Schwerpunkt Medien 201801 01-Pdf
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SCHWERPUNKTTHEMA DIGITAL CONCERT HALL DIE BERLINER PHILHARMONIKER IM EIGENEN WOHNZIMMER Von Cornelia Härtl Wer den Berliner Philharmonikern lauschen möchte, muss entweder ins Konzert gehen oder auf eine Fernseh-Übertragung warten. Oder? Weit gefehlt: Seit neun Jahren kann man sich die Berliner Philharmoniker zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit ins eigene Wohnzimmer holen – in der Digital Concert Hall. CLARINO sprach mit Tobias Möller, der bei den Berliner Philharmonikern für die Online- Kommunikation und Medienvermarktung zuständig ist. 22 CLARINO JANUAR 2018 SCHWERPUNKTTHEMA Seit wann gibt es die Digital Concert Hall Das Gefühl, ein Orchester live im Konzert- und welche Idee bzw. welches Ziel steckt saal zu erleben, wird sich durch keine vor- dahinter? Wer war der Initiator? stellbare Technik ersetzen lassen. Das ist einfach ein nicht reproduzierbarer Thrill. Die Digital Concert Hall ist im Dezember Aber natürlich bekomme ich bei einem di- 2008 online gegangen, und wenige Wo- gitalen Konzert die Musiker ganz aus der chen später gab es unsere erste Live-Über- Nähe und aus vielfältiger Perspektive zu tragung. Die Idee reicht aber noch einige sehen. Und man sitzt ganz gemütlich auf weitere Jahre zurück. Sie geht im Wesent- dem Sofa, muss sich keine Krawatte bin- lichen auf Olaf Maninger zurück, der sich den und keinen Parkplatz suchen. als Solocellist und Medienvorstand mit der Frage beschäftigt hat, wie man als Orches- Wie viele Menschen nutzen die Digital ter im digitalen Zeitalter ein internationa- Concert Hall? les Publikum ansprechen kann. Zusammen mit dem Filmproduzenten Robert Zimmer- Aktuell haben wir über 900 000 registrierte mann und einem neu zusammengestellten Nutzer, darunter gut 30 000 Inhaber eines Digital-Team hat er dann das Projekt ent- bezahlten Tickets. wickelt. Und wer sind die Nutzer des digitalen An- Welche Inhalte werden in der Digital Con- gebots? cert Hall bereitgestellt? Wir stellen bei der Registrierung nur ganz Neben Live-Übertragungen und Aufzeich- wenige Fragen, denn die würden erfah- nungen der jüngeren Vergangenheit kann rungsgemäß viele potenzielle Nutzer ab- man bei uns weit in die philharmonische schrecken. Wir fragen allerdings nach dem Historie zurückreisen – mit Konzerten, die Herkunftsland. Aus Deutschland kommen bis in die Karajan- und Abbado-Jahre zu- 22 Prozent der Besucher, aus den USA rund rückreichen. Dazu gibt es Bonus-Filme, 18 Prozent, aus Japan rund 16 Prozent. Inter views und Dokumentationen. Die übrigen stammen vor allem aus euro- päischen und asiatischen Ländern, aber Handelt es sich bei den Konzerten um auch Südamerika wird für uns ein immer Live-Aufnahmen oder Aufzeichnungen? wichtigerer Markt. Wie viel wird nachbearbeitet? Ähneln sich das digitale und das reale Jedes live übertragene Konzert wird nach- Publikum? Oder gibt es gravierende Un- bearbeitet und nach wenigen Tagen als terschiede? Aufzeichnung im Archiv veröffentlicht. Die Bearbeitung betrifft vor allem Fehler, die Das digitale Publikum ist naturgemäß wohl im Live-Bildschnitt passieren können, aber etwas jünger als das reale. Was aber nicht manchmal auch musikalische Einsätze, die bedeutet, dass unser reales Publikum in nicht hundertprozentig gelungen sind. der Philharmonie konservativer wäre. Ich Aber das sind alles minimale Korrekturen, habe eher den gegenteiligen Eindruck: Wer verglichen mit dem, was bei regulären öfter ins Konzert geht, ist eher dem Experi- Fernsehproduktionen bearbeitet wird. mentellen, Ungewöhnlichen gegenüber aufgeschlossen. Ist der digitale Konzertsaal eine Konkur- renz zu »richtigen« Konzertbesuchen? Was sind die beliebtesten Beiträge mit Oder ist vielleicht sogar das Gegenteil den meisten Zugriffen? der Fall? Was genau ist die Digital Concert Hall? Das kann man so allgemein nicht sagen. Unser Publikum kommt zu über 75 Prozent Natürlich gibt es Klassiker unseres Kata- Rein technisch gesehen ist die Digital Con- aus dem Ausland und hätte sonst kaum je logs, die ganz oben in der Statistik stehen: cert Hall eine Videoplattform, mit der man die Möglichkeit, live dabei zu sein. Wir sind Beethovens Neunte mit Simon Rattle, Live-Übertragungen und Aufzeichnungen der festen Überzeugung, dass die Digital Schumanns Klavierkonzert mit Martha von Konzerten der Berliner Philharmoniker Concert Hall auf den Besuch unserer realen Argerich. Aber am meisten Aufmerksam- abrufen kann – auf dem Fernseher, auf Konzerte neugierig macht und gerade keit erregen doch unsere jeweils neuesten Mobil geräten, auf dem Computer. keine Konkurrenz dazu darstellt. Sonst hät- Veröffentlichungen. Das kann dann auch Die Grundidee des Projekts geht aber über ten die Musiker diesem Projekt nie zu- mal Janáčeks »Schlaues Füchslein« sein. diese technische Seite