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Ausgabe 3.2007 klartext Magazin der Partei DIE LINKE. Sachsen-Anhalt

SIE IST DA ! klartext 3-2007-DRUCK-1 25.06.2007 14:53 Uhr Seite 2

KLARTEXT Editorial

In Kürze |3 DIE LINKE ist da

Titel Wir haben es geschafft, die gesamt- schaft durchsetzen. Deshalb muss im Pro- Stimmen zur neuen Partei deutsche LINKE ist gegründet. Hinter uns gramm der Partei DIE LINKE der demokra- DIE LINKE |4 liegen die schwierigen Verhandlungen tische Sozialismus als Ziel und Weg, als zweier vormals selbstständiger Parteien transformatorischer Prozess verankert sein. Ein Bild aus dem Zerrspiegel? |5 mit unterschiedlichen Herkünften. Das Gleichzeitig erwarte ich ein Programm, in Ziel beider Parteien war die Verbesserung dem sich die unterschiedlichen Erfahrun- Themen der Situation von sozial Schwachen, eine gen der Mitglieder als neue Möglichkeiten Ein neuer Landrat für Wittenberg |6 Positionierung zugunsten von Arbeitneh- von Protest und Politik der LINKEN mern und Arbeitslosen, die Verteidigung wiederfinden. und die neue LINKE |7 sozialstaatlicher Standards, der Kampf für Die Gründung der LINKEN kann das Par- In der Sackgasse – oder: die Überwindung von Hartz IV. Über die teiengefüge, die Mehrheitsbildung inner- Mittel beherrschen Ziele |8 Wege einer sozialen Politik, ihre Möglich- halb und außerhalb der Parlamente nach- keiten in der heutigen Gesellschaft, die haltig verändern, DIE LINKE beeinflusst Eine schwere Geburt |10 Rolle des Staates etc., darüber besteht bereits jetzt Oppositions- und Regierungs- allerdings nicht immer Einigkeit – und das politik. Die Debatte um den Mindestlohn Schäubles Salamitaktik |11 nicht nur im Vergleich der ehemaligen wäre ohne DIE LINKE und die Gewerk- Parteien. Wenn Lothar Bisky in auf schaften nicht zum Topthema geworden. Gesetzlicher Mindestlohn ohne dem Gründungsparteitag explizit vom Sys- Vor uns liegen viele Aufgaben. Wir müs- Alternativen |12 temwechsel als Ziel der Politik der LINKEN sen einen echten Dialog zwischen den gesprochen hat, dann war das weniger re- Genossinnen und Genossen führen, einen Kultur volutionärer Pathos als vielmehr Standort- wirklichen Austausch mit den aus jeweili- Sein oder nicht sein |13 bestimmung einer neuen Partei in der ger Sicht Dazugekommenen. Das betrifft Bundesrepublik. Die Interessenvertretung ja nicht nur die Zusammenarbeit der West- Kolumne sozial Schwacher, die gerechte Verteilung und der Ostlandesverbände, sondern fast Links und frei |14 gesellschaftlichen Reichtums oder das jeden Kreisverband. Nach der Phase mit Ringen um mehr Demokratie wird inner- unterschiedlichen Verhandlungspositio- Satire halb der kapitalistischen Gesellschaft im- nen im Vorfeld gilt es jetzt, gemeinsam zu mer innerhalb sozialer Kämpfe stattfinden arbeiten und Politik zu gestalten. Abgeordneter v. Aktenrath |15 müssen. Die Selbstverständlichkeit einer global gerechten Welt lässt sich wohl erst Ihr Matthias Höhn, Landesvorsitzender Termine mit einer anderen Verfasstheit von Gesell- der LINKEN in Sachsen-Anhalt Gründung der LINKEN in Sachsen-Anhalt |16

Liebe Leserinnen und Leser,

Impressum am 16. Juni 2007 feierten in Berlin die senhafte Vertretung von sozial und öko- Delegierten, Dutzende Neueintritte und nomisch Benachteiligten, muss sich nun klartext Magazin der LINKEN Sachsen-Anhalt zahlreiche, auch internationale Gäste, ihre auch in der Tagespolitik in den Kommunen Herausgeber: Hoffnung auf Veränderung und ihre Zuver- und Ländern in Ost- und West durchset- Landesvorstand der Partei DIE LINKE. Sachsen-Anhalt Redaktion: Anke Lohmann (Leitung), Dr. Thomas sicht in die demokratischen Mittel einer zen. Die Kritik und Erfahrung der alten Drzisga (V.i.S.d.P.), Monika Krüger, Matthias Gärtner, Partei mit der Gründung der neuen LIN- und neuen Westgenossen birgt mehr Oliver Müller, Dr. Martin Reso, Joachim Spaeth Druck: Harzdruckerei, Wernigerode KEN. Möglichkeiten von sozialen Kämpfen und Auflage: 5.000 Exemplare Es ist zäh verhandelt worden, und wie der Durchsetzung von Arbeitnehmerrech- Preis: Spende nach einer schwierigen Geburt scheinen ten. Dies alles mit der Utopie von einer Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 19. Juni 2007. die Wehen vergessen, mit glücklichem anderen Gesellschaft zu verquicken, findet klartext erscheint einmal im Quartal. Das Magazin ist Blick auf das Resultat. Dabei wird das, was im Übrigen Potential in beiden Facetten erhältlich in allen Geschäftsstellen und Wahlkreisbü- ros der Partei DIE LINKE Sachsen-Anhalt. Für unver- zäh verhandelt wurde, immer wieder eine der Herkunftparteien und -geschichten. langt eingesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Rolle in den Debatten in der LINKEN und Haftung übernommen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der den Diskussionen über sie spielen. Zwi- Viel Spaß mit der neuen LINKEN wünschen Redaktion wieder. Die Redaktion behält sich bei Le- schen „Systemwechsel“ (Lothar Bisky) und Anke Lohmann serbriefen das Recht Sinn wahrender Kürzungen aus- Tagespolitik für die Belange der Menschen und die Redaktion KLARTEXT drücklich vor. Vervielfältigung, Speicherung und Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers. vor Ort liegen halt die Bewährungen einer sozialistischen Partei in dieser Zeit. An die Anschrift: DIE LINKE. Landesvorstand Sachsen-An- halt, Redaktion klartext, Ebendorfer Straße 3, 39108 LINKE werden hohe Erwartungen gestellt, Tel.: 0391 7324840, Fax: 0391 nicht nur aus der Außenperspektive. Die 7324848, E-Mail: [email protected] Ostkompetenz, und das heißt ja die mas-

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In Kürze KLARTEXT

Neuer Parteivorstand gewählt

Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender Mitbestimmung, die besonders in der LINKEN ist ebenfalls seit dem 16. Juni der LINKEN im , bezeichnete Satzung hinsichtlich der Berücksichtigung Matthias Höhn, der Vorsitzende des Lan- in gewohntem Wortwitz die Gründung der „kleineren“ Herkunftspartei geglückt desverbandes Sachsen-Anhalt. Ihm ge- der gesamtdeutschen LINKEN als letzten ist, muss sich im nächsten Jahr an der Be- lang der Sprung in das wichtige Gremium Schritt der Wiedervereinigung. Die ersten teiligung von Frauen in der Basis und der mit dem Verweis auf die Erfahrungen und wichtigen Schritte der am 16. Juni 2007 Spitze der Partei wieder beweisen. die Arbeit der Linkspartei.PDS im Osten gegründten LINKEN begleiten als Partei- Aus Sachsen-Anhalt wurden die Bildungs- in den vergangenen 17 Jahren. Die Kom- vorsitzende Lothar Bisky und Oskar La- politikerin und ehemalige Landesvorsit- petenzen einer Volkspartei müssen für fontaine. Bisky betonte in seiner Vorstel- zende Rosemarie Hein gewählt, ebenso den Westen Deutschland weiterentwi- lungsrede an die Delegierten den System- der Historiker und Bundestagsabgeord- ckelt und für die spezifische Situation im wechsel als Fernziel der Partei DIE LINKE nete Jan Korte, der noch einmal auf die Osten verteidigt werden. und damit den programmatischen Schritt Notwendigkeit einer linken Perspektive in hin zum demokratischen Sozialismus, Os- den Geschichtsdebatten der BRD verwies. kar Lafontaine mahnte innerparteiliche Beide waren bereits Mitglieder im Partei- Informationen zu den allen 44 Frauen und Demokratie als Voraussetzung für glaub- vorstand der Linkspartei.PDS. Männern im neuen Vorstand finden sich würdige Politik an. Diese innerparteiliche Mitglied des Parteivorstandes der neuen unter www.die-linke.de.

Sachsen-Anhalt in Berlin – die Bundestagsrubrik

Berlin ist geographisch nicht Keine Großforschungseinrichtung weit entfernt, die Gescheh- für Halle-Leipzig nisse im Bundestag erschei- Zuweilen wird bei der Arbeit im Bun- dige Staatssekretär im Ausschuss an, nen dagegen oft wie aus einer destag sehr deutlich, wie wichtig die di- dass das Biomassezentrum gar nicht als rekte Aussprache der Abgeordneten mit Großforschungseinrichtung geplant sei. anderen Galaxie. Für den klar- der Bundesregierung im Fachausschuss An mehr als ein paar Millionen Euro Pro- des Bundestages ist – im kleinen Kreise jektmittel hat die Bundesregierung dem- text berichten Abgeordnete sozusagen. So auch Ende März im Aus- nach nicht gedacht. Das aber ist aus un- schuss für Bildung, Forschung und Tech- serer Sicht keine Basis für eine zugkräftige und Mitarbeiter der LINKEN nikfolgenabschätzung als es um das für Forschungseinrichtung, die ostdeutsche Ostdeutschland geplante Biomassefor- Regionen attraktiv für gute Wissenschaft- von den Debatten und Ent- schungszentrum ging. Alle Fraktionen ler machen und als Ausgangspunkt für die gingen bislang davon aus, dass dies jene Ansiedlung weiterer mittelständischer scheidungen im 16. Deut- Großforschungseinrichtung sein wird, die Betriebe mit angewandter Forschung die- Schwarz-Rot in ihrem Koalitionsvertrag nen kann. Auf unsere Nachfrage hin stell- schen Bundestag – und den angekündigt hat. Der Ausbau von For- te sich zudem heraus, dass die Koalition schungseinrichtungen in den neuen Län- in dieser Wahlperiode überhaupt keine Konsequenzen für die Men- dern wird darin als zentrales Scharnier für Großforschungseinrichtung mehr im Os- den „Aufbau Ost“ bewertet. So hatten ten plant. Der „Aufbau Ost“ ist also mal schen in Sachsen-Anhalt. CDU und SPD versprochen: „Bei der Er- wieder gut für schön klingende Papiere, richtung neuer Großforschungseinrich- die keine Umsetzung in der Wirklichkeit tungen sollen die neuen Länder ange- finden. In einem Antrag an den Bundes- messen berücksichtigt werden“. tag fordern wir nun die „Errichtung einer Das Biomassezentrum selbst ist für den Großforschungseinrichtung in den neuen Standort Halle-Leipzig im Gespräch. Hier Ländern“. Jetzt müssen SPD und CDU di- verspricht die geographische Nähe zwi- rekt Stellung beziehen, weshalb sie die schen dem Institut für Energetik und Um- Koalitionsvereinbarung bislang nicht um- welt in Leipzig sowie dem Institut für gesetzt haben und wie sie gedenken, zu- Pflanzengenetik und Kulturpflanzenfor- kunftsweisende Forschung und Entwick- schung im sachsen-anhaltinischen Gaters- lung in ostdeutsche Länder zu tragen. leben eine fruchtbare Zusammenarbeit. Auch die Martin-Luther-Universität in Johanna Maiwald, Halle soll mit angebunden werden. In ei- Wissenschaftliche Mitarbeiterin im nem Nebensatz merkte aber der zustän- Bundestagsbüro von Dr. Petra Sitte

