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SWR2 Wissen - Geburtsort der Anti- Atomkraftbewegung Welche Rolle spielt der Widerstand dort bis heute? Von Christine Werner

Sendung: Mittwoch, 18.02.2015, 08.30 Uhr Redaktion: Sonja Striegl Regie: Autorenproduktion Produktion: SWR 2015

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Collage über Atmo: Platzbesetzung / Anti-Atomkraftlied

O-Ton 1 - Rolf Disch: Tausende Polizisten waren da und ich stand vor dem Zaun und habe einen Zorn gehabt. Und habe gedacht, der Zaun muss weg.

Erzählerin: Am 23. Februar 1975 besetzen Bürger in Wyhl den Bauplatz des geplanten Atomkraftwerks.

O-Ton 2 - Wyhl-Atmo: Die mündigen Bürger sind nicht bereit dies alles zu schlucken.

O-Ton 3 - Irmgard Beckert: Der Himmel war ein Stück weit offen.

O-Ton 4 - Siegfried Göpper (Krieg, kurz badisch): Ich kenne einen der hat gesagt: Los sie nur kommen, bevor sie laden, jage ich sie in die Luft.

Erzählerin: Acht Jahre später gibt die Landesregierung bekannt, dass das Atomkraftwerk Wyhl nicht gebaut wird.

O-Ton 5 - Dieter Rucht: Also Wyhl war erst mal der große prominente Fall.

O-Ton 6 - Rolf Disch: Mir ist es unverständlich, dass überhaupt noch ein einziges Kraftwerk läuft auf der Welt.

Ansage: „Wyhl - Geburtsort der Anti-Atomkraftbewegung - Welche Rolle spielt der Widerstand dort bis heute?“ Eine Sendung von Christine Werner.

Erzählerin: Die Platzbesetzung vor 40 Jahren in Wyhl gilt als Geburtsstunde der deutschen Anti- Atomkraftbewegung, hier hat die Bevölkerung erfolgreich ein Atomkraftwerk verhindert. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni 2011 den Atomausstieg verkündete, hieß es:

Der Anfang lag in Wyhl. Aber wäre der Ausstieg ohne den Protest am Kaiserstuhl tatsächlich unmöglich gewesen?

Atmo: Suchen im Schrank

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Erzählerin: Das Archiv der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen in Weisweil. Kurt Schmidt kramt in einem Schrank. Der Leiter des Archivs ordnet die Erinnerungen und pflegt die Nachlässe. Schmidt rollt jetzt Transparente aus und holt Fotos hervor.

O-Ton 7 - Kurt Schmidt (Motto): Was wir hier haben, das Symbol, das sich etabliert hat: „Nai hämmer gsait“, das rührt von der Bewegung von Marckolsheim her. Und dieses Logo „Nai hämmer gsait“ mit dem Atomkraftwerk ist mittlerweile auch das Symbol für den Widerstand. Nicht nur in Wyhl, sondern z. B. auch bei Stuttgart 21 bei der Bahn, das findet man immer wieder.

Erzählerin: Das Motto „Nein, haben wir gesagt“ ist so etwas wie der Exportschlager von Wyhl. Entstanden ist es schon 1974 bei der Besetzung eines geplanten Blei-Chemiewerks im elsässischen Marckolsheim. Später wurde es auch auf Plakate gegen die Atomkraftwerke in und Grohnde gemalt. Kurt Schmidt hat es sogar auf einem Transparent in Japan entdeckt. Überhaupt - die Japaner, auch Koreaner, haben großes Interesse an Wyhl.

O-Ton 8 - Kurt Schmidt (Interesse): Das Interesse hier am Archiv und Wyhl ist sehr, sehr groß. Also wir haben übers Jahr verteilt acht bis zehn Besuche aus Asien, nicht nur Japan, auch aus Korea, nicht nur AKW-Gegner, sondern es sind auch Ingenieure, Manager, die hier nach Deutschland kommen, schauen, was ist mit der , wie macht Deutschland das. Wyhl ist in Japan, in Südostasien sehr bekannt, es ist ein Signal, die Bürger haben es geschafft, ein Atomkraftwerk zu verhindern.

