Jahrbuch 2009
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DÖW DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN WIDERSTANDES FOLGE 191 Mitteilungen MAI 2009 DÖW-Neuerscheinung: JAHRBUCH 2009 Das aktuelle Jahrbuch befasst sich schwerpunktmäßig mit dem Thema Bewaffneter Widerstand — Widerstand im Militär. DÖW- Mitarbeiterin und Redakteurin des Jahrbuchs Christine Schindler skizziert in der Folge Inhalt und Rahmen des Jahrbuchs, das im März 2009 pünktlich zur Jahresversammlung des DÖW erschienen ist. Zur Jahresversammlung des DÖW im gewesen. Die Westmächte Großbritannien eines von der Hitlerherrschaft zu befreien- März 2008 im Festsaal des Alten Rathau- und Frankreich hätten aber in einem sol- den Landes verloren.“ ses, die wie stets um den Jahrestag des chen Fall nicht so tatenlos zuschauen kön- So kann aus historischen Gründen das „Anschlusses“ Österreichs an Hitler- nen, und die Konsequenzen für das öster- DÖW-Jahrbuch mit dem Schwerpunkt deutschland stattfand, konnte Bundesprä- reichische Volk wären noch schwerwie- Bewaffneter Widerstand — Widerstand im sident Heinz Fischer als Festredner ge- gender, geradezu ungeheuerlich gewesen. Militär nicht auf die militärische Verteidi- wonnen werden — in seiner im Jahrbuch Hitler hätte es dann nämlich nicht riskie- gung Österreichs eingehen, da es sie in der 2009 abgedruckten Rede stellte er in Be- ren können, den Österreichern das Prinzip Form nicht gegeben hat, wohl aber thema- zug auf die Zwischenkriegszeit und den der allgemeinen Wehrpflicht aufzuerlegen, tisieren die einzelnen Beiträge den Wider- Nationalsozialismus u. a. die Frage: „Was denn tatsächlich oder potential illoyale stand und die österreichischen Wider- wäre gewesen, wenn das Bundesheer Wi- Soldaten konnte er nicht brauchen, weil standskämpfer innerhalb der Wehrmacht, derstand gegen den Einmarsch der deut- sie eine Gefahr für die Schlagkraft der die Deserteure und die PartisanInnen, die schen Truppen geleistet hätte?“ deutschen Wehrmacht darstellen mussten. auch auf österreichischem Boden mit der Das hätte dann nur auf der Basis der Waffe in der Hand für die Befreiung Es gibt, konstatierte der Historiker Hans Freiwilligkeit geschehen können, in Form kämpften. Die Widerstandskämpfer inner- Hautmann anlässlich eines Symposiums des Beitritts begeisterter österreichischer halb des Militärs haben in der Traditions- zum Thema 60 Jahre Moskauer Deklara- Nationalsozialisten in die Waffen-SS. So pflege des österreichischen Bundesheeres tion 2003, „[…] Augenblicke in der Ge- geschah es bekanntlich in Norwegen, mittlerweile einen Platz erobert, wie auch schichte […], wo ein verzweifelter Kampf Dänemark, Belgien, den Niederlanden, dem Jahrbuchschwerpunkt eine Unterstüt- eines Volkes selbst um einer aussichtslo- ohne dass diese Länder dadurch den Status zung des österreichischen Bundesheeres sen Sache willen notwendig ist für die eigene bessere Zukunft. Und selbst wenn die Sache aussichtslos war, konnte ein Kampf gegen die nationalsozialistische Dokumentationsarchiv des Barbarei nie und nimmer sinnlos sein.