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KLARTEXT Titel Stimmen zur neuen Partei DIE LINKE

„Ich erwarte von der Partei DIE LINKE…“

„… dass sie sich in ganz Deutschland zu einer linken Volkspartei entwickelt in deren Fokus die reale Lebenssituation der Menschen steht.“ (Wulf Gallert, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Landtag Sachsen-Anhalt)

„… eine hohe Attraktivität und Ausstrah- lung auf soziale Initiativgruppen, in Bezug auf Neumitglieder und noch mehr ge- meinsame Aktionen. Ich erwarte, dass sich die neue Partei deutlich für eine glo- bale Gerechtigkeit stark macht und ganz klar, antirassistische, gewaltfreie, ökolo- gische, soziale und basisdemokratische Politik vertritt. Vor allem müssen wir au- thentisch sein, um für die Menschen glaubhaft zu sein.“ (Veit Kuhr)

„… dass sie weiterhin Augen und Ohren „… Ich möchte nicht mit 67 Jahren in die schaft, sozial gerecht, modern, zukunfts- FÜR SCHWACHE, politisch Ausgegrenzte, Rente, meine Kinder sollen in Frieden und weisend zu sein.“ (Roland Teichmann) d.h. für Betroffene offen hält. Das heißt Wohlstand leben und arbeiten, mein En- für mich, dass die neue Linke ihre Unter- kelkind soll in einer Gesellschaft aufwach- „… dass der demokratische Sozialismus stützung und Hilfe weiterhin aktiv, sen, wo ihr Lächeln erhalten bleibt...” als Selbstverständlichkeit und Ziel im unkompliziert vor Ort anbietet!“ (Bärbel Hortig, KV Bitterfeld) neuen Programm anerkannt wird. Ich er- (Sandra Zwirnmann) warte, dass die LINKE ihre Kraft nicht in „… im Westen eine Volkspartei zu wer- internen Streitigkeiten verschwendet.“ “... Als Mitglied sehe ich als Ziele, be- den, wie sie es im Osten ist. Im Westen (Sandra Heiß, KV Merseburg-Querfurt) sonders dem Rechtsradikalismus entge- Mitglieder dazuzugewinnen, ohne im gen zu wirken, für einen Alltag in Frieden Osten Mitglieder zu verlieren. Alles dafür „… Engagement für ein kinder- und fami- und Sicherheit für uns alle ...” zu tun, dass Politik in erster Linie für die lienfreundliches gesellschaftliches Kli- (Thomas Lippelt, Neumitglied) Menschen da ist, dann erst für die Wirt- ma!“ (Eva von Angern, SV Magdeburg)

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Titel KLARTEXT Ein Bild aus dem Zerrspiegel?

Mediale Reflexionen zur Gründung der Partei DIE LINKE

Die einschlägigen Suchmaschinen Stammwählerverlust der SPD sei auch ein quellen geradezu über: Meldungen, Kom- „ernstes Warnzeichen“ für die Union. mentare, Analysen, Prognosen – alles mit Die Welt geradezu lyrisch: Sag beim Ab- Blick auf DIE LINKE. So ist es folgerichtig, schied leise „PDS“ / Rote Ballons zum Ge- dass hier nur ein kleiner Ausschnitt be- burtstag einer neuen Partei. Dazu eine leuchtet werden kann, keine Analyse der Prophezeiung: Rot-Rot ist nur noch eine Medien, eher Eindrücke, Momentaufnah- Frage der Zeit. men. Und damit es „politisch korrekt“ Anders Die Zeit: Quicklebendige Leiche, zugeht, werden die Quellen alphabetisch so der Balken, dazu dann: Es ist voll- betrachtet, nicht nach der Häufung der bracht: Bisky, Gysi und Lafontaine schmie- Meldungen. den die neue Linke. Die Gründung ist ei- ne Kopfgeburt. Aber mit der neuen Partei So konstatiert die Baseler Zeitung: Lin- wird zu rechnen sein. Das bundesdeut- ker Flügel spricht künftig mit einer Stim- sche Parteiensystem verändert sich. me. Die Linke wolle Deutschland zu ei- Der Express kurz und bündig: Oskar nem Staat des demokratischen Sozia- schreckt alle auf. lismus machen. Ein solches politisches Die FAZ erlebt es so: Der „zweite Auf- System entspreche dem Grundgesetz viel bruch“ der PDS / Fliegender Start mit Ton- mehr als der Kapitalismus, sagte Gysi. nenlast. Die Berliner Morgenpost warnt: Ach- Nachdenklich die Financial Times: Ein Po- tung, unterschätzte Gefahr von links! sitives hat Die Linke: Die Partei sammelt Wenn die SPD darauf weiter mit Ignoranz Menschen, die sich sonst aus unserer De- reagiere, drohe ihr die Spaltung. mokratie verabschieden würden. In der Berliner Umschau liest es sich so: Im focus ist die Lage übersichtlich: Auf- Jetzt braucht es Populismus – Die Linke erstanden aus Ruinen / Mit alten Socken hat Erfolgschancen, jedoch keine Garan- auf zu neuen Ufern / Die neue SED. Frus- Eher frontal geht die Süddeutsche Zei- tien. trierte Sozis, Gewerkschafter und naive tung mit dem Ereignis um: Festspiele der Auch die Berliner Zeitung sieht Bedroh- Intellektuelle sammeln sich in der Linken. Unglaubwürdigkeit / Vom Wunsch, das liches: Linke wollen auch Grünen Konkur- Der Freudentaumel der Linken über ihre Original zu sein / Im Bund der Niemalszu- renz machen. Vereinigung kann die Gräben zwischen Ost friedenen. BILD bleibt sich treu: Wiederaufstieg ei- und West in der Partei nicht verdecken. Für die taz ist es ein Abschied ohne Auf- nes linken Typen / Lafontaine will die SPD Für die Frankfurter Rundschau ist klar: putschmittel. Und klar ist auch dies: Die schlucken! Und fragt: Wie gefährlich ist Raus aus der Regional-Liga Ost. Und sie Linken sind die führende Opposition, die neue Linkspartei? erkennt: Die Stunde des Linksauslegers – nicht mehr die Grünen. Der Spiegel dazu: Beckstein nimmt neue hat Die Linke ermöglicht Die Westdeutsche Allgemeine schließ- Linke ins Visier. Und auch das darf nicht – manche fragen sich, wohin er sie führt. lich erkennt unumwunden: Einschnitt im fehlen: Kampfansage an die Sozialdemo- Die Freie Presse hielt dies für wichtig: System. kraten: Die neue Linke gibt sich auf ihrem Stoiber warnt vor dramatischer Verände- Gründungsparteitag als die bessere SPD. rung durch neue Linke – CSU-Chef nennt Nein, ein Bild aus dem Zerrspiegel ist das Der Standard aus Österreich titelt: His- Lafontaine „gefährlichen Demagogen“. nicht, wiewohl es manche Verzerrung torische Fusion – Lafontaine sagt der SPD Für die Heidenheimer Zeitung ist klar: gibt, liest man die Texte zu den Über- den Kampf an. „Die Linke“ trumpft mit Oskar auf. schriften. Fakt ist: DIE LINKE wird ernst Der Tagesspiegel lässt nach vorne blick- Die Junge Welt schwärmt von Freibier genommen, für die einen eher als Bedro- en: Stoiber warnt vor neuer Linken, und Sozialismus, die Märkische Allge- hung, für andere eher als Chance. Die Struck vor Neuauflage der großen Koali- meine redet Klartext: Neue Linke setzt Medien können und wollen nicht vorbei tion. CSU-Chef Edmund Stoiber hat vor auf . an der neuen Linken, gut so. Wichtiger „dramatischen Veränderungen“ der Par- Für die Neue Züricher Zeitung heißt es: noch: So muss es bleiben – mit Politik, teienlandschaft durch die neugegründete Deutschlands konservative Linke, die Ro- mit Leben in der Gesellschaft, aus dem Linke gewarnt. Das Erstarken der Links- te Fahne meint: Neue linksreformistische Veränderung erwächst. partei und der damit einhergehende Partei „Die Linke“ in Berlin gegründet. | Dr. Thomas Drzisga

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KLARTEXT Thema Ein neuer Landrat für Wittenberg

