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, duelles Problem der Frauen. Wer das bestreitet, schiebt bei der SPD und der LINKEN) die Verantwortung von sich. Deshalb fordern wir eine gerechte Bewertung von Arbeit Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko- durch allgemeingültige geschlechtsneutrale Kriterien alition, Sie sind politisch gefordert, effiziente Lösungen und eine gesellschaftliche Aufwertung von Berufen mit für alle Facetten der Lohnlücke auf den Weg zu bringen. hohem Frauenanteil. Nur so kann der Gender Pay Gap endlich geschlossen werden. Frauen verdienen das. Lohndiskriminierung entsteht andererseits durch un- Danke. mittelbare Diskriminierung. Frauen erhalten bei gleicher Qualifikation und gleicher Berufserfahrung weniger (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Geld. bei der SPD und der LINKEN) Frau Ministerin Schwesig, Sie wollen nun ein Ent- geltgleichheitsgesetz auf den Weg bringen. Das begrüße Vizepräsident Johannes Singhammer: ich natürlich. Ich wünsche Ihnen gute Gespräche mit Als nächste Rednerin erhält das Wort für die SPD die dem Kollegen Kauder. Er hat nämlich als bekennender Kollegin Petra Crone. Gleichstellungsbremser in der Großen Koalition direkt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Parole ausgegeben: „In diesem Jahr wird das nichts der CDU/CSU) mehr.“ Wir wollen keine Bremsmanöver. Wir erwarten von Petra Crone (SPD): Ihnen gemeinsam ein wirkungsvolles und faires Gesetz Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe für Frauen. Kolleginnen und Kollegen! Einige von uns haben noch ein bisschen rote Wangen, weil sie eben von der Kund- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebung zum Equal Pay Day am Brandenburger Tor zu- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten rückgekommen sind. Nun können wir durch diese De- der SPD) batte ein Stück weit diese Stimmung in den Plenarsaal Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9095

Petra Crone (A) tragen; das finde ich gut. Aber ich frage mich manchmal: deln. Mir ist es ein ganz persönliches Anliegen, die Re- (C) Haben wir jetzt rote Wangen von der schönen Sonne form der Pflegeberufe auf den Weg zu bringen; denn ge- oder auch aus Scham, weil Deutschland noch immer an rade in der Altenpflege sind es vor allem Frauen, die der traurigen viertletzten Stelle beim Gender Pay Gap erfahrungsgemäß in die Teilzeitfalle geraten, Schicht- dümpelt, dienste übernehmen, dabei auch seelischen Belastungen ausgesetzt sind und im Alter keine ausreichende finan- (Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann- zielle Sicherung haben. Es ist also nicht nur eine Berufs- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gruppe, die deutlich aufgewertet werden muss. Das Glei- oder haben wir rote Wangen aus Wut? Denn wie oft ha- che gilt natürlich auch für Erzieherinnen und Erzieher ben wir gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Ar- und viele andere mehr. beit für Männer und Frauen gefordert, nicht nur auf der Liebe Kolleginnen und Kollegen, neulich sah ich ei- Straße, sondern auch hier im Plenarsaal? nen Comic – ich glaube, es war in der New York Times –: (Beifall bei der SPD und der LINKEN) zwei Kinder im Sandkasten, ein Junge und ein Mädchen. Beide hatten eine völlig identische, wunderschöne Sand- Seit Jahren diskutieren wir darüber, nicht so sehr da- burg gebaut. Zwei Hände reichten ihnen Eistüten. Der rüber, wohin wir wollen, sondern eher darüber, welcher Junge bekam eine Eistüte mit drei Kugeln, und das Mäd- Weg der richtige ist. Ich glaube genau wie Sie, liebe Kol- chen bekam eine Eistüte mit – raten Sie einmal – einer leginnen und Kollegen von der Linken, dass Selbstver- einzigen Kugel. – Das ist ein ganz eindrucksvolles Bild, pflichtungen nichts bringen. Wir brauchen ein Gesetz, das zeigt, dass auch bei gleicher Qualifikation und und das ist auf dem Weg. Die SPD-Bundestagsfraktion gleichwertiger Arbeit der Lohnunterschied noch da ist. hat in der letzten Legislaturperiode schon eine gute Grundlage erarbeitet. Die Zeit ist reif für soziale Gerech- Ich frage Sie: Ist es gerecht, dass Kinder und Familie tigkeit, für ein faires Verhältnis zwischen Männern und vor allem