hinaus. Die Digital gestimmt. Concert Hall ist neben der Berliner Philhar- Werden die Zugriffszahlen als Trend für monie eine weitere Spielstätte der Berliner Inwiefern unterscheidet sich für den Zu- die zukünftige Programmplanung be- Foto: Fotolia/Antonioguillem,Foto: Screenshot Philharmoniker – nur eben im Internet. hörer das digitale Konzert vom realen? rücksichtigt? JANUAR 2018 CLARINO 23 SCHWERPUNKTTHEMA Nein, und das ist auch richtig so. Dass die Im Videostudio unter dem Dach der Phil- oder man überträgt das Signal vom Mobil- Musiker programmatische Entscheidungen harmonie sitzen bei einer Übertragung gerät auf den großen Bildschirm. Es gibt autonom nach rein künstlerischen Er- meist ein halbes Dutzend Kollegen, darun- wirklich viele, viele Möglichkeiten, bei uns wägungen fällen, ist ja Teil des Erfolgs- ter ein Bildregisseur und ein Kameramann, dabei zu sein. rezepts des Orchesters. der gleichzeitig acht ferngesteuerte Kame- ras im Saal bedient. Gibt es konkrete Pläne für die Zukunft? Wie ist das überhaupt für die Musiker be- Der Ton kommt aus einem separaten Soll das Angebot noch weiter ausgebaut ziehungsweise Dirigenten? Müssen diese Audio studio. Das Signal wird dann noch in werden? bestimmte Dinge beachten, wenn das der Philharmonie encodiert und an ein so- Konzert auch für den digitalen Konzert- genanntes Content Delivery Network über- Auf jeden Fall. Zunächst sind inhaltlich saal verwendet werden soll? geben, das die Weiterleitung in alle Welt viele Erweiterungen denkbar: Kammer- übernimmt. musikkonzerte, Meisterkurse, noch mehr Am Anfang war das alles für einige Musiker historische Aufzeichnungen. Vor allem schon gewöhnungsbedürftig. Aber inzwi- Welche technischen Voraussetzungen aber eröffnet die sich rasant entwickelnde schen sind unsere Übertragungen für das benötigt man denn selbst, wenn man das Technologie immer neue Möglichkeiten. Orchester ja Alltag. Die Musiker sollen sich Angebot nutzen möchte? Wir haben in diesem Jahr Panasonic als auch nicht anders verhalten als an Konzert- Technologiepartner der Digital Concert abenden ohne Live-Stream. Das war eine Der Abruf von Online-Videos ist heute ja Hall gewonnen und konnten daraufhin un- entscheidende Anforderung bei der Ent- ganz alltäglich geworden. Sie können un- ser Videostudio mit brandneuer 4K-Tech- wicklung der Digital Concert Hall: Das Er- sere Konzerte per Website abrufen oder nologie ausstatten. Wir werden also in lebnis im Saal darf sich durch die Technik mit unseren Mobil-Apps für Smartphone absehbarer Zeit in der Lage sein, Konzerte weder für das Publikum noch für die Musi- und Tablet. mit vierfacher HD-Auflösung zu über- ker auf der Bühne verändern. Am größten ist der Konzertgenuss natür- tragen. Das ist schon eine Pioniertat und lich mit einem Fernseher, an den man ein unglaublich spannend. z Wie viel Technik steckt in dem Projekt? gutes Audiosystem angeschlossen hat. Für Wie viele Techniker sind im Einsatz? Fernseher haben wir TV-Apps entwickelt, www.digitalconcerthall.com Etwa sechs Personen sind bei einer Übertragung für die Digital Concert Hall im Videostudio aktiv. Foto: Peter Adamik 24 CLARINO JANUAR 2018 SCHWERPUNKTTHEMA THEINERTS THEMA DIE MEDIEN UND DIE MUSIK Von Klaus Härtel »Tue Gutes und rede darüber« lautet ein geflügeltes Wort. Ge- meint sind hier PR, Werbung, Öffentlichkeitsarbeit – vielleicht auch im Bereich der Musik. Andererseits wusste schon Frank Zappa: »Über Musik zu reden ist wie über Architektur zu tanzen.« Was denn nun? Wir haben uns mit Markus Theinert unterhalten. Sie kennen die Medien in den USA und versitäten beschränkt. Diese Aktivitäten dem wir nur das Detail herauspicken, was auch in Deutschland. Kann man die werden auf regional beschränkten Medien wir gerade benötigen – scheint auch das Medien – was die Darstellung von Blas- dargestellt, wie etwa der Webseite der Bedürfnis kleiner geworden zu sein, sich musik angeht – miteinander vergleichen? Schule oder einem Newsletter. Das Land mit einer ganzheitlichen Struktur oder ist einfach zu groß, als dass sich ein natio- Thematik auseinanderzusetzen. Da hat uns Die Unterschiede sind gar nicht so groß, nales Magazin noch mit regionalen Ver- die Digitalisierung keinen Fortschritt ge- wie man vermuten könnte. Natürlich ist die anstaltungen und Orchestern beschäftigen bracht, eher einen Verlust an Kommunika- Medienlandschaft international bunter ge- könnte. tionskultur. Ich glaube, dass vollständige worden in jeder Beziehung – nicht nur im Artikel in einer Fachzeitschrift immer selte- digitalen Bereich, sondern auch auf dem Ist also die Auseinandersetzung der ner gelesen werden. Wer weiß, wie viele Gebiet der Printmedien. Zum Glück gibt es Medien mit der Amateurszene ähnlich Leser es bis zu diesem Absatz unseres Ge- ja noch einige Magazine, die sich auch im sparsam wie in Deutschland? Das wird sprächs geschafft