source: https://doi.org/10.7892/boris.142278 | downloaded: 28.9.2021 9 ISBN 7 8 3 978-3-907663-14-1 9 0 7 6 6 3 1 4 1

Eggenberger/Ulrich-Bochsler/Frey-Kupper Leissigen, Pfarrkirche Die archäologischen Forschungen von 1973/74 von Forschungen archäologischen Die Leissigen,Pfarrkirche Susanne Frey-Kupper Susi Ulrich-Bochsler Peter Eggenberger Leissigen, Kirche 3

Leissigen, Pfarrkirche

Die archäologischen Forschungen von 1973/74

Peter Eggenberger, Susi Ulrich-Bochsler, Susanne Frey-Kupper

In Zusammenarbeit mit Hermann Specker † und Franz Wadsack 4

Impressum

Herausgeber Erziehungsdirektion des Kantons Archäologischer Dienst des Kantons Bern, Postfach 5233, 3001 Bern

Lektorat und Redaktion Andreas Heege, ADB

Übersetzungen Laurent Auberson, Moudon VD (Französisch) Sandy Haemmerle, Shantalla, Galway, Ireland (Englisch)

Gestaltung, Layout Max Stöckli und Eliane Schranz, ADB

Herstellung Druckerei Rub Graf-Lehmann, 3001 Bern Printed in

Verlag, Bestelladresse Verlag Rub Media, Postfach, 3001 Bern. [email protected]

© Archäologischer Dienst des Kantons Bern 2009 Der Nachdruck des Werks oder von grösseren Teilen daraus ist nur mit Bewilligung des Herausgebers gestattet.

Bern 2009

ISBN 978-3-907663-14-1 Leissigen, Kirche 5

Inhalt

Vorwort ...... 7

Teil A: Die archäologischen Forschungsergebnisse ...... 9 1. Einleitung ...... 10 2. Historische Notizen ...... 11 2.1 Die «Thunerseekirchen» ...... 11 2.2 Das Patronatsrecht an der Kirche Leissigen ...... 13 2.3 Zur Baugeschichte ...... 13 3. Die Ergebnisse der Bauforschungen ...... 15 3.1 Die frühmittelalterlichen Kirchen ...... 15 3.1.1 Die erste am Mauerbestand erkennbare Kirche ...... 15 3.1.2 Die Bestattungen: Nachweis einer älteren Kirche? ...... 16 3.1.3 Interpretation und Datierung ...... 19 3.2 Die Saalkirche mit eingezogener Apsis des 11. Jahrhunderts ...... 21 3.3 Änderungen in der Benutzungszeit der Apsisanlage ...... 25 3.3.1 Anbau eines Turmes an die Südseite der Kirche ...... 25 3.3.2 Taufstellen ...... 27 3.4 Der Neubau des Chores von 1675 und die späteren Änderungen des Grundrisses ...... 28 3.5 Die neuzeitliche Bestattung ...... 34 3.6 Nachtrag: Die C14-Daten ...... 34 4. Verzeichnis der Befundnummern ...... 35 4.1 Fortlaufende Nummerierung ...... 35 4.2 Nummerierung nach Bauphasen ...... 35 5. Literatur ...... 36

Teil B: Anthropologische Befunde zu den Skeletten der Kirche Leissigen ...... 39 1. Fundsituation und Datierung ...... 40 2. Das Skelettmaterial ...... 40 3. Anthropologische Befunde ...... 40 4. Die Gräber 9 und 10 im westlichen Teil des Kirchenschiffs ...... 44 5. Dank ...... 45 6. Literatur ...... 46 7. Anthropologische Individualdaten ...... 47

Teil C: Die Fundmünzen ...... 49 1. Kommentar ...... 50 1.1 Der archäologische Zusammenhang ...... 50 1.2 Die vertretenen Münztypen ...... 50 1.3 Bemerkungen zum Umlauf ...... 51 2. Katalog ...... 52 3. Literatur ...... 53

Zusammenfassung/Résumé/Summary ...... 54 Abbildungsnachweis ...... 59 6

Leissigen, Grab 1 (8./9. Jh., C14-Datierung). Tusche-Rein- zeichnung des Befundes von Pàl Berg. Das Fundament des ältesten steinernen Kirchen- baus überschneidet das Grab. Leissigen, Kirche 7

Vorwort

Eine Monografie für eine Kirchengrabung, die tungsstand» ins 6. Jahrhundert zurück reicht, bereits 35 Jahre zurück liegt, sich auf die Frei- dürfte den Anfang christlichen Lebens am Ort legung von Strukturen beschränkte und dem markieren, sondern vielmehr das frühmittelal- schichtweisen Vorgehen, d.h. der Stratigrafie terliche 8. Jahrhundert der Merowinger. Dies kaum Beachtung schenkte? Hat der Archäolo- legt die typologische Betrachtung zum ersten gische Dienst des Kantons Bern keine dringen- Kirchenbau nahe und dies darf – mit aller ge- deren Prioritäten zu setzen? So oder ähnlich botenen Vorsicht – auch aus der Radiokar- mag die Eine oder der Andere aus der Kolle- bondatierung von Grab 1 geschlossen werden. genschar fragen. Zu Recht – und trotzdem Die späte Auswertung erlaubt eben auch im schien es uns angezeigt, die wichtigsten Ergeb- Bereich der Naturwissenschaften Schlüsse, die nisse in der vorliegenden kleinen Schrift fest in den 1970er Jahren noch nicht möglich ge- zu halten und einer interessierten Leserschaft wesen wären. zugänglich zu machen. Dasselbe gilt auch für die historisch-anthro- Die im Archäologischen Dienst aufbewahrte pologische Auswertung der Bestattungen. Ge- sorgfältige Dokumentation, die der Vermes- stützt auf Hunderte von heute zugänglichen sungsspezialist Urs Kindler, der Techniker Vergleichsdaten gelingt es der Anthropologin Fritz Reber sowie der hervorragende Zeich- Susi Ulrich-Bochsler, die Gruppe der «ersten» ner Pàl Berg unter der Leitung des damali- Leissigerinnen und Leissiger auch auf deren gen Kantonsarchäologen Hans Grütter und Herkunft zu befragen. Die ausgeprägt unter- der Beratung durch Hans Rudolf Sennhauser, schiedlichen Merkmale der in der ersten Kir- Bundesexperte, und Luc Mojon 1973/74 an- che Bestatteten lassen sie zum Schluss gelan- gefertigt hatte, legt diesen Schritt nahe. Umso gen, dass es sich bereits im Frühmittelalter mehr, weil wir dazu noch auf die profunden nicht um eine homogene, aus dem aleman- Kenntnisse des «Kirchenarchäologen» Peter nischen Raum zugewanderte Bevölkerung, Eggenberger, Luzern, als Bearbeiter abstüt- sondern um eine genetisch nicht eng verbun- zen können. Allein die Fülle der untersuchten dene Menschengruppe handelte. Wir dürfen Gotteshäuser im Kantonsgebiet legt es nahe, vermuten, dass die aufgrund des Ortsnamens die Materialien zu Leissigen einer sorgfältigen mit der Endung «–igen» angenommene ale- Sichtung zu unterziehen. Von den insgesamt mannische Gründung nicht durch eine voll- rund sechzig archäologisch untersuchten Kir- ständig zugewanderte Gruppe, sondern eine chen – davon über vierzig seit den 1970er Jah- längst sesshafte «gemischte Bevölkerungs- ren durch Peter Eggenberger selber gegraben gruppe» erfolgte. Befunde zum frühmittelal- – liegen lediglich gut ein Dutzend im Berner terlichen Dorf stehen zur Zeit noch aus. Oberland. Dass die Publikation doch noch erschei- Ein weiterer Grund darf daher in der Bedeu- nen kann, haben wir vorab dem Hauptauto- tung der Kirche für die Besiedlungsgeschichte renteam Peter Eggenberger und Susi Ulrich- des oberen Thunerseeraumes gesehen wer- Bochsler zu verdanken. Sie konnten sich auf den, die von so vielen Legenden umrankt ist. die Notizen von Hans Grütter sowie die Re- Zu zeigen ist dabei, dass die Leissiger Kir- gesten von Hermann Specker†, Umzeichnun- che wie die anderen Bauten der sog. «Thuner- gen der Grabsituationen durch Pàl Berg und seegruppe» wesentlich älter ist als in der Le- der Befundpläne durch Franz Wadsack, Ate- gende Elogius Kiburgers postuliert. Nicht das lier d’archéologie médiévale AAM, Moudon, 10. Jahrhundert des Burgunderkönigs Ru- sowie die Bestimmung der wenigen Mün- dolf II. und seiner Frau Bertha, aber wohl zen durch Susanne Frey-Kupper, Inventar der ebenso wenig die Zeit des Glaubensboten Be- Fundmünzen der Schweiz, abstützen. Ihnen atus, dessen Wirken nach heutigem «Vermu- gebührt unser verbindlicher Dank genauso wie 8

unseren Mitarbeitenden des Ressorts Medien: So freuen wir uns, einer breiten interessierten Andreas Heege für die sorgfältige Redaktion, Öffentlichkeit diese Kleinmonografie überge- Marc Müller, Daniel Marchand für die Be- ben zu dürfen; die erneute Beschäftigung mit arbeitung des Abbildungsmaterials in digita- diesem 1974 durch den Spiezer Architekten ler Form und Eliane Schranz für das Layout. Fritz Reist unter Begleitung durch den dama- Die Drucklegung besorgte in gewohnt profes- ligen Denkmalpfleger Hermann von Fischer sioneller Weise Rub-Media. Zu danken wäre restaurierten Kleinod lohnt sich. schliesslich noch der jungen Pfarrfamilie des nachmaligen Synodalratspräsidenten Samuel Lutz, welche die Ausgrabenden vor Ort um- sorgte und daher in bester Erinnerung geblie- Daniel Gutscher ben ist. Bern, Januar 2009 Leiter Ressort Archäologie Leissigen, Kirche 9

Teil A: Die archäologischen Forschungsergebnisse

Peter Eggenberger 10

1. Einleitung ner Bodenheizung auszustatten, wurde dem Archäologischen Dienst des Kantons Bern Die vom Friedhof umgebene Kirche Leissi- (ADB) Gelegenheit gewährt, den Unter- gen steht am Rand des Dorfes, nahe dem süd- grund, wo man den Bestand älterer, abgebro- lichen Ufer des Thunersees (Abb. 1).1 Neben chener Kirchen vermutete, archäologisch zu der viereckigen, durch einen gleich hohen Vor- untersuchen. Die Forschungsarbeiten began- bau verlängerten Saalkirche steht ein gedrun- nen im Mai 1973 mit Sondierungen ausser- gener Turm mit hölzernem Glockengeschoss halb der Kirche und wurden im Innern von und hohem Spitzhelm (Abb. 2). Obschon das Mitte Dezember 1973 bis Mitte Februar 1974 Gebäude leicht nach Nordosten abgewinkelt fortgeführt. Die Leitung oblag dem damali- ist, verwenden wir im Folgenden die geografi- gen Kantonsarchäologen Hans Grütter. Da- schen Bezeichnungen entsprechend der tradi- bei ging man nicht flächenstratigrafisch vor, tionellen Ausrichtung mittelalterlicher Sakral- sondern legte nur das im Boden verborgene bauten. Das Chor ist im Osten, dem Pfarrhaus Mauerwerk sowie Gräber frei. Der aufge- zugewandt, und die Seite mit dem Hauptein- hende Bestand wurde nur stellenweise unter- gang ist im Westen, in Richtung auf den Dorf- sucht. Anstelle der zeichnerischen Dokumen- kern gelegen. Folglich ist die Seite mit dem tation und der Analyse der Mauern begnügte 1 Koord. 625.575/167.135; Turm nach Süden, zur Zufahrtsstrasse und Ei- man sich mit fotogrammetrischen Aufnah- 564 müM. senbahnlinie hin, und die nördliche Gegen- men sowie mit einer grösseren Zahl von De- 2 Die Grabungsdokumenta- 2 tion wird im Archiv des Ar- seite zum See hin gerichtet. tailfotos, die Urs Kindler (ADB) anfertigte. chäologischen Dienstes des Diese Grundlagen sowie deren Interpreta- Kantons Bern (ADB) auf- bewahrt (Fundprotokoll- Als die Kirchgemeinde Leissigen-Därligen tion dienten Franz Wadsack (AAM Atelier Nr. 207.001.1973.01). plante, ihre Kirche zu restaurieren und mit ei- d’archéologie médiévale SA, Moudon) dazu,

Abb. 1: Leissigen. Plan des Pfrundgutes der Kirche Leissigen, 1904. Leissigen, Kirche 11

einen Plan des aufgedeckten archäologischen Bestandes zu erstellen. Dieser wurde in den 1973 bestehenden Grundriss der Kirche ein- getragen. Der im Folgenden in Teil A publi- zierte Text beruht demzufolge vorwiegend auf der Interpretation der fotografischen Doku- mentation.3 In Teil B schliessen die Ergebnisse der von Susi Ulrich-Bochsler (Historische An- thropologie, Institut für Medizingeschichte, Universität Bern) vorgenommenen anthropo- logischen Untersuchungen an. Die Digitali- sierung der für die Publikation ausgewählten Abbildungen verdanken wir Daniel Marchand und Marc Müller (ADB). Für die historischen Ausführungen können wir uns auf Regesten stützen, die von Hermann Specker(†) aus den Dokumenten des Staatsarchivs Bern zusam- mengetragen worden sind. Wir danken allen Beteiligten herzlich für die Mitarbeit.

2. Historische Notizen

2.1 Die «Thunerseekirchen»

Elogius Kiburger, Pfarrer in Einigen, bezeich- net in seiner «Strättliger Chronik» die Kirche von Leissigen als einen der zwölf Sakralbau- ten, die in der ersten Hälfte des 10. Jahrhun- derts von König Rudolf II. von Burgund (Re- gierungszeit 911–937) und seiner Frau Berta lichen Gestalt bestehenden Anlagen von Abb. 2: Leissigen. Die Kirche gestiftet worden seien und zwar als Filialen und Amsoldingen zusammen mit der ergrabe- von Südosten. der Kirche von Einigen. Dazu zählte er ne- nen Kirche von Wimmis zur Gruppe der quer- ben Leissigen die Kirchen von Aeschi, Amsol- schifflosen Pfeilerbasiliken.4 Sie besitzen ein dingen, Frutigen, Hilterfingen, Scherzligen, beiderseitig von je einem Seitenschiff beglei- , Spiez, Thierachern, Thun, Uttigen tetes Mittelschiff, denen ostseitig je eine der und Wimmis. Die Ergebnisse jüngerer archäo- insgesamt drei Apsiden entspricht. Anderseits 3 Der 2005 erstellte Publika- logischer Grabungen zeigen jedoch einerseits, bilden die zeitlich entsprechenden Anlagen tionstext geht auf einen Ent- dass die zur Zeit Kiburgers, in der Mitte des an anderen Orten einfachere Saalkirchen mit wurf von 1983/84 zurück. Bisherige Publikation der Er- 15. Jahrhunderts, bestehenden Kirchen nicht eingezogener Apsis, so archäologisch ergra- gebnisse: Lutz 1992. die Gründungsbauten bildeten. Diese reichen ben in Aeschi, Hilterfingen, Scherzligen, Sig- 4 Amsoldingen, Spiez: Rutis- weit vor das 10. Jahrhundert zurück. Ander- riswil, Thierachern und Thun (vgl. Abb. 17).5 hauser 2 1982, 43–47. Am- soldingen, Spiez, Wimmis: seits belegen sie zusammen mit noch bestehen- Kiburgers «Mutterkirche» in Einigen be- Oswald/Schaefer/Sennhau- den Anlagen, dass die damalige Baugestalt aller wahrt diese Gestalt bis heute (vgl. Abb. 18). ser 1966, 24, 318, 376–377. Spiez: Haller 1974. Wimmis: genannten Kirchen in der Romanik entstan- Allen Anlagen dieser Gruppe sind jedoch be- Stähli-Lüthi 1982. den und einander tatsächlich sehr ähnlich war, stimmte architektonische Merkmale eigen, 5 Aeschi: Schäppi/Stähli-Lüthi obwohl sich die Gruppe aus zwei unterschied- die ihren Ursprung in lombardischen Vorbil- 1988. Einigen: Oswald/Scha- efer/Sennhauser 1966, 67. lichen Kirchentypen zusammensetzt. Kirchen dern der romanischen Zeit haben. Dazu ge- Hilterfingen: Sennhauser der genannten Form haben sich allerdings nur hören neben der Raumordnung und der Glie- 1973. Scherzligen: Gutscher 1994. Sigriswil: Archiv ADB. noch an wenigen Orten erhalten. Einerseits ge- derung der Fassaden auch Details, so die auf Thierachern: Archiv ADB. hören die noch weitgehend in ihrer ursprüng- Sicht berechnete, oft geritzte Verfugung des Thun: Bellwald 1974. 12

Mauerwerks (pietra rasa), teils mit sichelförmi- nen Gunsten interpretiert zu haben. Sie sahen gen Bogen versehene Fenster sowie Eingänge, die Beweggründe seiner Darstellung vor allem deren innenseitige Nischen von einem hölzer- in der Absicht, seine Einiger Kirche und damit nen Sturz mit darauf stehendem Entlastungs- seine eigene Bedeutung in den Mittelpunkt bogen gedeckt waren. Die Lombardei gehörte zu rücken und weniger darin, die Tradierung seit Otto I. (dem Grossen; Regierungszeit oder gar historische Tatsachen genau zu ver- 936–973) zum Deutschen Reich, allerdings mitteln. Was beispielsweise den Einfluss Bur- nicht immer unbestritten. Aus dieser oberita- gunds auf den durch lombardische Bauleute lienischen Gegend kamen Fachleute, die Er- bestimmten Kirchenbau des Thunerseeraums fahrung im Bau von gemauerten Gebäuden betrifft, vergass Grütter, dass auch die Erben besassen, in den Teil des Reiches nördlich der des Burgundischen Reiches, die deutschen Kö- Alpen und wirkten auf den Bauplätzen in füh- nige und Kaiser aus dem Hause der Ottonen, render Rolle mit. Dadurch prägte der von ih- einen grösseren Teil Italiens beherrschten und nen exportierte romanische Baustil über zwei daher mit der Lombardei ebenso eng verbun- Jahrhunderte lang die Kirchenarchitektur, zu- den waren. Als nämlich Rudolf III. von Bur- sammen mit dem vor allem über cluniazensi- gund kinderlos verstorben war, wurde das bur- sche und zisterziensische Klöster verbreiteten gundische Gebiet 1032/33 durch Erbfolge in burgundischen Baustil der Romanik. das Deutsche Reich eingegliedert. Zusätzlich stand der deutsche Hochadel mit dem Thuner- Die von Kiburger aufgezählten zwölf Kirchen- seeraum in besonders enger Beziehung. So be- bauten sind in der Forschung als so genannte schenkte beispielsweise Adelheid, die Tochter «Thunerseekirchen» bekannt.6 Diese Grup- Rudolf II., Gattin des italienischen Königs Lo- pierung gab nämlich Max Grütter in seinen thar und schliesslich zweite Gattin des deut- Studien über die Geschichte des Thunersee- schen Kaisers Otto I., das elsässische Kloster raums Anlass, sich auf die Gemeinsamkeit ih- Selz gegen die erste Jahrtausendwende mit Gü- rer Gestalt zu berufen und ihnen eine beson- tern aus diesem Gebiet. dere historische Bedeutung beizumessen.7 Er nahm Kiburgers Vorstellungen auf und führte Die von Kiburger aufgezählten Kirchen wa- die Verbreitung dieses einheitlichen Kirchen- ren zudem nicht die einzigen, die im oberen typs auf die Initiative des burgundischen Kö- Aare-Tal den einheitlichen lombardischen Typ nigshauses zurück. Indem er dessen Einfluss verkörperten, den Grütter für das Gebiet des in den Vordergrund stellte, wies er dem Thu- Thunersees in Anspruch nahm. Dies zeigen nerseeraum innerhalb des Burgundischen Rei- die in jüngerer Zeit archäologisch erforsch- ches, das sich 888 vom Fränkischen Reich der ten Beispiele von Steffisburg und Kleinhöch- Karolinger losgelöst hatte und zeitweilig vom stetten, deren Gestalt gleichartige architekto- Mittelmeer bis zum Rhein reichte, eine zen- nische Charakteristika aufweist. Die erstere trale Stellung zu. In der Tat war Rudolf II. bildete eine querschifflose Pfeilerbasilika, die eine Zeitlang König von Italien, womit sich letztere eine Saalkirche mit Apsis, die jedoch der lombardische Einfluss erklären liess. Aller- beiderseitig des Schiffes zusätzlich Annexbau- dings waren Grütter an Kiburgers Darstellung ten besass.8 Auch die romanische Anlage von gewisse Unstimmigkeiten hinsichtlich Perso- Worb, die zu den einfacheren Saalkirchen mit nen und Zeit nicht entgangen, und er hielt die Apsis zählte, bildet dazu ein örtlich zwar ent- 6 Eggenberger 2003. Rutishau- Gruppe nicht für Gründungskirchen. Er da- fernteres, aber immerhin im oberen Aare-Tal ser 1982. Stettler 1964. 9 7 Grütter 1932. Grütter 1966. tierte die Planung in die Zeit Rudolfs II. und liegendes Beispiel (vgl. Abb. 17). Ebenso dürf- 8 Kleinhöchstetten: Hofer damit in die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts, ten sich die teilweise noch erhaltene Saalkirche 1970, 17–33. Caviezel-Rü- egg 1996. Steffisburg: Eggen- die Ausführung hingegen in diejenige von Ru- mit Apsis von Köniz sowie die dreischiffige berger/Ulrich-Bochsler 1994, dolf III. (Regierungszeit 993–1032) und so- Anlage von Biglen in diese Gruppe einrei- 28–58. mit um die erste Jahrtausendwende. Schon zu hen.10 Der Bautyp der «Thunerseekirchen» 9 Publikation in Vorbereitung, bis dahin: Rutishauser 1985, Grütters Zeit wurden jedoch Stimmen laut, beschränkte sich somit nicht ausschliesslich 4 f. die dem rührigen Einiger Pfarrer vorwarfen, auf das Gebiet unmittelbar um den Thuner- 10 Köniz: Eggenberger/Rast Cotting 1994. Biglen: Ar- zwar eine vorhandene Tradierung zu Perga- see. Seine Datierung war lange umstritten und chiv ADB. ment gebracht, diese jedoch allzu sehr zu sei- reichte von der Mitte des 10. bis in die Mitte Leissigen, Kirche 13

