Ravensbrück Mitteilungsblatt Der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen

Dezember 2009

Präambel der Vereinsstatuten der ÖLGRF

Wir ehemaligen Ravensbrücker Häftlinge, zusammen- Diese Grundsätze sind geschlossen in der Österreichischen Lagergemeinschaft 1. Erhaltung der Erinnerung unseres Kampfes gegen Ravensbrück, den Nationalsozialismus, der die böseste Form des Faschismus ist. haben seinerzeit beschlossen, junge Freundinnen in un- sere Lagergemeinschaft aufzunehmen, weil wir möch- 2. Verteidigung der Demokratie und bedingungsloser ten, dass unsere Tätigkeit fortgesetzt wird, auch dann, Kampf gegen jede Form der Diktatur, gegen Fremden- wenn wir Alten nicht mehr da sein werden. feindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.

Um sicherzustellen, dass der Geist, in dem unsere Ge- Wann immer die Statuten der jetzigen und sich bilden- meinschaft gegründet und geführt wurde, in der sel- den Lagergemeinschaft aus welchen Gründen auch im- ben Richtung weitergeführt wird, möchten wir unsere mer geändert werden sollten, sind diese beiden Grund- Grundsätze hier anführen. Damit wollen wir unseren sätze in die Statuten aufzunehmen und zu befolgen. jungen Freundinnen helfen, sich gegen aufdrängende Daher ist diese Präambel auch allen künftigen Statuten Richtungsänderungen erfolgreich zur Wehr zu setzen. voranzustellen.

Österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen Lassallestraße 40/2/6, A-1020 Wien, Tel.: +43–01–7263943 Inhalt Allen Kameradinnen und ihren Familien im In- und Ausland wünschen 1 Präambel wir ein gesundes und friedliches Neues Jahr! 3 gedanken zur Befreiungsfeier 5 50 Jahre Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück Besuchen Sie uns auch im Internet: 6 Die neue Hauptausstellung in Ravensbrück www.ravensbrueck.at

8 tätigkeiten 2009 Diesem Mitteilungsblatt legen wir 9 generalversammlung 2009 einen Zahlschein bei zur Einzahlung des 10 tagung des IRK in Den Haag jährlichen Mitgliedsbeitrags (15 Euro). 11 Internationales Vermächtnis Spenden werden dankend entgegen- 12 Vernetzungsplattform der Lagergemeinschaften genommen. 12 „Wehret den Anfängen“ ... Der Vereinsvorstand 13 ebensee: Stellungnahme der ÖLGRF

Impressum: 14 „Wege nach Ravensbrück“ im Internet Koordinierende Redaktion: Sylvia Köchl, Layout: 14 VISIBLE – ein Filmprojekt Anna Vies, MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: 17 „Dagegen muss ich etwas tun“– Film Helga Amesberger, Lotte Brainin, Hugo Brainin, 18 Marianne S. und Aloisia O. – Eine Radiosendung Ildikó Cazan-Simányi, Bernadette Dewald, Clau- 19 auf den Spuren der PartisanInnen dia Dietl, Siegrid Fahrecker, Daniela Gahleitner, Brigitte Halbmayr, Svjetlana Hromin-Heidler, Tina Leisch, Magdalena Maché, Georg Maché, 20 Professorin Ceija Stojka Mathias Roller, Heribert Schiedel, Christa Schi- 21 Kundgebung beim ehemaligen Aspangbahnhof korra, Marika Schmiedt, Lisa Steininger, Hannelo- 21 umgestaltung des Lueger-Denkmals in Wien re Stoff und die TeilnehmerInnen am Plenum der 22 Grete Jost Gedenken ÖLGRF; Dank an das Fotoarchiv des DÖW und 23 selma-Steinmetz-Straße...? den Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung (Fotoarchiv der Arbeiter-Zeitung) Coverfoto: Siegrid Fahrecker. Copyright bei den AutorInnen 24 Hanna Sturm und FotografInnen. Vervielfältigung: Telekopie 26 Unsere Verstorbenen 2009: Wir werden euch nie vergessen! Wien www.telekopie.com

Gedenkfahrt nach Ravensbrück 2010 Ankündigung und Einladung

Anlässlich der 65. Wiederkehr der Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück organisiert die ÖLGRF eine Gedenkfahrt nach Ravensbrück, wozu wir Interessierte herzlich einladen möchten.

Die Gedenkfahrt findet vom Samstag 17. bis Montag 19. April 2010 statt.

Während dieser Tage gibt es die Möglichkeit, an den zahlreichen Veranstaltungen im Rahmen der Gedenkfeier teilzunehmen, die diversen Ausstellungen zu besuchen, mit Überlebenden des Frauenkonzentrationslagers ins Gespräch zu kommen u.v.m.

Für Überlebende der NS-Konzentrationslager und ihre Begleitung ist die Teilnahme an der Gedenkfahrt kostenlos. Für alle anderen werden sich die Kosten auf max. 200,– € (für Flug, Unterkunft in der Jugendherberge und Essen) belaufen.

Wir bitten um Anmeldung bis 19. Februar 2010. Bei Interesse und weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an: Kerstin Lercher [email protected] Tel.: 0680/200 88 98. 2 Magdalena Maché, die Urenkelin von Susanne Benesch, schreibt am Vorabend der Befreiungsfeier, am See sitzend, in ihr Tagebuch:

„Wieso bin ich hierher gekommen? Ein schöner See, der mich anlacht, vom Wind gestreichelt und von der Sonne erleuchtet. Will er mir irgendwas erzählen? Für eine tote Frau, die ich nie zu Gesicht bekommen habe, die ihr Gesicht aber nie verloren hat, dafür ihr Leben, lange bevor mir das meine geschenkt worden ist. Aber sie lebt weiter in den Erzählungen meiner Oma. Und um sie noch ein paar Generationen weiterleben zu lassen, bin ich hierher gekommen. Was erwartet mich hier? Ich weiß es nicht. Macht das alles einen Sinn? Ich weiß es nicht. Aber haben wir nicht alle irgendwann unsere Sinne verloren? Und darin finde ich den meinen wieder: ich bin hier, um wahrzunehmen.“

Und nach der Feier:

„Wieder zurück an dem See. Jetzt weiß ich, dass sich in ihm die Asche verbirgt von Menschen, die wir nicht vergessen können.“

© Georg Maché

Gedanken zur Befreiungsfeier

Warum komme ich zur Befreiungsfeier nach Ravensbrück? Ist das nicht alles schon so lange her? Wäre es nicht besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich der Zukunft zuzuwenden?

Meine Großmutter Susanne Benesch hat das KZ 2003, war ich mehrere Tage lang sehr gedrückt. Es Ravensbrück nicht überlebt. Sie kam Ende März ist eine Sache, Bescheid zu wissen, auch zu wissen, 1940 unter besonders grausamen Umständen ums dass meine Großmutter nur eine von vielen, von Leben. Über elf Jahre später kam ich zur Welt. Ich viel zu vielen war. Aber an Ort und Stelle zu sein, wuchs mit dem Wissen um diese Tatsachen auf. In mit so vielen Schicksalen, dokumentiert durch unserer Familie wurde – ein Dank an meine Eltern Wort und Bild, konfrontiert zu sein, mit der Ge- – das Schicksal der Großeltern nicht verschwiegen. wissheit, auf dem Boden zu stehen, der alle diese Als Kind, als Jugendlicher trug ich dieses Wissen Gräuel ertragen hat, das hat mich sehr mitgenom- mit mir, es fehlte mir aber an Lebenserfahrung, die men. Auch jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, steigt Tragweite zu erkennen. Erst viel später, im meinem wieder diese Beklommenheit hoch. vierten Lebensjahrzehnt, begann ich Schritt für Zur Befreiungsfeier im April 2009 kamen auch drei Schritt zu verstehen, dass die Geschichte meiner meiner Kinder. Alle drei aus eigener Entscheidung. Großeltern natürlich meine Eltern geprägt hat und Da zwei von ihnen das Lager noch nicht kannten, dadurch auch zu meiner Geschichte geworden ist. schlossen wir uns der Führung durch Matthias Wenn ich heute zur Gedenkstätte komme, dann Heyl, dem Leiter der Pädagogischen Dienste der auch, um meine eigenen Wurzeln zu finden und Gedenkstätte, an. Er war durch andere Aktivitäten besser kennen zu lernen. rund um die Befreiungsfeier stark beansprucht und konnte daher nicht so viel vom Lager zeigen. Er Fragen zu TäterInnen und zur Zukunft sprach dabei über die aktuelle Arbeit der Gedenk- stätte und berührte dabei zwei Themen, über die Nach meinem ersten Besuch der Gedenkstätte Ra- ich auch wiederholt nachgedacht hatte. Mir war da- vensbrück, an einem trüben Tag im späten Herbst vor schon aus anderen Quellen bekannt, dass sich

3 die Aufseherinnen in Ravensbrück durch besonde- re Brutalität auszeichneten. Mir war auch bekannt, dass sie nicht auf Befehl der SS so handelten, son- dern wie aus eigener Initiative. Ich kann mir nicht vorstellen, was einen Menschen dazu bringen kann, so sadistisch zu sein. Was einen Menschen dazu bringen kann, die angeborene Empathie anderen Menschen gegenüber so zu verleugnen. Und damit auch die eigene Würde so in Frage zu stellen. In © Mathias Roller der Gedenkstätte werden diese Tatsachen in der Ausstellung über die Aufseherinnen im Frauen-KZ als Heldinnen wahrnehmen zu können. Er machte Ravensbrück angesprochen. Diese Frauen waren deutlich, wie wichtig es ist, die Geschichte nicht als ja, bevor sie Aufseherinnen wurden, ganz „nor- Schwarz-Weiß-Bild darzustellen, auf der einen Sei- male“ Menschen aus der Nachbarschaft. Welche te die Guten, auf der anderen die Bösen. Er zeigte, Ängste wurden geschürt, dass sie sich zu solchen wie wichtig es ist, durch realitätsnahe Darstellung Verbrechen gegen ihre Mitmenschen hinreißen dem Rechtsextremismus in dieser Hinsicht den ließen? Wären unsere NachbarInnen heute auch Wind aus den Segeln zu nehmen. Gerade in einer bereit, sich in solche Bestien zu verwandeln? Dass Region, in der durch hohe Arbeitslosigkeit und mi- das wirklich noch immer ein Thema ist, zeigen die serable Zukunftsaussichten die Rechten großen aktuellen Fälle von Folter an Gefangenen durch Zulauf haben. US-SoldatInnen im Irak. Und was können wir tun, um solcher Verrohung vorzubeugen? Deshalb komme ich hierher! Matthias Heyl sprach auch über junge Rechtsex- treme und durch Rechtsextremismus Gefährdete, Auch das ist ein Grund, warum ich zur Befreiungs- die in ihrer Haltlosigkeit, ihrer geringen Selbstach- feier komme. Nicht nur um die Erinnerung wach zu tung und den mangelnden Zukunftsperspektiven halten, sondern auch um in der Gegenwart dafür dazu neigen, „starke“ Persönlichkeiten als Vorbilder einzutreten, dafür zu arbeiten, dass alle Menschen, zu suchen. „Starke“ Persönlichkeiten, die sie in den unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, TäterInnen des Naziregimes und ihren Handlan- ihrer Gesinnung in Würde und Achtung ein täti- gerInnen finden. Darum wurde bei der Gestaltung ges Leben entfalten zu können. Ein sicheres Mittel, der Ausstellung darauf geachtet, die Aufseherinnen rechten Ideologien den Nährboden zu entziehen. so zu zeigen, dass sich die Rechten schwer tun, sie Georg Maché

Heuer wurde im ehemaligen Mädchen-KZ Uckermark ein Gedenkstein präsentiert, der sowohl der hier inhaftierten Jugendlichen als auch der Opfer des späteren Vernichtungslagers Uckermark gedenkt. Viele Überlebende hatten sich seit Jahren ein solches Zeichen gewünscht, das nun aus Spendengeldern realisiert werden konnte.

© Sylvia Köchl

© Sylvia Köchl

Unsere Gruppe besuchte heuer nach der Befreiungsfeier in Ravensbrück die nahe gelegene Gedenkstätte des KZ Sachsenhausen. Ein österreichischer Gedenkdiener (r.) führte uns über das Gelände. Eine sehr anstrengende, aber auch sehr wertvolle Erfahrung.

4 50 Jahre Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

Die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück (MGR) zu den Reichen gehörte. Schon beim Pausenbrot hat Irma Trksak zu einer Veranstaltung im Septem- in der Schule waren gewisse Unterschiede zu er- ber 2009 eingeladen, bei der das 50-jährige Bestehen kennen: Ärmere hatten ein Schmalzbrot, Reichere der Mahn- und Gedenkstätte feierlich begangen ein Schinkensemmerl. Hilde hatte natürlich das werden sollte. Schmalzbrot zur Jause. Da unsere Irma mittlerweile fast 92 Jahre alt ist, ist Hilde war von 30. März 1944 bis 28. April 1945 in- ihr das Reisen alleine schon zu beschwerlich. Somit haftiert. Ihr „Verbrechen“ bestand darin, dass sie durfte ich ihre Reisebegleitung sein. Meine Aufga- gemeinsam mit ihrer Mutter Anna, deren Freun- be bei dieser Reise sollte es u.a. sein, über Hilde din (Pauli Hochmeister) und deren Mutter (Gisela Zimmermann, eine ehemalige Inhaftierte, bei der Hochmeister) einem kommunistischen Fallschirm- langen Nacht der Lesungen zu erzählen. springer Unterschlupf gewährte. Dieser Mann kam Nach einem problemlosen Flug von Wien nach aus der Sowjetunion nach England und weiter nach Berlin am Freitag , dem 11. September 2009, und Wien und sollte den Widerstand in Österreich un- einer längeren Autofahrt erreichten wir am späten terstützen. Als die vier Frauen gewarnt wurden, Nachmittag die Mahn- und Gedenkstätte. Der dass ein Spitzel umgehe, war es schon zu spät. Am Empfang war wie immer sehr herzlich. Nach der 30. März 1944 wurden sie und Hildes Bruder Oth- Zuweisung unseres Zimmers und einer kurzen mar, der gerade auf Heimaturlaub war, verhaftet. Pause begann schon um 19 Uhr die lange Nacht Othmar Wundsam wurde nach Buchenwald de- der Lesungen. Inzwischen war auch Lisa Steinin- portiert. Schwer krank entging er dort nur durch ger zu uns gestoßen, die mir eine große Stütze bei die Hilfe eines Mitinhaftierten der Selektion in den dieser für mich ungewohnten Aufgabe einer Prä- Tod. Die vier Frauen jedoch wurden ins KZ Ravens- sentation war. brück gebracht. Bei dieser Veranstaltung wurden aus ganz Europa Hilde Zimmermann war eine der ersten österrei- ehemalige Inhaftierte sowie Mitglieder von Lager- chischen Frauen, die den Gedenkraum im ehe- gemeinschaften eingeladen, um über ehemalige maligen Bunker des KZ Ravensbrück mitgestaltet Inhaftierte aus Ravensbrück zu berichten. haben. Sie war auch unter den ersten, die junge Menschen dazu bewegen konnte, in unserer La- Hilde Zimmermann gergemeinschaft mitzuwirken. Hilde verstarb im Jahr 2002. So gegen 23 Uhr war dann ich an der Reihe, über Im Jahr 2009 stellte Tina Leisch einen Dokumen- Hilde Zimmermann, geb. Wundsam, Jahrgang tarfilm über Hilde fertig her mit dem Titel: „Dage- 1920, zu erzählen. Sie wuchs in Wien in der Vorstadt gen muss ich etwas tun.“ Er wurde aus früheren In- Kagran bei ihren Eltern und ihrem Bruder Othmar terviews mit Hilde und aktuellen Gesprächen mit in einem Gemeindebau des „roten Wien“ auf. Hilde ihrem Bruder Othmar, ihrer Jugendfreundin Pau- musste früh zur Kenntnis nehmen, dass sie nicht line und ihrem Ehemann Harry zusammengestellt

5 (lesen Sie dazu den Artikel auf S. 17). Die DVD im April 2013 beendet sein. Auch das große Ge- ist über die Lagergemeinschaft erhältlich: denkbuch der Namen wird neu überarbeitet und www.ravensbrueck.at soll ebenfalls 2013 fertig gestellt sein. Weiters wurde uns durch die Leiterin der Mahn- Neues von der MGR und Gedenkstätte Ravensbrück, Dr. Insa Eschebach, mitgeteilt, dass der Weg zum ehemaligen Siemens- Zu sehr später Stunde, müde und zufrieden, den Lager sowie die Mauer der Nationen erweitert wer- Abend erfolgreich hinter uns gebracht zu haben den. Das Siemens-Lager wird dann endlich frei zu- (ich konnte nämlich über meine Großmutter, die gänglich sein. Man wird sich bemühen, auch diese auch in Ravensbrück inhaftiert war, einige neue Umbauarbeiten bis 2013 vollendet zu haben. Informationen erhalten und auch selbst welche Um 18 Uhr hielten wir eine Gedenkfeier mit Kranz- weitergeben), gingen Irma und ich zu Bett. niederlegung am Seeufer ab. Am Samstag, den 12. September, um 10 Uhr be- Um 19 Uhr wurden wir zu einem Empfang mit gann dann eine Podiumsdiskussion. In dieser Dis- Galabuffet geladen (sehr, sehr lecker). kussion wurde festgehalten, dass zum jährlichen Um 20 Uhr fand in der ehemaligen Textilfabrik (In- Gedenktreffen im April 2010 noch alles „beim dustriehof) ein Konzert mit Esther Bejarano und Alten“ sein wird, aber danach werden die Büro- ihrer Gruppe statt. Trotz des tristen Veranstal- räume von der ehemaligen Kommandantur in den tungsortes war das Konzert ein voller Erfolg. Industriehof übersiedelt. In der ehemaligen Kom- Am Sonntag nach dem Mittagessen ging es wieder mandantur wird eine neue Ausstellung über das mit dem Auto zum Flughafen und mit dem Flieger KZ eingerichtet (lesen Sie dazu auch den unten zurück nach Wien. stehenden Artikel). Die Umbauarbeiten werden Siegrid Fahrecker

Die neue Hauptausstellung in Ravensbrück

Die neue Hauptausstellung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück ist in Vorbereitung.

