KULTUR

OÖ. HEIMATBLÄTTER 2007 HEFT 1/2 Beiträge zur Oö. Landeskunde I 61. Jahrgang I www.land-oberoesterreich.gv.at I 2007 HEFT 1/2 OÖ. HEIMATBLÄTTER OÖ.

61. Jahrgang 2007 Heft 1/2 Herausgegeben von der Landeskulturdirektion

OÖ. KÜNSTLERJUBILÄEN. ANALYSE – DOKUMENTATION – REFLEXION

Franz Zamazal: Wilhelm Kienzl und Oberösterreich (Teil I) 3

Ingrid Radauer-Helm: Hebert Ploberger (1902–1977) Eine Spurensuche an Österreichs Bühnen 35

Josef Demmelbauer: Geistesverwandt über Zeiten und Räume Gertrud Fussenegger zum Geburtstag 99

ZEITGESCHICHTE

Ernst Kollros: Objekt rechtspolitischer Willkür – Der einmalige Fall des Luxushotels Weinzinger 106

THEMEN AUS DER LANDESKUNDE

Klaus Petermayr: Kinderspruch und Kinderlied Zur Überlieferung in Oberösterreich und Salzburg 113

Franz Gillesberger: Eine alte Liederhandschrift im Ebenseer Heimatmuseum 124

Josef Moser: Das Gnadenbild in der Pfarrkirche Ohlsdorf – und Varianten eines Grundmotivs 128

Walter Rieder: Produkt mit einst „tragender Rolle“: Zur Erinnerung an den letzten Holzschuhmacher des Salzkammerguts 133

BUCHBESPRECHUNGEN 139

1 Medieninhaber: Land Oberösterreich Mitarbeiter: Herausgeber: Landeskulturdirektion Dr. Franz Zamazal Zuschriften (Manuskripte, Besprechungsexem- Knabenseminarstraße 33, 4040 plare) und Bestellungen sind zu richten an den Schriftleiter der OÖ. Heimatblätter: Mag. Ingrid Radauer-Helm Camillo Gamnitzer, Landeskulturdirektion, Pro- Uhlplatz 5/33, 1080 Wien menade 37, 4021 Linz, Tel. 0 73 2 / 77 20-1 54 77 HR Dr. Josef Demmelbauer Jahresabonnement (2 Doppelnummern) E 12,– Parkgasse 1, 4910 Ried i. I. (inkl. 10 % MwSt.) HR Dr. Ernst Kollros Hersteller: Druckerei Rudolf Trauner GesmbH & Unterer Markt 5, 4292 Kefermarkt Co KG, Köglstraße 14, 4021 Linz Mag. Dr. Klaus Petermayr Grafische Gestaltung: Mag. art. Herwig Berger, Oö. Volksliedwerk Steingasse 23 a, 4020 Linz Landeskulturzentrum Ursulinenhof Landstraße 31, 4020 Linz Für den Inhalt der einzelnen Beiträge zeichnet der jeweilige Verfasser verantwortlich Dr. Franz Gillesberger Bahnhofstraße 41, 4802 Ebensee Alle Rechte vorbehalten Prof. Dr. Josef Moser Für unverlangt eingesandte Manuskripte über- Traunsteinstraße 155, 4810 Gmunden nimmt die Schriftleitung keine Haftung OStR Prof. Dr. Walter Rieder ISBN 3-85393-003-4 Mendelssohnstraße 14, 4802 Ebensee

Titelbilder: Dr. Wilhelm Kienzl um 1903 (Beitrag Zamazal) Herbert Ploberger bei der Arbeit an Kostüm- studien 1940 (Beitrag Radauer-Helm)

2 Wilhelm Kienzl und Oberösterreich Biographische Streiflichter – Aufführungen am Linzer Landestheater – Beziehungen zu Linz und Oberösterreich

Von Franz Zamazal

Inhaltsverzeichnis zum ersten Teil 1. Biographisches zu Wilhelm Kienzl 2. Das musikalische Schaffen 3. Kienzls Opern am Linzer Landestheater 3.1. Einige Vorbemerkungen 3.2. Urvasi 3.3. Der Evangelimann 3.4. Heilmar der Narr 3.5. In Knecht Ruprechts Werkstatt 3.6. Der Kuhreigen 3.7. Das Testament

Die Frage „Wer war Wilhelm Kienzl“ stößt öfters auf Unkenntnis, da- her ist eine angemessene Antwort ange- bracht, um den nach Anton Bruckner bedeutendsten in Oberösterreich gebo- Dr. Wilhelm Kienzl um 1903. renen Komponisten vorzustellen. Photogravur Bruckmann, München Sein vielseitiges und umfangreiches musikalisches Schaffen – das schriftstel- Erinnerung an den einst europaweit Ge- lerische soll nicht unterschlagen werden feierten wach. – ist jetzt weitgehend aus den Program- Die folgenden Ausführungen verste- men von Konzerten und Theatern ver- hen sich als Streiflichter über biographi- schwunden, wenn man von gelegentli- sche Momente, Aufführungen am Linzer chen Aufführungen bei „runden“ Anläs- Landestheater und Besuche des Kompo- sen absieht. Eine rühmliche Ausnahme nisten in Linz und Orten Oberöster- bildet in der Saison 2006/07 das Linzer reichs. Da hierbei meist Vergessenes her- Landestheater mit der recht erfolgrei- vorgeholt wird, darf man bei den Fakten chen Erstaufführung (!) seiner musikali- nicht immer Vollständigkeit erwarten. schen Komödie „Das Testament“. Aber Denn in erster Linie geht es darum, ei- unbeeindruckt vom Lauf der Zeiten und nen Rahmen abzustecken, der wohl neue mit unvermindertem Engagement hält Informationen, aber auch einige weiße der Geburtsort Waizenkirchen die Flecken enthält.

3 1. Biographisches zu Wilhelm Kienzl nug, um in späteren Jahren gelegentlich hierher auf Besuch zurückzukehren. Im Der Komponist wurde am 17. Jänner November 1860 übersiedelte die Familie 1857 in Waizenkirchen geboren. Sein Va- nach Gmunden, da der Vater seine Kanz- ter Dr. Wilhelm Kienzl sen. war Rechts- lei dorthin verlegt hatte. Bereits nach ei- anwalt, erhielt diesen Ort von der Be- nem halben Jahr, im Mai 1861, verzog hörde als Dienstsitz zugewiesen und be- die wachsende Familie endgültig nach gann dort Mitte November 1855 die Be- Graz. Dort wirkte der Vater als Rechtsan- rufslaufbahn; im nächsten Jahr ver- walt, Bürgermeister und auch als Land- mählte er sich mit der jungen Wienerin tagsmitglied, war angesehen und als Eh- Anna Kafka. In der musikalisch aufge- renbürger geehrt.1 Die regen geistigen schlossenen Familie erlebte der Erstge- und kulturellen Interessen der Eltern borene Wilhelm glückliche Zeiten, ge- schufen die Basis für das Entfalten der

Personalausweis.

1 Franz Fruhwirth, Wilhelm Kienzl, in: Unterhal- tungsbeilage der Linzer Tages-Post 1904, Nr. 9, S. 1. – Wilhelm Kienzl, Meine Lebenswande- rung. Erlebtes und Erschautes, Stuttgart 1926, S. 11–28. Im Folgenden zitiert als Lebenswande- rung.

4 künstlerischen Anlagen des Buben. Er erhielt neben dem Besuch des Gymnasi- ums (1866–1874) Klavierunterricht, und seine kompositorische Ader regte sich nachhaltig. Parallel zu den philosophi- schen Universitätsstudien kam die Un- terweisung in musikalischen Fächern durch ausgezeichnete Lehrer nicht zu kurz, zuerst in Graz, dann in Prag und Leipzig. Dazwischen war Freiraum für Reisen, für den Besuch der Bayreuther Festspiele, insbesondere der Urauffüh- rung von „“ (1876) mit nachhaltigen Eindrücken, und für Begegnungen mit Richard Wagner. In Graz schrieb Kienzl seine Dissertation „Die musikalische Deklamation“ und wurde 1879 in Wien bei zum Dr. phil. promoviert.2 Von nun an wirkte er als freischaffen- Lili Kienzl, geb. Hocke, erste Ehefrau des Kompo- der Komponist, Interpret, Dirigent und nisten. Vortragender, war viel auf Reisen, auch um seine Kammermusik, Lieder und Mann führte er an der Seite seiner aus Klavierstücke, später vor allem die ers- Linz stammenden Gattin Lili, geb. ten Opern, durch eigenen Vortrag be- Hocke, ein erfülltes und glückliches Le- kannt zu machen.3 Graz bzw. das Eltern- ben. Während der Spielzeit der Theater haus blieben auch weiterhin durch Jahr- im In- und Ausland war er viel auf Rei- zehnte der bald lose, bald mehr feste Be- sen, um bei Aufführungen seiner Opern zugspunkt. Zu längeren Aufenthalten letzte Proben zu überwachen, selbst zu kam es in Amsterdam, Hamburg, , dirigieren und damit für möglichst gute München (Dirigent am Hoftheater); Aufführungen zu sorgen, die über den mehrere Jahre war Kienzl Direktor des Alltagsbetrieb hinausgingen. Innerhalb Steiermärkischen Musikvereins in Graz verhältnismäßig kurzer Zeit dirigierte er mit den Aufgaben, die Musikschule und den „Evangelimann“ in Budapest, Mann- die Abonnement-Symphoniekonzerte heim, , Gotha und Stuttgart.5 4 zu leiten. Im Oktober 1917 übersiedelten Herr Erst im Alter von 40 Jahren (1897), und Frau Kienzl nach Wien, der langjäh- ermöglicht durch die finanziellen Erfolge der Opern, insbesondere des „Evangeli- manns“, fand das Wanderleben ein Ende, 2 Lebenswanderung, S. 29–78. 3 Lebenswanderung, S. 106. und das eigene Heim in Graz wurde 4 Lebenswanderung, S. 79–144. zum Lebensmittelpunkt. Als liebenswür- 5 Tages-Post, 28. November 1900, S. 6 [Anonym], diger, charaktervoller und fleißiger Der Evangelimann.

5 rige Sommeraufenthalt in Bad Aussee Sein Leben ging bei geselligem Ver- blieb davon unberührt. Er wollte lieber kehr und regem Gedankenaustausch mit in der Großstadt der Letzte als in der freundschaftlich verbundenen Leuten Provinzstadt der Erste sein.6 Nach Lilis zum Teil mit zahllosen Briefen weiter. Tod (1919) heiratete Kienzl 1921 die Die runden Geburtstage 1927 (Siebziger) Schriftstellerin Helene Bauer, geb. Leh- und 1937 (Achtziger) waren mit vielen ner, die ihm mehrere Textbücher lieferte Glückwunschschreiben, großen Feiern und die Wohnung zu einem der bekann- und Festaufführungen verbunden. Die testen gesellschaftlichen Mittelpunkte Jahre nach 1938 brachten Aufregungen Wiens mit regelmäßigen Sonntagsmati- und Sorgen; 1940 stellten sich gesund- neen werden ließ. heitliche Störungen ein. Am 3. Oktober Bald nach 1925 war Kienzls kompo- 1941 ist in Wien der Tod fast unmerklich sitorisches Schaffen im Wesentlichen ab- und schmerzlos eingetreten. Die Ge- geschlossen. Eine Tagebucheintragung meinde Wien widmete ihm am Zentral- dokumentiert seine damalige künstleri- friedhof ein Ehrengrab.8 sche Verfassung: „Mich macht die Mo- derne ganz irre. Ich kann und will nicht atonal sein, aber ebenso wenig banal 2. Das musikalische Schaffen oder veraltert.“7 Als Komponist ging Kienzl seinen ei- genen Weg. Wie viele seiner Generation war er in jungen Jahren vom Schaffen Ri- chard Wagners beeindruckt, verstand es aber, sich aus dessen Schatten zu lösen. Mit der leicht fasslichen Sprache seiner Musik hat er sich als „Hüter des klas- sisch-romantischen Erbes“ mit hohem Können, sprechender Musik und Sinn für dramatisch wirksame Stoffe das Pu- blikum erobert. Auf diese Weise wurde er einer der bedeutendsten Repräsentan- ten einer spezifisch österreichischen Volksoper. Für sie ist eine eigenartige Mischung aus heimatlichen, romanti- schen und veristischen Elementen cha-

6 Lebenswanderung, S. 217. 7 Hans Sittner, Kienzl – Rosegger, Wien 1953, S. 263. 8 Hans Sittner, Wilhelm Kienzl (1857–1941), in: Große Österreicher (Neue Österreichische Portraitfoto im Postkartenformat. Wilhelm Kienzl. Biographie ab 1815), Bd. 10, Wien 1957, Oö. Landesmuseum S. 114 f.

6 rakteristisch.9 Das Werkverzeichnis um- Uraufführung: 6. Dezember 1916, Wien, fasst 123 Opuszahlen, darunter zehn Volksoper Bühnenwerke.10 Hassan der Schwärmer, Oper in drei Aufzü- Urvasi, Oper nach dem Indischen des gen (Dichtung von Henny Bauer), 1921 Kalidasa in drei Aufzügen (Text von Al- Uraufführung: 27. Februar 1925, Chem- fred Gödel), 1884 nitz Uraufführung: 20. Februar 1886, Dres- Sanctissimum, eine melodramatische Alle- den gorie in einem Akt (Dichtung von Neufassung: Henny Bauer), 1922 Uraufführung: 11. Dezember 1887, Graz Uraufführung: 14. Februar 1925, Wien Heilmar der Narr, Oper in drei Aufzügen Hans Kipfel, Singspiel in einem Aufzug und einem Vorspiel (Dichtung von Dr. (Dichtung von Henny Bauer), 1926 W. Kienzl sen.), 1891 Uraufführung: 1926, Wien Uraufführung: 8. März 1892, München Neufassung: Heilmar Dazu kommen noch zehn Chor- Uraufführung: 28. Jänner 1902, Berlin, werke mit Orchester, fast 100 A-cappel- Königliche Oper la-Chöre, über 200 Sololieder, mehrere Duette, Orchesterlieder, Stücke für Kla- Der Evangelimann, ein musikalisches vier zwei- und vierhändig, für Harmo- Schauspiel in zwei Aufzügen (Dichtung nium und Orgel, einige Melodramen; von Dr. Wilhelm Kienzl nach Dr. Leo- mehrere Kammermusikwerke (darunter pold Florian Meißners Erzählung), 1894 drei Streichquartette), Orchesterwerke Uraufführung: 4. Mai 1895, Berlin (darunter „Symphonische Variationen Don Quixote, eine musikalische Tragiko- über das Straßburglied“) und zahlreiche Klavierauszüge nach Opern und Orato- mödie in drei Aufzügen (Dichtung von 11 Dr. Wilh. Kienzl), 1897 rien. Uraufführung: 18. November 1898, Ber- lin 3. Kienzls Opern am Linzer In Knecht Ruprechts Werkstatt, ein Weih- Landestheater nachtsmärchenspiel in einem Akt (Dich- tung von Hildegard Voigt), 1907 3.1. Einige Vorbemerkungen Uraufführung: 25. Dezember 1907, Graz Das Linzer Landestheater hat im Der Kuhreigen, ein musikalisches Schau- Laufe seiner wechselvollen Geschichte spiel in drei Aufzügen (Dichtung von R. Batka nach R. Hans Bartsch’ Novelle „Die kleine Blanchefleur“), 1911 9 Uraufführung: 23. November 1911, Vgl. Anm. 8, S. 114. – Hans Sittner, Am Grabe Wilhelm Kienzls, in: Tages-Post, 31. Oktober Wien, Volksoper 1941, S. 4. – Derselbe, Artikel Kienzl, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel Das Testament, eine musikalische Komö- 1958, Bd. 7, Sp. 891 (zitiert als MGG). die in zwei Aufzügen (Dichtung von Dr. 10 Vgl. Anm. 7, S. 273 f. – MGG, Bd. 7, Sp. 888. Wilh. Kienzl), 1916 11 Vgl. Anm. 8, S. 115 f.

7 und künstlerischen Entwicklung meh- dem seinerzeitigen Alltag des „Betriebes“ rere Bühnenwerke Kienzls herausge- Theater enthalten. bracht, und zwar erstmals: Das Landestheater war ein Privat- Urvasi: 11. Dezember 1886 unternehmen, geführt von einem Direk- Der Evangelimann: 31. Jänner 1896 tor mit vollem finanziellen Risiko, frei- Heilmar (der Narr): 2. November 1902 lich oft mit letztlich unzureichenden In Knecht Ruprechts Werkstatt: Subventionen. Er musste mit Wasser ko- 22. Dezember 1908 chen, denn erst der Erfolg eines vielleicht Der Kuhreigen: 2. März 191212 wertlosen, aber wirksamen Stückes er- möglichte ihm, ausgezeichnete, aber we- Dass diese Liste seinerzeit nicht län- niger gängige Werke zu bringen. ger wurde und auch das spätere Schaf- Die Spielzeit reichte meistens von fen nicht erfasste, hat mehrere Ursachen. Ende September bis in die Monate April Diese brachte der Theaterhistoriker und oder Mai, die Oper endete oft früher. Germanist Dr. Heinrich Wimmer auf Der sehr abwechslungsreiche Spielplan den Punkt.13 Von April 1914 an verfügte umfasste die ganze breite Angebotspa- das Theater fünfeinhalb Jahre (bis zur lette mit den Titeln aus Posse bis zur Spielzeit 1919/20) über kein eigenes großen Oper. Daher waren in der Regel Opernensemble. Als Folge der allgemein keine hohen Aufführungszahlen bei den schlechten wirtschaftlichen Lage nach einzelnen Werken zu erreichen. dem Ersten Weltkrieg begann anfangs der Zwanzigerjahre für das Linzer Thea- Das Publikum verlangte nach Ab- ter wieder eine Zeit des künstlerischen wechslung, und so waren beliebte und Abstiegs, der mit wenigen Unterbre- erfolgreiche Stücke durch Jahre hin- chungen bis 1932 anhielt. Die in diesem durch im Laufe einer Saison ein- oder Jahr drohende endgültige Sperre des zweimal zu sehen. Theaters hat Direktor Ignaz Brantner mit Der Personalstand umfasste mit ei- viel Tatkraft überwunden, und er wagte ner gewissen Schwankungsbreite im 19. 1937 die Wiedereinführung der ständi- Jahrhundert und auch noch darüber hin- gen Oper. aus neben den Darstellern für Oper, Operette und Schauspiel etwa 20 Chor- Einen späten Nachzügler bei den mitglieder und um die 30 Orchestermu- Erstaufführungen bildet „Das Testa- siker, die bei großen Werken mit Kräften ment“ mit der Premiere am 3. Dezember der jeweils in Linz stationierten Regi- 2006 (!) aus Anlass der Feier des 150. Ge- mentskapellen verstärkt wurden. burtstages Kienzls. Das Schicksal der Linzer Bühne Die vorstehende Titelaufzählung bil- heißt auch heute noch wie in der Vergan- det wohl ein Gerüst mit interessanten genheit: Anfänger finden eine Startbasis, Details, doch Informationen über leben- prächtige Stimmen lassen sich nur eine diges Theater bleiben ausgespart. Darum sind einige grundsätzliche, frei- 12 Heinrich Wimmer, Das Linzer Landestheater lich nur oberflächliche Fakten und Über- 1803–1958, Linz 1958, S. 125 (zitiert als Wim- legungen angebracht, welche einige Ei- mer 1958). gentümlichkeiten und Sachzwänge aus 13 Wimmer 1958, S. 77–82.

8 begrenzte Zeit halten, den Ensemblekern würdevoll“ in der reichhaltigen Aus- bilden verlässliche, langjährige Mitglie- stattung mit Dekorationen und Kostü- der, die oft bis zur Pensionierung blei- men.16 ben. Bereits damals rührte die Linzer Zei- Mit all dem waren Wilhelm Kienzl tung Tages-Post kräftig die Werbetrom- und seine Werke von Anfang an kon- mel für diese Oper mit der Wiedergabe frontiert. einer telegraphischen Meldung aus Bei der Besprechung der einzelnen Dresden über einen „kolossalen Erfolg“. Aufführungen und ihrer Charakteristika Es folgten der Abdruck des ausführli- geht es in erster Linie um das Vermitteln chen Berichts in der „Frankfurter Zei- eines Gesamteindrucks. Dazu dienen tung“ und schließlich Auszüge aus Be- Ausschnitte aus seinerzeitigen Zeitungs- sprechungen in verschiedenen deut- 17 berichten, welche der weit verbreiteten schen Zeitungen. Tages-Post entnommen sind und in un- terschiedlichem Umfang auf das We- Linzer Erstaufführung am 11. Dezember sentliche gekürzt wurden.14 Von dieser 1886 Vorgangsweise sind meist die Leistun- Direktion: Julius Laska gen der Sänger betroffen – Ausnahmen Bereits die nächste Bühne war Linz bestätigen die Regel –, denn immer wie- und vermittelte somit die österreichische der ist von einigen guten und einigen Erstaufführung. Damals leitete Julius weniger zufriedenstellenden die Rede. Laska sehr verdienstvoll das Theater, So weit wie möglich und überliefert wer- schenkte der Oper großes Augenmerk den die übrigen Leistungen des Theaters und brachte eine Reihe von Wagner- vorgestellt. Dabei ist immer wieder zu Werken heraus, darunter erstmals „Die berücksichtigen, dass aus den alten Tex- Meistersinger“. Der Komponist Kienzl ten die seinerzeitigen Wert- und Bewer- war damals in der Stadt durch mehrere tungsmaßstäbe sprechen, die mit heuti- Konzerte nicht mehr ganz unbekannt gen Vorstellungen nicht unbedingt im- und wurde schon 1884 als „der geniale mer zu vergleichen sind. Landsmann“ genannt.18 Der Premiere gingen in der Tages-Post mehrere infor- mative Kurzmeldungen und eine ausge-

3.2. Urvasi15 14 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit der fol- Der Opernerstling nach einem indi- genden Zeitungsberichte sind die durch Kür- schen Stoff bringt ein poetisches Mär- zung entfallenen Passagen und kleine Wortum- chen, umkreist „die irdische und himmli- stellungen nicht extra angezeigt. 15 Berichte Kienzls über das Werk in „Lebenswan- sche Liebe“ und enthält viel orientali- derung“, S. 279–285. schen Zauber. Die Musik verwendet 16 Lebenswanderung, S. 280 ff. durchwegs das System der Leitmotive, 17 Tages-Post, 23. Februar 1886, S. 4; 25. Februar macht aber auch von der periodisch ge- 1886, S. 4; 23. März 1886, S. 1 f. 18 Wimmer 1958, S. 53–56. – Franz Pfeffer, Wil- bauten Kantilene in reichstem Maße Ge- helm Kienzl 70 Jahre. Wilhelm Kienzl auf der brauch. Die Uraufführung in Dresden Linzer Bühne, in: Linzer Volksblatt, 16. Jänner am 20. Februar 1886 war „unvergeßlich 1927, S. 7.

9 Linzer Landestheater: Plakat zu „Urvasi“. Oö. Landesmuseum

10 wachsene „kurze Inhaltsangabe“ vor- und hörbar zu singen; ihre schauspiele- aus.19 Die Aufführung motivierte den rische Unbehilflichkeit wurde ebenfalls Berichterstatter Dr. Emil Kränzl20 zu ei- manchmal empfindlich fühlbar. Zu er- nem sehr langen Artikel, in welchem er wähnen sind noch Herr Ganzemüller, auf das Werk einging, interessante kom- der zum Manava die nöthige Stimm- positorische Einzelheiten hervorhob, kraft mitbringt und Frl. König, welche den Komponisten und sein bisheriges nur in letzter Zeit öfters zu distonieren Schaffen vorstellte. Damit hat er nach ei- pflegt. Daß man sich von der Wirkung genen Worten den Rahmen einer Tages- der Chöre nach der hiesigen Aufführung kritik (Tages-Post 14. Dezember 1886, nicht die richtige Vorstellung macht, ist S. 4 f.) weit überschritten. klar. Das Orchester bewältigte unter Lei- tung des Herrn Floderer seine schwierige Sein Urteil über die Aufführung Aufgabe, zu der es numerisch zu gering leicht gekürzt: ist, nach besten Kräften und sehr aner- „Was nun die Aufführung der kennenswert. Kienzl’schen Oper auf unserer Bühne Besondere lobende Erwähnung ver- anbelangt, so muß man gerechter Weise dient die Regie. Die Ausstattung war für anerkennen, daß alles, was in den Kräf- eine Provinzbühne thatsächlich prächtig. ten einer Provinzbühne steht, geschehen Die Oper erfreute sich einer äußerst ist, um dieselbe zu einer möglichst wür- günstigen, ja geradezu stürmischen Auf- digen zu machen. Daß bei einem so au- nahme, und wurden Darsteller, Kapell- ßerordentlich schwierigen Werke das meister, Regisseur, Director und nament- Können mit dem Wollen nicht immer lich der Componist, der einen Lorbeer- gleichen Schritt gehalten hat, ist begreif- kranz erhielt, unzähligemale gerufen.“ lich. Vor allem muß Herr Bandrowsky21 hervorgehoben werden, welcher die äu- Die Einstudierung stand unter der ßerst anstrengende und schwierige Rie- Leitung des (damals) bekannten Diri- senpartie des Königs mit großer Aus- genten und Komponisten Wilhelm Flo- dauer bewältigte und seine prächtige Stimme und sein dramatisches Talent 19 Tages-Post, 10. Dezember 1886, S. 3; 11. De- neuerdings in bestem Lichte erscheinen zember 1886, S. 3 f. 20 ließ. Wieder ganz in ihrem eigentlichen Biographisches zu Dr. Emil Kränzl: geb. 1863 in Ried/Innkreis, Beamter bei der Post- und Tele- Elemente war Fräulein Schindler als graphendirektion Linz, zuletzt Vizepräsident Ausinari; sie gab das liebeglühende, ver- und Hofrat, langjähriger Musikkritiker der Ta- schmähte Weib in jeder Hinsicht sehr er- ges-Post; verheiratet mit der Schriftstellerin Su- greifend und sah auch sehr vortheilhaft sanne (Susi) Wallner; gest. 1943 in Linz (Quelle: aus. Daß Fräulein Imlauer als Urvasi Archiv der Stadt Linz). 21 Biographisches zu Alexander von Bandrowski: nicht genügen würde, war vorauszuse- geb. 1860 in Galizien, gest. 1913 in Krakau, Te- hen und ist dies auch von einer Anfänge- nor. Beginn der Bühnenkarriere 1882 in Prag, rin in einer Oper, die geübten Sängern Engagements u. a. 1886/87 in Linz, 1888/89 in Schwierigkeiten bereitet, nicht zu ver- Graz, an vielen großen und internationalen Häusern, Leitung der Oper in Krakau 1905/08, wundern. Auch sollte sie darauf achten, übte auf das Musikleben seiner Heimat großen nie vom Publikum abgewandt und auch Einfluss aus (vgl. Kutsch/Riemens Großes Sän- im Pianissimo immer noch verständlich gerlexikon).

11 derer. Sie erreichte bis Saisonende sie- im ersten Akt – eine größere Zurückhal- ben Aufführungen, eine damals unge- tung der Klarheit oft wesentlich genützt.“ wöhnlich hohe Zahl angesichts von 48 Bei dieser Aufführung lieferte ein Opernabenden mit 23 verschiedenen Ti- Zwischenfall Gesprächsstoff. Bei einer teln in der Spielzeit 1886/87. Es ist nicht spannenden Szene kamen plötzlich verwunderlich, dass Kienzl bei einem mehrere Aufschreie von der 3. Galerie solchen Fließbandbetrieb vorsorglich zu und wurden von einer erschrockenen den Proben nach Linz gekommen ist. – Choristin auf der Bühne wiederholt. Die Weitere Details über diese Saison verdie- übrigen Sänger ließen sich aber nicht be- nen vermerkt zu werden: Der Chor um- irren. Die Ursache: Ein Mädchen schien fasste 14 Herren und 15 Damen, das Or- sich den dargestellten Liebesschmerz so chester 30 Mann. Die Ausstattungsko- zu Herzen genommen zu haben, dass es sten verschlangen für die Kienzl-Oper Herzkrämpfe bekam und zu schreien be- viel Geld, denn die neuen Dekorationen gann. Nach ärztlicher Hilfe hat es sich im 3. Akt (Urwald mit Wasserfall, Rosen- bald wieder erholt. dekoration und himmlische Chöre) so- wie den Wolkenwagen im 1. Akt lieferte Saison 1888/89 das Atelier der k. k. Hoftheatermaler Die Oper war auch am 6. April 1889 Kautzky und Brioschi.22 Zusammen mit bei einem Gastspiel Grazer Kräfte unter den Erfordernissen für die Novität „Fern- der Leitung des Komponisten zu hören. ando“ vom Linzer Wilhelm Floderer Es sangen dessen Gattin in der Titelrolle, wurden hiefür in Summe 1740 Gulden weiters die Primadonna Kraemer-Widl bezahlt.23 und der Heldentenor Alexander von Bandrowsky, beide von der Grazer Das weitere Bühnenschicksal der Oper Oper. Wieder berichtete Dr. Kränzl in in Linz der Tages-Post (10. April 1889, S. 5) recht Saison 1887/88 ausführlich, hier stark gekürzt wiederge- Diese Kienzl-Oper war vom Publi- geben: kum geschätzt und stand daher auch in „Dennoch geschah in der neuerli- der nächsten Saison wieder auf dem chen Aufführung der Oper ,Urvasi‘ das Spielplan (Premiere 25. Jänner 1888), wo- Möglichste, um die Aufführung zu einer, bei die beliebte Altistin Frl. König, aus soweit es die Verhältnisse gestatten, der letzten Saison bekannt und dann am möglichst würdigen zu machen, wofür Stadttheater Nürnberg, ein einmaliges namentlich auch die persönliche Leitung Gastspiel gab. Dem Bericht in der Tages- des Componisten Bürgschaft leistete. Post von Dr. Emil Kränzl (27. Jänner Die Titelrolle gab Frau Kienzl mit bester 1888, S. 4) ist gekürzt zu entnehmen: Die Wirkung und war in allen Einzelheiten sängerischen Leistungen des Ensembles die sorgfältige Durcharbeitung und Aus- waren gut, einzelne sogar herausragend. feilung angenehm bemerkbar. Eine in je- „Im allgemeinen ging die Aufführung dieser äußerst schwierigen Oper recht 22 Aus dem großformatigen Plakat für die Pre- gut vonstatten. Ausstattung und Be- miere. leuchtung waren wohl gelungen. Was 23 Dr. A. E., Landes-Theater in Linz I, in: Linzer die Tempi anbelangt, hätte – namentlich Volksblatt, 12. Mai 1887, S. 3.

12 Titelblatt des Klavierauszuges zu „Urvasi“. Oö. Landesmuseum

13 der Richtung vorzügliche Interpretin Komponisten bewogen, Neubearbeitun- fand die Partie der Ausinari in Frau Krae- gen und Kürzungen vorzunehmen. Den- mer-Widl, welche von ihrem ehemaligen noch ist die Partitur auch in der Neufas- Engagement an unserem Theater noch sung eine in Musik gesetzte erzählende in freundlichster Erinnerung steht. Als Dichtung geblieben.25 In dieser „konzise- einen guten Bekannten begrüßte das Pu- ren Gestalt“ kam es zu Aufführungen blicum auch Herrn Bandrowsky. Seine erstmals in Graz 1910 und dann 1912 in weiche Gesangsweise und die schöne, Linz. Somit war diesem Erstling nur eine höchst wohlklingende Stimme erwarben kurze Wiederauferstehung beschieden.26 schon damals allgemein die größte An- erkennung. Saison 1912/13 Das Orchester sieht sich in dieser Die Linzer Premiere in der Neufas- Oper einer besonders schwierigen Auf- sung am 10. Dezember 1912 erfolgte im gabe gegenüber. Die Anforderungen Rahmen des dreiteiligen „Wilhelm- Kienzl-Zyklus“ als 1. Abend. Über sie be- sind in dieser Richtung so groß, daß 27 thatsächlich nicht viele Orchester den- richtete Aemilian Posch (Tages-Post, selben vollauf genügen werden. Weich- 13. Dezember 1912, S. 9 f.), auszugsweise heit, Schmiegsamkeit und Schmelz, wiedergegeben: feine Abtönung und Vermittlung der „Die Aufführung des ,Urvasi‘ war Klangfarben usw. sind die nothwendi- keine unwürdige und wurde vom Publi- gen Voraussetzungen, dem unser Orche- kum mit großer Zustimmung aufge- ster trotz der Tüchtigkeit einzelner Mit- nommen. So bekamen wir in dem be- glieder in seiner Gesammtheit durchaus sonders malerisch wirkenden Schlusse nicht nachkommen kann. erfreuende Bilder zu sehen. Die Chorlei- stung der Frauen war überraschend si- Der Componist dirigierte mit Feuer cher, gerundet und klangschön, dem und Energie, doch müssen wir rückhalt- männlichen Gefolge des Königs pas- los bekennen, daß uns die Wahl der Zeit- sierte auch kein Uebel, der gemischte maße häufig überraschte. Es schien uns Gesamtchor steigerte den Opernschluß durch die gewählten raschen Zeitmaße zu einem voll- und wohltönenden Zu- nicht selten der Eindruck des Maleri- sammenklange. Das Orchester wußte schen, Schwärmerischen – der Hauptreiz seine harmonisch stützende und male- des Werkes – gestört. Dem Musiker ist ja risch-schildernde selbständige Aufgabe bekannt, daß man über manche Klippe bestens in das Licht zu stellen und da- leichter hinwegkommt, wenn man sie in durch dem Werke einen bleibenden Ein- raschem Zuge nimmt, während ein brei- druck zu sichern.“ teres Zeitmaß die Schäden der Tonent- wicklung und Durcharbeitung weit mehr ans Tageslicht bringt.“ 24 Lebenswanderung, S. 283. Auch die Aufführungen in Graz, 25 Tages-Post, 7. Dezember 1912, S. 11 f. Wien, Pressburg usw. konnten dem 26 Lebenswanderung, S. 283. 27 Biographisches zu Aemilian Posch: geb. 1834 in Werk keinen dauernden Platz im Reper- Braunau, gest. 1925 in Linz. Oberlehrer, Musik- 24 toire sichern, schrieb Kienzl selbst. schriftsteller, langjähriger Mitarbeiter der Ta- Allzu empfindliche Breiten haben den ges-Post für Opern- und Konzert-Berichte.

14 Dem Bericht ist weiters zu entneh- hannes, Lehrer im Kloster, ist in Martha men: Die Leistungen des Sängerensem- verliebt und missgönnt jenem das Mäd- bles waren uneinheitlich. Es gab hiefür chen. Er steckt in rasender Eifersucht die rauschende Zustimmung, prächtige Tenne des Klosterhofs in Brand und Stimmmittel und innig schlichten Aus- lenkt den Verdacht auf den Unschuldi- druck, eine blühende Stimme und natür- gen, der mit 20 Jahren Kerkerhaft be- liches Spiel, aber auch vollkommen un- straft wird. Martha begeht Selbstmord, zureichendes Spiel. Insgesamt wurde Mathias zieht, aus der Haft entlassen, festgestellt: „In ,Urvasi‘ sind bleibende umher, liest den Leuten gegen Almosen Werte geborgen, sie sollten nicht wieder aus der Bibel vor und trifft auf Umwe- so lange ungehört bleiben.“ gen seinen inzwischen schwer kranken Linzer Aufführungsstatistik (Wim- Bruder Johannes. Dieser bittet um Verge- mer-Statistik)28 von 1886 bis einschließ- bung, erhält sie schweren Herzens, und lich 1912: zwölf Vorstellungen. bei seinem Sterben erklingt das zum Volkslied gewordene „Selig sind die Ver- Wenn man von der Wiedergabe in folgung leiden“. Radio Wien (Ravag) am 15. Jänner 1932 unter dem Dirigenten Dr. Ludwig Kaiser Lange Jahre wurde angenommen, mit dem Volksopernorchester und dem der Autor der Erzählung habe als Poli- Staatsopernchor absieht, ist die Oper in zeibeamter aus den Tatsachen geschöpft der Versenkung verschwunden.29 Sie ist und die seinerzeitigen Ereignisse veröf- dem Bewusstsein des Publikums entglit- fentlicht. Und diese verwendete Kienzl, ten, genauere Ausführungen in Nach- wenn auch mit einigen Änderungen und schlagewerken fehlen. Erweiterungen der Handlung, für sein Libretto. Erst die Veröffentlichung „(K)ein Evangelimann. Die historische 3.3. Der Evangelimann30 Brandlegung“ aus 1990 von Dr. Viktor Redtenbacher zeigte auf Grund langwie- Bereits die dritte Oper mit dem Titel riger Detailforschungen den tatsächli- „Der Evangelimann“ begründete den in- chen Ablauf der Ereignisse: Der Schuld- ternationalen Ruf des Komponisten und lose hieß Leopold Schwerdtfeger aus war jahrzehntelang ein fixer Bestandteil Paudorf (Niederösterreich), wurde nicht des Theaterrepertoirs. eingekerkert, fand Zuflucht im Stift Göttweig und wurde dort als Pater En- Die Oper basiert auf einer Erzählung gelbert 1846 zum Abt gewählt. Zu einer der Sammlung „Aus den Papieren eines Versöhnung mit dem Bruder ist es nie Polizeicommissärs“ von Dr. Leopold Flo- gekommen. – Aus diesen Tatsachen er- rian Meißner – k. k. Regierungsrat, frü- gibt sich, dass in der literarisch umge- her Polizeikommissär, dann Rechtsan- walt – und handelt, scheinbar aus dem Leben gegriffen, von schwer geprüften Menschen; Mathias Freudhofer, Amts- 28 Im Besitz des Verfassers. 29 Vgl. Anm. 7, S. 204. – Tages-Post, 15. Jänner schreiber im Kloster St. Othmar, liebt 1932, S. 4. Martha, die Nichte und Mündel des 30 Bericht Kienzls über das Werk in „Lebenswan- Pflegers im Kloster. Auch sein Bruder Jo- derung“, S. 291–304.