Jürgen Dannenberg im Portrait

Am 6. Mai dieses Jahres setzte sich Seit 17 Jahren wirkt er als Kreistagsabge- der 55jährige Linkspartei-Politiker Jürgen ordneter, erst im Landkreis Jessen und ab Dannenberg überraschend deutlich mit 1994 im Kreistag Wittenberg. Davon war gut 54 Prozent der Stimmen gegen den der im kleinen Dorf Lebien lebende Dan- Mitbewerber von der CDU in der Stich- nenberg allein 14 Jahre Vorsitzender des wahl durch und ist somit bundesweit der Gesundheits- und Sozialausschusses. Be- dritte Landrat mit einem Parteibuch der harrlich mühte er sich darum, dass das Linkspartei. Im ersten Wahlgang lag er soziale Gefüge des Landkreises nicht völ- noch mit 6 Prozentpunkten hinter seinem lig aus den Fugen gerät. Als Partner von Konkurrenten von der Union. Ab Juli die- sozialen Vereinen kämpfte er um jede ses Jahres ist er somit Verwaltungschef Mark bzw. um jeden Euro öffentliche des Landkreises Wittenberg, in dem nach Unterstützung. Aber auch viele Empfän- vollzogener Kreisgebietsreform etwas ger von Hartz IV oder von Sozialhilfe mehr als 150.000 Menschen leben wer- wandten sich bei Fragen und Problemen plante Erhöhung der Kreisumlage auf 70 den. Für viele kam dieser Erfolg überra- direkt an den Kreistagsabgeordneten. Er Prozent der Zuweisungen ist mit ihm schend. Wer allerdings Dannenberg in hatte und hat im wahrsten Sinne des nicht machbar. Einsparpotentiale sieht er den letzten 15 Jahren begleitet und beob- Wortes sein Ohr an der Basis und brachte im Rahmen der Umsetzung der Gebiets- achtet hat, weiß, dass der Erfolg nicht seine Erfahrungen in aktuelle politische reform. Aber auch eine Reduzierung von zufällig eingetreten ist. Auseinandersetzungen ein. Diese offene Personalkosten ist für ihn kein Tabuthe- und ehrliche Art war letztlich ausschlag- ma. Hierzu müsse allerdings erst einmal BIOGRAPHISCHES: gebend für seinen Erfolg. Viel Zeit zum ein Personalentwicklungskonzept auf den Genießen des Erfolges bleibt dem frisch Tisch. Auf die Frage, dass gerade in die- · geboren am 11. 6. 1952 in Torgau gewählten Landrat allerdings nicht. Wirft sen Punkten Konflikte mit der eigenen · Abitur man nur einen vorsichtigen Blick auf die Partei zu erwarten sind, betont Dannen- · Diplom-Gesellschaftswissenschaftler Eckdaten des Haushalt des Landkreises berg, dass er nicht in aller erster Linie · 1987 – 1988 Mitarbeiter der Wittenberg bleibt nur ein Fazit: Der Kreis Landrat seiner Parteimitglieder, sondern SED-Bezirksleitung Cottbus ist pleite. Allein im Jahr 2007 klafft im dass er Landrat für die Einwohner des · 1988 – 1989 Sekretär für Land- Verwaltungshaushalt eine Lücke von über Landkreises Wittenberg ist. Unbedingt wirtschaft der SED-Kreisleitung Jessen 18 Millionen Euro. Noch nicht eingerech- will er aber seine Fraktion im Kreistag auf · bis 2007 Regionalmitarbeiter der net ist dabei das Minus, welches anteilig dem Wege der Entscheidungsfindung Linkspartei.PDS-Sachsen-Anhalt aus dem Kreis Anhalt-Zerbst hinzu- mitnehmen. Dannenberg: „Wir sind es kommt. gewöhnt, in der Linkspartei nie zu allen Einmal mehr stimmt somit die Aussage Problemen einen Konsens zu haben, den PERSÖNLICHES: von Gregor Gysi, der bereits vor Jahren muss man sich erstreiten.“ Seinen Stil ei- die These vertrat, dass Linke oftmals ner bürgernahen Politik will er auf keinem Lieblingsbuch dann gewählt werden, wenn die öffent- Fall ändern. Neben dem Führen einer Ver- historische Bücher lichen Kassen leer sind. Trotz alledem waltung will er auch weiterhin für die Lieblingsdichter dürfe man sich dann nicht vor der Über- Menschen da sein, sich ihre Sorgen und Juri Bresan nahme von Verantwortung drücken, so Nöte anhören, um gemeinsam mit ihnen Lieblingsmusik Gysi damals. Und das will Jürgen Dannen- nach Lösungen suchen. Dass das nicht Rock/Pop berg in keinem Fall tun. Bereits jetzt hat leicht wird, weiß er am Besten, denn ne- Lieblingsort er konkrete Vorstellungen, um den Land- ben der Stärke große Kompromissbereit- in der Sonne kreis wieder handlungsfähig zu machen. schaft an den Tag zu legen, hat er nach Lieblingsfilm Aus seiner Sicht ist das Wichtigste, um eigener Aussage eine große Schwäche: Spur der Steine den Landkreis am Leben zu erhalten, die „Ich kann das Wort ‘Nein’ schwer aus- Lieblingsschauspieler Frage der Haushaltskonsolidierung. Er sprechen.“ | Matthias Gärtner Robert Atzorn bleibt allerdings bei seiner Aussage vor Lieblingskneipe der Wahl: Das darf nicht auf Kosten der Griechisches Restaurant kreisangehörigen Städte und Gemeinden geschehen. Eine bis zum Jahr 2013 ge-

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Thema KLARTEXT

Damit haben sich in der Tat für die Linke Räume aufgetan, die sie ausfüllen kann – Bremen und die und muss! Die Frage ist aber nicht, ob sie das darf oder ob das irgendwie anrüchig ist, sondern die Frage ist, warum die SPD sie überhaupt freigegeben hat, diese neue LINKE Räume, und welche Konsequenzen das für die Gesellschaft hat. Wir, die Linken, wollen diese von der SPD Am 13. Mai hat sich eine große Hoffnung erfüllt: Mit 8,4 Prozent verlassenen Räume ausfüllen – mit einer Politik der Umverteilung von oben nach der Stimmen und 7 Sitzen ist die Linkspartei.PDS in die Bremer unten, einer konsequenten Friedenspoli- tik und der Überwindung von Hartz IV –, Bürgerschaft gewählt worden. Damit ist der Partei erstmals in ihrer und wir wollen zugleich neue Räume öff- nen für sozial verträglichen Umweltschutz Geschichte der Einzug in ein westdeutsches Landesparlament und umweltverträgliche Technologien, für eine tatsächliche Chancengleichheit in gelungen. der Bildung und vieles andere mehr. Und wir wollen das auf eine Weise tun, die hilft, wieder mehr Lust an demokratischer Nun kann man natürlich sofort sehr zent-Hürde überschritten. Aus dem Saar- Teilhabe zu gewinnen. Denn das ist doch skeptisch sein und vor einer Überbewer- land wird im gleichen Monat eine Rekord- eine der bedrohlichsten Folgen der Regie- tung dieses Ergebnisses warnen. Die Kon- Zustimmung für die Linke in Höhe von 13 rungspolitik der vergangenen Jahre: dass kurrenten der Linken tun das bereits nach Prozent gemeldet, und in Niedersachsen, immer mehr Menschen das Gefühl haben, Kräften – und zwar vor allem mit dem Rheinland-Pfalz und Hessen registriert mit Wahlen ja doch nichts beeinflussen zu Hinweis darauf, dass Bremen nur ein klei- man stabile 4 Prozent. Zugleich gibt es können. Dies alles in Betracht gezogen, ner Stadtstaat und somit nicht als reprä- auch im Osten ein Zustimmungshoch: In ist das Wahlergebnis von Bremen ein die sentativ anzusehen sei. Aber in welch ei- Thüringen ergibt eine Umfrage im Mai 27 Linke außerordentlich ermutigendes Er- genartigem Kontrast steht eine solche Ar- Prozent, in Sachsen-Anhalt im April 25 gebnis, denn es zeigt: Unser Anliegen wird gumentation zu der Realität, dass die SPD Prozent, und in Berlin ist die Partei nach verstanden. als Gewinnerin dieser Wahl eine Koalition monatelang deutlich niedrigeren Werten Und schon die ersten Wochen, die seit dem mit den Grünen eingeht und dies aus- wieder bei 15 Prozent angelangt. Dies al- 13. Mai vergangen sind, zeigen auch noch drücklich als Signal für ihre Bereitschaft les sagt unmissverständlich: Die Fusion aus ein Weiteres: Sozialistische Opposition ist verstanden wissen will, sich auch im Bund Linkspartei.PDS und WASG zur LINKEN nicht, wie das von den Regierenden gern aus der Koalition mit der CDU/CSU zu lö- wird in der Bevölkerung in ganz Deutsch- kolportiert wird, „verantwortungslos“, sen! Im ersten Falle ist das Stadtstaat-Er- land geschätzt; es verbinden sich mit ihr sondern sie wird ihrer Verantwortung, die gebnis unwichtig, im zweiten aber von viele Erwartungen; die Menschen spüren, Regierenden zu kontrollieren und unter richtungweisender Bedeutung? Solch hilf- dass der Vorschuss, den sie der neuen Druck zu setzen, gerecht. Die Debatten lose Unlogik verstehe, wer will. Und sie Partei bei den Bundestagswahlen 2005 innerhalb der SPD über den Mindestlohn soll ja auch nur die große Verunsicherung mit 8,7 Prozent gegeben haben, nicht gewinnen dank der Linken eine neue Qua- bemänteln, die vom Bremer Wahlergebnis umsonst gewesen ist. lität. Die Forderung der Linkspartei nach nun tatsächlich ausgeht. Und zwar nicht Nun gehört zum Vokabular der Kleinred- Abzug der deutschen Soldaten aus Afgha- nur vom Einzug der Linkspartei.PDS in die ner solcher Erfolge oft auch der Satz, die nistan gewinnt an Gewicht – und mit ihr Bürgerschaft schlechthin, sondern vor al- Linke profitiere ja nur von den Lücken, auch die Debatte über den Sinn des lem von der beachtlichen Solidität dieses die die SPD hinterlasse. Nun gut, jede „Krieges gegen den Terror“ überhaupt. Erfolgs. Bei 5,1 Prozent der Wählerstim- Partei besetzt Räume der Interessenver- Und dass die SPD wieder stärker über ihr men hätte man die Dinge ja noch her- tretung, die andere nicht besetzt haben – eigenes Profil nachdenkt – auch das ist unterreden und von Eintagsfliege reden das macht ihre Existenzberechtigung ja ein Resultat des Erstarkens der Linken. können, aber nicht bei 8,4 Prozent! Das überhaupt erst aus. Aber was heißt denn Grund zum Ausruhen? Natürlich nicht. ist ein erheblicher Unterschied! Zumal, im Zusammenhang mit der Linken „nur“? Mit Bremen haben wir einen Ruck erlebt. wenn man die Ergebnisse bei vorherigen Es sind ja ganz wesentliche Elemente so- Nun muss daraus ein stabiler Erfolg wer- Bürgerschaftswahlen Revue passieren zialdemokratischer Politik, die die SPD in den. lässt – was mir nach 12 Jahren des Enga- den vergangenen Jahren über Bord ge- gements in diesen Wahlkämpfen eine be- worfen hat. Sie hat von unten nach oben sondere Freude ist: 1995 waren es für die verteilt anstatt umgekehrt, sie hat das PDS 2,4 Prozent, 1999 2,9 Prozent und Friedensgebot der Nachkriegszeit gekippt 2003 ganz und gar nur 1,9 Prozent. Und und Deutschland wieder zu einem krieg- nun also 8,4. führenden Land gemacht, und sie hat mit Roland Claus, aktiv in den Und diese 8,4 stehen plötzlich auch gar der Agenda 2010 und den Hartz-Geset- vergangenen Bremer Wahl- nicht so alleine da. Aus vermel- zen für Millionen Menschen Armut und kämpfen, ist Mitglied der det eine Umfrage im Mai 6 Prozent für die Ausgrenzung zur lang andauernden Rea- Fraktion DIE LINKE. im 16. Linkspartei – damit ist erstmals die 5-Pro- lität gemacht. Deutschen Bundestag.