Auf der letzten Sitzung des Internationalen Ra- die auch Orientierung für die anschließende Be- vensbrück Komitees in Den Haag im Mai 2009 gehung des ehemaligen Lagerareals geben soll. informierten die Gedenkstättenleiterin Dr. Insa Das Gedenkstättengelände wird in die Ausstellung Eschebach und ich über die Planung und Konzep- deutlich einbezogen sein, indem beispielsweise tion einer neuen ständigen Hauptausstellung in der Ausblicke aus den Fenstern des Gebäudes auf das Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Diese soll Areal möglich sind. in den Gedenkstättenrundgang eingebunden sein Mit der Ausstellung verfolgen wir drei Ziele: und Ende 2012 eröffnet werden. Im Oktober 2009 1. Die Darstellung und Vermittlung der Geschichte begann die Arbeit des Ausstellungsteams. des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück als Herrschafts- und Verfolgungsinstrument des NS-Re- Ziele der neuen Ausstellung gimes. Ravensbrück steht als Paradigma der KZ-Haft von Frauen und weiblicher Täterschaft für einen durch Entsprechend der Zielplanung der Gedenkstätte andere KZ-Gedenkstätten nicht repräsentierten Typ betreten BesucherInnen künftig den historischen innerhalb des Systems der NS-Konzentrationslager. Ort Ravensbrück zunächst über das Besucherzen- Zudem kam dem KZ Ravensbrück Vorbildfunktion trum direkt am Parkplatz. Dort erhalten sie erste bei der Einrichtung zahlreicher KZ-Außenlager ab Informationen über die Gedenkstätte und werden 1942 zu, in denen weibliche Gefangene Zwangsarbeit anhand eines großen Modells und eines Lageplans in der Rüstungsproduktion leisten mussten. mit dem Besucherleitsystem vertraut gemacht. 2. Die Darstellung und Vermittlung der Geschichte Anschließend führt der Weg direkt in das baulich der Vielzahl unterschiedlicher Haftgruppen und ihrer dominierende Gebäude der ehemaligen Komman- – auch geschlechtsspezifischen – Verfolgungskontexte dantur und damit in die neue Hauptausstellung, im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten.

6 © Sylvia Köchl Die ehemalige Kommandantur 2009 3. Die Darstellung und Vermittlung der Nachkriegs- integrativer Bestandteil der Perspektive auf die geschichte des Lagers und der Geschichte der Erinne- Geschichte des KZ Ravensbrück und seiner Wir- rung an das KZ Ravensbrück in West- und Osteuropa kungsgeschichte verdeutlicht. Das kann beispiels- sowie in Israel und den USA. weise mittels gegenüberstellenden Vergleichen in Wenn auch zentraler Bezugspunkt der Ausstellung thematischen Bereichen wie „Bewachung“, „Kran- das Frauen-Konzentrationslager ist, soll doch zu- kenrevier“ oder „Zwangsarbeit“ geschehen. Auch gleich auch die Geschichte des gesamten Lager- kann es sehr aufschlussreich sein, die Zusammen- komplexes Thema sein. Auf diese Weise wird die setzung der Häftlingsgesellschaften der jeweiligen neue Hauptausstellung die beiden 1993 und 1994 Lager im Hinblick auf die Kategorie Geschlecht eröffneten Ausstellungen „Ravensbrück. Topo- darzustellen. Wichtig ist uns auch, Leerstellen graphie und Geschichte des Frauen-KZ“ und „Ra- wie beispielsweise die Ausblendung des Männer- vensbrückerinnen“ im Obergeschoss des Gebäudes lagers oder auch der Geschichte der Zwangspro- ersetzen. Beide Ausstellungen sind nur in deutsch stituierten in den Gedenkveranstaltungen bis in verfasst und entsprechen nicht mehr dem aktuellen die 1990er Jahre zu benennen. Ingesamt besteht Forschungsstand, der seit der zweiten Hälfte der die Ausstellung aus zwölf thematischen Schwer- 1990er Jahre mit einer Reihe von Publikationen in punkten, die die Geschichte des Lagerkomplexes Deutschland, Westeuropa, Nordamerika und Isra- und seine Nachgeschichte bis hin zur Darstellung el große Sprünge nach vorn gemacht hat. Für die des Ravensbrück-Gedächtnisses in verschiedenen neue Ausstellung stehen künftig beide Etagen des Ländern umfassen. Gebäudes zur Verfügung. 1) Der Gebrauch des NS-Begriffs „Jugendschutzlager“ wird seitens der Lagergemeinschaft Ravensbrück/Freundes- Zum Narrativ der Ausstellung kreis e.V. und der „Uckermark-Initiative“ abgelehnt zu- gunsten der Bezeichnung „Konzentrationslager“. Die Vielfach wird an uns als Ausstellungsteam die Er- Gedenkstätte verwendet jedoch die historische Bezeich- nung, um damit auch den ideologischen Gehalt des Be- wartung herangetragen, dass in einer Ausstellung griffs zu thematisieren. zu einem Frauen-Konzentrationslager alles anders gemacht werden müsse. Die Lagergeschichte müs- Für die Entwicklung dieser neuen Hauptausstellung se als frauenspezifisches Narrativ um den Haupt- suchen wir noch Fotos, Gegenstände, Briefe und aspekt der Geschlechtergeschichte gruppiert wer- Nachlässe. Sollten Sie entsprechende Hinweise für den. Wir haben uns demgegenüber für ein Konzept uns haben oder sich vielleicht zu einer Schenkung entschieden, in dem die Geschlechtergeschichte im oder Leihgabe eigener Erinnerungsstücke entschlie- Kontext der allgemeinen Geschichte verortet wird. ßen können, würden wir uns darüber sehr freuen. Dabei nutzen wir die Geschlechtergeschichte, um die übliche Darstellung der nationalsozialistischen Christa Schikorra Konzentrationslager um differenzierte Blickweisen Projektleitung Hauptausstellung Ravensbrück zu erweitern. Dabei gilt zu berücksichtigen, dass die Hauptausstellung der Gedenkstätte Ravensbrück Kontakt die Geschichte des gesamten Lagerkomplexes zum Thema hat. Das bedeutet, dass auch die Geschichte Projekt Hauptausstellung Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück des Männerlagers, des Siemenslagers und des sog. Straße der Nationen 1 „Jugendschutzlagers“ Uckermark dargestellt wer- D-16798 Fürstenberg/Havel den soll. +49-33093/608-25 Frauen- und geschlechtergeschichtliche Bezüge [email protected] werden also nicht zusätzlich, sondern als [email protected] 18.-20. April – Teilnahme an den Gedenkfeiern anlässlich des 64. Jahrestages der Befreiung des Kon- zentrationslagers Ravensbrück sowie Besuch der Gedenkstätte Sachsenhausen. Insgesamt reisten 29 © Sylvia Köchl Personen aus Österreich an.

12. Mai – Generalversammlung der ÖLGRF Tätigkeiten 2009 (siehe weiter unten)

20. Jänner – Vortrag von Brigitte Halbmayr am 15.-20. Mai – Irma Trksak und Helga Amesberger Institut für Wissenschaft und Kunst (IWK) im Rah- vertraten auch dieses Jahr wieder die ÖLGRF bei der men der Reihe „Österreichische Frauen im Wider- Tagung des IRK in Den Haag (siehe auch S. 10). stand gegen den Nationalsozialismus“ zum Thema „Selbstbehauptung, Solidarität und Widerstand im 28. Mai – Die ÖLGRF verschickte einen offenen Frauenkonzentrationslager Ravensbrück“ Brief zum Skandal bei der Befreiungsfeier im ehe- maligen KZ Ebensee (siehe S. 13). 3. März – das erste Vernetzungstreffen österrei- chischer Erinnerungsprojekte fand am Institut für 4. Juni – Die Radiosendung „Zwei Frauenge- Jüdische Erwachsenenbildung statt, an dem auch schichten als Präsent für Wels“ von Sylvia Köchl und Brigitte Halbmayr, Elisabeth Fraberger und Berna- Christa Putz wurde vom Freien Radio Orange 94.0 dette Dewald von der ÖLGRF teilnahmen (noch zwei zum ersten Mal gesendet (weitere Ausstrahlungen weitere Treffen folgten im Jahr 2009). Ziel dieser Ini- von Freien Radios folgten) (siehe S. 18). tiative ist ein verstärkter Austausch der zahlreichen Erinnerungsprojekte (großteils mit lokalen Bezügen) 28. Juni – Filmmatinee im Filmhaus am Spittel- über ihre bisherigen Projekterfahrungen und über berg: „Dagegen muss ich etwas tun!“ Portrait der Möglichkeiten eines gemeinsamen Web-Auftritts, Widerstandskämpferin Hilde Zimmermann. Ein Film Terminabstimmung, Einladungspolitik, gemeinsam von Tina Leisch (A 2009). Das Kino war ausverkauft. getragener Veranstaltungen etc. Das gemeinsame Filmsehen und das Zusammensein mit zahlreichen Verwandten der Filmprotagonis- 8.-10. März – Irma Trksak und Sylvia Köchl nah- tInnen Hilde Zimmermann, Harry Zimmermann, men am ZeitzeugInnen-Seminar 2009 von erinnern. Pauline Leibel und Otto Wundsam war eine berüh- at teil. Thema „Die Opfer des Nationalsozialismus in rende Erfahrung (siehe auch S. 17). der Erinnerungskultur“ 15. Juli – Die Radiosendung „Frauenzimmer“ vom 12. März – erstes Vernetzungstreffen der österrei- Salzburger Freien Radio „Radiofabrik“ brachte ein chischen Lagergemeinschaften in diesem Jahr (das Live-Interview mit Sylvia Köchl über die Geschichte siebente insgesamt, noch vier weitere folgen). Lesen und Aktivitäten der ÖLGRF. Die Fragen stellten Heidi Sie dazu die S. 12. Rohrmoser und Sabaha Sinanovic.

März – Artikel von Brigitte Halbmayr: „‚Das war 11.-13. September – Irma Trksak und Siegrid Fahre- eine Selbstverständlichkeit, dass wir da geholfen cker nehmen an den Feierlichkeiten zum 50-jährigen haben’ Die Fallschirmagenten Albert Huttary und Bestehen der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück Josef Zettler und ihre UnterstützerInnen – ein Fall- teil. Irma ist Ehrengast, Siegrid präsentiert die Bio- beispiel“ erscheint in: Dokumentationsarchiv des grafie von Hilde Zimmermann (vgl. S. 5). österreichischen Widerstands (Hg.) „Jahrbuch 2009, Schwerpunkt: Bewaffneter Widerstand – Widerstand 16. Oktober – Ceija Stojka, Überlebende von Aus- im Militär“. Der Artikel basiert auf der erzählten chwitz, Ravensbrück und Bergen-Belsen und uner- Lebensgeschichte von Ida Huttary. In diesen Fall müdliche Zeitzeugin, erhält von Unterrichtsmini- waren als Widerstandskämpferinnen auch Hilde sterin Claudia Schmied den Ehrentitel Professorin Zimmermann, Anna Wundsam, Pauline Leibel und verliehen. (Lesen Sie dazu die S. 20) Gisela Hochmeister involviert. 27. Oktober – Vortrag von Helga Amesberger am 10. April – Workshop der ÖLGRF zum Thema „Fe- IWK zum Thema „Zur Geschichte und Zukunft der Ös- ministisches antifaschistisches Gedenken in Eu- terreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück“ im ropa“ im Rahmen des Autonom-Feministischen Rahmen der Vortragsreihe „Österreichische Frauen FrauenLesbenTreffens im WuK in Wien im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

8 Generalversammlung 2009

Am 12. Mai 2009 fand – im Rahmen des monatlichen Treffens der Lagergemeinschaft Ravensbrück und FreundInnen – die jedes zweite Jahr abzuhaltende Generalversammlung statt.

Auf drei Punkte dieser Generalversammlung möchte ich näher eingehen:

1.) Die Wahl des neuen Vorstands Alle Frauen, die in der vergangenen Periode im Vorstand waren, haben sich auch für diese Periode wieder bereit erklärt, ihre Funktionen zu übernehmen; zusätzlich wurden Hemma Mayrhofer, Bernadette De- wald, Svetlana Hromin-Heidler und Siegrid Fahrecker für Vorstandsfunktionen zur Wahl vorgeschlagen. Alle Wahlvorschläge wurden einstimmig angenommen, der Vorstand der ÖLGRF für die Periode Mai 2009 – Mai 2011 lautet daher:

Obfrau: Brigitte Halbmayr Stv.: Lisa Steininger Kassierin: Helga Amesberger Stv.: Hemma Mayrhofer Schriftführerin: Sylvia Köchl Stv.: Kerstin Lercher Sekretärin: Ildikó Cazan Stv.: Bernadette Dewald Kontrolle: Gaby Schmoll Maria Newald

Bundesländer-Beirat (erweiterter Vorstand) Hilde Röhheuser (Westösterreich) Dora Kupper (Südösterreich) Svetlana Hromin-Heidler,Siegrid Fahrecker (Ostösterreich) Ich danke allen für ihre Bereitschaft zum Engagement!

