Steinpatrizen Aus Dem Alten Kolumbien Zur Vorbereitung Des Gusses Von Goldobjekten in Verlorener Form – Alexander Von Humboldts „Kalendersteine“ Der Muisca

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Steinpatrizen Aus Dem Alten Kolumbien Zur Vorbereitung Des Gusses Von Goldobjekten in Verlorener Form – Alexander Von Humboldts „Kalendersteine“ Der Muisca Universitätsverlag Potsdam Artikel erschienen in: Ottmar Ette, Eberhard Knobloch (Hrsg.) HiN : Alexander von Humboldt im Netz, XIV (2013) 26 2013 – 70 p. ISSN (print) 2568-3543 ISSN (online) 1617-5239 URN urn:nbn:de:kobv:517-opus-66611 Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien International Review for Humboldt Studies Revista internacional de estudios humboldtianos Revue internationale d’études humboldtiennes HiN XIV 26 2013 Universität Potsdam Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften Empfohlene Zitation: Ursula Thiemer-Sachse: Steinpatrizen aus dem alten Kolumbien zur Vorbereitung des Gusses von Gold- objekten in verlorener Form, In: Ette, Ottmar; Knobloch, Eberhard (Hrsg.). HiN : Alexander von Hum- boldt im Netz, XIV (2013) 26, Potsdam, Universitätsverlag Potsdam, 2013, S. 20–26. DOI https://doi.org/10.18443/175 Soweit nicht anders gekennzeichnet ist dieses Werk unter einem Creative Commons Lizenzvertrag lizen- ziert: Namensnennung 4.0. Dies gilt nicht für zitierte Inhalte anderer Autoren: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/deed.de 19 Ursula Thiemer-Sachse Steinpatrizen aus dem alten Kolumbien zur Vorbereitung des Gusses von Goldobjekten in verlorener Form – Alexander von Humboldts „Kalendersteine“ der Muisca Zusammenfassung Abstract Im vorspanischen Zentralkolumbien, vor allem in der In pre-Hispanic central Colombia, especially in the re- Muisca-Kultur, wurden Hochreliefs auf Steinpatrizen zur gion of the Muiscan culture, there were high reliefs on Abformung von Wachsmatrizen für den Guss in verlo- stone patrixes used for molding stencils (matrixes) to rener Form benutzt, die Alexander von Humboldt irr- found metals with the lost wax casting method. Alex- tümlich für „Kalendersteine“ der Muisca hielt. Der wis- ander von Humboldt understood them as “calendar senschaftsgeschichtliche Überblick beschäftigt sich mit stones” of the Muisca. A survey of the history of science den Ursachen dieses Irrtums und dessen Überwindung. considers the reasons for and the surmounting of this erroneous idea. Resumen En la región central de la Colombia prehispánica, espe- cialmente en la cultura muisca, se utilizaron altos relie- ves en pátrices de piedra para moldear mátrices de cera para la fundición en cera perdida, erroneamente com- prendidos por Alejandro de Humboldt como piedras de un “calendario” muisca. El conjunto de la historia de la ciencia trata de las causas y de la abnegación de esa idea. Alexander von Humboldts „Kalendersteine“ der Muisca (U. Thiemer-Sachse) … doch bei dem Versuch, Ideen zu verallgemei- Die Hochreliefs auf den Steinpatrizen der Muisca1 nern, muß man an dem Punkt einzuhalten wissen, sind aus dem Schiefergestein herausgeschliffen; sie wo die genauen Grundlagen fehlen. (Humboldt stellen anthropomorphe Wesen und Tiere dar sowie 2004, 7). Zeichen, die wir als abstrakt ansehen, da wir ihren ur- sprünglichen symbolischen Gehalt nicht unbedingt er- Ob die beobachteten