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KLARTEXT Thema

verhalten bzw. verhalten können, wie die Glaubwürdigkeit von bekundeten politi- In der Sackgasse – schen Zielen eingeschätzt wird. Es ist auch eine Frage, ob eine Bewegung sich als souverän gegenüber Provokationen ihrer Sache sicher erweist, oder ob sie oder: Mittel sich von der Logik solcher Provokationen beherrschen lässt. Und die Sicherheits- politik im Umfeld des G8-Gipfels ist zwei- felsfrei eine Provokation, genauso wie ei- beherrschen Ziele ne massive Polizeipräsenz. Diese Mechanismen sind bekannt – ein solches Polizeiaufgebot, das zudem von Eine gescheiterte Strategie re, in der sich der Staat als gewalttätiger langer Hand öffentlich vorbereitet war, Die Zusammenstöße zwischen Polizei und Akteur der Durchsetzung einer ungerech- macht auch die Polizisten anfällig und un- Demonstranten in Rostock haben die Di- ten Globalisierung präsentierte. Die ex- berechenbar. Einsätze dieser Art sind skussionen zur Rolle von physischer Ge- tensive Auslegung des Paragrafen 129a nicht nur Gewalt des Staates gegen die walt in den politischen Auseinanderset- des Strafgesetzbuches stellte de facto je- Demonstranten, sondern auch gegen die zungen wieder aktuell werden lassen. Auf des Denken außerhalb des Mainstreams Polizisten. Eine souveräne Bewegung stellt den ersten Vorbereitungstreffen zu dieser unter den Generalverdacht des Terro- dies in Rechnung. Demonstration spielte diese Frage bereits rismus. So legt der erwähnte Paragraf na- Die neue globalisierungskritische Bewe- untergründig eine Rolle, ohne sie ernst- he, dass physische Gewalt gegen Perso- gung hat sich immer wieder mit der Fra- haft zu diskutieren. Bestimmend blieb im nen gleichgesetzt wird mit Formen des ge der Gewalt auseinandergesetzt. Aber gesamten Prozess der Vorbereitung die gewaltlosen Widerstandes wie Sitzblock- sie hat sich nie mit den unterschiedlichen gebilligte Unterschiedlichkeit der Haltung aden. An der öffentlichen Wahrnehmung Logiken von Anti-Gipfel-Protesten einer- zur Frage der Gewalt als Mittel des Prote- änderte sich auch wenig durch einzelne seits und Weltsozialforen andererseits stes. Der Protest gegen den G8-Gipfel gewalttätige Aktionen, die sich gegen auseinandergesetzt. Man versuchte, die sollte nicht durch eine harte Debatte un- Autos oder Gebäude richtete. Dies waren Einheit ausschließlich über die gemeinsa- ter den G8-KritikerInnen selbst in Frage Aktionen, die durch die Bewegung letzt- men Forderungen des Gipfelprotests gestellt werden. Im Mittelpunkt sollte die lich auch nicht beeinflussbar waren. herzustellen, ohne die Frage der Formen gemeinsame Kritik stehen, in welcher Die globalisierungskritische Bewegung für ernsthaft zu diskutieren. Form auch immer. Dieses Herangehen ist Gerechtigkeit und Demokratie ist nun mit Das Plakat, das zur Rostocker Demonstra- in Rostock gescheitert. zwei Problemen konfrontiert: erstens da- tion aufrief, proklamierte: „Ein anderer Am 2. Juni dieses Jahres haben in Rostock mit, dass das Anliegen des Protestes hin- Protest ist möglich!“ Damit hatten die die auf Gewalt setzenden Gruppen den ter die Gewalt zurücktritt oder mit ihr Organisatoren der Demonstration sich anderen Gruppen und der großen Mehr- gleichgesetzt wird, zweitens damit, dass implizit den Prinzipien des Weltsozialfo- heit der Demonstrantinnen und Demon- ein Teil der Bewegung den anderen unge- rums unterworfen. In Artikel 13 der Char- stranten ihre Logik aufgezwungen und er- hemmt instrumentalisieren konnte. Die ta des WSF heißt es, dass es „die Fähig- reicht, dass nicht mehr die Globalisie- Toleranz wurde zu einem Nebeneinander, keiten zum gewaltfreien (!!! – LB/MB) so- rungskritik, sondern die von wenigen das dazu ausgenutzt wurde, Strategien zialen Widerstand gegen den Prozess der ausgeübte Gewalt das Bild der Gegenak- durchzusetzen, die durch keinen Konsens Entmenschlichung … und gegen die vom tivitäten prägte. Die Globalisierungskritik gedeckt waren. Die in der frühen Phase Staat ausgeübte Gewalt“ verstärken will. der Mehrheit ging in den Rauchschwaden unausgesprochene Vereinbarung gegen- Das Weltsozialforum ging so weit, neben brennender Autos, dem Steinewerfen ei- seitiger Achtung der Verschiedenheit er- „Repräsentanten von Parteien“ auch die ner Minderheit und den Wasserwerfern wies sich als Schein, als Illusion. Der Ver- von „militärischen Organisationen“ aus- der Polizei unter, so dass Kritik und Pro- such, durch das Ausklammern der Frage zuschließen. test von der Öffentlichkeit als Zerstörung der Formen von Protest eine größere Be- Wer sich einerseits auf das WSF beruft, und Gewalt wahrgenommen und mit ihr reite und Akzeptanz zu gewinnen, war muss sich andererseits fragen, inwieweit gleichgesetzt wurde. falsch. er den Geist des WSF respektiert. De- Nachdem in den vergangenen Wochen monstrationen wie auch die Gipfelprote- durch das Handeln der Polizei und ande- Das Weltsozialforum und die Frage der ste folgen einer anderen Logik als die So- rer staatlicher Stellen deutlich wurde, Gewalt zialforen, die ein „offener Treffpunkt für dass von dieser Seite Bereitschaft be- Formen und Inhalte stehen nie nebenein- reflektierendes Denken, demokratische steht, Proteste mit repressiven Mitteln zu ander – sie beeinflussen sich immer Debatten …, freien Austausch“ sind. De- unterdrücken oder in ihrer Legitimität in gegenseitig. Weder können beliebige In- monstrationen stellen eine direkte Wil- Frage zu stellen, befand sich die globali- halte in eine Form gegossen werden, lens-bekundung dar und sollten im Gei- sierungskritische Bewegung eigentlich in noch können gleiche Inhalte in beliebige ste des WSF zugleich durch die Kultur und einer günstigen Situation, um ihre Bot- Formen gebracht werden. Die Art, wie den Respekt im Umgang miteinander und schaft für eine andere Welt wirksam öf- Protest artikuliert wird, bestimmt, wie auch mit anderen geprägt sein. fentlich zu vermitteln. Protest von anderen bewertet wird, wel- Was aber ist das Ziel dieser Willensbekun- Die bereits seit Wochen laufende polizei- che Möglichkeiten politischen Handelns dungen – ist es die Freisetzung physischer liche Vorbereitung schuf eine Atmosphä- sich ergeben, wie sich Akteure „danach“ Gegengewalt gegen die Staatsgewalt

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Thema KLARTEXT

Klimaschutz (auch in Auseinandersetzung mit den USA) sowie der politischen Mäßi- gung profilieren. In Rostock hat eine kleine Minderheit von gewaltausübenden Gruppen das Anliegen der großen Mehrheit bewusst bekämpft. Hauptgegner dieser Minderheit war nicht die Staatsgewalt, deren Mauerbau, deren buchstäbliche Schnüffelei sie im Nach- hinein legitimiert haben. Der schwarze Block hat in Rostock vor allem ein Anlie- gen erfolgreich bekämpft – den legitimen und wirkungsvollen Demonstrationszug der Gewaltlosen. Die falsche Toleranz im Vorfeld und die fehlende offensive Vorbe- reitung auf diese Gewalt durch die Orga- nisatoren der Demonstration hat diesen Sieg der Unvernunft und Inhumanität möglich gemacht.

Ein anderer Protest ist dringend nötig! Vor dem Hintergrund historischer Erfah- rung und der heutigen Dimension globa- ler Probleme muss über eine neue Philo- sophie der Gewaltlosigkeit diskutiert werden. Erstens muss jenseits naiver Dul- dung gegensätzlicher Ziele und Mittel di- oder aber der Kampf um die Öffentlich- trumentalisieren Menschen, die sie Stei- skutiert werden, welche Formen des Pro- keit, um Hegemonie in der Gesellschaft? nen, Feuerwerkskörpern, der Verfolgung tests und Widerstands unter dem Ge- Welche Mittel sind welchem Ziel adäquat und Gewalt aussetzen. Der Respekt vor sichtspunkts der Zwecke der globalen und welche schließen die Erreichung wel- dem Menschsein der Anderen ist verloren Bewegungen für eine gerechte Welt legi- cher Ziele direkt aus? Ist der „schwarze gegangen. tim und wirkungsvoll sind. Zweitens muss Block“ der legitime „bewaffnete Flügel“ Die globalisierungskritischen Bewegun- aufgezeigt werden, dass Organisationen, der globalisierungskritischen Bewegung gen kämpfen vor allem um die Wortfüh- die zur Gewalt greifen, oft erst selbst oder aber werden durch seine Gewalt die rerschaft in der Öffentlichkeit, um auf durch die Gewalt ihre Identität gewinnen. Ziele dieser Bewegungen direkt ad absur- diese Weise die Grundlagen für das Han- Und die Gefahr besteht, dass Gewalt zum dum geführt? deln der Herrschenden zu verändern. Es beherrschenden Selbstzweck wird. Drit- Eine konkrete Diskussion ist überfällig, geht darum, diesen die Legitimität abzu- tens stellt sich immer die Frage, wie man Entscheidungen müssen getroffen wer- sprechen und sie so zu schwächen. Es menschliches Leben, d.h. ausdrücklich den – als Tendenz und für jede konkrete geht auch darum, die Berechtigung alter- auch die körperliche Unversehrtheit der Demonstration. Das Prinzip eines „über- nativer Anliegen in der Gesellschaft weit Anderen, in politischen Auseinanderset- wältigenden Konsenses“ muss durchge- zu verankern. Gemessen an der politisch- zungen bewertet. Dies ist nicht nur eine setzt werden, Grenzen sind zu ziehen, staatlichen und ökonomischen Macht ethische Frage, sondern auch eine Frage, oder aber gemeinsames Handeln ist nicht handeln die globalisierungskritischen Be- wie physische Gewalt die Gewaltaus- länger möglich. wegungen aus der Unterlegenheit. Aber übenden verändert. Was bedeutet für ei- sie sehen sich in ihrer Forderung für eine ne Gruppierung, die auf physische Gewalt Gewalt heute andere, friedlichere, gerechte und men- setzt, solidarische Gesellschaft? Wo setzt Sehen wir uns die Gewalt näher an. Im schenwürdige Welt den Herrschenden sie die Grenzen der Solidarität? Welche gegebenen deutschen Kontext wird die moralisch und geistig überlegen. Diesem Sanktionen für Andersdenken und An- Gewalt gegen die Polizei nicht als Angriff hohen Anspruch müssen sie in der Praxis dersverhalten setzt dieses Konzept? Wel- auf den Staat, schon gar nicht gegen die gerecht werden. cher Raum bleibt für Diskussion, für per- G8 wahrgenommen. Vor dem Hintergrund Die von Teilen der Demonstranten (dieses sonelle Veränderung auf der Führungs- der Erfahrungen von Jahrzehnten der Aus- Mal ist die männliche Sprachform sehr ebene usw.? Was bedeutet Toleranz als einandersetzungen hat sich erwiesen, berechtigt) ausgeübte Gewalt läuft der Fähigkeit zur Selbstveränderung? dass diese Art von Gewalt gegen „Ange- Erreichung dieses Ziel der moralisch-geis- Offensichtlich ist Zeit für einen Bruch. stellte der Staatsmacht“ diese Staats- tigen Überlegenheit direkt zuwider. Sie Let’s make it real. macht eher legitimiert denn delegiti- hat die Wortführerschaft von Angela Mer- miert. Es ist und bleibt schließlich Gewalt kel nicht verringert, sondern im Gegenteil Der Text von Lutz Brangsch und Michael gegen Menschen. Wo liegt der Unter- erhöht. In der Mehrheit der Bevölkerung Brie ist erschienen in der Reihe stand- schied zu dem, wogegen demonstriert konnte sich die Bundeskanzlerin in ihrer punkte der Rosa-Luxemburg-Stiftung. wird? In den Polizisten finden politische Rolle als wirksame Verfechterin des Wir danken für die Genehmigung zum Ab- Gewalttäter einen Sündenbock. Sie ins- Kampfes gegen Armut in Afrika und für druck im klartext.