15 Linzer Landestheater: Plakat zu „Der Evangelimann“. Oö. Landesmuseum

16 Handschriftliche Widmung des Klavierauszuges zu „Der Evangelimann“. Oö. Landesmuseum

17 formten Geschichte der Ort, die Namen Es gab Aufführungen an großen und und Jahreszahl mit Rücksicht auf seiner- kleineren Bühnen, auch in Übersee, na- zeit noch lebende Verwandte verändert türlich auch glanzvoll am 11. Jänner wurden. Das Auseinanderklaffen von 1896 an der Wiener Staatsoper (früher: Dichtung und Wahrheit tut in diesem Hofoper), bei der es die Zensurbehörde Fall nichts zur Sache: Die dramatische für notwendig erachtete, einige Textstel- Konstellation ist gerade recht für die len aus Rücksicht auf die kirchlich aus- Bühne und lag beim Dichter-Komponi- gerichteten Gemüter der Habsburger- sten Kienzl in guten Händen. dynastie zu ändern. Anstoß erregte das Der Komponist stieß durch Zufall in landesübliche „Gelobt sei Jesus Chris- einem Reclam-Heft auf diese Geschichte. tus“, ersetzt durch „Gelobt sei Gott im 36 Während eines Sommerurlaubs in Lofer Himmel“. (Salzburg) 1893 wurden Skizzen erstellt, Linzer Erstaufführung am 31. Jänner die Niederschrift des Librettos und der 1896 Partitur erfolgte dann in Vöcklabruck, Direktion: Heinrich Skriwanek Linz, Graz und Bad Aussee. Mitte Jänner 1894 war die Komposition vollendet.31 Die Oper „Der Evangelimann“ hatte in Linz keinen leichten Start, wie die Ta- Die Uraufführung am 4. Mai 1895 ges-Post noch einige Jahre später berich- am Königlichen Opernhaus Berlin unter tete:37 „Der gute Direktor hatte sich dem Dirigenten Dr. Karl Muck führte zu lange gesträubt, dieses volkstümliche „tiefer Ergriffenheit und einmütiger Zu- Tonwerk zu geben; er meinte in seiner 32 stimmung“ beim Publikum. Auch die Bonhomie,38 der ,Müllimann‘39 werde Tages-Post meldete den Linzern „einen auch nichts Besonderes sein. Schon der 33 bedeutenden Erfolg“. Erwähnenswert Choral bei geschlossenem Vorhange war über Linzer Lokalgeschichte hinaus ist, ihm zu lang und viele Einwürfe machte dass Schwiegervater Dr. Emmerich auch der damalige Kapellmeister.40 Und Hocke sen. die Figurinen zur Oper er- gänzte, da echt österreichische Trachten 31 Lebenswanderung, S. 291–295. aus der Zeit von Andreas Hofer ge- 32 Ebenda, S. 295–298. 34 wünscht wurden. 33 Tages-Post, 7. Mai 1895, S. 6. 34 Der Siegeszug dieser Oper ließ sich Der Verbleib der Originale konnte noch nicht ermittelt werden. nicht mehr aufhalten. „Im zweiten Jahr 35 Lebenswanderung, S. 298, 304. fiel bereits im Durchschnitt auf jeden 36 Lebenswanderung, S. 300 f. Tag des Jahres eine Aufführung.“ Vorstel- 37 [Anonym], Der Evangelimann, in: Tages-Post, lungen leiteten große Dirigenten wie 28. November 1900, S. 6. – An diese Einstellung Mahler, Mottl, Muck, Schalk, Schuch, des „unmusikalischen Direktors“ und seinen Ausspruch „Den Müllimann gebe ich nicht“ er- Richard Strauss, Weingartner. Kienzl innerte sich noch Aemilian Posch in hohem Al- hieß – nicht zuletzt wegen seines altehr- ter (vgl. Aus Kunst und Leben. Erinnerungen würdigen Erscheinungsbildes mit lan- von Aemilian Posch, in: Tages-Post, 1. Jänner gem Bart – von nun an „Evangelimann“ 1925, S. 21). 38 Bonhomie bedeutet Gutmütigkeit, Biederkeit. und sollte immer wieder nur „einen 39 Bedeutet Milchmann und ist als Abwertung zu Evangelimann“ schreiben. Das nannte er verstehen. selbst „die Tragik des Erfolges“.35 40 Kapellmeister war Josef Trummer.

18 dann brachte die neue Oper volle Häu- jahr waren es 17 Aufführungen, die auf ser und Skriwanek saß schmunzelnd die große Zugkraft dieses Titels hinwei- und breit in seiner Parterreloge und sen. schaute wohlwollend in den dichtbesetz- In den Jahren nach der Linzer Erst- ten Zuschauerraum.“ aufführung stand „Der Evangelimann“ Der weit ausholende Bericht über oftmals im Abstand von ein oder zwei die Linzer Premiere von Dr. Kränzl (Ta- Jahren, manchmal in längeren Serien, ges-Post, 2. Februar 1896, S. 6 f.) bringt auf dem Programm. Informationen über das Künstlertum des Komponisten, den Stoff und die Hand- Als besondere Aufführungen sind fest- lung des Werkes sowie über die Qualitä- zuhalten: ten der Musik. Über die Aufführung Saison 1900/01 – 25. Aufführung selbst schreibt er: „Was nun die Aufführung auf der Der Komponist dirigierte gerne Jubi- Linzer Bühne anbelangt, so waren na- läumsvorstellungen, so die 25. Auffüh- 41 mentlich im Orchester noch mancherlei rung in Linz am 30. November 1900, Schwankungen und Unebenheiten zu und war bei den Proben anwesend. In verspüren. Die Vorbereitungszeit war der Tages-Post vom 2. Dezember 1900, eine zu kurze. Inszeniert war das Stück S. 7, erschien ein ausführlicher Bericht, übrigens recht gut. Es war ein Glück für dessen erster, namentlich nicht gezeich- unsere Aufführung, daß der Componist neter Abschnitt auch einen kleinen Fest- anwesend war und die Generalprobe lei- abend im Hotel „Zum roten Krebsen“ er- ten konnte. Von den Darstellern ragten wähnt. Daraus haben wir gekürzt ent- Fräulein Cardis (Martha) und Herr Vic- nommen: tor (Johannes) hervor, die ihr Bestes bo- „Eine feierliche Festesstimmung ten. Herr Hanschild (Mathias) hätte gieng [sic!] durch das ganze, in allen sei- seine Rolle recht gut aufgefaßt, mußte nen Räumen dicht besetzte Haus. Das aber mit seinem Stimmübel kämpfen Dirigentenpult schmückte ein Lorbeer- und war auch musikalisch noch nicht kranz mit rother Schleife. Dr. Kienzl diri- vollkommen seiner Partie sicher. Letzte- gierte elegant und ruhig, aber man sieht, res trifft auch bei Herrn Borkovsky (Ju- wie er Orchester und Sänger vollständig stiziär) zu, während Fräulein Mira (Mag- in seinen Bann zwingt. Er hatte manche dalena) annähernd entsprach. Die Oper Striche wieder aufgemacht, manche leitete Herr Trummer. Schönheit wieder hergestellt, die im Das Werk wurde wie überall auch in Laufe der vielen Vorstellungen verloren Linz mit stürmischem Beifalle aufge- gegangen waren. Die Vorstellung wirkte nommen. Die Zuhörerschaft ehrte den so frisch und so tief.“ anwesenden Componisten, unseren Im zweiten Abschnitt des Berichtes Landsmann, mit ungezählten Hervorru- liefert Aemilian Posch, der Opernrefe- fen und einem Lorbeerkranze.“ rent der Zeitung, aufschlussreiche Infor- Diese Oper erzielte bis zum Ende der mationen. Die wesentlichsten sind in Spielzeit 1895/96 insgesamt elf Vorstel- lungen, daher durchschnittlich jede Wo- 41 Das in der Literatur genannte Datum 28. No- che etwa eine Wiedergabe; im Kalender- vember 1900 ist demnach falsch.

19 den folgenden auszugsweise wiederge- seur Chlumetzky und Kapellmeister gebenen Passagen zusammengefasst. Materna bemühten sich redlich um eine „Das übervolle Haus nahm das Mu- würdige Vorstellung des rührenden Wer- sik-Schauspiel mit tiefgehender Rüh- kes“.42 – Innerhalb der nächsten drei rung hin. Dr. Wilhelm Kienzl, der sich Wochen folgten noch zwei Vorstellun- zum erstenmale als Gastdirigent vor- gen. stellte, zeigt sich mehrfach unserm Diri- Saison 1912/13 – 50. Aufführung genten-Ideal Hans Richter verwandt. Die vortreffliche Haltung des Orchesters war Wie aus den vorliegenden Ausfüh- eine Frucht der Wiederherstellung der rungen zu entnehmen ist, ließ sich das ursprünglich vom Componisten gegebe- Linzer Theater die Pflege von Kienzl- nen Zeitmaße. Viele Partien des Werkes Opern angelegen sein und brachte bei erschienen dabei in edlerer Fassung, einem dreiteiligen „Wilhelm-Kienzl- wozu auch die reiche Farbenabstufung, Zyklus“ den „Evangelimann“ als zweiten die sich namentlich im Piano oft zu einer festlichen Abend und gleichzeitig als 50. kammermusikmäßigen Rundung zu- Linzer Vorstellung am 12. Dezember sammenschloß, wesentlich beitrug. 1912 heraus. Einen weiteren Anlass für Der als Gast herbeigerufene Opern- dieses Ereignis bildete die „vierzigjährige sänger Herr Charles Victor sang den Jo- Komponistentätigkeit“ Kienzls; dem- hannes Freudenhofer [sic!]. Es ist nicht nach trat er bereits mit 15 Jahren schöp- alltäglich, daß die Auffassung des Künst- ferisch an die Öffentlichkeit. lers und des Zuhörers in eine Einheit Der Aufführung, welche der Kom- zusammenfallen und eine uneinge- ponist selbst dirigierte, gingen zwei „nor- schränkte Zustimmung zulässt. Die Fest- male“ voraus, um den Darstellern ein vorstellung des ,Evangelimann‘ war ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Diese Ehrenabend für die Linzer Bühne, für Vorstellungen dirigierte Kapellmeister den Componisten und Gastdirigenten, Alfred Wolf aus dem eigenen Haus. für den Gastsänger, für die übrigen Soli- Dem namentlich nicht gezeichneten sten, dann für das Orchester und ein ho- Bericht in der Tages-Post, 14. Dezember her Genuß für die Zuhörer.“ 1912, S. 9, ist auszugsweise zu entneh- men: Saison 1908/09 „Das in allen Räumen dichtgefüllte Einige Jahre später – Premiere 23. Haus empfing den Tondichter, als er den Oktober 1908 – ist wieder der Alltag ein- Dirigentensitz bestieg, mit lautem Bei- gekehrt. Das Publikum besuchte zahl- fallsjubel. Unter der befeuernden Lei- reich die Vorstellung und „auch an Bei- tung des Komponisten, der aus dem fall fehlte es nicht nach den einzelnen Werke natürlich die verborgensten Aktschlüssen, wenngleich die Auffüh- Schönheiten herausholte, nahm die Vor- rung als solche nicht immer die allge- stellung einen außerordentlich glänzen- meine Zustimmung gefunden haben den Verlauf. Da der ,Evangelimann‘ dürfte“. Der Berichterstatter Posch ging heuer bereits einige Mal aufgeführt und auf die einzelnen Sängerleistungen im die Aufführung als sehr gut anerkannt Detail ein und fand dabei einiges auszu- setzen. Er zog den Schluss, „Herr Regis- 42 Tages-Post, 27. Oktober 1908, S. 8.

20 wurde, können wir uns daher auf ein Ge- gespielt. Eine bemerkenswerte Auffüh- samtlob beschränken und nur hervorhe- rung brachte am 7. Oktober 1926 das ben, daß Herr Dub den ,Evangelimann‘ Gastspiel des Tenors Anton Maria To- zu seinen besten Partien sowohl gesang- pitz, eines gebürtigen Oberösterreichers lich als auch schauspielerisch zählt. und damals in Berlin, in der Rolle des Auch die Träger der übrigen Hauptrol- Mathias. In weiteren Rollen waren als len liehen ihren Aufgaben ihre schönen Gäste zu hören: Emmerich Schreiner Stimmittel und ihren ganzen Eifer. Der (langjähriger Bariton der Grazer Oper) zweite Akt zeigte mit dem Hofe des Wie- als Johannes; Vally Fiori (Wien) als Mar- ner Hauses eine neue Dekoration. Dr. tha und Fritz Baschata (Wiener Volks- Kienzl mußte immer wieder an der Seite oper) als Justitiär, beide ehemalige Linzer der Sänger auf der Bühne erscheinen, Kräfte, die eine schöne Karriere gemacht wo ihm nach dem ersten Akte ein mäch- haben; weiters Hedda Grab (Wien) als tiger Lorbeerkranz überreicht wurde. Magdalena. Den Rest stellten Mitglieder Der Aufführung wohnten die greise des Linzer Theaters.45 Mutter des Komponisten, dessen Dem Bericht von Franz Gräflinger46 Schwester sowie dessen Bruder, der be- (Tages-Post, 9. Oktober 1926, S. 8) ist in kannte Schriftsteller Hermann Kienzl Kurzfassung zu entnehmen: aus Berlin, in der Direktionsloge bei.“ „Die Nebenpartien waren ungleich Im Jahr 1916 (während des Ersten Weltkrieges) besetzt, es haperte dort und da. Der Chor begnügte sich, im zweiten Akte Aemilian Posch, der langjährige sich mit ,Schwimmtempi‘ über Wasser Opernberichterstatter der Tages-Post, zu halten. Das verstärkte Orchester war überliefert in seinen Erinnerungen eine ambitioniert bei der Sache, nur die Stim- Festvorstellung vom „Evangelimann“, mung war manchmal nicht rein und das welche das Rote Kreuz 1916 veranlasst tiefe Blech zu wenig ,ausgeputzt‘. Kapell- hat. Sie wurde „unter tüchtiger Führung meister Häfner leistete respektable Ar- von der Musikkapelle der Sappeure beit, nur konnte er hin und wieder die würdig gespielt. Die Sänger dazu waren sich lockernden Fäden des Ensembles mit glücklicher Hand gefunden“ wor- nicht straffen. Der Regie war wohl zu den.43 – Weitere Informationen über die kurze Gelegenheit zur Probung gegeben. Aufführung konnten nicht ermittelt wer- Die Kinderszenen schienen ungeprobt. den. Überdies ist ungewiss, ob sie im Landestheater stattfand. 43 Aus Kunst und Leben. Erinnerungen von Aemi- Saison 1926/27 lian Posch, in: Tages-Post, 1. Jänner 1925, S. 20. 44 Während der Direktionszeit von Al- Wimmer 1958, S. 78 f. 45 Tages-Post, 7. Oktober 1926, S. 10. bert Hugelmann (1925–1930) gab es bei 46 Biographisches zu Franz Gräflinger: geb. 1876 der Oper nur Gastvorstellungen, die ge- in Linz, gest. 1962 in Bad Ischl, Beamter des Lin- gen Ende dieser Ära fast ganz aufhör- zer Magistrats. Er war einer der wichtigsten ten;44 daher verständlich, dass bei dieser Bruckner-Forscher, sehr fleißiger Publizist, an- gesehener Musikkritiker der Tages-Post seit Sparte von „schmaler Kost“ für das Pu- 1919, lebte bis 1937 in Linz, 1937–1944 in Wien, blikum geschrieben wurde. Trotzdem ab 1944 in Bad Ischl (vgl. Ein Bruckner-Hand- wurde fast alle Jahre „Der Evangelimann“ buch, Hg. Uwe Harten, Salzburg 1996, S. 180 f.).

21 Gleichviel, die Direktion bemüht sich, Mitwirkenden wiederholt an die die Oper in Linz zu pflegen.“ Rampe. Saison 1937/38 Der Vorstellung am Sonntag abends wohnte auch Altmeister Dr. Wilhelm Eine passende Aufführung zum 80. Kienzl bei. Der Komponist sprach sich Geburtstag Kienzls konnte 1937 zum lobend über die Aufführung und vor al- richtigen Termin wegen der sehr missli- lem über die Sänger der Hauptpartien chen Lage des Theaters nicht stattfin- 47 aus und daß die Kinderszene im zweiten den. Direktor Ignaz Brantner program- Akt tatsächlich von Kindern besetzt mierte „Evangelimann“ für den Beginn war.“ der Opernspielzeit mit der Premiere am 8. Oktober 1937, denn Linz hatte erst in NS-Zeit (1938–1945) diesem Herbst nach langer Pause wieder Direktion: Ignaz Brantner ein eigenes Opernensemble. Die nächste Zu Aufführungen in dieser Periode Aufführung am 10. Oktober besuchte können keine Informationen geliefert der Jubilar.48 Diese Einstudierung werden, da die Spielplanvorschauen und brachte es auf sechs Vorstellungen, da- Saisonabschlussberichte, soweit eben von je eine als Gastspiel im Stadttheater zugänglich, darüber nichts aussagen. Wels und in der Nibelungenhalle in Pas- Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde sau. Dem Premierenbericht von Paul „Der Evangelimann“ in Linz nicht ge- Günzel49 (Tages-Post/Abendblatt, spielt, denn die Thematik dürfte den 11. Oktober 1937,S. 2) ist gekürzt zu ent- Machthabern nicht in das Konzept ge- nehmen: passt haben. Der Komponist beklagte sich selbst über die Vernachlässigung „Das durchwegs gute, ja vorzügliche 50 Stimmaterial der Solisten zeichnete sich seiner Werke. Deutlich kann zu diesem durch gute Deklamation und Phrasie- Problem später im Abschnitt „Der Kuh- rung aus und wurde durch diskrete Be- reigen“ Stellung genommen werden. gleitung des Opernleiters unterstützt. Saison 1947/48 Ebenso ist von der Regie nur Gutes zu Direktion: Viktor Pruscha berichten. In erster Linie ist der Tenor Über diese Einstudierung (Premiere La´slo v. Szemere als ,Evangelimann‘ mit 10. Jänner 1948) mit 19 Vorstellungen be- seinen vorzüglichen Leistungen zu nen- richtet Dr. Heinrich Wimmer als gewis- nen. Seine Stimme ist weich und doch senhafter Chronist im „OÖ. Kulturbe- im Forte von jugendlich-heldischer Leuchtkraft. Das Orchester hielt sich im zweiten Akte sehr gut, ein besonderes 47 Wimmer 1958, S. 79. 48 Lob verdient der Solocellist. Vielleicht Wimmer 1958, S. 82 f. 49 Biographisches zu Paul Günzel: geb. 1876 in konnte wegen der sehr kurzen Zeit mit Breslau, Konzertmeister und Kapellmeister bei Orchester und Chor nicht so intensiv deutschen Militär- und Polizei-Einheiten, in der probiert werden. Auch die chorische Lei- ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Linz als stung war – bis auf den ersten Chor hin- Chormeister und Dirigent, ab 1930 Musikrefe- rent bei der Tages-Post, gest. 1940 in Bad Ischl ter der Szene – befriedigend. Der Beifall (Quelle: eigene Nachforschungen). des Hauses steigerte sich von Akt zu 50 Hans Sittner, Kienzl – Rosegger, Wien 1953, Akt. Am Schluß rief das Publikum alle S. 270.

22 richt“ vom 6. Februar 1948: Mit einjähri- Kriterium richtete sich die bisher letzte ger Verspätung feierte das Landestheater Produktion (Premiere 8. Dezember den 90. Geburtstag Wilhelm Kienzls mit 1977), womit auch der Erinnerungshori- „Evangelimann“. Das Werk „fand, wenn zont vieler heimischer Theaterfreunde man von der etwas altmodischen Regie erreicht ist; sie brachte es immerhin auf absieht, durch das leistungsfähige Linzer 25 Vorstellungen. Dem „OÖ. Kulturbe- Opernensemble eine gute Wiedergabe, richt“ (1977, Folge 26) ist u. a. zu entneh- die durch außergewöhnlichen Beifall be- men: lohnt wurde“. „Der ,Evangelimann‘ wurde nicht als Saison 1956/57 eine typisch österreichische Volksoper mit betont lokalbezogenem Kolorit an- Direktion: Kurt Fischer-Colbrie gelegt, sondern als ein bühnenwirksa- Die zweite Nachkriegsproduktion mes, naturalistisches Schauspiel, bei (Premiere 15. Dezember 1956) passte dem die Musik eine wesentliche drama- zeitlich zum 100. Geburtstag des Kom- turgische Funktion zu erfüllen hat und ponisten und fand mit 30 (!) Vorstellun- das rein Menschliche der Handlung zu gen beim Publikum regen Zuspruch. Der ungeschmälerter, doch nicht ungestümer Bericht von Dr. Heinrich Wimmer im Wirkung kommt. Der Regisseur Alfred „OÖ. Kulturbericht“ (1957,Folge 2) lautet Schönolt hielt sein Konzept konsequent gekürzt: in der Führung der Solisten durch, beim „Die von Stefan Zadejan mit großem Chor jedoch nur zum Teil. Das Bühnen- regielichen Können (siehe Kegelszene!) bild von Heinz Köttl zielt auf das Allge- einstudierte Aufführung, für deren ein- meine und bringt nur das unbedingt wandfreie musikalische Leitung Michael Notwendige an Aufbauten auf die Hutterstrasser Lob verdient, ist als gute Bühne, meistens in dunklen erdenen Far- Durchschnittsleistung unseres Opern- ben. Der Dirigent Wolfgang Rot er- ensembles zu qualifizieren. Das Erfreu- brachte eine gute Leistung, sorgte für lichste und künstlerisch Vollendetste am größtmögliche Nuancierung in den Or- ganzen Theaterabend war die Magda- chester- und Vokalstimmen. Auch er ver- lena Gertrude Burgsthalers. Von den ori- mied es, in Sentimentalität abzugleiten. ginellen Bühnenbildern Wolfgang Voll- Aus den Leistungen der Solisten ist an hards stimmte das dritte am ehesten mit erster Stelle die ausdrucksstarke und in- den Vorstellungen überein, die man sich tensive sängerische wie darstellerische von den Schauplätzen dieser Volksoper Gestaltung der Rolle des Johannes (Lo- macht. Der Premiere wohnte Frau Henny renz Myers) zu nennen.“ Kienzl bei. Am 25. und 26. Dezember gastierte Linzer Aufführungsstatistik als Mathias Kammersänger Julius Patzak pro in mit großem Erfolg.“ Saison Summe 1896 (Kalenderjahr Saison 1977/78 der Erstaufführung) 17 17 Direktion: Alfred Stögmüller 25. Vorstellung Der „Evangelimann“ gilt als „eine am 30. November 1900 25 echte Volksoper aus der Zeit des Natura- 50. Vorstellung lismus“ (Kurt Pahlen), und nach diesem am 12. Dezember 1912 50

23 pro in die sterbende Mutter des Mädchens Saison Summe bis 1937 nicht mehr retten. Maja erkennt ihr Ver- (Wimmer-Statistik) 68 gehen, heiratet den ungeliebten Bruder Saison 1947/48, Heilmars. Nach der Hochzeitsfeier trifft Premiere 10. Jänner 1948 19 sie den Verzweifelten, beschließt für ihn bis 1956 (laut in den Tod zu gehen und stürzt sich in „OÖ. Kulturbericht“ 1957/2) 88 seine todbringenden Arme. Er ist erlöst, Saison 1956/57, hört Hilferufe von einem Schiff mit Pest- Premiere 15. Dezember 1956 30 kranken, besteigt es mit wiedererweckter bis 1958 Heilkraft und fährt mit ihnen der aufge- (Wimmer 1958, S. 57) 118 henden Sonne entgegen. – Nach dem Saison 1977/78, szenischen Entwurf schrieb Kienzls Vater Premiere 8. Dezember 1977 25 143 das Textbuch. Mit 143 Vorstellungen nimmt der Die Musik steht im Banne Wagners, „Evangelimann“, der bis in die Siebziger- und die leitmotivische Arbeit überwiegt jahre des 20. Jahrhunderts eines der po- weit den Erstling „Urvasi“. Die Urauffüh- pulärsten Stücke der Opernliteratur war, rung in München am Hof- und in Linz eine Spitzenposition ein. Die Nationaltheater unter der Leitung des Zahlen nach 1945 zeigen eine abneh- Komponisten am 8. März 1892 verlief mende Bühnenpräsenz auf. Maßgeblich ausgezeichnet, erlebte eine Reihe von sind u. a. geänderte Spielplangestaltung, Wiederholungen und brachte Kienzl die welche Neuproduktionen erst wieder Berufung als Dirigent an diese Bühne. nach längerem zeitlichen Abstand anbie- Die großen musikalischen Schwie- tet. Von der ersten bis zur zweiten Pro- rigkeiten, so die Doppelchörigkeit der duktion vergingen zehn Jahre, von der letzten Szene, waren der Verbreitung zweiten bis zur dritten 20 Jahre. hinderlich. Daher entschloss sich Kienzl 1902 zu einer Umarbeitung, die an der Königlichen Oper in Berlin, nun mit 3.4. Heilmar der Narr51 dem Titel „Heilmar“ versehen, am 28. Jänner 1902 herauskam. Die zweite Kienzl-Oper mit dem Ti- tel „Heilmar der Narr“ basiert auf einer Linzer Erstaufführung am 2. November vom Komponisten gänzlich frei erfunde- 1902 nen Handlung und erzählt von einem Direktion: Alfred Cavar berühmten Wunderarzt, der durch Ge- bet und Handauflegen Heilung bringt, Die Oper fand schnell – noch vor der 52 auch dem armen kranken Mädchen Grazer Premiere am 24. März 1903 – Maja. Und dabei erfasst beide Liebes- ihren Weg nach Linz, denn die Sparte glut. Er offenbart ihr das Geheimnis sei- Oper hatte hier um die Jahrhundert- ner Wunderheilkraft, die auf dem Ver- zicht auf Liebesglück basiert, und stößt 51 Berichte Kienzls über das Werk in „Lebenswan- das Mädchen von sich, das ihm das derung“, S. 285–290. Wort „Narr“ entgegenschleudert. Mit sei- 52 Laut freundlicher Mitteilung von Herrn Ernst nen nun fluchbeladenen Händen kann er Scherzer, Graz. Besten Dank hiefür.

24 wende eine Glanzzeit. Die Tages-Post fein säuberlich in Ordnung. Darum brachte mehrere Vorausberichte, der rechtfertigte sich schließlich das warme Komponist war bei den Proben anwe- Lob, das wir aus dem eigenen Munde send, und auf die Premiere folgte ein lan- des Tondichters schon während der Pro- ger ausführlicher Artikel von Aemilian bezeit vernahmen. Posch. Er lieferte eine detailreiche In- Einen Extraapplaus holte sich das haltsangabe, musikalische Erklärungen Tänzerkorps unter der Führung des Bal- und Anmerkungen über die Wiedergabe lettmeisters Herrn Schober, der zwei an- „in der Berliner Bearbeitung“. Der Be- muthige Tanzeinlagen für die Walzer, richt (Tages-Post, 6. November 1902, Ländler und Hochzeitsmusik geschaffen S. 1 f.) führt an: hat. Die Darsteller und der Kapellmei- „Mit Kienzls ,Heilmar‘ erlebten wir ster wurden vielemale gerufen. Den gro- einen genußfrohen Theaterabend, der ßen Erfolg der Oper und die reiche Eh- ausverkaufte Zuschauerraum voll mit- rung des anwesenden Dichter-Kompo- empfindender Menschen, auf der Bühne nisten Herrn Dr. Wilhelm Kienzl durch eine Reihe sorgfältig vorgebildeter Sän- Lorbeer und ungezählte Hervorrufe hat ger, das Ganze eine Vorstellung von er- schon die gestrige Vornotiz festgestellt.“ frischender Sicherheit und stets wech- selndem Reiz. Linzer Aufführungsstatistik Die musikalische Führung war Herrn (Wimmer-Statistik) Kapellmeister Arnold Winternitz über- Nur 1902 fünf Vorstellungen; vier geben, der das schwierige Werk mit der davon in rascher Folge bis 14. Novem- größten Gewissenhaftigkeit und Treue ber, die fünfte am 17. Dezember 1902. vorbereitet hatte. Man bedenke nur, wie sicher der gemischte Chor zusammen- stimmte und nicht minder gut sich auch 3.5. In Knecht Ruprechts Werkstatt53 bei den vielen belebten Stellen im Spiel erwies. Geraten war es, alle verfügbaren Dieses einaktige Weihnachtsmär- Sänger für das Ensemble zu verwenden chenspiel mit dem Text von Hildegard und den Rekrutenchor zu streichen. Das Voigt aus Stettin handelt von den Sor- verstärkte Orchester war ebenfalls, na- gen und Nöten des alten Knechts Ru- mentlich in einigen Streichsätzen, von precht, daher des Weihnachtsmannes, erfreulichem Wohllaut. Alles Lob ge- der über die an ihn gestellten Ansprüche bührt insbesondere der Bläsergruppe, der Kinder ärgerlich ist, bis ihn der die, obwohl zu ungewöhnlichen Höhen- Weihnachtsengel besänftigt, die ge- lagen gezwungen, sich dennoch befließ wohnte Gebefreudigkeit auch in diesem [sic!], den Sängern mit ihrem schweren Jahr wieder walten zu lassen. Die Über- Geschütz keine zu große Gewalt anzu- redung gelingt durch die Vorführung tun. Das alles war wohlerwogen und vieler heiterer bezaubernder Gestalten, trefflich durchgeführt. Herr Regisseur darunter jener aus deutschen Märchen. Richard Schmidtler hielt auf der Bühne Schließlich ist er dem Weihnachtsengel seine zahlreiche Sippe genau so, wie sie der Komponist in zahlreichen und aus- 53 Berichte Kienzls über das Werk in „Lebenswan- giebigen Proben festgestellt wünschte, derung“, S. 312–313.

25 Linzer Landestheater: Plakat zu „Heilmar“. Oö. Landesmuseum

26 in gewohnter Güte behilflich. Den gen. Drei Aufführungen begannen mit Schluss des Stücks bildet die Anbetung der lustigen Gesangsposse „Die schlim- der Krippe unter den Klängen des Weih- men Buben in der Schule“ von Johann nachtschorals. Dieses hübsche Stück Nestroy und dann folgte das Kienzl- enthält ein religiöses Orchestervorspiel, Werk. Dialoge, Melodramen, Chöre, Lieder 54 und Tänze. Die Partitur entstand 1907 Statistik (August bis November). Die Urauffüh- Fünf Vorstellungen vom 22. Dezem- rung erfolgte am 25. Dezember 1907 in ber 1908 bis 10. Jänner 1909, wobei die Graz. Es folgten Vorstellungen in Wien letzte ungeplant am Nachmittag als Kin- (Volksoper), an Bühnen in Deutschland, dervorstellung angeboten wurde. Seit- Österreich und Schweden. her war dieses Werk nicht mehr zu hö- ren. Linzer Erstaufführung am 22. Dezember 1908 3.6. Der Kuhreigen55 Direktion: Hans Claar Franz Gräflinger schreibt (Tages- Dieses musikalische Schauspiel war Post, 24. Dezember 1908, S. 7) ausführ- nach dem „Evangelimann“ für Kienzl der lich über die Handlung, die musikali- zweite herausragende Bühnenerfolg mit schen Belange und die Einstudierung: internationalem Echo. Die Handlung, Sie hat „bei einer guten Aufführung und sehr vereinfacht dargestellt, spielt zur einer sehr netten Ausstattung Gefallen Zeit der Französischen Revolution und gefunden und wird besonders bei der schöpft ihre Spannung aus dem Gegen- Kinderwelt den größten Anklang fin- satz in der Gestalt des Schweizer Solda- den“. An den Leistungen der Darsteller ten Primus Thaller und der adeligen gibt es nichts auszusetzen. „Der starken Blanchefleur. Als Witwe hat sie den Hei- Inanspruchnahme in den letzten Tagen ratsantrag des Schweizers und die Flucht dürfte es zuzuschreiben sein, daß das aus dem Kerker abgelehnt und ging Orchester die sonst gewohnte Frische stolz in den Tod. vermissen ließ. Es klang stellenweise Die Uraufführung an der Wiener manches so farblos grau. – Die Novität Volksoper – die Staatsoper (damals Hof- fand reichen Beifall. Den musikalischen oper) hatte abgelehnt – am 23. Novem- Teil leitete Herr Materna, die Inszenie- ber 1911 unter dem Dirigenten Robert rung besorgte Herr Schmidt-Renner.“ Heger und mit als Blan- Um das Theater halbwegs zu füllen, chefleur wurde auch in der Linzer Tages- wurden bei der Premiere dem Weih- Post von Max Auer ausführlich bespro- nachtsstück zwei publikumswirksame chen (28. November 1911, S. 1 f.). Er Werke vorangestellt: die Operette sparte für den „durchschlagenden Er- „Hochzeit bei Laternenschein“ von Jac- folg“ nicht mit lobenden Worten, denn ques Offenbach – hier seit 1899 nicht mehr gespielt – und das neue Lustspiel 54 Nicht bei Wimmer 1958, S. 125, verzeichnet. „Blau“ von Max Bernstein; diese Titel- 55 Berichte Kienzls über das Werk in „Lebenswan- kombination gab es bei zwei Vorstellun- derung“, S. 313–318.