2.) Erhöhung des Mitgliedsbeitrags ab 2010 Der Mitgliedsbeitrag betrug bislang 10 € jährlich. Gleichzeitig steigen die jährlichen Ausgaben, etwa für die Gedenkfahrt (2009 wurden die Reisekosten der Überlebenden nicht mehr zur Gänze vom National- fonds übernommen, die Kränze mussten auch von der Lagergemeinschaft bezahlt werden), für Kränze bei weiteren Todesfällen, für das Mitteilungsblatt und die Homepage etc. Die Generalversammlung beschloss daher eine moderate Erhöhung des Beitrags auf 15 € jährlich. Allen Frauen und Männern, die unserer Arbeit schon lange verbunden sind, möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank für ihre Unterstützung ausdrücken – im Namen des gesamten Vorstands und aller aktiven Mitglieder! 3.) Wechsel in der Delegation zum Internationalen Ravensbrück Komitee (IRK) Irma Trksak, langjähriges Mitglied im IRK und zuletzt seit mehreren Jahren Vizepräsidentin, hat aus Al- tersgründen ihr Mandat zurückgelegt – am diesjährigen Treffen in Den Haag nahm sie zum Glück noch einmal teil. Fritzi Furch hat sich danach bereit erklärt, ab 2010 gemeinsam mit Helga Amesberger die Österreich-Delegation zu stellen. Danke Irma, dass Du über so viele Jahre hinweg so aktiv die ÖLGR(F) im IRK vertreten hast! Danke Fritzi für Deine Bereitschaft, danke Helga!

Wie dem Tätigkeitsbericht und den Beiträgen im Mitteilungsblatt zu entnehmen ist, waren wir auch im Jahr 2009 nicht untätig, wenngleich wir als Lagergemeinschaft schon intensivere Jahre erlebt haben. 2010 jährt sich die Befreiung der Konzentrationslager durch die alliierten Armeen zum 65. Mal – ein Umstand, der auch durch die ÖLGRF gewürdigt und gefeiert werden soll. Ich ersuche schon heute alle Interessierten um Vorschläge und tatkräftige Unterstützung! Brigitte Halbmay Obfrau ÖLGRF

9 © Helga Amesberger Gedenkfeier im Rahmen der IRK-Tagung am Waalsdorpervlakte, wo zwischen 1941 und 1945 Nazi-Gegner hingerichtet wurden. Tagung des Internationalen Ravensbrück-Komitees in Den Haag

Die diesjährige Tagung des IRK fand vom 15. bis 20. vensbrück am Programm (lesen Sie dazu auch die Mai 2009 in Den Haag statt. Für die ÖLGRF nah- S. 6). Besorgt zeigte sich das Komitee auch wegen men Irma Trksak und Helga Amesberger teil; insge- der durch die deutsche Bundesregierung geplanten samt waren 24 Delegierte aus 13 Ländern vertreten. Neukonzeption der Gedenkstätten(förderung). Das Neben den Berichten aus den einzelnen Ländern, IRK verabschiedete in diesem Zusammenhang dem Bericht der Präsidentin sowie der Gedenkstät- eine Resolution (siehe unten), die an die zustän- te stand heuer insbesondere die Konzeption der digen Stellen gesandt und über diverse Medien neuen Daueraustellung in der Gedenkstätte Ra- veröffentlicht wurde. Helga AmesbergeR

Communiqué des Internationalen Ravensbrück-Komitees – Den Haag

Das Internationale Ravensbrück-Komitee ist dankbar für die Aufmerksamkeit und die Unterstützung, die die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück durch das Brandenburgische Kulturministerium und durch die Bundesrepublik Deutschland erfahren hat und weiterhin erfährt.

Das Internationale Ravensbrück-Komitee erachtet es als wichtig, dass mit den Arbeiten für die neue Hauptausstellung noch in diesem Jahr begonnen wird, denn die BesucherInnen müssen über die gesamte Geschichte des Lagers umfassend informiert werden.

Das Internationale Ravensbrück-Komitee ist besorgt über die gegenwärtige Entwicklung der Vergan- genheitspolitik in Deutschland und insbesondere im Land Brandenburg.

Dem Internationalen Ravensbrück-Komitee ist es unbegreiflich, dass eine einzige Stelle sowohl zur Betreuung der Opfer des Kommunismus als auch der Verfolgten des Nationalsozialismus eingerichtet werden soll, wie es ein Gesetzesentwurf zweier Fraktionen des brandenburgischen Landtages (Druck- sache 4/7518) vorsieht. Beide Opfergruppen haben nichts miteinander gemein und können deshalb nicht von ein und derselben Stelle betreut werden.

Das Internationale Ravensbrück-Komitee ersucht daher die Fraktionen von SPD und CDU, ihren Ent- wurf in diesem Sinne zu überarbeiten. Dr. Annette Chalut Präsidentin des Internationalen Ravensbrück-Komitees 18. Mai 2009

10 Erinnerung bewahren – authentische Orte erhalten – Verantwortung übernehmen

Wir, die Unterzeichnenden, Überlebende der deutschen Konzentrationslager, Frauen und Männer, vertreten Internationale Häftlingskomitees der Konzentrationslager und ihrer Außenkommandos. Wir gedenken unserer ermordeten Familien und der Millionen Opfer, die an diesen Orten der Asche getötet wurden. Ihre Verfolgung und Ermordung aus rassischen, politischen, religiösen, sozialen, bio- logischen und ökonomischen Gründen und ein verbrecherischer Krieg haben die Welt an den Rand des Abgrunds geführt und eine schreckliche Bilanz hinterlassen.

Nach unserer Befreiung schworen wir eine neue seine Fehler und sein Versagen wissen und sich Welt des Friedens und der Freiheit aufzubauen: dazu bekennen, mit seiner eigenen Vergangenheit Wir haben uns engagiert, um eine Wiederkehr die- im Reinen zu sein, um auch mit seinen Nachbarn ser unvergleichlichen Verbrechen zu verhindern. im Reinen sein zu können.“ Zeitlebens haben wir Zeugnis abgelegt, zeitlebens Unsere Reihen lichten sich. In allen Instanzen un- waren wir darum bemüht, junge Menschen über serer Verbände, auf nationaler wie internationaler unsere Erlebnisse und Erfahrungen und deren Ur- Ebene, treten Menschen an unsere Seite, um die sachen zu informieren. Erinnerung aufzunehmen: Sie geben uns Vertrau- Gerade deshalb schmerzt und empört es uns sehr, en in die Zukunft, sie setzen unsere Arbeit fort. Der heute feststellen zu müssen: Die Welt hat zu wenig aus Dialog, der mit uns begonnen wurde, muss mit ih- unserer Geschichte gelernt. Gerade deshalb müssen nen fortgeführt werden. Für diese Arbeit benötigen Erinnerung und Gedenken weiterhin gleichermaßen sie die Unterstützung von Staat und Gesellschaft. Aufgabe der BürgerInnen und der Staaten sein. Die letzten Augenzeugen wenden sich an Deutsch- Die ehemaligen Lager sind heute steinerne Zeugen: land, an alle europäischen Staaten und die interna- Sie sind Tatorte, internationale Friedhöfe, Muse- tionale Gemeinschaft, die menschliche Gabe der en und Orte des Lernens. Sie sind Beweise gegen Erinnerung und des Gedenkens auch in der Zu- Verleugnung und Verharmlosung und müssen auf kunft zu bewahren und zu würdigen. Wir bitten die Dauer erhalten werden. Sie sind Orte der wissen- jungen Menschen, unseren Kampf gegen die Nazi- schaftlichen Forschung und des pädagogischen Ideologie und für eine gerechte, friedliche und to- Engagements. Die pädagogische Betreuung der Be- lerante Welt fortzuführen, eine Welt, in der Anti- sucherInnen muss ausreichend gewährleistet sein. semitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Die unvergleichlichen Menschheitsverbrechen der Rechtsextremismus keinen Platz haben sollen. Nationalsozialisten – erinnert werden muss in die- sem Zusammenhang vor allem an den Holocaust Dies sei unser Vermächtnis. – geschahen in deutscher Verantwortung. Deutsch- Berlin, 25. Januar 2009 land hat viel zur Aufarbeitung seiner Geschichte getan. Wir erwarten, dass die Bundesrepublik und Noach Flug (Jerusalem) ihre BürgerInnen auch in Zukunft ihrer Verantwor- Internationales Auschwitz Komitee tung in besonderem Maße gerecht werden. Sam Bloch (New York) Aber auch Europa hat seine Aufgabe: Anstatt unse- World Federation of Bergen-Belsen re Ideale für Demokratie, Frieden, Toleranz, Selbst- Bertrand Herz (Paris) bestimmung und Menschenrechte durchzusetzen, Internationales Buchenwald Komitee wird Geschichte nicht selten benutzt, um zwischen Max Mannheimer (München) Menschen, Gruppen und Gesellschaften Zwietracht Internationales Dachau Komitee zu säen. Wir wenden uns dagegen, dass Schuld ge- Uri Chanoch (Jerusalem) geneinander aufgerechnet, Erfahrungen von Leid Internationales Komitee Nebenlager Dachau hierarchisiert, Opfer miteinander in Konkurrenz Jack Terry (New York) gebracht und historische Phasen miteinander ver- Internationales Flossenbürg Komitee mischt werden. Daher bekräftigen wir den von der Albert van Hoey (Brüssel) ehemaligen Präsidentin des Europäischen Parla- Internationales Komitee Mittelbau-Dora ments und Auschwitz-Überlebenden Simone Veil Robert Pinçon (Tours) vor dem Deutschen Bundestag 2004 ausgesproche- Internationales Neuengamme Komitee nen Appell zur Weitergabe der Erinnerung: „Eu- Annette Chalut (Paris) ropa sollte seine gemeinsame Vergangenheit als Internationales Ravensbrück Komitee Ganzes kennen und zu ihr stehen, mit allen Licht- Pierre Gouffault (Paris) und Schattenseiten; jeder Mitgliedsstaat sollte um Internationales Sachsenhausen Komitee 11 Vernetzungsplattform Österreichische Lagergemeinschaften

64 Jahre nach der Befreiung der nationalsozialis- Gehör zu verschaffen, diese gemeinsam zu diskutie- tischen Konzentrationslager bestehen in den Über- ren und zu reflektieren und schließlich auch einer lebendenverbänden und den österreichischen Lager- breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. gemeinschaften grundlegende Problemstellungen Unsere Tätigkeit in den Lagergemeinschaften hat hinsichtlich der Nachfolge und der Weiterführung der gezeigt, dass oft erst durch das Interesse der Enkel- Aktivitäten. Die Notwendigkeit des Weiterbestehens kinder die ehemals Verfolgten des Nationalsozialis- der österreichischen Lagergemeinschaften ergibt sich mus von ihrem Schicksal erzählen und so auch in nicht nur aus dem (tages)politischen Geschehen, aus der Generation der Kinder (neues) Interesse geweckt dem Bedarf nach Information und Aufklärung über wird. Wir verstehen diese Initiative als einen Versuch, die Verbrechen des nationalsozialistischen Systems mit Nachkommen von Verfolgten des NS-Regimes in etc., sondern auch aufgrund ihrer Repräsentanz in- Kontakt zu kommen, uns auszutauschen, eventuell nerhalb der internationalen Überlebendenverbände, neue MitstreiterInnen für die Lagergemeinschaften die weiterhin vor allem als wichtige Ansprechpartner zu gewinnen, und nicht zuletzt sollen damit auch pri- für die KZ-Gedenkstätten fungieren. vate Nachlässe von Überlebenden gesichert werden. Aufgrund der sich stetig verringernden personellen Im Rahmen einer eintägigen Veranstaltung sollen der Basis haben sich auf Initiative der ÖLGRF die öster- Erfahrungsaustausch zwischen den Nachkommen, reichischen Lagergemeinschaften Auschwitz, Bu- die familiären Erzähltraditionen und der familiäre chenwald, Dachau, Mauthausen und Ravensbrück zu Umgang mit der Geschichte im Mittelpunkt stehen. einer Vernetzungsplattform zusammengeschlossen, Geplant sind Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen um den Weiterbestand ihrer Vereine zu sichern und Familientraditionen, in denen Nachkommen als Ex- die sehr umfangreichen Aufgaben und Aktivitäten in pertInnen Impulsreferate halten. Diese sollen die gemeinsamer Arbeit und Abstimmung besser zu ge- anderen TeilnehmerInnen animieren, aus eigenen stalten. Als erstes gemeinsames Projekt möchten wir Erfahrungen zu berichten. im Jahr 2010 ein „Generationenforum“ durchführen. Helga Amesberger Das Projekt soll helfen, den Weiterbestand der Lager- gemeinschaften zu sichern, um die vielfältigen Vor- Wir möchten Sie auf diesem Wege sehr herzlich zur haben mit entsprechender Unterstützung umsetzen Mitarbeit einladen. Bei Interesse und/oder weiteren zu können. Ziel ist es, mit (weiteren) Nachkommen Fragen wenden Sie sich bitte an Helga Amesberger von ehemaligen österreichischen Häftlingen deren (Tel: 01/713 16 40-16, E-Mail: helga.amesberger@ikf. spezifischen Erfahrungen im Generationenverhältnis ac.at). Wir würden uns darüber sehr freuen!

„Wehret den Anfängen“ ...

... ist eine Forderung, die wir immer wieder lesen diesen Provokationen mit entsprechender Schär- und hören, die jedoch leider nicht mehr der Reali- fe entgegentritt. tät entspricht. Die Vielzahl der Provokationen, die Ob es sich um die frechen Störversuche bei der wir fast jeden Tag erleben und die immer frecher Gedenkfeier in Ebensee handelt, die versuchten Ver- werden, erfordern, dass man ihnen auf andere Art unglimpfungen der Wehrmachtsdeserteure als „Ka- und Weise entgegnet. meradenmörder“, die Gleichsetzung von Abtreibung Seit der völlig unverständlichen Wahl des Herrn und Holocaust (siehe nebenstehendes Foto), das Be- Graf zum 3. Präsidenten des Österreichischen nehmen von gänzlich unvorbereiteten Jugendlichen Nationalrats hören wir ein ständiges Jammern, bei einem Besuch in Auschwitz, die Schmieraktion man könne ja nichts machen, er wäre ja demo- an der Außenmauer in Mauthausen etc. etc. sind kratisch gewählt worden. Die Tatsache, dass je- die eine Seite und die milden Entschuldigungen mand demokratisch gewählt wurde, macht den der zuständigen Institutionen sind die andere Seite, Betreffenden noch lange nicht zu einem Demo- so dass man die Öffentlichkeit immer mehr daran kraten. Dafür gibt es genügend Beispiele aus der gewöhnt, solche unerträgliche Handlungen als all- Geschichte, nicht nur in Deutschland, auch bei täglich zu akzeptieren und den Boden für eine ganz uns in Österreich. Es wäre an der Zeit, dass man rechtsextreme Politik vorbereitet.