für Frauen zum Karriereknick werden, wäh- Frauen auch auf dem Arbeitsmarkt. rend Männer ihr Berufsleben ungerührt fortsetzen? Ist es gerecht, dass Kinder nach wie vor das größte Armutsri- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten siko in unserem Land sind, vor allem für Alleinerzie- der LINKEN) hende? Dazu kommt, dass eine ungerechte Entlohnung Wir, die Fraktionen von CDU/CSU und SPD, haben im Arbeitsleben auch eine ungerechte Rente nach sich es im Koalitionsvertrag verabredet und versprochen: Wir zieht. Insofern ist Entgeltgleichheit gemeinsam mit un- wollen ein Mehr an Lohngerechtigkeit herstellen und seren anderen Projekten auch eine Chance, Frauen im dauerhaft sichern. Es ist höchste Zeit dafür, für uns Alter vor Armut zu schützen. (B) Frauen in unserem Land und auch für die Männer. Denn Wir haben in dieser Wahlperiode in der Großen Ko- (D) welcher Mann wünscht sich für seine Frau oder Partne- alition schon einiges gemeinsam geregelt: den Mindest- rin, welcher Vater für seine Tochter einen geringeren lohn eingeführt, mehr Geld für Kitas ausgegeben, das Lohn, als sie verdient? Elterngeld Plus eingeführt, die Familienpflegezeit verab- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schiedet, die Quote in ein Gesetz gegossen. Und jetzt der CDU/CSU und der Abg. Sylvia Kotting- kommt die Entgeltgleichheit als ein ganz wichtiger Bau- Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) stein in der Frage der sozialen Gerechtigkeit an die Reihe. Ohne Vorgaben geht es nicht. Wir brauchen endlich eine verbindliche gesetzliche Regelung, auf die sich Frauen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten berufen können, wenn sie von Lohndiskriminierung be- der CDU/CSU) troffen sind. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Die Zeit titelt provokant in ihrer aktuellen Ausgabe: Kollegen, danken wir unseren Mitstreitern, den Gewerk- „Ist Genie männlich?“. Sicherlich nicht! schaften, dem Sozialverband, den Landfrauen und vielen mehr, dass sie wirklich auch in der Sache praktikable (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) Lösungen anbieten und mit uns diskutieren. Mit großer Es kann ja sein, dass die meisten Frauen nicht von einer Freude habe ich gestern gelesen, dass auch die Frauen- Karriere in der Neurowissenschaft träumen, sondern lie- Union unsere Ministerin Manuela Schwesig unterstützen ber in der Pflege oder in einem Erziehungsberuf arbei- will. In diesem Sinne glaube ich, es wird ein gutes Ge- ten. Sollte das wirklich unser Problem sein? Ist ein repa- setz. riertes Auto wertvoller als ein gut betreutes Kitakind? Ich danke Ihnen. Gerade die sogenannten weiblichen Berufe zeichnen sich doch oft durch eine ganz besondere Verantwortung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten am Menschen aus. Diejenigen, die in solchen Berufen der CDU/CSU) arbeiten, haben allerdings viel mehr Hochachtung und Wertschätzung verdient. Vizepräsident Johannes Singhammer: (Beifall im ganzen Hause) Nächste Rednerin ist die Kollegin Ingrid Pahlmann für die CDU/CSU. Und wie zeigt sich das handfester als durch höhere Löhne? Hier ist die Politik gefragt; hier können wir han- (Beifall bei der CDU/CSU) 9096 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

(A) Ingrid Pahlmann (CDU/CSU): geltgleichheit Stellung zu beziehen und dies dann bitte (C) Herr Präsident! Meine Damen und Herren auf der Tri- schön auch im Lagebericht zu veröffentlichen. büne! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es Die Einführung des Mindestlohns war zum Beispiel nun schon vielfach gehört: Frauen verdienen auch heute in der Pflege ein wichtiger Schritt hin zu mehr Lohn- noch in viel zu vielen Fällen weniger als ihre männlichen gleichheit in einem gerade von Frauen häufig gewählten Kollegen. Berufsfeld. Unser Ziel bleibt es darüber hinaus, die Ar- (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Frauen beit in der Pflege, Betreuung und frühkindlichen Bil- verdienen mehr, aber bekommen weniger!) dung auch durch bessere Bezahlung weiter aufzuwerten. Ich denke, es muss unser Ziel sein, dass wir diese Berei- Der eigentliche Skandal sind aber nicht die durch- che stärken. schnittlich 22 Prozent Lohnunterschied, die