27 Linzer Landestheater: Plakat zu „Der Kuhreigen“. Oö. Landesmuseum

28 es gelang „ein Treffer wie der ,Evangeli- eingriff, wurde mit lautem Jubel ausge- mann‘“. Kienzl und die Darsteller muss- zeichnet und im Verlaufe des Abends an ten nicht weniger als 40 (!) Mal auf der fünfundzwanzigmal gerufen. Mit ihm Bühne erscheinen. Auers kurze Charak- durfte Herr Kapellmeister Auderieth er- terisierung der Musik enthält auch einen scheinen, ein Dirigierkünstler, der das sanften Seitenhieb auf die damalige, Werk im Sinne und Geiste des Kompo- aber anders tönende Moderne: „Das nisten leitete, den Solisten stilistisch und Werk, welches von echter reiner Musik dynamisch richtige Pfade wies, die Auf- strotzt, ist in der Zeit der Sensations- ruhrchöre bei aller gebotenen Erregtheit werke a` la Richard Strauss eine wahre fest im Zaume hielt und dem Orchester Erquickung, ein reiner Quell.“ die schönsten Wirkungen abzugewin- nen vermochte. Herr Direktor Claar Linzer Erstaufführung am 2. März 1912 hatte die Regie übernommen. Seine un- Direktion: Hans Claar endliche Bemühung wurde mit einer Rasch folgten weitere Inszenierun- vortrefflichen Aufführung belohnt, zu gen, im nächsten Jahr war die Oper auch der er auch seine ersten weiblichen und schon in Linz zu sehen, denn Kienzl war männlichen Schauspielkräfte als Mitwir- hier schon gut bekannt. Mehrere Vorbe- kende heranzog. richte setzten die Premiere ins rechte Mehrere Szenenbilder waren vom Licht mit griffigen Informationen: „die Herrn Theatermaler Hadrigan ganz musikalische Sensation dieser Saison“, neu geschaffen. Von den Solisten des „eine selten schöne, ergreifende und me- Stückes ist die Mehrzahl ohne nament- lodienreiche Tonschöpfung“.56 Linzer liche Anführung lobend zu erwähnen. Verhältnisse sprechen aus folgenden Zei- Einigen war freilich versagt, zum Kern len: „In kleineren Partien und zur Chor- ihrer Aufgabe vorzudringen. Fräulein verstärkung hinter der Szene ist das ge- Wolden, die Marquise Blanchefleur, samte Solopersonal der Oper und Ope- sang musterhaft, mit erlesenem Ge- rette beschäftigt. Zur Komparserie ha- schmack und Stilgefühl. Sie empfing ben sich sämtliche Damen und Herren vom Komponisten auf offener Bühne des Schauspiels in liebenswürdiger einen dankend ehrenden Handkuß. Die Weise zur Verfügung gestellt, so daß das Premiere war eine Ehrentat unserer Lan- ganze Personal beschäftigt erscheint.“57 desbühne und ihrer Direktion.“ Kienzl war einige Tage vor der Premiere In der Rückschau wurde diese Linzer schon in Linz, um bei den letzten Proben Erstaufführung als „sensationell“ be- für die Berücksichtigung seiner Absich- zeichnet und erreichte innerhalb von ten zu sorgen. etwa vier Wochen zehn Vorstellungen. Über die Premiere schreibt Aemilian Saison 1912/13 Posch (Tages-Post, 5. März 1912, S. 11 f.) stark gekürzt wiedergegeben: Es ist verständlich, dass auch die „Das neueste Bühnenwerk Kienzls ist nächste Saison 1912/13 diesen Erfolg mit großem, bis zur Sensation gesteiger- ausnützte und mit der Wiederaufnahme tem Erfolge in Szene gegangen. Dr. Kienzl, der auch in den letzten zwei Pro- 56 Tages-Post, 25. Februar 1912, S. 11. ben zum ,Kuhreigen‘ mit Rat und Tat 57 Tages-Post, 28. Februar 1912, S. 10.

29 am 5. Dezember 1912 den Spielplan be- prächtiges Bild. Das Haus war in allen reicherte.58 Darüber konnte Aemilian seinen Räumen ausverkauft.“ Posch (Tages-Post, 8. Dezember 1912, Saison 1924/25 S. 11) wieder Gutes berichten, von dem einige Passagen hier herausgegriffen In der Zwischenkriegszeit hatte die wurden: Oper in Linz, wie bereits früher erwähnt, einen schweren Stand. Zeitweise war sie „Trotz wichtiger und einschneiden- eingestellt, ab Herbst 1924 war sie wie- der Umbesetzungen war auch der dies- der präsent, doch es dauerte sehr lange, maligen Aufführung des ,Kuhreigens‘ bis sie wieder in Schwung kam. In dieser ein großer Erfolg beschieden, denn der Saison 1924/25, die hauptsächlich ältere Beifall, den die Hauptakteure für ihre ge- Werke brachte,59 kam es zu einer Neu- diegenen Leistungen fanden, stand dem inszenierung des „Kuhreigens“, der bis Enthusiasmus von früher nicht nach. Die Anfang Mai gespielt wurde. Dieser Zeit- Herren Walluch als Regisseur und Ka- punkt bedeutete für Direktor Heinrich pellmeister Wolf haben sich ein großes Hagin wegen Krankheit auch das Ende Verdienst erworben. So gewannen wir seiner Ära. Unter seinem Nachfolger Al- über die Gesamtführung der genannten bert Hugelmann gab es nur noch Gast- Herren, dann über die Haltung der Soli- vorstellungen. sten, des Chores, des trefflich funktionie- renden Orchesters, der Tänzer und Büh- Über die Premiere am 4. April 1925 nenmusiker eine bedingungslos zustim- schrieb Franz Gräflinger u. a. (Tages- mende Meinung.“ Post, 7. April 1925, S. 7): „Das Werk bietet dem erfahrenen Eine Aufführung aus dieser Wieder- Bühnenfachmann mannigfache Gele- aufnahme bildete für das Linzer Theater genheit zur Entfaltung stimmungsvoller am 14. Dezember 1912 den dritten und Szenenbilder. Das hat Direktor Hagin letzten Abend des Wilhelm-Kienzl- mit Glück und Geschick auch genützt. Zyklus. Der Komponist weilte aus die- Es wurde auch auf die solistische, chori- sem Anlass wieder einmal einige Tage in sche und orchestrale Vorbereitung au- Linz und wurde auch mit einem Sym- ßergewöhnliche Sorgfalt verwendet. So phoniekonzert des „Linzer Musikver- kam eine Aufführung zuwege, welche eins“ geehrt. Über die „Kuhreigen“-Auf- als die beste in der bisherigen Saison be- führung war (Tages-Post, 17. Dezember zeichnet werden kann. Kapellmeister Zil- 1912, S. 10 f.) – gekürzt wiedergegeben – zer gebührt das Hauptverdienst an der zu lesen: gerundeten Wiedergabe. Er dirigierte „Sie gestaltete sich für unser Theater mit verläßlicher Einsatzgebung, nur zu einer ehrenvollen Unternehmung manchmal etwas nervös breitgestig. Eine und kann zu den besten Opernvorstel- erstaunliche Kraftleistung hatte das Or- lungen unserer Bühne gerechnet wer- chester zu bewältigen: Vormittags drei den. Die Solisten, die Chöre, Kapellmei- Stunden Generalprobe für die Oper, ster Wolf und Regisseur Walluch taten alle ihr Bestes. Der zweite Akt bot in- folge Mitwirkung fast des ganzen 58 Tages-Post, 8. Dezember 1912, S. 11. Schauspielpersonals ein buntes und 59 Wimmer 1958, S. 78.

30 nachmittags drei Stunden Generalprobe gezogen. Lobenswert war auch die musi- für ,Fausts Verdammung‘ und abends kalische Gesamtleistung. Man spürte, die Oper. Das ausverkaufte Haus zeigte daß auf der Bühne und im Orchester gehobene Beifallsstimmung.“ eine tat- und willensfreudige Stimmung herrschte. Kapellmeister Peyrl ist seinem Saison 1926/27 Vorsatz, nur Operetten zu dirigieren, un- Trotz der allgegenwärtigen schwieri- treu geworden. Von seiner langjährigen gen Umstände ließ sich Direktor Hugel- Berufstätigkeit brachte er Routine, Ruhe mann den 70. Geburtstag Kienzls und und Sicherheit mit. Er hat gesunden Mu- damit einen entsprechenden Publikums- siksinn, eine feste Hand für ein Opern- zuspruch für eine Festvorstellung von ensemble gezeigt. „Kuhreigen“ am 17. Jänner 1927 nicht Für die gesanglichen Leistungen entgehen. Bei ihrer Beurteilung gilt es zu bangte ich, denn nur zwei Gäste waren bedenken: Linz verfügte damals nur zur Mitwirkung herangezogen. Wurde über ein Ensemble für Operette und von den einheimischen Kräften auch Schauspiel – darunter Kräfte mit einer nichts Außergewöhnliches geboten, so nachfolgenden schönen Karriere. Zug- fügten sich doch alle mit Geschick in kräftige Titel erreichten eine größere An- ihre Partien. J. Groß stellte sich als ge- zahl an Vorstellungen. Theodor Peyrl wiegter Sänger vor, so recht zu erwär- wirkte sehr verdienstvoll als Operetten- men vermochte sein Favart aber nicht. kapellmeister.60 Der „Kuhreigen“ ist, wie Das stärkste Interesse erweckte der Te- schon bei Aufführungen in der Vergan- nor Igo Guttmann. genheit erwähnt, ein personenreiches Stück mit starker Dramatik und großen Lob verdient noch die zumeist deli- musikalischen Ansprüchen. Wichtige kate (besonders in den Streichern) Spiel- Rollen wurden daher mit Gästen besetzt. weise des instrumental vollbesetzten Or- Heldentenor Igo Guttmann (früher Gra- chesters und die Wiedergabe der Chöre zer Oper) verkörperte den Schweizer (angenehm machte sich die Verstärkung Primus Thaller, der Bariton Josef Groß durch Herren des christlich-deutschen (Stadttheater Aussig) den Unteroffizier Gesangvereines bemerkbar). Zusam- Favart. Alle übrigen Partien waren mit menfassend kann festgestellt werden, heimischen Künstlern besetzt. Das Or- daß redlicher Eifer alle Mitwirkenden chester wurde verstärkt. Franz Gräflinger beseelte.“ schrieb u. a. (Tages-Post, 20. Jänner 1927, NS-Zeit (1938–1945) S. 16) über die Premiere: Bei der Wiedereinführung der stän- „In stilvoller, vorgeprobter Aufma- digen Oper am Linzer Theater im Jahr chung stand die jetzige Aufführung. Di- 1937 bildete, wie schon erwähnt, der rektor Hugelmann hat auf die Inszenie- „Evangelimann“ die erste Premiere. Die rung ungemein viel Sorgfalt und Ge- logische Konsequenz wäre gewesen, schmack verwendet. Die Bilder waren dass darauf in Kürze der „Kuhreigen“ farbenprächtig, in der Gruppierung und folgen würde. Dem war aber nicht so. Haltung lag Stimmung. Zur Mitwirkung wurde das Operettenpersonal und sogar ein Teil des Schauspielensembles heran- 60 Wimmer 1958, S. 78 f.

31 Die Programmvorschau (Werbeheft) für plangestaltung widmen“62 und brachte die Spielzeiten 1939/40 und 1940/41 neben großen Titeln auch eine repräsen- nennt unter den geplanten Titeln zwar tative Neueinstudierung des „Kuhrei- jeweils die Oper „Der Kuhreigen“, im gens“ (Premiere 18. November 1950) im statistischen Rückblick am Ende der je- Rahmen der „Österreichischen Kultur- weiligen Spielzeit fehlt aber der Hinweis woche“ heraus. Damit gelang dem Thea- auf solche Aufführungen. Diese Ver- ter „ein glänzender und unbestreitbarer nachlässigung, aus welchen Gründen Beweis seiner künstlerischen Leistungs- auch immer, ist schwer verständlich, fähigkeit“. denn z. B. 1940/41 wurden „Rosenkava- Über die Aufführung schrieb lier“ zehnmal und „Meistersinger“ vier- Dr. Heinrich Wimmer im „OÖ. Kultur- zehnmal (beides aufwändige Partituren) bericht“ 1950, Folge 48, auszugsweise aufgeführt. wiedergegeben: Über die wahren Gründe für diese „Die Wiederaufführung, die vor ei- Vorgangsweise kann man nur spekulie- nem vollbesetzten, festlich gestimmten ren: Die Spielplanerstellung kann ohne Haus vor sich ging, war einer der großen Vorwissen der NS-Landesbehörden Abende der Linzer Oper. Die zwei wich- nicht erfolgt sein und war von dieser tigsten Vorbedingungen für den Erfolg Seite akzeptiert. Die Aufführung ist eben waren in geradezu idealer Weise gege- aus theaterinternen Gründen gescheitert ben: eine über jedes Lob erhabene, pak- – wegen Personalmangel als Folge von kendste Wirkung der Massenszenen Einberufungen und wegen Besetzungs- herausarbeitende Regie (Oskar Walleck) schwierigkeiten bei Gästen; wegen Geld- und eine in jeder Beziehung vorbildliche mangels, da große Produktionen bedeu- Stabführung (Ludwig Leschetitzky), die tendere Mittel beansprucht haben; we- aus dem Orchester und aus den Sängern gen fehlender Zeit, da zugkräftige Höchstleistungen herausholte. Man Stücke infolge reger Nachfrage öfters als kann sich auch kaum eine passendere geplant auf dem Spielplan standen. Un- Besetzung für die beiden Hauptrollen ter undenkbar ist einzustufen, dass Di- denken als die liebreizend-gefühlvolle rektor Brantner, ein hervorragender und zugleich geistvoll-überlegene Elisa- Fachmann, die hiefür notwendigen Ar- beth Ranic (Blanchefleur) und den treu- beiten, den finanziellen, materiellen und herzigen Naturburschen Willi Schmidt personellen Aufwand nicht richtig einge- (Primus Thaller), dessen gesangliches schätzt hätte. – Wie auch immer. Dieses Können sich wieder einmal hervorra- Problem passt zu der resignierenden gend erwies.“ Einstellung von Wilhelm Kienzl, der eine „auffallende Vernachlässigung seiner Linzer Aufführungsstatistik Opern in der (dem einstigen (Wimmer-Statistik) lieben Österreich)“ feststellte.61 1912–1927: 28 Vorstellungen Saison 1950/51 (Premiere: 18. 11. 1950): Saison 1950/51 9 Vorstellungen

Direktor Brantner konnte sich in sei- 61 Hans Sittner, Kienzl – Rosegger, Wien 1953, ner Nachkriegsära (1948–1953) bald „ei- S. 270. ner planvollen und interessanten Spiel- 62 Wimmer 1958, S. 90.

32 Seit über fünfzig Jahren ist dieser er- aus Fopphausen, dem zwei Schlaumeier folgreiche Titel dem Linzer Repertoire im an den Faschingdienstags- entschwunden und nimmt deutlich ab- rummel drastisch vor Augen führen, gesetzt unter den Kienzl-Opern den dass die ihm von seinen vielen Freunden Rang zwei ein. entgegengebrachte Anhänglichkeit nur seinem im Testament versprochenen Geld gilt. Schließlich siegt nach theater- 3.7. Das Testament63 wirksamen Szenen das „Gute“: Sein Mündel Vroni bekommt ihren Müllers- Unbestrittenes Verdienst des Linzer burschen Florian und dazu Haus und Theaterdirektors ist es, dass dieser über Hof. Jahrzehnte vergessene Titel wieder ein- Zu dieser Handlung gehören mal zum Leben erweckt wurde. Wie Gstanzlsingen, gewaltige Chorszenen, recht hatte Kienzl in seinem Rückblick: ein Terzett, ein herrliches Quintett, dank- „Hoffentlich wird es nicht erst – wie üb- bare Aufgaben für die Solisten usw. und lich – nach meinem Tode eröffnet.“ Diese für das Orchester allein wirkungsvolle musikalische Komödie, besser mit dem symphonische Aufgaben (zwei Vor- und Zusatz tragikomisch versehen, enthält ein Zwischenspiel). Die qualitativ hoch- eine gut erfundene Geschichte nach Mo- wertige Musik stützt und begleitet die tiven von Peter Rosegger in einem volks- Szenen recht eigenständig im volkstüm- tümlichen und heimatverbundenen Rah- lichen Tonfall, aber mit Wagnerischer men. Kompositionstechnik im Hintergrund. Die Partitur entstand in Bad Aussee Sie schmeichelt den Ohren und wirkt so und Graz ab Oktober 1914 und war am wie ein Gruß aus der Vergangenheit. Sie 1. September 1916 vollendet. Die Urauf- charakterisiert Situationen, Personen, führung am 6. Dezember 1916 an der verdeutlicht dramaturgische Zusam- Wiener Volksoper, also mitten im Ersten menhänge und überrascht durch viele Weltkrieg, wurde von der Presse sehr Melodien und deren Abwandlungen; wohlwollend aufgenommen, doch blieb was man aus einem Walzer alles machen es dem Komponisten nicht verborgen, kann! „daß ein völliges Mitgehen des großen Publikums nicht in allen Teilen des Wer- Linzer Erstaufführung am 3. Dezember kes zu beobachten war“.64 2006 Nach einer Reihe von Aufführungen Direktion: Rainer Mennicken. in Wien folgten Berlin mit einem unge- Produktionsteam: wöhnlich starken Publikumserfolg, dann Musikalische Leitung: Ingo Ingensand noch Graz (27. Jänner 1917), Nürnberg Inszenierung: Andreas Baesler und noch eine Stadt in Deutschland aus Bühne: Harald B. Thor Anlass des 70. Geburtstages Kienzls Kostüme: Caroline Dohmen (1927). – Das war alles.

Bei der Handlung geht es um die 63 Berichte Kienzls über das Werk in „Lebenswan- Läuterung des reichen und egoistischen derung“, S. 318–323. Gastwirtes und Bürgermeisters Holzer 64 Lebenswanderung, S. 322 f.

33 Die Aufführung steht im Zeichen Am Geburtstag selbst, dem 17. Jän- des 150. Geburtstages Kienzls und fügte ner 2007, folgte eine Festaufführung der alle dramaturgischen Elemente zu einem Oper, begleitet von einem umfangrei- sinn- und werkgerechten Ganzen, bei chen Rahmenprogramm. Vor der Vor- dem das Produktionsteam und das stellung brachten der „Kienzl-Chor Wai- hauseigene Ensemble langanhaltenden zenkirchen“ und Ensemble-Mitglieder Beifall ernteten. des Theaters in einer Soire´e einige Lieder und Chöre des Meisters. Anschließend Die Inszenierung geriet ganz zum spielte die Kapelle des Musikvereins Nutzen des Werkes, so dass sich die Waizenkirchen vor dem Theatereingang. Handlung wie von selbst weitertreibt In der Pause der Vorstellung sorgte die durch lebensechte Personenführung mit „Tanzl-Musi“ aus Waizenkirchen für unaufdringlicher Detailfreude und ge- Stimmung. Nach der Oper folgten lungenen Massenszenen. Bühnenbild Grußworte von Intendant Rainer Men- und Kostüme entsprechen der nicken, Bürgermeister Ing. Josef Dopler Erinnerung an ein Landwirtshaus und und Landeshauptmann Dr. Josef Pührin- dessen Gäste. Dank sorgfältiger Einstu- ger, und dann hatte Frau Friederike dierung und umsichtiger Leitung durch Mayrhuber, Firmpatenkind Kienzls, ih- den Dirigenten bleibt kein musikalischer ren Auftritt: Sie trug das Gedicht vor, Wunsch im Gleichklang von Bühne, Or- welches sie schon vor 80 Jahren zum 70. chester und Stück offen. Das Bruckner- Geburtstag des Meisters (1927) aufge- Orchester hat die eigentümliche Ton- sagt hatte, und hob mit dem Kienzl-Tört- sprache einer theatralisch und sympho- chen eine süße Neukreation aus der nisch überhöhten Folklore sauber ver- Taufe. – In heiterer Ausgelassenheit en- mittelt, die Bühnenmusik stellte gekonnt dete das Fest. der Musikverein Waizenkirchen. Die vielen Gesangssolisten über- ragte Klaus-Dieter Lerche (Holzer) durch Anmerkung überzeugende Lebensechtheit und Der zweite Teil dieses Beitrages erscheint im Heft 3/4-2007 und enthält Ausführungen über Kienzls Wandlungsfähigkeit. Zu lebendigem, Beziehungen zu Linz und Oberösterreich, und packendem und auch dramatischem zwar persönliche und künstlerische Kontakte zu Bühnenleben haben deutlich gezeichnete Linz außerhalb des Theaters, persönliche Verbin- Charakterpartien beigetragen. Die Chor- dungen mit Waizenkirchen und Vöcklabruck, wei- ters Erwähnungen von Losenstein und Michel- mitglieder (Einstudierung Georg Leo- dorf. Soweit wie möglich werden bei den einzel- pold) waren als hochwertiges Ensemble nen Stationen auch Ereignisse nach dem Tod des und in vielen Einzelfiguren präsent. Komponisten erwähnt.

34 Herbert Ploberger (1902–1977) Eine Spurensuche an Österreichs Bühnen

Von Ingrid Radauer-Helm

Herbert Ploberger, 1902 in Wels geboren, hat ein Œuvre hinterlassen, das ihn als den bedeutendsten österreichischen Maler und Grafiker der Neuen Sachlichkeit auszeichnet. Diese Bilder entstanden innerhalb einer Zeitspanne von etwa fünf Jahren, zwischen 1925 und 1929. Soweit der Krieg sie nicht zerstört hat, sind sie teils in Privatbesitz, teils in Museen und Galerien in Wien, Linz, München oder Berlin aufbewahrt. Ploberger verbrachte den Großteil seines Lebens jedoch nicht als bildender, sondern als angewandter Künstler. (Abb. 01) 1927 übersiedelte er nach Berlin, wo er

Abb. 01: Herbert Ploberger bei der Arbeit an Kostümstudien 1940

35 sich auch für das darstellende Metier interessierte; nach anfänglicher Assistenzzeit arbeitete er bald freiberuflich als Kostüm- und Bühnenbildner für Theater und Film. Seine Kostüme für Max Reinhardts Faust bei den Salzburger Festspielen 1933 sicher- ten ihm einen Platz in der Theatergeschichte, Filme der dreißiger Jahre wie etwa Der verlorene Sohn mit Luis Trenker, Königswalzer mit Willi Forst und Paul Hörbiger, Savoy Hotel 217 mit Hans Albers, Frühlingsluft mit Magda Schneider und Wolf Albach- Retty, Opernball mit Paul Hörbiger und Hans Moser oder Es war eine rauschende Ball- nacht mit Zarah Leander sind Teil der Filmgeschichte geworden. Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg war Ploberger am Landestheater in Linz und anschließend am Theater in der Josefstadt in Wien tätig, bevor er nach Hamburg ging und 1950 seinen ständigen Wohnsitz in München nahm. In den fünfziger Jahren lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit wieder beim deutschen Kinofilm, er entwarf u. a. Kostüme für Will Quadflieg, Curd Jürgens, O. W. Fischer, Karlheinz Böhm, Alma Seidler, Hildegard Knef, Lilli Palmer oder Liselotte Pulver. Anfang der sechziger Jahre schuf er sich bei dem damals neuen Medium Fernsehen ein drittes berufliches Standbein. Im Lauf der Zeit wurde es langsam stiller um ihn, und die späte Anerken- nung, die ihm zu seinem 75. Geburtstag durch eine umfassende Ausstellung in Linz zuteil werden sollte, erlebte Ploberger nicht mehr. Im Jänner 1977 erlag er in Mün- chen einem Krebsleiden, das er mit großer Würde ertragen hatte. Nur wenige Jahre später begann eine Phase, in der die Kunst der Zwischenkriegszeit neu bewertet wurde, und seither nimmt Ploberger im internationalen Kontext einen unanfechtba- ren Platz in der Kunstgeschichte ein.

Im Gegensatz zu der Beachtung, die seine Ölbilder und Grafiken im Stil der Neuen Sachlichkeit finden, ist über Plobergers Theater-, Film- und Fernseharbeit nur wenig bekannt. Dieses Defizit auszugleichen, war das Ziel einer theaterwissenschaftlichen Forschungsarbeit der Verfasserin. Die Materialfülle, die sich bei den Recherchen ergab, machte eine thematische Einschränkung erforderlich, weshalb sich die Unter- suchung neben der Ergänzung biografischer Fakten auf die Erfassung und Doku- mentation seiner Tätigkeit für österreichische Bühnen konzentrierte. Durch das Aus- werten verschiedener Quellen wie Archiv- und Nachlaßmaterialien, Zeitungskriti- ken, Aufführungsfotos und Originalentwürfen auf Papier konnten neununddreißig Inszenierungen in Österreich dokumentiert werden, an denen Ploberger gestaltend mitgewirkt hat. Diese Aufträge waren über einen Zeitraum von knapp dreißig Jah- ren verteilt und konzentrierten sich auf Wien, Linz und Salzburg.1 Davon betrafen vierundzwanzig das Bühnenbild, neun die Kostüme und in sechs Fällen war er für die Gesamtausstattung verantwortlich. Der Bogen der Regisseure, mit denen er dabei zusammenarbeitete, spannte sich von bis zu Leopold Lindt- berg, jener der Bühnenbildner von Clemens Holzmeister bis zu Teo Otto. Unter den Schauspielern und Schauspielerinnen, für die er Kostüme entwarf, sind u. a. Ewald Balser, Achim Benning, Annemarie Düringer, Adrienne Gessner, Boy Gobert, Judith

1 1933/1934: Wien und Salzburg; 1945/1946: Linz; 1946–1949: Wien; 1954–1962: Wien und Salzburg.

36 Holzmeister, Fred Liewehr, Helmuth Lohner, Peter Lorre, Erna Mangold, Josef Mein- rad, Erika Pluhar, Veit Relin, Maximilian Schell, Albin Skoda, Sonja Sutter, Her- mann Thimig, Oskar Werner oder zu nennen. Die österreichischen Theaterkritiker äußerten sich während jener dreißig Jahre fast ausschließlich positiv über seine Arbeit; unter den Rezensenten, die mit differenzierterem Sachverständnis schrieben, hatte er einige große Bewunderer, wie z. B. die beiden weltanschaulich so gegensätzlichen Literaten Hugo Huppert und Hans Weigel.

Im folgenden Beitrag fließen diese neununddreißig Inszenierungen in den zeitlichen Kontext von Plobergers Biografie ein. Die genaueren Angaben zu den Aufführun- gen befinden sich in chronologischer Reihenfolge im Anhang.

1902–1932

Herbert Wilhelm Otto Ploberger kommt aus einer alten Welser Familie, die sich angeblich auf Christoph Zeller, den Schwager des Bauernführers Stefan Fadinger, zurückleitet.2 Er wurde am 6. April 1902 als erstes von vier Kindern des Lederindu- striellen Wilhelm Anton Ploberger und seiner Frau Marie Adler, die ebenfalls von Lederfabrikanten abstammte, in Wels geboren. Herbert besuchte ab 1912 das Staats- gymnasium in Wels, die Oberstufe absolvierte er ab 1916 in Linz. Im selben Jahr begann der Neubau der elterlichen Villa in der Welser Vorstadt, die der Berliner Architekt und Mitbegründer des Deutschen Werkbundes Hermann Muthesius ent- worfen hatte. (Das Haus gilt heute als das einzige authentische Vermächtnis des Architekten in Österreich; seit dem Jahr 2000 ist dort das private Lebensspuren- Museum der Siegel und Stempel untergebracht, in dem 2002 auch eine Ausstellung zu Plobergers hundertstem Geburtstag gezeigt wurde.) Muthesius hatte bei seiner Planung im ersten Stock des Hauses zwei südseitige Kinderzimmer vorgesehen, aber Herbert, der wegen einer Augenerkrankung das Sonnenlicht meiden mußte, zog anscheinend eine Dachkammer vor oder benützte diese als Atelier, wie einer Postkarte zu entnehmen ist, die er als siebzehnjähriger Gymnasiast aus Linz an seine kleine Schwester nach Hause schrieb und deren Text auf das luxuriöse Milieu hin- weist, in dem die Kinder aufwuchsen.3 Nachdem Ploberger im Juli 1920 am Linzer Staatsgymnasium maturiert hatte, ging er zum Studium nach Wien. Vier Semester lang hörte er Vorlesungen in Philosophie, Geschichte und Kunstgeschichte und besuchte neben einem vollen

2 Justus Schmidt, Herbert Ploberger, in: Kunstjahrbuch der Stadt Linz 1962 (Schroll: Wien – München 1962), S. 118. 3 „Liebes Hedlein! Bitte sei so gut und sage dem Kutscher Josef, er möge mir um 4 Uhr beim Zug war- ten. Anna laß ich bitten meinen schwarzen Anzug auszubügeln und Rosa möchte in meiner Dach- kammer am Boden auskehren und alles was am Boden liegt wegwerfen.“ (10. 01. oder 10. 04. 1919, Nachlaß H. Ploberger.)

37 Stundenplan an der Universität auch die renommierte Kunstgewerbeschule, die er nach vier Jahren abschloß. Dort war er im ersten Jahr als Hospitant bei Viktor Schu- finsky eingeschrieben; im zweiten wechselte er zu Adolf Böhm, trat aber im Februar 1922 aus der Klasse aus. Ab dem dritten Jahr wurde er als ordentlicher Schüler geführt und war auch in Franz Cizˇeks Ornament-Kurs eingetragen. In seinem Abschlußjahr 1923/24 besuchte er insgesamt vier Kurse, drei davon in wechselnder Folge. Ein paar Monate saß er dadurch zusammen mit Erika Giovanna Klien, die heute als Hauptvertreterin des Wiener Kinetismus gilt, in Cizˇeks Klasse. In diesem Jahr schuf Ploberger eine konstruktivistische Raumplastik, deren Nachbildung im Jahr 2006 im Rahmen der Ausstellung Kinetismus im Wien-Museum zu sehen war. Auf den Stammblättern, die von den Studenten der Kunstgewerbeschule all- jährlich ausgefüllt wurden, gab er in den ersten drei Jahren jedesmal einen anderen Berufwunsch an, nämlich „Graphiker“, „Plakatzeichner, Illustrator“ bzw. „Ausübung d. dekor. Malerei“, ganz im Gegensatz zu Klien, die durchgehend „Malerin“ werden wollte.4 Alle diese Wünsche erfüllte er sich später; aber auch das Doppelstudium und die häufigen Klassenwechsel verraten seine vielseitigen Interessen und Bega- bungen und weisen auf die Flexibilität und Offenheit hin, die seine gesamte berufli- che Lebensgestaltung prägen sollten. Seinen eigenen Worten zufolge hatte die Kunstgewerbeschule keinen besonderen Einfluß auf seinen neusachlichen Stil, „son- dern war mehr eine rein akademische Ausbildung.“5 Während Ploberger in Wien studierte, wurde die Ehe seiner Eltern in Wels geschieden. Sein Vater heiratete daraufhin im Juni 1923 die Witwe Karoline Röthel, deren Tochter Margarethe mit Isabella Hartl, die später Plobergers Frau werden sollte, befreundet war. In den folgenden Jahren verlor der Vater die Fabrik, wofür die Ursachen möglicherweise nicht nur im friedensbedingten Verlust militärischer Großaufträge, sondern auch in hohen Mitgiftrückzahlungen zu suchen sind. Im Frühjahr 1925 ging Ploberger für vier Monate nach Paris, wo er „Bilder malt[e], und um sich das Leben zu finanzieren Pavillons für die damalige Weltaus- stellung ausmalt[e].“6 Für diese Exposition Internationale des Arts De´coratifs et Industriels modernes, nach welcher später der Art De´co-Stil benannt wurde, hatten Josef Hoff- mann, Peter Behrens, Josef Frank und Oskar Strnad den österreichischen Pavillon entworfen. Über die Eindrücke und Anregungen, die der knapp Dreiundzwanzig- jährige in der Weltstadt Paris aufnahm, wissen wir leider nichts, außer daß er „dem Kreis von Pasquin“ angehörte.7 In diesem ereignisreichen Jahr, in dem sein Stilleben Auf dem Tisch, unter dem Tisch und das Selbstporträt als Clown Scherben bringen Glück

4 Die Angaben stammen aus den Klassenkatalogen und Nationalen der Kunstgewerbeschule. 5 Lebenslauf Herbert Ploberger (Typoskript), von ihm selbst kurz vor seinem Tod in der dritten Person verfaßt (Nordico-Museum der Stadt Linz). 6 Ebd. 7 Neue Zeit, 15. Jänner 1946. Vermutlich ist der in Bulgarien geborene Maler und Grafiker Jules Pascin (1885-1930) gemeint, der (nach einem längeren Aufenthalt in den U. S. A.) in den zwanziger Jahren wieder in Paris lebte; er hatte in seiner Jugend in Wien und München studiert und u. a. für den Sim- plicissimus gearbeitet.

38 entstanden, hatte er in der Wiener Galerie Würthle auch seine erste Ausstellung.8 Im November kam sein Halbbruder Ulrich zur Welt, mit dem er sich trotz des erhebli- chen Altersunterschiedes später sehr gut verstehen sollte. 1926 bezog er sein erstes Atelier in Wien; in diesem Jahr entstanden seine berühmten Ölbilder Der Toilettentisch und Stilleben mit Ananas. Ein undatierter Zei- tungsausschnitt läßt darauf schließen, daß einige seiner Bilder in Max Oppenhei- mers Atelier nahe dem Schwarzenbergpark ausgestellt waren. Eigenen Angaben zufolge war er „während seiner Entwicklungsjahre als Maler und Kostümbildner“ auch mit Alfred Kubin und Carl Anton Reichel, „bei denen er häufig zu Gast war“, bekannt.9 1927 übersiedelte Ploberger nach Berlin; er assistierte Ernst Stern bei Film- bauten und beteiligte sich an der Ausstellung Die neue Sachlichkeit in der Galerie Neumann-Nierendorf und an der Herbstausstellung der Akademie der Künste.10 Für den Kritiker Stephan Poglayen-Neuwall war er „der einzige in diesem gemütlich- keitsduseligen Land, der sich mit Leib und Seele der Neuen Sachlichkeit verschrie- ben hat.“11 In der Zeitschrift Der Kunstwart vom März 1928 war neben Bildern von Dix, Grosz, Kanoldt, Grossberg, Scholz und Schrimpf auch Plobergers Toilettentisch abgedruckt, über den Alexander Berrsche schrieb: „Das Stilleben von Ploberger übt einen seltsamen Bann aus. Man denke sich diese Gegenstände photographiert und wird sofort den Unterschied empfinden: die stärkere Präzision und Klarheit der For- men gibt ihnen [...] eine eigentümliche Spannung.“12 In der Darstellung metallischer Oberflächen ist das Bild stilistisch mit Christian Schads Operation vergleichbar, das dieser allerdings erst im Jahr 1929 malte. Der Kritiker Justus Bier schrieb in seinen Betrachtungen über die neueste Malerei über Plobergers Clownbild Scherben bringen Glück: „Plobergers extravagantes Selbstbildnis inmitten eines Kistenstillebens erklärt sich aus einer [...] inneren Beunruhigung über Zweck und Sinn der Kunst, die sich hinter artistischen Seltsamkeiten zu verbergen sucht.“13 Aus heutiger Sicht sind Plobergers Stilleben „international“ und rücken ihn in die Nähe des amerikanischen Präzisioni- sten Charles Sheeler. Ende 1929 nahm Ploberger in Linz zusammen mit Paul Ikrath und Franz Sedlacek an der Weihnachtsausstellung Neuromantik und neue Sachlichkeit in Oberöster- reich teil; die Kritik begeisterte sich besonders für seine Zeichnungen: „Der Vertreter der Neuen Sachlichkeit ist Herbert Plohberger [!] aus Wels. [...] Das künstlerisch Vollendetste leistet er zweifellos in den Bleistift- und Tuschfederzeichnungen [...], sie

8 Diese Jahresangabe ist Plobergers selbstverfaßten Lebenslauf entnommen. Andere Quellen geben die Jahre 1926 bzw. 1927 an. 9 Lebenslauf Herbert Ploberger. 10 Der Maler, Kostüm- und Bühnenbildner Ernst Stern (1876–1954) ist vor allem für seine Arbeit mit Max Reinhardt, Ernst Lubitsch und Eric Charell bekannt. 1934 emigrierte er nach London. 11 Zit. nach: Klaus Schröder, Neue Sachlichkeit. Österreich 1918–1938 (Kunstforum BA: Wien, 1995), S. 69. 12 Der Kunstwart. Deutscher Dienst am Geiste. Oktober 1927 bis März 1928 (Callwey: München), S. 413. 13 Ebd., S. 363.