des 11. Jahrhunderts.11 Heute ist sich die For- An der bescheidenen Situation der Kirche än- schung mehr oder weniger einig, dass diese ro- derte dieser Wechsel jedoch nichts. In den manische, auf lombardischen Vorbildern beru- Listen des Bistums Lausanne gehört sie im hende Gruppe – zumindest mehrheitlich – im 14. Jahrhundert immer noch zu denjenigen 11. Jahrhundert errichtet worden ist. In Worb Pfarreien, die entweder der untersten Steuer- ergab beispielsweise die dendrochronologi- klasse zugeordnet oder überhaupt von Abga- sche Datierung des Fälljahres eines verwen- ben dispensiert waren.18 Dieselbe bescheidene deten Balkens für die Bauzeit einen terminus Situation zeigen die Visitationen von 1417 und post quem von 1015.12 1453. Die Kirche ist als nullius fere valoris ta- xiert, und die Inspektoren verlangen sowohl 2.2 Das Patronatsrecht an der die Verbesserung der liturgischen Einrichtun- Kirche Leissigen gen als auch die Reparatur des Gebäudes.19 So soll ein verschliessbares Wandtabernakel ge- Leissigen gehörte zum Bistum Lausanne, ist schaffen und mit einem ewigen Licht verse- aber im Kartular von 1228 nicht aufgeführt, hen, der Taufstein mit einer Abdeckung aus- obschon das Bestehen einer Kirche zu die- gestattet, ein lavatorium für die liturgischen ser Zeit vermutet werden darf. Erst im Rodel Waschungen erstellt, die Reliquien beschrif- der Kreuzzugssteuer von 1275 ist die Abgabe tet und eine Monstranz angeschafft werden. des Pfarrers von Leissigen vermerkt, womit Im Friedhof sind vier Kreuze zu errichten und die Kirche erstmals aktenkundig ist, wenn dessen Umfriedung auszubessern. Ebenfalls auch nur indirekt.13 Der nach den finanziel- sei das Dach der Kirche und des Turms zu er- len Möglichkeiten des Pfarrers bemessene Bei- neuern. trag von 8 Schilling ist im Vergleich mit an- deren Pfarrkirchen recht bescheiden und wird Mit der Aufhebung der Klöster und Stifte im in der Gegend nur noch von Einigen unterbo- Lauf der 1528 eingeführten fiel ten, das aufgrund der wirtschaftlich schwie- das Patronatsrecht und damit die Verwaltung rigen Situation des Pfarrers von der Steuer des Chores an den Stand Bern. 1897 wurde dispensiert war. Das Patrozinium der Kirche dieses schliesslich der aufgrund des Kirchenge- 11 Rutishauser 2 1982, 31–75. scheint unklar zu sein. Andres Moser nennt setzes von 1874 geschaffenen Kirchgemeinde Oswald/Schaefer/Sennhau- für 1285 Johannes den Täufer.14 Spätestens überlassen.20 ser 1966, 24. 12 Publikation in Vorbereitung. ab dem Spätmittelalter war an den Pfarrkir- Dendrochronologische Un- chen die Unterhaltspflicht in der Regel auf 2.3 Zur Baugeschichte tersuchung durch: LRD, La- zwei Partner aufgeteilt. Dem Inhaber des Pa- boratoire romand de den- drochronologie, Moudon, tronatsrechtes, dem Patronatsherr (Besitzer des Für den Gemeindeteil, das Laienschiff bzw. Rapport LRD 4/R1246 vom Kirchensatzes, Kollator), oblag die Sorge für das Schiff, fehlt die Rechnungsführung nicht 7. März 1984. LRD, Labo- ratoire romand de dendro- die Chorzone und die Entlöhnung des Pfar- nur für das Mittelalter, sondern auch für die chronologie, Moudon, Rap- rers. Für den Unterhalt des Laienschiffes hatte Neuzeit. Auch die Verbuchung der Ausgaben port LRD 03/R5379T vom hingegen das Gemeinwesen aufzukommen. für den Unterhalt des Chores sowie der freiwil- 27. Januar 2003. 13 FRB III, Nr. 409, 393. In Leissigen waren am Ende des 13. Jahrhun- ligen Beiträge an das Gemeinwesen erscheinen 14 Moser 1958, 35. derts die Freiherren von Strättligen und Her- in den Dokumenten erst einige Zeit nach dem 15 FRB 111, Nr. 496, 485. 16 FRB IV, Nr. 173, 203 f. ren von Spiez Inhaber des Patronatsrechtes. Übergang des Patronatsrechtes an Bern. So ist 17 FRB IV, Nr. 462, 487. So verpfändet Junker Heinrich 1289 alle zur in den Büchern der Vogtei ein dies- 18 FRB V, Nr. 443, 487, VIII, Burg Spiez gehörenden Besitzungen seinem bezüglicher Aufwand erstmals 1596/97 no- Nr. 1084, 412. 19 Tüscher 1900, 38. Fetsche- Oheim Junker Rudolf Kiener, nimmt aber da- tiert, als Arbeiten an den Fenstern bezahlt wer- rin 1848, 276–277. von unter anderem den Kirchensatz von Spiez den mussten.21 1604/05 beteiligte sich Bern an 20 Staatsarchiv Bern (StAB): 15 Akten Hochbau, Dossier In- und denjenigen von Leissigen aus. 1304 ist den Kosten für die Erneuerung des Dachstuh- terlaken/Leissigen. Protokoll in den Dokumenten mit Heinrich ein weiterer les auf dem Kirchturm. Dafür bestand eigent- des Regierungsrates 1897, Vertreter dieses Geschlechts als Patronatsherr lich keine rechtliche Auflage, doch betont der Nr. 1516. 21 StAB: Amtsrechnung In- 16 angeführt. 1312 schenken die drei Brüder Landvogt in seiner Bittschrift, die er zu Guns- terlaken 1596/97 (B VII, Johannes, Heinrich und Ulrich den Kirchen- ten einer «Subvention» an den Rat zu Bern rich- 1418), 691. 22 StAB: Ämterbuch Interlaken satz von Leissigen dem Augustiner-Chorher- tet, die schwierige finanzielle Lage der für die B, 683, 687 f. Ratsmanuale renstift von Interlaken.17 Arbeiten verantwortlichen Kirchgenossen.22 Nr. 10, 252. 14

1663/64 wurde ein Abendmahltisch, ein De- ein Strebepfeiler, muss erneuert und auch die ckel auf das Taufbecken und ein Lesepult an- Friedhofsmauer auf den alten Fundamenten geschafft, dies auf Kosten Berns, das als Kol- neu aufgeführt werden. Schiff und Chor sol- lator dafür zuständig war.23 1666/67 wurden len einen neuen Dachstuhl erhalten, der die von den Kirchgenossen Arbeiten im Schiff alten Mauern des Schiffes besser zusammen- ausgeführt, was den Landvogt veranlasste, die- hält. Das Dach der Kirche war damals noch sen wegen ihrer weiterhin schwierigen Situa- mit Schindeln gedeckt. Alle Fassaden sind tion als Beitrag eine Bibel zu schenken.24 neu zu verputzen. Die Gemeinde ist angehal- ten, pro Arbeitstag sechs Mann zu stellen und Aus demselben Grund übernahm Bern 1675 alles benötigte Holz auf den Platz zu liefern. die gesamten Kosten für den geplanten Um- Die Arbeiten wurden von Abraham I Dünz, bau der Kirche, «obwolen den Gemeinden oder Werkmeister am Berner Münster, geplant und Kilchhörinen obligen soll, die nöthige Erbesserun- überwacht.28 1675/76 spendete der Rat des gen der Gebäüw Ihrer Kirchen über sich zune- Standes Bern sowie verschiedene Amtsträger men und ohne Entgeltnus des Standes zuverle- für die Fenster des neuen Chores sechs Wap- gen.»25 Diese Bemerkung bezog sich natürlich penscheiben.29 In der Folge beschränkte sich nur auf das Schiff, kam doch der Rat zu Bern der Unterhalt auf die Ausbesserung des Chor- der Unterhaltspflicht an den von ihm verwal- und Turmdachs und die Anschaffung einer teten Kirchenchören in der Regel gewissenhaft Bank um den Taufstein. Für Reparaturen am nach. Anlass dazu soll ein – in den uns zugäng- Turm und für neue Glocken richtete Bern hin- lichen Quellen nicht erwähnter – Brand gebo- gegen weiterhin freiwillige Beiträge aus.30 ten haben, worauf Landvogt Gerhard Rohr den Auftrag erhielt, das Gebäude in Stand zu Nach der Schaffung des Kantons oblag es die- setzen.26 Von diesem hat sich in der heutigen sem als Rechtsnachfolger des Standes Bern, die Kirche eine 1671 gespendete Wappenscheibe Unterhaltskosten des Chores zu tragen. Unter erhalten. Die Auftragsvergabe der 1675 beab- anderem bezahlte er 1865/66 die Restaurie- sichtigten Arbeiten beschreibt das Projekt.27 So rung des Chores und 1892 die Reparatur der sollen das ehemalige Altarhaus und die chorsei- Chordecke.31 Freiwillige Beiträge gingen 1834 tige Giebelmauer des Schiffes abgebrochen und an die Gemeinde zu Gunsten des Einbaues ei- durch einen neuen Ostabschluss ersetzt wer- ner Orgel, die im Chor platziert wurde. Für den, dessen Grundriss nicht präzisiert wird. deren Werk musste die Ostmauer durchbro- Das neue Chor und das alte Schiff erhalten je chen und mit einem Annex versehen werden.32 drei rundbogige Fenster sowie einen Steinplat- 1840 ging hingegen der Anbau eines Unterwei- tenboden. Ebenso ist die Türe zu erhöhen und sungslokals an die Westfassade sowie 1859 die mit einem Bogen zu decken. Ein Pfeiler, wohl Anschaffung einer neuen Turmuhr vollständig zu Lasten der Gemeinde.33 Mit dem Übergang des Chores an die Kirchgemeinde im Jahr 1897 23 StAB: Amtsrechnung Interlaken 1663/64 (B VII, 1484), 38. verschwinden die das Chor der Leissiger Kirche 24 StAB: Amtsrechnung Interlaken 1666/67 (B VII, 1484), 234. 25 StAB: Vennermanual Nr. 26 (B VII, 57), 185. betreffenden Kosten aus der Staatsrechnung. 26 Lutz 1992, 8 f. (als Baujahr gibt Lutz irrtümlich 1615 an). Die letzte Zahlung von 150 Fr. wurde 1896 27 StAB: Bau- und Reparationenbuch I (B X, 6), 12–14. Vennermanual Nr. 26 (B VII, 57), 148. 28 StAB: Vennermanual Nr. 26 (B VII, 57), 185. Speich 1984, 205. Zesiger 1921, 30 f. für die Instandsetzung des Chores entrichtet, 29 StAB: Amtsrechnung Interlaken 1676/77, 948. gleichzeitig mit dem für die Übernahme des 30 Bank um den Taufstein: StAB: Amtsrechnung Interlaken 1678/79 (B VII, 1484), 1083. Neue Unterhalts ausbezahlten Betrag von 1200 Fr.34 Glocken: StAB: Amtsrechnung Interlaken 1718/19 (B VII, 1487), 145. Vennermanual Nr. 66 (B VII, 97), 356. Umgiessen einer Glocke: StAB: Amtsrechnung Interlaken 1747 (B VII, 1489), Von der ebenfalls 1896 vorgenommenen An- 321. Ausbesserung des Chordachs: StAB: Amtsrechnung Interlaken 1753 (B VII, 1490), 48. schaffung eines neuen Geläutes erfahren wir Amtsrechnung Interlaken 1762 (B VII, 1491), 608. Ausbesserung des Turmdachs: StAB: Amts- 35 rechnung Interlaken 1753 (B VII, 1490), 64. nur aus einer privaten Notiz. Von diesem 31 StAB: Akten Hochbau, Dossier Interlaken/Leissigen. Zeitpunkt an musste sich die Kirchgemeinde 32 StAB: Manual des Regierungsrates Nr. 20, 29. Gugger 1978, 355 f. um das ganze Gebäude kümmern. 1904 wurde 33 Anbau: StAB: Manual des Regierungsrates Nr. 78, 1. Turmuhr: StAB: Manual des Regierungsra- 36 tes Nr. 201, 12. die Orgel erweitert. 1948 erfolgte die letzte 34 StAB: Akten Hochbau, Dossier Interlaken/Leissigen. Protokoll des Regierungsrates 1897, Nr. 1516. Restaurierung vor derjenigen von 1973/74, die 35 StAB: Notiz von Prof. K. Guggisberg in seinen Materialien betr. Leissigen. 36 Gugger 1978, 356. Anlass zu den im Folgenden vorgestellten ar- 37 Restaurierung von 1948: StAB: Notiz von Prof. K. Guggisberg in seinen Materialien betr. Leissigen. chäologischen Forschungen gab.37 Leissigen, Kirche 15

3. Die Ergebnisse der Baufor- Gemessene Länge des Raumes: 10,20 m schungen Koeffizient des «Goldenen Schnittes»: 0,618 Errechnete Länge des Schiffes: 6,30 m Gemessene Länge des Schiffes: 6,60 m 3.1 Die frühmittelalterlichen Koeffizient des «Goldenen Schnittes»: 0,618 Kirchen Errechnete Tiefe des Altarraums: 3,90 m Gemessene Tiefe des Altarraums: 3,60 m 3.1.1 Die erste am Mauerbestand erkennbare Kirche Die Westmauer des Saales (1) liegt ungefähr 5 m östlich der Westmauer des heutigen39 Kir- Am aufgedeckten Mauerbestand kann der chenraums. Davon sind grössere und kleinere Grundriss einer ersten Kirche abgelesen Mauerfragmente sowie die geleerte Funda- werden (Abb. 3 und 4). Es handelt sich um mentgrube erhalten. Der Verband zu den von eine Saalkirche mit stark gedrücktem, bei- jüngerem Mauerwerk übernommenen Seiten- nahe quadratischem Schiff und um Mauer- mauern des Schiffes ist zur Nordmauer (2) hin stärke eingezogenem, querrechteckigem Al- einigermassen schlüssig zu erkennen. Die Süd- 38 Die Masse verstehen sich be- züglich der noch erhaltenen tarhaus. Das Schiff mass im Lichten ca. mauer (3) ist hingegen von der Westmauer ge- Fundamente. Da die auf- 5,60 × 6,60 m (Abb. 5).38 Der Altarraum war trennt, kann jedoch aufgrund des verwendeten gehenden Mauern zumeist weniger stark waren, muss mit 4,40 × 2,90 m querrechteckig. Von der identischen Steinmaterials derselben Bauphase der lichte Raum etwas grös- Westflucht des Chorbogens gemessen betrug zugeschrieben werden. Dieses unterscheidet es ser gewesen sein. Dies ist im die Tiefe 3,60 m. Daraus ergibt sich eine lichte ebenfalls deutlich vom darauf stehenden jün- Folgenden für alle aufgrund der Fundamente ermittelten Gesamtlänge des Raumes von 10,20 m. Diese geren, romanischen Mauerwerk (12, 14). Bei- Masse der Fall. verhält sich zur Länge des Schiffes und zur derseits ist hingegen nicht nur der Verband 39 Mit «heute» bezeichnen wir den Zustand der Kirche Tiefe des Altarraums annähernd in den Pro- zwischen den Seitenmauern des Schiffes und vor der Restaurierung von portionen des «Goldenen Schnittes». denjenigen (6, 7) des Altarhauses vorhanden, 1973/74.

2 1 4 6

8

1 5 7 3

0 5m N Abb. 3: Leissigen. Kirche des 9./10. Jahrhunderts. Bestand. M 1:150. 16

Abb. 4: Leissigen. Das un- terste Grabungsniveau von Westen.

nen, die in der untersten Lage trocken, ab der zweiten in einem braunen grobsandigen Kalk- mörtel verlegt sind (Abb. 6). Weder Überreste des Fussbodens noch der Ausstattung sind er- halten geblieben. Sie verschwanden wohl bei der Planierung des zum See hin geneigten Geländes, als für die grössere Nachfolgeran- lage eine grössere Baufläche geschaffen wer- den musste.