Erzählerin: Ein Symbol, ein Signal sei Wyhl, heißt es immer wieder. Dem Ort des Geschehens sieht man seine Geschichte und diese Bedeutung nicht an. Das Waldstück, das damals besetzt war, ist heute Landschaftsschutzgebiet, ein Auenwald mit Spazierwegen. In der Nähe eines Parkplatzes steht ein schlichter Gedenkstein der Bürgerinitiative, einen weiteren gibt es in Weisweil, zwischen Gemeindehaus und Pfarrhaus. „Widerstand der Schöpfung zuliebe“ steht darauf. An der Dorfeinfahrt von Weisweil hängt ein Plakat gegen das Atomkraftwerk im französischen Fessenheim. Sonst gibt es keine sichtbaren Erinnerungen an die aufwühlende Zeit im Februar 1975.

Kurz Atmo: Wyhl damals

Erzählerin: Die Kaiserstühler Bevölkerung besetzte den Bauplatz für das geplante Atomkraftwerk. Kurt Schmidt war als 14-Jähriger dabei.

O-Ton 9 - Kurt Schmidt (Raus auf den Platz): Und da ging es auch da drum, nach Hause, Schule, mir hatten noch Landwirtschaft zu Hause, Stallmisten, raus auf den Platz ob mit dem Fahrrad oder später mit dem Moped - es konnte nicht schnell genug gehen, die Kühe füttern, ausmisten und dann raus, raus, raus auf den Platz.

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Erzählerin: Nachdem die Landesregierung 1973 den Standort Wyhl für ein neues Atomkraftwerk bekannt gegeben hatte, überschlagen sich im Februar 1975 die Ereignisse. Am 17. rücken Bagger an, die Südbaden AG beginnt mit ersten Abholzungen. Am 18. gibt die badisch-elsässische Bürgerinitiative der Atomkraft-Gegner eine Pressekonferenz, etwa 100 Menschen besetzen den Platz zum ersten Mal und hindern die gewaltigen Baumaschinen an der Arbeit. Am 20. rückt die Polizei an und räumt.

O-Ton 10 - Archiv Platz-Durchsage Polizei: Ich fordere die Eltern auf mit ihren Kindern den Platz hier umgehend zu verlassen. Wenn die übrigen Störer den Platz hier ebenfalls nicht verlassen, werden wir Wasserwerfer einsetzen.

Erzählerin: 700 Polizisten mit Hunden und Wasserwerfern stehen den wenigen hundert Besetzern gegenüber. Panzerdraht wird um das Gelände gezogen. Die Bevölkerung ist empört über die Staatsgewalt.

O-Ton 11 - Frau: Das es nicht überwiegend Kommunisten sind, wie es oft heißt, wir sind keine Linksradikalen, das stimmt nicht. Es sind überwiegend Bürger von den umliegenden Gemeinden. Wir sind genauso betroffen, wie die anderen.

Erzählerin: Nach diesen Ereignissen strömen am 23. Februar über 25.000 Menschen aus der ganzen Region zusammen und demonstrieren gegen das geplante Atomkraftwerk. Teilnehmer der Kundgebung besetzen erneut den Bauplatz.

O-Ton 12 - Axel Mayer (Platzbesetzung): Die Stimmung war in manchen Situationen durchaus aufgeheizt. Also wenn man auf der einen Seite die Demonstranten sah, auf der anderen Seite die Polizei, man sah die Wasserwerfer, man hat diese Räumung des Platzes erlebt, wo dann die Leute weggedrückt wurden von den Wasserwerfern, da war natürlich viel Aggression auch in der Luft. Überhaupt keine Frage.

Erzählerin: Axel Mayer war damals auf dem Platz. Heute leitet der 60-Jährige die Geschäftsstelle des „Bund für Umwelt- und Naturschutz“, kurz BUND in Freiburg. Und noch immer ist er fasziniert von der Mischung der Menschen, die sich in Wyhl zusammengefunden hatten. Es waren Winzer und Landwirte, die Angst um ihre Ernte hatten, CDU-Mitglieder, die ihre Heimat schützen wollten, KPDler waren dabei, Frauen mit ihren Kindern, Studenten, Christen, Marxisten - es waren eben nicht überwiegend linksextreme Chaoten, wie es die Landesregierung unter Ministerpräsident Filbinger darstellen wollte.