39 erinnern an die meisterhaften Zeichnungen italienischer Renaissancekünstler. Diese Zeichnungen Plohbergers [!] gehören sicher zu dem Besten, das die so hochstehende Ausstellung bietet.“14 Sie kosteten je 100 Schilling, fünf der Ölbilder waren um 600, eines um 400 Schilling zu kaufen.15 Ein Teil dieser Werke gilt heute als vermißt.16 Im Jahr 1930 schrieb der Direktor des oberösterreichischen Landesmuseums in Linz, Hermann Ubell, in einem monografischen Aufsatz über Ploberger: „Die ,Neue Sachlichkeit‘ hat in Österreich noch wenig [!] Vertreter gefunden; der bedeu- tendste unter ihnen ist Herbert Ploberger, ein Oberösterreicher, der seit Jahren in Berlin lebt und zu den hervorragendsten Künstlern des Salons Nierendorf zählt – bekanntlich das Hauptquartier für Berlin und damit für ganz Deutschland.“17

In den erhaltenen Werken dieser Berliner Jahre ist für Ploberger das Theater von Anfang an ein Thema, wie die Bilder Der Souffleur, um 1927 und Selbstbildnis als Statist, um 1928, verraten. Ubell, der von Plobergers Zeichenkunst in Superlativen schwärmte18, machte für dessen Hinwendung zur darstellenden Kunst finanzielle Gründe geltend: „Seit Jänner 1927 ist er in Berlin, wo er sich rasch einen Namen macht, wenngleich er fürs erste gezwungen ist, sein tägliches Brot als Mitarbeiter Ernst Sterns, des Ausstattungschefs Max Reinhardts, bei der künstlerischen Insze- nierung theatralischer Neuaufführungen und großer Filmwerke zu verdienen. So gelingt es ihm, seine Kunst ganz rein zu bewahren und vor jeder Konzession an den Tagesbedarf zu behüten.“19 Ploberger war allerdings elitäres Denken fremd, er ergriff jede Gelegenheit, sein Talent anzuwenden; daher arbeitete er nicht nur als Sterns Assistent bei Film- und Theaterproduktionen mit, sondern betätigte sich auch als Gebrauchsgrafiker. 1928 illustrierte er beispielsweise den Katalog des schwedischen Restaurants „Roberts“ und stellte Werbegrafiken für Ullstein-Kleiderschnitte her. Manche seiner dabei entstandenen Figuren evozieren in ihrer dynamisch überzeich- neten Beweglichkeit amerikanische comic strips, andere sind wie seine Damenporträts

14 Linzer Volksblatt, 28. November 1929. Der Rezensent erwähnte auch das „,Ananas-Stilleben‘, das sei- nerzeit für die Landesgalerie angekauft worden ist.“ 15 Zum Vergleich: Ein Facharbeiter im Wiener Baugewerbe verdiente im Dezember 1929 kollektivver- traglich 79,72 Schilling pro Woche; 1 kg Schwarzbrot kostete 63 Groschen, ein Herrenanzug 142 Schilling. (Siehe: Beiträge zur österreichischen Statistik, 1240. Heft, Die Entwicklung der Verbrau- cherpreise v. 1900–1996 [Wien 1997].) 16 Plobergers Stilleben Auf dem Tisch, unter dem Tisch aus 1925 erzielte im Mai 2001 bei einer Versteige- rung 1.000.000 Schilling. Sedlaceks Ölbilder kosteten 1929 zwischen 500 und 1200 Schilling, sein Ölbild Landschaft mit Funkturm/Stadt am Meer erzielte nach der Euro-Umstellung 199.640 Euro. (Die beiden Bilder hingen nicht in der Ausstellung von 1929.) 17 Bühne, Welt und Mode, 12. Jänner 1930, S. 14. 18 „Einen neuen Klassizismus auch scheinen die ganz wunderbaren Umrißzeichnungen zu inaugurie- ren. Die Art, wie hier der Künstler das Wesen der Form und der Bewegung in klangvollen Umriß- linien von einer nachtwandlerischen Sicherheit und Bestimmtheit ausdrückt, hat in der künstleri- schen Mitwelt keine Analogie. Man muß bis zu Bonaventura Genelli und noch weiter bis zu John Flaxman zurückgehen, um auf Liniengebilde von ähnlichem Adel und ähnlich süßer Reife in der Weltgeschichte der Kunst zu geraten.“ (Ubell in Bühne, Welt und Mode, 12. Jänner 1930, S. 17.) 19 Ebd., S. 15.

40 vom eleganten Art De´co-Stil geprägt. Aus dem Jahr 1928 ist auch Plobergers Por- trätzeichnung der Schauspielerin Fritzi Massary als Titelblatt des Textbuches für Leha´rs Die lustige Witwe im Berliner Metropol-Theater erhalten. Der Regisseur dieser Inszenierung war Eric Charell20, für den Ploberger 1930 an der Ausstattung der Uraufführung von Ralph Benatzkys Operette Im weißen Rößl in Berlin bzw. London und 1932 an Die Drei Musketiere in London arbeitete.21 Daß Ploberger auch dort nebenbei nicht untätig war, beweisen die erhaltenen Originalentwürfe für Theater- programme aus dem Jahr 1930 und Bühnenbilder für eine Pantomime aus 1931, die alle für London bestimmt waren. Ploberger hätte, das zeigen die Abbildungen seiner verschollenen bzw. im Krieg verbrannten Porträts, auch eine glänzende Karriere als Porträtmaler der Berli- ner Gesellschaft machen und sich damit eine Existenz als bildender Künstler sichern können, wovon ihn aber möglicherweise seine Abneigung gegen gesellschaftliche Verpflichtungen abhielt. In seiner bescheidenen Art schrieb er über diesen Lebensab- schnitt: „Veröffentlichungen von Zeichnungen und Bildern in vielen Zeitschriften und Illustrierten wie z. B. die ,Jugend‘, ,Querschnitt‘. Er hat kein besonderes Vorbild, sondern sieht sich mehr von einer Zeitströmung gepackt. Seine Beziehungen zu den Künstlern seiner Stilrichtung sind nur sehr oberflächlich. Bekanntschaft mit Prof. Ernst Stern.“22

Wien und Salzburg 1933–1934

Ploberger hatte als Sterns Assistent schon mehrere Jahre lang Erfahrungen gesam- melt, als er von dem Architekten Clemens Holzmeister 1933 zu seiner ersten selb- ständigen Kostümarbeit an das Wiener Burgtheater geholt wurde. Es ist zwar nicht bekannt, wo die beiden einander kennengelernt hatten, doch die Tatsache, daß Holz- meister ihn für fünf Produktionen als Kostümbildner engagierte, läßt den Schluß zu, daß er große Stücke auf ihn hielt, zumal er sich 1937/38 – letztlich aus politischen Gründen vergeblich – auch für eine feste Anstellung Plobergers an der Wiener Staatsoper einsetzen sollte.23 Ploberger, dessen erste selbständige Kostümarbeit somit in Österreich statt- fand, hatte für Gerhart Hauptmanns Florian Geyer allerdings keinen eigenen Vertrag mit dem Burgtheater. Holzmeister, der Professor an der Akademie der bildenden Künste war, hatte die Ausstattung für ein Honorar von 1500 Schilling übernommen

20 Der Tänzer und Choreograf Eric (auch: Erik) Charell (1894–1973 oder 1974) machte sich in den zwanziger Jahren in Berlin mit Revue- und Operettenproduktionen einen Namen. Er emigrierte nach 1933 in die U. S. A. 21 Siehe: Katharina Weinberger, Herbert Ploberger. Malerei–Graphik (Wels – Linz, 2002) S. 40, und Ernst Stern, Bühnenbildner bei Max Reinhardt (Henschel: Berlin 1983), Vorwort. 22 Aus dem selbstverfaßten Lebenslauf Herbert Plobergers. 23 Clemens Holzmeister (1886–1983) emigrierte 1938 in die Türkei. Zum seinem Lebenslauf siehe: Ger- trude Enderle-Burcel, Christlich–Ständisch–Autoritär. Mandatare im Ständestaat 1934–1938 (DÖW: Wien, 1991).

41 und wollte für seinen Mitarbeiter zusätzlich 300 Schilling herausschlagen, wie aus seinem Brief an Hermann Röbbeling, den Direktor des Burgtheaters, hervorgeht: „Im Verfolg der Ihrerseits so guten Aufnahme meiner Vorschläge der Bühnengestal- tung für ,Florian Geyer‘ und der Figurinen des Herrn Bloberger [!], darf ich mir erlau- ben, um die Flüssigmachung der ersten Honorarrate im Betrage von S 500.– zu ersu- chen. Desweiteren darf ich ergebenst mitteilen, daß Herr Bloberger [!] für seine Arbeiten, die sich selbstverständlich bis zur Vollendung der Kostüme erstrecken werden, den Betrag von S 300.– in Vorschlag bringt und darf ich annehmen, daß diese bescheidene Forderung Sie veranlassen wird, Herrn Bloberger [!], diesen jun- gen und hochbegabten Menschen, auch fürderhin möglichst oft für Figurinenent- würfe ja vielleicht auch für kleinere Bühnenausstattungen heranzuziehen.“24 Röbbe- lings Antwort fiel allerdings negativ aus: „Gänzlich ausgeschlossen ist es, ein weite- res Honorar von 300 S an den von Prof. Holzmeister erst jetzt namhaft gemachten Mitarbeiter zu bewilligen. Diese Ausgabe kann einzig und allein nur aus dem Hono- rar für Prof. Holzmeister gedeckt werden.“25 Aus den Akten geht nicht hervor, ob Holzmeister tatsächlich ein Fünftel seiner Gage an Ploberger abtrat.26 Das Stück, das die Niederschlagung des Bauernaufstandes in Franken und Schwaben im Jahr 1525 thematisiert, wurde von den Kritikern unterschiedlich aufge- nommen. Die Beobachtung „So viel Blech hat man auf der Bühne des Burgtheaters schon lange nicht beisammen gesehen. Die Ritter laufen mit Vorliebe in ihren schwe- ren Platten- oder Kettelrüstungen herum – die übrigens teilweise verschiedenen Zeitaltern angehören“27 läßt darauf schließen, daß man teilweise auf den Kostümfun- dus zurückgriff, weil die Budgetmittel knapp waren. Vollkommen konträr urteilte dagegen der Brucknerschüler und Musikkritiker Ernst Decsey, der die Rüstungen in diesem „urdeutschen Stück“ „prachtvoll“ fand.28 Ploberger wurde auch namentlich erwähnt, das Neue Wiener Extrablatt beschrieb „glänzend gekleidete Ritter und Bischöfe, hell und sauber beschiente und gerüstete Bauern, Trabanten und Volk, kostümiert von dem Hamburger Herbert Proberger [!]“29, und in den Wiener Neuesten Nachrichten stand: „Die Kostüme stammen von Herbert Ploberger. Er schuf sie frei von Meiningerei, mit Phantasie und doch erfüllt vom Geiste der Reformations- epoche.“30 Plobergers Entwürfe zu diesem Stück sind kostümgeschichtlich in der Renaissance verankert; sie wirken in ihrer malerischen Qualität wie Buchillustratio- nen, durch überzeichnete Details und gelängte Körperteile entsteht ein fast karika-

24 Holzmeister an Röbbeling, 06. Dezember 1932 (AdR-03/BMfU-ÖBThV-GZ 3337/1932). 25 Aktenvermerk vom Dezember 1932 (AdR-03/BMfU-ÖBThV-GZ 3337/1932). 26 Für Holzmeister bedeutete das Honorar neben seinem Professorengehalt und seinen Aufträgen als Architekt ein zusätzliches Einkommen. Zum Vergleich: 1 kg Schwarzbrot kostete damals 59 Gro- schen, ein Herrenanzug 125 Schilling. 27 Dätz (?), 17. Februar 1933 (Archiv des Burgtheaters). 28 Neues Wiener Tagblatt, 17. Februar 1933. 29 Neues Wiener Extrablatt, 17. Februar 1933. 30 Wiener Neueste Nachrichten, 17. Februar 1933. Die Inszenierungen des Meininger Hoftheaters (1867– 1890) waren für ihre bemüht akribische historische Authentizität bekannt.

42 Abb. 02: Herbert Ploberger, Fünf Figurinen zu Florian Geyer 1933, Zeichnung mit Deckfarben (Lentos Kunstmuseum Linz) turhafter Eindruck. In den beschwingten, teilweise sogar fröhlichen Gruppenbildern nehmen die Figurinen in ihren Körperhaltungen spielerisch aufeinander Bezug, sodaß jedes Blatt eine kompositorische Einheit darstellt. Füße und Beinkleidung sind auffallend abwechslungsreich gestaltet, die Männer haben ausgeprägte O-Beine. Die Augen der meisten Figurinen sind geschlossen, manche sind als diffuse Flecken oder mit Brillen dargestellt.31 (Abb. 02)

Wenige Monate später, am Karsamstag 1933, fand im Zirkus Renz die Uraufführung des Passionsspieles Golgotha statt, das als Massenspektakel inszeniert war.32 Autor dieses biblischen Bilderbogens war der Klosterneuburger Chorherr V. O. Ludwig, der seine Priesterweihe zusammen mit dem späteren christlich-sozialen Politiker Ignaz Seipel erhalten hatte. Einem Kritiker, der gegen die Darstellung Jesu auf der

31 Lentos Kunstmuseum Linz, Fig. „Florian Geyer. Musikant–Mutter und Sohn–Blinder Mönch“ (ploberger- 1811) und „Florian Geyer. Schwarze Marei–Kratzer, Wirt–Feistle–Kellnerin–Hausierer“ (ploberger-1812); ÖThM, Fig. „Florian Geyer. Schäferhans/Siegert–Ozory–Steinböck“ (HÜ 54492) und „Florian Geyer. Bewaffnete Bauern“ (HÜ 54290). 32 Das 1881 vom Architekten Oskar Laske in Stein und Stahl errichtete Zirkusgebäude wurde gegen Kriegsende durch Bomben teilweise zerstört und im März 1957 abgerissen (Arbeiterzeitung, 09. März 1957, S. 06). Die heutige Zirkusgasse erinnert an den Standort.

43 Bühne argumentiert hatte, hielt er entgegen, durch diese Produktion seien „nicht nur viele Menschen zu Arbeit und Brot gekommen, sondern in der Verworrenheit unse- rer Zeit würden viele Menschen hier erhabene, ja trostreiche Ablenkung vom grauen Alltag finden.“33 Es war sicherlich ein beeindruckendes Schauspiel, das sich den Zuschauern bot. Holzmeister hatte die Decke „mit schwarzgoldenem Tüllstoff verkleidet, die Lampen an den Logenbrüstungen mit schwarzen Kreuzen abgeblen- det“34 und in einem Segment der Arena einen gewaltigen Bühnenaufbau gestaltet, der bis zum obersten Rang hochgezogen war; eine Freitreppe führte zu einer podest- artigen Vorbühne, von der die verschiedenen Schauplätze über Wege und Stiegen erreichbar waren. Die Rezensionen lassen den Schluß zu, daß die Inszenierung den optischen und akustischen Visionen des Autors, die er in seinen Regieanweisungen detailge- nau formuliert hatte, entsprach. Die verwendeten Stilmittel zielten auf ein Gesamt- kunstwerk ab, das Sprechtheater wurde durch instrumentale Musik, Gesang, liturgi- sche Sprechriten, Tableaus und pantomimische Einlagen ergänzt und mit Lichteffek- ten wirkungsvoll verstärkt. Anschaulich beschrieb ein Kritiker, wie die „lebenden Bilder“, stumm dargestellt und von Musik untermalt, nacheinander an verschiede- nen Stellen der Bühne plastisch aufleuchteten, denn die Simultanbühne, auf der alle Schauplätze gleichzeitig vorhanden waren, erlaubte mittels entsprechender Lichtre- gie rasche und eindrucksvolle Szenenwechsel. Auch die Massenszenen schienen einen grandiosen Eindruck gemacht zu haben und die Kostüme wirkten „farben- prächtig, zeitecht-phantasievoll. Nur sie konnten der Bildwirkung letzte Vollendungsmöglichkeit geben.“35 Für diese Produktion galt es, 58 Rollen und etwa 200 bis 300 Statisten (die Angaben differieren) einzukleiden. Einige in Zeitungen publizierte Rollenfotos evo- zieren die gängige Ikonografie einer im 19. Jahrhundert verankerten Romantik.36 Plobergers Entwürfe, soweit sie im Theatermuseum erhalten sind, bergen daher keine Überraschungen. Die zwölf Apostel tragen einfache, in den Taillen gebundene Tunikas mit Kreuzverschnürungen an der Brust. Offene Reisemäntel, Sandalen und Krummstäbe ergänzen ihre Kostüme, die sich nur in Farbe und Länge unterschei- den. Während sie eher unbewegt nebeneinander stehen, scheinen die Römer fast zu tänzeln. Claudia hat zu ihrem hellen Ärmelchiton rosa Pantoffeln an; sie ist von Quin- tus und Pilatus flankiert, die kurze Tunikas, gefibelte Übermäntel und Schnürsanda- len tragen. Den beiden Hauptfiguren Jesus und Maria ist je ein Blatt mit vier Kostüm- variationen gewidmet, wobei der expressiv gemusterte, orangerote Verspottungs- mantel Jesu aus dem ansonsten gedämpften Farbrahmen fällt. Maria trägt verschie- denfarbige Hemdgewänder, die jeweils in der Taille mit Tüchern fixiert sind, und far-

33 Wiener Neueste Nachrichten, 13. April 1933. 34 Emanuel Häußler in Neues Wiener Tagblatt, 18. April 1933. 35 Wiener Neueste Nachrichten, 19. April 1933. 36 Foto o. A., „Passionsspiele im Zirkus Renz. Schweikart als Christus. Ebba Johannsen als Maria“, in Neues Wiener Tagblatt, 19. April 1933; „Szenenbild aus ,Golgotha‘: Jesus (Schweikart) mit den Jesus- kindern“, in Die Stunde, 19. April 1933 = Foto Gersdorff, „Jesus und die Kinder“ (ÖThM, PSA 181817).

44 big passende Kopftücher. Im Gegensatz dazu sind das Judenmädchen, die Ehebrecherin und Magdalena detailreich und kostbar gekleidet. Sie tragen Hals-, Ohren- und Kopfschmuck, bunt gemusterte Oberkleider, knöchellange Unterkleider, verschie- denfärbige Tücher und hauchdünne, durchsichtige Schleier, wobei es Ploberger mühelos gelingt, das Material sichtbar zu machen. Die Gesichter der Figurinen haben keine Augen, fallweise sind Nasen, Bärte oder rote Wangen angedeutet. Die Entwürfe machen deutlich, daß Ploberger sich intensiv mit kostümkundlichen Quel- len auseinandergesetzt und diese dann in künstlerischer Freiheit abgewandelt hat.37 Im Zusammenhang mit dieser Produktion ist erwähnenswert, daß Peter Lorre den Judas spielte. Lorre, der 1931 mit seiner Hauptrolle in Fritz Langs Film M– Eine Stadt sucht einen Mörder Berühmtheit erlangt hatte, war erst im Februar aus Berlin nach Österreich zurückgekehrt bzw. vor den Nationalsozialisten geflohen. Er legte die Rolle des Judas auf ungewohnte Weise an, wie im Abend zu lesen war: „Judas, von Peter Lorre erschütternd dargestellt, ist nicht der Erzschelm, die Verkörperung des Bösen an sich, wie man ihn meist sehen will, sondern ein armer, ratloser, kleiner Sünder. [...] Die wirklich Schuldigen sind die Herrschenden. [...] So wird dieses [...] Christusdrama fast zu einer vernehmlichen Anklage gegen den Obrigkeitsstaat.“38 Der Rezensent nahm hier nicht von ungefähr auf das aktuelle politische Geschehen Bezug, denn in den Wiener Neuesten Nachrichten war auf derselben Seite wie die Kritik über Golgotha ein wohlwollender Bericht über eine Inszenierung ganz anderer Art zu lesen: „Wiener NSDAP feiert Hitler. Große Kundgebung im Konzerthaus. [...] Über 5000 Menschen wohnten der eindrucksvollen Feier bei. [...] Auf dem Podium hatten der Braunhemdenchor und das verstärkte Symphonieorchester des Gaues Aufstel- lung genommen. Um die Orgel gruppierten sich die Fahnen und Standarten der Sturmabteilungen, der Hintergrund war mit Palmen und einem mächtigen goldenen Hakenkreuz mit darüber aufgespannter Hakenkreuzflagge geschmückt. SS-Mann- schaften standen vor dem Podium Spalier.“39 Als zwei Monate später die NSDAP in Österreich verboten wurde, war Peter Lorre nicht mehr in Wien. Für ihn sollte Judas, neben einer Filmrolle in Unsichtbare Gegner, seine einzige Bühnenrolle bleiben, bevor er über Znaim und Paris in die U. S. A. emigrierte.

Auch Max Reinhardt, der durch Hitlers Machtergreifung sein Theaterimperium in Berlin verloren hatte, war mittlerweile nach Österreich zurückgekehrt. Dieser Schritt war, im nachhinein gesehen, sein erster ins Exil, welches ebenfalls in Amerika enden sollte. Reinhardt griff nun seine alte Idee wieder auf, Faust I in Salzburg zu inszenie- ren. Ihm war bei früheren Diskussionen über den Aufführungsort allerdings immer der Hof von St. Peter vorgeschwebt, während Anton Faistauer, Hugo von Hof-

37 ÖThM, Fig. „Passion. Johannes–Petrus–Jakobus mj–Jakobus mi“ (HÜ 54252), „Passion. Simon–Thaddäus– Judas–Mathäus“ (HÜ 54253), „Passion. Thomas–Andreas–Bartholomäus–Philippus“ (HÜ 54254), „Passion. Pi- latus–Claudia–Quintus“ (HÜ 54404), „Passion. Emmaus–Einzug–Erscheinung–Verspottung“ (HÜ 54255), „Ver- kündigung–Bethlehem–Bethanien–Ölberg“ (HÜ 54256), „Passion. Magdalena–Grieche–1. Judenmädchen“ (HÜ 54402) und „Passion. Zweites Judenmädchen/Dorsay–Drittes Judenmädchen/Sigrist–Ehebrecherin“ (HÜ 54403). 38 Der Abend, 18. April 1933. 39 Wiener Neueste Nachrichten, 19. April 1933.

45 Abb. 03: Kostümprobe zu Faust I 1933, v. l.: Max Pallenberg im Kostüm des Mephisto, Herbert Ploberger, Max Reinhardt, Fritzi Massary, Helene Thimig (Foto: Setzer) mannsthal und Clemens Holzmeister die Felsenreitschule favorisiert hatten. Diese Idee setzte sich letztlich durch.40 Clemens Holzmeister mußte für Reinhardt eine ver- kleinerte mittelalterliche Stadtarchitektur in die Felsenreitschule bauen, und Plober- ger, der für die Kostüme zuständig war, assistierte ihm dabei.41

40 Siehe: Clemens Holzmeister, Architekt in der Zeitenwende (Bergland: Salzburg, 1976), S. 67. 41 Die Kosten, Plobergers Kostüme eingeschlossen, beliefen sich laut Holzmeister auf 60.000 Schilling (Salzburger Volksblatt, 04. August 1937). Zum Vergleich: 1933 kosteten die teuersten Plätze in der Fel- senreitschule 50, die billigsten 12 Schilling, während man für das tägliche Orgelkonzert im Dom 80 Groschen, für die Besichtigung von Festspielhaus und Fauststadt 1 Schilling zahlte; 1 kg Brot kostete 59 Groschen.

46 Das Material dieser als „Fauststadt“ in die Theatergeschichte eingegangenen Szenerie war auf Dauer angelegt und bis in Details wie Butzenscheiben und Dach- rinnen durchgearbeitet.42 Man hatte sogar einen großen Ahornbaum, der als Linde diente, gepflanzt und einen blühenden Garten angelegt. Die „Echtheit“ von Szenerie und Darstellung kam bei den Zuschauern besonders gut an. Paula Wessely bei- spielsweise spielte die Rolle der Margarete43 anscheinend so natürlich, daß sie „ganz zu dem unkomplizierten Kind aus dem Volke“44 wurde. Es entsprach durchaus dem Zeitgeist, „die Dichtung im Stil eines alpenlän- disch-österreichischen, ja spezifisch altsalzburgischen Volksschauspiels zu inszenie- ren. [...] Und mittelalterlich-salzburgisch sind auch die vom jungen Maler Ploberger entworfenen Kostüme“, erzählte der Komponist Bernhard Paumgartner in einem Interview.45 „Und diese von Herbert Ploberger entworfenen Kostüme gehören mit zum Besten der ganzen Auffüh- rung.“46 (Abb. 03) Aber nicht nur Plobergers Kostüme, auch Wallmanns Tanzeinlagen und Paumgartners Musik nahmen auf Salzburg Bezug, und über dem Stadttor der Fauststadt prangte das Wappen eines Erzbischofs. Dieser „Salzburger Note“47 und dem „bäurische[n] Mythos“48 konnten viele Schauspieler auch privat nicht widerste- hen. Max Pallenberg beispielsweise erschien zu einer Probe als „Mephisto im Salz- burger Janker“49 und Bergschuhen, „dazu kurze Hosen und Strümpfe, den Mephis- todegen umgehängt.“50 Die Verschmelzung von Illusion und Wirklichkeit, Vergan- genheit und Gegenwart beschränkte sich aber nicht auf die Bühne, denn ganz Salz- burg schien zur Theaterkulisse geworden zu sein: „Und bald ist man gar nicht mehr überrascht, wenn sich ein strammer Salzburger mit dem Gamsbart auf dem Hut, ein fesches Salzburger Dirnderl als ,getarnte’ Engländer oder Amerikaner entpuppen, denen die einheimische Tracht so besonders gut gefallen hat.“51 Die Berichte der Journalisten verrieten vor allem eines: große Erleichterung über die Anwesenheit ausländischer Gäste. Denn die Festspiele, damals schon zu einem enormen Faktor für den Fremdenverkehr angewachsen, standen im Jahr der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland unter keinem guten Stern. Ende Mai 1933 hatte Hitler nämlich angeordnet, daß jeder deutsche Staatsbürger

42 Die „große, dem Zuschauer zugewendete plastische Stadtrevue“ bestand „aus Drahtwänden (soge- nannte Stauß-Ziegelgewebe), die mit gefärbtem Beton-Mörtelputz versehen sind. Außenseits. Nach innen geniert sich das Drahtgerippe nicht im mindesten, bloß und nackt dazuliegen.“ (Otto Kunz, Hinter den Kulissen der Fauststadt, in: Die Bühne, Erstes Augustheft 1934, S. 20.) 43 „Um dieses Gretchens willen muß der Faust aufgeführt werden“ (Rudolf Holzer in Wiener Zeitung, 10. August 1934). 44 Edda Leisler, Gisela Prossnitz, Max Reinhardts Faust-Inszenierung in Salzburg 1933–1937, in: Maske und Kothurn 01/1970, S. 162. 45 Neues Wiener Journal, 17. August 1933. 46 Jarosch in Wiener Neueste Nachrichten, 20. August 1933. 47 Paumgartner in Neues Wiener Journal, 17. August 1933. 48 Die Stunde, 03. August 1933. 49 Neues Wiener Tagblatt, 13. August 1933. 50 Neue Freie Presse, 17. August 1933, zit. nach: Leisler/Prossnitz, S. 156. 51 Neues Wiener Abendblatt, 24. August 1933.

47 beim Grenzübertritt nach Österreich 1000 Mark zu zahlen habe (die sogenannte „1000-Mark-Sperre“), was einen empfindlichen Verlust für die grenznahen Fremden- verkehrsgebiete und damit für die Region Salzburg befürchten ließ, da man mit dem Fernbleiben der deutschen Tagesgäste rechnen mußte. Die Stimmung in Salzburg war daher äußerst angespannt, ein finanzieller Mißerfolg der Festspiele schien vor- programmiert. Am 13. April, zwei Tage vor der Premiere von Golgotha, hatten die Schlagzeilen bereits „nationalsozialistische Boykottdrohungen in Österreich“ ange- kündigt, die sich „gegen alle jene österreichischen Kurorte und Sommerfrischen richte[n], die heute bemüht sind, die sommerliche Erholung und den Urlaub der schwülen politischen Atmosphäre zu entrücken und den parteipolitischen Radikalis- mus in der Zeit der Sommersaison auszuschalten.“52 Nach dem Verbot der NSDAP in Österreich am 19. Juni 1933 sagten einige reichsdeutsche Künstler, auch der für die Rolle des Faust vorgesehene Eugen Klöpfer, ihre Teilnahme an den Festspielen kurzfristig ab; erst zehn Tage vor der Premiere konnte in Ewald Balser Ersatz für Klöpfer gefunden werden.53 Zur Eröffnung der Festspiele warfen deutsche Flugzeuge „massenhaft natio- nalsozialistische Propagandaflugzettel ab“, deren Text „eine Hohn- und Schmäh- schrift gegen die österreichische Bundesregierung und ihre Mitglieder, gegen den österreichischen Staat und Österreichs Bevölkerung“ war.54 Die Festspiele liefen aber trotz dieser Störaktionen relativ erfolgreich ab, obwohl fast ein Viertel weniger Gäste als im Vorjahr kamen.55 Die Medien interpretierten die Anwesenheit des inter- nationalen Publikums als politische Solidaritätserklärung für Österreich. Daß mit der Selbstinszenierung der Stadt Salzburg mittels ihrer Verdoppelung in der „Faust- stadt“ gleichzeitig eine „bessere“ Vergangenheit beschworen und ein ländlich-traditi- onsbezogenes kulturelles österreichisches Selbstverständnis zelebriert wurde, führte möglicherweise dazu, daß die Inszenierung, die fünf Jahre lang ein Publikumsrenner war, nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1938 aus dem Spielplan genommen und die „Fauststadt“ abgerissen wurde. Andernfalls wäre Faust heute vielleicht ein ebenso fixer Bestandteil der Salzburger Festspiele wie Jedermann. Immerhin galt die Produktion, die im ersten Jahr wegen des Inszenierungsstils, eini- ger Streichungen und akustischer Mängel von der Kritik nicht nur positiv aufge- nommen wurde, in den Jahren bis zum Anschluß als „die Attraktion der Salzburger Festspiele. Dies nicht zuletzt darum, weil Reinhardt die Tragödie Gretchens dem internationalen Publikum verständlich machte, indem er das Wort durch die Szene, den Sinn durch das Bild ersetzte.“56 Die Inszenierung wurde mit dem Ablauf eines

52 Die Stunde, 13. April 1933. Anscheinend verfolgte „Die nationalsozialistische Aktion [...] den Zweck, alle jene Sommerfrischen und Kurorte in Österreich zu registrieren, in denen politische Versamm- lungen, Demonstrationen und das Uniformtragen untersagt werden soll.“ 53 Die Stunde, 08. August 1933. 54 Salzburger Chronik, 31. Juli 1933. 55 Es kamen 56.000 Besucher; 1932 waren es 72.000 gewesen (Salzburger Chronik, 27. November 1933). 56 Leisler/Prossnitz, Max Reinhardts Faust-Inszenierung in Salzburg 1933–1937, a. a. O., S. 175.

48 Films oder einer Revue verglichen, man warf Reinhardt sogar „Amerikanismus“ vor. Aber nicht nur in den U. S. A. paßten Theaterunternehmer ihre Produktionen zuneh- mend den neuen Sehgewohnheiten des Publikums an, sogar der Augustiner Chor- herr V. O. Ludwig war mit seinen Regieanweisungen für Golgotha durchaus am Puls der Zeit gewesen; von den Tanzeinlagen abgesehen, hatte Regisseur Nowotny mit seinen Licht- und Toneffekten, der Massenstatisterie und der Simultanbühne im Prinzip die gleichen Stilmittel wie Reinhardt für Faust I eingesetzt, wenn auch in der Durchführung weniger virtuos. Allerdings waren die optischen und akustischen Effekte in Salzburg leider weitgehend wetterabhängig; sowohl die Premiere als auch weitere Vorstellungen in der offenen Felsenreitschule mußten wegen anhaltenden Regens abgebrochen und unter Weglassung der Walpurgisnacht-Szene in das wet- terfeste Festspielhaus verlegt werden. Mit dieser Variante mußte sich auch Bundes- kanzler Dollfuß zufrieden geben, als er in Begleitung von Minister Schuschnigg und Landeshauptmann Rehrl die Festspiele besuchte.57 Plobergers Kostümentwürfe zu Faust I, von denen (vor allem im Österreichi- schen Theatermuseum) eine erfreuliche Anzahl erhalten ist, können in drei Gruppen eingeteilt werden. Auf einigen Blättern sind die Hauptrollen in den Kostümen ihrer verschiedenen Auftritte zusammengefaßt, wobei auch hier wieder die Extremitäten und Hälse gelängt sind und die Gesichtszüge, mit Ausnahme mancher Münder, weitgehend fehlen. Die Konturen sind weich gehalten. In der Kleidung finden sich verschiedene Charakteristika des späten sechzehnten und des frühen siebzehnten Jahrhunderts, wobei die abgesteiften Halskrausen und die breiten Schulterkrägen das auffälligste Element darstellen. Kopf- und Handhaltung verleihen jeder Figurine individuellen Charakter. Vereinzelte Anmerkungen des Künstlers auf den Blättern – es sind u. a. die Maße von Schauspielern, Materialangaben oder auch Gedankenno- tizen – geben einen interessanten Einblick in Plobergers Arbeit und lassen erahnen, welche Vorarbeiten und Detailplanungen er jeweils mit Rücksicht auf die individuel- len körperlichen Eigenheiten der Schauspieler, aber auch in Akkordanz mit den Wünschen des Regisseurs zu leisten hatte und welch ungeheure Organisationsarbeit nötig war, bis das Resultat allen Anforderungen entsprach. Eine Übereinstimmung der fertigen Kostüme mit den Entwürfen ist anhand zahlreicher Fotos unschwer fest- zustellen. (Abb. 04 und Abb. 05) Für die Walpurgisnacht hat Ploberger Blatt für Blatt mit variantenreichen Mas- ken und Gestalten gefüllt, wobei er sich anscheinend einerseits von Josephine Bakers Bananentanz, Amazonenmythen und zeitgenössischen afrikanischen Tanz- darstellungen, andererseits von Tiroler oder Schweizer Schemenmasken inspirieren ließ. Einige dieser fantastischen Kreationen, die er mit „Hexen“, „Teufel“ oder „Erschei- nungen“ beschriftete, können als Schnabel-, andere als Saalfeldner oder Stuhlfeldner Schönperchten identifiziert werden, eine Gruppe von zehn Hexen wirkt hingegen wie ein Ballett aus einem Pariser Nachtclub.58 (Abb. 06) Auf einem Szenenfoto sind die

57 Neues Wiener Journal, 22. August 1933. 58 Fig. „Walpurgisnacht Hexen“ (Privatbesitz) und „Hexen. Walpurgisnacht“ (ÖThM, HÜ 54155).

49 Abb. 04: Herbert Ploberger, Margarete, Figurinen zu Faust I 1933 (Österreichisches Theater- museum)

Abb. 05: Paula Wessely im Kostüm der Mar- Abb. 05a: Bürgermädchen vor der Faust- garete, Faust I 1933 (Foto: Ellinger) stadt, Faust I 1933 (Foto: Ellinger)

50 Abb. 06: Herbert Ploberger, Hexen der Walpurgisnacht, Figurinen zu Faust I 1933 (Privatbesitz)

51 Hexen allerdings um einiges weniger nackt und erotisch; aus Plobergers flotten, ele- ganten Federkostümen scheinen zerfranste, hängende Fetzen geworden zu sein.59 Alle diese Masken und Figurinen für die Walpurgisnacht sind heitere Fantasiepro- dukte eines kreativen Schöpfers. Ein Blatt, auf dem ein Schwein und ein Paarhufer in Schlaghosen, beide mit Flügeln versehen und mit Vorhangteilen drapiert, zu tanzen scheinen, fällt nicht zuletzt wegen seiner leuchtendbunten Neonfarbigkeit aus dem Rahmen; es würde zeitmodisch in die siebziger Jahre passen.60 Für die Figurinen des Osterspazierganges hingegen ließ er sich teilweise von Trachten inspirieren, was beson- ders schön an zwei Bleistiftskizzen abzulesen ist, in denen er die Rockborten, Mie- derverschnürungen und Puffärmel variierte. In den farbigen Entwürfen füllen die verschiedenen Standes- und Berufsgruppen schematisch in Reih und Glied überein- ander angeordnet die Blätter.61 Die Körper sind alle sehr schlank dargestellt, die Hälse langgezogen, die Gesichter leer. Der „Salzburger Faust“ übersiedelte mit teilweise geänderter Rollenbeset- zung im September 1933 an das Theater in der Josefstadt in Wien.62 Die dortigen „Festvorstellungen“63 fanden im Rahmen des Katholikentages statt, als dessen Präsi- dent Clemens Holzmeister fungierte.64 Plobergers Name wurde auf dem Theaterzet- tel nicht angeführt, auf einem Foto ist aber deutlich zu erkennen, daß Paula Wessely das Kostüm der Salzburger Inszenierung trägt.65 Herbert Ploberger wurde im Zusammenhang mit Faust I in Fachkreisen nach- haltig bekannt. Trotzdem bedauerte Museumsdirektor Ubell, daß er gewissermaßen der bildenden Kunst abhanden gekommen war: „Ploberger hat im Programm der ,Neuen Sachlichkeit’ Stilleben und figurale Kompositionen geschaffen, die, ob gemalt oder gezeichnet, den Rang einer Klassizität beanspruchen dürfen; es ist ewig schade, daß der hochbegabte junge Künstler durch szenische Aufträge (Inszenie- rung des ,Weißen Rössls‘ in London und barocke Kostümierung des Salzburger Faust im Paracelsus-Geschmack) von seiner eigentlichen, mit so glänzendem Erfolg betretenen Laufbahn abgelenkt wurde.“66 Seine Arbeit am Faust gefiel jedenfalls Luis

59 Foto Ellinger, „Faust 1933“, Archiv der Salzburger Festspiele. 60 Fig. zu Walpurgisnacht (ÖThM, HÜ 54144). 61 Verschiedene Studien zu Osterspaziergang, ÖThM bzw. Privatbesitz. 62 Die Direktion hatte kurz vorher der Schauspieler und Regisseur Otto Preminger übernommen. Er sollte 1935 in die U. S. A. emigrieren. 63 Theaterzettel im Inspizientenbuch (Archiv Theater in der Josefstadt). 64 Siehe: Helmut Wohnout, Im Zeichen des Ständeideals. Bedingungen staatlicher Kulturpolitik im autoritären Österreich 1933–1938, in: Jan Tabor, Kunst und Diktatur (Grasl: Baden, 1994), S. 139. Der Katholiken- tag, der von 07. bis 12. September 1933 dauerte, war, wie Elisabeth Klamper festhält, eines der drei massenmobilisierenden Ereignisse der Anfangsjahre des Austrofaschismus, bei dem noch dazu „die katholische Kirche [...] Bundeskanzler Dollfuss das Forum für dessen programmatische Rede über den künftigen Ständestaat bot.“ (Elisabeth Klamper, Die Mühen der Wiederverchristlichung. Die Sakral- kunst und die Rolle der Kirche während des Austrofaschismus, in: Jan Tabor, a. a. O., S. 151.) 65 Foto Skall, „P. Wessely (Gretchen) u. H. Rehmann (Faust)“, in Die Bühne, 02. Septemberheft 1933. 66 Hermann Ubell, Bildende Kunst in Oberösterreich, in: Josef Rutter, Kunst in Österreich. Österreichischer Almanach und Künstler-Adreßbuch 1934 (Kunst in Österreich: Leoben, 1933).