12 Freitag, 30. Oktober 2009, auf dem Parkplatz der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

Es geht um den Umgang mit MigrantInnen, mit AsylwerberInnen, Muslimen – und die nächsten Schritte sind dann die Abschaffung der Kollektiv- verträge, Kürzung von Renten, von Löhnen durch verlängerte Arbeitszeiten, reduzierte Lohnfortzah- lungen und gipfelt in der verschleierten Feststel- lung, es gäbe zu viele alte Menschen. Wir haben ja schon erlebt, wie man Menschen loswird. Die Opferverbände müssen versuchen, gemeinsam mit anderen NGOs und mit den Gewerkschaften diesen Tendenzen schärfer entgegenzutreten und geeignete Aktionen, unabhängig von parteipoli- tischen Erwägungen, durchzuführen. Wir haben bereits mehr als nur Anfänge, gegen die man sich wehren muss. Lotte und Hugo Brainin © Brigitte Halbmayr Ebensee: Stellungnahme der ÖLGRF

Bundeskanzler Faymann hat mit seiner Erklärung Rechtfertigungsversuche Grafs infam. Die ÖLGR vom 18. Mai 2009 versucht, die FPÖ und insbe- fordert daher in aller Deutlichkeit den sofortigen sondere Strache in die Schranken zu weisen. Es Rücktritt des Dritten Nationalratspräsidenten. war höchst an der Zeit, auf die Provokationen und Alle politischen Parteien sind aufgefordert, diesem Angriffe der letzten Wochen zu reagieren, egal ob Rechtsruck entgegenzutreten. Allen voran muss diese von Jugendlichen oder von PolitikerInnen Innenministerin Fekter als zuständige Ministerin kommen. sowohl für die Polizei wie auch für die KZ-Gedenk- Die Äußerung von Innenministerin Fekter, die von stätte Mauthausen und der ehemaligen Außenlager zunehmenden gegenseitigen Provokationen linker von Beginn an und immer wieder klare Worte ge- und rechter AktivistInnen sprach, ist eine unerträg- gen Rechtsextremismus und Neonazismus finden liche Beleidigung aller Verfolgten des Naziregimes. und geeignete Maßnahmen setzen. Denn es kann nichts anderes bedeuten als: Gäbe es Nur so kann die Vertrauenswürdigkeit der sich kein aktives Gedenken, dann blieben auch rechtsex- als demokratisch bezeichnenden PolitikerInnen treme Übergriffe aus! Die eindeutig neonazistischen wieder hergestellt werden und diese der Jugend Übergriffe in Ebensee mit angeblichen linksextremen ein Beispiel sein. Das wäre der wichtigste Schritt Ausschreitungen in Verbindung zu bringen, ist eine zur politischen Bildung und zur politischen grobe Verharmlosung, die aufs Schärfste zurückge- Verantwortung. wiesen werden muss. Mittlerweile hat sich Ministerin Fekter wenigstens Jetzt alles auf eine nicht ausreichende politische bei all jenen, die sich durch ihre Aussage beleidigt Bildung der Jugendlichen in den Schulen zu schie- gefühlt haben mögen, entschuldigt, was allerdings ben, ist ein Ablenken und Abwälzen der Verant- bedeutet, dass sie von ihrer Verknüpfung von neo- wortung auf die Schule. Die wohl wichtigste Form nazistischen mit angeblich linksextremen Ausfäl- der Erziehung ist das vorgelebte Beispiel von der len nicht Abstand nimmt; auch die jugendlichen gesamten Gesellschaft und auch der Politik. Täter, so ist zu lesen, sind bereit, sich bei den Opfern Solange rassistische, antisemitische und antiisla- ihrer Angriffe persönlich zu entschuldigen. Wir se- mische Wahlslogans, wie sie derzeit von der FPÖ hen es als wichtige Aufgabe aller ÖsterreicherInnen, affichiert werden, stillschweigend toleriert werden durch ihr Engagement und ihr persönliches Einste- und solange eine Mehrheit von Nationalratsabge- hen ein Klima zu schaffen, das dazu beiträgt, Vor- ordneten einen Herrn Graf zu einem Präsidenten kommnisse wie in Ebensee zu verhindern. des Österreichischen Parlaments wählt, fühlen sich Politiker wie Strache und dessen AnhängerInnen Die Österreichische Lagergemeinschaft nur bestätigt. Mehr noch, dieses Gedankengut gilt Ravensbrück und FreundInnen ruft alle damit als gesellschaftsfähig und demokratisch. MitbürgerInnen auf, durch ihr eigenes Eintreten, Die jüngsten Attacken von Martin Graf gegen- Einstehen und Wahlverhalten rechtsextremen über Ariel Muzicant, Präsident der Israelitischen Tendenzen wie auch deren Verharmlosung Kultusgemeinde Wien, sind unerträglich, die entschieden entgegenzutreten.

13 „Wege nach Ravensbrück“ im Internet

www.wegenachravensbrueck.net

Die Ausstellung „Wege nach Ravensbrück“ entstand Texte für uns ins Englische übersetzt, wodurch es 1998/99 auf Wunsch und Anregung der Frauen der möglich wird, die Ausstellung im Internet in zwei Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück. Sprachen zu besichtigen. Ich möchte an dieser Stel- Die „Ravensbrückerinnen“ hatten bereits in Ende le Bernd und Brita ein großes Dankeschön für ihr der 50er Jahre eine viel besuchte und diskutierte unentgeltliches Engagement aussprechen! Wanderausstellung erstellt und das Medium Aus- Die „physische“ Ausstellung ins Internet zu geben, stellung als probates Mittel der Aufklärung und heißt auch, sie neu zu strukturieren. Die Biogra- politischen Bildung erkannt. Das funktionierte fien der Überlebenden sind einzeln aufrufbar und auch dieses Mal: Drei Jahre lang wanderte die neue unterteilt in: bis zur Verhaftung, im Konzentrati- Ausstellung durch ganz Österreich und wurde von onslager und nach der Befreiung. Auch die Doku- vielen, vor allem auch jugendlichen Menschen mente auf den einzelnen „Tafeln“ wurden anders besucht. angeordnet: neben den Texten werden Fotos und Zuletzt hatten wir noch zweimal die Möglichkeit, Dokumente hintereinander abgerufen. Die (kurze) die Ausstellung zu zeigen: Anfang 2006 in der Gale- Geschichte des KZ Ravensbrück ist ein eigenstän- rie der IG Bildende Kunst in Wien (wir erstellten eine diger Teil und nicht mehr – wie in der ursprüng- Neufassung, in die die Entstehungsgeschichte der lichen Ausstellung – der Rahmen für die Tafeln zu Ausstellung und Fragen nach der Zukunft und dem den Ermordeten bzw. für den gesamten Videofilm „Vermächtnis“ der „Ravensbrückerinnen“ integriert (dieser wird extra abrufbar sein). Darüber hinaus waren) und von September 2007 bis April 2008 zum stellen wir eine kurze Projektbeschreibung, die allerletzten Mal in der Mahn- und Gedenkstätte Dankes- und MitarbeiterInnenliste, das Projekt- Ravensbrück im ehemaligen Zellenbau (hier erwei- netzwerk sowie einige ausgewählte Links und eine terten wir die Ausstellung um einen Streifzug durch Kontaktmöglichkeit zur Verfügung. die Geschichte unserer Lagergemeinschaft). Bei Erscheinen dieses Mitteilungsblattes (Mit- Seit einigen Monaten arbeiten wir nun daran, die te Dezember) werden die Arbeiten an der Web- Ausstellung auf ihr zukünftiges „virtuelles Da- site zwar noch nicht vollständig abgeschlossen sein“ vorzubereiten. Wir arbeiten dabei mit dem sein – v.a. die English Version wird erst Ende des Webdesigner Bernd Trippel zusammen, der die Jahres online gehen –, Sie können uns aber den- Ausstellung schon in den letzten Jahren technisch noch jetzt schon jederzeit einen Besuch abstatten.. betreut hat, sowie mit Brita Pohl, die praktisch alle Daniela Gahleitner & Sylvia Köchl

VISIBLE – ein Filmprojekt

Das Projekt „VISIBLE“ von Bernadette Dewald und Marika Schmiedt versammelt Kurzfilme mit Por- traits von Überlebenden des KZ Ravensbrück und behandelt die Art und Weise, wie sich die Geschichte dieser Frauen in ihre Familiengeschichten bis heute eingeschrieben hat, wie bzw. ob sie ihren eigenen Kindern davon erzählten und wie sich das Erlittene auf die Kinder und Enkelkinder auswirkt.

Ceija Stojka, Dagmar Ostermann werden durch meine Bearbeitung zu öffentlichen und Anna Kupper Dokumenten und damit AUCH zu einem Teil der Geschichtsschreibung. Eine Arbeit, die sehr viel Zeit, Marika Schmidt erläutert in einem Interview, das Nachdenken und Energie kostet. Es kann eigentlich die Zeitschrift „LILA“ für uns gemacht hat, ihre nie gut genug sein, damit muss man sich abfinden. Arbeitsweise. Darauf folgen Kurzbeschreibungen An welchem Portrait arbeitest du gerade? ihrer ersten drei Filme.. Im Moment schneide ich das Portrait von Dagmar Nach der „Lästigen Gesellschaft“ warten wir schon Ostermann. Ihre Art zu erzählen ist faszinierend, mit Spannung auf deine neuen Film-Portraits – war sehr speziell – so viele konkrete Schilderungen es ein aufwendiges, ein schwieriges Projekt? der Atmosphäre im Wien des Jahres 1938, die Ge- Ja. Die Erzählungen von Frauen, die über ihr Le- schichte ihrer Familie, ein jüdischer Vater, ein Teil ben und ihr Leben im Konzentrationslager reden, der Familie überzeugte Faschisten, die furchtbaren

14 Auseinandersetzungen mit jenen nach der Rückkehr all das neu ist, und trotzdem nicht langweilig sind aus dem Konzentrationslager. für jene, die sich bereits damit auseinandergesetzt Sicher eine schreckliche Geschichte… haben. Das ist gar nicht so einfach. Ja, und am schrecklichsten finde ich die Umstände, unter denen sie jetzt leben muss. Das Konzept von Lungo Drom. Langer Weg. „Ich habe Angst – um VISIBLE beinhaltet ja auch, zu zeigen, wie die Frauen meine Kinder.“ – Ceija Stojka heute leben, in ihren Räumen. Dagmar Ostermann Sie hat den Massenmord an Roma und Sinti in den lebt vollkommen vereinsamt im Altersheim. Konzentrationslagern als eine der wenigen überlebt: Ein anderer Teil des VISIBLE-Konzepts ist es ja auch, die Künstlerin Ceija Stojka. Die Angst, die durch nach den Auswirkungen auf die nachkommenden ihre Erinnerungen an die grauenhafte Kindheit im Generationen zu fragen – geht das auf? Todeslager und die wieder zunehmenden Verfol- Teilweise, ja. Im Portrait von Anna Kupper beispiels- gungen von Roma in Europa wachgehalten wird, hat weise kommen lang die Töchter zu Wort. Sie erzäh- sie an ihre Kinder und Enkelkinder weitergegeben len von Konflikten übers Essen mit der Mutter, die – aber auch die Liebe zum Leben als stolze, schöne ihre Wurzeln in der Haftzeit haben, sich aber auf die Romni. Töchter übertragen. Und es kommen unterschied- liche Wahrnehmungen zutage – die Mutter sei im- „Aber in Auschwitz will ich begraben sein“: Die mer ein fröhlicher Mensch, sagen sie. Anna Kupper Geschichte der Dagmar Ostermann hingegen meint, sie habe sehr oft „nur geweint“ und „Juden und Hunden ist der Eintritt verboten!“ Mit muss bis heute Medikamente nehmen. Nun ja, so ist diesem Satz wird der Halbjüdin Dagmar Ostermann es… Dieses Portrait zeigt neben dem von Ceija Stojka am 11. März 1938 von einem Tag auf den anderen vielleicht am besten die Auswirkungen des Erlebten der Besuch in ihrem Stammcafè, der Konditorei der Erzählerinnen in den Konzentrationslagern auf Lehmann im 1. Bezirk, untersagt. Die Deportati- ihre Kinder und Kindeskinder. on ins KZ Auschwitz überlebt sie, entwürdigt als Wie gestaltet sich denn eigentlich die Arbeit der Fil- namenloser Häftling mit der Nummer 21946, nur memacherin an den Portraits? durch Zufall. Da ist einmal das Rohmaterial, viele Stunden Inter- views, die vor zehn Jahren mit Dagmar Ostermann, „Der Dreck auf der Kehrschaufel war abends in der Ceija Stojka und Katharina Thaller aufgezeichnet Blutwurst.“ Mit den Partisanen gegen das „Dritte worden sind. Das Filmmaterial ist teilweise sehr Reich“: Erinnerungen der Anna Kupper schlecht, sodass ich einige wertvolle Pasagen kaum In ihrem Widerstandskampf gegen Hitler finden die verwenden kann. Konzentriertes Zuhören benötigt Partisanen auch Unterstützung in der Bevölkerung: manchmal auch eine gewisse Ästhetik der Bilder, die 17-jährige Kärntner Slowenin Anna Kupper trägt verwackelte, abgeschnittene Sequenzen können so Informationen weiter und organisiert Verpflegung störend sein, dass sie vom Inhalt ablenken, davon, für die Widerstandskämpfer. Von Nachbarn ver- was die Frauen sagen. raten, wird sie mit ihrer Familie verhaftet und ins Und dann – das Material, diese statischen Interview- Konzentrationslager Ravensbrück verschleppt. De- situationen zu schneiden, zu bearbeiten, das ergibt pressionen und die Angst, als ehemaliger Häftling ja noch lange keinen Film. Ich muss aus den Ge- diskriminiert zu werden, bringen sie nach der Be- sprächsaufzeichnungen, die oft drei, vier Stunden freiung jahrzehntelang zum Schweigen über das oder länger sind, Teile auswählen und daraus eine Erlebte, auch ihren Töchtern gegenüber. zusammenhängende Geschichte machen. Claudia Dietl Du bist also eine Geschichtenerzählerin? Ja, so könnte man es nennen. Ich baue eine Ge- schichte aus dem Gesprochenen, und zwar so, dass Friederike Furch, Lotte Brainin, sie trotz der Verkürzungen verstehbar ist. Irma Trksak, Aloisia Hofinger Was sollen sie denn bewirken, diese Portraits? und Ida Huttary Ich möchte, dass sie etwas auslösen bei den Zuse- herInnen, eine Berührung, einen Nachdenkprozess, Friederike Furch: „Lagerkind“ eine Selbstreflexion – oder überhaupt, dass man Friederike Furch, aufgewachsen in einer Wiener danach den Wunsch hat, sich weiter damit zu be- Arbeiterfamilie, wird 1940 im Alter von 16 Jahren schäftigen. Ich versuche beim Arbeiten immer, mir wegen politischen Widerstands von der Menschen vorzustellen, die sich mit dem Thema verhaftet und in der Folge ins KZ Ravensbrück ge- noch nie beschäftigt haben, und überlege, wie ich bracht. Der Beistand von politischen Genossinnen, die Filme gestalten muss, damit deren Interesse für die sie nicht nur wegen ihrer Gesinnung, sondern das Thema geweckt wird. Es wäre schön, wenn die vor allem auch wegen ihrer Jugend unterstüt- Portraits etwas bewegen könnten bei Leuten, für die zen, rettet ihr das Leben. Nach ihrer Rückkehr zu