O-Ton 13 - Axel Mayer (Mischung war richtig): Und ich glaube, das Wichtige war: Die Mischung war richtig. Wenn so ein Protest nur aus der städtischen Linken kommt, wenn es nur Studierende sind, dann sitzt der Polizeiknüppel locker. D. h., dann wird so was weggeräumt. Und wenn es nur Bauern und nur Landwirte und nur Arbeiter und Arbeiterinnen sind, dann fehlt der 4 intellektuelle Hintergrund. Dann fehlt das Fachwissen. Und das war durch irgendeinen Zufall war das gerade die richtige Mischung aus Studierenden und aus örtlicher Bevölkerung. Das war einfach einmalig, und es war ein toller Zufall. Und der hat zu diesem Erfolg wesentlich beigetragen.

Erzählerin: Diese Mischung führte zu erstaunlichen Aktivitäten auf dem Platz: die Volkshochschule Wyhler Wald wird gegründet, ein Freundschaftshaus gebaut, es werden Seminare, Vorträge, Diskussionsrunden abgehalten. Und durch das Engagement breiter Bevölkerungsschichten, fühlen sich viele Menschen in Deutschland angesprochen, erklärt der Berliner Protestforscher Prof. Dieter Rucht. Der Soziologe hat die Geschichte und Wirkung der Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland erforscht.

O-Ton 14 - Dieter Rucht (Was halte ich davon?): Es war zunächst mal ein lokaler Konflikt, der aber dann bundesweit Aufmerksamkeit erregt hat. Die Presse hat das ja alles sehr breit berichtet, diese Auseinandersetzung. Und das hat dann viele Leute, die zunächst mal desinteressiert waren oder ignorant gegenüber dem Thema, erst mal mit der Frage konfrontiert. Was halte ich eigentlich von Atomenergie? Was bedeutet das für mich? Gibt es da ein Gefahrenpotenzial, das auch über die Region hinausgehen könnte? Also Wyhl hat diese Fragen ins Spiel gebracht, und zwar an einem lokalen Konflikt konnte man alle Grundsatzprobleme, die mit Atomenergie verbunden sind, sozusagen wie in einem Mikrokosmos studieren.

Erzählerin: Von Wyhl aus gelangten die Fragen auf die bundesdeutsche Tagesordnung. Von diesem Zeitpunkt an wurde kontrovers über Atomkraft diskutiert - auch in der Politik. Alles geriet in Bewegung. Im Januar 1980, fünf Jahre nach der Bauplatzbesetzung in Wyhl, gründete sich in Karlsruhe die Partei Die Grünen. Und über 30 Jahre nach der Parteigründung schlägt die baden-württembergische Landeszentrale für politische Bildung den Bogen von Wyhl zur aktuellen Landesregierung. Auf der Homepage steht:

Zitat: „Ohne Wyhl kein grüner Ministerpräsident: Am 27. März 2011 feiert Winfried Kretschmann seinen Wahlsieg, der ihn zum ersten grünen Ministerpräsidenten in Deutschland werden ließ.“

O-Ton 15 - Axel Mayer (Durchsetzungsstrategien): Also Herr Kretschmann würde glaube ich kein Atomkraftwerk bauen wollen. Aber generell ist die Umweltbewegung schon damit konfrontiert, dass manche Dinge heute mit geschickteren Methoden durchgesetzt werden, mit Green Wash durchgesetzt werden, und dass wir immer wieder mit Dingen konfrontiert sind, die viel sanfter durchgesetzt werden. D. h., die Durchsetzungsstrategien in Wyhl waren schlicht. Hans Filbinger hat gesagt: An die Stelle kommt das Atomkraftwerk, da könnt ihr machen, was ihr wollt, und wer sich dagegen wehrt, ist Kommunist. Also das war einfach politisch auch unklug, das hat den Widerstand angefacht. Und was wir erlebt haben, ist, dass es seither neue Durchsetzungsstrategien für umweltschädliche Produkte und Projekte gibt. 5

Erzählerin: Nicht nur die Bürgerinitiativen haben in Wyhl Protestformen und Strategien erprobt, auch Politik und Industrie haben gelernt. Der Kampf ist dadurch schwieriger geworden. Und damit müssten sich die Umweltbewegungen mehr auseinandersetzen, fordert Axel Mayer.