0 5m N 3.1.2 Die Bestattungen: Nachweis einer älteren Kirche? Abb. 5: Leissigen. Kirche des sondern auch zu den beiden 1,10 bzw. 1,40 m 9./10. Jahrhunderts. Rekons- langen Fundamenten (4, 5) des eingezogenen Insgesamt wurden elf Bestattungen aufgedeckt truierter Grundriss. M 1:300. Chorbogens. Mit den Seitenmauern des Al- (Grab 1–11).40 Erst während der anthropolo- tarhauses dürfte auch das gerade Chorhaupt gischen Untersuchung wurden zusätzlich die (8) verbunden sein, das unter dem erhalte- Knochen eines Neugeborenen festgestellt, die nen Bestand der Apsis (9) der Nachfolgeran- mit den Skelettresten aus Grab 2 vermischt wa- 40 Die Nummerierung der Gräber gibt nicht die Chro- lage und der 1675 errichteten Ostmauer liegt. ren. In Bezug auf die Lage zur ersten am Mau- nologie der Bestattungen Das bis zu 0,75 m starke Mauerwerk hat sich erbestand erkennbaren Kirche fällt auf, dass wieder. Zu den C14-Daten von Grab 1 und 8 vgl. den in der Höhe von ein bis vier Lagen erhalten. neun Bestattungen (Grab 1–8, 11) im Bereich Nachtrag Kap. 3.6. Es besteht aus Kiesel-, Bruch- und Lesestei- des Schiffes, zwei (Grab 9, 10) hingegen west- Leissigen, Kirche 17

lich der Westmauer (1) und damit ausserhalb vollständig verschwunden sind. Für die bei- davon liegen (Abb. 4, Abb. 7. Vgl. auch Grab- den Gräber (Grab 9, 10) westseitig der ersten zeichnung im Vorwort). Die Gruppe von neun erkennbaren Kirche bestehen noch andere In- Gräbern erinnert an Innenbestattungen, wie terpretationsmöglichkeiten, doch ist an dieser sie in frühmittelalterlichen Kirchen des Kan- Stelle am ehesten mit Bestattungen zu rech- tons Bern schon an verschiedenen Orten fest- nen, die im Friedhof ausserhalb des Kirchen- gestellt worden sind. Man vermutet, dass dort raums lagen. Allerdings würde man dort ei- vor allem der Gründer der Kirche und seine gentlich mit einer grösseren Zahl von Gräbern Angehörigen ihre letzte Ruhe gefunden haben rechnen. Weitere Bestattungen könnten aber («Stiftergräber»). Nun ist aber in Leissigen das bei der erwähnten Planierung des Geländes Grab 1 von der Südmauer (3) der ersten er- kennbaren Kirche durchschnitten. Die sonst Abb. 6: Leissigen. Kirche des recht gerade Flucht des Fundamentes baucht 9./10. Jahrhunderts. Das Fun- dament der eingezogenen in seinem Bereich zudem aus und muss in die nördlichen Chormauer (4) lockere Füllung der Grabgrube eingetieft wor- von Südwesten. den sein. Es ist folglich ein Grab vorhanden, das eindeutig älter als die erste am Mauerbe- stand erkennbare Kirche ist. Es stellt sich vor- erst die Frage, ob es sich um eine einzelne Aus- nahme handelt oder ob alle oder zumindest einige der übrigen Gräber ebenfalls vorher an- gelegt und erst später überbaut worden sind. Dann ist abzuklären, ob es sich dabei um vor- kirchliche Bestattungen handelte oder ob sie zu einer älteren Kirche gehörten, deren Spuren

Abb. 7: Leissigen. Die Bestat- tungen (Grab 1–11). M 1:150.

G4 G6 G9 G10 G8 G5

G2 G11

G7 G3

G1

0 5m N 18

entfernt worden sein. Wir unterscheiden je- mentes (27) teils entfernt worden sind, deu- denfalls die innerhalb der ersten erkennbaren tet die Anordnung des einzigen noch erhalte- Kirche gelegene Grabgruppe von den ausser- nen Beines hingegen auf die Lage des Schädels halb davon angeordneten Gräbern 9 und 10 an der Nordseite der Grube hin. Die Gräber 5 und berücksichtigen diese in den folgenden und 7 können sich ursprünglich knapp überla- Betrachtungen nicht mehr. gert haben. Die vier ungestörten Skelette 2, 3, 4 und 6 besitzen eine Eigenheit, die in den bis- Stratigrafische Bezüge fehlen, die eine genau- her von uns erforschten Kirchen des Kantons ere Chronologie der Bestattungsfolge der neun Bern an allen nachweislich frühmittelalterli- verbleibenden Gräber erlaubt hätten. Aufgrund chen Bestattungen vorhanden ist: Die Arme des mehr oder weniger gleichen Niveaus, auf liegen parallel neben dem Körper (Abb. 8 und dem sich die Sohlen der Grabgruben befin- 9). In Grab 6 ruht zusätzlich die rechte, in den, könnten zumindest die Gräber 1 bis 7 von Grab 4 die linke Hand auf dem Becken. Das demselben Bestattungshorizont aus angelegt Grab 3 unterscheidet sich insofern davon, als worden sein. Sie erwecken den Eindruck einer beide Hände auf das Becken gebettet sind. zeitlich nahe entstandenen Gruppe. Grab 8, Auch der einzige noch erhaltenen Arm der bei- das ein Kinderskelett enthält, liegt zwar höher, den gestörten Skelette 1 und 8 ist gestreckt. Ab kann jedoch ebenfalls dazu gehören. Die im der Zeit um die erste Jahrtausendwende wur- Verhältnis zu den Erwachsenengräbern höhere den die Arme der Verstorbenen hingegen ver- Lage ist nämlich für Kinder durchaus üblich, mehrt, schliesslich in der grossen Mehrheit auf sodass Grab 8 vom selben Bestattungsniveau den Körper gebettet.41 Die Bestattungssitte der aus eingetieft worden sein kann. Grab 11, in gestreckten Armlage weist daher die Grablege dem sich nur noch Becken- und Beinknochen der Leissiger Gruppe ins Frühmittelalter. Da- erhalten haben, dürfte hingegen jünger sein, mals war auch die nicht geostete und damit da seine Grabgrube schon auf einem höherem nicht auf den Altarraum bezogene Ausrich- Grabungsniveau festgestellt wurde. Dasselbe tung der Gräber häufiger als später. trifft für die grabähnliche Grube zu, die west- seitig ohne Unterbruch an die Grabgrube 11 Die Verteilung der Gräber scheint sich einem anschliesst. Obschon dort kein Skelett vor- viereckigen Grundriss einzuordnen und er- handen ist, handelt es sich vielleicht um ein weckt den Eindruck, die Verstorbenen seien in weiteres Grab, dessen Gebeine zu unbekann- einem Raum begraben worden. Auf dem Kir- tem Zeitpunkt gehoben worden sind. Damals chplatz von Leissigen drängt es sich auf, dies- kann auch der fehlende Oberkörper des Ske- bezüglich an das Schiff einer Kirche zu den- lettes 11 verschwunden sein. Dieses Grab und ken. Aufgrund der Anordnung der Gräber auf die leere Grube liegen auf der mittleren Längs- einer begrenzten Fläche und der geringen Be- achse des Kirchenschiffs, wo besonders nach stattungsdichte darf jedenfalls ausgeschlossen der Reformation zwischen den Bankreihen, im werden, die Gräber hätten zum Friedhof ei- Mittelgang, bestattet wurde. ner Kirche gehört, die ausserhalb des heutigen Gebäudes stand und daher im Grabungsbe- Wir schliessen daher auch die Bestattung 11 fund gar nicht zum Vorschein gekommen ist. von der uns interessierenden Grabgruppe aus, Die archäologischen Forschungen in den Kir- sodass diese noch acht Gräber (Grab 1–8) um- chen von Meikirch und Seeberg zeigen jedoch, fasst. Davon sind fünf (Grab 1–4, 6) nach der dass sich in Grabgruppen, die sich scheinbar Längsachse der Kirche ausgerichtet und damit im Kirchenraum befinden, vorkirchliche Grä- geostet. Die Körper wurden mit dem Kopf an ber mit Innenbestattungen mischen können.42 41 Eggenberger/Ulrich-Bochs- ler/Schäublin 1983. der westseitigen Wand in die Grube gebettet. Auch aufgrund anderer Ausgrabungen wissen 42 Meikirch: Boschetti-Ma- Die Gräber 5, 7 und 8 liegen hingegen quer wir, dass erste Kirchenbauten gelegentlich auf radi/Eggenberger/Rast-Ei- zur Längsachse. Der Kopf des Skelettes 8 ist bestehenden Bestattungsplätzen errichtet und cher 2004. Eggenberger/Bo- schetti-Maradi/Schmutz südseitig angeordnet, wie dies ehemals auch ältere Gräber – bisweilen sicherlich bewusst – 2004. Seeberg: Publika- bei der stark gestörten Bestattung 5 der Fall überbaut worden sind. So sind weitere Beispiele tion in Vorbereitung, bis da- hin: Eggenberger/Gutscher gewesen sein muss. In Grab 7, dessen Gebeine aus aus Lüsslingen SO, Messen SO, Baar ZG 2000. später beim Eintiefen eines Taufsteinfunda- und Hettlingen ZH, Hitzkirch LU – hier in Leissigen, Kirche 19

Wiederverwendung von römischem Bestand – und Altishofen LU bekannt.43 Vorkirchliche Friedhöfe unterscheiden sich indessen im Gra- bungsbefund im Allgemeinen von Innenbe- stattungen durch verschiedene Kriterien. Un- ter anderen müssen sie sich nicht unbedingt in eine begrenzte Fläche einordnen, sondern belegen in gestreuter Lage oft einen grösseren Bereich. Allerdings legte man frühmittelalter- liche, vorkirchliche Bestattungsplätze biswei- len in aufgegebenen römischen Gebäuden an, was aufgrund begrenzender Mauern zu einer geordneteren Gruppierung führen konnte. In beiden Fällen sind ältere Gräber aber oft von den Fundamenten der ersten Kirche gestört, wie dies in Leissigen für das Grab 1 der Fall ist. Derselbe Befund entstand jedoch auch, wenn eine Kirche und ihre Bestattungen mit einer grösseren Anlage überbaut wurden.

In Leissigen weist die Verteilung der Gräber zwar auf die Bestattung in einem Raum hin, doch sind vor Ort weder Spuren von Mauern eines römischen Gebäudes oder eines frühmit- telalterlichen Grabbaus noch entsprechendes Fundmaterial festzustellen. Daher ziehen wir Doch konnten nicht nur Pfostengruben und Abb. 8: Leissigen. Grab 2, An- die Möglichkeit vor, die Grabgruppe habe in Unterlagsteine für Holzschwellen, sondern sicht von Süden. einem Kirchenraum gelegen, wo sie sich wie auch schwächere Mauern bei deckungsglei- Abb. 9: Leissigen. Grab 4, An- üblich auf das Schiff beschränkte. Der Grund- cher Übernahme des Grundrisses spurlos ver- sicht von Süden. riss dieses vermutlichen Kirchenbaus, dessen schwinden. Die Gräbergruppe kennzeichnet Spuren vollständig verschwunden sind, muss daher nur den Standort der möglichen Grün- demjenigen des Schiffes der ersten durch Mau- dungskirche (vgl. Abb. 7). ern bekannten Anlage ungefähr entsprochen haben. Dieser ordnen wir keines der Grä- 3.1.3 Interpretation und Datierung ber zu, obschon diese Annahme am Bestand selbst nicht zweifelsfrei abgestützt ist. Dafür Der Ortsname Leissigen deutet auf eine früh- 43 Altishofen LU Erzinger spricht aber nicht nur die gleiche Bestattungs- mittelalterliche Besiedlung hin und zwar – wie 1990. Baar ZG: Eggenber- tiefe, sondern auch die höchstens in einem die Endung -igen belegt – durch Angehörige ger 2008, 53–54. Hettlin- gen ZH: Zürcher/Etter/Al- 44 Fall mögliche Überschneidung zweier Gräber der alamannischen Volksgruppe. Diese wan- bertin 1984. Lüsslingen SO: (Grab 5, 7). Die Lage schon bestehender Grab- derten aus ihrem Siedlungsgebiet, das seit der Böhme 1993, 501–503. Hitzkirch LU: Martin 1988. stätten war also im Boden sichtbar und nicht zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts jenseits des Messen SO: Oswald/Schae- durch einen Neubau verwischt, sodass sie bei Hochrheins lag und um 537 unter die Kon- fer/Sennhauser 1966, 240. einer neuen Grablege berücksichtigt werden trolle des Fränkischen Reiches gekommen war, 44 Sonderegger 1979. SPM VI 2005, 63–81. konnte. Mit diesem älteren Sakralbau dürfte in das – damals bevölkerungsarme – Gebiet 45 Zur Übergangszeit von der die Gründungskirche von Leissigen bestimmt zwischen Hochrhein und Aare ein.45 Sie er- Antike (Römisches Reich) zum Frühmittelalter des sein. Ob es sich dabei um einen Holzpfosten- reichten das obere Aare-Tal schon am Ende heute schweizerischen Ge- bzw. Holzschwellenbau oder ein gemauertes des 6. Jahrhunderts. Um die Alamannen zu bietes: De l’antiquité tardive Gebäude gehandelt hat, bleibt offen. Dahin- befrieden, die sich dem Fränkischen Reich au haut Moyen-Age 2002. Eggenberger/Gutscher/Bo- gehend hilft auch die Tatsache nicht, dass der nur widerstrebend unterordneten, entschie- schetti 2002. Furger/Jäggi/ Grundriss von Holzbauten oft von der nachfol- den sich dessen Könige schliesslich nicht für Martin/Windler 1996. Meier 2002. SPM VI 2005. genden Steinkirche übernommen worden ist, die Gewalt, sondern für die allmähliche kultu- «Villes et villages. Tombes et was in Leissigen durchaus der Fall sein könnte. relle Eingliederung. Dazu bot sich besonders églises» 2002. Windler 1997. 20

die Christianisierung dieser immer noch heid- zugeben.48 Auch die Absenz von Steinkisten, nischen Volksgruppe an. So kam es unter För- wie sie vom 5. bis ins 8. Jahrhundert in den derung der fränkischen Verwaltung im frühen christianisierten Gebieten des ehemaligen Rö- 7. Jahrhundert zur Gründung des Bischofs- mischen Reiches weit verbreitet gebräuchlich sitzes von Konstanz. Dessen Einzugsgebiet waren, deutet darauf hin. Anderseits zeigt die reichte in seiner endgültigen Form vom Main – mutmassliche – Innenbestattung, dass die bis zur Aare und umfasste den Grossteil des Kirche noch vor oder nur kurze Zeit nach dem alamannischen Siedlungsgebietes. Verbot der Grablege im Kirchenraum entstan- den sein dürfte, das – auf Betreiben der Kir- Trotz dieser Prämisse bildet es ein heikles Un- che – ab 789 mit Unterstützung des karolin- terfangen, aus den dünnen archäologischen gischen Königshauses durchgesetzt wurde.49 Dokumenten auf die Herkunft der Grün- Tatsächlich bestätigte die archäologische For- der der Leissiger Kirche zu schliessen. Da der schung vielfach, dass die Innenbestattung in Ortsname auf alamannische Siedler hinweist, der Folge vollständig aufhörte und erst wie- muss indessen die Gründung durch diese in der im 13./14. Jahrhundert einsetzte.50 Un- Erwägung gezogen werden. Darauf deutet zu- ter diesen Voraussetzungen ist mit dem Bau sätzlich das Merkmal der gestreckten Armlage der ersten Kirche von Leissigen zwischen dem hin, mit der die in den acht Gräbern liegenden ausgehenden 7. und dem beginnenden 9. Jahr- Verstorbenen begraben worden sind. Es domi- hundert zu rechnen. niert in alamannischen Gräberfeldern diesseits und jenseits des Hochrheins derart, dass diese Da der Grundriss unserer «Phantomkirche» Bestattungssitte – zumindest in unserer Ge- unbekannt bleibt, erübrigt sich der Vergleich gend – als spezifisch alamannisch gelten darf. aufgrund des Grundrisstyps. Wir wollen an Zwar kommen im romanischen Gebiet – so in dieser Stelle diesbezüglich auch nicht umfas- der heutigen Westschweiz – neben frühmit- send auf die übrigen, um den Thunersee bisher telalterlichen Gräbern mit auf den Körper ge- archäologisch erforschten Gründungskirchen betteten Armen auch solche mit gestreckten eingehen. Bildeten diese mehrheitlich Saal- Armen vor, doch ist hinsichtlich der alaman- kirchen mit eingezogener Apsis, so kamen in nischen Gräberfelder und der Kirchenbestat- Spiez und Wimmis erste Kirchenbauten mit tung, soweit sie sich im oberen Aare-Raum im kreuzförmigem Grundriss zum Vorschein.51 Bereich des rechten Ufers des Flusses darstellt, Trotz der anderorts früheren Datierung die- die weitgehende Ausschliesslichkeit zu beto- ses Kirchentyps bleibt deren Gründungszeit je- nen.46 Im Gegensatz zu anderen Orten, wo die doch vorderhand offen. In Spiez trägt jeden- Morphologie der in den Kirchen Bestatteten falls das Grab mit Beigaben, das neben der ihre Parallele im süddeutschen Raum findet, Kirche entdeckt worden ist, diesbezüglich zur ist sie in Leissigen heterogen, deutet jedoch Klärung nicht zweifelsfrei bei. Es ist nämlich teilweise auf romanische Typen hin.47 Dies nicht klar, ob es in direktem Zusammenhang steht zwar im Widerspruch zur mehrheitlich mit der Kirche steht und als «Stiftergrab» be- tendenziell alamannisch beeinflussten Bestat- zeichnet werden darf. Wie erwähnt, wurden tungssitte der gestreckten Arme – wenn wir in der jüngsten Zeit um und in Kirchen häu- 46 Eggenberger/Ulrich-Bochs- ler/Schäublin 1983. dies überhaupt als verbindliches Merkmal an- figer vorkirchliche Bestattungen festgestellt. 47 Siehe dazu den Teil B. erkennen –, doch können diesbezügliche Bräu- Zudem ist auch die Lage des Grabes, das mit 48 Martin 1979. SPM VI 2005, che von der ansässigen Bevölkerung übernom- dem «Stifter» eine bedeutende Persönlichkeit 145–180. 49 Eggenberger/Descœudres men worden sein. enthalten hätte, neben und nicht in der Kir- 1992. Hassenpflug 1999. che erklärungsbedürftig, war doch die privi- Himmel, Hölle, Fegefeuer 1994. Hofmeister 1931, Die Präzisierung der Gründungszeit lässt sich legierte Bestattung im Kirchenraum bis ins 458–459. Kötting 1965. ebenfalls der Bestattungssitte entnehmen. Ei- 8. Jahrhundert weit verbreitet und umfasste 50 Eggenberger/Ulrich-Bochs- nerseits weisen die beigabenlosen Gräber auf sicherlich vor allem Personen bedeutender ge- ler/Schäublin 1983. 51 Spiez, Wimmis: Oswald/ die Grablege nicht vor dem ausgehenden 7./be- sellschaftlicher Stellung. Das Grab könnte äl- Schaefer/Sennhauser 1966, ginnenden 8. Jahrhundert hin, als der Brauch ter sein, sodass die Datierung der Beigaben 318, 376–377. Spiez: Haller 1974. Wimmis: Stähli-Lüthi aufgegeben worden ist, den Verstorbenen Ge- zu derjenigen der ersten Kirche ohne genau- 1982. genstände ihrer Tracht und ihre Waffen mit- ere archäologische Abklärung nicht als termi- Leissigen, Kirche 21