15 Hugo und Lotte Brainin mit Fritzi Furch im Interview ihrem Enkel Jakob Puchinger © beide Fotos: Bernadette Dewald Kriegsende sieht sie sich in Wien mit Unverständ- organisiert sich früh in einer der tschechischen Wi- nis und Desinteresse bezüglich ihres Schicksals derstandszellen. Nach mehreren Brandlegungsver- konfrontiert. Erst mit ihrem Mann und gemein- suchen wird sie schließlich 1941 von der Gestapo samen Freunden aus der kommunistischen Partei, verhaftet und nach einem Jahr Einzelhaft nach Ra- die ebenfalls in Konzentrationslagern interniert vensbrück deportiert. Die Schrecken dieses Lagers, waren, ist ein Austausch darüber möglich. vor allem die letzten Monate im nahe gelegen Ver- Die einzige Tochter von Friederike Furch wächst nichtungslager in der Uckermark sind ihr bis zur Ge- dadurch in einem Lebensumfeld auf, das bedrän- genwart in schmerzhafter Erinnerung geblieben. gend voll ist von den dramatischen Erinnerungen Irmas Sohn Ludwig, den sie alleine großgezogen ihrer Eltern und deren Freunden. Dies ist nach hat, erzählt von einer Kindheit zwischen selbst- Friederikes Meinung auch der Grund dafür, dass verständlichen Besuchen im KZ-Verband und sie der Geschichte der Mutter und ihrer politischen dem gleichzeitigen Schweigen seiner Mutter ihm Tätigkeit zwar positiv gegenüber steht, aber nicht gegenüber über das Ungeheure, das bis heute an- bereit ist, sich mit dem Thema näher zu beschäfti- dauert. Im Gegensatz dazu stehen der seit langem gen oder auch darüber zu sprechen. sehr aktive Umgang Irma Trksaks mit ihrer Vergan- Friederike Furch erzählte für diesen Film erstmals genheit, ihr Auftreten in der Öffentlichkeit und ihre ihre Lebensgeschichte vor der Kamera. Zeitzeugenschaft an Schulen Aufgaben, die sie bis in die Gegenwart wahrnimmt. Lotte Brainin: Leben mit Eigenwillen und Mut Lotte Brainin, geboren 1920 als Tochter jüdischer Aloisia Hofinger: So viel Angst... ukrainischer MigrantInnen in Wien, bewegt sich Aloisia Hofinger, die aus einem oberösterrei- schon in früher Jugend in linkspolitischen Kreisen chischen Kleinhäusl stammt, wird 1942 wegen und sieht sich daher nach dem 1938 dop- eines Liebesverhältnisses mit einem polnischen pelt gefährdet. Zwar gelingt ihr ebenso wie ihren Zwangsarbeiter verhaftet. Zu diesem Zeitpunkt ist Brüdern und ihrer Mutter die Flucht ins belgische sie bereits schwanger. Ihr geliebter Jozef wird er- Exil, der Einmarsch der deutschen Truppen aber mordet, sie selbst geht bis zur Geburt der Tochter bringt sie erneut in Gefahr. Ab 1941 ist Lotte in frei, wird dann aber wiederum verhaftet und ohne Brüssel im Widerstand tätig, was schließlich 1943 Verhandlung ins KZ Ravensbrück überstellt. Ihre zu ihrer Verhaftung führt und in der Folge in ein bei Bauern untergebrachte Tochter verstirbt mit vier Martyrium von Folter, Deportation nach Auschwitz Monaten, Aloisia selbst wird nach einem Jahr voller und Todesmarsch. Die letzte Station ist schließlich Schrecken und Angst wieder aus dem KZ entlassen. Ravensbrück. Die erniedrigende Behandlung durch Gestapo und Tiefe Spuren dieser Geschichte durchziehen das Le- SS und das Grauen des Lagers haben Aloisia zutiefst ben von Lotte nach dem Krieg. Ihre Familie hat stets geprägt. Nicht zuletzt auf Grund des Tabuthemas Anteil daran, die Vergangenheit ist ein offenes Thema. Sexualität begleiten tiefe Schuldgefühle ihr wei- Der Enkelsohn Jakob erzählt von der Entwicklung teres Leben. Ihr Umgang mit dem Thema ist haupt- seines Verständnisses dieser so präsenten Erinne- sächlich durch furchtsames Schweigen charakte- rung, von seiner Wahrnehmung sowohl des Muts der risiert, nur manchmal erzählt sie ihren Kindern Großmutter als auch der ihr zugefügten Grausamkeit. davon. Die schwierige Situation hat die gesamte Seine Erzählungen und Interviews mit Lotte Brainin Familiengeschichte gezeichnet. Der Enkelsohn aus den Jahren 1999 und 2008 zeichnen die Skizze Christian, der die ersten Lebensjahre hauptsäch- eines eigenwilligen Lebens, das sich in politischer lich bei Aloisia aufgewachsen ist, spricht über sein und persönlicher Integrität auszeichnet. Verhältnis zu seiner Großmutter, die Problematik der Familiengeschichte und ihre Folgen. Irma Trksak: Portrait einer „Widerständigen“ Irma Trksak, geboren 1917, wächst in einfachen Ida Huttary: Das war halt ein Schicksal, ein nicht Verhältnissen in Wien auf. Als Mitglied der tsche- schönes... chischen Minderheit fühlt sie sich 1938 von den Die 1918 geborene Ida Huttary erzählt erstmals ihre Aussagen Hitlers über die Slawen diskriminiert und Lebensgeschichte für die Öffentlichkeit: 1944 wird

16 sie gemeinsam mit ihren Schwiegereltern und der gestorben. In der Folge spricht sie über viele Jahre Schwester der Schwiegermutter von der Gestapo hinweg kaum über ihre Erlebnisse, sicherlich auch verhaftet, weil sie den für die Engländer als Spion aufgrund des mangelnden Interesses von Seiten tätigen Schwager versteckt hatten. Der Schwieger- des weiteren Umfeldes, das sie umgibt. vater wird nach Dachau verschleppt, die Frauen Ihre Tochter Inge war zwar von Kind an über die kommen ins KZ Ravensbrück und Ida muss ihren Geschichte ihrer Mutter informiert, die persönliche kürzlich geborenen Sohn bei ihrer Schwester zu- und politische Tragweite dieser Realität aber nimmt rücklassen. Zwar überlebt Ida das Lager, ihre Rück- sie erst in den letzten Jahren bewusst wahr. Im Inter- kehr aber ist von tiefer Trauer überschattet: Trotz view spricht sie nun über diesen Prozess der Annähe- ihrer verzweifelten Bemühungen ist es ihr nicht rung, der sie während der Filmaufnahmen auch das gelungen, das Leben ihrer beiden älteren Verwand- erste Mal zur Gedenkfeier nach Ravensbrück führt. ten zu retten, der Schwiegervater ist in Dachau Bernadette Dewald

Othmar Wundsam im Hof des Gemeindebaus in der Meißnergasse, in dem Hilde, Othmar und ihre Mutter Anna Wundsam verhaftet wurden.

© Tina Leisch „Dagegen muss ich etwas tun“

Film über die Widerstandskämpferin Hilde Zimmermann.

Auch für eine überzeugte Gegnerin des Natio- Ravensbrück, 2002 gestorben war, entstand die nalsozialismus war es nicht so einfach, effektive Idee, einen Film beruhend auf den Interviews Widerstandsmöglichkeiten zu finden. Was tun, mit ihr zu machen. Ein Team von Filmemache- wenn doch der Polizei und Gestapo die meisten rinnen (Tina Leisch, Marika Schmiedt, Leena AktivistInnen der sozialistischen und kommuni- Koppe u.a.) interviewte Pauline Leibel, Othmar stischen Jugend schon bekannt waren? Und: Wo Wundsam und Hildes Ehemann Harry Zimmer- findet man Verbündete? Was kann man tun? Sehr mann und schnitt daraus das filmische Portrait eindrücklich schildert Hilde Zimmermann in den Hilde Zimmermanns: „Dagegen muss ich etwas Interviews, die 1999 Brigitte Halbmayr für das tun“, einen 90-minütigen Einblick in die Zeitge- Projekt „Vom Leben und Überleben“ des Instituts schichte, der sehr gut für den Geschichtsunter- für Konfliktforschung geführt hatte, ihre Suche richt geeignet ist. nach Wegen des Widerstandes, die sie schließlich „Dagegen muss ich etwas tun“ ergänzt auch das dazu führt, gemeinsam mit ihrer Jugendfreundin Videoarchiv Ravensbrück und soll es ermöglichen, Pauli (Pauline Leibl, geb. Hochmeister) den Kom- dass die wertvolle Arbeit der Zeitzeuginnen, die munisten und Spanienkämpfer Sepp Zettler zu jahrzehntelang SchülerInnen von ihren Erfah- verstecken, der mit dem Fallschirm über Österrei- rungen berichtet haben, auch nach ihrem Tod in ch abgesprungen war, um hier Widerstandsgrup- anderer Form weitergeführt werden kann. pen aufzubauen. Doch die Organisation wurde Tina Leisch verraten, Hilde und Pauli und ihre Mütter, Anna Wundsam und Gisela Hochmeister, wurden ver- Im Frühjahr 2010 wird sixpackfilms den Film im haftet und nach Ravensbrück deportiert. Othmar Kino zeigen, Details dazu finden sich auf der Wundsam, Hildes Bruder, der als Wehrmachtsol- Website www.kinoki.at dat gerade auf Heimaturlaub war, wurde nach Bu- Wer eine Vorführung im Kino organisieren möchte, chenwald verschleppt. kann das über [email protected] tun. Nachdem Hilde Zimmermann, Mitbegründerin DVDs können per E-Mail an [email protected] und langjährige Aktivistin der Lagergemeinschaft zum Preis von 19,90 erworben werden.

17 © Sylvia Köchl Christa Putz beim Aktenstudium im OÖ. Landesarchiv. Marianne S. und Aloisia O.

Zwei Frauengeschichten als Präsent für Wels: eine Radiosendung

2006 reichten Christa Putz und ich ein Projekt über genannte Häftlingsfunktionen als Block- bzw. Lager- Marianne S., Aloisia O. und zwei weitere Frauen älteste übertragen. Beide standen 1947/48 deshalb beim Innovationstopf der KUPF – Kulturplattform vor dem Linzer Volksgericht, das klären sollte, ob sie Oberösterreich ein, das auch genehmigt wurde. Ber- diese Funktionen missbraucht hatten. Das Verfah- eits 1999, im Zuge der Arbeit an der Ausstellung ren wurde eingestellt, nachdem v.a. für Marianne S. „Wege nach Ravensbrück“, hatten wir versucht, die eine große Anzahl von anderen Überlebenden, da- Geschichte einer Frau zu recherchieren, die als sog. runter auch , ausgesagt und ihr ein „Berufsverbrecherin“ im KZ Ravensbrück inhaftiert sehr menschliches Verhalten attestiert hatten. Beide war, stießen dabei aber auf große Hindernisse (v.a. erhielten nie Leistungen aus der Opferfürsorge, da „verlorene“ Akten), die für uns damals nicht zu über- jene Opfer, die Vorstrafen haben, davon bis heute winden waren. ausgeschlossen sind. Auch bei diesem Projekt mussten wir uns damit ab- Diese sehr komplexen Geschichten, die in Österreich finden, dass über zwei der vier Frauen fast nichts zum ersten Mal genauer aufgearbeitet wurden, prä- mehr herauszufinden war, da in den letzten Jahren sentierten wir schließlich in Form einer Radiosen- die alten Gerichtsakten, auf die wir uns bei der Re- dung mit dem Titel „Zwei Frauengeschichten als Prä- cherche nach vorbestraften Frauen stützen wollten, sent für Wels“, die das Freie Radio in Wien, ORANGE in die Landesarchive übergeben und dort aussortiert 94.0, für uns produzierte – an dieser Stelle ein großes und mehrheitlich weggeworfen wurden. Von Ma- Dankeschön vor allem an Ena Dozo! Neben den Le- rianne S. und Aloisia O. sind allerdings einige Akten bensgeschichten sind auch sehr unterschiedliche erhalten geblieben und wir konnten ihre Lebensge- Interviews Teil der Sendung: mit Peter Koits, dem schichten schlussendlich doch ziemlich ausführlich Bürgermeister von Wels, mit Bernhard Wieser, FPÖ- rekonstruieren. Stadtrat von Wels, mit Robert Eiter von der Welser Marianne S. und Aloisia O. sind zwei Welser Frauen, Initiative gegen Faschismus und mit Günter Kalliau- beide um die Jahrhundertwende 1900 geboren, in er, dem Welser Stadtarchivar. Wir wollten v.a. wissen, armen Arbeiterfamilien aufgewachsen, mit wenig ob die politisch Verantwortlichen auch solche Ge- Schulbildung ausgestattet und irgendwie – warum schichten als Teil ihrer Stadtgeschichte verstehen. genau, wissen wir nicht – in die Kriminalität ge- Die Sendung wurde am 4. Juni 2009 erstmals in Wien rutscht: Beide haben in den 20er und 30er Jahren ausgestrahlt. Dank der engagierten Mithilfe von illegale Abtreibungen an anderen Frauen vorgenom- Birgit Pichler von der KUPF kam es im Sommer zu men, sind deswegen mehrfach verurteilt worden weiteren Ausstrahlungen von Freien Radios in Linz, und habe viele Monate in Gefängnissen gesessen. Freistadt, Kremstal, Salzkammergut und Salzburg. 1938 bzw. 1939 – jeweils im Anschluss an ihre letz- Sylvia Köchl ten Gefängnisstrafen – wurden sie als so genannte Berufsverbrecherinnen ins Frauen-KZ Ravensbrück Die Sendung kann weiterhin im Internet angehört deportiert, Marianne S. kam zuerst noch ins KZ bzw. heruntergeladen werden: http://cba.fro.at/ Lichtenburg. Beiden wurden im KZ von der SS so showphp?lang=de&eintrag_id=13237

18 Auf den Spuren der PartisanInnen

Die 5. feministische, antifaschistische PartisanInnenwanderung vom 19. bis 28 Juni 2009

Bei der Wanderung war und ist es uns wichtig, Frauen ihr Leben als Kärntner Slowenin und die Deportati- in der Geschichte als Handelnde zu sehen; das stärkt on ins KZ Ravensbrück erzählte. Wir besuchten auch uns, als Frauen heute, eigenständig zu handeln und Stanka Simonetti in Ljubljana, die mit uns über ihre Widerstand zu leisten. Arbeit im antifaschistischen Widerstand, die Depor- Die Erfahrungen und das Wissen über Widerstand tation in das Mädchen-KZ Uckermark und ihre Arbeit gegen Faschismus und auch der Überlebenskampf nach 1945 in Jugoslawien sprach. der Verfolgten sind uns eine Mahnung, um uns heute Außerdem hatten wir eine Veranstaltung mit einer gegen Gewaltstrukturen und neofaschistische Ent- Aktivistin vom „AK gegen den Kärntner Konsens“, wicklungen zu organisieren. Mit der Auseinander- die uns über Rechtsextremismus in Österreich und setzung um antifaschistischen Widerstand können speziell über deutschnationale Burschenschaften be- wir aus den Erfahrungen anderer für uns lernen. richtete, und ein Treffen mit einer Aktivistin aus einer Die Wanderung fand aus organisatorischen Grün- Antifa-Gruppe in Klagenfurt, die uns über ihre Arbeit den diesmal nur in Südkärnten statt. Wir besuchten und die Situation in Kärnten erzählte. Wir hatten das das PartisanInnenmuseum am Peršman-Hof, be- Glück, dass in den Tagen der Wanderung im Slowe- suchten mit einer Historikerin die Gedenkstätten des nischen Kulturverein Zarja in Eisenkappel/Železna ehemaligen KZ Loibl im heutigen Slowenien und in Kapla eine Veranstaltung zum neu aufgelegten Buch Österreich und den Gedenkstein für das Sammella- „Jelka. Das Leben einer Kärntner Partisanin“ statt- ger in Ebenthal, von wo die Deportation der slowe- fand, mit einem Vortrag zum Widerstand der Kärnt- nischsprachigen Bevölkerung durchgeführt wurde. ner Sloweninnen gegen das NS-Regime, an dem wir Wir besichtigten die so genannte „Heimkehrerge- teilnehmen konnten. Zum Abschluss der Wanderung denkstätte“ Ulrichsberg, wo sich bis heute jährlich beteiligten wir uns an der jährlichen Gedenkfeier am ehemalige SS-Einheiten, Wehrmachtssoldaten und Peršman-Hof und konnten ein paar Gruß- und Dan- europäische Rechtsradikale unter politischer Schutz- kesworte sagen: „Wir waren dieses Jahr wieder hier herrschaft treffen, um den faschistischen Krieg und in Südkärnten als feministische und antifaschistische ihre Taten zu „ehren“. Frauenwanderung. Wir sind FrauenLesben aus Ös- Wir wanderten durch die Gräben von Hof zu Hof, ent- terreich und Deutschland. Unsere Motivation ist die lang einzelner Versorgungswege und Stützpunkte, Auseinandersetzung um Verfolgung und Widerstand gingen auf schmalen Wegen in die Wälder, wo es im NS-Faschismus, um faschistische Kontinuitäten Bunker der PartisanInnen gab, dann über die Ber- und unser Widerstand gegen Neofaschismus, Krieg, ge ins heutige Slowenien, entlang der Verbindungs- Rassismus und Sexismus. Wir danken allen antifaschi- wege zu den jugoslawischen PartisanInneneinheiten stischen FreiheitskämpferInnen. Im Besonderen möch- und besuchten Solcˇaca, das bis Dezember 1944 ein ten wir hier allen ZeitzeugInnen und Aktivistinnen erkämpftes befreites Gebiet war, und weiter zum herzlich danken, mit denen wir uns getroffen haben, ehemaligen Partisanenspital, das heute ein kleines die uns ihre Erfahrungen von Verfolgung und Wider- Museum im Wald ist. stand erzählten. (...) Vcˇeraj kod danes smrt fašizmu! Bei den Wanderungen lasen wir uns Passagen aus (Damals und heute Tod dem Faschismus!)“ Interviews mit Widerstandkämpferinnen vor und Seit 2003 war dies die 5. Frauenwanderung und die Texte zur Entstehung des PartisanInnenwider- letzte in dieser Form. Sie wurde von einzelnen Fe- standes, zum Widerstand auf den Höfen, in den Dör- ministinnen und Antifaschistinnen des FZ – auto- fern und in den Bergen und zu Struktur und Zielen nomes feministisches FrauenLesbenMädchenZen- der Bewegung. trum in Wien all die Jahre organisiert. Es wird an Wir trafen uns mit ZeitzeugInnen, die uns von ihrer einer Broschüre zu den Wanderungen, Treffen und Verfolgung durch die Nazis und von ihrer Deportation Inhalten gearbeitet, die eine Anregung für weitere in KZs oder ihrer Widerstandsarbeit bei den Partisa- gemeinsame Wanderungen „Auf den Spuren der nInnen erzählten. Wir trafen uns mit Peter Kucher, PartisanInnen“ werden kann. Denn die Wande- der heute Vorstand des Partisanenverbandes ist und rungen waren und sind eine lebendige, umfassende uns erzählte, wie er als junger Bursch Kurier war; wir und lehrreiche Form sich vor Ort mit Geschichte aus- trafen uns bei einem köstlichen Abendessen mit Anna einanderzusetzen, Spuren der Geschichte zu spüren Zoblatnik, die uns erzählte, wie sie als Kurierin arbei- und zu begreifen und den Menschen, den Lebensbe- tete und später verhaftet wurde; bei einer wärmenden dingungen und der Landschaft zu begegnen. Suppe trafen wir uns mit Helene Igerz, die uns über Lisa Steininger