O-Ton 16 - Axel Mayer (Durchsetzungsstrategien): Die Propaganda der Umweltzerstörer hat sich verbessert. Also da gibt es massive Optimierungen auf der anderen Seite und da erlebe ich die Umweltbewegung manchmal ein bisschen zu unreflektiert. Sie setzt sich mit diesen neuen Methoden, die die Umwelt und die Menschen gefährden, zu wenig auseinander.

Musik: Anti-Atomkraftlied

Erzählerin: Wyhl und die Auswirkungen sind aber nicht denkbar ohne die vorherigen Proteste in der Region. Früh schon haben sich die Atomkraftgegner über Grenzen hinweg „vernetzt“ - und das war damals aufwändiger als heute. In Breisach wurde gemeinsam demonstriert, in Kaiseraugst in der Schweiz und im Elsass gegen das Atomkraftwerk in Fessenheim. Im Elsass wurde auch erfolgreich der Bauplatz eines von der BASF geplanten Blei-Chemiewerks in Marckolsheim besetzt. Die Politik und die Industrie hatten ebenfalls grenzüberschreitende Pläne - für eine riesige europäische Industriezone entlang der Rheinschiene. Von Basel bis Rotterdam sollte das Tal zur Industrialisierung freigegeben werden. Die Bevölkerung am Oberrhein sollte in die Vorberg-Zonen des Schwarzwaldes umgesiedelt werden - aber die spielte nicht mit.

O-Ton 17 - Siegfried Göpper (Region die sich wehrt): Das ist ein Gebiet, wo sich wehrt. Nach dem alten Motto, wer sich nicht wehrt lebt verkehrt. Und das war eine Situation in der man uns belasten wollte und auch hat mit Fessenheim.

Erzählerin: Einer der Einheimischen, der zum Erfolg von Wyhl beigetragen hat ist Siegfried Göpper. Er ist Landwirt und Müller, ihm gehört die „Göpper Mühle“ am Ortseingang von Weisweil, etwa drei Kilometer vom damals vorgesehen AKW-Standort entfernt. Wyhl hat sein Leben geprägt. Siegfried Göpper war Vorsitzender der Jagdgenossenschaft, einer der maßgeblichen Akteure gegen Wyhl, er wurde von Befürwortern und der Industrie unter Druck gesetzt. Der heute 85-Jährige sitzt in Jeans und Hosenträgern im Empfangsbereich seines Hauses auf dem Mühlengelände und erzählt Geschichten wie aus einem Spionageroman.

O-Ton 18 - Siegfried Göpper: Die ganze Geschichte hat 1971 für mich angefangen, da war ich noch alleine. Selbst mit meiner Frau konnte ich nicht darüber sprechen, weil ich dachte, wenn sie sich verbabbelt - dann ist es passiert.

Erzählerin: 1971 erhielt Göpper einen anonymen Anruf. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit informierte ihn ein Mann, dass jetzt Wyhl als AKW-Standort vorgesehen sei. Die 6

Landesregierung gab dies offiziell erst 1973 bekannt. In den zwei Jahren dazwischen hat Siegfried Göpper mit niemandem darüber gesprochen. Er hielt dicht - und vorausschauend das Geld der Jagdgenossenschaft zusammen. Dadurch war die „Kriegskasse“ der Gegner gefüllt. Gleich nach der Bekanntgabe des Standorts schlug Göpper den juristischen Weg ein und engagierte Anwälte. Die Jagdgenossenschaft hatte einstimmig beschlossen, Geld bereit zu stellen und die Einzelkläger finanziell zu unterstützen.

O-Ton 19 - Siegfried Göpper (Freibrief): Und so hatten wir einen Grundstock und ich habe den Freibrief bekommen, wenn sie so wollen oder den Auftrag, zu schauen was geht. Und so ist man einfach in eine Schiene gerutscht, ob man wollte oder nicht. Da konnte man nicht mehr, wenn man nicht feige war, aufhören. Das war eine Belastung für den Betreib, für die Familie, alles war unter einem furchtbaren Druck gestanden.