nus ad quem in Anspruch genommen werden 3.2 Die Saalkirche mit eingezoge- darf. Sie kann vorderhand ebenso schlüssig ner Apsis des 11. Jahrhunderts den terminus post quem bilden. Dasselbe gilt 1 1 im Prinzip auch für das Grab mit Beigaben, Die Anlage mit Rechteckchor des 9./10. Jahr- das sich in der Kirche Einigen in einem als Ar- hunderts wurde vollständig abgebrochen und kosolium ausgebildeten Anbau befunden hat, durch eine Saalkirche mit eingezogener Ap- doch ist die Fundlage dort enger mit der Kir- sis ersetzt (Abb. 4 und 11). Wie die Erhal- che verbunden. Es ist jedoch vorläufig nicht tungshöhe der abgetragenen Mauern zeigt, zweifelsfrei bewiesen, ob das Grab – wie all- ist das Gelände stark abplaniert worden, um gemein angenommen wird – wirklich zur ers- im Gelände, das sich zum See hin senkt, für 2 2 ten Kirche gehörte. Es kann nämlich vorher den grösseren Neubau ein einigermassen ebe- entstanden und erst nachträglich in die jün- nes Bauniveau zu schaffen. Zwar war der neue gere Kirche einbezogen worden sein, wie zum Kirchenraum nur um Mauerstärke breiter, je- Beispiel das Arkosolgrab in der ehemals St. Jo- doch nach Westen um 5 m länger. An das hann geweihten Kirche in Lyss.52 im Lichten 7,20 × 12,40 m messende Schiff schloss ostseitig die um Mauerstärke eingezo- 3 3 Bei der eingangs beschriebenen, ersten am gene und mit 0,30 m nur wenig gestelzte Apsis Mauerbestand erkennbaren Anlage dürfte es an. Deren lichter Radius mass 2,70 m, sodass sich um die zweite Leissiger Kirche handeln. die Tiefe des Altarhauses 3 m erreichte. Frühmittelalterliche Kirchen mit gedrunge- nem Schiff sind nicht ungewöhnlich, doch Obschon das aufgehende Mauerwerk nicht ist uns im Kanton Bern ein gemauertes Bei- grossflächig untersucht worden ist, darf ange- 4 4 spiel mit eingezogenem Vierreckchor nur aus nommen werden, die Nord-, West- und Süd- dem Gebiet jenseits der Aare, aus Bleienbach, mauern (12, 13, 14) des heutigen Schiffes gin- bekannt. Da diesem eine Holzpfostenkirche gen noch grossenteils auf die Bauzeit dieser 0 10m mit ebenfalls gedrungenem Grundriss voraus- Apsisanlage zurück. So brachten Sondierun- ging, kann es ins 9., spätestens ins beginnende gen im Verputz die äussere Ecke zwischen der 10. Jahrhundert datiert werden (Abb. 10).53 Nordmauer (12) und der nördlichen Schul- Abb. 10: Leissigen. Kirche Dies war auch für die Holzkirche in Wengi termauer (10) zum Vorschein, die das brei- des 9./10. Jahrhunderts. Ver- gleichsbeispiele im Kanton der Fall, wo die gemauerte Nachfolgeranlage tere Schiff mit der schmaleren Apsis verband Bern. M 1:500. 1 Bleienbach, zwar ein ebenso kurzes Schiff, jedoch kein (Abb. 12). Die Eckverbände setzen sich aus Holzkirche. 2 Bleienbach, Viereckchor, sondern eine eingezogene Apsis grossen, regelmässig geschnittenen Bruchstei- erste Steinkirche. 3 Wengi, Holzkirche. 4 Leissigen. besass.54 Die gleichartigen Kirchentypen von nen zusammen. Ansonsten sind Bruchsteine Flums SG, Lützelau SZ und Oberwil BL so- und teils hammergerecht zugeschrotete Kiesel wie der Friedhofskirche St. Peter und Paul in lagenhaft in einem – soweit dies auf den Fo- Solothurn werden hingegen in das 7./8. Jahr- tos zu erkennen ist – grauen Kalkmörtel ver- hundert datiert, doch entstanden sie in einem setzt (Abb. 13). Kleinere Steine sind hoch- unterschiedlichen historischen Kontext.55 So- kant gestellt. Für das frei aufgeführte, 0,70 m wohl im rätischen Raum (Flums, Lützelau) starke Mauerwerk wurden die Steine sorgfäl- als auch am Fuss des Juras, auf dem linken tiger ausgewählt als für die Fundamente, um Ufer der Aare (Solothurn), und im alamanni- regelmässige Steinlagen zu erreichen. Zudem schen Siedlungsraum jenseits des Juras (Ober- sind die Fugen mit Mörtel breit überstrichen wil) führte die bewahrte antike Tradition bzw. (pietra rasa). Darauf liegt stellenweise ein de- 52 Sennhauser 1979, 137. 53 Eggenberger/Rast Cotting/ die früher einsetzende Kontrolle der fränki- ckender Verputz unbekannter Zeitstellung. Ulrich-Bochsler 1994, 20– schen Verwaltung auch zu früheren Kirchen- Die äussere südöstliche Ecke des Saales, zwi- 29. 56 54 Publikation in Vorberei- gründungen. In Leissigen ist hingegen für schen Südmauer (14) und südlicher Schulter- tung, bis dahin: Eggenberger die Nachfolgeranlage der Gründungskirche, mauer (11), ist hingegen nur am Fundament 1990. die wegen der erwähnten Argumente zwischen sichtbar, das mit einer Sondierung frei gelegt 55 Sennhauser, Oswald, Scha- efer 1966, 1968 und 1971, dem ausgehenden 7. und dem 9. Jahrhundert worden ist. 77, 187, 243. Sennhauser entstanden sein muss, mit einer Datierung ins 1990, 176. 56 Zu diesen älteren Gründun- 9., spätestens ins beginnende 10. Jahrhundert Von der Apsis hat sich nur noch das 0,90 bis gen: «Villes et villages. Tom- zu rechnen. 0,95 m starke Fundament (9) erhalten. Es bes et églises» 2002. 22

12 18 10

15 17 13 20 20 9 19 16

15 22 21 20 19

14 18 11

Abb. 11: Leissigen. Kirche des 11. Jahrhunderts. Bestand. M 1:150. 0 5m N

Abb. 12: Leissigen. Kirche des 11. Jahrhunderts. Die äus- sere Nordostecke des Schif- fes, zwischen der nördlichen Schultermauer (10) und der Nordmauer (12) des Schiffes. Ansicht von Norden.

Abb. 13: Leissigen. Kirche des 11. Jahrhunderts. Mau- erwerk des nördlichen Tei- les der Apsis (9). Ansicht von Südwesten.

verjüngt sich an der Aussenseite stark nach un- ben als das umgebende Gelände. Das Planbild ten und wurde daher an den Rand einer Grube scheint einen späteren Abbruch und Wieder- gelehnt. Im Gegensatz dazu wurde das Mau- aufbau der Apsis anzudeuten. So suggerieren erwerk innenseitig frei aufgeführt. Das Bauni- an der Nordseite Blendsteine, die über die Aus- veau muss demnach aussen höher gelegen ha- senflucht der Apsis vorstehen (Abb. 13), so- ben als innen. Auch der Boden des beendigten wie an deren südliche Aussenseite angelehnte Kirchenraums dürfte sich tiefer befunden ha- Mauerpartien einen geänderten Grundriss. Leissigen, Kirche 23

Eine sichere Bestätigung ist aber der fotogra- diente wahrscheinlich als Kniebank. In der fischen Dokumentation nicht zu entnehmen, Mitte des bis zu 0,60 m starken Schranken- sodass diese Hypothese offen bleibt. So müs- fundamentes zeigt eine Kalksteinstufe (16) ei- sen die besagten Blendsteine nicht unbedingt nerseits einen 1,10 m weiten Durchgang, an- in situ liegen, und das Mauerwerk, das der derseits im Altarhaus ein erhöhtes Niveau an. Aussenflucht der Apsis folgt, kann zum Fun- Das Mauerwerk der Schranke reicht jedoch dament der Ostmauer des 1675 erbauten Cho- nicht bis zu den Seitenmauern des Schiffes, res gehören, das den Zwickel zwischen Apsis sondern endet 0,70 m davor. An der Nord- Abb. 14: Leissigen. Kirche des und neuem, eckigem Grundriss füllt. seite biegt es gegen die Schultermauer (10) um, 11. Jahrhunderts. Rekonstru- an die sie als 0,40 m starkes Mäuerchen (17) ierter Grundriss. M 1:300. Die Gesamtlänge des Raums betrug 15,40 m (Abb. 14). Sowohl im Laienschiff als auch im Altarraum wurde der Boden durch einen Mörtelestrich (20) auf Steinbett gebildet, wo- von sich jedoch nur noch kleine Fragmente erhalten haben. Eine wenig ins Schiff vorge- zogene Schranke (15) gliederte den Raum in den 11,20 m tiefen Laienteil und das 4,20 m tiefe Chor, das wiederum in das Vorchor von 1,20 m und den Altarraum von 3 m aufge- teilt war (Abb. 15). Ein 0,30 m tiefes Mau- 0 5m N erband (19), dessen Oberfläche mit glatt ge- strichenem Mörtel bedeckt ist, begleitet die Schranke an der Seite zum Schiff hin. Es

Abb. 15: Leissigen. Kirche des 11. Jahrhunderts. Die vor der Apsis (9) gelegene Schranke (15). Ansicht von Westen. 24

anschliesst. An der Südseite ist nur noch die (Abb. 16). Schränke waren an diesen Stellen Aussenflucht des entsprechenden Mäuerchens nicht gebräuchlich, sodass es sich vielleicht um vorhanden. Beiderseitig, jedoch besser erhalten Spuren von schmalen Seitenaltären handelt. auf der Südseite, befindet sich ausserhalb der Diese hätten den zwischen Schranke und Sei- Schranke auf Bodenhöhe ein Mörtelbett (18), tenmauern verbleibenden Raum gefüllt, wo an das Abdrücke darin verlegter Bretter aufweist den Schultermauern tatsächlich vielfach Altäre standen. In Leissigen hätten sie sich ausserhalb Abb. 16: Leissigen. Kirche des der Chorzone befunden und wären somit den 11. Jahrhunderts. Negativ ei- nes Brettes im Mörtelbett (18) Laien, die das Chor im Prinzip nicht betre- südseitig der Schranke (15). ten durften, direkt zugänglich gewesen. Den Hauptaltar stellte man tief in den Altarraum, etwa 0,70 m vor den Apsisscheitel. Vom sti- pes (21) hat sich das 1 m breite Fragment der Ostseite erhalten. Da die Lücke zum westsei- tig liegenden suppedaneum (22) – eine mit ge- glättetem Mörtel bedeckte Steinsetzung – 1 m misst, muss er eine Grundfläche von 1 × 1 m aufgewiesen haben. Auf den Fotos ist zu er- kennen, dass beide mit grauem Kalkmörtel ge- mauert worden sind und daher in der Bauzeit der Apsisanlage entstanden sein können.

Abb. 17: Leissigen. Kirche des 11. Jahrhunderts. Vergleichs- beispiele im Thunerseeraum. M. 1:500.

1 Aeschi 6 2 Einigen 3 Hilterfingen 1 4 Köniz 5 Scherzligen 6 Sigriswil 7 Thierachern 8 Thun 9 Worb 10 Leissigen 2 7

3 8

9 4

0 10m 5 10 Leissigen, Kirche 25

Die Saalkirche mit eingezogener Apsis bildete Abb. 18: Die Kirche von auf dem Kirchplatz von Leissigen wahrschein- Einigen. Ansicht von Nordosten. lich die dritte Anlage. Die gleichmässigen Steinlagen und der – vielleicht wie in Amsol- dingen und Steffisburg vorerst sichtbar ge- bliebene – Pietra rasa-Verputz weisen auf eine Entstehung des qualitätsvollen Mauerwerks in romanischer Zeit hin.57 Die neue Anlage reiht sich unter die «Thunerseekirchen» einfacherer Gestalt ein, die dem Verfasser der «Strättliger Chronik», dem Einiger Pfarrer Elogius Kibur- ger, noch im 15. Jahrhundert als gemeinsame Gruppe vor Augen standen und deren archi- tektonische Ähnlichkeit auf die Bautätigkeit lombardischer Bauleute zurückzuführen ist. In Anlehnung an die in Einigen noch beste- hende Saalkirche mit Apsis und die in Aeschi, Hilterfingen, Leissigen, Scherzligen, Sigriswil, Thierachern und Thun archäologisch ergrabe- nen Kirchenbauten gleichen Grundrisses darf die Bauzeit ins 11. Jahrhundert präzisiert wer- den (Abb. 17, Abb. 18). Wir haben eingangs erwähnt, dass auch die zeitlich entsprechende halb der heutigen Mauerkrone. Auf dem Ni- Kirche von Worb, vielleicht auch diejenige von veau der Baunaht, die es vom darauf liegenden Köniz zu dieser Gruppe zu zählen sind. jüngeren Mauerwerk trennt, haben sich an al- len vier Seiten noch die geschrägten Gewände 3.3 Änderungen in der schmaler Öffnungen erhalten, deren obere Benutzungszeit der Apsisanlage Hälfte jedoch fehlt. Es handelt sich offensicht- lich nicht um Schalllöcher, sondern um klei- 3.3.1 Anbau eines Turmes an die nere Fenster, die das Geschoss erhellten. Das Südseite der Kirche zugehörige Glockengeschoss muss folglich hö- her gelegen haben, aufgrund der gedrungenen Der an der Südseite der Kirche stehende Turm, Höhe des Turmes mindestens um ein bis zwei dessen Glockengeschoss durch einen hölzer- Geschosse. nen Aufbau mit Spitzhelm gebildet ist, wurde 1982 restauriert (vgl. Abb. 2). Da man bei die- Kirchtürme entstanden in unserer Gegend ser Gelegenheit die Fassadenmauern nicht un- vielfach nicht vor dem 13./14. Jahrhundert, tersucht hat, sind wir auf die Beobachtungen besonders – wenn wie in Leissigen – die finan- am innenseitig freiliegenden Mauerwerk ange- zielle Situation des Gemeinwesens bescheiden wiesen. Das Fundament der Ostmauer wurde war. Es sei dahingehend an das Beispiel der 1973/74 hingegen mit einer Sondierung auf- Kirche Steffisburg erinnert, wo der Turm we- gedeckt. gen seiner auf Masken ruhenden Blendbogen und seiner kämpfergestützten Biforien einst als Das Mauerwerk des im Grundriss 4,70 × frühromanisches Paradebeispiel galt. Die den- 4,70 m messenden Turmes setzt sich aus drei drochronologische Datierung eingebundener 57 Zum Mauerbild entspre- chender Kirchen des Thu- Bauphasen zusammen. Auf dem weit vorste- Balken ergab indessen ein Fälljahr des verwen- nerseeraums: Eggenberger/ henden Fundament folgt ein Mauerverband deten Holzes und damit auch der Bauzeit um Ulrich-Bochsler 1994, 32– (23) aus Bruchsteinen, die sorgfältig zuge- 1318/19.58 In Leissigen besitzt das Mauerwerk 36 (Steffisburg). Rutishau- ser 1982, 34–36 (Amsoldin- schnitten und zu regelmässigen Lagen gefügt des Turmes aufgrund der regelmässigen Stein- gen). sind (Abb. 19, Abb. 20). Die Ecken bestehen lagen ebenfalls romanischen Charakter. Dies 58 Eggenberger/Ulrich-Bochs- ler 1994, 62. Allgemein zu aus grösseren Steinblöcken. Dieses qualitäts- ist jedoch vor allem das Resultat des verwende- den Kirchtürmen: Eggen- volle Mauerwerk endet ungefähr 2 m unter- ten Steinmaterials, das in recht einheitlichen berger 2008, 84–87. 26

26 24

25 27

23 Abb. 19: Leissigen. Änderun- gen in der Benutzungszeit 0 5m N der Apsisanlage, Bestand. 23 M 1:150.

Abb. 20: Leissigen. Ände- Mauercharakter zu erreichen. Wir vermuten rungen in der Benutzungs- zeit der Apsisanlage. Die Ost- daher, dass der – wohl erste – Turm frühestens mauer des Turmes. Ansicht im 14. Jahrhundert entstanden ist. Das Erdge- von Südosten. schoss konnte von Beginn an sowohl von aus- sen als auch von innen her über rundbogige Türen betreten werden. Sowohl die Laibun- gen als auch die Bogen aus Tuffsteinen beider Öffnungen sind im Mauerwerk eingebunden. In der Regel diente das Erdgeschoss als Sa- kristei, die ausschliesslich vom Klerus benutzt wurde und daher vom Chor her zugänglich zu sein hatte. In Leissigen befand sich der Zugang jedoch vor der erhaltenen Schranke (15) des Apsisanlage und öffnete sich damit nicht in die Chorzone. Es besteht allerdings die Mög- lichkeit, dass das Vorchor entsprechend in das Laienschiff verlängert und durch eine neue Schranke abgetrennt worden ist, die keine Spuren hinterlassen hat (Abb. 21).

Auf dem untersten Mauerbestand folgt Mau- Lagerhöhen gebrochen werden konnte. Im erwerk mit unregelmässigeren Steinlagen. Da- Unterschied beispielsweise zu unterschied- rin öffneten sich einst 1 m weite Schalllöcher, lich grossen Kieseln bedurfte es daher keiner die heute geschlossen sind. Da der ursprüngli- besonderen Sorgfalt, um einen regelmässigen che Turm höher gewesen sein muss, wurde der Leissigen, Kirche 27

obere Bereich demzufolge – zu unbekanntem Zeitpunkt – abgebrochen und das Glockenge- schoss auf tieferem Niveau eingerichtet. Da- mit erhielt das Mauerwerk ungefähr seine heu- ? tige Höhe. In einer dritten Bauphase mauerte man schliesslich die Schalllöcher zu und setzte – wohl erst nach der 1528 eingeführten Refor- mation – das hölzerne Glockengeschoss auf.

0 5m N Die beiden Glockengussgruben (24, 25), die im westlichen Schiff aufgedeckt worden sind, dürften entweder gleichzeitig mit dem spät- mittelalterlichen Turm oder dessen neuem Abb. 21: Leissigen. Änderun- gen in der Benutzungszeit Glockengeschoss entstanden sein (Abb. 19, der Apsisanlage. Rekonstru- Abb. 22). Bis ins 16. Jahrhundert goss man ierter Grundriss nach dem die Glocken an Ort und Stelle, da der Trans- Anbau des Turmes. M 1:300. port wegen der schlechten Wegverhältnisse mit grossen Risiken verbunden war. In der im Boden eingetieften Grube wurde die Lehm- form über einer Feuerstelle aufgebaut, die zum Austrocknen der Form diente. Dann wurde die Grube zugefüllt und der Guss mit Bronze ausgeführt. Die erhaltenen Basen der beiden Gussformen messen 0,58 bzw. 0,80 m. Der erstere Durchmesser entspricht demjenigen Abb. 22: Leissigen. Ände- rungen in der Benutzungs- der so genannten «Leissiger Glocke», die im zeit der Apsisanlage. Die Glo- Bernischen Historischen Museum aufbewahrt ckengussgruben (24, 25). ist und die ins 14./15. Jahrhundert datiert wird (Abb. 23).59

3.3.2 Taufstellen

Sofern die Glockengussgruben zu einer der genannten Bauphasen gehören, müssen im Innern der Kirche gleichzeitig Bauarbeiten, zumindest die Erneuerung des Bodens, vorge- nommen worden sein. So könnte damals eben- falls eine der beiden aufgedeckten Taufstellen entstanden sein. Die Fundamente (26, 27) der Taufsteine liegen ca. 6,30 m bzw. 6,80 m vor dem Altarraum im Laienschiff (Abb. 19). Beide weisen unter einer runden, im Zentrum mit einem Loch versehenen Steinplatte eine Abb. 23: Leissigen. Die «Leis- siger Glocke» (Bernisches weite, mit einer dicken Mörtelschicht belegte Historisches Museum, Inv.- Grube auf. Diejenige der nördlichen Taufstelle Nr. 2605). (26) ist zusätzlich mit Schindeln ausgekleidet (Abb. 24 und 25). In dieses sacrarium wurde mentplatte vom Mörtelestrich des Bodens be- nach der Taufe das Wasser aus dem Taufbe- deckt. Das Steinbett des Bodens, das die Platte cken – durch den vertikal perforierten Sockel – der nordseitigen Taufstelle (26) umgibt, befin- abgeleitet. Die Steinplatten sind im Mörtel der det sich jedenfalls auf demselben Niveau. Die 59 Bernisches Historisches Mu- Gruben versetzt und waren an der Oberfläche Platte weist zudem keine Abnützungsspuren seum, Inv. Nr. 2605. Siehe des Bodens nicht sichtbar, sondern als Funda- auf, die auf eine Begehung schliessen liessen. auch: Nüscheler 1882, 57. 28

War der Standort des Taufsteins unmittelbar vor der Chorzone im Spätmittelalter gebräuch- lich, so befand er sich früher näher beim Ein- gang in der Westmauer des Schiffes. Dies dürfte ursprünglich auch für die frühroma- nische Apsisanlage zugetroffen haben. Nach der Reformation von 1528 kam der Taufstein in der Regel ins Chor zu stehen. Die Lage der beiden Taufstellen – die übrigens einem grös- seren Vorchor, das bis an die Westseite des Turmzugangs reichte, Platz gelassen hätte – spricht daher für eine spätmittelalterliche Da- tierung. Die eine (26) befand sich wie üblich im nördlichen, die andere (27) im südlichen Bereich des Saales, was unter dem bisher be- kannten Fundbestand bernischer Landkirchen eine Ausnahme bildet. Die Gestalt des heute benutzten Taufsteins mit schalenförmigen Be- cken wird allgemein als romanisch bezeichnet, was vermuten lässt, er sei älter als beide Tauf- stellen (Abb. 26).60 Da die Fundamente nicht gleichzeitig, sondern nacheinander gebraucht wurden, dürfte er daher auf beiden gestanden haben. Der Durchmesser der Basis des zylin- derförmigen Sockels entspricht mit 0,60 m tat- sächlich den auf der Oberfläche beider Stein- platten eingeritzten Kreise, die demnach den Standort des Taufsteins bestimmen.