52 Trenker, den Ploberger in Salzburg kennenlernte, so gut, daß er ihn als Kostümbild- ner für seinen Film Der verlorene Sohn engagierte.67

Auch Holzmeister hatte weitere Aufträge für ihn, und zwar zuerst im Dezember 1933 für Verdis Oper Othello an der Wiener Staatsoper. Für diese Produktion existie- ren mehrere unterschiedliche Kostenvoranschläge, die deutlich machen, wie sehr bei den Kostümen und beim Bühnenbild der Sparstift angesetzt werden mußte. Alfred Roller, der Chef des Ausstattungswesens, veranschlagte die Kosten anfangs mit 40.000 Schilling, ein immens hoher Betrag, wenn man bedenkt, daß die Staatsoper für das kommende Jahr nur ein Gesamtbudget von 80.000 Schilling zur Verfügung hatte.68 Allerdings fügte er an, daß „gedacht ist das Bühnenbild weitgehend zu ver- einfachen und möglichst viele der alten Kostüme durch Umarbeitung und Ergän- zung brauchbar zu machen.“69 Man entschloß sich sogar, die Leinwand der alten Othello-Dekoration abzuwaschen und neu zu bemalen.70 Anscheinend war man aber trotzdem nicht sparsam genug, denn die Verwaltung verlangte „im Hinblicke darauf, daß sich bereits die Presse [...] der Angelegenheit bemächtigt hat“, von der Direktion Aufklärung über die Bestellung neuer Offiziersuniformen. Die Angestell- tenvertreter, die von einer Kürzung der Nebengebühren bedroht waren, hatten näm- lich vorgebracht, daß man im Zuge der Sparmaßnahmen auch die vorhandenen Offiziersuniformen aus Boccaccio verwenden hätte können.71 Aus den Akten geht nicht hervor, ob man die neuen Uniformen daraufhin abbestellte. Erst einen Monat nach (!) der Premiere wurde der Kostenvoranschlag, der eigentlich eine Abrechnung war, genehmigt. „Er beziffert sich ungefähr auf die Hälfte des ursprünglich veran- schlagten Betrages. Eine weitere Herabminderung ist deshalb ausgeschlossen, weil aus dem Betrag von insgesamt 19.325 S auch noch das Honorar für Ploberger (Mit- arbeiter des Prof. Holzmeister) im Betrage von 400 S, sowie das Honorar für Prof. Holzmeister für die Ausstattung im Betrage von 600 S zu decken ist.“72 Diese Zahlen sind in zweierlei Hinsicht interessant; einerseits hatte sich gegenüber Florian Geyer das Verhältnis geändert, Holzmeister erhielt diesmal nicht vier- oder fünfmal soviel, sondern nur um die Hälfte mehr als Ploberger; andererseits entsprach sein Honorar, das für ihn als Akademieprofessor ja nur ein Nebeneinkommen war, fast dem Monatsgehalt Robert Kautskys, der den Malersaal der Staatsoper leitete.73 Othello wurde, wie vorher schon Faust I, von Joseph Gregor, dem Begründer der Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, publizistisch

67 Trenker und Holzmeister hatten ein gemeinsames Architekturbüro in Bozen betrieben. 68 Aktenvermerk vom 16. Jänner 1934 (AdR-03/BMfU-Oper-Direktion-GZ 961/1934). 69 Roller an Direktion, 29. Juni 1933 (AdR-03/BMfU-ÖBThV-Wiener Staatsoper-Dir.-GZ 663/1933). 70 Direktion an BThV, 13. November 1933 (AdR-03/BMfU-Oper-Direktion-GZ 961/1933). 71 BThV an Direktion, 16. Dezember 1933 (AdR-03/BMfU-Oper-Direktion-GZ 1093/1933). 72 Aktenvermerk vom 16. Jänner 1934, a. a. O. 73 Kautsky verdiente monatlich 694 Schilling. Weil eine Gehaltserhöhung nicht in Frage kam, hatte die Direktion im Juni 1933 den Professorentitel für ihn beantragt, wofür er aber mit 38 Jahren noch zu jung war; man entschloß sich daher zu einer „einmaligen Sonderentschädigung“ von 300 S (AdR-03/ BMfU-ÖBThV-GZ 546/1933 und 600/1933).

53 gewürdigt. Für ihn war Zypern, der Schauplatz der Oper, „letzte Berührung mit einem glutvollen, regellosen Osten, ungemildert durch das Griechen- oder Kreuzrit- tertum.“ (Das Symbol der Kreuzzüge, das Kruckenkreuz, sollte bald – als Gegen- stück zum Hakenkreuz – zum Symbol der Vaterländischen Front gemacht werden.) Und er stellte sich eine Frage, die damals noch nicht politisch unkorrekt klang: „Wie macht man einen Neger zum angesehenen Befehlshaber vollendeter Renaissance- menschen, wie schreitet man von edlen Gesandtschaften und Zeremonien zum Morde durch Erdrosseln?“74 Regisseur Wallerstein hatte diesem Problem durch eine Abänderung des von Kalbeck übersetzten Librettos beikommen wollen, die aber vom Dirigenten Clemens Krauß zum Teil wieder rückgängig gemacht wurde. Die Premierenberichte fielen hinsichtlich Text, Besetzung und Musik völlig unterschied- lich aus, und auch die Bühnenbilder wurden nicht nur positiv aufgenommen. Über die Neugestaltung der Ausstattung freute sich jedenfalls der Rezensent der Stunde, „zumal der seit Jahrzehnten mitgeschleppte szenische Rahmen schleißig war.“75 Und die Wiener Neuesten Nachrichten schrieben: „Die Kostüme hat Herbert Ploberger entworfen – sie gehören mit zum Besten der ganzen Neuinszenierung. Mit auffallend sicherem Blick für thea- tralisch-edle Wirkungen sind die Farben abgetönt, die Formen plastisch durchgearbeitet.“76 Plober- ger und Holzmeister war es anscheinend gelungen, trotz der Sparmaßnahmen eine einheitliche, optisch überzeugende Wirkung zu erzielen. Plobergers Figurinen sind frontal und mit leeren Gesichtern gezeichnet; ein Blatt ist Jago, ein anderes Montano, Cassio und Rodrigo gewidmet. Das Volk von Cypern füllt zwei Blätter, es sind zwölf Männer und zwölf Frauen, deren Kleidung nur in großzügigen Farbflecken angedeutet ist.77

Kostümentwürfe für Wolf-Ferraris musikalische Komödie Die vier Grobiane, von Plo- berger mit dem Hinweis „Staatsoper 1933, nicht ausgeführt“ versehen, stehen paradig- matisch für viele andere letztlich nicht verwirklichte Projekte, mit denen er sich malerisch auseinandergesetzt hat. Othello sollte somit seine einzige Arbeit an der Wiener Staatsoper bleiben. Wenige Monate später arbeitete er ein letztes Mal mit Holzmeister zusammen, und zwar nochmals für ein Passionsspiel, das im März 1934 am Burgtheater aufgeführt werden sollte. Das große Interesse für Inszenierungen christlich-religiösen Inhaltes hing mit der Rekatholisierungspolitik der Regierung zusammen, an der Holzmeister aktiv beteiligt war.78 Karl Schönherr, der Autor von Passionsspiel, konnte daher sichergehen, daß sein Stück auf entsprechendes Interesse von offizieller Seite stoßen würde. Er umwarb schon im Vorfeld die Zeitungsleser: „Mein Passionsspiel ist durchaus nicht volkstümlich, ist nicht für Dialektaufführun-

74 Joseph Gregor, Othello, neu gestaltet in Die Bühne, Erstes Dezemberheft 1933, S. 14–17. 75 Die Stunde, 17. Dezember 1933. 76 Jarosch in Wiener Neueste Nachrichten, 17. Dezember 1933. 77 ÖThM, Fig. „Othello. Jago“ (HÜ 54284), „Othello. Montano–Cassio–Rodrigo“ (HÜ 54285), „Othello“ ([12 Frauen aus dem Volk] HÜ 54287) und „Othello“ ([12 Männer aus dem Volk] HÜ 54288). 78 Siehe: E. Klamper, a. a. O., S. 151.

54 gen gedacht und soll so, ohne an bestimmte gebietsweise Wirkung gebunden zu sein, zu allen Deutschen in gleicher Weise sprechen.“79 Direktor Röbbeling hatte die Premiere, die er „als ein Weihespiel zu symbolischem Termin bringen wollte“80, für den Palmsonntag angesetzt. Sie trug „festlichen Charakter, das dichtbesetzte Haus folgte in stiller Ergriffenheit den Vorgängen auf der Bühne. Unter den Anwesenden bemerkte man Kardinal Innitzer, Bundespräsident Miklas und Gattin, die Gemahlin des Bundeskanzlers, Frau Alwine Dollfuß, Bundesminister Schmitz, Sektionschef Pernter, Polizeipräsident Seydl, Frau Minister Schuschnigg u. v. a.“81 Ein eigens für den Anlaß hergestellter Theatervorhang, der ein Kreuz mit den Leidenssymbolen zeigte, stimmte das Publikum, das auf den Programmzetteln gebeten wurde, von Beifallskundgebungen Abstand zu nehmen, auf das Thema ein. „Dennoch war ein innerliches Mitgehen deutlich zu merken.“82 Der „starke [...] äußere [...] Erfolg“ wurde „flüsternd mitgeteilt [...], da Applaus verboten war.“83 Für Regie, Darstellung, Bühnenbild, Kostüm und Musik fanden die Kritiker fast einhellig lobende Worte, aber Schönherrs Text wurde unterschiedlich aufge- nommen, man warf dem Autor sogar Verletzung religiösen Empfindens vor.84 Das ist nicht weiter verwunderlich, denn einige „weltliche“ Aspekte prädestinierten es geradezu für Kritik; abgesehen von manchen Dialektausdrücken brachte der Autor mit dem Motiv gekränkter männlicher Eitelkeit als Grund für den Judasverrat das Thema Sexualität ins Spiel. „Damit“, fand Oskar Maurus Fontana, „sind wir aus dem Legendären in den Naturalismus, aus dem Mythischen ins Profane geraten.“85 Mit diesem Vorwurf war Schönherrs Realismus gemeint, denn er ließ seine Nebenfigu- ren Arbeitslosen- und Behindertenprobleme ansprechen und machte damit aus dem Passionsspiel auch ein Zeitstück. Er setzte seine dramaturgischen Mittel virtuos ein, und durch eingebaute Überraschungsmomente gelang ihm eine erstaunlich span- nende Variante der bekannten Geschichte. Mit einer neuen Figur, Rahel, erweiterte er den historischen Zeithorizont. Dieser Name ist übrigens neben der Figurine Maria Kleopha bei Plobergers Entwürfen für die Golgotha-Inszenierung des Vorjahres ver- merkt; da für Schönherrs Passionsspiel keine Originalentwürfe erhalten sind, legt diese Doppelbeschriftung den Schluß nahe, daß Ploberger seine Kostümideen zumindest teilweise nochmals verwendete, zumal auch bei dieser Produktion wieder gespart werden mußte.86 Im Kostenvoranschlag waren nur für ein paar Hauptfigu- ren neue Tuniken bzw. Mäntel und für den Chor „Ergänzungen, Schärpen, Perücken, Bärte und Kleinigkeiten“ vorgesehen, es ist daher anzunehmen, daß großteils der

79 Wiener Neueste Nachrichten, 20. März 1934. 80 Volkszeitung, 02. März 1934. 81 Morgen (?), 26. März 1934 (Archiv des Burgtheaters). 82 Oskar Maurus Fontana in Der Tag, 27. März 1934. 83 Neues Wiener Journal, 26. März 1934. 84 Wiener Neueste Nachrichten, 27. März 1934. 85 Der Tag, 27. März 1933. 86 Fig. „Passion. Magdalena–Maria Kleopha/Rahel–Salome–Veronica“ (ÖThM, HÜ 54257).

55 Fundus herangezogen wurde.87 Holzmeister erhielt für die Ausstattung nur 500 Schilling; was Ploberger verdiente, ist nicht belegt.88 Die Kritiker taten sich diesmal schwer, ihre Gedanken mehr als nur phrasen- haft zu formulieren; die „stilvollen Kostüme“89 „brachten überaus interessante Zeitfarbe“90, „beton[t]en das Malerische“91 oder „kontrastier[t]en die römische und die jüdische Welt.“92

Kurz nach der Premiere von Passionsspiel, am 09. April 1934, unterschrieb Ploberger in Berlin seinen Beitritt zur „Reichsfachschaft Film“, wobei er auf dem Fragebogen angab, Kostümzeichner zu sein und keiner Partei anzugehören.93 Im selben Jahr lief der Ufa-Film Liebe, Tod und Teufel an, für den er die Kostüme entworfen hatte.

Die erste Phase der Bühnenarbeiten in Österreich endete im Dezember 1934 mit der Uraufführung von Garbers Tiroler Weihnachtsspiel am Deutschen Volkstheater in Wien, für die Ploberger das Bühnenbild erstellte. Marie Schell-Noe, welche in Golgotha die Rolle der Veronika gespielt hatte, verkörperte diesmal Maria. Das Stück und die Rezensionen der einzigen Aufführung, die – vermutlich der Kinder wegen – am Nachmittag stattfand, sind paradigmatisch für den herrschenden Zeitgeist. So enthielt zum Beispiel die Kritik im Neuen Wiener Tagblatt folgende Analyse: „Stets haben ja allzu reale Epochen im Hang nach Transzendentalem seelischen Ausgleich gesucht. Und es ist bezeichnend, daß man diesen Ausgleich nicht in Intellektualisie- rung, sondern in der Unverfälschtheit der Volksspiele zu finden trachtet.“94 Garbers Stück, in Verkündigung, Spiel vom Herbergsuchen, Hirten- und Dreikönigs- spiel eingeteilt, ist in einfachen Reimen verfaßt, wurde 1928 gedruckt und mit Holz- schnitten von Berta Schneider illustriert. Der Autor hat eine Teufelsfigur eingebaut, die auch eine Hanswurstrolle erfüllt, und das traditionelle Hirtentrio durch ein Beziehungsmotiv aufgelockert; Moidl, eine sehr junge Hirtin, widersteht sogar einem faustisch-teuflischen Verführungsversuch. Das Stück bietet nicht nur einige sprachli- che Derbheiten, es enthält auch politische Anspielungen; der Teufel reimt beispiels- weise in einem Monolog über die menschliche Freiheit: „Im Licht der letzten Aben- teuer scheint mir das Volk nicht mehr geheuer, und viel zu frei zu sein“, und die Anbetung der Hirten endet mit einem Appell des Nährvaters Josef für Südtirol. Gera- dezu politisch unkorrekt wirkt aus heutiger Sicht, daß Balthasar, der Mohrenkönig als dunkler Fremder dargestellt wird, dessen Körper abfärben könnte, wie der Hirte Jörg befürchtet: „Als letzten, Moidl, so kommt mir vor, mußt trinken lassen du den

87 AdR-03/BMfU-ÖBThV-GZ 811/1934. 88 Direktion Burgtheater an BThV, 06. Februar 1934 (AdR-03/BMfU-ÖBThV-GZ 394/1934). 89 Wiener Neueste Nachrichten, 27. März 1934. 90 Volkszeitung, 27. März 1934. 91 Der Tag, 27. März 1934. 92 Die Stunde, 27. März 1934. 93 Er erhielt die Mitgliedsnummer 3876 und wurde in der „Sondergruppe 6“ geführt. Als Beruf des Va- ters gab er „Industrieller“ an. (Fragebogen und Beitrittserklärung zur „Reichsfachschaft Film“, 09. April 1934 [Bundesarchiv Berlin/Ploberger, Herbert/Best. Sign. 02/Aktenband Nr. 2600/0157/18].) 94 Neues Wiener Tagblatt, 16. Dezember 1934.

56 Mohr, sonst wird die Milch nur schwarz.“95 Von den drei Königen bringt ausgerech- net Balthasar „Leid und Pein“, versinnbildlicht durch die Myrrhe, als Geschenk mit; der Teufel bereitet als sein Diener (und heimlicher Spion des Herodes) den Kinder- mord vor. Das störte damals niemanden, man war durch Kinderbücher wie Ginz- keys „Hatschi Bratschis Luftballon“ mit dem Klischee des aus fernen Ländern kom- menden Bösen von klein auf vertraut. Obwohl zu dieser Aufführung, die vom Theater der Jugend veranstaltet wurde, außer dem Stücktext, dem Theaterzettel und ein paar Zeitungskritiken kein weiteres Material zur Verfügung steht, kann man sich ein ganz gutes Bild machen. Das Neue Wiener Journal berichtete, daß „das Publikum des dichtgefüllten Hauses, in dem man sehr viele Kinder und geistliche Schwestern bemerkte, [...] diese Erstauf- führung mit Ergriffenheit und Beifall“ aufnahm.96 „Sie wird durch Bühnenbilder von Her- bert Ploberger unterstützt, die an alte Krippen gemahnen.“97 Die Anspielung an die Südtirol- frage dürfte nicht gestrichen worden sein, denn ein Kritiker erwähnte „Polemiken“. Es fällt auch auf, daß nun zunehmend oft der Begriff „deutsch“ verwendet wurde: „Daß dieses Spiel Josef Garbers doch einen sehr positiven Eindruck hinterläßt, ver- dankt der Dichter [...] dem großen Gewicht, das er [...] auf jenen Teil in der Geschichte Jesu legt, die sich der Deutsche ganz in sein Volkstum umgedeutet hat. [...] Voll befriedigten die Bühnenbilder Herbert Plobergers, der damit in manchen Szenen die opti- sche Wirkung zur eindrucksvollsten werden ließ.“98 „Akademischer Maler Herbert Ploberger stellt die schlichten, stimmungsvollen, an die primitiven gemütinnigen deutschen Meister erinnernden Szenenbilder und Bewegungsgruppen.“99

Berlin 1935–1945

Ploberger sollte erst nach dem Krieg wieder in Österreich arbeiten. Bis zum Ende des NS-Regimes war er freiberuflich für die deutschen Filmproduktionsfirmen Ufa, Terra, Tobis und Prag-Film tätig. An Theaterarbeiten ist aus diesen Jahren nur eine Ausstattung von ihm bekannt, Shakespeare’s Das Wintermärchen am Deutschen Theater Berlin, an dessen Premiere im Dezember 1935 auch Propagandaminister Goebbels teilnahm, wie die Zeitungen berichteten. Max Reinhardts Nachfolger Heinz Hilpert führte Regie, Lil Dagover, Hedwig Bleibtreu und Paul Dahlke gehör- ten zur hochkarätigen Besetzung. 1935 kamen auch Hilperts Oscar Wilde-Verfil- mung Das Abenteuer der Lady Windermere sowie Königswalzer in der Regie von Herbert Maisch heraus, in dem Paul Hörbiger, Willi Forst und Curd Jürgens mitspielten. Das Jahr 1936 brachte die Operettenverfilmung Der Bettelstudent mit Johannes Heesters und Marika Rökk, und die Kriminalgeschichte Savoy-Hotel 217 mit Hans Albers, Bri-

95 Dritter Akt, S. 69. 96 Neues Wiener Journal, 15. Dezember 1934. 97 Neues Wiener Tagblatt, 16. Dezember 1934. 98 Wiener Neueste Nachrichten, 16. Dezember 1934. 99 Wiener Zeitung, 18. Dezember 1934.

57 gitte Horney, Käthe Dorsch und Gusti Huber. Die Dreharbeiten von Luis Trenkers Condottieri führten Ploberger für mehrere Monate nach Italien, wo er sehr schnell Ita- lienisch (nach Englisch und Französisch bereits seine dritte Fremdsprache) lernte. Für Trenkers Matterhorn-Film Der Berg ruft und die Verwechslungskomödie Frühlingsluft machte er zusammen mit Erich Grave die Bauten. 1938 kamen zwei weitere Filme heraus, für die er die Kostüme entworfen hatte, Sergeant Berry mit Hans Albers unter der Regie von Herbert Selpin100 und die Schikomödie Liebesbriefe aus dem Engadin101 mit Luis Trenker. Im Jahr 1938 wäre Ploberger beinahe zum Ausstattungschef der Wiener Staatsoper bestellt worden. Bis zum Tag des Anschlusses standen seine Chancen gut, in der Mittagsausgabe des Neuen Wiener Tagblattes vom 15. März 1938 war sogar schon zu lesen: „Wie wir erfahren, wurde als Ausstattungschef der Staatsoper Her- bert Plohberger [!] verpflichtet. Plohberger [!] war vor Jahren schon im Burgtheater und auch bei den Salzburger Festspielen als Ausstattungskünstler tätig und wirkte zuletzt an der Ufa in Berlin.“ Clemens Holzmeister, der im Ständestaat zum kulturel- len Multifunktionär avanciert war, hatte sich für seine Ernennung eingesetzt und noch im Februar urgiert: „Sowohl von Seite des Herrn Ministers, als auch des Herrn Sektionschef [!] Dr. Eckmann wurde mir mitgeteilt, daß einer Berufung Ploberger’s [!] an die Staatsoper nichts mehr im Wege stünde und an Sie die diesbezgl. Mittei- lung hinausgegangen wäre. Der Genannte hat aber noch immer keine Nachricht erhalten und möchte natürlich wissen, zu welchem Termine die Berufung erfolgen soll.“102 Ploberger erhielt daraufhin folgenden Brief: „Sehr verehrter lieber Herr Plo- berger! [...] Seitens unserer vorgesetzten Behörde bestünde kein Einwand, daß Sie ab 1. September 1938 auf die Dauer eines Jahres in den Verband der Oper treten. Monatssold 600 Schilling. Eine Zusage, daß Ihnen im Laufe der Saison die Gesamt- neuausstattung von ein oder zwei Werken gegen gesonderte Vergütung übertragen werden wird, könnte freilich meinerseits nicht erfolgen. [...] Bei dieser Sachlage weiss ich nicht, ob ich Ihnen guten Gewissens raten soll, nach Wien zu gehen.“103 Plobergers Anstellung fiel allerdings der Annexion Österreichs durch das nationalsozialistische Deutsche Reich zum Opfer, denn ab dem 16. März 1938 ent- schied der „Reichsstatthalter“ persönlich über alle Personalveränderungen.104 Ende April erging folgende Absage an Ploberger: „Soeben erhalte ich den dienstlichen Auftrag, Herrn Ulrich Roller für die Stelle eines Kostümchefs zu engagieren. Mein

100 Selpin, wie Ploberger 1902 geboren, wurde 1942 wegen wehrmachtskritischer Äußerungen verhaftet und starb unter ungeklärten Umständen in seiner Zelle. 101 Der Schauspieler Robert Dorsay (1904–1943), der in dem Film einen Kammerdiener spielte, wurde 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet. 102 Holzmeister an Kerber, 21. Februar 1938 (AdR-03/BMfU-Oper-GZ 296/1938). 103 Brief ohne lesbare Unterschrift an Ploberger, 05. März 1938 (AdR-03/BMfU-Oper-GZ 296/1938). 104 Der „Reichsstatthalter“ hatte am 16. März 1938 bestimmt: „Vom heutigen Tage an dürfen Neueinset- zungen und sonstige personelle Veränderungen nur von mir [...] angenommen werden. Hievon wird der Direktion der Staatsoper mit dem Ersuchen Mitteilung gemacht, alle bisher erfolgten Maßnah- men auf personellem Gebiet [...] zu berichten.“ (Staatstheaterverwaltung [Eckmann] an Direktion der Staatsoper, 17. März 1938 [AdR-03/BMfU-Oper-GZ 362/1938].)

58 Hinweis, daß die Verhandlungen mit Ihnen doch schon sehr weit fortgeschritten sind und nach meinem Ermessen eigentlich schon rechtsverbindlichen Charakter haben, wird ignoriert. Ich muß es Ihnen überlassen, wie Sie die Situation juristisch ansehen wollen [...].“105 Ploberger blieb also in Berlin, wo ihm am 20. Juni 1938 erneut ein Mitglieds- ausweis der „Reichsfilmkammer Fachschaft Film“ ausgestellt wurde, in dem sein Beruf diesmal als „Filmbildner“ angegeben war.106 Diese Mitgliedschaft war im Deutschen Reich die Grundvoraussetzung für eine Arbeitsmöglichkeit beim Film, wer sie nicht erhielt, war praktisch mit einem Arbeitsverbot belegt; auf diese Weise hatte man ab der Machtübernahme 1933 jüdische Kulturschaffende zur Emigration gezwungen. Er arbeitete zwischen 1934 und 1945 an etwa 30 Filmen mit, unter denen auch Ohm Krüger (1941), Die Entlassung (1942) und Kolberg (1943–45) waren, die von den nationalsozialistischen Instanzen mit dem Prädikat „staatspolitisch besonders wertvoll“ bzw. „Film der Nation“ ausgezeichnet und daher von den Alliierten nach dem Krieg mit Aufführungsverbot belegt wurden.107 Bei den Filmarbeiten verdiente Ploberger zwischen 300 und 500 Reichsmark wöchentlich, manchmal erhielt er für Vorarbeiten zusätzlich eine Pauschalzahlung.108 Im Mai 1941 bestätigte er nochmals auf einem Fragebogen, kein Mitglied der NSDAP zu sein.109 Im März 1940 heiratete er in Berlin die um elf Jahre jüngere Welserin Isabella Hartl. Ihr Vater Johann war während des Ständestaates christlich-sozialer Bürger- meister von Wels gewesen, die Familie hatte eine Dienstvilla neben dem Anwesen der Plobergers bewohnt. Unmittelbar nach dem Anschluß war Hartl einige Wochen interniert gewesen110; außerdem hatten Nazis versucht, Isabella, die in Wien Archi- tektur studierte, an ihrem Diplomabschluß zu hindern, indem sie ihren Spind aus- räumten. Sie war daher bald nach ihrer bestandenen Abschlußprüfung im Juli 1938 nach Berlin übersiedelt, wo sie die politische Atmosphäre in Herberts Kreisen als wesentlich freier empfand, und arbeitete als Innenarchitektin bei dem Behrens-Schü- ler Petersen. Dieser kannte Leni Riefenstahl von Filmarbeiten mit Arnold Fanck, möglicherweise erhielt Isabella deshalb den Auftrag, zusammen mit Erich Grave die Dekorationen für Riefenstahls Opernverfilmung Tiefland, für die Herbert einen Kostümvertrag hatte, zu bauen. Die beiden wohnten in einer Villa in Berlin-Grune- wald, wo sie oft Gäste empfingen. Zum engeren Kreis des Ehepaares gehörten der

105 Brief ohne lesbare Unterschrift an Ploberger, 27. April 1938 (AdR-03/BMfU-Oper-GZ 538/1938). Ul- rich Roller, ein Sohn des Bühnenbildners und Malers Alfred Roller, fiel 1941 als Kriegsfreiwilliger. (Siehe: Manfred Wagner, Alfred Roller in seiner Zeit [Residenz: Salzburg – Wien, 1996].) 106 Bundesarchiv Berlin/Ploberger, Herbert/Bestandssignatur 02/Aktenband Nr. 2600/0157/18. 107 Siehe: Klaus Kanzog, Staatspolitisch besonders wertvoll. Ein Handbuch zu 30 deutschen Spielfilmen der Jahre 1934 bis 1945 (diskurs film Verlag: München, 1994). 108 Zum Vergleich: 1 kg Schwarzbrot kostete in den Kriegsjahren im Durchschnitt etwa 0,35 Reichs- mark. 109 Bundesarchiv Berlin/Ploberger, Herbert/Bestandssignatur 02/Aktenband Nr. 2600/0157/18. 110 Meldekartei Isabella Hartl (Magistrat Wels, Melde-, Paß- u. Wahlservice) bzw. Information durch Herrn Günter Kalliauer, Stadtarchiv Wels. Nach dem Attentat auf Hitler wurde Hartl nochmals ver- haftet.

59 Schauspieler Curd Jürgens, der Schriftsteller und Drehbuchautor Kurt Heuser und der Flieger Ernst Udet. Im Gegensatz zur elegant möblierten gemeinsamen Woh- nung hatte Ploberger unter dem Dach ein Atelier für sich eingerichtet, das mit Bücherkisten, die als Regale dienten, und einem Feldbett sehr einfach ausgestattet war. Isabella machte als Filmarchitektin Karriere und wurde Mutter zweier Kin- der. Stephanie kam 1941 in Baden zur Welt und blieb bei ihrer mütterlichen Groß- mutter Antonia Hartl in Gallneukirchen im Mühlviertel; eine Übersiedlung des Kin- des nach Berlin wurde durch eine Brandbombe vereitelt, die das Haus in Berlin zer- störte und das Ehepaar Ploberger zwang, bei Freunden unterzukommen. Im Jänner 1945 wurde Konstantin geboren, der ebenfalls bei der Großmutter aufwuchs. Die Ehe wurde einige Jahre später geschieden, Isabella heiratete im März 1950 den Maler Werner Schlichting, mit dem sie die Bauten für zahlreiche Filme entwarf. Sie starb im Alter von 89 Jahren im November 2002.111

Herbert Ploberger hatte das Glück, keinen Kriegsdienst leisten zu müssen, er war als „Ersatzreserve I“ eingestuft worden, was bedeutete, daß er zwar wehrfähig, aber beurlaubt war.112 Gegen Kriegsende rettete ihn anscheinend ein Trick davor, doch noch eingezogen zu werden, wie ein Journalist berichtete: „Sieht man ihn in seinem Atelier [...], so fällt einem zunächst das eigenartige, fast starre Auge auf, das auch auf einen fixierenden Blick nicht reagiert. [...] ,Diesem Auge‘, meint Ploberger, ,verdanke ich vermutlich mein Leben. Nachdem ich lange dem Militär entgangen war, fing mich gegen Ende des Krieges die SS ein, um mich an die Front zu stellen. Ich wurde in einem Lastwagen zu irgendeiner Untersuchungsstelle transportiert, während die- ses Transportes rieb ich etwas an meinem Auge herum, und als ich aus dem Auto taumelte, machte der Ausdruck meiner Augen es jedermann glaubhaft, daß ich keine drei Schritt weit sehen könne. Da schickte mich die SS wieder heim.‘“113

Linz 1945–1946

Zu Kriegsende war Ploberger mit einem Team des Regisseurs Hans Steinhoff in Prag, wo mit Hans Albers, Grethe Weiser, O. W. Fischer u. v. a. Shiva und die Galgen- blume gedreht wurde.114 Der Film wurde nie fertiggestellt, da durch den Vormarsch der Roten Armee die Arbeiten vorzeitig abgebrochen wurden. Ploberger floh nach

111 Aus Gesprächen mit Frau Stephanie Wagner, der Tochter aus erster Ehe bzw. WSTLA, MA 8, Melde- referat, Meldeunterlagen; siehe auch: Leni Riefenstahl, Memoiren (Knaus: München, 1987). 112 Siehe: Rudolph Absalon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. III (Boldt: Boppard, 1975), S. 83, 347 und 350. 113 Neue Zeit, 15. Jänner 1946. 114 Quelle: Neue Zeit, 15. Jänner 1946 bzw. Georg Wacha, Herbert Ploberger und das Bühnenbild, Son- derdruck des Musealvereines Wels, S. 459–468, hier S. 462.

60 Gallneukirchen, wo er zusammen mit seiner von ihm bereits getrennt lebenden Frau und dem gemeinsamen Freund Kurt Heuser bei seiner Schwiegermutter unterkam. Von dort ging er nach Linz, wo er anfangs mit Isabella Clubs, Bars und Wohnungen für die Amerikaner einrichtete. Im Spätherbst begann er für das Landestheater zu arbeiten; im Lauf der ersten Nachkriegssaison schuf er für insgesamt dreizehn Pro- duktionen die Bühnenbilder. Es ist erstaunlich, daß das Theater trotz der äußerst schwierigen Bedingun- gen – anfangs mangelte es sogar an Schauspielern und Musikern – betrieben wer- den konnte. Wegen der „Theatersperre“ war es ein Jahr lang geschlossen gewesen, die verbliebenen Ensemblemitglieder hatte man zum Kriegsdienst verpflichtet bzw. zur Waffen-SS als Bewacher – u. a. in den Lagern Mauthausen und Großraming – zwangsrekrutiert, sie kamen daher nach der Befreiung in Gefangenschaft.115 Am 25. Juli 1945 hatte man das Haus, das zum Glück nicht bombardiert worden war, wiedereröffnet, aber Ignaz Brantner, der es seit 1932 durchgehend geführt hatte, ver- lor bald im Rahmen der Entnazifizierung seinen Posten. Nach einer Interimszeit übernahm Viktor Pruscha am 15. November 1945 die Intendanz unter komplizierten Voraussetzungen. Das Theater gehörte dem Land Oberösterreich und war von Stadt und Land subventioniert. Pruscha war zwar Privatunternehmer, mußte aber die Spielpläne sowohl von der Landesregierung als auch von der amerikanischen Besat- zungsbehörde genehmigen lassen. Letztere nahm in Form der Theatre & Music Section des International Services Branch (ISB) Einfluß auf die Spielplangestaltung, da es zu ihren Aufgaben gehörte, die Österreicher mit amerikanischen Theaterstücken bekanntzumachen, wofür aber anfangs die nötigen Übersetzungen bzw. Rechte fehl- ten.116 Dazu kam noch, daß Pruscha über sein Haus nur an drei Tagen pro Woche verfügen konnte, weil die Amerikaner es während der restlichen Zeit für ihre eige-

115 Eine „Liste derjenigen Gefolgschaftsmitglieder des Reichsstatthalters und des Oberfinanzpräsidi- ums, die im Zuge der seinerzeitigen Gauleiter-Aktion zur Bewachung von KZ-Häftlingen notdienst- verpflichtet wurden“, enthält u. a. folgende Namen: „Draschtik-Döring Rudolf (Schauspieler), Dunkl Wilhelm (Oberspielleiter), Hey Karl Peter (Schauspieler u. Sänger), Kral Alfons (Sänger, gefangen), Lexl Hans (Schauspieler), Maly Leopold (Schauspieler), Muster Hans (Chorsänger), Ortmayer Hein- rich (Schauspieler), Peyrl Theodor (Kapellmeister), Reimer Rudolf (Sänger), Skopp Karl (Chorsän- ger), Schantl Siegfried (Schauspieler), Wehner Wilhelm (Sänger), Zusanek Franz (Schauspieler).“ ([Unterschrift unleserlich] an Landeshauptmann Eigl, 23. Mai 1945; OÖLA, Landesregierung-Präsi- dium, MF 515/30.) Ein ehemaliger KZ-Häftling des Lagers Großraming schrieb in einem Leserbrief: „Anständige SS-Leute haben wir erst kennengelernt, als die Zwangsrekrutierungen unter den Mit- gliedern der Linzer Orchester- und Theatermitglieder begannen.“ (Tagblatt, 09. Februar 1946.) 116 Die drei wichtigsten Aufgaben der Theatre & Music Section des ISB bestanden darin, „1) To make the Austrians acquainted with representative American plays and music, spreading hereby in an unob- trusive way the meaning of democracy. 2) To rehabilitate theatrical and musical life in the U.S. Zone of . 3) To take part in the denazification of theatrical and musical activities in Austria.“ (Ernst Lothar, Memo vom 24. April 1947 [Washington, National Archives, Record Group 260/35].) In der Saison 1945/46 kamen in Linz zwei amerikanische Dramen, Robert Ardrey’s Thunder Rock und Franz Werfels Jacobowsky und der Oberst, zur Aufführung. (Werfels Drama entstand in der Emigration in den U. S. A., wo er im August 1945 starb.)