sich zum großen Teil daraus ergeben, dass Frauen in schlechter Ein Verbandsklagerecht, wie Sie es fordern, lehnen bezahlten Berufen, in Teilzeit arbeiten oder eine durch wir dagegen nach wie vor ab. Werden Frauen oder Män- Kindererziehung oder durch Pflegezeit unterbrochene ner diskriminiert, erhalten sie Unterstützung durch die Erwerbsbiografie haben, worauf wir heute am Branden- Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder können den burger Tor noch einmal aufmerksam gemacht haben. Rechtsweg beschreiten. Wir sind der Meinung, Diskri- Nein, der eigentliche Skandal, das sind die verbleiben- minierungen sind immer noch sehr individuelle Fälle. den circa 7 Prozent Lohnunterschied, die bei gleicher Das Verbandsklagerecht würde unseres Erachtens hier Qualifikation zwischen den Einkommen weiblicher und keine Verbesserung des Rechtsschutzes ergeben. männlicher Arbeitnehmer bestehen. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es stecken doch strukturelle Me- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – chanismen dahinter!) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist falsch!) Zum Abbau der sogenannten mittelbaren Diskrimi- nierung, die durch vermehrte Teilzeit- und teilweise pre- Dabei ist der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche käre Beschäftigung in schlechter bezahlten, eben typisch und gleichwertige Arbeit“ bereits seit langem im deut- weiblichen Branchen gekennzeichnet ist, ist in den ver- schen Recht verankert. Der Gleichberechtigungsgrund- gangenen Wochen in vielen Debatten zu diesem Thema satz in Artikel 3 Absatz 2 Grundgesetz verbietet, Frauen schon vieles und viel Richtiges gesagt worden. Ziel un- bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres serer Politik kann aber meiner Meinung nach nicht sein, Entgelt zu zahlen als Männern. dass wir Frauen dazu drängen, mindestens eine vollzeit- (B) Benachteiligungen wegen des Geschlechts in Bezug nahe Beschäftigung auszuüben, wie es von vielen Stel- (D) auf Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließ- len gefordert wird, nur weil es heute immer noch lich des Arbeitsentgelts sind nach § 2 Absatz 1 Num- schwierig ist, nach einer Familienzeit wieder voll ins Be- mer 2 und nach § 7 Absatz 1 des Allgemeinen Gleich- rufsleben zurückzukehren. stellungsgesetzes unzulässig. Tja, da müssen wir aber Ziel unserer Politik muss es sein, dass Frauen und zur Kenntnis nehmen, dass das, was wir bereits haben, auch Männer eben die Wahl haben, ob sie Vollzeit, Teil- eben nicht ausreicht. Deshalb müssen und werden wir zeit oder vollzeitnah arbeiten oder auch eventuell erst handeln. nach einer Phase der Vollfamilienzeit wieder in den Be- ruf einsteigen, dann aber eben ohne größere finanzielle Die Frauen-Union der CDU fordert in diesem Zusam- Nachteile und mit Anerkennung der Familienleistungen. menhang schon lange und nicht erst seit neuestem die Überprüfung der circa 60 000 Tarifverträge mit Blick (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws auf strukturelle Lohndiskriminierung. Schade, dass un- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen sere Bundesarbeitsministerin nicht da ist. Ich denke, es Sie denn dafür?) wäre einmal eine schöne und wahrscheinlich lohnende Aufgabe für ihr Ministerium, diese Verträge zu durch- Dass diese Anerkennung sich für viele Frauen wenigs- forsten. tens teilweise bei den erworbenen Rentenansprüchen niederschlägt, haben wir mit der Mütterrente bereits Die Große Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag durchgesetzt. die Instrumente klar benannt, mit denen sie die Ent- geltgleichheit erreichen will. Wir wollen einmal die (Lachen der Abg. Beate Müller-Gemmeke Feststellung des Wertes von Berufsfeldern, von Ar- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) beitsbewertungen und die Bewertung von Fähigkeiten, Ich möchte Frauen, die sich aus welchen Gründen Kompetenzen und Erfahrungen gemeinsam mit den Ta- auch immer für eine Teilzeitbeschäftigung entscheiden, rifpartnern voranbringen. nicht vorschreiben, ihre Stundenzahl zulasten anderer Lebensbereiche zu erhöhen. Wer aber nach einer Erzie- Doch wie erfährt Frau Meyer, Müller oder Schultze, hungs- oder Pflegephase die Rückkehr in die Vollzeit ob sie gerecht entlohnt wird? Das erfordert Transparenz. wünscht, der sollte diese Möglichkeit auch unkompli- Arbeitnehmer sollen einen individuellen Auskunftsan- ziert erhalten. Dazu können und müssen wir mit einem spruch erhalten, und Transparenz soll auch dadurch er- Rechtsanspruch beitragen. reicht werden, dass Unternehmen ab 500 Beschäftigte verpflichtet werden, zur Frauenförderung und zur Ent- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9097