Grundlagen jedoch genau sind, kennen bzw. definieren können. Oft genug sind sie Vor- das bleibt nach wie vor jedes Mal die große Frage in der lagen für die Herstellung von Kettengliedern, zeigen Wissenschaft! Wie man sich von Thesen anderer leiten also bereits in der steinernen Vorform Durchbohrun- und verführen lassen kann, wenn man selbst ein ganz gen; dies ist auch bei einem der von Humboldt abgebil- spezielles Interesse damit verbindet, dafür findet sich deten Zeichen (Abb. 1a, Zeichen b) einwandfrei erkenn- ein bemerkenswertes Beispiel bei Alexander von Hum- bar. boldt. In den „Vues des Cordillères et monumens des peuples indigènes de l’Amérique“ veröffentlichte er auf Von solchen Patrizen wurden einst bei den Muisca Planche XLIV - „Calendrier des Indiens Muyscas, anciens in Cundinamarca, Zentral-Kolumbien, Wachsmatrizen habitans du plateau de Bogota“ - Umzeichnungen von abgeformt, um im Guss in verlorener Form (à cire per- Reliefs auf einer Steinpatrize (Abb. 1, 1 a). due), im Deutschen auch Wachsausschmelzverfahren Abb. 1a: Planche XLIV - Detail genannt, Gold- bzw. Tumbaga-Objekte zu gießen. Tum- baga ist eine Legierung, die neben einem großen Anteil an Kupfer und meist auch Spuren an Silber ungefähr ein Drittel Gold enthält sowie einen niedrigeren Schmelz- punkt als Gold besitzt und sich daher für Guss beson- ders eignet. Auch wenn heute der technische Prozess des Gus- ses in verlorener Form in einer Publikation in seinen Einzelschritten detailliert beschrieben wird, gibt es bis in die Gegenwart durchaus noch eine terminologi- sche Verwechslung der hier zur Diskussion stehenden (Stein)patrizen mit den (Wachs)matrizen, beispielswei- se in dem Beitrag von Stanley Long: „Matrices de pied- ra y su uso en la metalurgia muisca“, 1967 verfasst und im Jahre 1989 postum veröffentlicht. Derartige Steinpa- trizen sind nicht nur von Sammlern aus Kolumbien mit- genommen worden und lassen sich daher heute auch Abb. 1: Planche XLIV - „Calendrier des Indiens Muyscas, an- ciens habitans du plateau de Bogota“, aus Humboldt, Alex- 1 Die Muisca gehörten zur Chibcha-Sprachfamilie, daher werden die Her- ander von (1810): Vues des Cordillères et monumens des steller der Steinpatrizen bei anderen Wissenschaftlern auch, wie im Weite- peuples indigènes de l’Amérique, 2 tms., Paris. ren dieser Darstellung erkennbar ist, als Chibcha / Tschibtscha bezeichnet. HiN XIV, 26 (2013) ISSN: 1617-5239 21 Internationale Zeitschrift für Humboldt-Studien Alexander von Humboldts „Kalendersteine“ der Muisca (U. Thiemer-Sachse) in Museen außerhalb Kolumbiens nachweisen (vgl. u. a. mähler welche von ihnen übrig geblieben sind“ in der Haberland 1982, 6). Sie sind auch offensichtlich schon Neuen Berlinischen Monatsschrift 1806 erklärte: in vorspanischer Zeit über das Gebiet ihrer eigentlichen Nutzung hinaus verbreitet worden. Ein solches Beispiel, Bezeigt sich aber die Universität Mexiko selbst beidseitig mit Hochreliefs von anthropomorphen Fi- zu gleichgültig für die Kenntniß des Alterthums, guren sowie dem eines Froschs versehen, fand sich bei so fühlen sich doch in allen Theilen von Amerika Grabungen der Sección de Arqueología der Universidad Privatmänner von Zeit zu Zeit zu diesem Studium de Oriente, Santiago de Cuba, (Martínez Arango 1968, berufen. Ich darf hier mehrere meiner entfernten lám. 55). Es ist anzunehmen, dass