19 Professorin Ceija Stojka

Am 16. Oktober 2009 wurde an unsere Kameradin © http://members.chello.at/romanes/ Ceija Stojka von Unterrichtsministerin Claudia Schmied der Berufstitel „Professorin“ verliehen. In mitverantwortlich gemacht. Als eine der ersten ihrer Verleihungsrede sagte Ministerin Schmied gingst Du Ende der 1980er Jahre mit Deinen Erinne- u.a.: „Vor 21 Jahren rüttelte uns Ihr Buch ‚Wir le- rungen an die Öffentlichkeit, wagtest Du den Schritt ben im Verborgenen’ auf. Es dokumentierte durch aus dem Verborgenen. die Geschichte Ihrer Familie die bis dahin an den Gleichzeitig versperrst Du Dich allen Idealisierungs- Rand der Wahrnehmung geschobene Tatsache der versuchen des ‚lustigen Zigeunerlebens’, wenn Du Verfolgung und Vernichtung von Roma und Sinti in von der Scham schreibst, mit der das Hausieren be- den Konzentrationslagern des Dritten Reichs. Dass legt war. Wenn Du immer wieder betonst, wie sehr die an Ihnen begangenen Verbrechen sie nicht nur sich Dein Vater und mit ihm die ganze Familie nach zornig und enttäuscht zurückgelassen haben, zei- einem festen Dach über dem Kopf gesehnt haben. gen Sie uns seit vielen Jahren als Vermittlerin, als Aber jene, die ihre ansonsten verpönten Freiheits- Zeitzeugin für junge Menschen in den Schulen, als wünsche auf die Roma projizieren, nehmen euren Mahnerin gegen Intoleranz und Krieg.“ Alltag nicht war. Sie verklären ihn. Sie lieben nicht dich, sondern ein Klischee. (...) Die Laudatio hielt Heribert Schiedel vom Dokumen- Dass Du heute diese verdiente Würdigung erfährst, tationsarchiv des Österreichischen Widerstands, der zeigt uns aber auch, dass sich in diesem Land etwas seit fast zehn Jahren gemeinsam mit Ceija Stojka in verändert hat. Du hast mit Deinen von Karin Berger die Schulen zu den Kindern und Jugendlichen geht. herausgegebenen Büchern, mit den Filmen und den Einige Auszüge aus seiner berührenden Rede wollen unzähligen Vorträgen einen wichtigen Beitrag dazu wir hier dokumentieren: geleistet. Heute liegt es an uns, zumindest zu verhin- dern, dass Österreich wieder wird, was es war. Jeder „Wenn Du, liebe Ceija, auch jetzt eine Professorin Ruck nach rechts, jedes Hakenkreuz an der Wand bist – eine Lehrerin bist Du mir seit ich in den späten bedeutet ein mehr an Angst – nicht nur für Dich. 1980ern die ersten Zeilen von Dir gelesen habe. (...) Ja, wir wissen von Deiner Angst, dass wieder Züge Auschwitz, Ravensbrück, Bergen-Belsen – die Er- in Vernichtungslager rollen, Deiner Angst vor Neo- innerung an die Lager verfolgt Dich in den Schlaf. nazis und rechten Hetzkampagnen à la ‚Daham Dazu kommt der anhaltende Hass, der den Überle- statt Islam!’, deiner Angst um die Kinder, Enkel und benden entgegenschlug und ihren Nachkommen bis Urenkel. Im ‚Friedensprojekt EU’ werden Roma und heute entgegenschlägt. Denken wir etwa an jenen Sinti nicht nur diskriminiert – es wird wieder Jagd Burgenländer, der Dich Jahre nach der Befreiung als auf sie gemacht. Hinter den Bildern der brennenden ‚dreckige Zigeunerin’ beschimpfte und schrie, dass Romahäuser in Italien und Ungarn schimmern am Hitler vergessen habe, Dich zu vergasen. Es sind Horizont die Öfen von Auschwitz. Erlebnisse wie diese, die Dich fürchten lassen, dass Immer wieder bittest Du am Ende Deiner Besuche Auschwitz nur im Tiefschlaf sei. die Schülerinnen und Schüler, Dich, Deine Familie, Auf den Überlebenskampf folgte ein retraumatisie- die Sinti und Roma, ja alle Schwachen und schwach render Kampf um Anerkennung. Gerade aus den Gemachten zu schützen. Nur dieser Schutz nehme Fängen der Nazi-Schergen befreit, stießen insbe- Dir ein wenig von Deiner unsäglichen Angst. Seit sondere Roma und Sinti über Jahrzehnte auf eine ich mich zu jenen zählen darf, die Du als Deinen mehr oder minder brüske Zurückweisung ihrer Schutzmantel bezeichnest, frage ich mich täglich, Entschädigungsansprüche. (...) 1948 hieße es in ob ich wirklich genug mache, um dieser Verantwor- einem Schreiben des Innenministeriums an alle tung auch gerecht zu werden. (...) Bundespolizeibehörden, dass sich ‚Zigeuner’ in Es sind Auszeichnungen wie die heutige, die Dir betrügerischer Absicht als KZler ausgeben würden hoffentlich das Gefühl der Fremdheit ein wenig und ‚das Zigeunerunwesen in einigen Gegenden des nehmen, den Schmerz der Ablehnung etwas lin- Bundesgebietes wieder im Zunehmen begriffen’ sei. dern. Deine Sorge um die Kinder, Enkel und Urenkel Offen wurde schon wieder die ‚Außerlandschaffung’ können aber wir versuchen zu mildern: mit unserem angedacht. (...) Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus und Liebe Ceija, Du wirst zu Recht für ein neues für Verhältnisse, die keine Angst mehr machen – Selbstbewusstsein der österreichischen Roma niemandem.“

20 Kundgebung beim ehemaligen Aspangbahnhof am 9. November 2009

Die Kundgebung fand wie jedes Jahr beim Gedenk- © Hannelore Stoff stein am „Platz der Opfer der Deportation“ im 3. Be- zirk statt. Es wird an die jüdischen Wienerinnen und gefragt hätten, wohin die vielen Menschen, die da Wiener erinnert, die von 1939 bis 1942 von hier aus vor ihren Augen in Viehwaggons gepfercht wurden, in die Vernichtungslager deportiert wurden. Drei gebracht würden, warum sie ihr Gepäck am Bahn- Freundinnen unserer Lagergemeinschaft nahmen steig zurückließen und ob sich AnrainerInnen etwa an der Kundgebung teil. Unter den RednerInnen gar daran bereichert hatten? Madeleine Petrovic waren Julius Aufrichtig, ein Überlebender und Ver- gab ihrer großen Sorge darüber Ausdruck, dass treter der Sozialdemokratischen Freiheitskämpfer, die kommenden Wahlkämpfe schrecklich werden PolitikerInnen der Grünen, der KPÖ, der Sozialis- würden, weil „H.C.“ und gleichgesinnte Politike- tischen Jugend, Dr. Di-Tutu Bukasa („Die Bunte rInnen an niedere Instinkte, Fremdenfeindlichkeit Zeitung“) und andere. Dieter Schrage berichtete, und Antisemitismus appellieren würden. es sei geplant, den Platz, auf dem der Gedenkstein Alle Reden endeten mit „NIEMALS VERGESSEN seit 1995 steht, von einem „Passivhaus“ zu überbau- – NIE WIEDER FASCHISMUS“. Es ist hoch an der en. Das Mahnmal solle „nach rechts“ verschoben Zeit, diesen Aufrufen Taten folgen zu lassen. Wir werden, der Fortbestand des Mahnmals sei auch wollen uns mit all unseren Möglichkeiten den Un- nicht sicher. Eine Rednerin stellte die Frage, ob sich menschlichkeiten entgegenstellen. die BewohnerInnen der umliegenden Häuser wohl Hannelore Stoff

Umgestaltung des Lueger-Denkmals in Wien

Die Wahlkämpfe in Österreich zeigen, wie sehr An- tisemitismus von Parteien und sozialen Gruppen politisch instrumentalisiert wird. Antisemitische für angewandte Kunst Wien ein Arbeitskreis zur Aussagen von Politiker_innen werden toleriert „Umgestaltung des Lueger-Denkmals“ gegründet. und durch Wähler_innenstimmen bestätigt. An- Die historische und inhaltliche Beratung über- tisemitische Agitation ist meist Teil einer umfas- nimmt Univ.-Lekt. Mag. phil. Eva Blimlinger. senden rassistischen Rhetorik, die versucht, durch Der internationale „Open Call“ für Vorschläge zur „Stammtischargumente“ zu punkten. Umgestaltung startet am 9. Dezember 2009. Einsen- Die Geschichte lehrt, wie wichtig es ist, sich ge- deschluss für den Wettbewerb ist der 1. März 2010. gen alle Formen von Antisemitismus zu wenden. Das Mahnmal soll Karl Lueger als historische Person Umso schwerer wiegt es, dass nach wie vor in Wien thematisieren. Sowohl die historischen Umstände ein Denkmal mit einer Statue von einem Politiker als auch die gegenwärtige Situation können hierbei steht, der schon vor über hundert Jahren Antisemi- zum Gegenstand der Umgestaltung werden. Neben tismus als politische Strategie nutzte, um in dieser einer Publikation wird auch eine Ausstellung der Stadt die Macht zu erlangen. Das Denkmal für Karl eingesandten Entwürfe organisiert werden. Ende Lueger darf nicht länger diese Geschichte des Anti- März 2010 wird eine internationale Jury tagen, alle semitismus verharmlosen. Es soll daher zu einem Einreichungen einsehen und einen Entwurf daraus Mahnmal gegen Antisemitismus und Rassismus wählen. Der Arbeitskreis wird sich in Folge für die umgestaltet werden. Umsetzung dieses gewählten Entwurfes einsetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde von Martin Krenn gemeinsam mit Studierenden der Universität Nähere Informationen: http://luegerplatz.com

21 „Nicht die Asche, sondern das Feuer weitergeben“

Auszüge aus einem Redebeitrag bei der Kundgebung des Grete Jost-Komitees am 7. Februar 2009

„Erinnern und Gedenken führt zum heute, der Rechten, die in der katholischen Kirche unter Obhut Kampf um Befreiung ist nicht aus“, ist ein Satz, des neuen Papstes im Vormarsch sind. Neben dem eine Botschaft, die beim Feministischen Gedenken Terror gegen Frauen und gegen das Personal in Ab- während der „Frauenwanderung auf den Spuren treibungskliniken sprechen sie über Abtreibung als der PartisanInnen“ 2004 entstanden ist. Für einen „Babycaust“. Sie benützen und verharmlosen damit feministischen, linken und antifaschistischen Wi- einerseits den Holocaust, die Deportation und Ver- derstand heute ist es wichtig, uns auf Widerstands- nichtung von Millionen von jüdischen Menschen, geschichte und auf Widerstandserfahrungen zu be- Roma und Sinti, Menschen mit Behinderungen und ziehen. Als Feministinnen erkennen wir auch die die Ermordung von KommunistInnen und Sozialis- Bedeutung, uns auf Frauen zu beziehen, wie hier tInnen und machen andererseits in ihrer politischen heute auf Grete Jost. Hetze Frauen, die sich für eine Abtreibung entschei- Die Beteiligung der Frauen in den Widerstands- den, zu Massenmördern! bewegungen gegen den NS-Faschismus wurde in der offiziellen Geschichtsschreibung nicht oder Verbindungen zum Heute kaum berücksichtigt. Frauen werden selten als „Niemals vergessen!“ und „Antifaschistisches Ge- eigenständig denkende und handelnde Personen denken“ muss sich mit aktuellen politischen Ge- wahrgenommen. Sie werden in der Geschichte fast waltverhältnissen und aktuellem Widerstand ver- ausnahmslos in ihren Beziehungen zu Männern binden, damit das Gedenken nicht nur Erinnerung dargestellt, als Ehefrau von..., Tochter oder Mutter ist, sondern auch als Aufforderung und Möglichkeit von... In den Beschreibungen des Widerstands wer- zum Handeln lebendig ist für die Gegenwart und für den sie – wenn überhaupt – als „Unterstützerinnen“ die Zukunft. Das bedeutet, wie Jelka, eine Kärntner von Widerstandsgruppen erwähnt, oder es wird in Slowenin und Partisanin sagte, „nicht die Asche, einem Nebensatz erzählt, dass sie Materialien und sondern das Feuer weitergeben.“ Oder wie es Jo- Essen für die „eigentlichen Kämpfer“ besorgten. Erst hanna Dohnal beim Gedenktreffen am Peršmanhof in den 80er Jahren, mit der autonomen Frauenbe- 2006 ausdrückte: „Widerstand muss erprobt und wegung, nahmen Frauen ihr Interesse an anderen erlernt werden, sonst bleibt die Mahnung eine leere Frauen selbst in die Hand und es entstanden z.B. Phrase.“ Bücher wie „Der Himmel ist blau, kann sein“ und Das bedeutet z.B. auch die Beteiligung am au- der Film „Küchengespräche mit Rebellinnen“. tonomen antifaschistischen Widerstand gegen das immer wiederkehrende Auftreten der akade- Gegen ein „herrliches Selbstverständnis“ mischen, deutschnationalen Burschenschaften. Jede antifaschistische Organisierung muss Sexis- Das bedeutet auch, sich gegenüber Flüchtlingen mus und patriarchale Strukturen offensiv bekämp- solidarisch zu verhalten. Jährlich sterben Tausen- fen. Die alte und die neue Rechte bauen nämlich de Menschen, die sich in Verzweiflung und mit der auf diesen Vorstellungen auf, um „Herr im eigenen Hoffnung auf ein sicheres und gerechteres Leben Land“ zu sein oder zu werden. Dieses „herrliche auf den Weg nach Europa machen. Sie werden am Selbstverständnis“ knüpft an das Herrenmenschen- Weg vergewaltigt, an den EU-Außengrenzen er- denken der Nazis an und entspricht auch dem patri- schossen, sie ertrinken oder ersticken bei der so- archalen-männlichen Selbstverständnis, „Herr“ in genannten „illegalen Einreise“, die unter diesen der eigenen Familie zu sein und über „seine“ Frau rassistischen Verhältnissen die einzige Möglichkeit und Kinder bestimmen und verfügen zu dürfen. bleibt, um hierher zu kommen. Der Zusammenhang von Faschismus und patriar- Das bedeutet auch, sich gegenüber MigrantInnen chaler Männlichkeit zeigt sich auch in der Väter- solidarisch zu verhalten. Die Kriminalisierung rechtsbewegung. Sie argumentieren mit dem Kin- von Migration und von MigrantInnen und die deswohl oder dem Mann/Vater als Opfer. Was die Androhungen und Durchführungen von Ab- Väterrechtsbewegung u.a. politisch ausmacht ist, dass schiebungen sind die Folgen eines rassistischen sich hier rechtsradikale mit linksliberalen Akteuren Grundverständnisses. verbinden – in ihrem gemeinsam Feindbild Feminis- Und das bedeutet auch eine Auseinandersetzung mus. Ein weiterer Ansatzpunkt für Feministinnen mit dem feministischen Widerstand gegen sexis- ist das verstärkte Auftreten der Abtreibungsgegner, tische und patriarchale Machtverhältnisse. das Agieren der Klerikalfaschisten und religiösen Lisa Steininger

22 Selma-Steinmetz-Straße...?

Zum Versuch, die Arnezhoferstraße in Wien umzubenennen.