61 nen Aktivitäten beanspruchten.117 Ein möglicher Ausweg, nämlich die Suche nach zusätzlichen Spielorten, erwies sich aufgrund der Bombenschäden in der Stadt als schwierig.118 Im Winter fehlte es außerdem an Heizmaterial, was den verzweifelten Theaterleiter zu einem Hilferuf an die Landesregierung veranlaßte: „Ich erachte es als meine Pflicht darauf aufmerksam zu machen, daß das Landestheater [...] noch immer kein Heizmaterial erhalten konnte [...], da angeblich laut einer Weisung von Wien, Theater und Kinos Heizmaterial nicht erhalten dürfen. Ich erlaube mir hierzu zu bemerken, daß logischerweise sich die Figuren auf der Leinwand natürlich nicht erkälten können, wohl aber die Sänger auf der Bühne, die Schauspieler, der Chor und das Ballett.“119 Zusätzlich zur Kälte machte den Künstlern auch der Hunger zu schaffen, denn ein Ansuchen um Gleichstellung der Chor-, Ballett- und Orchester- mitglieder mit den Solisten und Garderobearbeitern, die Anspruch auf bessere Lebensmittelkarten hatten, wurde vom Gewerbeinspektorat abschlägig be- schieden.120 Otto de Pasetti, der leitende Theatre & Music Officer des ISB, befürchtete für den Winter 1945/46 allerdings nicht Hunger und Kälte, sondern das Aufflammen nationalsozialistischer Aktivitäten.121 Aber das Linzer Publikum war dankbar für jede Zerstreuung und Ablenkung, und im Lauf der Monate fanden sich auch bald wieder die Namen von altbekannten Publikumslieblingen auf dem Spielplan, für deren Freilassung sich nicht nur ihre Verwandten, sondern auch offizielle und kirch- liche Stellen bemühten hatten.

117 Anfang 1946 schien sich die Lage bereits etwas entspannt zu haben. „Die Atmosphäre zwischen Theater und Amerikanern hat sich in den letzten Wochen wesentlich gebessert. Es kommen keinerlei Beschlagnahmungen von österreichischen Spieltagen vor, außer es wird Ersatz geboten. Die Ameri- kaner scheinen überhaupt etwas theatermüde geworden zu sein. Man hört, daß sie das Theater in absehbarer Zeit überhaupt frei geben sollen.“ (Aktenvermerk Presse- und Theaterreferat der OÖ. Landeshauptmannschaft vom 16. Jänner 1946 [OÖLA, Archiv der Landesregierung, Schachtel 263- 1946, K 448].) 118 Im Jänner 1946 wurde mit dem katholischen Gesellenverein über dessen Räumlichkeiten in der Langgasse verhandelt. Die Pläne sahen vor, daß das Landestheater „mit eigenen Mitteln und auf ei- gene Kosten den fliegerbeschädigten Kinosaal“ instandsetzen und täglich bespielen sollte. Mit dem Erlös wollte man für einen Wiederaufbau des gänzlich zerstörten Theatersaales sparen. Das Projekt kam aber nicht zustande, weil eine alleinige Nutzung durch das Landestheater nicht möglich gewe- sen wäre. (Siehe: Aktenvermerk OÖ. Landeshauptmannschaft, Presse- und Theaterreferat, 31. Jän- ner 1946 [OÖLA, Archiv der Landesregierung, Schachtel 264-1946, K 635].) 119 Pruscha an Landesregierung, 04. Dez. 1945 (OÖLA, Archiv der Landesregierung, Schachtel 264- 1946, K 514). 120 Siehe: Kulturreferat an Gewerbeinspektorat, 11. Mai 1946; Gewerbeinspektorat an Kulturreferat, 15. Mai 1946 (OÖLA, Archiv der Landesregierung, Schachtel 263-1946, K 253 u. 244). 121 „[...] The winter especially will be hard. It is the most dangerous time for developing Nazi activities. According to the Austrian character and its critizising mind, the theatre and especially the little shows (revues, cabarettes) will be the best place to put on sarcasm, critizism, derisions against the Austrian Government and even the occupying forces.“ (De Pasetti, Memo an Dr. Albert van Eerden, 18. September 1945 [Washington, National Archives, Record Group 260/44/30].)

62 Plobergers Arbeit am Landestheater begann mit Franz Pühringers Der gestiefelte Kater.122 Obwohl es sich um eine Märchenaufführung für Kinder handelte, wurde darüber in den wichtigsten Zeitungen berichtet, wobei keiner der Rezensenten ver- gaß, das Bühnenbild zu erwähnen: „Geschickt brachte Pühringer die abwechslungs- reiche Handlung in einem Bühnenbilde unter, das Architekt Ploberger in seinem Kunstsinn als blumige Wiese darstellte.“123 „Von ungewöhnlicher Wirkung das Bühnenbild des Architekten Ploh- berger [!]; es ist selber eine Zauberei, auf der kleinen Bühne Wiese und Märchenstimmung wirk- lich aufblühen zu lassen.“124 Ploberger war damals auch als Bühnenbildner für die projektierten Städti- schen Kammerspiele im Rathaus vorgesehen.125 Dort wollte das Kulturamt der Stadt Linz in Zusammenarbeit mit Pruscha, der die Schauspieler des Landestheaters zur Verfü- gung stellen sollte, ein „Programm für Liebhaber selten zugänglich gemachter dra- matischer Kunst“ verwirklichen.126 Pühringer war als Kulturbeauftragter dafür ver- antwortlich und leitete die ehrgeizige Kammerspielreihe kurz vor Weihnachten mit Büchners Leonce und Lena ein.127 Zeitungsannoncen lockten mit dem Hinweis, daß der Rathaussaal geheizt sei. Pühringers Bearbeitung, in der Veit Relin als Leonce reüs- sierte, wurde aber nur mit gedämpfter Begeisterung aufgenommen. „Doch selbst dieser Torso des Torsos Büchners wirkte noch stark; das machte die in unwahrscheinlicher Weise zugleich einfache wie romantische Dekoration Herbert Plobergers, [...], die hingegebene Regie [...] und die schauspielerische Leistung des jugendlichen Ensembles.“128 Obwohl der Saal weiterhin für musikalische Veranstaltungen und Vorträge genützt wurde, scheint die Reihe der Städtischen Kammerspiele mit der Aufführung der Kam- meroper Mozart auf der Reise nach Prag, bei der Ploberger allerdings nicht mitarbeitete, im Februar 1946 ein baldiges Ende genommen zu haben.129 Möglicherweise scheiterte das Projekt an der organisatorischen Praxis, denn Pruscha kämpfte mit Besetzungsschwierigkeiten. Er hatte zum Beispiel die Premiere der Zauberflöte zweimal verschieben müssen, weil Frieda Müller, die Sängerin der Königin der Nacht, lange Zeit keine Reiseerlaubnis von Wien nach Linz erhalten hatte.

122 Der Lyriker und Dramatiker Franz Pühringer (1906–1977) hatte ebenso wie Ploberger in der Zeit- schrift Der Querschnitt veröffentlicht. 1934 gründete er die „Linzer Puppenspiele“, die mit Unterbre- chungen auch während des Krieges spielten und 1946 neu organisiert wurden. Wie Justus Schmidt zu Plobergers 60. Geburtstag schrieb, gehörte Pühringer zu dessen Freunden. Pühringers Dramen wurden am Wiener Burgtheater und an verschiedenen deutschen Bühnen uraufgeführt. (Siehe: Amt- liche Linzer Zeitung, 09. Februar 1951 und 08. Oktober 1954.) 123 Tagblatt, 06. Dezember 1945. 124 Hubert Razinger in Oberösterreichische Nachrichten, 29. November 1945. 125 „Die Inszenierung der genannten Werke wird der jeweils geeignetsten Spielleitung anvertraut wer- den und für das Bühnenbild konnte Herbert Ploberger, ein Bühnenbildner von europäischem For- mat, der Ausstattungen für Max Reinhard [!], die Wiener Staatsoper, große Londoner Theater und eine Reihe bekannter Filme schuf, gewonnen werden.“ (Oberösterreichische Nachrichten, 19. September 1945.) 126 Linzer Volksblatt, 18. Dezember 1945. 127 Siehe auch: Christian Hanna, Das Linzer Landestheater 1945–1980, S. 09. 128 Hubert Razinger in Oberösterreichische Nachrichten, 21. Dezember 1945. 129 Die von Pühringer nach Mörike bearbeitete Oper hatte am 06. Februar 1946 Premiere.

63 Daß das nicht das einzige Problem bei der Produktion dieser Oper war (man erin- nere sich an Pruschas verzweifelte Bitte um Kohle), ist aus den Rezensionen abzule- sen: „Die ,Zauberflöte‘ war ein Erfolg. [...] Einige widerspenstige Kleinigkeiten, wel- che die Premiere nicht im geringsten störten, haben ihren Grund in der Tatsache, daß infolge der schwierigen Theaterverhältnisse die Ausstattung nicht zur General- probe, sondern erst knapp zur Premiere fertiggeworden ist. Herbert Ploberger unterstützt mit seinen Bühnenbildern den Willen des Intendanten: Eine gesunde, ins 20. Jahrhundert über- setzte Romantik hat kalte Sachlichkeit überwunden.“130 „Wohltuend wirkte in ihrer Einheitlichkeit des Stils die vornehme Bühnengestaltung Herbert Plobergers, obgleich einige Bühnenbilder einen ungewohnten Anblick boten.“131 Plobergers Arbeiten, die möglicherweise in eisiger Kälte entstanden, was sich auch auf den Aggregatzustand der Farben und des sonstigen Materials wie Kleber etc. auswirken mußte, fanden aber nicht nur Zustimmung: „Die Bühnenbilder genügen augenblicklichen Ansprüchen, bedürften aber einer eingehenderen, phanta- sievolleren Beschäftigung mit dem Thema.“132 Ein einziger Entwurf, die Königin der Nacht, ist erhalten. Sie steht in einem hellen, plissierten Empirekleid auf einer Mondsichel, von ihren ausgebreiteten Armen fällt ein durchsichtiger Sternenschleier bis zum Boden. Ein Sternendiadem schmückt ihren Kopf, und der tiefblaue Himmel ist ebenfalls mit Sternen übersät. Der Boden besteht aus braunschwarzen, zackigen Felsen.133 Alle anderen Entwürfe für die verschiedenen Bilder, welche im Linzer Volksblatt anschau- lich beschrieben waren, sind leider verschollen.134 (Abb. 07) Ploberger war in diesen Wochen sehr produktiv, denn die dritte Premiere innerhalb weniger Tage war die Silvesteraufführung der musikalischen Komödie Bei Kerzenlicht, die vom Publikum dankbar aufgenommen wurde. Über das Bühnenbild stand in den Zeitungen, daß es „freundlich“135 bzw. „ein Bühnenbild Linie Casanova“136 war, was immer das auch heißen mochte. Das anspruchslos-heitere Kabinettstück wurde mit 46 Aufführungen zur erfolgreichsten Produktion der Saison. Das Drama Leuchtfeuer des Amerikaners Robert Ardrey hingegen wurde, obwohl von den Kriti- kern begeistert akklamiert, nur zehnmal aufgeführt.137 Bereits am Premierentag, dem

130 Linzer Volksblatt, 24. Dezember 1945. 131 Tagblatt, 03. Jänner 1946. 132 Krist in Oberösterreichische Nachrichten, 24. Dezember 1945. 133 BB/Fig. zu Die Zauberflöte (Nordico-Museum der Stadt Linz). 134 „Es gab einen schönen Felsenhintergrund für den 1. Auftritt Taminos und Papagenos, eine funkelnde Pracht für die sternflammende Königin, eine für unsere Theaterdimension richtige Tempel-Szenerie, einen feinen orientalischen Hintergrund für die skurrile Lüsternheit des Monostatos, eine eindrucks- volle Grotte für die Proben in Feuer und Wasser, einen märchenhaft duftigen Zauberwald und ein glänzendes Schlußbild. Sehr glücklich die Lösung des stilisierten Gitters im zweiten Akt, das Tamino und Papageno während ihrer Prüfungen von der Außenwelt abschließt und hinter dem die unglück- liche Pamina und die rachedurstige ,Königin der Nacht‘ samt ihrem Gefolge auftreten.“ (Linzer Volks- blatt, 24. Dezember 1945.) 135 Tagblatt, 03. Jänner 1946. 136 Hubert Razinger in Oberösterreichische Nachrichten, 02. Jänner 1946. 137 Siehe: Christian Hanna, Das Linzer Landestheater 1945–80, Bd. 2, und Heinrich Wimmer, Linzer Theaterstatistik 1945/46–1967/68. Auch die folgenden Linzer Aufführungszahlen stammen aus die- sen Quellen.

64 Abb. 07: Herbert Ploberger, Szenenbildentwurf zu Die Zauberflöte 1945 (Nordico-Museum der Stadt Linz)

11. Jänner 1946, berichteten die Oberösterreichischen Nachrichten: „Die Darsteller haben in diesen Tagen ihr Aeußerstes geleistet. Stundenlang, ohne Unterbrechung, wurde auf der eiskalten Bühne geprobt.“ Die drei Akte spielen im Innenraum eines Leucht- turms, den der Autor im Text detailliert beschreibt. Ob Ploberger sich daran gehal- ten hat, ist den eher metaphysischen Rezensionen nicht zu entnehmen: „H. Ploberger gab das von den Schatten des Zweifels und der Vergangenheit wie von den Lichtern des Glaubens und der Zukunft gleich bewegte Bühnenbild: man wird diesen Leuchtturm von Thunder Rock, von dem das Blinkfeuer über die Zeiten und über die Erde streicht, nicht vergessen.“ „Spielleiter und Bühnenbildner (Architekt Ploberger) bemühen sich hier, das nüchtern-kahle [!] der Denkungsart einer sehr fortgeschrittenen Zivilisation zu mildern und unserem Geschmack anzupassen.“138 Leuchtfeuer wurde in den folgenden Monaten ebenso wie Die Zauberflöte auch in eigenen Schülervorstellungen gezeigt und in verschiedenen Unterrichtsfächern besprochen, wie einem Dankesbrief zu entnehmen ist, den Hubert Razinger als Direktor des Staatsgymnasiums an Pruscha richtete.139

138 Oberösterreichische Nachrichten, 11. bzw. 14. Jänner 1946. 139 Staatsgymnasium an Intendanz des Landestheaters, 18. Mai 1946 (OÖLA, Archiv der Landesregie- rung, Schachtel 263-1946, K 284).

65 Die nächste Premiere, Ka´lma´ns Operette Gräfin Mariza, für die Ploberger im Landestheater „einen von Rosen umkränzten Schloßhof und einen eleganten Schloßsaal geschaf- fen hat, Bühnenbilder, die sich sehen lassen können“140, fand bereits zwei Wochen später statt und war ein großer Erfolg. Plobergers Bilder wurden übereinstimmend als „prächtig“ bezeichnet.141 Ganz anders erging es der „ernsten Komödie“ Tanz im Ther- midor von Roland Marwitz, die wenige Tage später in den Kammerspielen aufge- führt wurde und die Erwartungen der Kritiker enttäuschte. Im Tagblatt wurde das Bühnenbild erwähnt, ein Sanatorium „zu Paris, in dessen mit dem Bilde Robespierres geschmücktem Salon sich der Faden der Handlung durchgehend abspinnt.“ Die gedämpfte Begeisterung spiegelte sich auch in den zurückhaltenden Erwähnungen des „werkgerechten Bühnenbildes“, das „gut harmonierte“ und „einen schönen Rahmen“ gab.142 Rossinis komische Oper Der Barbier von Sevilla, die eine Woche später im Lan- destheater Premiere hatte, fand hingegen wieder große Zustimmung und blieb bis 1949 auf dem Spielplan. „Intendant Viktor Pruscha hat [...] erneut bewiesen, daß er das Landestheater Linz zu einem bedeutsamen Kulturträger im neuen Oesterreich erheben wird. [...] Die geschmackvollen und stilistisch wohltuenden Bühnenbilder schuf Herbert Ploberger. Vor allem freuen wir uns, die schöne Idee des bleibenden Rahmens neu belebt zu sehen.“143 „Herbert Plobergers zwei Szenerien atmen eine durch leichtes Lachen geglättete Sinnlichkeit in unaufdringlich spanischer Zeichnung.“144 Nur in den Oberösterreichischen Nachrichten fand sich eine kritische Stimme: „Herbert Ploberger schuf ein schlichtes Bühnenbild, dessen spar- same Dekoration wohl mehr komödienhaft andeuten als aussagen sollte, doch hätten die Nuancen des Komponisten eine feinere Pointierung auch in dieser Hinsicht verlangt.“145 Dieses „schlichte Bühnenbild“ ist auf dem vorliegenden Entwurf überwiegend in Rosa und Rot gehal- ten und wirkt wie ein aufgeklapptes, von einem voluminösen Baldachin überdachtes Puppenhaus. In diesem Raum, dessen Interieur aus formschlichten Möbeln besteht, hat Ploberger zwei marionettenartige Figurinen mit ausgebreiteten, angewinkelten Armen, der typischen Hilflosigkeitsgeste seiner beiden Clowns, frontal zum Betrachter, d. h. zur Bühnenrampe, positioniert. Der Stil ihrer Bekleidung und die zierlich geschwungenen Karniesen über den Fenstern geben dem Ganzen einen Hauch von Rokoko.146 (Abb. 08) Das Theaterreferat beklagte in einem Tätigkeitsbericht an die amerikanische Militärregierung, daß die Oper nach ihrer Premiere nur zweimal innerhalb von drei Wochen aufgeführt werden konnte; der Grund dafür sei nicht nur im Ausfall von Spieltagen, sondern auch „in den durch die schlechten Wohnungsverhältnisse bedingten häufigen Erkrankungen der Darsteller“ zu suchen.147

140 Unfried in Linzer Volksblatt, 28. Jänner 1946. 141 Tagblatt, 29. Jänner 1946 und Neue Zeit, 31. Jänner 1946. 142 Oberösterreichische Nachrichten, Tagblatt, Linzer Volksblatt, alle: 04. Februar 1946. 143 Neue Zeit, 11. Februar 1946. 144 Unfried in Linzer Volksblatt, 11. Februar 1946. 145 Krist in Oberösterreichische Nachrichten, 11. Februar 1946. 146 BB/Fig. „Der Barbier von Sevilla, Linz 1946“ (Privatbesitz). 147 OÖ. Landeshauptmannschaft, Theaterreferat an Militärregierung, 27. Februar 1946 (OÖLA, Archiv der Landesregierung, Schachtel 263-1946, K 201, Mappe „K 207-1946“).

66 Abb. 08: Herbert Ploberger, Szenenbildentwurf zu Der Barbier von Sevilla 1946 (Privatbesitz)

Auch von Martin Costas musikalischer Komödie Hofrat Geiger ist ein Büh- nenbildentwurf erhalten. Er zeigt einen hohen Innenraum, dessen Plafond mit einer Kassettendecke abgeschlossenen ist. Tiefe gewölbte Mauernischen weisen ebenso wie die Fenster- und Türleibungen auf die Dicke der Mauern und damit auf das Alter des Hauses hin. Neben einem Kachelofen führt eine Holzstiege zu drei Türen im ersten Stock, in der Nische darunter stehen eine Eckbank und ein Tisch. Die überwiegenden Farben sind Orange, Türkisblau und Türkisgrün. Über dem Ein- gangsbereich ist eine großzügige Wandmalerei angebracht und alle Türen sind mit Lüftlmalerei verziert.148 Direktor Razinger, der auch Rezensent der Oberösterreichischen Nachrichten war, schrieb dazu, daß Plobergers Bühnenbilder „immer wieder so eigenwüch- sige Phantasie wie werkgetreues Stilgefühl verraten; ein so gefälliges Szenarium wie hier etwa die Wirtsstube in der Wachau, hat die kleine Bühne schon lange nicht gesehen.“149 Aus den Kritiken wird deutlich, wie gerne sich das Publikum mit dem volkstümlichen Geschehen auf der Bühne identifizierte, es gar als „echt“ empfand, wie Arnolt Bronnen beobachtete: „Man war wirklich ,dahoam‘ und konnte sich auch seelisch die Schlapfen anziehen.

148 BB „Hofrat Geiger, Linz 1946“ (Privatbesitz). 149 Razinger in Oberösterreichische Nachrichten, 02. März 1946.

67 Dies war das Beste an der Regie Ludwig Blahas, diese Behaglichkeit der Atmo- sphäre zu erzeugen, so daß man gelegentlich den Eindruck hatte, auf der Bühne gehe es echter zu als unten im Zuschauerraum. [...] Das Publikum belohnte das Spiel, das in einem niedlichen Rahmen von Herbert Ploberger [...] abrollte, mit lebhaftem Applaus.“150 Daß die Zuschauer eine Vorliebe für musikalische Lustspiele und Ope- retten hatten, beweist die Statistik, denn Bei Kerzenlicht, Hofrat Geiger und Gräfin Mariza wurden die drei erfolgreichsten Stücke der Saison. Obwohl mit der nächsten Produktion, Grillparzers Lustspiel Weh dem, der lügt! „nicht nur einem langgehegten Wunsch des literarisch=schauspielhungrigen Teiles des Theaterpublikums entsprochen, sondern [...] darüber hinaus echt österrei- chischem Empfinden Rechnung getragen“ wurde151, reichte das Publikumsinteresse trotz hervorragender Kritiken nur für elf Aufführungen. Über Plobergers Bühnenbil- der hieß es: „Das einfache, klare Bühnenbild gibt den Schauspielern den ruhigen, diskreten Hin- tergrund, vor dem sie ihre Bewegungen und Gesten wirkungsvoll entfalten können. Schon die Probe [...] zeigt klar und deutlich, daß hier unmittelbarer Kontakt mit der Dichtung und ihrem Schöpfer gewonnen wurde.“152 „Plobergers einfach-klare Bühnenbilder vor schwarzem Tuch boten dynamische Spielmöglichkeiten genug, dem zwar ernsten, aber keineswegs unlustigen Lustspiel an Komödiantischem zu geben, wessen es bedarf. Klar auseinandergehal- ten waren die zwei Welten: Kultur und Barbarei.“153 Zwei Entwürfe sind erhalten; auf dem in Blau, Grau und Grün gehaltenen Bild des ersten Aktes steht der Hausverwalter im kirchlichen Habitus vor dem Tor einer konkav gebogenen Mauer, die teilweise von blühender Vegetation verdeckt ist. Rechts vorne sitzt Leon, der mit großem Erfolg von Veit Relin dargestellt wurde, mit ausgebreiteten Armen auf einem Stein. Das zweite Bild stellt eine aus Quadern symmetrisch aufgebaute Burg mit Zinnen dar, die sich in Grauschattierungen vom schwarzen Hintergrund abhebt.154 Am 12. April 1946 fand im Landestheater der erste Ballettabend nach dem Krieg statt. Aufgeführt wurden Alfredo Casellas Der große Krug, Zolta´n Koda´lys Marosze´kertänze, Georges Bizets Arle´sienne-Suite, Antonin Dvora´ks Slawische Tänze, Werke von Johann Strauß und ein Walzer von Hans Hagen. „Den äußeren Rahmen hatte Herbert Ploberger in bekannter Meisterschaft gestaltet und mit seinen intimen, fast wie Seiten aus Bilderbüchern wirkenden Bühnenbildern die Voraussetzung geschaffen, daß dieser Ballettabend zu einem ganz außerordentlichen Erfolg wurde.“155 Auf Plobergers Bühnenbildentwurf für Casellas Der große Krug, dessen Handlungsgerüst, eine sizilianische Dorfgeschichte, aus einer Novelle von Pirandello stammt, tanzen vier Mädchen mit ausgebreiteten Armen parallel zur Rampe. Im Bühnenhintergrund ist eine überdimensional große, mit Blumen bemalte Vase aufgestellt. Ein Haus, blühende Bäume und rosa-weiße Wolken auf blaugrün schattiertem Untergrund ergänzen die Szenerie. Im Gegensatz

150 Arnolt Bronnen in Neue Zeit, 04. März 1946. 151 Haider in Linzer Volksblatt, 04. April 1946. 152 Oberösterreichische Nachrichten, 02. April 1946. 153 Razinger in Oberösterreichische Nachrichten, 04. April 1946. 154 BB/Fig. „Weh dem, der lügt, Linz 1946“ (Privatbesitz) und BB „Weh dem, der lügt, Linz 1946“ (Nordico- Museum der Stadt Linz). 155 Neue Zeit, 18. April 1946.

68 zu dem statisch wirkenden grauen Bühnenvorhang sind nicht nur die Mädchen, sondern auch der Baum, die Wolken und sogar das Treppengeländer in scheinbarer Bewegung. Auf dem Bild Zwei Ballette fällt der üppige Vorhang auf, dessen rechte Hälfte aus dem Barbier von Sevilla zu stammen scheint. Auf der Bühne vollführen eine Prinzessin und ein Bajazzo vor zwei turmartigen Häusern einen Bändertanz, im Hin- tergrund ist eine italienische Stadt in abgedunkeltem Magenta angedeutet. Der tief- blaue Himmelsprospekt ist mit unzähligen weißen Sternen und einer Mondsichel bemalt.156 (Abb. 09) Mit einer gekürzten Version dieses Ballettabends wurde Ende Juli die neue Freilichtbühne auf dem Pöstlingberg eröffnet157, der sich in der russischen Zone

Abb. 09: Herbert Ploberger, Szenenbildentwurf zu Ballette 1946 (Nordico-Museum der Stadt Linz)

156 BB/Fig. „Der Krug 1946“ und BB/Fig. „Zwei Ballette 1946“, Nordico-Museum der Stadt Linz. 157 Das genaue Datum war nicht feststellbar. Die Eröffnung war ursprünglich für den 25. Juni 1946 mit dem Schäferspiel von Max Mell vor dem Portal der Pöstlingbergkirche geplant gewesen. Die eigentli- che Freilichtbühne errichtete man auf dem Autoparkplatz hinter der Kirche, vorgesehen waren für die beiden Sommermonate wöchentlich ein bis zwei Schauspiel- und Operettenaufführungen. (Siehe: undatierter Zeitungsausschnitt o. A., Bibliothek OÖLM, Sammlung Hengl.) Im Sommer 1946 gab es in der amerikanischen Zone im Stadtzentrum eine zweite Freilichtbühne. Sie wurde nach längeren Verhandlungen – als Standort war nämlich auch die „Hatschekanlage“ am Bauernberg in Betracht gezogen worden – auf dem Gelände des „Märzenkeller“ errichtet und vom Landestheater bespielt.

69 befand, was bedeutete, daß man sich, von der Stadt kommend, beim Überqueren der Nibelungenbrücke über die Donau zuerst bei den Amerikanern, dann bei den Russen ausweisen mußte und bei der Rückkehr vom amerikanischen Posten mit dem Ungeziefergift DDT eingesprüht wurde. Diese Prozedur mußten viele Men- schen in Linz, auch Ploberger, der sein Atelier in Urfahr hatte, täglich über sich erge- hen lassen. Anscheinend waren zur Eröffnung aber nicht einmal die Urfahraner sehr zahlreich erschienen, außerdem konnte „von den ausgezeichneten für diesen Abend geschaf- fenen Bühnenbildern Herbert Plobergers nur eine Kulisse Verwendung finden“, da das Pro- gramm aus technischen Gründen gekürzt werden mußte, wie in der Neuen Zeit zu lesen war.158 Das Tagblatt berichtete jedoch anderslautend: „In dem schönen, von Bir- ken-, Fichten- und Kirschbäumen umrahmten Freilichttheater beim Autopark des Pöstlingberges tanzte das ganze Ensemble des Landestheaters, begleitet von dem Orchester desselben vor einem dankbaren Publikum. In der Weite der Landschaft wirk- ten die Bühnenbilder besonders nach Eintritt der Dämmerung faszinierend. [...] ,Der große Krug‘, von Herbert Ploberger inszeniert, atmete prickelnde Heiterkeit.“159 Ploberger hatte innerhalb von drei Monaten neun Inszenierungen betreut. Im April waren es dann zwei gewesen, nun fand am ersten Mai die Premiere von Leo Falls Operette Der fidele Bauer statt, die zwar beim Publikum gut ankam, aber von der Kritik als zu derb und kitschig abgelehnt wurde. Plobergers Bühnenbilder wur- den einerseits als „geschickt gelöst“160 und „gemäßigt stilisiert“161 beschrieben, andererseits fehlte ihnen „echte Volkstümlichkeit“162 bzw. waren sie „wohl bewußt etwas süßlich gehalten, um nicht aus dem Rahmen zu fallen.“163 Seine letzte Arbeit am Landestheater, Franz Werfels Jacobowsky und der Oberst, hatte Anfang Juni Premiere. Werfels Drama, das seit Anfang April erfolgreich in den Wiener Kammerspielen lief und dort insgesamt 142 mal gespielt werden sollte, wurde in Linz nur achtmal aufgeführt. Die Kritiken fielen sehr unterschiedlich aus, nur zwei von ihnen erwähnten das Bühnenbild. Arnolt Bronnen fand die Bilder „ein- dringlich fahl“164 und sagte damit eigentlich das Gegenteil dessen aus, was im Linzer Volksblatt stand: „In den klaren und schönen Bühnenbildern, für die wir H. Ploberger danken, fand das Stück die passende und starke Stütze für das Auge.“165

Intendant Pruscha sah sich am Ende der Saison mit Vorwürfen konfrontiert, denn Gymnasialdirektor Razinger, der nicht nur als Theaterkritiker, sondern auch als dra- maturgischer Mitarbeiter des Landestheaters fungierte, beschwerte sich beim Kul-

158 Neue Zeit, 31. Juli 1946. 159 Tagblatt, 26. Juli 1946. 160 Oberösterreichische Nachrichten, 03. Mai 1946. 161 Unseld in Linzer Volksblatt, 03. Mai 1946. 162 Tagblatt, 04. Mai 1946. 163 Neue Zeit, 06. Mai 1946. 164 Arnolt Bronnen in Neue Zeit, 11. Juni 1946. 165 Angsüsser in Linzer Volksblatt, 11. Juni 1946.

70 turreferat „über die künstlerische Leistung des Landestheaters.“166 Dort wurde „die scharfe Kritik [...] zwar als Mahnung an Pruscha für eine bessere Spielplangestaltung in der kommenden Spielzeit betrachtet, im übrigen nicht für so tragisch genom- men.“167 Razinger schwebte ein Theater auf hohem kulturellem Niveau vor, in dem alle Künste gleichwertig zusammenwirken sollten, und er hielt viel von Plobergers Arbeit am Landestheater. In der Zeitschrift Kunst und Aufbau schrieb er über dessen Bühnenbilder zur Zauberflöte: „Wie hier [...] phantasievolle Romantik mit modernem Realismus zu einer werk- wie zeitgerechten höheren Einheit verschmolz, mag bezeichnend für das bühnenbildnerische und bühnenarchitektonische Schaffen des neuen österreichischen Theaters sein, das aus den Kräften barocker Sinnenüppigkeit ebenso zu leben hat wie aus der strengeren Kühle maßvoller Realistik.“168 Eine Frage, die sich zwangsläufig ergibt, nämlich, ob Ploberger eventuell auch bei den Kostümen mitwirkte, muß letztlich unbeantwortet bleiben, da weder die Theaterzettel noch die Kritiken einen Hinweis darauf geben. Wegen der nach- kriegsbedingten Materialknappheit wäre anzunehmen, daß man auf den Fundus zurückgriff; über dessen Bestand gibt es allerdings widersprüchliche Informationen. Im Jänner 1945 hatten nämlich alle Theater im Rahmen des „Deutschen Volksopfers“ für die Ausrüstung des „Volkssturmes“ „ihren gesamten Bestand, ausgenommen [...] besonders wertvolle und nicht mehr ersetzbare Ausstattungsstücke, wie historische Kostüme, Führerausstattungen u. s. w.“169 hergeben müssen. Im Februar 1945 mel- dete die Presse folgerichtig, daß das Landestheater „unter Ausschluß der letztjähri- gen Festausstattungen [...] etwa 75 % seines gesamten Kostümbestandes“ abgeliefert habe. Anläßlich der Wiedereröffnung des Theaters Ende Juli erschienen aber Zei- tungsberichte, denen zufolge damals „dem Gauleiter ein Schnippchen geschlagen“ und „der größte Teil dieser kostbaren Kostüme gerettet“ worden sei, indem man angeblich den jeweiligen Ortsgruppenleitern von Schlägl, Kremsmünster, Engel- hartszell und Ritzlhof, wohin die Kostüme wegen der Bombengefahr gebracht wor- den waren, mitgeteilt hatte, „daß die Spende in den jeweils anderen Orten schon geschehen sei.“170 Brantner wiederum klagte dem Landeshauptmann von der Zer-

166 Razinger wurde „freigestellt, einen sorgsam ausgearbeiteten Spielplanentwurf zur Diskussion zu stellen, der dann irgendwie verbindlich für Pruscha gemacht werden könnte.“ (Amtsvermerk der OÖ. Landeshauptmannschaft, Kulturreferat, 17. Juni 1946 [OÖLA, Archiv der Landesregierung, Schachtel 263-1946, K 448].) 167 Amtsvermerk der OÖ. Landeshauptmannschaft, Kulturreferat, 08. Juni 1946 (OÖLA, Archiv der Landesregierung, Schachtel 263-1946, K 448). Pruschas Intendanz endete etwa zwei Monate vor Ver- tragsende bereits Anfang Mai 1948. Ob dabei auch eine Anzeige wegen Übertretung des Bedarfs- deckungsgesetzes (er hatte sich im Sommer 1946 von einem Mitarbeiter Zucker und Milchkonser- ven auf dem Schwarzmarkt besorgen lassen) mitspielte, ist unklar. (Vernehmungsprotokolle der Kripo Linz, 04. Februar 1949 [Archiv der Stadt Linz, Kulturarchiv, Schuber 183, Mappe „Linzer Lan- destheater 1945–48“].) Nach ihm übernahm sein Vorgänger Brantner erneut die Führung; er baute in der Folge rücksichtslos Personal ab. 168 Hubert Razinger, Aufbaulinien des Theaters, in: Kunst und Aufbau, Februar 1946. 169 Rundschreiben des „Gaukämmerers“, 04. Jänner 1945 (OÖLA, Landestheater, Schachtel 2, „Behör- den 1944/45“). 170 Undatierte Zeitungsberichte (Bibliothek OÖLM, Sammlung Hengl, Ordner 1944-45-46, Mappe „Landestheater in Linz 1945/46“).