Ingrid Pahlmann (A) Hier möchte ich noch eines sagen: Ich bin dagegen, Vizepräsident Johannes Singhammer: (C) dass insbesondere die kleinen und mittelständischen Un- Als nächste Rednerin erhält die Kollegin Gabriele ternehmen durch zusätzliche Berichtspflichten und aus- Hiller-Ohm für die SPD das Wort. ufernde Bürokratie zusätzlich belastet werden. Wenn aber die Wirtschaft und Betriebe über Fachkräftemangel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten klagen, dann erwarte ich von diesen Unternehmen und der CDU/CSU) Betrieben auch größere Anstrengungen in Sachen Ar- beitszeitflexibilität und Vereinbarkeit von Familie und Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Beruf. Das müssen wir von dieser Seite fordern. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) zum Equal Pay Day nicht nur vor dem Brandenburger Ich möchte nämlich nicht in einer Gesellschaft leben, Tor, sondern auch hier im Bundestag über gleichen Lohn in der der Staat unser Leben bis ins kleinste Detail ge- für gleiche Arbeit für Männer und Frauen sprechen. setzlich durchreguliert. Gesellschaft muss sich auch im- Denn hier in diesem Haus können wir tatsächlich etwas mer selbst gestalten können und darf nicht als Erstes ändern. Hier haben wir die gesetzgeberische Kraft, und nach der Politik rufen, wenn sich etwas bewegen soll. die, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir auch Ich bin auch der Überzeugung, dass die Gesellschaft das nutzen. Es kann doch wohl nicht angehen, dass ausge- kann, und sie wird es auch tun. rechnet, wenn es um uns Frauen geht, das Grundgesetz keine Anwendung findet – und das seit über 66 Jahren. Ich möchte weiterhin niemandem vorschreiben, wel- chen Beruf er ergreifen soll. Mal abgesehen davon, dass (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten es den vom Fachkräftemangel besonders betroffenen der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE technischen Unternehmen und Betrieben selbst ein gro- LINKE]: Und bei der Rente ab 63 ja auch!) ßes Anliegen sein muss, Frauen für ihre Branche zu ge- winnen, sehe ich es überhaupt nicht ein, Frauen von der Warum, so frage ich, verdient eine Versicherungs- Ausübung sozialer Berufe abzuraten, weil sie schlechter kauffrau bei gleicher Ausbildung und gleicher Arbeit im bezahlt sind. Nein, die Forderung ist eine ganz andere: Schnitt 3 000 Euro, während ein Versicherungskaufmann Die sozialen Berufe, ohne die unsere Gesellschaft – ma- mehr als 4 000 Euro im Monat erhält? Versicherungs- chen wir uns doch nichts vor! – überhaupt nicht funk- kauffrauen bekommen also über 1 000 Euro weniger als tionsfähig wäre, müssen endlich angemessen entlohnt ihre männlichen Kollegen. In ihren Portemonnaies klafft werden. Ich denke, da stehen wir alle Seite an Seite. deshalb Monat für Monat eine riesige Ungerechtigkeits- lücke, und das nur, weil sie Frauen sind. (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – (B) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie machen der CDU/CSU – Zuruf von der SPD: Skan- doch nichts dafür! Dann müssen Sie etwas dal!) tun!) Schlimmer geht’s nimmer. Ich kann leider auch nicht einsehen, dass ein Lagerar- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, beiter für körperlich schwere Arbeit Zuschläge erhält, ich danke Ihnen, dass Sie das Thema mit Ihrem Antrag aber Menschen in der Pflege ihre körperliche Schwerst- heute auf die Tagesordnung gebracht haben und wir über arbeit nicht gesondert entlohnt bekommen. Lohndiskriminierung sprechen können. Sie haben vieles (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- aufgeschrieben, was gut und richtig ist. Ihr Problem ist NEN]: Was machen Sie dafür?) aber: Sie haben keine Mehrheit