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KLARTEXT Thema Eine schwere Geburt

Es ist ein Jugendverband, ist 8.000 Mitglieder schwer und heißt Linksjugend [‘solid]

Anlässlich der Parteineubildung hat gress konnte hinsichtlich der organisato- unterscheidenden politischen Kultur die es seit einem guten Jahr auch Bewegung rischen Verknüpfung ein Kompromiss er- strukturelle Mehrheit der Delegierten, die im Jugendbereich der neuen Linken gege- zielt werden. Dem entsprechend wird in bisher bei [‘solid] aktiv waren. Nach dem ben. Am Himmelfahrtswochenende wur- der Satzung der neuen LINKEN geregelt Prinzip Mehrheit = Mehrheit wurden den de in Berlin der Jugendverband der LIN- sein, dass der Jugendverband zwar ein ei- Interessen der Minderheit von WASG und KEN Linksjugend [‘solid] gegründet. genständiger Verein ist. In diesem sind den Jungen Linken, die in der Vergangen- Der Gründungskongress endete mit eini- jedoch alle jungen Mitglieder der LINKEN heit stärker an die Partei angebunden tä- gen rucksackbepackten Delegierten auf automatisch passive Mitglieder, falls sie tig waren, regelmäßig ignoriert. So ließ der Karl-Marx-Allee vor dem ehemaligen dem nicht widersprechen. Durch Beteili- sich etwa Sascha Wagener für den Ju- Kino Kosmos. Die Sitzung war nicht or- gung an der politischen Arbeit des Ju- gendpolitischen Sprecher der neuen LIN- dentlich geschlossen worden, kein Schluss- gendverbandes erstarkt die passive Mit- KEN nominieren, ohne dass wenigstens wort war gehalten. War die Gründung ge- gliedschaft zu einer aktiven mit vollen eine Nachfrage zu seiner Person zugelas- scheitert? Zum Glück nicht! Denn obwohl Mitgliedsrechten. Um die Frage, unter sen wurde. Auch führte die Forderung der es am Wochenende hoch herging und die welchen Voraussetzungen eine Aktivie- Minderheit, dem Beispiel der Parteien zu Neugründung mehr als ein Mal auf wack- rung erfolgt, wurde jedoch noch bis kurz folgen und den ersten BundessprecherIn- eligen Beinen stand, fand die Veranstal- vor dem Gründungskongress gestritten. nenrat nach Quellstrukturen quotiert zu tung allein aufgrund von Zeitproblemen Schlussendlich konnte sich darauf geei- besetzen, zu Auseinandersetzungen. ein derart unrühmliches Ende. nigt werden, dass jedes junge Parteimit- Schlussendlich wurde eine Übergangsre- Unter dem Motto „Hol dir dein Leben zu- glied unter 35, welches länger als vier gelung in die Satzung aufgenommen, wo- rück“ reisten aus allen Bundesländern Wochen Mitglied der Partei ist, durch nach der BundessprecherInnenrat aus insgesamt 250 Delegierte nach Berlin. Sie schriftliche Anzeige mit sofortiger Wir- sechs VertreterInnen von [‘solid] und je- waren zuvor unter der Beteiligung von kung die Aktivierung herbeiführen kann. weils vier von WASG und Junge Linke zu fast 1.000 jungen Menschen bis 35 Jahren Die engste Verknüpfung in der Satzung bestehen hat. auf Gesamtmitgliederversammlungen der zwischen Jugendverband und Partei ist je- Bei diesen harten Auseinandersetzungen Landesverbände gewählt worden. Sach- doch nichts wert, wenn sie politisch nicht verwunderte es nicht, dass die Satzung sen-Anhalt entsandte 13 Delegierte. getragen wird. Deshalb entbrannte noch des damit neu gegründeten Jugendver- Formal handelte es sich um eine Dele- vor der Satzungsdebatte ein hitziger Streit bandes mit nur drei Stimmen mehr als giertenkonferenz des bisher durch den um das Programm des neuen Jugendver- benötigt angenommen wurde. Manch ei- Parteivorstand der Linkspartei anerkann- bandes. Vorweg: Zu einer Endabstim- ne wird sich auf dem Kongress gedacht ten Jugendverbandes [‘solid]. Politisch mung über das Programm ist es aus Zeit- haben: „Hört auf über Formalien zu strei- sollte jedoch eine Neugründung des Ju- gründen nicht gekommen. Die entschei- ten – fangt an politisch zu wirken!“ Recht gendverbandes der Partei stattfinden. dende Passage – die Verortung des hat sie! Die schwierige Aufgabe, die sich Deshalb fanden sich neben Mitgliedern Jugendverbandes zur Partei – ist allerdings nun stellt, ist es eine gemeinsame politi- von [‘solid] auch solche von WASG und debattiert worden. Hier waren zwei Ab- sche Kultur, eine gemeinsame politische Linkspartei unter den Delegierten. sätze alternativ beantragt worden. Die Sprache zu entwickeln. Denn inhaltliche Mehrheit der Delegierten, diese war bis- Differenzen wird es immer geben, sie mit Parteijugend? Parteinah? Oder was? her bei [‘solid] politisch aktiv, entschied Gehalt und nachvollziehbar auszutragen, Der zentrale Streitpunkt des Gründungs- sich für eine Formulierung mit keinem ist die Herausforderung. Mit den Erfah- kongresses war ein jugendpolitischer klaren Parteibezug. Erst durch die Ergän- rungen der letzten Jahre, in denen es im „Evergreen“ der Parteijugendlichen: Wel- zung des Satzes „Der parteinahe Jugend- Jugendbereich viele kräftezerrende Paral- ches Verhältnis haben Partei und Jugend- verband ist die Jugendorganisation der lelitäten gab, und der Regelung in der verband strukturell und politisch zu ein- LINKEN und wirkt als Interessensvertre- Satzung der neuen LINKEN sind aber die ander? tung junger Menschen in die Partei.“ besten Voraussetzungen für einen starken Ein Teil der jungen Menschen im Umfeld konnten die Bedürfnisse der anwesenden Jugendverband der LINKEN gegeben. der Linkspartei hat einen sehr starken Be- jungen Parteimitglieder etwas befriedigt zug zu ihr. Ein anderer Teil fühlt sich gar werden. so ungebunden, dass sie nur eine Bünd- Die Delegierten muteten sich mit diesem nispartnerin unter vielen ist. Dies ist vor Gründungskongress einiges zu. Es wurde allem deshalb ein verwunderliches Phä- nicht nur an beiden Tagen bis spät in die nomen, als dass sich der politische Alltag Nacht getagt, auch der Umgangston war Lena Kreck ist Juristin und absolviert zur dieser Gruppen oftmals ähnelt. Bereits in oftmals rüde und wenig einladend. Grund Zeit ein Aufbaustudium an der Martin- Verhandlungen vor dem Gründungskon- dafür war sicherlich neben einer sich Luther-Universität in Halle (Saale).

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Thema KLARTEXT

nehmen. Wie andere Bereiche der öffent- lichen Daseinsfürsorge auch hat die Si- Schäubles cherheit in den letzten Jahren einen Pri- vatisierungsschub erlebt. Wer Geld hat, kann sich Sicherheit leisten. Wer den Nach- teilen eines sozialen Brennpunktes entge- Salamitaktik hen will, zieht weg. Wer ausreichend Mittel zur Verfügung hat, wird nie Opfer der Grundrechtsdefizite der Sozialgesetze Nach dem Deutschen Herbst im Jahr der Arbeit der Sicherheitsbehörden ver- werden. Wem die nächtlichen U-Bahnhö- 1977 und der Einführung von Sonder- deutlicht. Es ist nicht länger das Ziel, ge- fe zu riskant sind, kann das Auto nehmen. rechtssystemen für Migranten und Flücht- schehene Verbrechen aufzuklären. Es Wer sich noch nicht sicher genug fühlt, linge Anfang der 90er Jahre haben wir es geht darum, mögliche Täter aus der Men- beauftragt einen privaten Sicherheits- seit dem Jahr 2001 mit einer dritten gro- ge ausfindig zu machen und zu stellen, dienst. In den strukturschwachen Regio- ßen Welle der Angriffe auf Grund- und bevor sich ein Verbrechen ereignet hat. nen Ostdeutschlands und den ehemali- Bürgerrechte zu tun, die unter dem Deck- Der Rechtsstaat wird zu einem präventi- gen Industriehochburgen des Westens mantel des so genannten Kampfes gegen ven Sicherheitsstaat umgebaut. Dazu entwickelt sich neben dem ohnehin be- den Terrorismus forciert wird. Es wird muss der Staat seine Bürger rund um die stehenden sozialen Gefälle nun auch überwacht, gerastert und gespeichert. Uhr überwachen und jede denkbare In- noch ein Grundrechtsgefälle. Wesentliches Angriffsziel staatlicher Über- formation sammeln und auswerten. Linke Sicherheitspolitik heißt, diesem Si- wachung ist die Kommunikation der Bür- Die Folgen sind gravierend: Es entsteht cherheitsdarwinismus Konzepte entge- ger. Mit der Vorratsdatenspeicherung zum ein Überwachungsdruck, der die Gesell- genzustellen, die Sicherheit auch für ge- Beispiel wollen Schäubles Behörden in Er- schaft verändert, weil Menschen, die un- sellschaftliche Schichten garantieren, die fahrung bringen, wer wann mit wem wie ter einem solchen Druck stehen, dazu sich in schlechten wirtschaftlichen Ver- lange telefoniert, wer wen versucht anzu- neigen, sich normkonform zu verhalten, hältnissen befinden. Innenpolitische Maß- rufen, wer von welchem Ort aus sein ohne dass hinreichend geklärt ist, wie ge- nahmen sind daraufhin zu untersuchen, Handy benutzt und wer sich wann wie nau die Norm aussieht. Damit ist der prä- inwieweit Sicherheitsbehörden, allen vo- lange und auf welchen Seiten im Internet ventive Überwachungsstaat eine Gefahr ran die Polizei, ihre knappen technischen aufhält. für die Freiheit, weil der Einzelne wie die und personellen Ressourcen zu sehr spe- Ausweisdokumente werden mit biometri- Gruppe ihr Leben auch dann nicht mehr zialisiert und zu wenig an den Bedürfnis- schen Merkmalen aufgerüstet, die in Zen- frei ohne staatliche Eingriffe und Kontrol- sen der öffentlichen Sicherheit für Bürger traldateien gespeichert werden. Damit ist le gestalten kann, wenn sie sich im Rah- ausgerichtet haben. eine Bürgerzentraldatei praktisch einge- men der Rechtsordnung bewegen. Der Der öffentliche Raum darf nicht flächen- führt. Im Zusammenhang mit den techni- präventive Sicherheitsstaat unterscheidet deckend (video-)überwacht werden, Bild- schen Möglichkeiten der Gesichtserken- nicht mehr zwischen schuldig und un- analyseverfahren dürfen nicht im öffent- nung bei bestehender ausufernder Video- schuldig, sondern sieht seine Bürgerinnen lichen Raum auf Vorrat eingesetzt wer- überwachung ergeben sich mit den und Bürger ausschließlich als potenzielle den. Grundsätzlich müssen für bestimmte gespeicherten biometrischen Bilddaten un- Gefährdungsträger. Der präventive Sicher- Bereiche der Öffentlichkeit technische geahnte Möglichkeiten der Überwachung heitsstaat muss somit zwangsläufig De- Lösungen und Kontrollen zurückgefahren und Bewegungsverfolgung der Bürger. mokratie und Freiheit einschränken und werden und „menschliche Alternativen“ Gleichzeitig hebt die Einführung der Anti- zumindest für Teilsysteme beseitigen. gesucht werden. So können Angsträume Terror-Datei die Trennung von Polizei und Seinem vermeintlichen Ziel, die Demo- mit städtebaulichen Maßnahmen aufge- Geheimdiensten auf. Die Polizei greift für kratie vor ihren Feinden zu schützen, löst, Fahrkartenautomaten können durch Vollzugsmaßnahmen auf Daten zu, die kann er nicht gerecht werden, denn der Personal in den Zügen und auf den Bahn- von Geheimdiensten gesammelt wurden. präventive Sicherheitsstaat ist selbst ein steigen ersetzt werden. Noch wichtiger Anders als die Polizei sind die Geheim- Feind der Demokratie. ist es aber, dass sich endlich wieder eine dienste jedoch nicht an die Restriktionen Für die Menschen verschärft sich die Situa- breite Bürgerrechtsbewegung dagegen der Strafprozessordnung gebunden, die tion der Erosion von Grundrechten umso zur Wehr setzt, dass die Rambos von auch ein Schutz Unschuldiger vor staat- mehr, je prekärer ihre sozialen Lebens- Union und SPD die Grund- und Bürger- lichen Übergriffen sind. verhältnisse sind. Für einen Hartz-IV- rechte häppchenweise ausverkaufen. Schäuble wendet eine sicherheitspoliti- Empfänger haben schon heute selbstver- sche Salamitaktik an. Ein Beispiel: Bei der ständliche Grundrechte keine Gültigkeit Einführung des Mautsystems wurde ver- mehr, weil er per Antragsformular seine sprochen, die Mautdaten ausschließlich gesamten sozialen, gesundheitlichen, fi- zur Abrechnung zu verwenden. Als auf ei- nanziellen und persönlichen Lebensum- nem Autobahnparkplatz ein Mord ge- stände offenbaren muss, um überhaupt schah, wurden schnell Rufe laut, die Da- in den Genuss von Leistungen zu kom- ten des Mautsystems zur Ermittlung des men. Die Unantastbarkeit der Wohnung ist Jan Korte gehört der Fraktion Täters zu verwenden. Entsprechend läuft für diesen Personenkreis eingeschränkt, DIE LINKE an und ist Mitglied derzeit die Debatte. weil die Behörden mit jederzeitigen im Innenausschuss des In der Zusammenschau ergeben diese Hausbesuchen drohen, um eine weitere 16. Deutschen Bundestages. Maßnahmen ein Bild, das eine Änderung Ausforschung der Lebensumstände vorzu-