Die meisten Mitfrauen werden sich wohl noch er- zugrunde. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man innern – vor rund drei Jahren trat das Stuwerkomi- die Geschichte einer Stadt bzw. bestimmte As- tee an die Lagergemeinschaft heran mit der Bitte pekte, auch wenn sie noch so unangenehm sind, um Unterstützung bei der Namensfindung zur beseitigen oder entfernen kann, indem man deren Umbenennung der Arnezhoferstraße im Viertel, Symbole entfernt. Straßenumbenennungen gehö- eine Forderung, die schon seit rund 15 Jahren im- ren u.a. zum Handwerkszeug autoritärer oder tota- mer wieder von unterschiedlichen Gruppen und litärer Regime und sind auch deswegen abzuleh- Personen an den Bezirksvorstand gerichtet wird. nen. Eine stabile Demokratie hält Widersprüche Warum? Es ist eine Schande für die Stadt, dass und historische Hinweise auf positive wie negative Menschen wie Johann Arnezhofer, seines Zei- Aspekte der Geschichte durchaus aus. Kritisches chens antisemitischer Hetzprediger im 17. Jahr- und waches Bewusstsein zeigt sich nicht durch Til- hundert, Pfarrer und Kommissär „zur Ordnung gung, sondern durch historisch richtige Zu- und der Israelitischen Angelegenheiten“ nach wie vor Einordnung von Namen.“ derart gewürdigt werden. Arnezhofer organisier- Und – so unfassbar es scheint – so sah in der Folge te 1670 im Auftrag von Leopold I. die Deportati- das von Mailath-Pokorny beschworene „kritische on der jüdischen Menschen aus dem Stadtviertel und wache Bewusstsein“ aus: Die MA 53 beantrag- „Unteres Werd“, wie die Leopoldstadt damals hieß. te die Errichtung einer Zusatztafel mit folgenden „Geehrt“ für seine Taten wurde Arnezhofer 1906 Textvarianten: vom damaligen Wiener Bürgermeister Lueger, der Variante 1: Johann Ignaz Arnezhofer, 1. Pfarrer der eine Straße nach ihm benennen ließ (lesen Sie Kirche zum Heiligen Leopold. dazu auch die Seite 21). Variante 2: Johann Ignaz Arnezhofer, 1. Pfarrer der Die lebhafte Beteiligung der Ravensbrückerinnen Kirche zum Heiligen Leopold, die durch den Um- mit von vielen Vorschlägen half den Stuwer-Aktio- bau der neuen Synagoge nach der Vertreibung der nistInnen schließlich bei der Entscheidung: Selma Juden 1670 entstand. Steinmetz, der Widerstandskämpferin im „travail So viel zur historisch richtigen Zu- und Einord- antiallemand“ und Mitbegründerin des DÖW nung von Namen seitens der SPÖ. sollte – stellvertretend für verfolgte und/oder im Straßennamen sind wohl unbestreitbar „mora- Widerstand tätige Frauen im Nationalsozialismus lische Lesezeichen“ einer Stadt, sie gehören zum – ein Andenken in Form einer Straßen(um)benen- öffentlichen Raum als kulturelle Symbole, die Ge- nung gegeben werden. schichte re-produzieren und repräsentieren, und Seit 2007 findet nun alljährlich ein Straßenfest ihre Wirkung im Heute muss bewusst gemacht statt, bei dem sich die BewohnerInnen des Vier- werden. tels über den Hintergrund des bestehenden Stra- Auch deshalb hat die Widerstandskämpferin Irma ßennamens informieren können. Rund 1.000 Un- Schwager in ihrer heurigen Rede beim Straßenfest terstützungserklärungen für die Umbenennung in der Erinnerung an eine Widerstandskämpferin sind inzwischen gesammelt worden. Das drei gegen Krieg, Vertreibung und Ermordung von Jahre währende, hartnäckige Insistieren mittels Menschen angeknüpft an die aktuellen und nicht der Straßenfeste gewinnt langsam auch zuneh- enden wollenden Menschenrechtsverletzungen mend an Öffentlichkeit. Bürgermeister Michael und Alltagsrassismen in Österreich. Häupl befürwortete im Interview mit dem „Au- So wie es aussieht, wird es also nächstes Jahr wie- gustin“ die Forderung, wenn „…die Bewohner sa- der ein Straßenfest geben (müssen) – als Aktio- gen, dass sie keine Adresse wollen, die mit dem nismus der BewohnerInnen des Viertels und der Namen eines Antisemiten und Judenverfolgers FestbesucherInnen, in dem nicht nur Widerstand versehen ist. Dann würde ich meinen, dass man geleistet wird gegen das Abzulehnende: Darin soll das ändern sollte.“ auch die „Produktion von Neuem“ über einen kol- Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny wurde beauf- lektiven Gegenentwurf „von unten“ eingeschrie- tragt, sich mit der Causa auseinanderzusetzen. ben sein – kurzfristig wird hier real versucht, einen Dessen umgehende Antwort lautete, er sei „…kein sehr kleinen Teil dieser Welt gemeinsam zu ver/ Freund von Straßenumbenennungen.“ Und weiter: ändern. „Was mir wichtiger erscheint: Umbenennungen Claudia Dietl liegt ein unpolitischer und ahistorischer Zugang Stuwerkomitee

23 Seit 2001 ist Hanna Sturms Lebensgeschichte Teil der ständigen Ausstellung des Landesmuseums .

Hanna Sturm © Svjetlana Hromin-Heidler Aus Anlass des 25. Todestages von Hanna Sturm berichtet ihre Enkelin über ihre Jugend und ihr politisches Wirken.

Am 9. März 2009 habe ich gemeinsam mit den Mann, der Gewerkschafter war, besorgte ihr Arbeit Freundinnen der Lagergemeinschaft Ravensbrück bei der Jute AG in Wien , einem Schwe- in Wien den 25. Todestag von Johanna „Hanna“ sterbetrieb von Neufeld. Hier kam sie zum ersten Sturm, Mitbegründerin dieser Gemeinschaft und Mal mit der Arbeiterbewegung in Kontakt und trat meine Großmutter, mit meiner Lesung zu ihrem am 15. März 1908 der sozialdemokratischen Partei Gedenken begangen. Den jungen Freundinnen der bei. Seit dem 8. März 1910 war sie ununterbrochen Lagergemeinschaft und allen Interessierten möch- gewerkschaftlich organisiert. Sie lernte, unterstützt te ich nun einen Teil des Lebens meiner Großmut- und gefördert von ihren sozialdemokratischen Un- ter näher bringen. terkunftgebern, lesen und schreiben. 1911 gab es in Wien einen Generalstreik der Ar- Mit 10 Jahren in die Fabrik... beiterschaft. Bei einer großen Demonstration auf der Ringstraße marschierte Hanna mit. Die Polizei Hanna Sturm wurde am 28. Februar 1891 in Klin- ging rigoros gegen die Arbeiter und Arbeiterinnen genbach im ehemaligen Ungarn in ärmlichen länd- vor. Weil sie Flugblätter verteilte, erhielt Hanna ei- lichen Verhältnissen als zweites Kind geboren. Ihr nen kräftigen Schlag ins Gesicht, ihre Augen waren Vater war ein armer Tischler und klassenbewusster blutunterlaufen. Die Teilnahme an der Protestde- Proletarier. Sie hatte drei Brüder. Julius war acht monstration war dann der Anlass für die Direktion Jahre alt und arbeitete schon wie alle Dorfkinder der Jute AG, sie auf die Straße zu setzen. in diesem Alter zwölf Stunden am Tag. Auch die fünfjährige Hanna lief jeden Morgen – die Füße in Die ungarische Räteregierung Lumpen gewickelt – zum Waldrand, um Veilchen zu sammeln, um die Herrschaften in der Zuckerfa- Nach der Geburt ihrer ersten Tochter Theresia 1912 brik in Siegendorf mit den wohlriechenden Blumen musste Hanna Sturm auch die Schwierigkeiten und zu versorgen und damit Geld zu verdienen. Diskriminierungen einer unverheirateten Mutter Hanna besuchte die Schule nur zwei Winter lang, erleben. von Oktober bis März. Die Eltern hatten kein Geld, Während des 1. Weltkriegs arbeitete sie in der und damals in Ungarn gab es keine Schulpflicht. Im Kriegsindustrie in Blumau bei Felixdorf im I. Be- Alter von acht Jahren begann sie vorerst, auf dem trieb. Im August 1916 wurde sie wegen Sabotage Feld zu arbeiten, danach als Dienstmädchen. Als – sie füllte die Hülsen mit Sand statt mit Pulver – sie zehn Jahre alt war, zahlte ihr Vater einen Gul- verhaftet und vor Gericht gestellt. Nach längerer den einem Notar in Schattendorf, der bereit war, U-Haft wurde sie aufgrund mangelnder Beweise ihr Geburtsdatum um zwei Jahre „vorzuverlegen“. freigelassen und fand neue Arbeit. Hanna schickte So fand sie Arbeit in der Siegendorfer Zuckerfabrik das verdiente Geld regelmäßig an ihre Mutter Anna – allerdings unter unmenschlichen Bedingungen. für den Unterhalt der beiden Töchter. Doch 1919 Die anderen Kinder wurden neidisch, als sie nach starb ihre zweite Tochter Relli, geboren 1915, in einem Jahr einen besseren Arbeitsplatz fand. Sie ihrer Abwesenheit in einem Wiener Krankenhaus. füllten ihre leere Kaffeeflasche mit Zuckersirup. Die schreckliche Nachricht traf Hanna schwer. Sie Bei der Kontrolle beim Verlassen der Fabrik wurde klagte nicht, trauerte stumm und bitter. Nach dem der Sirup entdeckt und sie wurde wegen des angeb- 1. Weltkrieg wurde der Vater ihrer beiden Kinder lichen Diebstahls entlassen. als vermisst gemeldet. Mit 14 Jahren (laut Arbeitsbuch) konnte sie in der 1918, nach dem Zerfall der österreichisch-unga- Jute AG in Neufeld eine andere Arbeit finden. Mit rischen Monarchie, musste Hanna als ungarische dreißig gleichaltrigen Kindern arbeitete sie an den Staatsbürgerin Österreich verlassen. Sie unter- Spulmaschinen. Nach einem Streik wegen Lohnbe- stützte den Kampf der Räteregierung in Ungarn. trugs stand sie bald wieder auf der Straße. 1907 fuhr Bela Kun, der Vorsitzende der ungarischen kom- sie nach Wien, wo sie durch ihren ältesten Bruder munistischen Partei, rief 1918 die ungarische Räte- Julius eine tschechische Familie kennenlernte. Der republik aus. In der Arbeiterschaft wurde damals

24 Die Siegendorfer Zuckerfabrik, in der Hanna Die Neufelder Jutefabrik, Sturm als 10-Jährige ihre erste Stelle antrat. wo Hanna Sturm mit 12 Jahren arbeitete. für die Rote Armee Geld gesammelt. Hanna un- uns die Sturm nicht über den Kopf wachsen.“ 1925 terstützte diese Aktion und wurde mehrmals be- wurde Hanna aus der Partei ausgeschlossen. Sie auftragt, das gesammelte Geld an eine bestimmte trat am 1. August 1925 der kommunistischen Par- Stelle abzuliefern. Einmal wurde sie dabei von der tei bei. Polizei erwischt, verhaftet und nach Zalaegerszeg 1927 nahm sie als Leiterin der österreichischen De- gebracht. Nach drei Tagen gelang es ihr zu flüchten, legation an einem internationalen Frauentreffen in doch bei der Grenzkontrolle in Neufeld wurde sie Moskau teil. Es gibt ein Foto, das erst zweimal ver- erkannt und neuerlich festgehalten. Man sperrte sie öffentlicht wurde, mit Hanna Sturm im Kreise pro- im Bahnhof im Wartesaal der zweiten Klasse ein. minenter Revolutionärinnen: Nadeschda Krupskaja Durch das Fenster konnte sie unbemerkt entkom- (sowjetische Revolutionärin und Ehefrau Lenins), men und gelangte über die Felder nach Ebenfurth, Alexandra Kolontaj (sowjetische Revolutionärin das zu Österreich gehörte. und Diplomatin), Clara Zetkin (deutsche Feminis- Nach der Niederlage der Räterepublik in Ungarn tin und Kommunistin), Soong Ching-lin (Ehefrau organisierte Hanna illegale Grenzübertritte. Ohne von Sun Yat-sen und spätere Vizepräsidentin der VR ihn zu erkennen, half sie auch Bela Kun illegal über China) und jene französische Delegationsleiterin, die Grenze und versteckte ihn drei Tage lang in ih- die Hanna später im KZ Ravensbrück wieder traf. rer Wohnung. Erst am Ende der „Nacht- und Nebel- Aufgrund ihrer politischen und gewerkschaftlichen aktion“ lüftete er sein Inkognito. Aktivitäten war Hanna Sturm zu bekannt. Sie hatte keine Chance mehr, in ihrer Heimat Arbeit zu fin- Betriebsrätin und Kommunistin den. Um sie loszuwerden, bezahlte das Arbeitsamt ihr und ihrer Tochter Theresia 1929 sogar die Fahrt Als das 1921 ein Bundesland Österrei- nach Deutschland, wo sie in einer Bremer Textilfa- chs geworden war, konnte sie endlich wieder ohne brik arbeiteten. Schwierigkeiten nach Neufeld gelangen. Sie fand 1930 schickte das Arbeitsamt Hanna und Theresia Arbeit in der Neufelder Jutefabrik und wurde bald mit einer Bergarbeitergruppe nach Moskau. Nach Betriebsrätin. In ihrer politischen Arbeit im Bur- einem halben Jahr arbeiteten sie in Leningrad in genland nahm sich Hanna besonders der katho- der Textilfabrik „Rabotnica“ als Instrukteurinnen. lischen kroatischen ArbeiterInnen an, die immer Sie bildeten Lehrlinge und AnfängerInnen in drei wieder als Streikbrecher missbraucht wurden. Ihr Schichten für die Arbeit an der Spinnmaschine aus. gelang es, diese ArbeiterInnen zur Solidarität und Im Herbst 1932 wurde Hanna von der KPÖ nach zu einem klassenbewussten Denken zu bringen. Österreich zurückgerufen. Sie verließ Leningrad, 1924 fuhr Hanna nach Moskau zum internationa- Theresia blieb dort. Theresia studierte Volkswirt- len Treffen der Arbeiterschaft. Sie traf mit bedeu- schaft an der Leningrader Universität und arbei- tenden Persönlichkeiten aus aller Welt zusammen. tete nebenbei als Bürokraft im internationalen Zu ihren Tischgenossen gehörte das Ehepaar Sun Seemannsclub. In ihrer Freizeit war sie als Frem- Yat-sen, mit dem sie sich in deutscher Sprache nicht denführerin in der Eremitage tätig. nur über Politik unterhielt. Sie traf auch Bela Kun, Hanna wurde nach ihrer Rückkehr 1932 aus der KP der sie sofort wiedererkannte. Burgenland ausgeschlossen, blieb aber Mitglied Im Jahr 1925, nach zwei großen Streiks, die die der KP der UdSSR. Die schwere Arbeit, die sie für ArbeiterInnen wegen Lohnforderungen durch- die Partei geleistet hatte, war völlig zerstört. Sie or- führten, wurde sie entlassen und bekam als Ar- ganisierte aber wieder Friedenskundgebungen und beitslose nur eine karge Unterstützung. Doch Han- andere Zusammenkünfte. na begann, die Arbeitslosen zu organisieren und wurde zur Vorsitzenden des Arbeitslosenkomitees Die Geschichte meiner Großmutter ist auch ein in Eisenstadt gewählt. bewegter Teil der österreichischen Geschichte. Ich Hannas Haltung brachte sie in Konflikt mit der werde bei anderer Gelegenheit weiter erzählen, wie Führung der sozialdemokratischen Partei. Der Hanna das KZ Ravensbrück überlebte. Vorsitzende Otto Bauer sagte über sie: „Wir lassen Svjetlana Hromin-Heidler