3.4 Der Neubau des Chores von 1675 und die späteren Änderungen des Grundrisses

Abb. 24, oben: Leissigen. Mit der im Herrschaftsgebiet Berns 1528 ein- Änderungen in der Benut- geführten Reformation wurden die mittelal- zungszeit der Apsisanlage. Die Steinplatte der nördli- terlichen Kirchen zwar übernommen, jedoch chen Taufstelle (26) von Süd- die katholische Ordnung des Kirchenraums westen. aufgegeben. Man hob die Trennung in Lai- Abb. 25, Mitte: Leissigen. enschiff und Chor auf und beseitigte die Änderungen in der Benut- Schranken, entfernte oder überdeckte Altäre, zungszeit der Apsisanlage. Wandbilder und die in der Mauer des Altar- Schnitt durch das sacrarium der nördlichen Taufstelle hauses eingelassenen Tabernakelkästen. Höl- (26). Ansicht von Süden. zerne Bänke für die Kirchgenossen, die in ka- tholischen Kirchen selten waren, wurden nun Allgemeingut und in der Kilche eingerichtet, wie man das Schiff nannte. Eine Kanzel und ein Abendmahltisch kamen hinzu und stan- Abb. 26: Leissigen. Der Tauf- den – wie der zumeist bewahrte Taufstein – stein. vor oder im Chor, somit im Verwaltungsbe- reich des Patronatsherrn. Dort wurde auch das Gestühl für das Chorgericht aufgestellt, 60 Kunstführer 3 1982, 406. Dazu auch: Schöpfer 1972. das als Sittengericht amtete. In der barocken Leissigen, Kirche 29

Abb. 27: Leissigen. Kirche von 1675, rekonstruierter Grundriss. M 1:300.

Abb. 28: Leissigen. Die 0 5m N 1973/74 restaurierte Kirche. Vom Eingang im Westen ge- gen das Chor gesehen.

Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts, sozusagen räume mit eingezogenen Triumphbogen. Im als Antwort auf die katholische Gegenrefor- Rahmen einer richtig gehenden Bauwelle, die mation, entstand schliesslich der Wunsch, die das ganze Herrschaftsgebiet Berns umfasste, Kirchen vermehrt dem reformierten Predigt- entfernte man zumindest den Triumphbogen, gottesdienst anzupassen. Vor allem sollten die ersetzte aber in vielen Fällen das ganze Chor Vorgaben des katholischen Kirchenbaus zum oder baute eine dreischiffige Anlage aufwän- Verschwinden gebracht und die mittelalter- dig in einen Saal um.61 Als neuen Chorschluss lichen Kirchen zu schlichten «Predigtsälen» bevorzugte man den dreiseitigen Grundriss, umgebaut oder durch solche ersetzt werden. begnügte sich aber bei bescheideneren fi- Hinderlich waren besonders die engen Altar- nanziellen Verhältnissen mit einem geraden 61 Germann 1963. 30

1 2

3 4

Abb. 29: Leissigen. Kirche von 1675. Wappenscheiben von 1675. 1 Stand Bern. 2 Deutschseckelmeister Samuel Fischer. 3 Venner Christoph von Graf- fenried. 4 Venner Anton Kilchberger. 5 Venner Johann Anton Tillier. 6 Venner Christian Willading. Leissigen, Kirche 31

5 6

Chorhaupt. Als Schöpfer dieses reformierten Stuhls versteifen, sind sowohl an Kehlbalken/ Kirchenbaus gilt der Berner Werkmeister Ab- Spannriegel und liegender Strebe/Sparren an- raham I Dünz (1630–1688), der 1675 auch geblattet. Wo Abbundmarken vorhanden sind, in Leissigen den Umbau leitete, mit dem die bestehen diese aus römischen Ziffern und vier- noch auf die frühromanische Zeit zurückge- eckigen Ausstichen. Die Kirche, deren Raum hende Apsisanlage in einen «Predigtsaal» um- in der Restaurierung von 1973/74 weitgehend gebaut wurde. Der Auftrag des Rates an Dünz der Gestalt von 1675 gemäss wiederhergestellt bringt ein besonderes Anliegen der fürsorgli- worden ist, zählt zum Kreis der einfacheren chen Obrigkeit zum Ausdruck, das wir hin- «Predigtsäle» und bildet einen Saal von lichten sichtlich des Kirchenbaus immer wieder an- 7,20 × 15,60 m. Sie weist zwar dieselbe Länge treffen. Der Werkmeister wurde angehalten, auf wie die frühromanische Apsisanlage, ist je- sorgsam darauf zu achten, «... wie selbige Kir- doch um die beiden in den Kirchenraum einbe- che aufs geringste und ohne anwendung großen zogenen Chorzwickel flächenmässig um weni- kostens repariert werden könne.»62 ges grösser (Abb. 27). Im Zentrum des Chores steht der noch aus der katholischen Zeit stam- Die von Bern als Kollator finanzierten Bau- mende Taufstein. Die mit 1664 datierte und arbeiten sind im Bauauftrag in grossen Zü- daher erst kurz vor dem Umbau neu geschaf- gen festgehalten. Sie betrafen vor allem das fene Kanzel ist an der Südseite, am Ansatz des Chor, was auch am archäologischen Bestand Chores, platziert (Abb. 28). Den schriftlichen zum Ausdruck kommt (vgl. Abb. 19). Die Ap- Dokumenten gemäss gehen die grossen, rund- sis wurde abgebrochen, der Saal in gleicher bogigen Fenster des Schiffes ebenfalls auf diese Breite bis zum ehemaligen Apsisscheitel ver- Bauzeit zurück. Daraus wissen wir auch, dass längert und dort mit einer geraden Mauer ge- der Eingang in der Westmauer erhöht wor- schlossen. Der damals neu geschaffene, lie- den ist. Der 1973/74 an den Wänden aufge- gende Dachstuhl ist noch vorhanden. Die deckte, üppige Grisailledekor dürfte ebenfalls 62 StAB: Vennermanual Nr. 26 (B VII, 57), 185. Speich langen Kopfhölzer, die an den fünf verstärk- damals entstanden sein, obschon er in den 1984, 205. Zesiger 1921, ten Gespärren die Ecken des trapezförmigen Quellen nicht erwähnt ist. Die in den Fenstern 30–31. 32

Abb. 30: Leissigen. Wappen- 1 scheibe des Landvogtes Ger- hard Rohr, 1671. eingelassenen Wappenscheiben des Standes Bern, des damaligen Deutschseckelmeisters Samuel Fischer und der damaligen Venner Christoph von Graffenried, Anton Kilch- berger, Johann Anton Tillier und Christian Willading sind mit dem Baudatum von 1675 versehen (Abb. 29). Laut der Amtsrechnung wurden die Kosten dem Glasmaler Hans Ja- kob Güder 1676/77 beglichen.63 Dazu kom- men noch drei mit 1675 bzw. 1676 datierte, 63 StAB: Amtsrechnung Interlaken 1676/77 (B VII, 1484), 948. 64 Kunstführer III, 406. von Matthias Zwirn gemalte Wappenscheiben 65 Änderungen, die chronologisch nicht eingeordnet werden können (Abb. 19): Zwei um 4 m vor der Gemeinde Oberhofen, des Landes Interla- der Westwand liegende Fundamente, die Stützen trugen, legen von einer Empore Zeugnis ab, ken sowie der Stadt Thun (Abb. 31).64 Eine die zu unbekanntem Zeitpunkt vor der Westwand eingerichtet worden ist. Von einem in das Grab 11 gestellten pfeilerartigen Fundament ist weder die Bauzeit noch die Funktion bekannt. weitere Scheibe wurde vom Landvogt Gerhard Dasselbe gilt für ein 2,20 x 1,80 m messendes Fundament, das auf der Nordseite der heutigen Rohr schon 1671 gespendet (Abb. 30). Kirche aufgedeckt worden ist. Es ist gegen das Fundament der Apsisanlage gemauert und muss daher jünger sein. Es kann zu einem an deren Nordostecke angelehnten Strebepfeiler gehört ha- ben. Solche Pfeiler wurden oft nachträglich zur Abstützung gefährdeter Mauerpartien erbaut, so Der Umbau von 1675 sollte nicht der letzte blei- in Leissigen heute noch sichtbar an der nordwestlichen Ecke des Schiffes, wo der Pfeiler durch ben, bei dem der Grundriss geändert wurde.65 die Mauer der 1840 erbauten Vorhalle verdeckt ist. Da somit mehrere Pfeiler vorhanden wa- ren, kann auch der Verding der Bauarbeiten von 1675, in dem von der Erneuerung eines Strebe- Als man 1834 die Orgel im Chor aufstellte, pfeilers die Rede ist, nicht zur Klärung der Funktion des Fundamentes beigezogen werden. Es ist wurde dessen Ostmauer durchbrochen und aber auch möglich, dass es sich um das Fundament einer Treppe handelt, die zum Eingang hin- aufführte, der sich heute an dieser Stelle befindet. Er erlaubt den direkten Zugang von dem öst- das Orgelwerk in einem halbkreisförmigen lich der Kirche gelegenen Pfarrhaus her. Anbau untergebracht. 1840 fügte man vor Leissigen, Kirche 33

2 3 der Westmauer schliesslich einen gleich brei- Abb. 31: Leissigen. Kirche von 1675. ten zweigeschossigen Vorbau mit gemauerter Wappenscheiben von 1675 und 1676. 1 Interlaken Vorhalle und hölzernem Unterweisungsraum 2 Oberhofen an. Wir fassen diese beiden Änderungen im 3 Stadt Thun selben Grundrissplan zusammen (Abb. 32). In der Restaurierung von 1973/74 wurde der An- bau für das Orgelwerk mit der denkmalpfle- Abb. 32: Leissigen. Kirche gerischen Absicht abgebrochen, dem Kirchen- von 1834 bzw. 1840, rekons- raum wieder die Raumdimensionen von 1675 truierter Grundriss. M 1:300. zurückzugeben.

0 5m N 34

3.5 Die neuzeitliche Bestattung 3.6 Nachtrag: Die C14-Daten

Im Gegensatz zu vielen anderen Kirchen kann Da in der Grabung keinerlei römisches Ma- in Leissigen die Bestattung im Kirchenraum, terial oder gar Befunde zu Tage traten, muss die im 13./14. Jahrhundert verbreitet wieder angenommen werden, dass die Datierung der einsetzte, nicht eindeutig, sondern nur mittel- Probe von Grab 8 falsch ist. Dies kann von bar nachgewiesen werden. Wir haben gesehen, der Kontaminierung durch Konservierungs- dass sowohl das Grab 11 als auch die westseitig stoffe her rühren, was bei der langen Aufbe- anschliessende grabähnliche Grube – im Ge- wahrungszeit nicht weiter erstaunlich ist. Wir gensatz zu den frühmittelalterlichen Gräbern vermuten, dass die gesamte beigabenlose Grä- – schon auf dem obersten Grabungsniveau bergruppe in die Zeit zwischen dem 8. und 9. entdeckt worden sind (Abb. 7). Es dürfte sich Jahrhundert zu datieren ist. In diesem Zusam- daher um zwei Bestattungen späterer Zeitstel- menhang ist nochmals darauf hinzuweisen, lung handeln. Da beide auffälligerweise auf dass Grab 1 vom ältesten steinernen Kirchen- der mittleren Längsachse und damit im freien bau überschnitten wird (vgl. Abb. 4 bzw. 7). Mittelgang liegen, der zwischen den Bänken durchführte, dürften sie sogar erst nach der Reformation entstanden sein. Zwar war da- mals die Bestattung im Innern der Kirchen Grab 1, Knochen ETH-4109/UZ-2409 1210±115 BP vorerst verboten worden, doch wurde diese Sitte mit der Etablierung des Ancien Régime 1σ-Wert 680–900 ADcal ab dem Ende des 16. Jahrhunderts wieder ge- 2σ-Wert 920–950 ADcal 2σ-95,4 % 610–1030 ADcal duldet. Sie beschränkte sich in den bernischen Landkirchen jedoch mehrheitlich auf relativ Grab 8, Knochen wenige Privilegierte, so auf Pfarrer und deren ETH-4108/UZ-2408 1880±60 BP Familienmitglieder, auf Landvögte und andere 1σ-Wert 70–220 ADcal Amtsträger, die in ihrer Amtszeit verstarben, 2σ-95,4 % 260–320 ADcal sowie auf bürgerliche Potentaten, die auf der Abb. 33: Leissigen, Kirche. Gräber 1 und 8. C14-Da- Landschaft Herrschaften besassen und sich in ten. 1σ-Wert, 2σ-Wert und wahrscheinlichstes 2σ-In- ihren Kirchen bestatten liessen.66 tervall. Kalibriert mit C. Bronk Ramsey 2005, OxCal Pro- gram v3.10. Die für die Altersbestimmung erforderliche Präparation, die Aufbereitung und Datierung des Pro- benmaterials erfolgte im Radiokarbonlabor des Geo- graphischen Instituts der Universität Zürich (GIUZ). Die anschliessende Datierung der Gräber 1 und 8 wurde mittels AMS-Technik (accelerator mass spectrometry) 66 Eggenberger/Ulrich-Bochs- auf dem Tandem-Beschleuniger des ITP (Institut für Teil- ler/Schäublin 1983. chenphysik) der ETH-Hönggerberg durchgeführt. Leissigen, Kirche 35

4. Verzeichnis der Befundnummern

4.1 Fortlaufende 4.2 Nummerierung nach Nummerierung Bauphasen

1 Kirche des 9./10. Jahrhunderts, Westmauer Kirche des 9./10. Jahrhunderts des Schiffes 1 Westmauer des Schiffes 2 Kirche des 9./10. Jahrhunderts, Nordmauer 2 Nordmauer des Schiffes des Schiffes 3 Südmauer des Schiffes 3 Kirche des 9./10. Jahrhunderts, Südmauer des 4 Nördliches Fundament des Chorbogens Schiffes 5 Südliches Fundament des Chorbogens 4 Kirche des 9./10. Jahrhunderts, nördliches 6 Nordmauer des Altarhauses Fundament des Chorbogens 7 Südmauer des Altarhauses 5 Kirche des 9./10. Jahrhunderts, südliches Fun- 8 Ostmauer des Altarhauses dament des Chorbogens 6 Kirche des 9./10. Jahrhunderts, Nordmauer Kirche des 11. Jahrhunderts des Altarhauses 9 Apsis 7 Kirche des 9./10. Jahrhunderts, Südmauer des 10 Nördliche Schultermauer Altarhauses 11 Südliche Schultermauer 8 Kirche des 9./10. Jahrhunderts, Ostmauer des 12 Nordmauer des Schiffes Altarhauses 13 Westmauer des Schiffes 9 Kirche des 11. Jahrhunderts, Apsis 14 Südmauer des Schiffes 10 Kirche des 11. Jahrhunderts, nördliche Schul- 15 Fundament der Schranke termauer 16 Steinstufe im Durchgang in der Schranke 11 Kirche des 11. Jahrhunderts, südliche Schul- 17 Anschlussmauer der Schranke an die nördli- termauer che Schultermauer 10 12 Kirche des 11. Jahrhunderts, Nordmauer des 18 Mörtelbett unter Seitenaltären? Schiffes 19 Kniebank an der Schranke 15 13 Kirche des 11. Jahrhunderts, Westmauer des 20 Mörtelestrich Schiffes 21 Fundamentfragment des Altarstipes 14 Kirche des 11. Jahrhunderts, Südmauer des 22 suppedaneum vor dem Hauptaltar 21 Schiffes 15 Kirche des 11. Jahrhunderts, Fundament der Änderungen in der Benutzungszeit der Apsis- Schranke anlage 16 Kirche des 11. Jahrhunderts, Steinstufe im 23 Turm Durchgang in der Schranke 24 Nördliche Glockengussgrube 17 Kirche des 11. Jahrhunderts, Anschluss- 25 Südliche Glockengussgrube mauer der Schranke an die nördliche Schul- 26 Fundament der nördlichen Taufstelle termauer 10 27 Fundament der südlichen Taufstelle 18 Kirche des 11. Jahrhunderts, Mörtelbett un- ter Seitenaltären? 19 Kirche des 11. Jahrhunderts, Kniebank an der Schranke 15 20 Kirche des 11. Jahrhunderts, Mörtelestrich 21 Kirche des 11. Jahrhunderts, Fundamentfrag- ment des Altarstipes 22 Kirche des 11. Jahrhunderts, suppedaneum vor dem Hauptaltar 21 23 Änderungen in der Benutzungszeit der Apsis- anlage, Turm 24 Änderungen in der Benutzungszeit der Apsis- anlage, nördliche Glockengussgrube 25 Änderungen in der Benutzungszeit der Apsis- anlage, südliche Glockengussgrube 26 Änderungen in der Benutzungszeit der Ap- sisanlage, Fundament der nördlichen Tauf- stelle 27 Änderungen in der Benutzungszeit der Apsis- anlage, Fundament der südlichen Taufstelle 36

5. Literatur

Bellwald 1974 Eggenberger/Descœudres 1992 Furger/Jäggi/Martin/Windler 1996 Ueli Bellwald, Stadtkirche Thun. Schweizerische Peter Eggenberger, Georges Descœudres, Klös- Andres Furger/Carola Jäggi/Max Martin/Renata Kunstführer 168. Basel 1974. ter, Stifte, Bettelordenshäuser, Beginen und Be- Windler, Die Schweiz zwischen Antike und Mit- garden. In: Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch, telalter. Archäologie und Geschichte des 4. bis Böhme 1993 Die Stadt um 1300 (Ausstellungskatalog). Stutt- 9. Jahrhunderts. Zürich 1996. Horst Wolfgang Böhme, Adelsgräber im Fran- gart/Zürich 1992, 437–451. kenreich. Archäologische Zeugnisse zur He- Germann 1963 rausbildung einer Herrenschicht unter den Eggenberger/Gutscher 2000 Georg Germann, Der protestantische Kirchen- merowingischen Königen. Jahrbuch des römisch- Peter Eggenberg, Daniel Gutscher, Seeberg BE, bau in der Schweiz. Zürich 1963. germanischen Zentralmuseums Mainz 40, 1993, Kirche. 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Leissigen, Kirche 37

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Teil B: Anthropologische Befunde zu den Skeletten der Kirche Leissigen

Susi Ulrich-Bochsler 40

1. Fundsituation und bungsstandard. Die Skelettreste wurden von Datierung den zuständigen Archäologen jedoch doku- mentiert, sorgfältig geborgen und anschlies- In den Jahren 1973/74 kamen bei den archäo- send der anthropologischen Untersuchung zu- logischen Untersuchungen in der Kirche Leis- geführt. Das Manuskript wurde 1980 verfasst sigen elf Gräber zum Vorschein. Sie lagen alle und im Hinblick auf die Publikation im Ja- innerhalb des heutigen Schiffs, wobei Grab 1 nuar 2006 überarbeitet. Auf dem Gräberplan von der Südmauer der ersten nachgewiesenen (vgl. Abb. 7) sind elf Grabnummern einge- Anlage hälftig überdeckt war. Die übrigen Grä- zeichnet. Im anatomischen Verband angetrof- ber verteilten sich auf die gesamte Fläche (vgl. fene Skelettreste liegen jedoch nur von zehn Abb. 7). Die Gräber 9 und 10 im westlichen Bestattungen vor, da die Knochen aus Grab Teil des heutigen Raums könnten als Innen- 11 nicht geborgen wurden. Hingegen fanden gräber zu einer jüngeren Anlage oder als Fried- sich in Grab 2 Teile einer weiteren Bestattung hofsgräber ausserhalb älterer Kirchen angelegt (im Text und in der Tabelle im Anhang als worden sein. Diese beiden Bestattungen gehö- 2.2 bezeichnet). Der Grabungsbefund erhellt ren also nicht zum Ensemble der Innenbestat- nicht, wie es dazu kam, dass die Knöchelchen tungen 1 bis 8, die sich in den Schiffsgrundriss mit der in situ ungestört liegenden Bestattung der ersten erfassten Kirchenanlage einordnen. 2 vermischt wurden (s. unten). Im Gesamten Wegen der Überdeckung von Grab 1 dürfte liegen also Reste von elf Individuen aus zehn diese Gräbergruppe jedoch gesamthaft einer Gräbern vor. Vorgängerkirche angehören, die im 8./9. Jahr- hundert entstanden sein könnte. 3. Anthropologische Befunde1

