Keller Das Wiener Marktamt 1938–1945 Veröffentlichungen Der Österreichischen Historikerkommission
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Keller Das Wiener Marktamt 1938–1945 Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich Herausgegeben von Clemens Jabloner, Brigitte Bailer-Galanda, Eva Blimlinger, Georg Graf, Robert Knight, Lorenz Mikoletzky, Bertrand Perz, Roman Sandgruber, Karl Stuhlpfarrer und Alice Teichova Band 12 Oldenbourg Verlag Wien München 2004 Fritz Keller Das Wiener Marktamt 1938–1945 Oldenbourg Verlag Wien München 2004 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2004. R. Oldenbourg Verlag Ges.m.b.H., Wien. Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in EDV-Anlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Satz: Laudenbach, 1070 Wien Druck: WB-Druck, D-87669 Rieden/Allgäu Wissenschaftliche Redaktion: Eva Blimlinger Lektorat: Cornelia Mejstrik-Felbinger Umschlaggestaltung: Christina Brandauer ISBN 3-7029-0492-1 R. Oldenbourg Verlag Wien ISBN 3-486-56774-8 Oldenbourg Wissenschaftsverlag München Quelle: Österreichische Gesellschaft für Zeitgeschichte, Wien – Bildarchiv, 4886 Inhaltsverzeichnis Einleitung . 9 1. Vorgeschichte: Wandlungen einer Institution . 15 2. „Arisierungs“-Behörde (1938–1940) . 18 2.1. „Arisierung“ der Marktfahrer . 21 2.2. „Arisierung“ der Marktstände . 23 2.3. Die „Arisierung“ als „soziale Praxis“ . 36 2.4. Die Funktion des Marktamtes im Gesamtprozess der „Arisierung“ . 42 2.5. Machtübernahme im Marktamt . 52 2.6. Im Dienste des Nationalsozialismus . 59 3. Kriegswirtschaftsamt . 74 4. Zusammenbruch und Wiederaufbau . 76 5. Wandlungen der „Marktgemeinschaft“ . 82 6. Anhang . 98 6.1. Der Vermögensverlust durch die Standentziehungen . 98 6.2. Rechtliche und administrative Aspekte der verweigerten Restitution. 114 7. Bibliografie . 131 8. Personen- und Sachregister . 142 9. Abkürzungsverzeichnis . 149 10. Abbildungsverzeichis . 151 Autor . 152 Einleitung Die vorliegende Studie basiert auf einer chronologisch-deskriptiven Dar- stellung der institutionellen Veränderungen des Wiener Marktamtes während der Jahre 1938 bis 1945. Das Quellenmaterial dazu stammt zu wesentlichen Teilen aus dem behördeneigenen Archiv, obwohl diese Be- stände nach 1945 offenbar systematisch von belastenden Unterlagen „ge- säubert“ wurden. Dokumente blieben jedoch genau dort erhalten, wo sie niemand bei nur oberflächlicher Durchsicht etwa nach Stichworten ver- muten würde: Zum Beispiel entstammen viele Informationen über „Ari- sierungen“ in ganz Wien aus dem Fach 29 dieses Archivs, das nach dem Index die Akten der „Auflassung des Marktes in Wien I., Am Hof“ ent- hält, weil von den Bezirksabteilungen für die Inhaber(innen) der abgesie- delten Stände Listen mit einer Auswahl zur Verfügung stehender „Juden- stände“ erstellt wurden. Ebenso erbrachte der Inhalt des mit „Marktge- bührenrückstände“ verschlagworteten Fach 27 eine Fülle wertvoller Da- ten, weil gegen die Inhaber „arisierter“ Stände schon wegen ganz gering- fügiger aushaftender Zahlungen Exekution geführt wurde. Die auf den ersten Blick völlig uninteressanten Fächer 12 und 19 über Kriegsschäden erwiesen sich als fündig, weil nicht wenige „Ariseure“ in den 50er Jahren Entschädigungsansuchen nach dem Kriegs- und Verfolgungssachschä- dengesetz 1958 stellten1 und auf den für diesen Zweck vom Marktamt ausgestellten Bestätigungen die Übernahme eines „Judenstandes“ als Be- sitznachweis plötzlich aufschien. Hingegen waren die übrig gebliebenen Bestände eines Faches „Märkte allgemein 1938–41“ völlig uninteressant – der Bestand war so gründlich gesäubert, dass selbst die ursprüngliche Fachnummer nicht mehr festgestellt werden konnte. Überhaupt zeigte eine Rekonstruktion des Bestandsinventars, dass eine Fülle von „Fä- chern“ spurlos verschwunden ist. Genauso unauffindbar sind die Ein- 1 Wie zumindest ein „Ariseur“ und schwer belasteter Nazi sich nicht einmal scheute, seine vermeintlichen Ansprüche gegen seinen Geschäftsnachfolger, einem ehemali- gen KZ-Häftling, mit der Rückstellungsgesetzgebung zu begründen, siehe Urteil des Landesgerichts für ZRS Wien, Klägerin Ludovika Nikodem, Zahl 2 CG 112/55 vom 1. August 1956, in: MA 59 – MAA 20, Marktkataster Hannovermarkt, Stand Nr. 3. 