71 störung der ausgelagerten Bestände durch die Besatzungstruppen: „Nach Angaben des nächsten Nachbarn [...] sind es hauptsächlich Russen und Serben gewesen die unsere wertvollen Vorräte gestohlen und vernichtet haben. In Schlägl waren ein Großteil unserer wertvollsten Kostüme untergebracht, ferner alle noch vorhandenen Stoffe [...], sowie die gesamten Perücken vom Wagner-Ring. [...] Mir ist inzwischen auch zur Kenntnis gelangt, daß das ehemalige Starhembergsche Glashaus im Auhof, das uns als Dekorationslager diente vom amerikanischen Militär als Garage einge- richtet wurde und unsere Dekorationen auf freiem Felde liegen.“171 In jedem Fall ist anzunehmen, daß im Landestheater genauso improvisiert werden mußte wie überall sonst im Alltags- und Berufsleben; es ist daher durchaus möglich, daß Ploberger sich auch um die Kostüme kümmerte. Er war in diesen Monaten aber nicht nur am Landestheater präsent. Im Jän- ner 1946 erschien ein ausführlicher Artikel in der Neuen Zeit über seinen Werdegang, im Februar widmete Egon Hofmann seinen Impressionen aus dem zerbombten Ber- lin einen mehrseitigen Beitrag in der Monatsschrift Kunst und Aufbau, und er war anscheinend auch als Lehrer „an der Spitze einer Meisterklasse einer neu zu schaf- fenden Werkkunstschule“ im Gespräch.172 Im März nahm er an einer Sitzung in der Landesamtsdirektion teil, welche die Gründung eines Landesverbandes der Österrei- chischen Kulturvereinigung zum Thema hatte. Das Protokoll dieser Besprechung scheint das einzige amtliche Linzer Schriftstück dieses Jahres zu sein, auf dem Ploberger namentlich erwähnt ist.173 Welchen Eindruck Herbert Ploberger auf ihn gemacht hatte, beschrieb der Direktor des OÖ. Landesmuseums Franz Lipp 1977 in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung im damaligen Stadtmuseum Linz-Nordico: „Als wir im Herbst 1945 und 1946 wieder begannen, uns im Landesmuseum [...] einzurichten, war ein häufi- ger Gast meines Kollegen [...] Dr. Justus Schmidt der Maler und Bühnenbildner Her- bert Ploberger. [...] Er kam in regelmäßigen Abständen [...], ein Gezeichneter des Bombenkrieges von Berlin, ein Oberösterreicher, der noch so ungefähr unsere Spra- che redete, aber doch ein ganz anders Gewordener. Er war es, der stets einen Hauch Berlin, Ufa, Theater, Kulissenwelt in unser Haus brachte [...]. Herbert Ploberger hatte es auf seinen Kleidern, in seiner Aura, am meisten aber in den Augen, die den größ- ten Eindruck auf mich machten. Man konnte sich keinen größeren Gegensatz den- ken als die sanften [...] Augen von Justus Schmidt und das helle, jedenfalls in der Wirkung blaue, flackernde, ja brennende, dynamische Auge von Herbert Plober- ger.174 [...] Hier der [...] behutsame [...] Justus Schmidt, da der lodernde, [...] nach

171 Brantner an Landeshauptmann, 07. Juni 1945 (OÖLA, Präsidium der Landesregierung, MF 516/41). 172 Georg Wacha, Herbert Ploberger, in: Kunstjahrbuch der Stadt Linz 1979 (Schroll: Wien – München), S. 54. 173 Anwesend waren „Nationalrat Kapsreiter, Baron v. Hammerstein, Dr. Schmidt, Dr. Pfeffer, Prof. Stei- ner, Maler Steinbüchler, Maler Ploberger, Schriftsteller Fischer-Colbrie“ (OÖLA, Archiv der Landes- regierung, Schachtel 362/2-1946, K 131 bzw. K 1-188). 174 Seine Iris war laut Vera Ploberger von einer Aureole umgeben.

72 neuem Anfang lechzende Tatmensch Ploberger, der ebenfalls den Eindruck eines höchst differenzierten, feinsinnigen, mit vielen Antennen ausgerüsteten Intellektuel- len wachrief. [...] Immer erschien Ploberger mit irgendwelchen Kartons, Skizzen oder fertigen Blättern. Ich empfand seine Farbigkeit damals sehr kühn, seine Umrisse und Figurationen bereits meilenweit jenem Linz voraus [...]. So, wie er kam, entfernte sich Herbert Ploberger auch wieder [...]. Was er hinterließ, kommt mir rückblickend vor wie der Sternenregen einer Rakete, die mit einigem Donner in den Himmel zischt, aufstrahlt, glüht, brennt, leuchtet und wieder erlischt. Jedenfalls gehört Herbert Ploberger zu den Menschen, die man nicht vergißt.“175 Ploberger verließ Linz, um ab Herbst 1946 in Wien zu arbeiten. Sein Atelier in Urfahr übernahm der Grafiker und Bildhauer Rudolf Hoflehner.176

Wien 1946–1949 Im Oktober 1946 war Ploberger in Wien einerseits mit seinen apokalyptisch anmu- tenden Berliner Kriegsbildern in der Ausstellung Niemals vergessen! im Künstlerhaus vertreten, in der u.a. auch Werke von Rudolf Schatz und Oskar Laske zu sehen waren, andererseits markiert dieses Datum auch den Beginn seiner Tätigkeit am Theater in der Josefstadt. Kurz vor seinem Tod sollte er schreiben: „1944–1945 Ent- stehung der Bilder über das zerstörte Berlin. Er malt sie, fasziniert von dem Grotes- ken der zerbombten Stadt. Er fertigt sie aus dem Gedächtnis an, da es natürlich ver- boten war, solche Bilder, die nicht dem Ideal der Nazis entsprachen, zu malen. Sie geben Eindrücke nach den Bombenangriffen wieder und dokumentieren die tra- gisch-groteske Situation.“177 In der Zeitschrift Kunst und Aufbau wurden sie als Anti- kriegsbilder mit den Werken von Callot, Goya und Egger-Lienz auf eine Stufe gestellt.178 Ploberger arbeitete zwischen Oktober 1946 und September 1949 an insgesamt drei- zehn Produktionen für die drei Häuser des Theaters in der Josefstadt mit.179 Gleich für seine erste Arbeit, die Bühnenbilder für Beneschowas Pedro, Pablo und die Gerechtig- keit, in dem Erna Mangold eine von Mißbrauch bedrohte Zwölfjährige spielte, wurde er als „wertvoller Zuzügler in diesem Mangelberuf“ begrüßt.180 Die erhalte- nen Szenenfotos vermitteln einen Eindruck davon, wie einfach die Dekoration

175 Franz Lipp, Herbert Ploberger, in: Kunstjahrbuch der Stadt Linz 1979, S. 56. 176 Justus Schmidt, Herbert Ploberger, in: Kunstjahrbuch der Stadt Linz 1962, S. 120. 177 Aus dem selbstverfaßten Lebenslauf Herbert Plobergers. Wacha schreibt darüber: „In der Bomben- nacht vom 23. November 1943 ging er nach Zerstörung und Bränden noch im Dunkeln durch die mit Trümmern bedeckten Straßen der Metropole. Er nahm Bilder in sich auf, wie sie kaum einer der offiziellen Kriegsberichterstatter festgehalten hat. Für ihn war das, was er sah, wie ein grandioses Bühnenspiel.“ (Georg Wacha, Herbert Ploberger und das Bühnenbild, a. a. O., S. 462.) 178 „Diese Temperabilder, nicht groß im Ausmaß, wohl aber im Ausdruck, haben mit einer bestimmten Kunstrichtung, in die man sie einreihen könnte, nichts zu tun.“ (Egon Hofmann, Krieg und Zerstörung in der Kunst, in: Kunst und Aufbau, Februar 1946 [Brückenverlag: Linz, 1946].) 179 Außer dem Haupthaus und den Kammerspielen gab es noch das Kleine Haus („Studio“). 180 Neues Österreich, 27. Oktober 1946.

73 gestaltet war.181 Die nächste Produktion, Alexander Afinogenews Die ferne Station, brachte ihm von Hugo Huppert, der das Stück bereits in Rußland gesehen hatte, eine etwas verständnislose Reaktion in der Österreichischen Zeitung, der Tageszeitung der sowjetischen Besatzungsmacht, ein: „Man sieht an dem transsibirischen Eisenbahn- strang [...] keine kegelförmigen Baumstämme; die Sowjetunion ist ein irdisch Land, mit diesseitiger Fauna und Flora, ohne die leisesten Anspielungen auf eine Marslandschaft.“ Leider ist nur das Bild des dritten Aktes erhalten (ein rot möblierter Salonwagen im Längsschnitt), sodaß diese Kritik nicht überprüfbar ist.182 Für Jean Anouilhs Eurydike erreichte er „mit Licht und raffinierten Kulissen eine überraschende optische Wirkung“183, er schuf auf der Studiobühne „mit einfachen Mitteln eine bezaubernde Atmosphäre“184, die aufgrund der vier erhaltenen Entwürfe gut nach- vollziehbar ist. Ploberger hat die beiden Schauplätze, ein Bahnhofsbüffet und ein Hotelzimmer, einmal farbig und einmal in schwarzer Tusche mit gelben Lichtakzen- ten ausgeführt und dadurch das Changieren der Handlungsorte zwischen Realität und Traum überzeugend dargestellt.185 Von seiner nächsten Arbeit im Studio, Horvaths Figaro läßt sich scheiden mit Maria Andergast in der Hauptrolle, sind mehrere Szenenfotos erhalten. Plobergers Handschrift ist in den Versatzstücken und Hintergrundprospekten deutlich erkenn- bar, sei es im malerischen Duktus einer Winterlandschaft, in der gesichtlosen Eiform der Perückenständer oder in einem schief an der Wand hängenden Porträt ohne Gesichtszüge. Typisch ist auch die Beschwingtheit unbelebter Gegenstände, wie hier der Perückenzöpfe und -maschen, Vorhänge und Konsolenbeine.186 Franz Tassie` schrieb in der Weltpresse, der Tageszeitung der britischen Besatzungsmacht: „An erster Stelle seien diesmal die künstlerisch hervorragenden Bühnenbilder Herbert Plobergers genannt. Musterbeispiele, wie an einer Liliputbühne gearbeitet werden kann.“187 Auch für die Szenenbilder von Curt J. Brauns Die Stadt ist voller Geheimnisse, von Rudolf Steinböck im Studio inszeniert, bekam Ploberger anerkennende Kriti- ken, u. a. von Hans Weigel: „Hinter H. Plobergers großartig andeutenden Bühnenbildern sind in R. Steinböcks überlegen führender Regie das Büro, die Stadt viel intensiver spürbar, als wenn sie kostspielig und höchst realistisch mit allen Details photographiert wären.“188 Eine andere stand in der Intellektuellenzeitschrift Österreichisches Tagebuch: „Die Bühnenbilder Herbert Plober- gers sind in ihrer andeutungsweisen Sparsamkeit erfreulich. Die Materialnot ist beim modernen Bühnenbild zu einer Tugend geworden. Man geht nicht ins Theater, um Bühnenbilder zu besichti- gen. Bühnenbilder haben den Schauspielern nur die notwendigsten Requisiten zur Verfügung zu stellen. Ploberger hat diese Forderung erfüllt. Der Beifall war gerechtfertigt und herzlich.“189

181 Fotos Doliwa, Hertha Schulda-Müller und Völkel (Archiv Theater in der Josefstadt). 182 BB zu Die ferne Station (ÖThM, HÜ 54405). 183 Sport Tagblatt, 03. Februar 1947. 184 Welt am Abend, 01. Februar 1947. 185 4BBzuEurydike, ÖThM, HÜ 54216–54219. 186 Fotos Doliwa, Völkel, Hertha Schulda-Müller (Archiv Theater in der Josefstadt). 187 Franz Tassie´in Weltpresse, 30. April 1947. 188 Oberösterreichische Nachrichten, 23. Juni 1947. 189 Österreichisches Tagebuch, o. D. (Nachlaß H. Ploberger).

74 Plobergers letzte Bühnenbildarbeit dieser Saison an der Josefstadt, für die er „seine üblichen geschmackvollen und milieusicheren Bühnenbilder“ stellte190, war im Juli 1947 Andre´Birabeaus Salonkomödie Wie sag ich’s meinen Müttern. Anschließend war er im Wiener Volkstheater tätig, wo im August die Premiere der Komödie Es gibt keine Zufälle stattfand, bei der Magda Schneider die Hauptrolle spielte. Regie führte Pau- lus Manker, mit dem Ploberger 1959 nochmals bei den Salzburger Festspielen zusammenarbeiten sollte. Seine Bühnenbilder für das Stück, in dem es um eine nicht konsumierte Hochzeitsnacht geht, fanden großen Anklang, wie die folgende Kritik beweist: „Was diesmal wohltuend auffällt, vornehmlich durch die ironische Mischung von Drastik und Phantastik, ist die Kunst der Ausstattung, vor allem das Bühnenbildnerische, die Arbeit Herbert Plobergers. In vergnügten Andeutungen, drehbaren Kompositionen flächiger Ver- satzstücke, sehr fein luftig aufgebaut, unterstreicht die Dekoration jeweils unbefangen die holde Tor- heit, die ,Unmöglichkeit‘ des ganzen Geschehens, zuweilen grundiert von Lichtbildprojektionen auf Prospeckt [!] und Soffitten.“191 Der Entwurf für das erste Bild ist erhalten, der Pinselstrich verrät bereits den typischen skizzenartigen Stil der kommenden fünfziger Jahre. Eine Art Himmelbett steht im Zentrum der Bühne, zwei rosarote Paravents ergänzen das Interieur vor

Abb. 10: Herbert Ploberger, Bühnenbildentwurf zu Es gibt keine Zufälle 1947 (Österreichisches Theatermuseum)

190 Otto Basil in Neues Österreich, 17. Juli 1947. 191 Hugo Huppert in Österreichische Zeitung, 15. August 1947.

75 einem dunkelblauen Hintergrundprospekt, der wie ein riesiges Glasfenster den Blick auf einige nur in Strichen angedeutete architektonische Wahrzeichen von Paris frei- gibt.192 (Abb. 10)

Ploberger übersiedelte im Jahr 1948 nach Hamburg, im Februar hatte im Theater in der Josefstadt noch Der Kreidekreis von Klabund in der Regie von Alfred Ibach Pre- miere. Erstmals hatte er hier die Gelegenheit, die gesamte Ausstattung, also Bühnen- bild und Kostüm zu entwerfen, was seinem künstlerischen Gestaltungswillen entge- genkam. Entsprechend positiv waren auch die Reaktionen aller Kritiker, von denen die sachkundigste von Hugo Huppert stammte: „Ich kann mir nicht versagen, die fernöst- lich stilisierte Szenen-Einrichtung, die duftig-leichten, beweglichen Bühnenbauten von chinesischer Manier, vor dem in kolorithafter Lichtbildprojektion angedeuteten landschaftlichen Hintergrund – Leistungen von Herbert Ploberger – als herrlich gelungene theatralische Raumkunst zu loben. Der Bildner hat hier einmal mit einfachster Technik ein Maximum an kombinierter Wirkung erzielt. Das urteilende Publikum und Plobergers Fachkollegen sollten ernsthaft Notiz nehmen von dieser Lösung, die manche, jählings in Vergessenheit geratene Uebung und Errungenschaft der Zwanzi- gerjahre wieder aufgreift.“193 Der Kreidekreis war (laut Justus Schmidt) Plobergers Lieb- lingsausstattung, und sie ist zufällig die einzige seiner Arbeiten, von der nicht nur farbige Entwürfe, sondern auch Schwarzweißfotos der fertig eingerichteten Bühnen- bilder vorliegen. Auf ihnen erkennt man, daß die Architektur in leichten, durchbro- chenen Holzkonstruktionen ausgeführt ist, welche den Blick auf die Hintergrund- prospekte freigeben.194 Die Entwürfe zeigen eine stilistische Ähnlichkeit mit dem vorigen Bühnenbild für das Volkstheater. Sie sind in leuchtenden Farben gehalten, die Architektur hebt sich durch kräftigen Farbauftrag vom landschaftlichen Hinter- grund ab, der nur in monochromen Umrissen angedeutet ist. (Abb. 11 und 12). Zahlreiche Theaterfotos vermitteln darüber hinaus eine Ahnung von der Dramatik der Aufführung und der unerwartet weiträumigen Wirkung mancher Szenen- bilder.195 Anfang Mai 1948 kam der Film Das andere Leben, den das Theater in der Josef- stadt unter der Regie ihres Direktors Rudolf Steinböck produziert und für den Plo- berger die Bauten gemacht hatte, in die Kinos. In Linz lief seit Ende April in der Neuen Galerie die Ausstellung Erlebnis und Deutung, in der Ploberger seine Bilder aus dem zerstörten Berlin zeigte. Im Katalogheft stand u. a.: „Sein derzeitiges Arbeitsge- biet ist das Theater in der Josefstadt zu Wien sowie der Film. Kein Wunder, daß sich sein bühnenbildnerisches Schaffen in den hier gezeigten Temperablättern in der Ten- denz zu ungeheuer klarer, packender Anschaulichkeit fühlbar macht. Und dieses durchaus Faßbaren, Packenden bedarf es auch, um dem gestellten Themenkreis

192 BB „Es gibt keine Zufälle, I. Bild“ (ÖThM, HÜ 54406). 193 Hugo Huppert in Oesterreichische Zeitung, 19. Februar 1948. 194 Foto Schulda-Müller, Archiv Theater in der Josefstadt. 195 4BBzuDer Kreidekreis (ÖThM, HÜ 54213–54215 und 54258); Fotos o. A. (ÖThM, PSE 17817–17829); Fotos o. A. in Die Wiener Bühne 03/1948; Fotos (Zeitungsausschnitte) o. A. (WSTLB, Sammlung Treitl).

76 Abb. 11: Herbert Ploberger, Bühnenbildentwurf zu Der Kreidekreis 1948 (Österreichisches Theatermuseum)

Abb. 12: Herbert Ploberger, Bühnenbild zu Der Kreidekreis 1948 (Archiv Theater in der Josef- stadt, Foto: Schulda-Müller)

77 gerecht zu werden.“196 Anfang 1949 waren die Bilder im Wiener Rathaus ausgestellt, aber die meisten Rezensenten reagierten verständnislos. Die Presse stellte Bezüge zu Plobergers Beruf her: „Herbert Ploberger, als Film- und Bühnenmaler bekannt, zeigt eine Kollektion von Blättern, Deckfarbenmalereien, in denen er seine Vision vom Weltuntergang [...] künstlerisch realisiert. [...] Die Blätter wirken in ihrem theatrali- schen Pathos wie Szenenbilder oder wie eingefrorene Filmbilder, alles ist wie ins Rampen- oder Scheinwerferlicht gerückt.“197 Im Jahr 1949 kam der zweite und letzte Film, den die Josefstadt produzierte, die Gesellschaftskomödie Liebe Freundin, heraus. Ploberger war auch diesmal für die Bauten verantwortlich. Neben Vilma Degischer, Erna Mangold und anderen Mit- gliedern des Ensembles spielte Johannes Heesters mit, den er bereits 1936 bei den Dreharbeiten zu der Operettenverfilmung Der Bettelstudent kennengelernt hatte. Für den Beethovenfilm Eroica, der ebenfalls 1949 in die Kinos kam, war Ploberger als Kostümbildner engagiert. Ewald Balser, der Faust von 1933, spielte die Hauptrolle, Clemens Holzmeisters Tochter Judith stellte Beethovens Freundin Giulietta dar und Oskar Werner hatte eine kleine Rolle als mißratener Neffe. Zwischen März und September 1949 arbeitete Ploberger an sechs Inszenie- rungen in der Josefstadt mit: Für Maxim Gorkis Sühnedrama Der Alte in der Regie von Rudolf Steinböck machte er wieder die Gesamtausstattung, dann folgten das Bühnenbild für Paul Ge´raldys Salonkomödie Ihr Mann, die Ausstattung für Euge`ne Scribes Lustspiel Was Damen gefällt, ferner die Bühnenbilder für Michel Durans Salonkrimi Ein Mann wird gesucht und für W. D. Home’s Politfarce Wer wählt wen. Mit der Gesamtausstattung für Bernard Shaw’s Drama Der Arzt am Scheideweg endete diese Phase. Von den genannten Produktionen liegen zwar Fotos, aber keine Ent- würfe vor. Seine Arbeiten fanden großen Anklang, der vom Kritiker der Wiener Tageszeitung auf den Punkt gebracht wurde: „Die Bühnenbilder Plobergers haben, wie immer, wo dieser ausgezeichnete Mann mitwirkt, Geschmack, Intensität und Atmosphäre.“198 Plobergers vorläufig letzte Arbeit in Wien war im Oktober 1949 die Ausstat- tung für Othello im Neuen Theater in der Scala, das in der sowjetischen Zone lag und als „Russentheater“ trotz hochkarätiger Schauspieler und niedriger Preise mit anti- kommunistischen Vorurteilen der Bevölkerung zu kämpfen hatte. Eine gewisse reservierte Haltung spiegelte sich auch in manchen Kritiken zu dieser Produktion, in der Hortense Raky als Desdemona und ihr Mann Karl Paryla als Jago mitspielten.199 Die Bandbreite der Meinungen über Plobergers Bühnenbilder reichte von „sehr gück-

196 Ernst Köller, Herbert Ploberger, in: Erlebnis und Deutung. Alfons Ortner, Herbert Ploberger, Hans Wei- bold (Neue Galerie der Stadt Linz: Kleine Bücherei, April–Mai 1948). 197 Die Presse, 23. Jänner 1949. 198 Wiener Tageszeitung, 14. Mai 1949. 199 Das Theater, das von den Sowjets finanziell unterstützt wurde, überlebte nur acht Spielzeiten; 1956 wurde es geschlossen. Der spätere Abriß des historischen Gebäudes hinterließ für Jahre eine archi- tektonische Lücke im vierten Wiener Gemeindebezirk. (Siehe: Carmen-Renate Köper, Ein unheiliges Experiment. Das Neue Theater in der Scala 1948–1956 [Löcker: Wien, 1995].)

78 lich“200 über „der Bühnenbildner hat mit wenigen Mitteln ansehnliche Dekorationen geschaf- fen“201 bis zu „Kostüme und Dekorationen waren noch unter dem Niveau der recht durchschnittli- chen Aufführung.“202

1950–1977

Ab 1950 lebte Ploberger in München; im März heiratete er Vera Kerschbaumer, eine gelernte Buchhändlerin aus Linz. 1954 bekamen die beiden eine Tochter, deren Tauf- patin die Schauspielerin Melanie Horeschovsky wurde. Ploberger war damals gerade an der Josefstadt in Wien mit der Ausstattung für Das Glas Wasser von Euge`ne Scribe beschäftigt, eine Arbeit, die ihm eine sehr schmeichelhafte Kritik Hans Weigels einbrachte: „Man sucht oft Stücke für bestimmte Schauspieler [...]. Als sich jedoch die Josefstädter zum ,Glas Wasser‘ entschlossen, da kann die Überlegung nur gewesen sein: Wir haben den Ploberger, was sollen wir spielen? Denn Herbert Ploberger ist als einziger rich- tig besetzt, sein Bühnenbild ist dem Lustspiel durchaus auf den Leib entworfen, seine Kostüme sind höchst liebevoll gearbeitet.“203 Steinböcks Inszenierung, in der Helmut Lohner den von drei Frauen begehr- ten Fähnrich Masham spielte, wurde unterschiedlich aufgenommen, die Kostüme aber fanden sehr großen Anklang: „Ein ganz besonderes Lob gebührt den reizenden und geschmackvollen Kostümen, die schönsten, die wir seit Jahren auf einer Wiener Bühne zu sehen bekamen. Sie, wie auch das ein wenig zu schwere Bühnenbild, sind von Herbert Ploberger.“204 „Wie eine Gavotte tanzt das Lustspiel seine fünf schlanken Akte lang dahin. Stil, Melodie, beschwingte Leichtigkeit der Inszenierung, die durch ein reizvolles Bühnenbild Herbert Plo- bergers und seinen fast luxuriösen Aufwand von Kostümen glücklich unterstützt wird, setzen sich sogar nach den Aktschlüssen, bei den ,Vorhängen‘, fort.“205 „Herbert Ploberger hat mit seinem wundervollen Bühnenbild gleichsam Variationen über ein Thema geschaffen: die Deko- ration deutet durch kleine ingeniöse Veränderungen den jeweiligen Schauplatz an. Faszinierend sind auch die von Ploberger entworfenen Kostüme.“206 Plobergers Notizbücher geben Auf- schluß über den Arbeitsaufwand, der hinter diesem Erfolg stand, wobei sich sein Stilempfinden gelegentlich auch gegen den Regisseur behaupten mußte, wie eine Randbemerkung neben einer Sesselskizze verrät: „Steinboeck will die Lehnen noch tiefer haben, ich nicht, abwarten!!!“ Er erhielt sogar einen „Fanbrief“ der Schauspiele- rin Christl Mardayn, die ihm „von ganzem Herzen“ gratulierte, da der „Erfolg des Abends zum grossen Teil Dein Verdienst war. [...] Ach, was waren das für hinreis- sende Kostüme!!!!“

200 Die Presse, 08. Oktober 1949. 201 Otto Basil in Neues Österreich, 09. Oktober 1949. 202 Wiener Zeitung, 08. Oktober 1949. 203 Hans Weigel in Bild-Telegraf, 26. Oktober 1954. 204 Weltpresse, 25. Oktober 1954. 205 Edwin Rollett in Wiener Zeitung, 26. Oktober 1954. 206 Otto Basil in Neues Österreich, 26. Oktober 1954.

79 Abb. 13: Herbert Ploberger, Szenenbildentwurf zu Das Glas Wasser 1954 (Privatbesitz)

Ein Blatt, mit „plo. 54“ signiert, zeigt in Form einer Guckkastenbühne, die von üppig gestreiften Vorhängen umrahmt ist, einen Ballsaal, hinter dem sich eine zwei- stöckige Galerie von Logen hochzieht. Sieben Figurinen in bunt verspielten Rokoko- kostümen stehen nebeneinander an der Rampe. Durch rhythmische Wiederholun- gen verschiedener Formkomponenten und die Farbigkeit der bewegten Figuren ent- steht ein fast psychedelisch wirkendes Muster.207 (Abb. 13) Ploberger entwarf 1954 auch die Kostüme für Hofmannsthals Der Schwierige in den Münchner Kammerspielen. Steinböck führte Regie, und neben einigen Schauspielern aus der Josefstadt spielten u. a. Axel von Ambesser, Peter Weck und Ruth Drexel. Er arbeitete auch später noch fallweise an verschiedenen Münchner Theatern, sein beruflicher Schwerpunkt lag aber in den fünfziger Jahren vorwiegend beim deutschen Kinofilm (etwa 25 Filme) und in den sechziger Jahren beim deut- schen Fernsehen (ca. 40 Filme für ARD und ZDF), wobei er meistens für die Kostüme, in Ausnahmefällen für die Bauten zuständig war. In seinem Lebenslauf erwähnte er nur einige der Kinotitel, nämlich Martin Luther, Buddenbrooks, Königin Luise, Der tolle Bomberg (mit Hans Albers), Alraune (mit Hildegard Knef), Eine Liebesge- schichte (mit Hildegard Knef und O. W. Fischer) und Onkel Tom’s Hütte.

207 BB/Fig. „Das Glas Wasser“ (Privatbesitz).

80 Seine erste Arbeit für das Fernsehen war O’Neill’s Fast ein Poet mit Judith Holzmeister, das im Mai 1958 in Bonn Premiere hatte. In das Jahr 1958 fällt auch eine Zusammenarbeit mit der Schauspieltruppe Berlin, die unter der Regie von Robert Freitag mit Molie`res Der Menschenfeind auf Tournee ging und auch in Bregenz auftrat. Will Quadflieg und Freitags Ehefrau Maria Becker spielten die Hauptrollen. „Schön, ja sehr schön waren die Kostüme Herbert Plobergers, der für den Wanderbetrieb auch eine sehr gefällige Hängerdekoration geschaffen hatte.“208

Ende des Jahres 1958 wurde er eingeladen, die Kostüme für Hugo von Hofmanns- thals Der Turm in der Regie von Ernst Lothar bei den Salzburger Festspielen 1959 zu entwerfen. Intendant Puthon hatte bereits Gustav Manker für das Bühnenbild ver- pflichtet und fragte bei ihm an: „Hofrat Lothar hat uns für den Entwurf der Kostüme Herrn Ploberger vorgeschlagen und wir möchten Ihnen dies gerne zur Kenntnis bringen und dabei fragen, ob Sie ihn kennen, bzw. mit ihm schon einmal gearbeitet haben. [...] Ploberger hat vor vielen Jahren die Faust-Kostüme noch unter Reinhardt für Salzburg entworfen.“209 Manker, der Ploberger bereits von der gemeinsamen Arbeit für Es gibt keine Zufälle am Wiener Volkstheater kannte, antwortete: „Den Vor- schlag Ploberger-Kostüme finde ich ausgezeichnet! Ich schätze ihn sehr und glaube, daß ihm gerade unser Stück sehr liegen muß.“210 Anfang März fand die erste Bespre- chung zwischen Ploberger, Lothar und Manker statt. Die Neufassung des von Calderon inspirierten Dramas brachte dem Regis- seur keine Lorbeeren ein, denn die Kritik reagierte teilweise vernichtend auf die Inszenierung: „Was sich die Regie (Ernst Lothar) hier erlaubte, wirkte erschütternd. Die Felsenreitschule [...] wurde Schauplatz von ,Raumfüllung‘, die sich szenenweise bis zu purem Grottenbahn-Ulk erniedrigte.“211 Ebenso bissig ließ sich Hans Weigel aus, der aber die Kostüme „ansprechend“212 fand; für den Kritiker der Presse waren sie „auf Einprägsamkeit bedacht“213, während die Wiener Zeitung schrieb: „Herbert Plobergers Kostüme sind ganz Ausdruck jenes sagenhaften, spanische Kulturbezüge nicht verleugnenden Polen, in dem das Trauerspiel ,in einem vergangenen Jahrhundert, in der Atmosphäre dem 17.ähn- lich‘, spielt.“214 Ploberger mußte für diese Produktion hauptsächlich Männerkostüme ent- werfen, denn es gab nur zwei Frauenrollen (eine davon spielte Lothars Gattin Adrienne Gessner). Sein Honorar lag mit 15.000 Schilling an der Untergrenze des-

208 Walter Scheiner in Vorarlberger Volksblatt, 13. Oktober 1958. 209 Puthon an Manker, 17. Dezember 1958 (Archiv der Salzburger Festspiele, Ordner „Festspiele 1959. Regiepersonal, Ausstattungspersonal, Kammerspiele“). Lothar war von Juni 1946 bis Dezember 1947 amerikanischer ISB Theatre & Music Officer gewesen und kannte Ploberger möglicherweise aus dessen Zeit an der Wiener Josefstadt. 210 Manker an Puthon, 27. Dezember 1958 (a. a. O.). 211 Die Bühne 09/1959. 212 Illustrierte Kronen-Zeitung, 15. August 1959. 213 Die Presse, 15. August 1959. 214 Wiener Zeitung, 15. August 1959.

81 sen, was in dieser Festspielsaison für vergleichbare Leistungen bezahlt wurde. Seine Kollegin Erni Kniepert etwa erhielt für die Kostümentwürfe von Strauss’ Die Schweig- same Frau 20.000 Schilling. Auch bot man ihm – was in anderen Fällen durchaus vor- kam – weder ein Zugticket erster Klasse noch ähnliche Vergünstigungen an, was darauf schließen läßt, daß es keine festgelegten Richtlinien gab. Gustav Manker erhielt für das Bühnenbild 18.000, Ernst Lothar für die Inszenierung 35.000 Schil- ling.215 Das Festspielhaus wurde übrigens in diesem Sommer von Clemens Holzmei- ster umgebaut. Zwei Entwurfzeichnungen Plobergers illustrierten das Programmbuch der Salzburger Festspiele 1959, sie stellen polnische Adelige bzw. Aufrührer dar. Es lie- gen aber auch zwei Originalentwürfe mit der Beschriftung „Volk“ vor. Sie sind über- wiegend in Grau- und Brauntönen gehalten, unter eine weibliche Figurine ist das Wort „dürftiger“ hingefügt, was als Resultat einer Besprechung mit dem Regisseur gedeutet werden kann.216 (Abb. 14)

Abb. 14: Herbert Ploberger, Volk, Figurinen zu Der Turm 1959 (Privatbesitz)

215 Verträge vom 19. Jänner 1959, 17. Dezember 1958 und 23. März 1959 (a. a. O.). Die Preise der Sitz- plätze in der Felsenreitschule lagen zwischen 50 und 220 Schilling. Zum Vergleich: 1 kg Brot kostete 3,60, ein Anzug 1070 Schilling; der Mindeststundenlohn im Baugewerbe betrug 8,55 Schilling, das machte bei 45 Wochenstunden 384,75 Schilling. 216 Fig. „Der Turm. Volk“ (Privatbesitz).

82 Seine letzten Theaterarbeiten in Österreich leistete Ploberger für Leopold Lindtbergs vielbeachteten Shakespeare-Königsdramenzyklus am Wiener Burgtheater in den Jahren 1960, 1961 und 1962. Teo Otto war für das Bühnenbild, Ploberger für die Kostüme verantwortlich. Die Rollen waren hochkarätig besetzt, bei König Heinrich IV., dessen Premiere im Februar 1960 stattfand, spielten u. a. Oskar Werner, Albin Skoda, Achim Benning, Judith Holzmeister und Erika Pluhar mit. Die Inszenierung wurde als „überwältigender Erfolg“217 und „monumentales Standardwerk unver- gänglicher Theaterarbeit“218 von der Kritik begeistert aufgenommen und Plobergers Kostüme fanden größten Anklang: „Lindtberg hat vortreffliche Bühnenbilder von Teo Otto zur Verfügung. [...] Er hat (endlich!!) auch viel bessere Kostüme als sonst an dieser Stelle zur Verfügung, keine Modenschau und keine kostümkundlichen Mannequins, sondern Klei- der, die von Menschen getragen werden können (Herbert Ploberger).“219 Bei den vorliegenden Kostümentwürfen fallen stilistische Unterschiede auf. Ploberger hat Falstaff, den Her- mann Schomberg darstellte, nicht nur mit naturalistischen Körperformen, sondern auch mit untypisch detaillierten Gesichtszügen, allerdings mit geschlossenen Augen, gemalt. Die meisten anderen Figurinen präsentieren ihre Kleidung wie üblich ohne Gesichtszüge und vielfach mit Wespentaillen und ausgebreiteten Armen.220 Überraschend ausgelassen wirken hingegen zwei Kostümvariationen für das allegorische Gerücht, das ein schwarzes, mit vielen roten Zungen behängtes Cape trägt und die Zunge zeigt.221 Fast genau ein Jahr später, im Februar 1961, fand die Premiere von König Heinrich V. statt. Neben Oskar Werner und Albin Skoda standen diesmal u. a. Josef Meinrad, , Wolf Albach-Retty und Annemarie Düringer auf der Besetzungsliste. Die Reaktionen waren überwiegend positiv, Ploberger wurde als „Farbenschwelger“222 bezeichnet, dessen Kostüme „in ihren Farben und der geschmackvollen Wahrung des Stils von besonderem Können“ zeigten223 und „den Glanz dieser wahrhaft festli- chen Aufführung [erhöhten].“224 Allerdings wurden auch kritische Stimmen laut, die sich eine optisch weniger detailreiche Ausstattung gewünscht hätten; Hans Weigel schrieb z. B.: „Herbert Plobergers Kostüme sind wieder hervorragend, obzwar die Neigung zum Übermaß diesmal auch bei ihm unverkennbar ist.“225 In der Reihe der vorliegenden Entwürfe bilden Fluellen, Nym und der französi- sche Soldat eine Ausnahme, da sie nicht nur naturalistisch-karikaturhaft, sondern in Seitenansicht und starker Bewegung dargestellt sind. Die übrigen Figurinen haben

217 Heinz Kindermann in Österreichische Neue Tageszeitung, 20. Februar 1960. 218 Paul Blaha in Express, 20. Februar 1960. 219 Illustrierte Kronenzeitung, 20. Februar 1960. 220 ÖThM, Fig. „Falstaff/Schomberg“ (HÜ 21268), „Bardolf/Gottschlich–Peto/Krastel“ (HS 54431), „Richard– Heinrich IV/Albin Skoda“ (HS 54345), „Worcester/Janisch“ (HS 54353) und „Westmoreland Krönung“ (HS 54354). 221 Fig. „Sonja Sutter. Gerücht“ (Privatbesitz). 222 Kauer in Volksstimme, 09. Februar 1961. 223 Neue Front, Salzburg, 25. Februar 1961. 224 Heinz Kindermann in Österreichische Neue Tageszeitung, 09. Februar 1961. 225 Hans Weigel in Illustrierte Kronen-Zeitung, 09. Februar 1961.