1 Die Individualdaten finden sich im Anhang als tabella- Die Bestattungen 1, 2, 3, 4, 6, 9 und 10 waren Das Gräberensemble 1–8: Aufgrund des ar- rische Zusammenstellung nach der Kirchenachse ausgerichtet und damit chäologischen Befundes gehen wir hier davon (Kap. 7). 2 Das Geschlecht der Erwach- geostet. Die Gräber 5, 7 und 8 stellten dage- aus, dass die im Schiff dokumentierten Gräber senen wurde nach den mor- gen querliegende Gräber dar, wobei der Kopf mit Ausnahme der Bestattungen 9 und 10 ein phognostischen Merkma- von Grab 8 im Süden und die Kopfenden von zeitlich zusammengehörendes Gräberensemble len bestimmt (Ferembach et al. 1979). Für die Altersbe- Grab 5 und 7 im Norden lagen. darstellen. Dieses setzt sich aus neun Indivi- stimmung erwachsener Indi- duen – fünf Erwachsenen und vier Kindern viduen wurde die polysymp- 2 tomatische Methode nach Die Armlage der Skelette variierte bei den Er- – zusammen. Die Erwachsenen teilen sich in Acsádi/Nemeskéri 1970 ver- wachsenen wenig. Beidseits gestreckte und ne- drei Männer und zwei Frauen auf. Während wendet. Sie beruht auf der ben dem Körper liegende Arme wies Grab 2 beide Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jah- Beurteilung der Spongio- sastruktur der Oberarm- und auf. Bei Grab 4 lag der linke Unterarm schräg ren verstarben, starb einer der Männer mit 25 Oberschenkelepiphyse, der auf dem Becken, der andere war gestreckt. bis 30 Jahren jung, die zwei anderen starben Struktur der Facies symphy- sialis am Hüftbein sowie auf Grab 1 wies einen leicht zum Oberschenkel ge- zwischen 48 und 57 resp. zwischen 54 und 60 dem Zustand der endocrania- richteten linken Unterarm auf, der andere war Jahren. Von den Kindern starben drei zwischen len Verknöcherung der Schä- unter der Mauer verborgen. Bei Bestattung 3 2,5 und 4 Jahren, eines im Neugeborenenal- delnähte. Anhand des Ge- bisszustandes, vor allem des waren beide Unterarme zum Becken hin ge- ter. Dieses Neugeborene ist durch die mit den Zahnabkauungsgrades so- richtet. Beigaben sowie Holzspuren von Sär- Skelettresten der Frau aus Grab 2 vermischten wie der Abnutzungserschei- nungen an Wirbelsäule und gen oder Sargbrettern wurden keine beobach- Knochen repräsentiert. Sein primärer Bestat- Gelenken erfolgte die Über- tet. Somit wurden die Verstorbenen in reinen tungsort bleibt fraglich. Weder auf den Grab- prüfung der Sterbealterschät- Erdgräbern beigesetzt, worauf auch die weit zeichnungen noch auf der Fotodokumenta- zung. Für die Kinder und Jugendlichen wurde das Al- ausgebreitete Körperlage der Bestattungen 2, tion sind Spuren dieser Kinderknöchelchen im ter nach dem Entwicklungs- 3, 6, 8, 10 und 11 hindeutet. Hinweise auf ir- Umkreis oder beim Skelett der Frau aus Grab stand des Gebisses (Schour/ Massler 1941, 1944; Ubela- gendwelche Grabkonstruktionen fehlten. 2 erkennbar. Da Grab 2 eine Frau enthielt, ker 1987) und/oder dem Ver- könnte man an eine gemeinsame Bestattung knöcherungszustand der Epi- 2. Das Skelettmaterial von Mutter und Kind denken. Das Sterbeal- physen (Wolf-Heidegger 1961) sowie den Längenmas- ter der Frau scheint jedoch zu hoch. Deshalb sen der Diaphysen (Olivier Zum Zeitpunkt der Ausgrabung in der Kir- könnte es sich beim Kind um einen Streu- 1960, Schmid/Künle 1958, Stloukal/Hanáková 1978) be- che Leissigen zählte eine anthropologische in fund (im Einfüllmaterial?) handeln. Es könnte stimmt. situ-Untersuchung noch nicht zum Ausgra- aber auch die Bestattung eines verstorbenen Leissigen, Kirche 41

Neugeborenen sein, das zusammen mit der Skeletthälfte unter der Südmauer lag und der Abb. 34: Leissigen. Hetero- «alten» Frau beerdigt wurde. Wir haben die deshalb sicher zur ältesten Bestattungsschicht genität der Schädelformen Erwachsener, dargestellt Situation schon öfters angetroffen, dass man gehört, weist einen mittellangen, aber ausge- anhand der Schädelaufsich- Neugeborene oder Kleinkinder nachträglich sprochen breiten (brachycranen) Hirnschä- ten. Von links nach rechts: im Grab eines Erwachsenen bestattete. del von mittlerer Höhe auf. Das Gesicht ist a) Grab 1, Mann mit brachy- cranem Hirnschädel (mittel- mittelhoch mit mittelbreiter und hoher Nase lang, aber breit); b) Grab 2, Diese Gräbergruppe weist also aufgrund ih- (Abb. 35a). Hingegen besass die Frau aus Frau mit hyperdolichocraner rer Alters- und Geschlechterzusammenset- Grab 2 einen langen und sehr schmalen (hy- Hirnschädelform (lang und schmal); c) Grab 4, Mann mit zung eine normale, wenn nicht sogar familiäre perdolichocranen) Hirnschädel von vermut- brachycranem Hirnschädel Struktur auf, wobei die relativ vielen Kinder lich mittlerer Höhe (Abb. 34b). Der Schädel (mittellang und mittelbreit) auffällig sind. Die im Kircheninnern Bestat- des Mannes aus Grab 3 wurde durch Boden- und d) Grab 9, Mann mit doli- chocranem Hirnschädel (lang teten wurden offenbar nicht nach Geschlecht druck deformiert. Seine Form kann nur noch und mittelbreit). oder Alter ausgewählt. Hingegen können wir optisch beurteilt werden. Wahrscheinlich ge- eine soziale Selektion vermuten. Wahrschein- hört er in die Kategorie mesocran (vermut- lich waren es Mitglieder einer lokal wichtigen lich lang und mittelbreit). Die Männerbestat- Familie oder Sippe, die Anrecht auf diesen pri- tung 4 besass einen mittellangen, breiten und vilegierten Bestattungsplatz hatte. damit ebenfalls brachycranen Hirnschädel von mittlerer Höhe (Abb. 34c, 35b). Betrachtet man die physischen Merkmale der Skelette, so interessieren im Hinblick In einer im frühen Mittelalter von der roma- auf die Herkunft dieser Menschen vorerst nischen Bevölkerung besiedelten Gegend, in der Körperbau und die Körperhöhe.3 Bei die jedoch die Alamannen schon ab dem aus- den Männern variiert die Körperhöhe wenig gehenden 6. Jahrhundert einwanderten, stellt um 170 cm (169,0 cm; 170,9 cm; 171,5 cm). sich die Frage nach der Herkunft der Kirchen- Zwei der drei waren hochwüchsig. Der Kör- gründer. Im Allgemeinen ergeben diesbezüg- perbau variiert zwischen mittelrobust und lich vor allem Körperbau und Schädelform robust. Von den beiden Frauen lag die eine Hinweise. Allerdings sind solche Aussagen mit 164,9 cm über dem Durchschnitt ihrer mit Vorsicht zu diskutieren, vor allem, wenn frühmittelalterlichen Zeitgenossinnen, war – wie in Leissigen – nur wenige Individuen 3 Die Körperhöhenschätzung aber grazil gebaut, während die andere mit beurteilbar sind, die zudem unterschiedliche für die Männer erfolgte nach 157,7 cm kleiner war, jedoch einen robusten Schädeltypen repräsentieren. In frühmittel- den Formeln von Breitin- Körperbau besass. alterlichen Gräberfeldern des alamannischen ger 1937, für die Frauen nach Bach 1965. Siedlungsgebietes ist die lange und schmale bis 4 Masse und Indices nach Mar- In Bezug auf die Hirnschädelform ist eine mittelbreite Form häufig, wie sie am ehesten in tin/Saller 1957, 1959 und Knussmann 1988. Katego- ausgesprochene Heterogenität festzustellen Grab 3 (und zudem bei Grab 9, welches jedoch rielle Einteilung nach Hug (Abb. 34).4 Der Mann aus Grab 1, dessen eine nicht zum Ensemble der Innenbestattungen 1940. 42

Abb. 35: Leissigen. Vorderan- sicht der beiden breitförmi- gen Männerschädel: a) Grab 1 und b) Grab 4.

Abb. 36: Leissigen. Stirnbein den. Jedenfalls machen diese wenigen Er- der hyperdolichocranen Frau wachsenenbestattungen nicht den Eindruck aus Grab 2 mit offener Stirn- naht. einer genetisch eng verbundenen Einwande- rersippe alamannischer Provenienz. Viel eher erinnern sie an die morphologische Struktur, wie sie beispielsweise im Seeland mit einer ro- manisch geprägten Bevölkerung nachgewie- sen ist.6 Allerdings kann auch an Orten, wo die alamannische Herkunft der Kirchengrün- der belegt ist, wie beispielsweise bei der Fa- milie der Adalgozinger in Rohrbach7 (Berner Mittelland), die Zusammensetzung der Ver- storbenen morphologisch recht heterogen sein und nicht dem charakteristischen Alamannen- typus entsprechen.

1–8 gehört) vorkommt. Die beiden brachy- Neben den metrischen Merkmalen wurden cranen Männerschädel von mittlerer Höhe anatomische Merkmale resp. Variationen an und mit stark gewölbtem und kurzem Schei- den Skeletten untersucht. Besonders die epige- tel, nicht abgesetztem und nur wenig gerun- netischen Merkmale geben infolge ihrer erb- detem Hinterhaupt, rechteckigen Augenhöh- lichen Verankerung Aufschluss über familiäre len, mittelbreiter bis breiter und hoher Nase Beziehungen der Bestatteten untereinander.8 (Gräber 1 und 4) sind in frühmittelalterlichen Am Gräberensemble 1 – 8 fallen verschiedene Gräberfeldern des alamannischen und roma- Besonderheiten auf. Beim Mann aus Grab nischen Siedlungsraums ebenfalls vertreten, 1 ist ein Bregmaknochen ausgebildet, des- 5 Ulrich-Bochsler/Menk/ entsprechen aber morphologisch nicht dem sen äusserst seltenes Vorkommen in unserem Schäublin 1985. Ulrich- 5 Bochsler/Meyer 1994. «Alamannentypus». Unter den Skeletten von Untersuchungsmaterial feststeht. Zusätzlich 6 Kallnach: Kissling/Ulrich Leissigen steht die grazile, hyperdolichocrane sind an diesem Männerschädel Lambdanaht- Bochsler 2006. Ulrich-Bochs- ler/Indermaur/Rüttimann Frau aus Grab 2 isoliert da (eher mediterrani- knochen sowie ein grosser Lambdaknochen u.a. 2006. Biel-Mett: Ul- der Typus). (wie bei Grab 3) zu beobachten. Bei der Frau rich-Bochsler (in Vorb.). Kö- aus Grab 2 fällt eine Prodentie des Unterkie- niz-Buchsi: Ulrich-Bochsler/ Meyer 1990. Ob die Heterogenität unserer Stichprobe zu- fers und ein Vorstehen der Zähne, verbun- 7 Rohrbach: Ulrich-Bochsler fallsbedingt ist oder ob sie für die frühmittel- den mit einem Dachbiss auf. Zudem blieb die 1989. 8 Bestimmt nach Berry/Berry alterliche Bevölkerung der Thunersee-Region Stirnnaht am Schädel offen. Die metopische 1967. kennzeichnend war, lässt sich nicht entschei- Naht ist im unteren Abschnitt sehr fein, im Leissigen, Kirche 43

oberen grob gezähnt (Abb. 36). Beim Mann Abb. 37: Leissigen. Grab 3: Aufsicht auf den Oberkiefer. aus Grab 3 ist ebenfalls ein grosser Lambda- Der Dauereckzahn ist nicht knochen ausgebildet. Zusätzlich weist Bestat- vollständig durchgebrochen, tung 3 im Oberkiefer zwei Besonderheiten auf, sondern liegt dem Gaumen- dach an. Seine bukkale Flä- nämlich einen persistierenden rechten Milch- che ist in eine muldenartige eckzahn gekoppelt mit einer Stellungsano- Vertiefung eingebettet. Der malie des Dauereckzahns (Abb. 37). Ferner Milcheckzahn ist noch vor- handen (persistierend) und ist eine breite Zahnlücke zwischen den mitt- ist stark abgekaut. leren Schneidezähnen vorhanden (Abb. 38). Im Unterkiefer sind die Weisheitszähne nicht angelegt. Der Mann aus Grab 4 weist beid- seitig Lambdanahtknochen auf. Im Oberkie- fergebiss sind eine Schmelzperle am zweiten rechten Backenzahn und ein retinierter Weis- 4 5 heitszahn links zu beobachten. Zudem war er mit einer beidseitigen Wirbelbogenspalte Abb. 38: Leissigen. Grab 3: am sechsten (!) Lendenwirbel behaftet. Diese Vorderansicht des Oberkie- fers. Zwischen den beiden Anomalie kommt öfters familiär gehäuft vor. mittleren Schneidezähnen Die Zahl der Hals- und Brustwirbel ist mit besteht eine breite Zahn- 7 und 12 normal, so dass eine Lendenwirbel- lücke. überzahl vorliegt. Zusammenfassend beein- druckt die Häufung der Anomalien, jedoch sind es verschiedenartige und mit Ausnahme des Lambdaknochens mehrheitlich nur indi- viduell vorkommende Merkmale, so dass sich 4 darin eher eine Heterogenität der Bestatteten 5 als Familienähnlichkeiten widerspiegeln. gen des Berner Raums gefunden wurden. Der Alle Skelette wurden auf das Vorkommen von relativ hohe Kariesbefall dürfte teilweise me- Verletzungen und krankheitsbedingten Kno- thodisch beeinflusst sein, da durch das Rönt- chenveränderungen hin untersucht. Spuren gen aller Zähne auch die kleinste kariöse Lä- von Knochenbrüchen oder anderen Verlet- sion entdeckt wurde. Bei den Leissiger Gebissen zungen fehlen. Hingegen lassen sich bei allen waren Zahnsteinbeläge und Parodontose/Par- Erwachsenen pathologische Erscheinungen odontitis verbreitet (Abb. 39). Im Unterkiefer unterschiedlicher Ursachen nachweisen, wäh- des Mannes aus Grab 4 entwickelte sich auf rend bei den Kindern keine Befunde erhoben der linken Seite eine deutliche Knochenverdi- wurden (schlecht erhaltene Skelette). Bei den ckung. Im Röntgenbefund wird eine Sklerosie- Bestatteten höheren Alters stehen die Abnut- rung erkennbar. Sie könnte einen Status nach zungserscheinungen an der Wirbelsäule und verheilter Osteomyelitis darstellen. Als weitere an den Gelenken im Vordergrund. Gemessen Diagnosen kommen eine chronische Resto- am Lebensalter ist die Ausprägung der dege- stitis, eine fibröse Dysplasie im Stadium der nerativen Veränderungen jedoch nicht ausser- Verheilung oder eine Periostitis carré in Frage. ordentlich, woraus zu schliessen ist, dass diese Mit dem Trepanbohrer wurde aus dem aufge- Menschen keine übermässig schwere körperli- blähten Knochenteil eine Probe entnommen. che Arbeit verrichteten. Aus dem REM-Bild (Rasterelektronenmikro- 9 Untersucht nach den in Rou- skop) wurden jedoch keine weiteren Erkent- let/Ulrich-Bochsler (1979) Einen weiteren Einblick in den Gesundheits- nisse gewonnen.10 Abschliessend beurteilt, litt beschriebenen Methoden. zustand ermöglichen die Beobachtungen an dieser Mann an einer chronischen Parodonti- 10 Diese 1977 durchgeführ- ten Spezialuntersuchun- 9 den Gebissen. 33,3% der untersuchten Zähne tis profunda. Die im linken Unterkiefer ausge- gen und die Diagnosestel- waren kariös. Dieser Kariesbefall liegt im obe- fallenen Zähne wurden im Anschluss an eine lung verdanken wir Prof. Dr. J.-F. Roulet, Zahnmedizini- ren Segment der Werte, die bei den bisher un- den Knochen ab- oder umbauenden Krank- sche Kliniken der Universi- tersuchten frühmittelalterlichen Bevölkerun- heit verloren. tät Bern. 44

Abb. 39: Leissigen. Grab 4: Ansicht des Unterkiefers von rechts (a), von links (b) und von oben (c). In der Seitenansicht von rechts ist der fortgeschrittene Knochenabbau im Seiten- zahnbereich zu erkennen (Parodontitis). Das Gebiss weist starken Zahnsteinbefall auf (Bild Mitte: Frontzähne). In der Aufsicht wird die Abkauung der Zähne veranschaulicht. Im Be- reich der linken (bereits zu Lebzeiten ausgefallenen) Molaren besteht eine erhebliche Kno- chenverdickung, die auf einen längeren entzündlichen Prozess zurückgeht.

Abb. 40: Leissigen. Grab 1: Unter- und Oberkiefer von der linken Seite. Im Unterkiefer bildete sich im Bereich der Wurzelspitze des Sechsjahrmolaren eine grosse Ei- terhöhle aus. Im Oberkiefer sind Durchbrüche durch den Knochen bei den Vorbackenzähnen und dem Sechsjahrmolaren eingetreten. Alle betroffenen Zähne sind extrem stark abgekaut.