im Bundestag. Da müssen wir genau hinschauen und dann auch gezielt (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Sie brauchen nachsteuern. doch nur zuzustimmen!) (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Vielleicht tröstet es Sie: Auch wir als SPD-Fraktion ha- GRÜNEN]: Hinschauen, das machen wir ben uns in der letzten Legislaturperiode viel Arbeit ge- schon seit Jahrzehnten!) macht und sind dann als Opposition an der damaligen schwarz-gelben Regierungsmehrheit gescheitert. Im Ge- Die dazu erforderliche Transparenz in den Tarifverträgen gensatz zu Ihnen hatten wir statt eines Antrages sogar ei- müssen wir einfordern. Wenn dann vom Arbeitsministe- nen kompletten, bis ins letzte Detail ausformulierten und rium auch noch Missstände und Ungleichbehandlungen juristisch abgesicherten Gesetzentwurf zur Durchset- in den Tarifverträgen aufgedeckt und vielleicht sogar zung von Entgeltgleichheit vorgelegt. sanktioniert werden, ja, dann sehe ich endlich so etwas wie Licht am Ende des Tunnels. Dann fordern wir, liebe (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Frau Crone, die zurückbehaltenen zwei Eiskugeln für die GRÜNEN]: Den können Sie ja jetzt einbrin- Mädels ein. Wir sind auf der richtigen Seite. Lassen Sie gen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir die Entgeltun- Dann bringen Sie den doch wieder ein!) gleichheit endlich beseitigen und nächstes Jahr wesent- lich früher am Brandenburger Tor stehen als in diesem Das war im Mai 2012. Die Grünen hatten unsere Initia- Jahr. tive unterstützt. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, hatten nicht die Größe, unserem Gesetz- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) entwurf Ihre Zustimmung zu geben 9098 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

Gabriele Hiller-Ohm (A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. André (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Mal sehen! – (C) Hahn [DIE LINKE]: Na, na!) Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mal se- hen, wie viele von der CDU da mitmachen!) und so ein deutliches Signal der damaligen Opposition für die Frauen in unserem Land zu setzen. Das Motto des heutigen Equal Pay Day ist gut ge- wählt: „Transparenz – Spiel mit offenen Karten“. Das ist (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. genau richtig; denn ein wichtiger Schritt, um unter- Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- schiedliche Bezahlung zwischen Männern und Frauen NIS 90/DIE GRÜNEN]) aufzudecken, ist Transparenz. Man muss in den Betrie- Parteipolitische Scheingefechte waren Ihnen wichti- ben wissen, was die Kolleginnen und Kollegen verdie- ger, als gemeinsam mit SPD und Grünen gegen die Un- nen. Löhne und Zuschläge gehören offengelegt. gerechtigkeit gegenüber knapp 18 Millionen Frauen (Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke Flagge zu zeigen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann kommt der Linksfraktion, können Sie heute mit Ihrem populisti- Ihr Gesetzentwurf? Nächste Legislaturpe- schen Papierkorbantrag auch nicht wiedergutmachen. riode?) (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthäus Strebl [CDU/CSU] – [DIE Ich bin mir sicher: Schon das würde eine Menge bewir- LINKE]: Mein Gott! Hören Sie sich eigentlich ken. Viele Frauen und natürlich auch Männer würden auch selbst zu? Das ist voll daneben! – dann überhaupt erst erkennen, dass gleiche Arbeit im Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- selben Betrieb sehr oft sehr unterschiedlich bezahlt wird. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die SPD Beschäftigte hätten mit diesem Wissen eine viel bessere könnte!) Ausgangssituation bei Gehaltsverhandlungen. Wir for- dern deshalb: Lasst bei den Löhnen endlich die Hosen Aber zum Glück ist die SPD jetzt in Regierungsver- runter! antwortung. Mit unserem Koalitionspartner werden wir die Welt zwar nicht aus den Angeln heben, aber wir wer- (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Michaela den die Situation der Frauen in unserem Land doch deut- Noll [CDU/CSU]: Jetzt wird es gefährlich!) lich verbessern. Das haben wir im Koalitionsvertrag Unser Ruf stößt in der Wirtschaft seit Jahren