diese „placa de pied- Freunde nennen: den Doktor Duquesne, Kanoni- ra“, für Kuba als sehr seltenes Objekt eingeschätzt, auf kus am Domkapitel zu Sta Fe de Bogota, von dem uns heute unbekanntem Wege auf diese Insel gelang- ich eine merkwürdige Abhandlung über einen te und dort wohl weniger seinem ursprünglichen Nut- siebenseitigen kalendarischen Interkalarstein von zen diente, als vielmehr ein Wertobjekt darstellte, das Kieselschiefer bekannt machen werde… (Hum- „aus fernen Landen“ stammte und dessen Besitz des- boldt 1806, 185). halb hoch geschätzt wurde. Humboldt nannte Duquesne in einer Reihe von Kon- Alexander von Humboldt jedoch, bemüht, die wis- taktpersonen an erster Stelle! „Merkwürdig“ hatte zu senschaftlichen Kenntnisse der Ureinwohner Spanisch- seiner Zeit den Sinn „bemerkenswert“, nicht – wie wir Amerikas zu erkunden, hielt die Symbole solcher Hoch- ihn heute wohl verstehen mögen: „eigenartig“. Dazu reliefs für Zeichen eines Kalenders der Muisca. Die muss man sagen, dass Humboldt seine kritische Hal- Anregung dazu erhielt er beim Studium einer Nieder- tung, die er sonst gegenüber entsprechenden Materi- schrift des Kanonikus der erzbischöflichen Kirche von alien an den Tag legte, vermissen ließ. Er hatte in der Santa Fé de Bogotá, Don José Domingo Duquesne de gleichen Publikation beispielsweise erklärt: „… die frü- la Madrid, eines im „Königreich Neu-Granada“ gebore- heren Werke Spanischer Abenteurer und Mönche… nen Geistlichen, der einer in Spanien ansässigen franzö- enthalten viele nützliche aber mit unkritischem Geiste sischen Familie entstammte und lange Zeit, wie Hum- abgefaßte Nachrichten.“ (Humboldt 1806: 181). Seinen boldt bemerkte, Pfarrer eines indianischen Dorfes auf Zeitgenossen Duquesne jedoch vermochte er nicht in der Hochebene des alten Cundinamarca gewesen war. diese Kategorie von Informanten mit unkritischem Geis- Humboldt sagte von ihm: te einzuordnen. Sa position le mettant à même de se concilier Jener hatte dem bekannten Botaniker José Celestino la confiance des natifs, descendans des Indiens Mutis, dessen Gast Humboldt in Bogotá war, das Manu- Muyscas, il a tâché de réunir tout ce que les tra- skript seiner Abhandlung „Disertacion sobre el kalenda- ditions ont conservé, depuis trois siècles, sur l’état rio de los Muyscas, Indios naturales de este Nuevo Rey- de ces régions avant l’arrivée des Espagnols dans no de Granada“ überlassen, das Mutis Humboldt 1801 le nouveau continent. (Humboldt 1810, 244; vgl. übergab. Humboldt erhielt vom Autor die Erlaubnis, Humboldt 2004, 311). den darin diskutierten Stein zeichnen zu lassen und für seine Ausführungen zum Kalender der Muisca zu ver- Humboldt vertraute den Aussagen von Duquesne, die werten. Humboldt erklärte ausdrücklich, dass es ihm er zur Grundlage seiner Erwägungen gemacht hat. Jener dabei um Betrachtungen über Ähnlichkeiten zwischen hatte offenbar im Jahre 1795 ein Manuskript verfasst, das dem Kalender der Muisca und den Kalendern und Zy- aber als ein Material anzusehen ist, das Fehlinterpretati- klen asiatischer Völker ging (Humboldt 1810, 245; vgl. onen vermittelte. Dabei ist durchaus anzunehmen, dass Humboldt 2004, 312). Auch er vermochte offensichtlich der Kanonikus von der Richtigkeit der Ergebnisse seiner nicht einzuschätzen, dass die Ergebnisse von
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