“ österreichischen Widerstandes Hautmann entwarf ein Szenario der Fol- gen eines durchaus im Bereich des Mögli- Jahrbuch 2009 chen gelegenen — wie auch der ehemali- ge Tiroler Widerstandskämpfer und DÖW- Schwerpunkt: Vizepräsident Ludwig Steiner immer wie- Bewaffneter Widerstand — Widerstand der bekräftigt — klassen- und parteiüber- im Militär greifenden militärischen Widerstandes ge- gen den Einmarsch. „Das Ergebnis“ — so Redaktion: Hautmann — „wäre ein Krieg mit Christine Schindler Deutschland und ein Bürgerkrieg im In- neren gegen die österreichischen National- Wien–Berlin 2009, 321 Seiten sozialisten gewesen. Unter der damaligen EUR 13,50 Kräftekonstellation in Österreich und Europa betrachtet, wäre eine Niederlage ISBN 978-3-643-50010-6 und damit die Eingliederung in das Deut- sche Reich wahrscheinlich, sogar sicher 2 Mitteilungen 191 zugekommen ist. Dennoch sind die Kon- troversen gerade um diese Themen noch Aus dem Inhalt lange nicht ausgestanden, wie entbehrli- che, aber aufschlussreiche Bekenntniser- güsse à la „Kameradenmörder“ (das letzte Heinz Fischer öffentliche Copyright hiezu erwarb sich Festvortrag anlässlich der Jahresversammlung des Dokumentationsarchivs des 2005 BZÖ-Kampl) rund um die juristische österreichischen Widerstandes, Wien, 13. März 2008 und gesellschaftliche Rehabilitierung und Anerkennung der Deserteure, die Thomas Geldmacher seit Jahren und so auch in Schwerpunkt Bewaffneter Widerstand — Widerstand im Militär diesem Jahrbuch begründet fordert und die das DÖW auch stets unterstützt hat, zeigen. Wolfgang Neugebauer Bewaffneter Widerstand — Widerstand im Militär. Ein Überblick Das Bild einer „sauberen Wehrmacht“ wurde u. a. einmal mehr im Zuge der Thomas Geldmacher Wehrmachtsausstellungen des Hamburger Täter oder Opfer, Widerstandskämpfer oder Feiglinge? Österreichs Instituts für Sozialforschung unter Mit- Wehrmachtsdeserteure und die Zweite Republik arbeit auch österreichischer Wissenschaf- ter zertrümmert. Die Darstellung einer Stephan Roth Deutschen Wehrmacht, die herrenun- Widerstand in der Wehrmacht am Beispiel der Artillerie-Ersatz- und menschlich im Rahmen der nationalsozia- Ausbildungsabteilung 109 listischen Eroberungsraubzüge Europa verwüstete und Holocaust und Völker- Barbara Stelzl-Marx mord mitverantworten muss, wurde von Carl Szokoll und die Operation „Radetzky“. Militärischer Widerstand in Wien 1945 vielen mit der bekannten Abwehrgeste ge- im Spiegel sowjetischer Dokumente gen vermeintliche Pauschalschuldzu- schreibungen weggewischt. Es scheint, Peter Pirker dass gerade jene, die das Bild einer ehren- „Whirlwind“ in Istanbul. Geheimdienste und Exil-Widerstand am Beispiel Stefan haften Wehrmacht krampfhaft hochhalten, Wirlandner diejenigen nicht würdigen können, die ganz sicher ehrenhaft gehandelt haben: die Irene Filip Widerstandskämpfer und Deserteure. Frauen bei den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg Barbara Stelzl-Marx vom Ludwig-Boltz- Helena Verdel mann-Institut für Kriegsfolgenforschung Widerstand der Kärntner Sloweninnen beschreibt Carl Szokolls militärische Wi- derstandsgruppe im Wehrkreiskomman- Josef Vogl do XVII gegen Kriegsende; Peter Pirker Ein Österreicher, der nur seine Pflicht getan hat. Markus Käfer und seine geht am Beispiel des österreichischen MitstreiterInnen im Kärntner Lavanttal Exil-Sozialisten und späteren National- bankvizepräsidenten Stefan Wirlandner im Brigitte Halbmayr britischen Kriegsgeheimdienst auf die oft „Das war eine Selbstverständlichkeit, dass wir da geholfen haben.