leider festgeschrieben, und das setzen wir jetzt Stück für Stück auf taube Ohren. Wirksame Instrumente, um ungleiche um. Bezahlung aufzudecken, gibt es schon lange, zum Bei- (Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!) spiel Logib-D oder eg-check. Sie werden nur nicht ange- wandt. Deshalb muss ein Gesetz her. Wir packen es an. (B) (D) Wir haben den Mindestlohn durchgesetzt. Er wird sich vor allem für die vielen Frauen in schlecht bezahlten Danke schön. Jobs positiv auswirken und ihnen mehr Lebensqualität (Beifall bei der SPD) bringen. (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Matthäus Vizepräsident Johannes Singhammer: Strebl [CDU/CSU] – Caren Lay [DIE Der abschließende Redebeitrag in dieser Debatte er- LINKE]: Den haben Sie ja bei uns abgeschrie- folgt durch den einzigen Redner, was aber nicht heißt, ben, wenn ich Sie daran erinnern darf!) dass die Männer das letzte Wort haben in dieser Debatte. Wir haben die Quote durchgeboxt. Endlich werden mehr – Ich erteile jetzt dem Kollegen Matthäus Strebl das Frauen in Führungspositionen kommen und unserer Wort. Wirtschaft neuen Schwung verleihen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. (Beifall bei der SPD) Petra Ernstberger [SPD]) Wir werden auch der größten Ungerechtigkeit in un- Matthäus Strebl (CDU/CSU): serem Land die Rote Karte zeigen: Gleiche und gleich- wertige Arbeit darf nicht länger unterschiedlich bezahlt Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und werden, nur weil sie von einem Mann oder von einer Kollegen! Wir beraten heute den Antrag der Fraktion Frau erledigt wird. Die Linke „Gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit für Frauen und Männer durchsetzen“. Dass Sie (Beifall bei der SPD) diesen Antrag gewissermaßen als Begleitmusik zum heutigen Equal Pay Day bringen, spricht für die be- Wir brauchen endlich ein neues Bewusstsein vom Wert kannte gute Dramaturgie der Linken. der Arbeit in unserer Gesellschaft. Ungerechtigkeit und Ausbeutung dürfen nicht länger toleriert werden. Sie ge- Das Anliegen des Antrags hört sich erst einmal gut hören an den Pranger gestellt. an, und es dürfte hier im Bundestag keine Fraktion ge- (Beifall bei der SPD) ben, die der Zielsetzung „Gleicher Lohn für gleiche Ar- beit“ widerspricht. Schließlich ist das Ziel im Koali- Wir werden noch in diesem Jahr das im Koalitionsver- tionsvertrag festgeschrieben und sollte entsprechend trag vereinbarte Entgeltgleichheitsgesetz umsetzen, liebe verwirklicht werden. Wie die Kollegin Hiller-Ohm Kolleginnen und Kollegen. schon gesagt hat: Wir werden es auch verwirklichen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9099

Matthäus Strebl (A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C) der SPD) NEN]: Wo sind denn Ihre Vorschläge zum Ab- bau des Gender Pay Gap?) Aber wie so oft steckt auch hier der Teufel nicht nur im Detail. Der vorliegende Antrag ist meines Erachtens In der Bundesrepublik Deutschland sind wir seit jeher schon deshalb mit äußerster Skepsis zu betrachten, weil gut damit gefahren, die Tarifpartner mit einem gehörigen er neue und teure Bürokratien mit sich bringen würde. Maß an Kompetenz und Verantwortung auszustatten. Das würde vielleicht Arbeitsplätze im öffentlichen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Dienst schaffen; es würde aber den Frauen wenig helfen. In gewisser Weise haben wir mit dem Mindestlohnge- Die Antragsteller verlangen unter anderem ein Gesetz setz, zu dem ich uneingeschränkt stehe, schon einen ers- zur Verbesserung der individuellen und kollektiven Kla- ten Sündenfall begangen. Das heißt aber nicht, dass wir gemöglichkeiten bei direkter und indirekter Lohndiskri- nun einen zweiten begehen und die Tarifpartner aus der minierung, Verantwortung entlassen. Darum geht es mir. (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Ohne Wenn und Aber bekenne ich mich zu dem Prin- GRÜNEN]: Und was ist dagegen zu sagen?) zip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit. Aber ich möchte nicht, dass immer und bei jeder Gelegenheit außerdem Gesetze zur Erweiterung der kollektiven Mit- nach dem Staat gerufen wird. bestimmungsrechte von Betriebs- und Personalräten und dann noch ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirt- Schaffen wir gemeinsam ein gesellschaftliches schaft. Das sind nur einige Punkte. Erwähnen möchte ich Klima, in dem es selbstverständlich ist, dass weder noch das geforderte Verbandsklagerecht, die Einsetzung Frauen noch Männer diskriminiert und in irgendeiner einer Entgeltgleichheitskommission und die Ausstattung Weise benachteiligt werden. der Antidiskriminierungsstelle des Bundes mit Klage- (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- recht. NEN]: Das Klima schaffen Sie seit zehn Jah- (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ren nicht! – Beate Müller-Gemmeke [BÜND- NEN]: Genau! Alles wichtig!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie machen Sie das?) Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit solchen Vorstellungen kann ich persönlich mich nicht anfreun- Dann müssen wir auch nicht die Schleusen für eine neue den. Gesetzesflut öffnen. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab. (B) (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. NEN]: Darum geht es hier nicht!) (Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws Nachdem wir mit dem an sich begrüßenswerten Min- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr kons- destlohngesetz – ich betone: begrüßenswerten Mindest- truktiver Beitrag! Keine Lösungsvorschläge!) lohngesetz – schon ein Stück neue Bürokratie geschaffen haben, würde mit den Vorstellungen der Linken ein wah- res Bürokratiemonster auf uns zurollen. Vizepräsident Johannes Singhammer: Damit schließe ich die Aussprache. (Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ach Gott! Sie jammern rum!) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/4321 an die in der Tagesordnung aufge- Immerhin: Wenigstens an einer Stelle werden die Tarif- führten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Federfüh- vertragsparteien erwähnt, die aber durch Gesetz zum rung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Abbau von Ungleichheiten verpflichtet werden sollen. Jugend liegen soll. – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Der Antrag ist Ausdruck eines Denkens, dem der Be- griff „mündiger Bürger“ völlig fremd ist. Wir sind damit zugleich am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN) Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Mittwoch, den 25. März 2015, 13 Uhr, ein. Wenn es nach den Antragstellern geht, muss der Staat al- Die Sitzung ist geschlossen. Kommen Sie gut und les bis ins Detail regeln. Dass er das nicht kann und auch wohlbehalten am Montag wieder hierher nach Berlin. nicht können muss, hat die jüngere deutsche Geschichte hinlänglich bewiesen. (Schluss: 14.26 Uhr)

Anlagen

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015 9101

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Barthel, Klaus SPD 20.03.2015 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 20.03.2015 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 20.03.2015 Dr. von der Leyen, CDU/CSU 20.03.2015 Ursula Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 20.03.2015 Lotze, Hiltrud SPD 20.03.2015 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/ 20.03.2015 DIE GRÜNEN Menz, Birgit DIE LINKE 20.03.2015 Buchholz, Christine DIE LINKE 20.03.2015 Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 20.03.2015 Bülow, Marco SPD 20.03.2015 Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 20.03.2015 Daldrup, Bernhard SPD 20.03.2015 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 20.03.2015 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 20.03.2015 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 20.03.2015 Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 20.03.2015 Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 20.03.2015 Land), Axel E. Dr. Reimann, Carola SPD 20.03.2015 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 20.03.2015 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 20.03.2015 Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 20.03.2015 (B) Rix, Sönke SPD 20.03.2015 (D) Göppel, Josef CDU/CSU 20.03.2015 Dr. Rosemann, Martin SPD 20.03.2015 Gottschalck, Ulrike SPD 20.03.2015 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ 20.03.2015 Groth, Annette DIE LINKE 20.03.2015 DIE GRÜNEN Hajduk, Anja BÜNDNIS 90/ 20.03.2015 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ 20.03.2015 DIE GRÜNEN DIE GRÜNEN Hartmann (Wackern- SPD 20.03.