Erzählerin: Göpper war selbst einer der Kläger. Das hat ihm nicht nur Freunde eingebracht. In der Erntezeit wurde ihm der Strom abgestellt, mit Bulldozern haben sie ihm das Trafohäuschen zerstört. Über 30 Jahre lang musste er seinen Strom selbst produzieren. Mit dem Bürgermeister lag er im Clinch. Die Gemeinde Weisweil habe ihm ein Klärwerk vor die Nase gesetzt, aus Rache, wie er sagt.

O-Ton 20 - Siegfried Göpper (Kläranlage - badisch): Da habe ich ihm zur Antwort gegeben: 12 Kläranlagen um mich herum können mir nicht so viel Angst einjagen, wie einer von denen vier Meiler, die ihr bauen wollt. Schäme dich, dass du dich da so einspannen lässt. Und dann hat er gesagt, da kannst du nichts machen, das machen wir und haben tatsächlich die Kläranlage gebaut, sie liegt jetzt still wieder. Sie ist so miserabel gebaut worden, schnell, schnell um dem Göpper eins auf den Deckel zu geben, die ganze Gemeinde muss den Strafzettel heute zahlen.

Erzählerin: Wenn Göpper erzählt, wird klar, wie stark Wyhl eine ganze Generation am Kaiserstuhl geprägt hat. Die Wut auf die anderen, auf die, die ihm das angetan haben, die trägt er immer noch im Bauch. Der Konflikt hat Gemeinden, Dörfer, Straßen, ganze Familien gespalten - auf welcher Seite stehst du? Das war lange Zeit die wesentliche Frage. In den Reihen der Atomkraftgegner gab es erstaunlich viele Frauen.

O-Ton 21 - Siegfried Göpper (Frauen - badisch): Die Volkshochschule Wyhler Wald war eine der wichtigsten Institutionen, die haben die Leute informiert und das hat die Frauen auf die Palme gebracht. Die Frauen waren meines Erachtens das Rückgrat des ganzen Widerstands.

Atmo: Wyhl Rede Frauen

O-Ton 22 - Anna Haag / Irmgard Beckert (Frauen Vorbilder): Mich als junges Mädchen hat inspiriert wie die alten Frauen, alt ist jetzt relativ, früher waren die Frauen eher alt als heute. Aber doch schon die Frauen so mit 60, 70 Jahren, eher in der Regel zurückhaltend, dann jetzt plötzlich vor die Herren 7 gestanden sind mit Krawatte und: Nein, so nicht mit mir! Also die waren schon couragiert. (IB) Das waren für mich richtige Vorbilder, so kann man auch alt sein, Vorbilder und Hoffnung wie ein Leben sich entwickeln kann.

Erzählerin: Die Frauen waren nicht nur Mitläufer, sie wurden auch nicht von den Männern vorgeschickt. Alle betonen, wie wichtig sie für die Bewegung waren. Für Irmgard Beckert und Anna Haag, damals beide Anfang 20, waren sie Inspiration.

O-Ton 23 - Irmgard Beckert (Frauen gegen Atom): Frauen gegen Atom und Militär, waren wir damals, ich ziemlich schwanger auf dem Domplatz in Köln gelegen. Das sind Themen die gehen durch die Biografie und die sind damals in die Welt gekommen und ich hatte das Glück dabei gewesen zu sein.

O-Ton 24 - Anna Haag (Rebell): Also insofern, würde ich sagen, dass ich nicht mehr alles geglaubt habe oder blindlings in was rein bin oder eher so der Rebell geworden bin, also alles erst mal sehr hinterfrage bevor ich mich für was festgelegt habe. Und das hält bis heute an, eher noch wesentlich verstärkter.

Erzählerin: Anna Haag wurde zur Protestwählerin, Irmgard Beckert hat vieles was im Wyhler Wald diskutiert wurde in ihr Leben integriert. Sie hat politische Literaturwissenschaften studiert, ist Spiel- und Waldorfpädagogin, hat für Geburtshäuser gekämpft und setzt sich für eine strahlungsarme Umgebung ein. Die Themen haben sie und viele andere Frauen nicht mehr losgelassen.