“ als Landesverräter diffamierten Kämpfer Die Fallschirmagenten Albert Huttary und Josef Zettler und ihre in den ausländischen Nachrichtendiensten UnterstützerInnen — ein Fallbeispiel und deren problematische Situation und gleich mühevolle wie gefährliche Tätig- Heimo Halbrainer keit ein. Erinnerungszeichen für PartisanInnen in der Steiermark Am konkreten Beispiel der Artillerie-Er- satz- und Ausbildungsabteilung 109, die in Barbara N. Wiesinger Niederösterreich stationiert war, zeichnet Partisaninnen. Bewaffneter Widerstand von Frauen in Jugoslawien (1941–1945) Stephan Roth mit detaillierter Quellen- kritik die oft verschwimmenden Grenzen zwischen Opportunismus und Widerstän- Varia digkeit, Kameradschaft und Nepotismus, Aufarbeitung und Instrumentalisierung Hans Schafranek nach. Beeindruckend ist auch die durch- Drei Gestapo-Spitzel und ein eifriger Kriminalbeamter. Die Infiltration und gängig aufgezeigte Schwierigkeit, in dem Zerschlagung des KJV Wien-Baumgarten (1940) und der KPÖ-Bezirksleitung Labyrinth berechnender Übertreibungen, Wien-Leopoldstadt (1940/41) durch V-Leute der Gestapo fehlender wie auch falscher Dokumente und später Erinnerungen das Geschehene Andrea Hurton aufzufinden und sich im Bewusstsein der „Der Jude ist in der Modeindustrie durchaus ersetzbar.“ Zur Strategie und Praxis von Schwierigkeit einer nachträglichen Be- „Ariseuren“ in der Wiener Bekleidungsbranche Mai 2009 3 wertung dieser Aufgabe dennoch nicht zu entziehen. Gerade der Widerstand mit der Waffe in der Hand wurde vielfach aus männlicher Sicht erzählt. Das DÖW hat die Rolle und Beteiligung der Frauen am Widerstand stets berücksichtigt, was sich schon in den ersten Publikationen in den 1960er Jahren zeigte — Tilly Spiegels Arbeiten über die ÖsterreicherInnen in der belgischen und französischen Résistance und über die Frauen und Mädchen im österreichischen Widerstand, Selma Steinmetz’ Arbeit über das Schicksal der österreichischen „Zi- geunerInnen“ im Nationalsozialismus u. v. a. m. So gehen auch mehrere Artikel im druckfrischen Jahrbuch explizit auf die Rolle der Frauen ein, Irene Filip erzählt über die Frauen bei den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg, Brigitte Halbmayr vom Institut für Kon- fliktforschung über die vor allem Frauen, aber auch Männer, die unter Lebensgefahr Befreiung Südkärntens durch die PartisanInnen Foto: DÖW sogenannte Fallschirmspringer versteck- ten und dafür mit Gestapo- und KZ-Haft und teilweise mit dem Leben bezahlten, aktiven Beitrags der Kärntner SlowenIn- Zur Orientierung ist dem Schwerpunkt Barbara Nicole Wiesinger über die Frauen nen zur Bekämpfung des NS-Regimes, die Wolfgang Neugebauers Beitrag Bewaff- in Titos Volksbefreiungsarmee (ihre Dis- unbestreitbar die mit Abstand wichtigsten neter Widerstand — Widerstand im Mili- sertation zum Thema wurde mit dem bewaffneten Partisaneneinheiten auf ös- tär vorangestellt. Neugebauer, ehemaliger Herbert-Steiner-Preis ausgezeichnet und terreichischem Gebiet stellten, ist die noch wissenschaftlicher Leiter des DÖW, ver- liegt seit 2008 publiziert vor). Helena dazu