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KLARTEXT Thema Gesetzlicher Mindestlohn ohne Alternativen

Die aktuelle Lage Grenze der Sittenwidrigkeit nicht annä- verhindern, dass ein europaweiter Dum- Knapp sieben Millionen Beschäftigte ar- hernd ein Ersatz für den gesetzlichen pingwettlauf bei Löhnen und sozialen beiten in Deutschland mittlerweile für ei- Mindestlohn. Standards in Gang kommt. Insofern gilt nen Niedriglohn, der weniger als zwei auch für die Ausweitung des Entsendege- Drittel der mittleren Lohnhöhe beträgt. Allgemeinverbindlichkeitserklärungen setzes, dass es nicht an Stelle, sondern Das sind 9,80 Euro je Stunde im Westen Die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) zusätzlich zum gesetzlichem Mindestlohn und 7,20 Euro je Stunde im Osten. Fast eines Tarifvertrags bewirkt, dass er auch benötigt wird. die Hälfte davon sind Vollzeitbeschäftig- für alle bisher nicht tarifgebundenen Ar- te. Kein Wunder, dass vor diesem Hinter- beitgeber und Arbeitnehmer verbindlich Kombilohn grund immer mehr Menschen arm trotz wird (§ 5 Tarifvertragsgesetz). Auf Antrag Die Vertreter von Kombi-Löhnen haben Arbeit sind. Angesichts der nach wie vor einer Tarifvertragspartei kann der Arbeits- sich damit abgefunden, dass Unterneh- bestehenden Massenarbeitslosigkeit und minister einen Tarifvertrag für allgemein- men immer öfter keine existenzsichern- der hiermit eng verbunden Erosion der verbindlich erklären. Dies aber nur dann, den Löhne mehr zahlen. Manche Ökono- Tariflandschaft sowie des gewerkschaft- wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber men gehen sogar davon aus, dass die lichen Organisationsgrades waren die Ge- mindestens 50% der unter den Geltungs- Löhne noch weiter fallen müssen, damit werkschaften in vielen Branchen zu bereich des Tarifvertrages fallenden Ar- Arbeitslose wieder beschäftigt werden. schwach, um diese Entwicklung zu stop- beitnehmer beschäftigen. Die Differenz soll der Staat – also die All- pen. In der öffentlichen wirtschaftspoliti- Hier wird bereits klar, dass das Problem gemeinheit – zahlen. Damit wird aber das schen Diskussion werden daher die Stim- zu niedriger Löhne durch die Ausweitung gesamte Lohngefüge weiter unter Druck men immer lauter, die die Einführung ei- der AVE nicht gelöst werden kann. Vor al- gesetzt. Auch weil Unternehmen Beschäf- nes gesetzlichen Mindestlohns (GML) lem in den neuen Bundesländern, die be- tigte zunehmend durch für sie besonders auch in Deutschland fordern. Zwei Drittel sonders von Niedrigstlöhnen betroffen billige Kombi-Löhner ersetzen. Hierdurch der Bevölkerung unterstützt mittlerweile sind, gibt es kaum flächendeckende Tarif- wird nicht nur die Spirale nach unten wei- die Forderung nach einem GML. Statt strukturen. Insofern bestehen oftmals gar ter in Gang gesetzt („Drehtüreffekt“). endlich politisch zu handeln wird von Sei- nicht die notwendigen Grundlagen für die Breit angelegte Kombilöhne sind auch ten der Koalition auf angebliche „Alterna- Anwendung von AVE. Selbst dort, wo Ta- enorm teuer. Letztlich subventionieren sie tiven“ zum GML verwiesen. Tatsächlich rifstrukturen existieren, sind Minimalst- immer mehr private Unternehmen und handelt es sich jedoch um ein durchsich- andards oftmals nicht eingehalten. Inso- Gewinne. Zudem wirkt bereits heute tiges Ablenkungsmanöver. fern sind AVE keine Alternative, sondern Hartz IV wie ein Kombi-Lohn: Arbeitslose eine notwendige Ergänzung zum gesetzli- sind gezwungen praktisch jeden Job zu je- „Grenze der Sittenwidrigkeit“ chem Mindestlohn. dem Lohn anzunehmen. Damit es den- Nach §138 BGB sind Rechtsgeschäfte noch irgendwie zum Leben reicht, gibt es nichtig, die „gegen die guten Sitten“ ver- Ausweitung des Entsendegesetzes ergänzendes ALG II. Rund 1,1 Millionen stoßen. Dies ist nach laufender Rechts- Die Grundidee ist, die für allgemeinver- Beschäftigte („Aufstocker“) erhalten be- sprechung dann der Fall ist, wenn Löhne bindlich erklärten Tarifverträge auf die von reits diesen Kombi-Lohn. Kombilohn ist ca. 30 Prozent unter dem „ortsüblichem ausländischen Unternehmen nach also nicht die Lösung, sondern eher das Durchschnittslohn“ liegen. Allerdings Deutschland entsandten Arbeitnehmer Problem. Sinnvoll ist er nur zeitlich be- müssen dies im Einzelfall die Beschäftig- anzuwenden. Dieses Gesetz verpflichtet grenzt und für klar definierte Zielgruppen. ten einklagen. Sie tragen das Prozess- im wesentlichen Arbeitgeber, egal ob der Er ist jedenfalls alles andere als eine Alter- und Kostenrisiko. Selbst wenn sie vor Ge- Sitz des Unternehmens im In- oder Aus- native zum gesetzlichen Mindestlohn. richt obsiegen, würde bei weitem keine land ist, tarifvertraglich geregelte Arbeits- Bezahlung in Höhe des geforderten Min- bedingungen einzuhalten. Voraussetzung Fazit destlohn von 7,50 Euro herauskommen. für die Anwendung des Entsendegesetzes Schaut man sich die angeblichen Alterna- Der ortsübliche Durchschnittslohn hängt ist aber ebenfalls, dass nicht nur Tarifver- tiven an, stellt man schnell fest, dass es maßgeblich von den gezahlten untersten tragsstrukturen vorhanden sind, sondern sich entweder um notwendige Ergänzun- Tarifvergütungen ab. Die liegen jedoch in sie auch inhaltlich Mindestniveaus nicht gen zum GML oder um untaugliche Ab- weiten Bereichen bereits weit unter der unterschreiten. Insofern bestehen wie bei lenkungsmanöver handelt. Zum GML gibt Mindestlohnforderung von 7,50 Euro. der AVE oftmals gar nicht die notwendi- es keine Alternativen. Zieht man dann noch die vom Gericht ge- gen Grundlagen und Standards für die An- forderten 30 Prozent ab, kommt man auf wendung des Entsendegesetzes. Mit Blick Dr. Norbert Reuter und Michael Stundenlöhne von 2,14 Euro im Friseur- auf die Umsetzung der EU-Dienstleis- Schlecht sind aktiv im Bereich Wirt- handwerk in Sachsen oder auf 5,20 Euro tungsrichtlinie ist das Entsendegesetz so- schaftspolitik des Bundesvorstandes im Gartenbau im Westen. Insofern ist die gar ein unverzichtbares Instrument um zu von ver.di.