25 Wir werden euch nie vergessen! mehr im provisorischen Zelt Platz ist. Sie wird mit- ten im Winter, Anfang 1945, im Freien liegen gelas- sen und überlebt nur dadurch, dass österreichische Mithäftlinge, wie Käthe Sasso, sie versorgen und aufpäppeln. Wenige Wochen später wird sie ins Ne- benlager Malchow, in dem Zwangsarbeit in einer Munitionsfabrik zu leisten war, überstellt. Nach der Befreiung ist sie über einen Monat lang nach Hause unterwegs, wo sie endlich ihr inzwi- schen dreieinhalb Jahre altes Kind wiedersieht. Auch Karl Musik kehrt zurück und so können die beiden am 8. Juni 1945 endlich heiraten. 1947 wird ein Sohn und 1957 die zweite Tochter geboren. Der Neubeginn war zwar hart, doch bereits 1946 er- öffnete Erna Musik ihre eigene Weißnäherei. © DÖW-Archiv Wie auch ihr Mann, der 1977 starb, engagierte sie Erna Musik (1921-2009) sich in der SPÖ Brigittenau, die sie 14 Jahre leitete, 17 Jahre lang war Erna als Bezirksrätin im Wiener Die ehemalige Obfrau der Österreichischen Lager- Gemeindebezirk Brigittenau tätig. Sie baute als gemeinschaft Ravensbrück, Erna Musik, starb am 8. Funktionärin des Freien Wirtschaftsverbandes das März 2009, wenige Tage vor ihrem 88. Geburtstag Frauenreferat auf und war die erste sozialdemokra- tische Fachgruppenvorsteherin in der Wirtschafts- Erna Musik, geborene Raus, wird am 17. April 1921 als kammer. Erna erhielt den Titel einer echten Kom- Jüngste von sieben Kindern geboren. Durch ihre äl- merzialrätin verliehen und wurde Ehrenvorsitzende teren Brüder kommt sie bereits in frühester Kindheit des Wirtschaftsverbandes. in Kontakt mit sozialistischen Kinder- und Jugendor- Erna Musik gehörte dem Bund sozialdemokratischer ganisationen und später mit den „Roten Falken“. Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus an, zu- 1938 gilt sie plötzlich, aufgrund der „Nürnberger letzt als Ehrenvorsitzende, war Mitglied der Öster- Gesetze“, als „ ersten Grades“, ihr wird reichischen Lagergemeinschaft Auschwitz und der der Zugang zur „Schule für die höheren Töchter“ Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück, verwehrt und die Weißnäherei ihrer Mutter wird deren Obfrau sie, nach dem Tod von Friedl Sinclair, arisiert. Auch Heiratspläne mit Karl Musik, ihrem von 2000 bis 2005 war. späteren Ehemann, den Erna bereits mit 16 Jahren Der Umbenennung der Österreichischen Lagerge- bei den „Roten Falken“ kennen gelernt hat, können meinschaft Ravensbrück in „Österreichische La- aufgrund der nationalsozialistischen rassistischen gergemeinschaft Ravensbrück und FreundInnen“ Gesetze nicht verwirklicht werden. und der Übergabe der Vorstandsfunktionen an die 1942 bringt Erna im Haus ihrer zukünftigen Schwie- nächsten Generationen stand Erna Musik skep- gereltern ihr erstes Kind, die Tochter Erna, zur Welt. tisch bis ablehnend gegenüber, so kam es leider zur Karl, der bereits während des Austrofaschismus eine Entfremdung. Zelle Revolutionärer Sozialisten gegründet hat, setzt seine Tätigkeit während des Nationalsozialismus fort. Er kann der Gestapo entkommen, doch Erna, die nur © VGA selten an den Treffen der Gruppe teilgenommen hat, wird verhaftet. Nach rund sechs Monaten im Polizei- gefängnis Roßauer Lände, wird sie mit dem Vermerk „Rückkehr unerwünscht“ im Einzeltransport nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Zuerst zur Außen- arbeit beim Grasziegel stechen eingeteilt, erkrankt Erna aufgrund der schweren Bedingungen und er- hält, nach einem Aufenthalt auf dem Krankenblock, Arbeit bei der Entlausung. Sie erzählte, dass sie oft den Mut verlor und dennoch, nach Möglichkeit, anderen Frauen half. An Ruhr erkrankt schafft sie mit Hilfe ihrer Schwester und einiger Freundinnen den Todesmarsch bis Ravensbrück, wo nicht einmal Erna Musik (vorne mit der Winkelfahne) in der 26 Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück. Wir werden euch nie vergessen! Nachdem die bald nach Kriegsende aus originalen das Gemischtwarengeschäft in Mattersburg zerstört. roten Winkeln der österreichischen Überlebenden Nach dem Tod des Großvaters 1931 hatte Annas On- genähte „Winkelfahne“ der Mahn- und Gedenkstätte kel, Bernhard Trebitsch, das Geschäft geführt. Er floh Ravensbrück übergeben worden war, nähte Erna Mu- mit seiner Familie über Umwege nach Palästina, wo sik den Wimpel aus roten Winkeln nach. Jedes Jahr seine Nachkommen noch heute leben. wird dieser Wimpel bei der Befreiungsfeier in Ravens- Nach einem achtstündigen Verhör in der Gestapo- brück von der österreichischen Gruppe mitgetragen. Zentrale am Morzinplatz und der Arisierung ihrer Erna Musiks Leben war geprägt von politischem En- Wohnung, gehen Anna und ihre Mutter nach Bratis- gagement. Solange es ihre Gesundheit erlaubte, be- lava, wo sie bei einer jüdischen Familie im Haushalt suchte sie als Zeitzeugin Schulen und Jugendgrup- arbeiten. Anna Bruder Leopold, der sich bereits in pen um gegen neofaschistische und neonazistische den 30er Jahren gegen den aufkommenden Austrofa- Tendenzen aufzutreten. Für ihr Engagement erhielt schismus engagiert hat, wird verhaftet und bis 1945 Erna Musik zahlreiche Ehrungen, u.a. das goldene inhaftiert. Ihre Schwester Rosi emigriert im Novem- Ehrenzeichen der Stadt Wien, das goldene Ehrenzei- ber 1938 nach England, Selma nach Frankreich. Im chen für die Verdienste um die Republik Österreich, März 1942 wird Anna ohne ihre Mutter nach Ausch- die silberne Kammermedaille und das Ehrenzeichen witz-Birkenau deportiert, vier Wochen später auch für Verdienste um die Befreiung Österreichs. ihre Mutter. Obwohl Anna alles unternimmt, um sie zu schützen, wird die Mutter krank und im Alter von 56 Jahren in der Gaskammer ermordet. Bei derselben Selektion wird auch Annas beste Freundin Mirjam Gross in die Gaskammer geschickt. In Auschwitz muss Anna zunächst sechs Monate in der Außenarbeit, dann ein halbes Jahr in der Beklei- dungskammer und von 1943 bis Jänner 1945 in der Munitionsfabrik arbeiten. Im Jänner 1945 wird sie in einem dreitägigen Fuß- marsch und anschließender Fahrt in offenen Waggons nach Ravensbrück „evakuiert“. Nach einem Monat im überfüllten provisorischen Zelt auf dem Lagerge- lände von Ravensbrück wird sie mit anderen Frauen aus Auschwitz in das Außenlager Malchow verlegt. Nach der Befreiung schlägt sie sich alleine nach Anna Redlinger (2. von links) im Kreis ihrer Hause durch. Hier trifft sie auf ihren Bruder, der Kameradinnen bei der Verleihung des Goldenen die Konzentrationslager Mauthausen und Ebensee Verdienstzeichens des Landes Wien 2001. überlebt hat. 1948 kehrt ihre Schwester aus England zurück. Die andere Schwester gründet in Frankreich eine Familie. Lange hofft Anna Redlinger, dass die Anna Redlinger (1919-2009) Mutter doch überlebt haben könnte, doch sie wurde, wie die gesamte Verwandtschaft von den National- Anna Redlinger wird am 7. Februar 1919 als drittes sozialisten ermordet. von vier Kindern im burgenländischen Mattersburg Nach dem Krieg findet Anna Arbeit bei der Firma Ma- geboren. Als sie noch klein ist, verlässt der Vater die dress und nachher bei Elektrolux. Sie besucht Abend- Familie, die bei den jüdischen Großeltern, die ei- kurse in Maschinschreiben und Stenographie. Oft nen Gemischtwarenladen in Mattersburg besitzen, und gerne ist sie zu ihrer Schwester und deren Fami- wohnt. Auch als die Mutter mit den Kindern nach lie nach Frankreich gereist, aber auch zu einer Cou- Wien übersiedelt, wird sie vom Großvater weiterhin sine nach England und zu den Verwandten in Israel. finanziell unterstützt. Anna Redlinger hat glückliche Mit ihrer Schwester Rosi besuchte Anna Redlinger Erinnerungen an die Großeltern und an die jüdischen im Jahr 1978 noch einmal Auschwitz-Birkenau. „War Feste, die in der Familie immer gefeiert wurden. eh furchtbar. Aber meine Schwester wollte, weil sie In Wien, wo sie die Volks- und Hauptschule be- die Mutter so geliebt hat, unbedingt den Weg gehen, sucht, erfährt sie die ersten antisemitischen An- den die Mutter gegangen ist.“ Ildikó Cazan-Simányi feindungen. Ab 1936 hilft Anna ihrer Mutter, die in Literatur Helga Amesberger/Brigitte Halbmayr: Vom Leben einer Café-Konditorei arbeitet. Im März 1938, beim u n d Ü b e rl e b e n - We g e n a c h R a v e n s b r ü c k . D a s F ra u e n k on z e n - Einmarsch der Nationalsozialisten, werden die trationslager in der Erinnerung. Bd 1: Dokumentation und Scheiben der Café-Konditorei eingeschlagen und Analyse, Bd 2: Lebensgeschichten. Wien: Promedia 2001

27 Wir werden euch nie vergessen! nach 50 Jahren eine würdige Gedenkstätte für die WiderstandskämpferInnen gegen die Dollfuß-Dik- tatur. Auch die Grabstellen der Hingerichteten des Naziregimes lernten wir durch Herbert kennen. 1973 nach dem Putsch in Chile half er im Solidari- tätskomitee für Chile tatkräftig den Menschen, die hier in Simmering im „Macondo“ Zuflucht gefun- den hatten. Er hat auch buchstäblich mit seinem eigenen Körper verhindert, dass Panzer an Chile geliefert wurden, indem er und Gleichgesinnte die Gleise blockierten. Im April 2009 stellte Herbert sein Buch „Gleich dem Herbert Exenberger (1943-2009) kleinen Häuflein der Makkabäer – die jüdische Ge- Für einen Freund meinde in Simmering 1848 bis 1945“ vor, an dem er 20 Jahre lang gearbeitet hatte. Zu diesem Anlass Als wir Anfang der 70er Jahre nach Simmering zo- bin ich ihm zum letzten Mal begegnet. Ich verzich- gen, lernten wir Herbert Exenberger kennen. Mein tete darauf, mich in der Menge der „Fans“ anzu- Mann engagierte sich bei der SPÖ-Bildung und da stellen, um sein Buch von ihm signieren zu lassen. war auch Herbert. Mit einem kleinen Grüppchen Ich wollte ihn ja später wieder treffen. Leider kam von Genossen (an Genossinnen kann ich mich nicht es nicht mehr dazu. Bei der Arbeit zu diesem Buch erinnern) kämpften sie immer wieder gegen die be- lernte Herbert Überlebende aus Simmering kennen harrenden Kräfte der Etablierten in der Partei an. und besuchte sie in den Ländern, in denen sie Asyl Sie bemühten sich, Wissen über unsere Geschich- gefunden hatten. Ich denke, dass Herberts wun- te „von unten“ anzueignen und an möglichst viele derbare Menschlichkeit sie wohl wieder etwas mit Menschen weiterzugeben. Sie wollten überzeugen, dem Land, das sie vor 70 Jahren verfolgt und vertrie- dass „in der Partei“ zu sein, mehr beinhalten musste, ben hat, versöhnt hat. Besonders schön finde ich, als eine Gemeindewohnung und einen Arbeitsplatz dass Herbert einen Baum in Yad Vashem pflanzen durch sie zu bekommen. Bei diesen Bemühungen durfte. bekamen sie Hilfe von Genossinnen und Genos- Durch sein Beispiel gelang es Herbert, in vielen jun- sen, die die Geschichte der Arbeiterbewegung am gen Menschen die Begeisterung für Gerechtigkeit eigenen Leib miterlebt hatten: Josef Hindels, Anto- und Solidarität zu wecken. nia Bruha, Stella Klein-Löw, Manfred Ackermann, Lieber Herbert, wir vermissen dich so sehr – Franz Danimann, Hugo Pepper, Helene Potetz und Freundschaft Hannelore Stoff die Simmeringer Kurt Schmidt und Alfred Stroer und vor allem Rosa Jochmann. Rosa betrachtete Herbert als ihren „Buam“. Ihm vermachte sie einen Oskar Wiesflecker 1919-2009 Ring mit einem aus einer Zahnbürste geschnitzten Elefanten. Diesen hatte eine Leidensgenossin in Ra- Kurz vor Drucklegung dieses Mitteilungsblattes er- vensbrück für Rosa hergestellt. Herbert bewahrte reichte uns die traurige Nachricht, dass unser Ka- ihn als kostbares Andenken auf. merad Oskar Wiesflecker am 3. Dezember 2009 im Ich erinnere mich an viele Wanderungen durch Alter von 90 Jahren verstorben ist. Er war nicht nur unseren Bezirk, bei denen Herbert uns sein großes ein engagierter Journalist und Autor, sondern auch Wissen über die Geschichte, Geschichten und die Obmann des Bundesverbands österreichischer Schicksale von Menschen, die Opfer der Nazidik- AntifaschistInnen, WiderstandskämpferInnen tatur wurden, weitergab. Er wusste aber auch über und Opfer des Faschismus (KZ-Verband) und Vi- viele Täter Bescheid. zepräsident des DÖW. Schon früh war er in der so- Drei Fixpunkte im Jahr gab es, an denen Herbert zialistischen Bewegung aktiv. Nach 1934 hatte er immer dabei war: Der 1. Mai, die Schweigemärsche in einer antifaschistischen Pfadfindergruppe Wi- der Sozialistischen Freiheitskämpfer am 12. Febru- derstand geleistet, später schloss er sich im Krieg ar und am 1. November. Er zeigte uns die Gräber der einer Gruppe österreichbewusster Soldaten an und Opfer des Februar ’34, damals lagen sie versteckt auf unterstützte 1944 eine italienische Widerstands- einer Wiese hinter einer ungepflegten Hecke. Eini- gruppe. Er leistete Aufklärungsarbeit als Publizist ge verwitterte Blechtafeln, bei denen wenige Ange- und Zeitzeuge, bis zu seinem Tod war er Chefre- hörige Blumen gepflanzt hatten, waren zu sehen. dakteur der Zeitung des KZ-Verbands, der „Neue Auch durch Herberts Bemühen entstand endlich Mahnruf“.

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