Bei Grab 1 kam es nach extremer Abrasion 4. Die Gräber 9 und 10 im der Molaren im Oberkiefer zur Pulpaeröff- westlichen Teil des Kirchen- nung und nachfolgender Bildung multipler Granulome (Abb. 40). Dieser problematische schiffs Gebisszustand war mit Sicherheit mit Schmer- zen verbunden. Harte und stark Schleifmittel Für diese beiden geosteten Bestattungen be- enthaltende Kost dürfte die gewohnte Ernäh- stehen aus archäologischer Sicht zwei Zu- rungsweise gewesen sein. Zahnhygiene wurde ordnungsmöglichkeiten: Entweder stellen sie keine betrieben, ansonsten wäre es nicht zur Innengräber zu einer jüngeren oder aber Fried- Bildung solch massiver Zahnsteinbeläge ge- hofsgräber zu einer älteren Kirche dar. Beide kommen. Möglicherweise trugen süss-kleb- Skelette sind stark gestört: Von Grab 9 sind rige Speisen ebenfalls zum Entstehen dieser nur der Hirnschädel und ein Teil der linken Beläge bei. Auch das relativ hohe Kariesvor- Körperseite erhalten. Der linke Arm war ge- kommen deutet auf den Verzehr süss-klebri- streckt und lag seitlich neben dem Körper. Von ger Nahrungsmittel hin. Da die Bestatteten Bestattung 10, einer 25 bis 40jährigen Frau, wohl einer Oberschicht angehörten, war ihre liegen das Becken und die oberen Hälften der Kost möglicherweise besser als bei der durch- Oberschenkel vor. Das Skelett aus Grab 9 ge- schnittlichen bäuerlichen Bevölkerung des hört zu einem sehr alt gewordenen Mann, des- Frühmittelalters. Der Genuss beispielsweise sen Wirbelsäule durch degenerative Verände- von Honig und ähnlich kariogen wirkenden rungen gezeichnet ist. Am Schädel ist eine Genussmitteln könnte zum hohen Kariesbe- pathologische Veränderung in Form einer in fall geführt haben. den Knochen eingesenkten Delle festzustellen Leissigen, Kirche 45

(Abb. 41). Die Läsion mit einer Ausdehnung Abb. 41: Leissigen. Grab 9: Detail der Schädelläsion im von 32 × 25 mm liegt im rechten Scheitelbein rechten Scheitelbein. Im Be- nahe bei der Pfeilnaht. Die äussere Knochen- reich der dellenartigen Ein- schicht (Tabula externa) ist aufgelöst. Im Zen- tiefung ist die Aussenschicht des Schädels aufgelöst. Im trum der Delle ist auch die Diploe und die Zentrum der Eintiefung ist Innenseite des Knochens durchgebrochen. der Knochen vollständig Die Tabula interna zeigt ebenfalls Struktur- durchbrochen. Ein Weich- teiltumor könnte die Ursa- veränderungen. Trotz Begutachtung durch che der krankhaften Verän- verschiedene Experten war es bis heute nicht derung sein. möglich, eine sichere Diagnose zu stellen. Eher auszuschliessen ist ein infektiöser Prozess, da die Knochenstruktur der Eindellung völlig glatt ist. Eher unwahrscheinlich ist auch eine osteolytische Schädeldachmetastase, da ra- diologisch keine weiteren Ableger gefunden wurden und auch keine deutliche Terrassen- bildung vorhanden ist. Auch zu den Folgen eines medizinischen Eingriffs, etwa eine Tre- 5. Dank panation oder ein Trepanationsversuch nach Verletzung, passt das Erscheinungsbild der Lä- Dr. med. dent. M. A. Wiederkehr, damals sion nicht. Möglich ist, dass der Mann an ei- Zahnmedizinische Kliniken der Universität nem Weichteiltumor litt, der den Knochen ar- Bern, verdanken wir die Röntgenaufnahmen rodierte und in Mitleidenschaft zog. Grab 9 der Zähne und deren Beurteilung. Prof. J.-F. ist nicht nur wegen des paläopathologischen Roulet, damals ebenfalls Zahnmedizinische Befundes sondern zusätzlich wegen der Form Kliniken der Universität Bern, danken wir des Schädels interessant (vgl. Abb. 34d). Der für die REM-Untersuchungen am Unterkie- Mann besass einen dolichocranen Hirnschä- fer von Grab 4. Er übernahm auch die Beurtei- del (lang und mittelbreit) bei niedriger Höhe. lung der Bilder. Prof. Dr. med. E. Uehlinger (†, Zieht man die Typisierungen von Hug bei,11 ehemals Direktor des Pathologisch-Anatomi- so zeigt dieser Schädel am ehesten eine Affi- schen Instituts des Universitätsspitals Zürich) nität zu den Mischtypen aus dem gallorömi- und Dr. med. G. Robotti (damals Radiologi- schen Limesland. Wie die Innenbestattun- sche Klinik des Universitäts-Inselspitals Bern) gen 1–8 dürfte Grab 9 ins Frühmittelalter zu danken wir für die Beurteilung der Schädelpa- stellen sein. thologie Grab 9. 11 Hug 1940. 46

6. Literatur

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7. Anthropologische Individualdaten

Abkürzungen: Erhaltung: [ ] = sehr wenig, sehr schlecht erhalten. ( ) = wenig, mässig erhalten. Ohne Klammer = gut erhalten. S = Schädel vorhanden, P = postcraniale Teile vorhanden, in Klammern gesetzt = schlecht erhalten (s.o.). UK = Unterkiefer. OK = Oberkiefer. WS = Wirbelsäule. HW = Halswirbel. BW = Brustwirbel. LW = Lendenwirbel.

Allg. Bemerkungen zu den Angaben in der Tabelle: Geschlechtsbestimmung: Männlich, verm. männlich, weiblich, verm. weiblich, indet. = Geschlecht nicht bestimmbar (eher männl./weibl.= Tendenz)

Altersstufen: infans I 0–6 Jahre juvenil 15–18/20 Jahre matur I 40–49 Jahre infans II 7–14 Jahre adult I 20–29 Jahre matur II 50–59 Jahre adult II 30–39 Jahre senil über 60 Jahre

Angabe der Spondylosis def. erwähnt, wenn beginnend. Spondylarthrose: erwähnt, wenn beginnend. Arthrose: erwähnt, wenn beginnend.

Grab-Nr. NMBE-Nr. Erhaltung Status Geschlecht Alter (in Jahren) Altersklasse Körperhöhe (in cm) Pathologica und Besonderheiten

1 2001 S+(P) erwachsen Mann 48–>57 matur 171.5 Schädelform: Brachycran. Variationen: Bregmaknochen. Grosser Lambda- knochen (53 x 30 mm). Lambdanahtknochen re und li. Canalis condylaris re fehlt. Foramina transversaria des HW 5 und HW 6 durch Knochenbrücke geteilt. Path. WS: Starke Spondylosis def. HW, LW. Spondylarthrosis def. BW re. Gebiss: Multiple Granulome (bei 24, 25, 26, 36). Starke Abrasion. Parodontitis. Karies (bei 34, 36, 37, 44, 45). Fünf Zähne intravital verloren (17, 27, 46, 47, 48).

2 2002 S+P erwachsen Frau 40–60 matur 164.9 Schädelform: Hyperdolichocran. Variationen: Metopie. Anomalien: Ver- zögerter Nahtverschluss. Prodentie und Dachbiss. Gebiss: Hoher Karies- befall. Greisenhafter Unterkiefer. 9 Zähne intravital verloren (17, 16, 24, 26, 37, 45, 46, 47, 48). Hoher Kariesbefall (12, 13, 15, 23, 25, 27, 34, 35, 36). Hoher Zahnsteinbefall. Parodontitis.

2.2 [S+P] Kind indet. 0–3 Mt. neonatus 50–54 Erhalten sind Stirn- und Scheitelbeinfragmente, beide Darmbeine, Dia- physenreste und unbest. kleine Fragmente.

3 2003 S+P erwachsen Mann 25–30 adult I 170.9 Schädelform: Verm. mesocran. Variationen: Grosser Lambdaknochen. Anomalien: 0.7 cm breites Trema. Persisitierender Milcheckzahn im Ober- kiefer rechts. Dauereckzahn am Gaumen anliegend und unvollständig durchgebrochen. Seine labiale Fläche ist in eine cavernenartige Knochen- vertiefung eingebettet. Weisheitszähne im UK nicht angelegt. Gebiss: Karies (17, 27, 36, 46). Zahnstein.

4 2004 S+P erwachsen Mann 54–60 matur II 169 Schädelform: Brachycran. Variationen: Lambdanahtknochen. Anoma- lien: Überzahl LW. Beidseitige Spondylolysis interarticularis an LW 6 mit asymmetrischem Wirbelbogen. Path.: Arthrosis def. Schultergelenk li. WS: Spondylosis def. und Spondylarthrosis def. Mit Blockbildung zwi- schen LW2 und LW3. Gebiss: Karies (34, 35, 42, 44, 45, 47, 48). Zahnstein. Parodonthopathie und Knochenverdicklung im UK im Bereich des linken Weisheitszahnes. Mit Ausnahme von 27 und 28 alle Zähne im OK intravital verloren. UK alle Backenzähne links intravital verloren (36, 37, 38). Der Weisheitszahn im Oberkiefer links ist retiniert. Am benachbarten zweiten Molar ist eine Schmelzperle ausgebildet.

5 2005 (P) Becken bis erwachsen Frau 40–60 matur (157.7) Füsse erhalten

6 2006 (S+P) Kind indet. 3–4 infans I 90–94 Gebiss: Milchzähne noch kaum abgekaut. Kein Zahnstein. Keine Karies. 48

Grab-Nr. NMBE-Nr. Erhaltung Status Geschlecht Alter (in Jahren) Alters klasse Körper höhe (in cm) Pathologica und Besonderheiten

7 2007 (P) Kind indet. 3–4 infans I (90)

8 2008 (S+P) Kind indet. 2.5–3.5 infans I 85–90 Gebiss: Keine Karies.

9 2009 (S+P) erwachsen Mann >60 senil – Schädelform: Dolichocran. Path.: Arthrosis def. (Ellbogen li, Hüfte li). Path. WS: Spondylosis def. und Spondylarthrosis def. Schädelpath.: 3.3 x 2.5 cm grosse ovale Eintiefung im linken Scheitelbein.

10 2010 (P) Nur Hüft- erwachsen Frau 25–40 adult – bein- und Oberschenkel- fragmente erhalten

11 Keine Skelettreste vorhanden Leissigen, Kirche 49

Teil C: Die Fundmünzen

Susanne Frey-Kupper 50

1. Kommentar 1.2 Die vertretenen Münztypen

Bei allen drei Münzen handelt es sich um ein- 1.1 Der archäologische Zusammen- seitige Prägungen alemannischer Machart, hang die noch aus dem 15. Jahrhundert stammen. Das älteste Exemplar, ein Haller der Stadt Bei der in der Kirche von Leissigen durchge- Bern (Nr. 1), gehört in die Prägeperiode von führten Untersuchung kamen drei Fundmün- etwa 1400–1421, als in Bern wie in anderen zen zutage (Nr. 1–3, Abb. 42). Im Vergleich zu Münzstätten der Deutschschweiz die ersten den Münzreihen aus den übrigen Kirchen des runden Angster und Haller ausgegeben wur- Kantons Bern1 handelt es sich um eine kleine, den.4 Diese Münzen stehen am Anfang einer aber nicht uninteressante Gruppe von Mün- Folge von Hallern, die bis in das zweite Vier- zen. Da für die Ausgrabungen von 1973 Ein- tel des 16. Jahrhunderts mit derselben Dar- messungen fehlen und die übrigen Kleinfunde stellung des linksgerichteten Wappentieres ge- in die vorliegende Untersuchung nicht einbe- prägt wurden.5 zogen wurden, ist die Aussagekraft der Fund- münzen beschränkt.2 Zwar ist in der Gra- Die Münze Nr. 2 ist ein Stebler von Basel, der bungsdokumentation die eine oder andere auf den Münzvertrag vom 24. April 1425 zu- Angabe zum Fundort festgehalten, doch sind rückgeführt werden kann. An diesem waren die Bezeichnungen vage und die Objekte las- auch andere Vertragspartner beteiligt: Freiburg sen sich keinen Schichten zuweisen.3 im Breisgau, Breisach, Thann und Colmar.6 Unser Exemplar zeigt die charakteristischen Eigenschaften des flachen Wappenschildes mit parallel verlaufenden Schildseiten und der leicht über den oberen Abschluss des Schildes 1 Schmutz/Koenig 2003, 25 Tab. 2. 7 2 Für die Münze Nr. 1 ist unklar, von welchem Taufstein, für die Münze Nr. 3 aus welcher Glocken- hinausragenden Krümme des Bischofsstabes. gussgrube sie stammt. Die Zuweisung unseres Typs zum Vertrag ist 3 Diese, an eine ältere Grabung gebundene, Problematik habe ich mit Peter Eggenberger diskutiert, nicht zuletzt gesichert, weil er im Schatzfund dem ich für das Gespräch danken möchte. Die Fundangaben aus der Grabungsdokumentation wurden im Katalog festgehalten, sind jedoch mit Vorsicht zu benutzen. von Binningen BL, Holeeholz 1918 vorkommt, 4 Geiger 1997, 314. Schmutz/Koenig 2003, 32. Ein auf viereckigen Schrötling geprägtes Exemplar dessen Verbergungszeit um 1425/1430 festge- aus Steffisburg bildet eine Ausnahme, vgl. Schmutz/Koenig 2003, 32 und 99 Nr. 22. 8 5 Geiger 1997, 314. legt werden darf. 6 Dazu allgemein Breyvogel 2003, bes. 272–289. Cahn 1901, bes. 68 zu Basel. 7 Zum Typ vgl. Ackermann/Marti 2005, 172–173. Ebd. zum Problem der typologischen Gliede- Kontrovers war lange die Datierung des Solo- rung und chronologischen Zuweisung der späteren Basler Kleinmünzen. 8 Ausschlaggebend für die Datierung des Hortes ist seine typologische Zusammensetzung, beson- thurner Hälblings Nr. 3. Der hohe Ansatz von ders jene der mit den Silberprägungen vergesellschafteten Kleinmünzen. Die Silbermünzen um- J. und H. Simmen in die Zeit nach 13509 wurde fassen Mailänder, Lausanner und Metzer Groschen oder Halbgroschen, deren Prägedaten in die Zeitspanne zwischen 1395 und 1406 oder kurz danach fallen. Bei den Kleinmünzen handelt es erstmals von F. E. Koenig angezweifelt, der als sich neben den erwähnten Basler Münzen um weitere Rappenmünzbundprägungen nach dem Datierungsanhaltspunkt sein Vorkommen im Vertrag von 1425 (Breisach, Colmar, Freiburg i.Br. und Thann), zu denen ein Zürcher Angster nach 1482 entstandenen Grab 10 in der Kir- von 1424/1425 kommt. Diese Münzen geben für die Verbergung des Hortes einen Terminus post 10 quem von 1425 und ihre homogene Zusammensetzung spricht gegen eine Datierung, welche weit che von Twann BE anführt und zudem fest- über das dritte Jahrzehnt des 15. Jh. hinausreicht. Die Angaben zum Hort verdanken wir Lorenzo stellt, dass der Typ in der Kirche von Lauenen Fedel, Affoltern am Albis, der den Hort bearbeitete und im Rahmen des Arbeitskreises für Münz- 11 hortfunde am 14. 9. 2007 in Bern vorgestellt hat. Unser Dank geht auch an Michael Matzke, Ba- BE erst in jüngeren Auffüllungen auftaucht. sel. Der (unvollständig erhaltene) Fund wird im Historischen Museum von Basel aufbewahrt, Seither wurde die vorsichtige Vermutung F. E. HMB Inv. Nr.: 1918.110.2.-19. (18 Exemplare). Koenigs «Es wäre daher in Erwägung zu zie- 9 Simmen 1972, 47 zu Nr. 12. 10 Es handelt sich um die bei Koenig 1988, 63 aufgeführte Münze Inv. Nr. 329.0007. Zur Datie- hen, ob diese Münzen nicht erst im Verlauf des rung des Grabes Eggenberger/Kellenberger/Ulrich-Bochsler 1988, 48–49. Zur Beurteilung der 15. Jhs., insbesondere in dessen zweiter Hälfte, Münze, vgl. Koenig 1990, 65–66. 12 11 Koenig 1990, 65. geprägt sein worden könnten» wiederholt 12 Koenig 1990, 66. aufgenommen.13 Die Aussage des archäologi- 13 Zäch/Warburton-Ackermann 1996, 214. Schmutz/Koenig 2003, 36. Zäch 2004, 240. schen Befundes wird zudem durch einen Hin- 14 Dazu Zäch 2004, 240 mit Anm. 79. Eine Prägepause in den Jahren zwischen 1430/1440 und 1470/1480 wird für die meisten Münzstätten im Gebiet der heutigen Schweiz festgestellt, weis gestützt, der sich aus der solothurnischen was man in der Regel auf einen Mangel an Edelmetall zurückführt: Vgl. Zäch 1999, 408 und Geldproduktion selbst gewinnen lässt: Nach Schmutz/Koenig 2003, 78. Zum Phänomen als gesamteuropäische Erscheinung: Vgl. etwa Spufford 1998, 355–362. Für Diskussionen und Hinweise geht der Dank an Daniel Schmutz, einer längeren Produktionspause wurde in So- Bern, und an Benedikt Zäch, Winterthur. lothurn erst wieder seit 1469/1470 geprägt.14 Leissigen, Kirche 51

Zumindest der mit unserem Münztyp ver- wandte Hälbling mit Brustbild des Heiligen Ursus von vorne im Kettenhemd15 passt ty- pologisch gut zum Plappart aus der Zeit um 1470.16 Die eingehende Bearbeitung der Solo- thurner Münzprägung bleibt vorderhand ein Desiderat. Die Auswertung der Schriftquellen und der Münzen sowie weiterer Fundkontexte werden eine sicherere Grundlage für die chro- nologische Beurteilung der beiden genannten Münztypen bieten. 15 Simmen 1972, 48 Nr. 17. Zum Typ vgl. Schmutz/Koenig 2003, 36. Zäch 2004, 240. 16 Simmen 1972, 54 Nr. 26a. Vgl. Schmutz/Koenig 2003, 36 Abb. 19 (wo der Plappart allerdings unserem Hälblingstyp Simmen 1972, 47 Nr. 12 gegenübergestellt wird). Zäch 2004, 240. 1.3 Bemerkungen zum Umlauf 17 Schmutz/Koenig 2003, 32 und 65–66. Seither kommen weitere Exemplare dazu, so drei Stücke aus Langnau i. E., Kirche, 1997: AI 422.006.1997.01, Fnr. 56053, 56063 und 56064. 18 Dazu Frey-Kupper/Koenig 1999, 107 mit Fundnachweisen zu Winterthur ZH, Sempach LU, Von den drei vorhandenen Münztypen ist der Nottwil LU und Schwyz SZ. Seither wurden zudem drei Beispiele aus der Kirche St. Mar- Berner Haller (Nr. 1) in den Berner Funden tin in Jona SG bekannt, vgl. Zäch 2001, 218–219, zu SFI 3335-1.2: 11–13. Für Konstanz vgl. Derschka 1999, 920 Nr. 78–80 (entspricht Derschka 2005, 183-184 Nr. 9–11), für Kemp- 17 der häufigste, der sich zudem durch die wei- ten Derschka 2007, 297 Nr. 14/6, 303 Nr. 16/1–2 und 310–311 Nr. 16/43–50. Harald R. teste Verbreitung auszeichnet. Er streut bis in Derschka bestimmt die erwähnten Münzen nach Blatter 1928, Nr. 22–25; sie gehören mehrheit- lich dem Typ Geiger 1997, 314 und Tab. Typ 11.1 (nach Hans-Ulrich Geigers neuerer Typologie die Innerschweiz, die Gebiete der östlichen Typ 10.1) an. Schweiz und, über die Bodenseegegend hin- 19 Zur Verbreitung im Kanton Bern vgl. die Nachweise bei Schmutz/Koenig 2003, 36 mit aus, bis nach Kempten im schwäbischen Al- Anm. 105 und 66. Zu den beiden Exemplaren aus Meikirch vgl. seither Eggenberger/Boschetti- Maradi/Schmutz 2004, 236–237, Nr. 3–4, Abb. 247, 3–4. Dazu kommt neu ein Exemplar aus 18 penvorland. Gut belegt ist auch der Solo- Dotzigen, Lyss-Str. 1, 1999: AI 056.005.2000.01, Fnr. 78403 (Inv. Nr. ADB 056.0003, erwähnt thurner Typ (Nr. 3),19 dessen Umlaufgebiet bei Zäch 2004, 240 Anm. 80). 20 von Roten 1993, 266 Nr. 626–628. Bei einem Exemplar aus Winterthur ZH, Metzggasse 18, ebenfalls bis in die Ostschweiz reicht, sind ist wegen des Erhaltungszustandes nicht zu beurteilen, ob das Stück dem Typ Simmen 1972, doch Exemplare aus Winterthur ZH, St. Lau- 47 Nr. 12 oder 17 angehört, vgl. Zäch/Warburton-Ackermann 1996, 231 Nr. 42 und Zäch rentius bezeugt.20 Seltener im Kanton Bern ist 2001, 240. Dazu kommen drei Exemplare aus der Pfarrkirche und dem zugehörigen Friedhof in Schöftland AG, vgl. Cahn 1966, 82 Nr. 14–16. 21 der einseitige Basler Typ (Nr. 2), für den jen- 21 Zur Verbreitung im Kanton Bern vgl. die Nachweise bei Schmutz/Koenig 2003, 39 mit seits des Juras wohl eine dichtere Verbreitung Anm. 133. 22 Vgl. die Angaben zu den Kirchenfunden bei Schmutz/Koenig 2003, 36 mit Anm. 105 (Gel- zu erwarten ist. Sein Umlaufgebiet bleibt im terkinden BL und Jona SG), sowie zu oben, Anm. 7 zur Börse von Aesch BL und Anm. 8 zum Einzelnen aber noch zu untersuchen.22 Schatzfund von Binningen BL, Holeeholz 1918.