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Kultur KLARTEXT

haupt wieder Tariflohn ermöglicht wird. In Dessau rückte noch ein weiteres Pro- Sein oder nicht blem in den Mittelpunkt der Konferenz. Nämlich, dass sich Kommunen, die nach- weislich von der Existenz eines Ensem- ble-Theaters in einer unmittelbaren sein Nachbarstadt profitieren, immer mehr vor einer finanziellen Beteiligung scheuen. Es gelingt immer weniger, größere finanziel- Sachsen-Anhalts Theater und Or- le Lasten auf möglichst breite Schultern chester sind gesellschaftlich stark veran- zu verlagern. So drohte die Stadt Salzwe- kert, haben ein großes Publikum und del schon mehrmals mit dem Ausstieg aus strahlen mit ihren Aufführungen und Ins- der Mitfinanzierung des Theaters Stendal. zenierungen auch über das Land hinaus. Dies bringt das Theater in arg bedrohliche Das gilt sowohl für die Bühnen in den grö- Existenzängste, denn ohne die Mittel aus ßeren Städten des Landes, Magdeburg, Salzwedel ist für Stendal das Theater wohl Halle, Dessau, als auch für die so genann- alleine nicht zu stemmen. Auch das Land ten „Theater in der Fläche“, die in Sten- wird in so einer Situation nicht einsprin- dal, der Lutherstadt Eisleben und Halber- gen, denn wenn es dies einmal tut, hätte stadt ansässig sind. Und auch eine kleine dies eine unweigerliche Symbolkraft für Bühne, wie das Puppentheater in Naum- andere Theaterträger. Aber eine Schlie- burg ist ein leistungsstarkes Theater, was ßung des Theaterstandortes Stendal hät- auf eine fast 50-jährige Geschichte blik- te für das Land dramatische Folgen, denn ken kann. Als Botschafter des Kulturlan- der gesamte Norden Sachsen-Anhalts des Sachsen-Anhalts dürfen das Goethe- oberhalb Magdeburgs wäre praktisch Theater in Bad Lauchstädt und die Klang- theaterfreies Gebiet. Man könne dann körper, wie die Staatskapelle Halle, die wohl kaum noch von einem dichten Thea- Mitteldeutsche Kammerphilharmonie für einen höheren Stellenwert der Kultur ternetz im Land sprechen und das Kultur- Schönebeck und das Philharmonisches in der Politik streiten will. „Die Botschaft land Sachsen-Anhalt bekäme zu Recht ei- Kammerorchester Wernigerode hier nicht hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glau- nen großen Makel. unerwähnt bleiben. Sie alle leisten enor- be“, ist man geneigt zu sagen, denn be- Die Theaterkonferenz versuchte für die mes für Sachsen-Anhalt, darin sind sich reits die letzten Vertragsverhandlungen aufgeworfenen Probleme Lösungsansätze zumeist auch Politiker aller demokrati- endeten mit einer zehnprozentigen Kür- zu diskutieren. Die CDU-Fraktion kündig- schen Parteien einig. Strittig wird es, zung bei den Bühnen und Orchestern. te hierfür ein Kulturgesetz an, zu dessen wenn es um deren Finanzierung, konkret Dass bei den Einsparungen das Ende der Inhalt aber nichts konkret gesagt, aber um die künftige Ausgestaltung der Thea- berühmten Fahnenstange erreicht ist, viel spekuliert wurde. In diesem Zu- ter- und Orchesterverträge geht. wurde auch bei der Theaterkonferenz sammenhang wurde auch die Überlegung Erst jüngst schockte das so genannte einmal mehr deutlich. Der Präsident des laut, Kultur künftig als Pflichtaufgabe für „Benchmark-Gutachten“ die Kunst- und Deutschen Bühnenvereins, Klaus Zehelein, die Kommunen zu definieren. Hier jedoch Kulturszene im Lande, da es in seinen verdeutlichte dies in den Zahlenbeispie- regt sich Widerstand z.B. vom Landkreis- vergleichenden Untersuchungen sugge- len, dass es seit der Wende bundesweit tag: Eine solche Regelung würde die rierte, Sachsen-Anhalt gäbe deutlich zu ca. 45 Theaterschließungen oder –zusam- Kommunen in keiner Weise aus ihrem viel in der Kulturförderung und hier im menlegungen gab. Auch in Sachsen-An- finanziellen Dilemma befreien. Besonderen für die Theater und Orchester halt wurde die Theaterlandschaft dünner, Dennoch bleibt auch für die Linksfraktion aus. Hier wurden jedoch häufig Äpfel mit es gab Schließungen in Zeitz und Witten- erstrebenswert, die Stellung der Kultur Birnen verglichen, denn das Kulturland berg ebenso, wie eine Absenkung der Be- innerhalb der Gesellschaft zu erhöhen. Sachsen-Anhalt lässt sich mit seiner schäftigtenanzahl und Spartenschließun- Hierzu brachte die Landtagsfraktion im Dichte an historischen Kulturstätten, u.a. gen an den Bühnen und Ensembles. Juli vergangenen Jahres einen Antrag in vier UNESCO-Welterbestätten, wahrlich Bundesweit sank die Anzahl der Beschäf- das Parlament ein, der die Landesregie- nur schwer mit Ländern wie Schleswig- tigten bei den Theatern und Orchestern rung aufforderte im Bundesrat den Vor- Holstein vergleichen, ohne den Nord- seit der Wende von 45.000 auf 38.000 schlag zu unterstützen, Kultur als Staats- deutschen zu Nahe treten zu wollen. Diese Stellen. Die Knappheit der Mittel wird ziel im Grundgesetz zu verankern. Da sich Einschätzung über das „Benchmark-Gut- auch an der Tarifsituation an den Bühnen auch Minister Olbertz in Dessau klar zur achten“, welches vom Wirtschaftsinstitut deutlich: Da nur einzelne künstlerische Kultur als Verfassungsrang bekannte, Halle erstellt wurde, teilen viele Kultur- Solo-Verträge frei aushandelbar sind, prüft die Fraktion, nun, das Anliegen, schaffende des Landes und ganz offenbar verdient nicht selten der Hauptdarsteller welches damals noch vom Minister und auch Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan- weniger als der Pförtner. Die Linksfraktion den Koalitionsfraktionen abgelehnt wur- Hendrik Olbertz. Auf der von der Landes- im Landtag wird sich dieser Problematik de, erneut zu thematisieren. regierung veranstalteten Theaterkonfe- verstärkt annehmen, sie fordert eine Lan- renz am 30. Mai im Anhaltischen Theater desbeteiligung an den Tarifaufwüchsen, Stefan Gebhardt ist in der Fraktion DIE Dessau, brachte der Minister genau das damit diese auch wieder gezahlt werden LINKE. im Landtag Sachsen-Anhalt der ebenso zum Ausdruck, wie auch, dass er können, oder besser gesagt, damit über- Sprecher für Kultur- und Medienpolitik.

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KLARTEXT Kolumne

nach dem Maßstab einer sozial gerechten und libertären linken Politik. Alternativen, Links und frei in denen sich große Träume und hohe Ziele finden, und die dennoch von den politischen Realitäten ausgehen. Teile der Die Idee von einer neuen, bundesweiten demokratischen Links- Öffentlichkeit hofften, Teile der Parteien fürchteten, die damit verbundenen Aus- partei in Deutschland wird in diesen Tagen Wirklichkeit – zwei Jah- einandersetzungen würden die neue LINKE lähmen oder gar platzen lassen. So ist es re nach dem großen Erfolg der damals noch virtuellen Partei bei nicht gekommen. Gemeinsam stritten und streiten Bundestagsfraktion, Links- den Bundestagswahlen 2005. Real war damals nur die Bundes- partei.PDS und WASG für gesetzliche Min- destlöhne. Gegen den Irak-Krieg, gegen tagsfraktion DIE LINKE. Den 4,1 Millionen Wählerinnen und Wäh- den Militäreinsatz in Afghanistan. Schließ- lich sogar für eine sozial gerechte Politik lern mag dies egal gewesen sein. Sie wollten eine neue Linkspar- im Land Berlin unter Regierungsbeteili- gung der Linkspartei. Mittlerweile hat die tei – eine Partei, die im Osten aus der PDS hervor gegangen war neue LINKE ihre erste Parlamentsfraktion auch in einem westdeutschen Bundes- und die im Westen durch Sozialdemokraten und Gewerkschafter land. Michael Schumann sah 1989 auf dem geprägt wurde, die der SPD den Rücken gekehrt hatten. Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS die „in die Zukunft weisenden Konsequen- zen“ aus dem Vergangenen u.a. „in einem Zuvor war die vor allem im Osten bestandenen Zerreißproben in einer plu- neuen, kritischen Umgang …, der frei ist verwurzelte PDS noch mit allein zwei ralistischen Linken trafen auf politische von Apologetik, Schönfärberei, einem Frauen im Bundestag vertreten – Petra Pau Sozialisation in top-down strukturierten Umgang, der nichts aus dieser Geschichte und Gesine Lötzsch. Die Wahlniederlage Großorganisationen wie dem DGB, auf ausspart.“ Er zählte dazu „die Trennung 2002 und der anschließende Geraer Par- Prägungen aus der SPD von Willy Brandt von Partei und Staat, die Wählbarkeit von teitag hatten die PDS in ihrer tiefsten Kri- und vor allem von Zuchtmeister Herbert unten nach oben, die Anerkennung unter- se sichtbar gemacht. Zu den damaligen Wehner. Neue Parteien haben, wenn sie schiedlicher Meinungen, auch innerhalb Befunden gehörten die „Substanzarmut lebensfähig sind, ein alles überrollendes der Partei, und ihre Reflexion in den Medi- der Reformer“, das Scheitern nicht be- Selbstbewusstsein. Es traf auf die sich ge- en und viele andere demokratische Siche- lastbarer innerparteilicher „Formelkom- rade konsolidierende PDS – und drohte, rungen mehr.“ Hier treffen sich die Lehren promisse“ und auch die Spaltung der seit manche mühsam gewonnenen Balancen der PDS mit dem Ethos eines großen Sozi- Anfang der 90er Jahre dominierenden Re- durcheinander zu bringen. Die durchaus aldemokraten. „Links und frei“ – das war former in zentralen strategischen Fragen. konflikterfahrene PDS erlebte – gerade hier der Wahlspruch von Willy Brandt. Am 23. Die Erfahrungen jener Zeit hatte die PDS in Sachsen-Anhalt – ein für sie neues Maß Dezember 1947 ließ er den damaligen 2004 auf ihrem Potsdamer Parteitag in der an Härte, Unversöhnlichkeit und persön- SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher wis- Denkfigur des „strategischen Dreiecks“ licher Zuspitzung innerparteilicher Aus- sen: „Ich stehe zu den Grundsätzen des gebündelt: Politik und Programmatik einandersetzungen. demokratischen Sozialismus im Allgemei- müssen demnach stets Widerstand und „Abschied und Wiederkehr“ – so hatten nen und zur Politik der deutschen Sozial- Protest gegen die herrschen Verhältnisse alle ostdeutschen Linkspartei.PDS-Lan- demokratie im Besonderen. Ich behalte einerseits, der Suche nach über die ak- des- und Landtagsfraktionsvorsitzenden mir vor, mir über neu auftretende Fragen tuellen Gegebenheiten hinaus weisenden gemeinsam mit anderen AktivistInnen aus selbst den Kopf zu zerbrechen. Und ich Alternativen andererseits und schließlich West und Ost im Sommer 2006 ein Papier werde nie im voraus Ja sagen zu jeder Ein- dem Anspruch auf Mit- und Umgestaltung überschrieben, mit dem sie deutlich ma- zelformulierung, auch wenn sie vom ers- bereits im Heute gerecht werden. Das chen wollten, dass sie sehr wohl Abschied ten Mann der Partei geprägt wird.“ Fundament – das war der demokratische von den Schwächen der alten PDS neh- Die neue LINKE ist nun da. Sie wird leben, Sozialismus, verstanden als transformato- men, allerdings auch deren positive Erfah- weil sie realistisch auf den Punkt bringt, risches Projekt, als Ziel, Bewegung und rungen in die neue Linkspartei einbringen was große Mehrheiten im Land denken, Wertesystem. wollten: Das Bekenntnis zur Einheit von fühlen und wollen. Sie wird leben, weil sie Nun prallte diese noch nicht konsolidierte sozialen Menschenrechten und bürger- auf ihren Erfahrungen in Ost und West Sicht auf die Erfahrungen und Bestrebun- lichen Freiheitsrechten etwa. Die bewus- gründet. Und weil sie ihre Stärke aus der gen jener, deren politischer Impuls sich ste Ablehnung von Avantgarde-Anspruch Stärke ihrer Mitglieder bezieht. vor allem aus dem Protest, dem Wider- und Wahrheitsmonopol einer linken Par- stand und der Enttäuschung über Schrö- tei. Den gelebten innerparteilichen Plura- ders Agenda 2010, über die Hartz-Refor- lismus. Die Wahrung der Entscheidungs- Dr. Thomas Falkner men, über die Bundeswehr-Einsätze im hoheit der unterschiedlichen politischen ist Journalist und strategi- Ausland, über das Verfehlen sozialer Ge- Ebenen in der Partei. Die offene und faire scher Berater der LINKEN. rechtigkeit in Regierungsverantwortung Abwägung aller Positionen, die in einer speiste. 17 Jahre Erfahrung mit stets neu Volkspartei zur Geltung gebracht werden,