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 20.03.2015 heim), Michael Schlecht, Michael DIE LINKE 20.03.2015 Held, Marcus SPD 20.03.2015 Schmidt (Fürth), CDU/CSU 20.03.2015 Dr. Hendricks, Barbara SPD 20.03.2015 Christian Hinz (Essen), Petra SPD 20.03.2015 Schwabe, Frank SPD 20.03.2015 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ 20.03.2015 Schwarzelühr-Sutter, SPD 20.03.2015 DIE GRÜNEN Rita Dr. Hoppenstedt, CDU/CSU 20.03.2015 Spiering, Rainer SPD 20.03.2015 Hendrik Steinbach, Erika CDU/CSU 20.03.2015 Jung, Xaver CDU/CSU 20.03.2015 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 20.03.2015 Kassner, Kerstin DIE LINKE 20.03.2015 Westermayer, Waldemar CDU/CSU 20.03.2015 Dr. Krüger, Hans-Ulrich SPD 20.03.2015 Wicklein, Andrea SPD 20.03.2015 Lämmel, Andreas G. CDU/CSU 20.03.2015 Dr. Zimmer, Matthias CDU/CSU 20.03.2015 9102 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Freitag, den 20. März 2015

(A) Anlage 2 Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und (C) Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) hat mitgeteilt, dass er Amtliche Mitteilungen gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von Der Bundesrat hat in seiner 931. Sitzung am 6. März einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen 2015 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- absieht: stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Unterrichtung durch die Bundesregierung – Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht Indikatorenbericht 2014 zur Nationalen Strategie zur über Versicherungen biologischen Vielfalt Drucksachen 18/3995, 18/4147 Nr. 5 – Gesetz zur Teilumsetzung der Energieeffizienz- richtlinie und zur Verschiebung des Außerkraft- tretens des § 47g Absatz 2 des Gesetzes gegen – Unterrichtung durch die Bundesregierung Wettbewerbsbeschränkungen Sechster Bericht der Bundesregierung über die Forschungsergebnisse in Bezug auf die Emissions- Ferner hat der Bundesrat folgende Entschließung ge- minderungsmöglichkeiten der gesamten Mobilfunk- fasst: technologie und in Bezug auf gesundheitliche Auswir- kungen 1. Der Bundesrat begrüßt, dass mit dem vorliegenden Ge- Drucksachen 18/3752, 18/3890 Nr. 3 setz ein wichtiger Schritt hin zu einer besseren Energie- effizienz bei Unternehmen und damit zu verstärkter – Unterrichtung durch die Bundesregierung Energieeinsparung und CO -Reduktion erfolgt. 2 Umweltradioaktivität und Strahlenbelastung im Jahr 2. Der Bundesrat stellt fest, dass die Umstellung auf ein 2012 Energieaudit für viele Unternehmen eine große orga- Drucksachen 18/708, 18/891 Nr. 2 nisatorische wie auch finanzielle Herausforderung darstellt, vor allem auch, da sie in kurzer Zeit bewäl- Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben tigt werden muss (Stichtag ist der 5. Dezember mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden 2015). Daher ist in der Umsetzung des Gesetzes da- Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- rauf zu achten, dass der Aufwand für die betroffenen ner Beratung abgesehen hat. Unternehmen so gering wie möglich gehalten wird. 3. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, beim Voll- zug des Gesetzes insbesondere zu prüfen, ob bei vie- Innenausschuss (B) (D) len gleichartigen Standorten eines Unternehmens so Drucksache 18/3362 Nr. A.2 genannte Multi-Site-Verfahren zugelassen werden Ratsdokument 14910/14 können, mit denen vermieden wird, dass ein umfas- sendes Energieaudit für jeden einzelnen Standort er- Ausschuss für Wirtschaft und Energie folgen muss. Drucksache 18/2533 Nr. A.39 Ratsdokument 11976/14 – Gesetz zu dem Abkommen vom 5. Dezember 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ausschuss für Bildung, Forschung und der Republik Polen zum Export besonderer Leis- Technikfolgenabschätzung tungen für berechtigte Personen, die im Hoheits- Drucksache 18/4152 Nr. A.12 gebiet der Republik Polen wohnhaft sind Ratsdokument 5867/15

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