Wyhl - Geburtsort Der Anti- Atomkraftbewegung Welche Rolle Spielt Der Widerstand Dort Bis Heute? Von Christine Werner
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Wyhl - Geburtsort der Anti- Atomkraftbewegung Welche Rolle spielt der Widerstand dort bis heute? Von Christine Werner Sendung: Mittwoch, 18.02.2015, 08.30 Uhr Redaktion: Sonja Striegl Regie: Autorenproduktion Produktion: SWR 2015 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. 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Ansage: „Wyhl - Geburtsort der Anti-Atomkraftbewegung - Welche Rolle spielt der Widerstand dort bis heute?“ Eine Sendung von Christine Werner. Erzählerin: Die Platzbesetzung vor 40 Jahren in Wyhl gilt als Geburtsstunde der deutschen Anti- Atomkraftbewegung, hier hat die Bevölkerung erfolgreich ein Atomkraftwerk verhindert. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Juni 2011 den Atomausstieg verkündete, hieß es: Der Anfang lag in Wyhl. Aber wäre der Ausstieg ohne den Protest am Kaiserstuhl tatsächlich unmöglich gewesen? Atmo: Suchen im Schrank 2 Erzählerin: Das Archiv der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen in Weisweil. Kurt Schmidt kramt in einem Schrank. Der Leiter des Archivs ordnet die Erinnerungen und pflegt die Nachlässe. Schmidt rollt jetzt Transparente aus und holt Fotos hervor. O-Ton 7 - Kurt Schmidt (Motto): Was wir hier haben, das Symbol, das sich etabliert hat: „Nai hämmer gsait“, das rührt von der Bewegung von Marckolsheim her. Und dieses Logo „Nai hämmer gsait“ mit dem Atomkraftwerk ist mittlerweile auch das Symbol für den Widerstand. Nicht nur in Wyhl, sondern z. B. auch bei Stuttgart 21 bei der Bahn, das findet man immer wieder. Erzählerin: Das Motto „Nein, haben wir gesagt“ ist so etwas wie der Exportschlager von Wyhl. Entstanden ist es schon 1974 bei der Besetzung eines geplanten Blei-Chemiewerks im elsässischen Marckolsheim. Später wurde es auch auf Plakate gegen die Atomkraftwerke in Brokdorf und Grohnde gemalt. Kurt Schmidt hat es sogar auf einem Transparent in Japan entdeckt. Überhaupt - die Japaner, auch Koreaner, haben großes Interesse an Wyhl. O-Ton 8 - Kurt Schmidt (Interesse): Das Interesse hier am Archiv und Wyhl ist sehr, sehr groß. Also wir haben übers Jahr verteilt acht bis zehn Besuche aus Asien, nicht nur Japan, auch aus Korea, nicht nur AKW-Gegner, sondern es sind auch Ingenieure, Manager, die hier nach Deutschland kommen, schauen, was ist mit der Energiewende, wie macht Deutschland das. Wyhl ist in Japan, in Südostasien sehr bekannt, es ist ein Signal, die Bürger haben es geschafft, ein Atomkraftwerk zu verhindern. Erzählerin: Ein Symbol, ein Signal sei Wyhl, heißt es immer wieder. Dem Ort des Geschehens sieht man seine Geschichte und diese Bedeutung nicht an. Das Waldstück, das damals besetzt war, ist heute Landschaftsschutzgebiet, ein Auenwald mit Spazierwegen. In der Nähe eines Parkplatzes steht ein schlichter Gedenkstein der Bürgerinitiative, einen weiteren gibt es in Weisweil, zwischen Gemeindehaus und Pfarrhaus. „Widerstand der Schöpfung zuliebe“ steht darauf. An der Dorfeinfahrt von Weisweil hängt ein Plakat gegen das Atomkraftwerk im französischen Fessenheim. Sonst gibt es keine sichtbaren Erinnerungen an die aufwühlende Zeit im Februar 1975. Kurz Atmo: Wyhl damals Erzählerin: Die Kaiserstühler Bevölkerung besetzte den Bauplatz für das geplante Atomkraftwerk. Kurt Schmidt war als 14-Jähriger dabei. O-Ton 9 - Kurt Schmidt (Raus auf den Platz): Und da ging es auch da drum, nach Hause, Schule, mir hatten noch Landwirtschaft zu Hause, Stallmisten, raus auf den Platz ob mit dem Fahrrad oder später mit dem Moped - es konnte nicht schnell genug gehen, die Kühe füttern, ausmisten und dann raus, raus, raus auf den Platz. 