O-Ton 25 - Irmgard Beckert (Anschübe): Hier ist exemplarisch etwas geschehen und das hat ganz viel Ermutigung gegeben. Es war nie mehr so leicht wie in Wyhl, wir haben ja einen Spaziergang gemacht, ich war da am Zaun mit den Baumstämmen, ein bisschen gewippt und so, ja - und dann waren wir drin. Natürlich an anderen Ecken, es gab auch Verletzte, aber es war nicht zu vergleichen, wir sind dann in gewesen …

Atmo: Demonstration Brokdorf, Polizeieinsatz

Erzählerin: In Kalkar, Brokdorf und Grohnde eskalierte 1977 die Situation. Hier griff der Staat durch und zeigte Härte.

O-Ton 26 - Dieter Rucht (später hochgerüstet): Später an Standorten, in Brokdorf oder Grohnde standen sich dann wirklich, ja, Lager gegenüber in einer feindlichen Stimmung. Die Polizei war dann hochgerüstet, war vorbereitet, war mit Wasserwerfern und allem Möglichen zu Gange. Und auf der Gegenseite wurde auch massiv Gewalt eingesetzt. Das ist eben ein krasser Unterschied zu der gesamten Wyhler Geschichte.

Erzählerin: Die Gewaltlosigkeit war ein wesentlicher Faktor für den Erfolg von Wyhl, resümiert der Soziologe Dieter Rucht. Wenn es schon in Wyhl zu brutaler Gewalt gekommen 8 wäre, hätte das auf jeden Fall Auswirkungen auf die weitere Entwicklung gehabt. So aber kam es zu einer einmaligen Situation: Landesregierung und illegale Platzbesetzer einigten sich 1976 in der „Offenburger Vereinbarung“ auf weitere Gutachten. Während dieser Zeit standen die Bauarbeiten still, die Platzbesetzer räumten das Gelände - es ging juristisch weiter. Und in der ersten Instanz urteilte das Verwaltungsgericht in Freiburg: der vorgesehene Reaktortyp benötige einen zusätzlichen Berstschutz. 1982 genehmigte der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim den Bau, im August 1983 aber rückte die Landesregierung von dem Plan ab.

Der Zeitdruck sei weg, behauptete der neue Ministerpräsident Lothar Späth. Doch die politische Meinung hatte sich gedreht.

O-Ton 27 - Dieter Rucht (Kritiker): Das heißt, die atomkritische Minderheit wurde stärker und stärker. Und es kam dann dazu, dass eben auch sich technische Eliten, also Ingenieure, Atomwissenschaftler kritisch dazu geäußert haben. Und dann kamen ja wiederum einzelne Ereignisse hinzu, die eine katalysatorische Wirkung entfalteten. Nicht zuletzt Tree Mile Island, der Unfall, die Beinahe-Katastrophe, muss man vielleicht eher sagen, bei Harrisburg in den USA 1979.

Erzählerin: Beim größten Atomunfall in den USA kam es zu einer partiellen Kernschmelze. Auch international nahm die Kritik zu. Wyhl war nicht mehr durchsetzbar. Alternative Energien wurden immer stärker diskutiert, erinnert sich BUND-Geschäftsführer Axel Mayer.

O-Ton 28 - Axel Mayer (Alternativen zeigen Teil 1): Wir haben damals gesagt: Es reicht einfach nicht, wenn wir nur sagen, wir wollen kein Atomkraftwerk. Wir müssen auch Alternativen aufzeigen. Und deswegen haben die Bürgerinitiativen zwei, drei Jahre nach der Bauplatzbesetzung gemeinsam mit dem BUND in Sasbach eine Alternativenergie-Ausstellung organisiert. Ich war damals so als 20-Jähriger dabei. Und wir haben den Mund ziemlich voll genommen. Es war die größte Alternativenergie-Ausstellung der Welt. Es waren die Sonntage in Sasbach. Und aus heutiger Sicht waren sie winzig lächerlich und poplig. Also wenn heute drei Freiburger Gymnasien eine Alternativenergie-Ausstellung machen, dann ist das größer als das, was wir in Sasbach gemacht haben. Und es war damals die größte der Welt.