10 Einleitung gangs-Protokollbücher fast aller Bezirksabteilungen.2 „In Verstoß gera- ten“ ist auch der in der Marktamtsdirektion geführte zentrale Kataster al- ler Standentziehungen und Standansuchen. Diese Kartei existierte nach- weislich nach dem Zweiten Weltkrieg noch, wurde aber bei Restitutions- verfahren in den archivarisch belegbaren Fällen ausschließlich zu Un- gunsten von hartnäckigen Rückstellungswerbern verwendet.3 Interviews mit den letzten beiden überlebenden Beamten, die von 1938 bis 1945 im Wiener Marktamt tätig waren (und zwischenzeitlich lei- der verstorben sind), dienten zur Abrundung des Bildes. Dass diese Befra- gungen in einer dieser Lebenswelt adäquaten Sprache geführt wurden, war Voraussetzung zu einem relativ offenen Gespräch nicht nur über die „Ari- sierungen“, sondern auch über andere Tabu-Themen wie Korruption. Meine mehrfachen Versuche, Zeitzeugen aus den Reihen der jüdischen Marktstandbesitzer(innen) für Interviews zu gewinnen, blieben hingegen erfolglos, obwohl ich zuletzt sogar über ein Inserat in der Zeitschrift der Israelitischen Kultusgemeinde „Die Gemeinde“ nach solchen Gesprächs- partner(innen) suchte. In der Darstellung wurde bewusst ein Schwerpunkt auf jene Aktivitä- ten gesetzt, bei denen das Marktamt Teil der Beraubung und Ausgrenzung war, die mit dem administrativen Standentzug ihren Anfang nahm und beim Massenmord in den Konzentrationslagern endete. Zugleich wurde aber versucht deutlich zu machen, dass diese „Arisierungen“ in den Augen der Nationalsozialisten Teil einer zu schaffenden, totalitären Kriegswirt- schaft waren, bei deren Verwirklichung insbesondere auf dem Nahrungs- mittelsektor dem Marktamt wiederum eine Schlüsselrolle zukam. Das vorrangige Erkenntnisinteresse der Historikerkommission der Re- publik Österreich an dem vorliegenden Projekt lag in der Erwartung, dass die sozioökonomischen Spezifika des überschaubaren Mikrokosmos „Wie- 2 Die Eingangs-Protokollbücher der Marktamtsdirektion aus den Jahren 1938 bis 1940 sind erhalten, geben jedoch über „Arisierungen“ keinen Aufschluss, da die in die Zu- ständigkeit der Bezirkshauptmannschaften bzw. des Besonderen Stadtamtes III fallen- den Standentziehungen ausschließlich in den Bezirks-Marktämtern protokolliert wurden. 3 Siehe dazu: Der Marktamtsdirektor Heinrich Nechradola an die Marktamtsabteilung für den 15. Bezirk am 13. Mai 1947 im Restitutionsverfahren Brüder Reinharz (in: MA 59 – MAA 15, Marktkataster Meiselmarkt, Stand 189–190): „Bemerkt wird je- doch, dass nach dem h. ä. Marktzentralkataster der Firma Brüder Reinharz die Markt- plätze 189/190 für den Betrieb des Fleischhauergewerbes 1926 zuwiesen wurden.“ Einleitung 11 ner Märkte“ zu einer auf empirischem Datenmaterial beruhenden Beant- wortung einiger Fragen genutzt werden, vor allem: – In welchem Ausmaß wurden die Jüdinnen und Juden im Zuge der „Arisierungen“ tatsächlich beraubt? – Bestehen Zusammenhänge zwischen der „Arisierungs“quote eines Marktes und der Zahl der NSDAP-Mitglieder? Voraussetzung zur Beantwortung dieser Fragen war die listenmäßige Rekonstruktion der Namen und Standnummern des Großteils jener 3.672 Marktparteien des Jahres 1938. Dieses Vorhaben gelang in mühe- voller Kleinarbeit. Damit lieferte das vorliegende Forschungsprojekt auch den Nachweis, dass sich in der gegenüber Rückstellungswerbern und -wer- berinnen von der Marktverwaltung vielfach aufgestellten Behauptung, auf Grund der im Zuge der Kriegshandlungen verschwundenen örtlichen Marktkataster wären keine entsprechenden Dokumente über „Arisierun- gen“ vorhanden, nur der von Stadtpolitiker(inne)n gedeckte4 Unwillen der Behördenorgane manifestierte, solche Unterlagen unter Zuhilfenahme der in der Direktion geführten Zentralkartei neu anzulegen. Intention des Autors war es darüber hinaus, die von Horst Matzeroth5 für die Gemeindeverwaltungen im ganzen „Dritten Reich“ begonnene, dann von Gerhard Botz, Angelika Ebbinghaus und Karsten Linne auf der Ebene der zentralen Entscheidungsinstanzen der Stadtverwaltung Ham- burg6 bzw. Wien7 fortgesetzte institutionengeschichtliche Aufarbeitung um die Historie eines ausgewählten administrativen Apparates zu berei- chern. Aus der Synopse all dieser Studien könnte in naher Zukunft eine 4 Das lässt sich bereits am Beschluss des Stadtsenates unter Bürgermeister Theodor Körner vom 4. August 1945 „Säuberung der städtischen Märkte von Nationalsozialisten“ aufzei- gen. Die Erhebungen und nachfolgenden Standentziehungen beruhten ausschließlich auf politischen Kriterien, nach „Arisierungen“ wurde nicht einmal gefragt. Schon damals wurden auch den Erhebungsakten über die NSDAP-Mitgliedschaft der Standinhaber folgen- und kommentarlos Bescheinigungen zum Zwecke der politischen Reinwaschung beigefügt (Verw. Gr. V/427/45 – Säuberung der städtischen Märkte von Nationalsozia- listen, in: Neues Archiv der MADion, Fach 54, Märkte allgemein). 5 Horst Matzeroth: Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung. Stuttgart – Berlin – Köln