Abb. 42: Leissigen, Kirche. Die Fundmünzen der Ausgra- bung. M. 2:1.

1 2 3 52

2. Katalog

Vorbemerkung Bern, Stadt Die Werte der Abnutzung (Zirkulationsspuren) und Kor- 1. Haller, Bern (um 1400–1421) rosion sind jeweils, durch einen Schrägstrich getrennt, Vs.: Bär nach links schreitend, Kopf angehoben, Schnauze für Vorder- und Rückseite angegeben und zwar nach geöffnet, darüber stilisierter Adler, Wulstreif. folgender Abstufung (vgl. Abnutzung und Korrosion. Geiger 1997, 314 und Tab. Typ 11.1. Bestimmungstafeln zur Bearbeitung von Fundmünzen, BI 0,17 g 13,7–14,4 mm –° A 2/2 K 1/1 Bulletin IFS, Supplement 1995, 10–12): Fundumstände: Nach Fundzettel aus dem Schiff bei «Tauf- steinfundament». A 0 unbestimmt Bem.: nach Hans-Ulrich Geigers neuerer Typologie A 1 nicht bis kaum abgenutzt Typ. 10.01.01, Stempel Nr. 53, freundliche Auskunft vom A 2 leicht abgenutzt 1. April 2008. A 3 abgenutzt Inv. Nr. 207.0002 SFI 939-1.1: 1 A 4 stark abgenutzt A 5 sehr stark bis total abgenutzt

K 0 unbestimmt K 1 nicht bis kaum korrodiert K 2 leicht korrodiert K 3 korrodiert K 4 stark korrodiert K 5 sehr stark bis total korrodiert

Der Katalog beruht auf den Vorarbeiten von Basel, Stadt Franz E. Koenig. 2. Stebler, Basel (nach dem Vertrag von 1425) Vs.: Stadtwappen auf erhöhtem Schild in einem Wulst- reif, die Krümme reicht leicht über den Wappenschild hinaus; Perlkreis (26 oder 27 Perlen). Slg. Wüthrich 1971, 19 Nr. 67; Cahn 1970, 120 Nr. 9–12. BI 0,17 g 13,5–15,0 mm –° A 1/1 K 2/2 Beschädigung: ausgebrochen. Inv. Nr. 207.0003 SFI 939-1.1: 2

Solothurn, Stadt 3. Haller, Solothurn (2. Hälfte 15. Jh., ab 1469/70?) Vs.: Brustbild des hl. Ursus, zwischen S – O, Becken- haube?, Helmbrünne, Brustplatte mit Kreuz, Arm- zeug, Wulstreif. Simmen 1972, 47 Nr. 12. BI 0,15 g 12,8–15,0 mm –° A 2/2 K 1/1 Herstellungsfehler: flaue Prägung. Beschädigung: Rand weitgehend ausgebrochen und Schrötling an vier Stellen durchbrochen. Bem.: Gruppe A (Schrötlingsdurchmesser über 14 mm). Fundumstände: Auffüllung Glockengussgrube. Inv. Nr. 207.0001 SFI 585-1.1: 3 Leissigen, Kirche 53

3. Literatur

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Zusammenfassung

Baugeschichte eine Tradierung oder gar eine historische Tat- Im Bereich des Schiffes der ersten am Mauer- sache vermitteln wollte. Anderseits wiesen zu bestand erkennbaren Kirche liegen acht Grä- seiner Zeit die von ihm aufgezählten Kirchen- ber, die jedoch mangels stratigrafischer Bezüge bauten tatsächlich eine gemeinsame Baugestalt nur aufgrund ihrer Lage derselben Bestat- auf, die im 11. Jahrhundert entstanden war. tungsphase zugeordnet werden können. Eines Obwohl sich die Gruppe der von ihm aufge- davon wurde von einer der Mauern der ers- zählten Kirchenbauten des 11. Jahrhunderts ten erkennbaren Kirche durchschnitten, so- aus zwei unterschiedlichen Kirchentypen zu- dass die ganze Grabgruppe wahrscheinlich sammensetzt – Basiliken von Amsoldingen, älter als diese ist. Da sich die Gräber auf ei- Spiez und Wimmis, Saalkirchen mit eingezo- ner begrenzten, viereckigen Fläche verteilen, gener Apsis an den übrigen Orten, darunter dürfte es sich um Bestattungen handeln, die auch in Leissigen – wiesen sie zu seiner Zeit im Innern einer vollständig verschwundenen tatsächlich eine gemeinsame Baugestalt auf. älteren Kirche angelegt worden sind. Darin darf die Gründungskirche vermutet werden, Im 14. Jahrhundert dürfte die Kirche mit die aufgrund der beigabenlosen Bestattungen dem Anbau des Turmes ihre Gestalt erhalten im 8., spätestens im beginnenden 9. Jahrhun- haben, in der sie nach der Reformation von dert entstanden sein wird (Abb. 43/1 mit ein- 1528 für den reformierten Gottesdienst ein- getragenem Standort). Die erste am Mauerbe- gerichtet wurde (Abb. 43/4). 1675 baute man stand erkennbare Kirche bildete demnach die die Kirche, die bis dahin auf das 11. Jahrhun- zweite Anlage und dürfte im 9./10. Jahrhun- dert zurückging, in einen «Predigtsaal» um dert entstanden sein. Das gedrungene, beinahe und ersetzte die Apsis durch einen geraden quadratische Schiff wurde durch ein eingezo- Chorschluss (Abb. 43/5). Als man 1834 die genes, querrechteckiges Altarhaus geschlossen Orgel im Chor aufstellte, wurde dessen Ost- (Abb. 43/2). mauer durchbrochen und das Orgelwerk in ei- nem halbkreisförmigen Anbau untergebracht Im 11. Jahrhundert ersetzte man diese Anlage (Abb. 43/6). 1840 fügte man vor der West- durch eine Saalkirche, deren Schiff längsrecht- mauer einen gleich breiten, zweigeschossi- eckig und deren Apsis um Mauerstärke ein- gen Vorbau mit Vorhalle und Unterweisungs- gezogen war (Abb. 43/3). Das neue Gebäude raum an (Abb. 43/7). In der Restaurierung reiht sich in die frühromanische Gruppe der von 1973/74 wurde schliesslich der Orgelan- so genannten «Thunerseekirchen» ein. Diese bau abgebrochen und der Kirchenraum in wurde vor allem durch die «Strättliger Chro- seinem Zustand von 1675 wiederhergestellt nik» bekannt, die Elogius Kiburger, Pfarrer in (Abb. 43/8). Einigen, in der Mitte des 15. Jahrhunderts ver- fasst hatte. So sollen die Kirchen von Aeschi, Anthropologie Amsoldingen, Frutigen, Hilterfingen, Leis- Die Gräber 1–8 werden der ersten Kirche von sigen, Scherzligen, Sigriswil, Spiez, Thier- Leissigen zugeordnet, und zwar als Innenbe- achern, Thun, Uttigen und Wimmis in der stattungen. Das Gräberensemble setzt sich ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts von König aus drei Männern, zwei Frauen und vier Kin- Rudolf II. von Burgund (Regierungszeit 911– dern zusammen. Morphologisch besteht eine 937) und seiner Frau Berta gestiftet worden bedeutende Heterogenität, welche gegen eine sein und zwar als Filialen der Kirche von Eini- genetisch eng verbundene Einwanderersippe gen. Einerseits konnte die historische und ar- alamannischer Provenienz spricht. An den chäologische Forschung aber nachweisen, dass Bestattungen beeindruckt ferner die Häu- Kiburger mit dieser Darstellung vor allem die fung der Anomalien, jedoch sind es verschie- Kirche Einigen und damit seine eigene Bedeu- denartige und mehrheitlich nur individuell tung in den Mittelpunkt rücken und weniger vorkommende Merkmale, so dass sich darin Leissigen, Kirche 55

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Abb. 43: Leissigen. Bau- 0 10m 8 phasen. M 1:300. 8

wiederum eher eine Heterogenität der Bestat- Numismatik teten als Familienähnlichkeiten widerspiegeln. Bei der in der Kirche von Leissigen durchge- Der Gesundheitszustand der kleinen Bevölke- führten Untersuchung kamen drei Fundmün- rungsstichprobe liess sich aufgrund der unvoll- zen als Streufunde zutage. Bei allen drei Mün- ständigen Skeletterhaltung am besten an den zen handelt es sich um einseitige Prägungen Zähnen ablesen. Vereinzelt bestanden erheb- alemannischer Machart, die noch aus dem liche Probleme, die durch fehlende Zahnhygi- 15. Jahrhundert stammen. Von den drei vor- ene, verbunden mit der Einnahme süss-kleb- handenen Münztypen ist der Berner Haller riger Speisen, verursacht wurden. Hingegen (Nr. 1) in den Berner Funden der häufigste fanden sich keine Hinweise auf Mangeler- und zugleich der mit dem weitesten Verbrei- scheinungen und Stresssymptome. tungsgebiet (Innerschweiz, östliche Schweiz, Bodenseegegend, schwäbisches Alpenvor- Die zwei Gräber 9 und 10 im Westen des Kir- land. Gut belegt ist auch der Solothurner Typ chenschiffs enthielten aufgrund jüngerer Stö- (Nr. 2) dessen Umlaufgebiet ebenfalls bis in rungen sehr unvollständige Skelette. Nur von die Ostschweiz reicht. Seltener ist im Kanton einer Bestattung blieb der Schädel erhalten. Bern der einseitige Basler Typ (Nr. 3). Dieser dürfte anthropologisch ebenfalls ins Frühmittelalter einzuordnen sein. 56

Résumé Summary

Histoire architecturale Construction history Dans la zone de la nef de la première église Eight burials were located in the area of the identifiable à ses restes de murs ont été mi- nave of the earliest church identified by the ses au jour huit tombes qui, faute de relations remains of its walls; however, due to lack of stratigraphiques, ne sont attribuées à la même stratigraphic connections, these graves can phase d’inhumations qu’en raison de leur si- only be attributed to the same burial phase tuation. Comme l’une d’entre elles a été cou- because of their orientation. One of the walls pée par un mur de la première église, les tom- of the earliest identified church cut through bes de ce groupe sont probablement toutes one of the graves, which means that the en- plus anciennes que l’église. Les sépultures se tire group of burials probably predates the répartissent sur une surface restreinte qua- construction of this church. Because the buri- drangulaire, témoin probable d’une église plus als cover a limited rectangular area, they were ancienne à l’intérieur de laquelle elles se trou- probably located originally inside an earlier vaient. Il s’agirait alors de la première église, church, no features of which have survived. que l’absence de mobilier funéraire amène à We may assume that this was the founding dater du VIIIe ou au plus tard du début du IXe church and based on the fact that there were siècle (fig. 43/1). La plus ancienne église dont no grave goods present in the graves, it was sont conservés des vestiges maçonnés serait probably built in the 8th century or at the latest donc la deuxième et pourrait avoir été cons- in the early 9th century (Fig. 43/1 with marked truite au IXe/Xe siècle. Son plan présentait une location). The earliest church of which rem- nef aux proportions ramassées, presque car- nants of walls have survived was therefore the rée, et un sanctuaire quadrangulaire plus étroit second construction and was probably erected (fig. 43/2). in the 9th/10th centuries. The squat, almost square nave was closed off by a recessed trans- L’église fut reconstruite au XIe siècle sur un verse rectangular chancel (Fig. 43/2). plan rectangulaire allongé, avec une ab- side semi-circulaire en retrait d’une largeur This building was replaced in the 11th cen- du mur (fig. 43/3). Le nouvel édifice s’ins- tury by a hall church, the nave of which was crit ainsi dans le groupe des « églises du lac de of a longitudinal rectangular shape and the Thoune », du premier style roman. Ce groupe apse of which was recessed by the same width d’églises est surtout connu par la « Chronique as the wall (Fig. 43/3). The new building fits de Strättligen », rédigée au milieu du XVe siè- in well with the Early Romanesque group of cle par Elogius Kiburger, curé d’Einigen. Ce- so-called ‘Churches of ’. These be- lui-ci attribue au roi Rodolphe Ier de Bourgo- came known mainly because of the ‘Strättli- gne (qui régna de 911 à 937) et à son épouse la gen Chronicle’, written in the mid 15th cen- reine Berthe la fondation des églises d’Aeschi, tury by Elogius Kiburger, Priest in Einigen. Amsoldingen, Frutigen, Hilterfingen, Leis- According to the chronicle, the churches of sigen, Scherzligen, Sigriswil, Spiez, Thiera- Aeschi, Amsoldingen, Frutigen, Hilterfingen, chern, Thoune, Uttigen et Wimmis, qui tou- Leissigen, Scherzligen, Sigriswil, Spiez, Thier- tes auraient été en outre des filiales de l’église achern, Thun, Uttigen and Wimmis were said d’Einigen. Deux observations doivent être fai- to have been donated in the first half of the tes à ce sujet. Premièrement, les recherches his- 10th century by King Rudolf II of Burgundy toriques et archéologiques ont démontré que (reign 911-937) and his wife Berta as chapels la chronique de Kiburger avait surtout pour of the church in Einigen. On one hand, histor- propos de mettre en évidence l’église d’Eini- ical and archaeological research has revealed, gen plutôt que de rapporter une tradition ou however, that Kiburger’s statement was made moins encore des faits historiques. Deuxième- mainly with the intention of making Eini- ment, il est un fait que les églises qu’il énumère gen Church and thus his own position more Leissigen, Kirche 57

forment réellement un groupe homogène ap- elevated and that tradition or even historical paru au XIe siècle et caractérisé par des simili- fact hardly played a part. On the other hand, tudes architecturales, même si ce groupe réunit the church buildings listed in his account, in deux types, les églises à plan basilical (Amsol- fact, did in his time exhibit the same architec- dingen, Spiez et Wimmis) et les églises à nef tural form dating from the 11th century. De- rectangulaire simple et abside (toutes les autres spite the fact that the group of 11th century et parmi elles Leissigen). churches mentioned by him were actually of two different church types – basilicas in Am- La construction du clocher au XIVe siècle soldingen, Spiez and Wimmis, hall churches donna à l’église la forme qu’elle avait encore au with recessed apses in the other places includ- moment de la Réforme en 1528 (fig. 43/4). En ing Leissigen – they did actually look the same 1675, elle fut transformée en salle de prédica- from the outside in his time. tion et en même temps l’abside remplacée par un chevet plat (fig. 43/5). En 1834, on perça The addition of the tower in the 14th century le mur du chevet et créa une annexe semi-cir- gave the church the design, which would later culaire pour y installer l’orgue (fig. 43/6). Une be adapted for Protestant church services af- construction à deux niveaux et porche fut ajou- ter the Reformation in 1528 (Fig. 43/4). The tée à l’ouest en 1840 pour servir à l’enseigne- church, the architectural features of which ment religieux (fig. 43/7). La restauration de still dated back to the 11th century, was turned 1973/1974 a fait disparaître l’annexe de l’or- into a ‘sermon hall’ in 1675 and the apse was gue et rétabli l’espace dans son état de 1675 replaced by a rectangular choir termination (fig. 43/8). (Fig. 43/5). When the organ was installed in the choir in 1834, its eastern wall was broken Anthropologie through and the action was housed in a sem- Les tombes du premier groupe (1-8) sont inter- icircular annex (Fig. 43/6). In 1840, a two- prétées comme des sépultures installées dans storey extension of the same width contain- la plus ancienne église de Leissigen. Il s’agit de ing a porch and an instruction room was built trois hommes, deux femmes et quatre enfants. onto the western wall (Fig. 43/7). During res- La grande diversité morphologique des indi- toration work carried out in 1973/74 the or- vidus est un indice en défaveur de l’apparte- gan annex was eventually demolished and nance commune à un clan d’Alamans immi- the church hall was returned to its 1675 state grés. L’examen de squelettes a fait apparaître (Fig. 43/8). une concentration inhabituelle d’anomalies, mais ici aussi, il s’agit de phénomènes très divers Anthropology et individuels qui sont plutôt le signe de l’hé- Burials 1–8 were linked with the earliest térogénéité des défunts que de leur proximité church of Leissigen and interpreted as interior familiale. En raison de la conservation incom- burials. The deceased included three men, plète des squelettes, c’est l’examen des dents qui two women and four children. There was sig- a fourni les meilleures informations sur l’état nificant morphological heterogeneity, which de santé de ce petit échantillon de population. suggests that this was not a group of immi- Quelques cas ont révélé des problèmes aigus grants of Alamannian provenance with close dus à une hygiène dentaire déficiente et à l’ab- genetic links. Another striking element was sorbtion d’aliments sucrés collants. Les indivi- the accumulation of anomalies in the burials; dus n’ont montré en revanche aucun symptôme there was, however, a variety of features most de carence alimentaire ou de traumatisme. of which occurred only in individual cases, thus again highlighting the heterogeneity of Les tombes 9 et 10, dans la partie ouest de la the deceased rather than familial similarities. nef, ne contenaient plus que des squelettes très Due to the incomplete preservation of the skel- partiels, fortement perturbés par des creuse- etons, the general state of health in this small ments ultérieurs. Un seul des deux crânes était sample of the population was best assessed intact. L’examen anthropologique permet de le by studying the teeth. There were individual dater du haut Moyen Âge. cases of severe problems caused by a lack of 58

Numismatique dental hygiene together with the consumption Lors des investigations menées dans l’église de of sweet and sticky foods. On the other hand, Leissigen ont été découvertes trois monnaies signs of deprivation and symptoms of stress éparses. Toutes trois sont des pièces frappées were absent. sur une seule face, à la manière des bractéates alémaniques, et datent du XVe siècle. La pre- Due to later disturbances, burials 9 and 10 mière (n˚ 1) est un heller (demi-denier) ber- found in the western area of the church nave nois, le type le plus répandu dans le canton contained quite incomplete skeletons. Only de Berne, mais aussi celui dont l’aire de diffu- one of the skulls had been preserved. From sion a été la plus vaste (Suisse centrale, Suisse an anthropological viewpoint, this skull is orientale, région du lac de Constance, Préal- probably also attributable to the Early Mid- pes souabes). Le type soleurois (n˚ 2) est bien dle Ages. connu aussi jusqu’en Suisse orientale. Le type bâlois (n˚ 3) à frappe sur une seule face est plus Numismatics rare dans le canton de Berne. Three coins came to light as stray finds during the excavations that took place at the church of Leissigen. All three coins were uniface Ala- mannian type mints dating from the 15th cen- tury. Among the three coin types found, the Bernese Haller (no. 1) was the coin most com- monly found in Bernese sites and it also had the widest distribution area (Central Switzer- land, eastern Switzerland, the region of Lake Constance, Swabian foothills of the Alps). Also found quite frequently is the coin type Solothurn (no. 2), whose area of circulation also reached eastern Switzerland. The uniface Basel type (no. 3) is more rarely found in Can- ton Berne. Leissigen, Kirche 59

Abbildungsnachweis

AAM Atelier d’archéologie médiévale SA, Denkmalpflege des Kantons Bern Moudon (teils G. Howald/M. Hesse): Abb. 18, Abb. 23, Franz Wadsack, digitale Bearbeitung: Daniel Abb. 26, Abb. 28–31. Marchand, ADB: Abb. 3, Abb. 5, Abb. 7, Abb. 11, Abb. 14, Abb. 19, Abb. 21, Abb. 27, Daniel und Suzanne Fibbi-Aeppli, Grandson Abb. 32, Abb. 43. VD: Abb. 2.

Archäologischer Dienst des Kantons Bern Historische Anthropologie Bern Grabungsfotos Urs Kindler: Abb. 1 (StAB: AA Christine Cooper: Abb. 34–36, 39–41. IV, Interlaken, 45), Abb. 4, Abb. 6, Abb. 8–10, Lisa Schäublin: Abb. 37 und 38 . Abb. 12, Abb. 13, Abb. 15, Abb. 16, Abb. 17, Abb. 20, Abb. 22, Abb. 24 und 25. Badri Redha: Titelbild, Abb. 42. Eliane Schranz, digitale Bearbeitung: Abb. 33. Marc Müller, digitale Bearbeitung: Anthropo- logietabelle.