Erzählerin: Von Anfang an haben die Atomkraftgegner in Wyhl über Alternativen nachgedacht. Hier wurden die ersten Sonnenkollektoren entwickelt. Werner Mildebrath, der auf den Demos für die Elektrik zuständig war, hat Brauchwassererwärmer gebastelt und vorgeführt. Scheunendächer voller Solarplatten sind heute am Kaiserstuhl üblich.

O-Ton 29 - Axel Mayer (Alternativen zeigen Teil 2): Und wenn man sich anschaut, was wurde aus diesen winzigen Solaranlagen, was wurde aus diesen winzigen Windrädern - es wurde eine ernstzunehmende Alternative. Der Strom aus Windrädern und Solaranlagen ist billiger wie der Strom aus Kohlekraftwerken und billiger wie der Strom aus neuen Atomkraftwerken. Und da hat sich innerhalb von 40 Jahren ungeheuer viel getan. Und deswegen finde ich 9 persönlich, dass dieses „Ja hemmer gseit“, dieses Ja zu den alternativen Energien gleichberechtigt neben „Nai hemmer gseit“ steht.

O-Ton 30 - Rolf Disch (Region 1): Ich glaube wir waren was besonderes, also diese Region ist ja aufgewacht durch Wyhl und es gab viele Akteure hier oder gibt es natürlich immer noch, aber ich meine, dass es inzwischen ausgebremst ist, also wir sind nicht mehr vorne. Wir hätten das machen können und eigentlich finde ich es schade.

Erzählerin: Rolf Disch ist Architekt in Freiburg. Er gilt als einer der wichtigsten Solarpioniere, er bezeichnet sich auch als „SolarArchitekt“, sein Büro liegt im Sonnenschiff im Stadtteil Vauban. Auch Disch protestierte im Wyhler Wald. Später war er bei den ersten Umweltausstellungen dabei und durchquerte mit einem selbstgebauten Solarmobil die Wüste. Heute baut er so genannte „Plusenergiehäuser“ - das sind Häuser, die ihre Energie selbst erzeugen und auch noch Überschüsse produzieren. Im Freiburger Vorzeigeviertel Vauban steht eine ganze Siedlung davon. Rolf Disch aber reicht das nicht, er wollte mehr.

O-Ton 31 - Rolf Disch (Region 2): Aber die Idee war, diese Region nach vorne zu bringen in eine 100 Prozent Region, deswegen habe ich auch einen Wirtschaftsverband 100 Prozent mit anderen zusammen gegründet, wir haben die ersten Gemeinschaftssolaranlagen gemacht, also wir haben mit diesen Aktionen und Vereinen, Organisationen, viel auf den Weg gebracht. Nur spürt man da nichts mehr von diesem Pioniergeist. Also der ist irgendwo nicht mehr da.

Erzählerin: Solarregion, Wege zur Nachhaltigkeit, Green City - Freiburg geizt nicht mit seinem ökologischen Image. Es gibt Führungen für Umweltgruppen und Investoren, auch durch die Solarsiedlung von Rolf Disch. Das Freiburger Öko-Institut geht auf die Auseinandersetzungen in Wyhl zurück. Die Forschungseinrichtung macht unabhängige Politikberatung in Sachen Energie und Nachhaltigkeit, heißt es im Internet. Außerdem sitzen hier der Internationale Rat für Umweltinitiativen und das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme. Aber die Luft sei raus, bedauert Rolf Disch. Die Stadt ruhe sich auf dem Erreichten und ihrer Geschichte aus.

O-Ton 32 - Rolf Disch (Grüner OB - Kampf weg): Ja, eigentlich haben wir gedacht, jetzt ist doch prima, jetzt haben wir einen grünen OB hier in Freiburg, wir haben einen grünen Gemeinderat, die stärkste Fraktion, dann haben wir gedacht, das wird ja jetzt ein Selbstläufer, aber das ist jetzt leider nicht so. Was abgenommen hat, ist der Kampf, früher musste man kämpfen um die Dinge, ja und irgendwie habe ich den Eindruck, man ist satt.