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Satire/Thema KLARTEXT

Odo von Aktenrath Blick zurück wäre da vielleicht hilfreich Termine Abgeordneter gewesen. Eine Rote-Socken-Kampagne wurde schon ebenso zelebriert, wie die Losung „Freiheit statt Sozialismus“. Über die Roten Socken haben sich die Linken Mein lieber, verehrter Freund, vor Freude auf die Schenkel geklopft, ei- Cuba Straßenmeile nen solch’ wundervollen Wahlkampf hät- am 27. Juli 2007, Missliches wie Freudiges liegen oftmals ten die alleine nie hinbekommen! Und ab 16.00 Uhr, dicht beieinander. Nehmen wir doch nur das soll jetzt wieder ausgegraben wer- in der Leiterstraße in Magdeburg. das beharrlich wiederkehrende Ritual zur den? Da kann ich wahrlich nur viel Festlegung der Abgeordnetenentschädi- Freunde wünschen. gung, landläufig auch als „Diäten“ be- Die Liberalen wiederholen einen ele- Am 26. Juli 1953 stürmte die Rebellenar- kannt. Da setzt dann wieder und wieder mentaren Fehler, dessen Folgen andere mee um Fidel Castro Ruz die Monkada- lautes Wehklagen an, wie schwer wir Ab- schon leidvoll durchlitten haben: Es kaserne in Santiago de Cuba. Damit be- geordneten es hätten, müssten wir doch macht schlicht keinen Sinn, sich selbst unsere Einkünfte selbst bestimmen. Was aus dem Gegensatz zu anderen definie- gann vor 54 Jahren des Sturz des Regimes für ein albernes Geschwätz da nur immer ren zu wollen. Dass sie sich da nun auch von Batista und die damals verheißungs- wieder aufwallt. Dabei kann uns die Sa- noch die Linken als Gegenpol auserkoren volle Vision einer sozialistischen Befrei- che nun einmal niemand abnehmen. Die haben, macht die Sache ja eher noch pi- ung in Lateinamerika. Legislative, das Parlament also, ist dazu kant. Die werden damit noch aufgewer- geschaffen, Gesetze zu verabschieden. tet, was mir als Ziel so erstrebenswert Der Al-So e.V. aus Magdeburg begeht Und dass die Verhältnisse der Abgeord- nicht erscheinen will. Natürlich begreife diesen Tag mit einem Straßenfest in der neten in einem Gesetz geregelt sind, will ich, dass die Liberalen im Kern gegen ei- Leiterstraße in Magdeburgs Innenstadt. mir nur vernünftig erscheinen, alles an- ne vermeintliche Sozialdemokratisierung Ab 16.00 Uhr gibt es Informationen rund dere könnt ihre Unabhängigkeit noch der Union zu Felde ziehen, ebenso gegen um die Stände von Cuba si, Ecomujer und heftiger beschneiden, als dies hin und einen vermeintlichen Linksruck der Sozi- KarEn, sowie eine kulturelle und kulinari- wieder den Anschein hat. Die repräsen- aldemokraten. Abgesehen davon, dass tative Demokratie ist nicht zu überlisten, ich dies für Unsinn halte, fällt mir nur sche Umrahmung mit cubanischer Musik und ich hoffe nur, keiner will sie ab- noch das schöne spanische Sprichwort und entsprechenden Speisen und Geträn- schaffen. Dann was käme dann? „Man schlägt den Sack und meint den ken. Was nun die vom Herrn Präsidenten res- Esel!“ ein. Ob das unsere liberalen Freun- pektive der sogenannten unabhängigen de voranbringen wird? Diätenkommission vorgeschlagene Erhö- Ja, Verehrtester, ich bin etwas abge- hung anbelangt, so war es schon interes- schweift, allein – in unserem schönen sant, dass keiner sie im Hohen Hause als kleinen Lande geht es politisch derzeit maßlos oder unangemessen bezeichnet recht beschaulich zu. Gerade einmal ein hat, selbst die Linken nicht. Damit sind Jahr währt die Legislaturperiode, da hat- die natürlich in einer echten Zwickmühle te ich das so noch gar nicht erwartet. – wer immer wieder gegen vermeint- Zwar gibt es immer einmal etwas Grum- lichen Sozialabbau zu Felde zieht, kann meln aus den Koalitionsfraktionen her- ja schlecht einer Erhöhung der eigenen aus, aber die Landesregierung lässt sich Bezüge zustimmen. Es hat den Anschein, davon wenig beeindrucken, den An- sie würden dies auch nicht tun – und da schein jedenfalls hat es für mich. Ich kann sage noch einer, es gebe keine Moral und will nur hoffen, dass sich die Wahl- mehr in der Politik! enthaltsamkeit der Bevölkerung nicht zu Da sind unsere liberalen Freunde doch einer wachsenden Politikenthaltsamkeit aus anderem Holz geschnitzt. Schluss des Hohen Hauses und der Regierung mit klein-klein, so sagen sie. Legen wir auswächst. Das würde wohl nicht ohne alles in einen Topf, der dann komplett zu tiefgreifende Folgen bleiben. Gar vieles versteuern ist, und schon sind wir aller hier wäre veränderungswürdig, doch der Probleme ledig. Oh Herr, wo leben diese Mut scheint mir die Entscheidungsträger Menschen nur? Wir reden hier über ein hier etwas verlassen zu haben. paar Hundert Euro, sie dagegen von drei- Sie spüren es, mein Freund, ich bin im stelligen Beträgen. Wie man dies öffent- Moment ein wenig ratlos, aber der star- lich vermitteln soll, ist offenbar nicht ihr ke Atem der Veränderung, des Vorwärts- Problem. Das kann auch schon so sein, schreitens durchweht unsere heiligen macht sie aber damit wahrlich nicht po- Hallen derzeit nun wirklich nicht. litikfähiger. Überhaupt, hin und wieder kommen mir So hoffe ich, bald wieder Lebendigeres unsere liberalen Freunde etwas unirdisch vermelden zu können! vor. Hatten sie doch unlängst einen Par- Bildnachweis teitag in Stuttgart, der mir schon seltsam erscheinen will. Was mag sie nur geritten Joachim Spaeth (4,5) haben, sich in solch’ grober Weise auf In freundlicher Verbundenheit Jan Korte (11) die Linken einzuschießen? Ein kleiner Ihr v. Aktenrath Fotolia.de – Danuta Kania (13)

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www.die-linke.de

TERMINE DES LANDESVERBANDES SACHSEN-ANHALT ZUR GRÜNDUNG DER LINKEN

30. Juni 2007 Halle – Stadtparteitag in Halle zur Grün- dung des Stadtverbandes DIE LINKE. Hal- Burgenland – Kreisdelegiertenkonferenz, le, 10 Uhr, „Kulturtreff“ Halle-Neustadt, 9.30 Uhr, Hohenmölsen, Bürgerhaus, Am Stadion 5 Dr.-Walter-Friedrich-Straße 2

07. Juli 2007 14. Juli 2007 14./15./16. September 2007 Kreisparteitage bzw. Gesamtmitglieder- Magdeburg – Gesamtmitgliederver- Landesparteitag – Gründung DIE LINKE. versammlungen zur Gründung der Kreis- sammlung zur Gründung des Stadtver- Sachsen-Anhalt in Magdeburg, Büro- verbände DIE LINKE: bandes DIE LINKE. Magdeburg, 9 Uhr, und Tagungscenter, Rogätzer Straße 8 Lehrgebäude 50 der Otto-von-Guericke- Salzwedel – Gesamtmitgliederversamm- Universität, Große Steinernetischstraße Die Entwürfe der Gründungsdokumente lung, 9 bis 13 Uhr, Jeggeleben, Gaststätte Harz - Kreisparteitag zur Gründung des (Landessatzung, Landesfinanzordnung, „Feine Sache“ Kreisverbandes DIE LINKE. Harz, Landesschiedsordnung, Ordnung für die Stendal – Gesamtmitgliederversamm- 9.30 Uhr, Blankenburg, „Vogelherd“ Tätigkeit der Finanzrevisionskommissio- lung, 9 Uhr, Stendal, Landratsamt nen, Wahlordnung) des Landesverbandes Wittenberg – Gesamtmitgliederver- 19. Juli 2007 DIE LINKE. Sachsen-Anhalt liegen seit sammlung, 10 Uhr, Wittenberg, „Pies- Jerichower Land - Gesamtmitglieder- Anfang Juni 2007 in den Kreisen und der teritzer Hof“ versammlung zur Gründung des Kreisver- Landesgeschäftsstelle vor. Mansfeld-Südharz – Gesamtmitglieder- bandes DIE LINKE. versammlung, 9.30 Uhr, Sangerhausen, Jerichower Land, Burg, Gaststätte Die Materialien sind erhältlich in der „Herrenkrug“ „Waldhalle“, Beginn 17 Uhr Landesgeschäftsstelle der LINKEN: Börde – Gesamtmitgliederversammlung, Ebendorfer Straße 3 9.30 Uhr, Wanzleben, Ländliches Bil- 21. Juli 2007 39108 Magdeburg dungszentrum, Bucherweg Anhalt-Bitterfeld - Gründung des Kreis- Telefon: 0391 732 4840 oder Salzland – Kreisdelegiertenkonferenz, verbandes DIE LINKE. Anhalt-Bitterfeld, Mail: [email protected]. 10 Uhr, Aschersleben, Bestehornhaus 9.30 Uhr, Köthen, Hotel „Stadt Köthen“ Saalekreis – Kreisparteitag, 10 Uhr, Dessau-Roßlau - Stadtparteitag zur Ab 3. August 2007 (Antragschluss) sind Braunsbedra, Sportgaststätte, Gründung DIE LINKE. Dessau-Roßlau, die Dokumente online unter: Am Stadion 2 9 Uhr, Dessau, Kornhaus www.dielinke-lsa.de