3 Erzählerin: Nachdem die Landesregierung 1973 den Standort Wyhl für ein neues Atomkraftwerk bekannt gegeben hatte, überschlagen sich im Februar 1975 die Ereignisse. Am 17. rücken Bagger an, die Südbaden AG beginnt mit ersten Abholzungen. Am 18. gibt die badisch-elsässische Bürgerinitiative der Atomkraft-Gegner eine Pressekonferenz, etwa 100 Menschen besetzen den Platz zum ersten Mal und hindern die gewaltigen Baumaschinen an der Arbeit. Am 20. rückt die Polizei an und räumt. O-Ton 10 - Archiv Platz-Durchsage Polizei: Ich fordere die Eltern auf mit ihren Kindern den Platz hier umgehend zu verlassen. Wenn die übrigen Störer den Platz hier ebenfalls nicht verlassen, werden wir Wasserwerfer einsetzen. Erzählerin: 700 Polizisten mit Hunden und Wasserwerfern stehen den wenigen hundert Besetzern gegenüber. Panzerdraht wird um das Gelände gezogen. Die Bevölkerung ist empört über die Staatsgewalt. O-Ton 11 - Frau: Das es nicht überwiegend Kommunisten sind, wie es oft heißt, wir sind keine Linksradikalen, das stimmt nicht. Es sind überwiegend Bürger von den umliegenden Gemeinden. Wir sind genauso betroffen, wie die anderen. Erzählerin: Nach diesen Ereignissen strömen am 23. Februar über 25.000 Menschen aus der ganzen Region zusammen und demonstrieren gegen das geplante Atomkraftwerk. Teilnehmer der Kundgebung besetzen erneut den Bauplatz. O-Ton 12 - Axel Mayer (Platzbesetzung): Die Stimmung war in manchen Situationen durchaus aufgeheizt. Also wenn man auf der einen Seite die Demonstranten sah, auf der anderen Seite die Polizei, man sah die Wasserwerfer, man hat diese Räumung des Platzes erlebt, wo dann die Leute weggedrückt wurden von den Wasserwerfern, da war natürlich viel Aggression auch in der Luft. Überhaupt keine Frage. Erzählerin: Axel Mayer war damals auf dem Platz. Heute leitet der 60-Jährige die Geschäftsstelle des „Bund für Umwelt- und Naturschutz“, kurz BUND in Freiburg. Und noch immer ist er fasziniert von der Mischung der Menschen, die sich in Wyhl zusammengefunden hatten. Es waren Winzer und Landwirte, die Angst um ihre Ernte hatten, CDU-Mitglieder, die ihre Heimat schützen wollten, KPDler waren dabei, Frauen mit ihren Kindern, Studenten, Christen, Marxisten - es waren eben nicht überwiegend linksextreme Chaoten, wie es die Landesregierung unter Ministerpräsident Filbinger darstellen wollte. O-Ton 13 - Axel Mayer (Mischung war richtig): Und ich glaube, das Wichtige war: Die Mischung war richtig. Wenn so ein Protest nur aus der städtischen Linken kommt, wenn es nur Studierende sind, dann sitzt der Polizeiknüppel locker. D. h., dann wird so was weggeräumt. Und wenn es nur Bauern und nur Landwirte und nur Arbeiter und Arbeiterinnen sind, dann fehlt der 4 intellektuelle Hintergrund. Dann fehlt das Fachwissen. Und das war durch irgendeinen Zufall war das gerade die richtige Mischung aus Studierenden und aus örtlicher Bevölkerung. Das war einfach einmalig, und es war ein toller Zufall. Und der hat zu diesem Erfolg wesentlich beigetragen. Erzählerin: Diese Mischung führte zu erstaunlichen Aktivitäten auf dem Platz: die Volkshochschule Wyhler Wald wird gegründet, ein Freundschaftshaus gebaut, es werden Seminare, Vorträge, Diskussionsrunden abgehalten. Und durch das Engagement breiter Bevölkerungsschichten, fühlen sich viele Menschen in Deutschland angesprochen, erklärt der Berliner Protestforscher Prof. Dieter Rucht. Der Soziologe hat die Geschichte und Wirkung der Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland erforscht. O-Ton 14 - Dieter Rucht (Was halte ich davon?): Es war zunächst mal ein lokaler Konflikt, der aber dann bundesweit Aufmerksamkeit erregt hat. Die Presse hat das ja alles sehr breit berichtet, diese Auseinandersetzung. Und das hat dann viele Leute, die zunächst mal desinteressiert waren oder