Erzählerin: Die Grünen schneiden in der Region zwar besser ab als in anderen Gebieten. Das Interesse von Investoren gehe aber zurück, sagt Disch. Das Ausland habe aufgeholt und die Firmen hätten kein Geld mehr, es werde nicht mehr investiert.

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O-Ton 33 - Rolf Disch (Kriminelle Energieform): Wir sind ja auch schon froh, dass der Ausstiegsbeschluss gefasst ist und nur noch acht Kernkraftwerke laufen, aber eigentlich dürften die auch nicht laufen, die Dinger sind gefährlich und ich sage immer das ist eine kriminelle Energieform, was Kriminelleres gibt es eigentlich gar nicht, als das was wir da machen.

Kurz O-Ton 34 - Angela Merkel

Erzählerin: Im Juni 2011, drei Monate nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima, verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Regierungserklärung die Energiewende.

Weiter kurz O-Ton 34 - Angela Merkel

Erzählerin: Was vor 40 Jahren im Wyhler Wald diskutiert wurde, war jetzt Regierungspolitik. Das Märchen von den beherrschbaren Risiken wollte die Bevölkerung nicht mehr hören - das war nun auch der CDU klar. Fast 40 Jahre Anti-Atomkraftbewegung, Aufklärungsarbeit und nimmermüdes Kämpfen zeigten Wirkung. Aber hätte es die Energiewende ohne Fukushima auch gegeben? Hätte die Glut von Wyhl alleine ein Umdenken in der Politik erreichen können oder sind es doch die großen Katastrophen, die schließlich zu Veränderungen führen? Für Irmgard Beckert führt das Eine nicht ohne das Andere zum Ziel.

O-Ton 35 - Irmgard Beckert (Nicht entweder oder): Nein, ich würde es einfach nicht „entweder oder“ sehen wollen und auch nicht können. Das eine sind die Katastrophen, die etwas rütteln, und die können aber nur in Handlung umgehen, wenn auch Bewusstsein, Struktur, Forschung, soziale Bewegungen da sind, ja.

Erzählerin: Am Kaiserstuhl, im Dreiländereck Deutschland, Frankreich, Schweiz, feierte die Bewegung die ersten Erfolge. Das beflügelte, machte Hoffnung, gab Auftrieb, fasst Protestforscher Dieter Rucht zusammen.

O-Ton 36 - Dieter Rucht (Initialzündung): Also Wyhl war in gewisser Weise eine Initialzündung. Aber man kann nicht den Schluss ziehen, ohne Wyhl hätte es auch keinen Ausstieg gegeben. Also soweit würde ich nicht gehen, denn früher oder später wäre das Thema an einem anderen Standort hochgekocht und wenn man sieht, dass ähnlich wie in Wyhl ja die lokale Bevölkerung über mehr als 30 Jahre hinweg diesen Widerstand getragen hat, dann hätte im Grunde auch allein der Fall Gorleben einen Demonstrationseffekt für die Herrschenden gehabt, nämlich es ist sehr schwer, gegen einen lokal gut verankerten Widerstand so etwas durchzusetzen.

Erzählerin: Bis heute ist die Anti-Atomkraftbewegung aktiv und bundesweit in lokalen Initiativen verankert. Es gibt Ruhephasen, aber wenn es darauf ankommt, wenn wieder Castoren Richtung Gorleben rollen, wird sofort mobilisiert. In anderen Ländern tut 11 sich hingegen kaum etwas, weltweit gibt es wohl nirgends eine größere Anti- Atomkraftbewegung. Wyhl - vor 40 Jahren - das sei einfach ein günstiger Moment gewesen, findet Axel Mayer.

O-Ton 37 - Axel Mayer (geschichtliches Fenster): Ich glaube, manchmal gibt es Geschichtsphasen, in denen alles zusammenpasst. Und dann braucht es immer noch beherzte Menschen, die dann zugreifen, die aktiv werden, die den Hintern hochkriegen, das war damals so. Und wir sollten uns auch nicht zu viel drauf einbilden. Also, es war gut, und es war erfolgreich, aber das hat sicher auch mit dieser Geschichtsphase zu tun gehabt, in der wir einfach richtig zugegriffen haben.

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