83 Abb. 15: Herbert Ploberger, Isabelle, Figurine Abb. 16: Herbert Ploberger, Lady Percy, Figu- zu König Heinrich V. 1961 (Österreichisches rine zu König Heinrich IV. 1960 (Österreichi- Theatermuseum) sches Theatermuseum) die typischen Merkmale, die schon bei den Entwürfen für Faust I aufgefallen sind. Erzbischof von Canterbury, Bischof von Ely und Königin Isabelle, alle drei in lila Roben, zei- gen jeweils ihre rechte Schuhspitze unter bodenlangen Kleidern. Isabelle ist ganz in lila-weißen Nuancen gehalten, ihr Oberkörper wird von einem lila Schatten umrahmt. (Abb. 15) Von fünf „Lords“ gibt es zwei Entwürfe; einmal sind sie in unter- schiedlich gestalteter Zivilkleidung, einmal in stilisierter Kriegsausrüstung darge- stellt, wobei ihre schematische Anordnung in Zweier- und Dreiergruppen wie ein Muster wirkt.226 Zahlreiche Szenenfotos geben einen Eindruck von der Umsetzung der Entwürfe, die wegen der auffälligen Kostümdetails bei Fluellen und der Wirtin besonders gut nachvollziehbar ist.227 Plobergers letzte Arbeit am Burgtheater, König Richard III. mit Achim Ben- ning, Judith Holzmeister, Fred Liewehr, Heinrich Schweiger, Sonja Sutter, Eva Zil-

226 ÖThM, Fig. „Fluellen“ (HG 21266), „Nym“ (HG 21265), „Gefangener franz. Soldat“ (HG 21267), „Erzbischof Canterbury“ (HS 54346), „Isabella Troyes“ (HS 54347), „Bischof Ely/Inger“ (HS 54348), „Lords. London“ (HS 54349) und „Lords bewaffnet“ (HS 54351). 227 Fotos Dietrich, Hausmann, Rogner, Völkel (Archiv des Burgtheaters) und Hausmann (ÖThM).

84 cher u. a., hatte im März 1962 Premiere. Die Kritiker waren von der Inszenierung nicht ganz überzeugt, auch das gleichbleibende Bühnenbild war ihnen zu „beschei- den“. „Was hier ein Nachteil, wird bei den dezenten, ernsten Kostümen Herbert Plobergers zum Vorteil.“228 Plobergers Kostüme, diesmal eher dunkel gehalten, waren „von edler Ein- fachheit“229, „beste Burgtheaterqualität“230 und „voll Einfühlung in das Zeitkolorit.“231

Kurz nach der Premiere von König Richard III. wurde Ploberger sechzig Jahre alt. Justus Schmidt, der ihn als einen „schweigsamen, kritischen und selbstkritischen Menschen“ bezeichnete, „der viel liest und ein sicheres Urteil hat“, würdigte ihn zu diesem Anlaß mit einem Beitrag im Kunstjahrbuch der Stadt Linz. Darin schrieb er u. a.: „Plo, wie er sich auf seinen Bildern und Skizzen bezeichnet, ist heute wie vor vierzig Jahren Avantgardist, damals in der vordersten Reihe der Neuen Sachlichkeit [...]. Heute ist er einer der bedeutendsten Bühnenbildner, die Österreich hervor- brachte, und im besonderen ein international anerkannter Fachmann für das Kostüm.“232 Unter anderen beruflichen Umständen hätte Ploberger mit sechzig vielleicht schon in Pension gehen können, aber da er selbständig war, arbeitete er bis zum Alter von fast siebzig Jahren weiterhin für Theater, Film und Fernsehen. Nach dem derzeitigen Stand der Recherchen waren seine jeweils letzten Arbeiten in diesen drei Sparten 1965 die Kostüme für die internationale Filmproduktion Onkel Tom’s Hütte mit O. W. Fischer und Juliette Gre´co, 1970 das Bühnenbild für das Schweizer Tour- nee-Theater Basel, ebenfalls mit O. W. Fischer, und 1971 die Kostüme für den Fern- sehfilm Das Geheimnis der Mary Celeste mit Hans-Joachim Kulenkampff. 1976, wenige Monate vor seinem Tod, kaufte die Österreichische Galerie im Oberen Belvedere das Stilleben mit Ananas aus dem Jahr 1926, worüber die Oberöster- reichischen Nachrichten schrieben: „Längst ist Ploberger [...] eine der Schlüsselfiguren der Neuen Sachlichkeit geworden. Was seine alte Heimat Oberösterreich bisher sträflich vergaß, macht nun die Österreichische Galerie wieder gut: eine ganz beson- ders reizvolle Persönlichkeit der Malerei der zwanziger Jahre wiederzuentdecken und neuzubewerten.“233 1977 sollte zu Plobergers 75. Geburtstag eine Ausstellung im damaligen Stadtmuseum Linz-Nordico stattfinden, er verstarb aber während der Vorbereitungen bereits im Jänner des Jahres. Die Ausstellung Herbert Ploberger 1902– 1977 wurde damit zu einer Gedächtnisausstellung, bei der u. a. auch einige seiner Bühnenbildentwürfe gezeigt wurden. Im Jahr 1995 fand im Kunstforum Bank Austria die Ausstellung Neue Sachlichkeit. Österreich 1918–1938 statt, in der „dem exzel- lenten aus Wels stammenden Herbert Ploberger ein besonders weiter Raum gewid-

228 Edwin Rollet in Wiener Zeitung, 10. März 1962. 229 Süd-Ost-Tagespost, 14. März 1962. 230 Salzburger Tagblatt, 10. März 1962 und Volksstimme, 16. März 1962. 231 Neue Front, 24. März 1962. 232 Der Beitrag ist mit Entwürfen zu Faust I, Der Turm und Der Kreidekreis illustriert. 233 Oberösterreichische Nachrichten, 11. August 1976.

85 met [wurde].“234 1996/97 zeigte die Museumsakademie Berlin seine Bilder aus der zerbombten Stadt. 2001 war Ploberger bei der in der Kunsthalle München stattfin- denden Ausstellung Der Kühle Blick. Realismus der Zwanziger Jahre der einzige österrei- chische Maler. 2002 zeigten das Lebensspuren-Museum der Siegel und Stempel in Wels und das Nordico-Museum der Stadt Linz anläßlich seines hundertsten Geburtstages die Ausstellung Herbert Ploberger Malerei–Graphik. Im Frühjahr 2004 fand in den Galeries nationales du Grand Palais in Paris die hervorragend kuratierte Schau La Grande Parade. Portrait de l’artiste en clown statt, bei der Ploberger mit seinem Bild Scherben bringen Glück vertreten war. Etwa zeitgleich erschien in Wels Georg Wachas Aufsatz Herbert Ploberger und das Bühnenbild. Der ehemalige Direktor des Lin- zer Stadtmuseums Nordico, der Ploberger auch persönlich kannte, plädierte darin: „Es wäre an der Zeit, Ploberger als vielseitigen heimischen Künstler, als bedeutenden Vertreter der ,Neuen Sachlichkeit’, als Bühnenbildner, als einfühlsamen, für das Sce- nario von Krieg und Zerstörung auf der Bühne der Geschichte empfänglichen [...] Maler zu schätzen.“235

Resümee

Zu achtzehn der neununddreißig recherchierten Inszenierungen konnten Skizzen und Entwürfe auf Papier in Museen und Privatbesitz eingesehen werden. Obwohl sich aufgrund der punktuellen Auswahl kein vollständiges Bild ergeben kann, ermöglicht ihre zeitliche Streuung einen kursorischen Überblick über den gesamten Untersuchungszeitraum von 1933 bis 1962. Die Bilder, die entweder mit „ploberger“ oder „plo.“ signiert sind, zeigen durchgehend unverkennbar seine künstlerische Handschrift. Bei den Kostümentwürfen der dreißiger Jahre zeichnet sich eine schrittweise Tendenz zur Vereinfachung, zur Reduktion auf Wesentliches, ab. Die Blätter für Flo- rian Geyer wirken lebendig-illustrativ, bei Golgotha hingegen stehen die gleichfalls zu Gruppen zusammengefaßten Figurinen ruhiger nebeneinander. Bei den Entwürfen zu Faust gibt es daneben als dritte Lösungsvariante auch eine schematische Anord- nung in bis zu vier übereinander angeordneten Reihen. Die stets frontal gezeichne- ten Figuren sind auch hier vielfach durch ihre Aufstellung oder Armhaltung in Kon- takt. Vor allem die Frauen zeigen bereits eine Tendenz zu Wespentaillen. Bald fallen die anfangs noch geschlossenen Augen gänzlich weg, zur Andeutung von Gesichts- zügen bleibt mitunter noch ein kleiner roter Mund übrig. In die Länge gezogene Arme und Hälse, schlanke Körper und eiförmig wirkende Köpfe ohne Gesichtszüge werden zu typischen Merkmalen. (Parallelen dazu finden sich in Plobergers Bildern aus dem von Bomben zerstörten Berlin, in denen viele Menschen gesichtslos oder mit geschlossenen Augen dargestellt sind.)

234 Oberösterreichische Nachrichten, 07. April 1995. 235 Georg Wacha, Herbert Ploberger und das Bühnenbild, a. a. O., S. 468.

86 In den späteren Entwürfen der fünfziger und sechziger Jahre sind die Haupt- figuren vielfach einzeln, die Nebenfiguren oft paarweise oder in Gruppen darge- stellt. (Manche Blattränder lassen allerdings darauf schließen, daß vermeintliche Ein- zeldarstellungen durch das Zerschneiden ursprünglich größerer Formate entstan- den.) Neben den zumeist elegant reduzierten Körperformen existieren wieder einige realistischer gezeichnete Figuren, die durch übertriebene Bewegungen und über- lange Extremitäten karikaturhaft wirken; diese Facette seines Talentes bewog bereits in den zwanziger Jahren einen Kritiker dazu, ihn mit Olaf Gulbransson zu ver- gleichen. Plobergers Vorliebe für Punkt- und Streumuster ist sowohl bei den Kostü- men als auch bei den Bühnenbildern feststellbar, wo sie sich mitunter auch in Form von Sternen oder Blüten ausdrückt. Den Gesichtern der Schauspielerinnen schmei- chelte er gerne mit hochstehenden oder besonders breiten Kragenvariationen, aber auch bei den Männerkostümen fallen vielfältig gestaltete Krägen und Halstücher auf. Ploberger war mit seinen Entwürfen gewissermaßen auch eine Art Modeschöp- fer. In einem Interview Ende der vierziger Jahre antwortete er allerdings auf die Frage, ob er von der Mode komme und daher das rein Malerische für die Qualität des Entwurfs nicht so bestimmend sei: „Im Gegenteil! Ich bin bewußt Maler. Alles, was ich innerlich sehe, muß ich zeichnen und zeigen können. Wenn ich die ganze Handlung, Anfang und Ende, Höhepunkte, den Wechsel von einfachem und reichem Kostüm je nach den Figuren, ihrer Entwicklung und dem Ablauf des Geschehens bedacht habe – dann formt sich in oft tagelanger Arbeit der Einfall auf dem weißen Papier. Die moderne Linie tritt als eine Art Korrektur hinzu. Wenn es Sie interessiert, so komme ich von der sogenann- ten hohen Kunst, habe also im sprichwörtlichen stillen Kämmerlein meine Bilder gemalt und auf die Ausstellungen geschickt. Aber heute treibt es ja auch den Künst- ler ins praktischere Leben, es gilt, seine Begabung in den Dienst einer angewandten Kunst zu stellen.“236 Das Resultat seiner Arbeit waren Kostüme, die sowohl in den historischen Rahmen der jeweiligen Stücke paßten als auch dem aktuellen zeitmodischen Stil- empfinden entsprachen und zusammen mit der übrigen Ausstattung die gewünschte optisch-ästhetische Gesamtwirkung ergaben. Die Voraussetzungen dafür lagen einerseits in seinen künstlerischen und gestalterischen Talenten, anderer- seits in umfassenden kostümgeschichtlichen Recherchen und einem schnittechni- schen Fachwissen, das er sich nebenher angeeignet hatte. Es war für ihn wichtig, schon in einem möglichst frühen Vorbereitungsstadium zu erfahren, wer für die jeweilige Rolle vorgesehen war, denn so konnte er individuelle Besonderheiten in seine Überlegungen einbeziehen und bereits in den ersten Entwurfzeichnungen berücksichtigen. Vorteilhaftes galt es zu betonen, Silhouette- oder Größenprobleme

236 Artur Gläser, Plo. Gespräch mit dem Bühnen- und Filmmaler Herbert Ploberger, vermutlich in: Der Silberspie- gel 1939 oder 1940 (Nachlaß H. Ploberger).

87 hingegen wußte er dezent auszugleichen. Plobergers Arbeit endete aber nicht mit dem malerischen Entwurf, denn er trug die Verantwortung für das Endprodukt und arbeitete daher eng mit den leitenden Garderobieren zusammen. Bei den Kostüm- proben war er stets anwesend; er überprüfte dabei nicht nur die Gesamtwirkung, sondern auch alle Details der Kostümstücke und achtete darauf, daß durch even- tuelle Abänderungswünsche sein künstlerisches Konzept nicht beeinträchtigt wurde.

Auch seine Bühnenbilder löste Ploberger mit Fantasie, praktischem Realitätssinn und erstaunlichem technischem Können. Vor der endgültigen Umsetzung seiner Ideen fertigte er manchmal dreidimensionale Modelle an. Die vorliegenden maleri- schen Entwürfe erfassen den gesamten, meist mit einer Rahmung versehenen Büh- nenraum zentralperspektivisch, wodurch der Betrachter die Idealposition des Zuschauers im Theater einnimmt. Einige sind mit Figuren illustriert und daher keine bloßen Bühnen-, sondern auch Szenenbilder. Diese meist parallel zur vorderen Rampe positionierten Figuren wirken teilweise wie Marionetten. Eine weitere Eigen- art ist ein gewisser Schwung, ja eine Bewegtheit, welche mitunter auch die darge- stellten Dekorationen und Versatzstücke erfaßt und dadurch lebendig wirken läßt. Hier zeigt sich eine Formensprache, die schon in seinem Stilleben Auf dem Tisch, unter dem Tisch von 1925 zu beobachten ist, wo er durch eine leichte perspektivische Ver- zerrung, einige schwungvolle Bordüren und Textilen, die sich in einem ansonsten leblosen Ambiente eigenwillig aufbiegen, partiell eine ähnliche Wirkung erzielt. Nicht umsonst wurde die neue Kunstströmung 1925 von Zeitgenossen auch als „Magischer Realismus“ bezeichnet. Über die Aufgabe des Bühnenbildners schrieb Ploberger: „Ich glaube, die Kunst des Bühnenbildners hat optisch den Rahmen oder besser noch das Bild einer eigenen Welt für den darstellerischen Menschen, den Schauspieler, Sänger, Tänzer, zu bieten. Sie ist eine angewandte Kunst, die den technischen Gesetzen der Bühne, ihren Möglichkeiten, etwa der Beleuchtung oder der Verwandlung, folgend, einen eigenen Kosmos, entweder der realen Welt nahe oder auch ihr weit entrückt, schaf- fen muß. Immer hat sie dem Werk des Autors und den Darstellern zu dienen, die Wirkung beider zu unterstützen und womöglich zu steigern und darf nie Selbst- zweck werden.“237 Mit dieser Einstellung folgte er einem Leitsatz seines Lehrers Cizˇek, welcher die stete „Rücksichtnahme auf den dem Kunstganzen untergeordneten Zweck“ postuliert hatte.238 Ploberger verhielt sich als sachbezogener „Teamspieler“, der sich am „Gegenstand“ orientierte, womit er ein Leben lang einem Grundprinzip der Neuen Sachlichkeit folgte. Konsequenterweise war ihm der Verbleib seiner Arbeiten nicht wichtig, er führte auch kein Werkverzeichnis. Leider ist daher nur ein Bruchteil der Entwürfe erhalten, die Ploberger in vierzig Berufsjahren geschaffen hat (und

237 Justus Schmidt verwendete dieses Zitat in seinem bereits erwähnten Beitrag anläßlich Plobergers sechzigstem Geburtstag im Kunstjahrbuch der Stadt Linz 1962. 238 Mission statement, um 1915, Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Handschriftensammlung.

88 deren Zahl bereits 1956 in einer -Presseaussendung auf 14.000 geschätzt wurde). Die meisten sind verschollen, andere verschenkte er, manche konnte er viel- leicht verkaufen und nach seinem Tod ging ein kleiner verbliebener Rest an Museen und Galerien. Viele wurden vermutlich in lädiertem Zustand weggeworfen, sie waren ja nicht als Kunstwerke, sondern als Vorentwürfe für die Regisseure bzw. Vor- lagen für die Schneider- und Bühnenwerkstätten konzipiert und daher einer gewis- sen natürlichen Beanspruchung ausgesetzt.

Auch wenn sich in manchen seiner neusachlichen Bilder surrealistische Nuancen erkennen lassen, gehörte Ploberger als bildender Künstler keiner Avantgardeströ- mung an, und er blieb auch als angewandter Künstler seinem gemäßigt modernen Stil auf der Basis seines herausragenden malerischen Könnens treu. Die verlorenen Werke aus seinem Berliner Atelier würden zwar helfen, das Spektrum der Ver- gleichsmöglichkeiten zu erweitern, aber eine zeitliche Zäsur zwischen dem neusach- lichen Künstler und dem Theatermaler ist nicht nachvollziehbar, vielmehr ist sein kontinuierliches Interesse für die darstellenden Künste bereits ab 1927 erwiesen. Plo- berger hätte als Porträtmaler, Zeichner, Illustrator oder Karikaturist gleichermaßen Karriere machen können, und er bewahrte sich bis zum Schluß seiner beruflichen Laufbahn die Flexibilität und Vielseitigkeit, die er schon während seiner Ausbildung bewiesen hatte. Die Bezeichnungen, die seine Profession beschreiben sollten, spre- chen für sich; er wurde u. a. als Maler, Theatermaler, akademischer Maler, Film- und Bühnenmaler, Filmarchitekt, Filmszenograph, Filmbildner, Bühnenbildner, Kostüm- bildner, Kostümzeichner, Kostümberater, Kostümentwerfer, Künstler, Modekünst- ler, Ausstattungskünstler, Architekt, Meister und Professor bezeichnet. „Plo“, wie ihn alle nannten, mochte keine offiziellen Premierenfeiern, war aber im privaten Rahmen als blendender Unterhalter beliebt. Mit einigen berühmten Regisseuren und Schauspielern verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Bei Filmarbeiten konnte er wegen seiner vielseitigen Sprachenkenntnisse oft als Dolmet- scher vermitteln, und sein Hotelzimmer wurde mitunter zum Treffpunkt internatio- naler Stars. Aber Plobergers Charakter ließ es nicht zu, daß er sich selbst in den Mit- telpunkt stellte. Seine Witwe weiß von seiner großzügigen Hilfsbereitschaft, die sich trotz beschränkter Mittel auch auf finanzielle Zuwendungen für Freunde und Bekannte erstreckte, zu erzählen. Der Kostümbildner Helmut Holger, welcher ihn bei der Fernseharbeit in den sechziger Jahren kennenlernte, spricht nicht nur mit größter Hochachtung über Plobergers künstlerische Qualitäten und seine Genauig- keit, mit der er auf die Umsetzung von Kostümdetails achtete, sondern betont auch seine absolute Verläßlichkeit und insbesondere seine „sympathische Menschlich- keit“, die ihn in den damaligen Fernsehstudios zu einer herausragenden Persönlich- keit machten.239 Der Künstler Herbert Ploberger gewinnt dadurch als Mensch Konturen. Auch die Frage seiner politischen Einstellung ist weitgehend beantwortet; er gehörte

239 Aus einem Gespräch mit Helmut Holger im Herbst 2006.

89 als intellektueller Kosmopolit keiner Partei an, seine kritische Distanz zum National- sozialismus scheint gesichert. Plobergers noch undokumentiertes filmbildnerisches Schaffen, das sich über vierzig Jahre vom Stumm- über den Ton- und Farb- bis zum Fernsehfilm erstreckte, wird derzeit von der Verfasserin im Rahmen einer Dissertation erforscht.

Anhang

Verwendete Abkürzungen AdR (Archiv der Republik), BB (Bühnenbildentwurf), BmfU (Bundesministerium für Unterricht und Kunst), BThV (Bundestheaterverwaltung), Fig. (Figurine, Kostüment- wurf), MA (Magistratsabteilung der Stadt Wien), MF (Mikrofilm), o. A. (ohne Angabe), o. D (ohne Datum), ÖBThV (Österreichische Bundestheaterverwaltung), OÖLA (Oberösterreichisches Landesarchiv), OÖLM (Oberösterreichisches Landes- museum), ÖThM (Österreichisches Theatermuseum), WSTLA (Wiener Stadt- und Landesarchiv), WSTLB (Wiener Stadt- und Landesbibliothek, jetzt Wien-Biblio- thek).

Anmerkung Der Beitrag ist in der alten Rechtschreibung verfaßt, die Zitate wurden in diplomati- scher Umschrift transkribiert. Von Ploberger wörtlich übernommene Bezeichnun- gen seiner Entwürfe sind kursiv und in Anführungszeichen gesetzt.

Die Inszenierungen in chronologischer Reihenfolge

Wien und Salzburg 1933–1934 Florian Geyer. Die Tragödie des Bauernkrieges Schauspiel von Gerhart Hauptmann Premiere am 15. Februar 1933, Wien, Burgtheater; Regie: Hermann Röbbeling; Büh- nenbild: Clemens Holzmeister; Kostüm: Herbert Ploberger; mit Georg Reimers, Hans Siebert, Reinhold Siegert, Reinhold Häussermann, Karl Burgstaller, Philipp Zeska, Karl Eidlitz, Hanns Hitzinger, Fritz Straßni, Paul Hartmann, Franz Herterich, Julius Karsten, Paul Pranger, Hans Baumann, Maria Eis, Franz Höbling, Ferdinand Onno, Hans Marr, Viktor Braun, Otto Treßler, Eduard Volters, Wilhelm Heim, Armand Ozory, Walter Huber, Ferdinand Maierhofer, Emmerich Reimers, Ludwig Hetsey, Kaspar Bach, Hermann Wawra, Wilhelm Schmidt, Julia Janssen, Rudolf Kleiser, Fritz Blum, Richard Eybner, Karl Friedl, Fritz Müller, Maria Mayer, Helmuth Krauß, Hermann Wawra, Marie Trentin, Lili Karoly, Käthe Meißl.

90 Golgotha Passionsspiel von Vinzenz Oskar Ludwig Premiere am 15. April 1933, Wien, Renz-Gebäude; Regie: Aurel Nowotny; Bühnen- bild: Clemens Holzmeister; Kostüm: Herbert Ploberger; Musik: Franz Vajda; mit Hans Schweikart, Ebba Johannsen, Dagny Servaes, Rudolf Teubler, Friedrich Pistoll, Niko Habel, Peter Lorre, Karl Schostal, Laurenz Corvinus, Erich Wolf, Konrad Stie- ber, Eugen Grünau, Walter Höfermayer, Hans Stilp, Eduard Sekler, Tonio Riedl, Gustav Zillinger, Karl Kyser, Friedrich Kühne, Hans Richter, Albert Paulmann, Robert Miksch, Hugo Riedl, Josef Zetenius, Alexander Marten, Edmund Lorbek, Wilhelm Schich, Eduard Spiess, Hans Winterberg, Franz Schafheitlin, Lilia Skalla, Hans Kurth, Walter Haack, Otto Walchshofer, Hans Danninger, Heinz Altringen, Leopold Iwald, Emil Pfeiffer, Gertrude Klastersky-Kolar, Vally Brenneis, Marie Schell-Noe, Elly Giegl, Hilde Malzer, Trude Wiener, Walter Blenke, Heinz Tauber, Ernst Schlott, Harry Just, Alexander Marten, Stany Marris, Dolf Lindner, Ernst Schlott, Erich Wolf, Laurenz Corvinius, Walter Höfermayer, Hans Weiss, Hans Stilp. Faust. Der Tragödie 1. Teil Schauspiel von Johann Wolfgang von Goethe Premiere am 17. August 1933, Salzburg, Salzburger Festspiele, Felsenreitschule; Regie: Max Reinhardt; Bühnenbild: Clemens Holzmeister; Kostüm: Herbert Plober- ger; Musik: Bernhard Paumgartner; Dirigent: Herbert von Karajan, Karl Hudez; Choreografie: Margarete Wallmann; Orgel: Franz Sauer; mit Luis Rainer, Fred Lie- wehr, Hedwig Pistorius, Raul Lange, Max Pallenberg, Ewald Balser, Franz Pfaudler, Richard Tomaselli, Paula Wessely, Lotte Medelsky, Nora Minor, Harry Horner, Richard Eybner, Karl Norbert, Franz Pfaudler, Frieda Richard, Gerty Klein, Trude Ploy, Helene Thimig. Othello Oper von Giuseppe Verdi (Libretto: Arrigo Boito, übersetzt von Max Kalbeck) Premiere am 15. Dezember 1933, Wien, Staatsoper; Regie: Lothar Wallerstein; Diri- gent: Clemens Krauß; Bühnenbild: Clemens Holzmeister, Robert Kautsky; Kostüm: Herbert Ploberger; mit Franz Völker, Josef Manowarda, Hermann Gallos, Erich Zim- mermann, Franz Markhoff, Viktor Madin, Josef Knapp, Viorica Ursuleac, Enid Szan- tho, Hans Scholtys. Passionsspiel Schauspiel von Karl Schönherr Premiere am 25. März 1934, Wien, Burgtheater; Regie: Hermann Röbbeling; Büh- nenbild: Clemens Holzmeister; Kostüm: Herbert Ploberger; Musik: Franz Salmho- fer; mit Paul Hartmann, Else Wohlgemuth, Hilde Wagener, Lily Karoly, Ewald Bal- ser, Fred Liewehr, Viktor Braun, Otto Hartmann, Erich Wolf, Hans Siebert, Raoul Aslan, Eduard Volters, Wilhelm Schmidt, Hermann Wawra, Fred Hennings, Julius Karsten, Hanns Hitzinger, Karl Friedl, Fritz Blum, Stany Morris, Maria Mayer, Fritz Straßni, Helmuth Krauß, Reinhold Siegert, Walter Huber, Rudolf Kleiser, Richard Eybner, Tassilo Holik, Armand Ozory, Lotte Medelsky, Käthe Dobbs, H. Czech- Rechtensee, Käthe Lisatz-Schwab, Marga Bernard, Rudolf Kleiser, Albert Paulmann.

91 Tiroler Weihnachtsspiel Schauspiel von Josef Garber Premiere am 14. Dezember 1934, Wien, Deutsches Volkstheater; Regie: Richard Metzl; Dirigent: Karl Hieß; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Chor: Leo Lehner; mit Fritzi Eckener, Trude Pittioni, Maria Schell-Noe, Otto Admandt, Josef Bergauer, Fritz Burgstaller, Paul Dättel, Josef Hübner, Charles Jirka, Friedrich Kühne, Emil Lind, Alfred Mahr, Leo Ortner, Georg Siegl, Rudolf Teubler.

Linz 1945–1946 Der gestiefelte Kater Kindermärchen nach Tieck, bearbeitet von Franz Pühringer Premiere am 28. November 1945, Linz, Kammerspiele des Landestheaters; Regie: Anton Lehmann; Bühnenbild: Herbert Ploberger; mit Arnold Bernauer, Herta Hot- ter, Hubert Mann, Edith Nimführ, Eva Petrus. Leonce und Lena Lustspiel von Georg Büchner, bearbeitet von Franz Pühringer Premiere am 19. Dezember 1945, Linz, Städtische Kammerspiele im Rathaus; Regie: Franz Pühringer; Bühnenbild: Herbert Ploberger; mit Veit Relin, Fritz Bramböck, Hubert Mann, Liselotte Schmid(t). Die Zauberflöte Oper von Wolfgang Amadeus Mozart (Libretto: Emanuel Schikaneder) Premiere am 22. Dezember 1945, Linz, Landestheater; Regie: Viktor Pruscha; Diri- gent: Paul Walter; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Chor: Rudolf Schramek; mit Panos Skinas, Jörg Fekesa, Stefan Zajedan, Friedrich Rudolf, Gerhard Patzak, Frieda Müller, Irma Raunig, Mimi Markus, Paula Hagenbüchli, Albine Ehgarten, Elisabeth Ranic, Maria Moser, Sieglinde Wagner, Kurt Schramek, Herma Costa, Erich Klaus, Albrecht Kornhäusl, Robert Steininger. Bei Kerzenlicht Musikalische Komödie von Robert Katscher und Karl Farkas Premiere am 31. Dezember 1945, Linz, Kammerspiele des Landestheaters; Regie: Gustav Dieffenbacher; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Musikalische Leitung: Hans Hagen; Choreografie: Hella Nemetz; mit Arnold Bernauer, Herma Costa, Rolf Döring, Hubert Mann, Maria Manz, Eveline Meisel, Veit Relin, Adi Wate´und einem Männerterzett. Leuchtfeuer (Thunder Rock) Schauspiel von Robert Ardrey, übersetzt von Frank C. Ruddy Premiere am 11. Jänner 1946, Linz, Landestheater; Regie: Heinrich Ortmayr; Büh- nenbild: Herbert Ploberger; mit Heinrich Ortmayr, Ferdinand Lackner, Fritz Neu- mann, Michael Grahn, Hubert Mann, Ludwig Blaha, Anton Lehmann, Richard Feist, Lola Dieffenbacher, Traut Kutscha, Friedl Gollmann.

92 Gräfin Mariza Operette von Emmerich Ka´lma´n (Libretto: J. Brammer, A. Grünwald) Premiere am 26. Jänner 1946, Linz, Landestheater; Regie: Adi Wate´; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Dirigent: Theodor Peyrl; Choreografie: Heli Nemetz; mit Wanda von Kobierska, Fritz Neumann, Hans Starz, Albrecht Kornhäusl, Inge Stick, Michael Grahn, Lola Penninger, Adi Wate´, Beate Doppler, Franz Regner, Sieglinde Wagner, Inge Wiesinger, Traudl Stick, Liselotte Schneller.

Tanz im Thermidor Ernste Komödie von Roland Marwitz Premiere am 02. Februar 1946, Linz, Kammerspiele des Landestheaters; Regie: Gustav Dieffenbacher; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Musik: Hans Hagen; mit Ludwig Blaha, Rita Gallos, Ernst Kapusta, Eva Sandor, Hubert Mann, Richard Feist, Anton Lehmann, Arnold Bernauer, Evelyne Meisel, Edith Nimführ.

Der Barbier von Sevilla Opera buffa von Gioacchino Rossini (Libretto: Cesare Sterbini nach Beaumarchais) Premiere am 09. Februar 1946, Linz, Landestheater; Regie: Viktor Pruscha; Dirigent: Paul Walter; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Chor: Rudolf Schramek; mit Jörg Fekesa, Alfons Kral, Hans Schnepf, Frieda Müller, Panos Skinas, Albine Elgarden, Sieglinde Wagner, Ortwin Graber, Kurt Schramek, Robert Steininger, Rudolf Häu- ser, Friedrich Rudolf, Franz Regner.

Hofrat Geiger Musikalisches Lustspiel von Martin Costa (Musik: Hans Lang) Premiere am 28. Februar 1946, Linz, Kammerspiele des Landestheaters; Regie: Lud- wig Blaha; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Musik: Hans Hagen; Choreografie: Heli Nemetz; mit Fritz Neumann, Gustav Dieffenbacher, Eva Sandor, Lola Penninger, Eva Petrus, Roswitha Posselt, Trude Fukar, Charlie König, Ludwig Blaha, Helli Lich- ten, Marie Schantl, Käthe Faussek, Elisabeth Sparchala.

Weh dem, der lügt! Lustspiel von Franz Grillparzer Premiere am 02. April 1946, Linz, Landestheater; Regie: Heinrich Ortmay(e)r; Büh- nenbild: Herbert Ploberger; mit Ludwig Blaha, Michael Grahn, Veit(h) Relin, Alfons Kral, Eva Petrus, Ferdinand Lackner, Robert Steininger, Hubert Mann, Gustav Dief- fenbacher, Arnold Bernauer, Rudolf Häuser.

Ballettabend Premiere am 12. April 1946, Linz, Landestheater; Choreografie: Hella (Heli) Nemetz; Dirigent: Paul Walter; Bühnenbild: Herbert Ploberger; mit Elfi Beer, Hans Drastyl, Irene Hofferichter, Trude Jakober, Traudl Jerzö, Ursel Kehl, Erich Klaus, Charlie König, Bärbel Lorel, Hella Nemetz, Elvira Podgorski, Hans Starz.

93 Der fidele Bauer Operette von Leo Fall (Libretto: Victor Le´on) Premiere am 01. Mai 1946, Linz, Landestheater; Regie: Adi Wate´; Dirigent: Theodor Peyrl; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Choreografie: Hella Nemetz; mit Fritz Neumann, Erich Klaus, Adi Wate´, Albrecht Kornhäusl, Inge Stick, Alois Indra, Hans Lehnfeld, Hans Lexl, Hilde Novacek, Erika Lexl, Robert Steininger, Toni Apel-Reit- ner, Michael Grahn, Edith Nimführ, Franz Regner, Maria Stahrmühlner.

Jacobowsky und der Oberst Schauspiel von Franz Werfel Premiere am 08. Juni 1946, Linz, Landestheater; Regie: Ludwig Blaha; Bühnenbild: Herbert Ploberger; mit Anton Lehmann, Hans Stöckl, Maria Manz, Karl Pammer, Richard Feist, Robert Steininger, Helli Lichten, Isolde Kaspar, Charlie König, Lola Penninger, Elisabeth Sparchala, Edith Nimführ, Eveline Meisel, Ernst Kapusta, Michael Grahn, Fritz Neumann, Arnold Bernauer, Ferdinand Lackner, Hans Lexl, Hans Schnepf, Hermann Schindler, Veit Relin, Ilse Wecke.

Wien 1946–1949 Pedro, Pablo und die Gerechtigkeit Schauspiel von E. F. Burian, nach dem Roman von B. Beneschowa, übersetzt von H. Hofrichter und L. Orel Premiere am 25. Oktober 1946, Wien, Kleines Haus des Theaters in der Josefstadt (Studio); Regie: Josef Zechell; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Musik: E. F. Burian; mit Erna Mangold, Gerhard Riedmann, Eva Simmell, Gisa Wurm, Hans Ziegler.

Die ferne Station (Stanzija Dalnaja) Schauspiel von Alexander Afinogenew, übersetzt von Freimut Schwarz und Iwan Melkich Premiere am 10. Dezember 1946, Wien, Theater in der Josefstadt; Regie: Rudolf Steinböck; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Musik: Peter Wehle; mit Attila Hörbi- ger, Vilma Degischer, Carl Günther, Elisabeth Markus, Aglaja Schmid, Gandolf Buschbeck, Karl Kyser, Christian Moeller, Evi Servaes, Josef Zechell, Rudolf Krisma- nek.

Eurydike Schauspiel von Jean Anouilh, übersetzt von Helma Flessa Premiere am 31. Jänner 1947, Wien, Kleines Haus des Theaters in der Josefstadt (Stu- dio); Regie: Franz Pfaudler; Bühnenbild: Herbert Ploberger; mit Leopold Rudolph, Julius Brandt, Grete Zimmer, Dagny Servaes, Fritz Gehlen, Heinz Altmann, Heinrich Ortmayr, Heribert Aichinger, Gertrud Ramlo, Erik Frey, Hans Ziegler, Karl Böhm, Kurt Sowinetz, Peter Sturm, Herta Kravina.

94 Figaro lässt sich scheiden Komödie von Ödön von Horvath Premiere am 29. April 1947, Wien, Kleines Haus des Theaters in der Josefstadt (Stu- dio); Regie: Alfred Ibach; Musik: Ludwig Zenk; Bühnenbild: Herbert Ploberger; mit Heribert Aichinger, Maria Andergast, Franz Böheim, Karl Böhm, Julius Brandt, Max Brebeck, Peter Diry, Curt Eilers, Harry Fuß, Fritz Gehlen, Carl Günther, Harry Halm, Klaus Löwitsch, Paul Olmühl, Dagni Servaes, Helly Servi, Fritz Strobl, Gisa Wurm.

Die Stadt ist voller Geheimnisse Schauspiel von Curt Johannes Braun Premiere am 20. Juni 1947, Wien, Kleines Haus des Theaters in der Josefstadt (Stu- dio); Regie: Rudolf Steinböck; Bühnenbild: Herbert Ploberger; mit Karl Kyser, Hans Ziegler, Heribert Aichinger, Ernst Stankovsky, Harry Fuss, Gertrud Ramlo, Christl Räntz, Aglaja Schmid, Melanie Horeschovsky, Inge Egger, Ludmilla Hell, Erik Frey, Heinrich Ortmayr, Hermann Glaser, Fritz Gehlen, Leopold Rudolf, Susi Witt.

Wie sag ich’s meinen Müttern? Komödie von Andre´Birabeau, übersetzt von Ulrich Keyn Premiere am 15. Juli 1947, Wien, Theater in der Josefstadt; Regie: Rudolf Steinböck; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Kostüme: F. Hedayat; mit Gandolf Buschbeck, Carl Günther, Peter Preses, Michael Grahn, Dagny Servaes, Vilma Degischer, Lotte Lang, Hannelore Schroth, Gertrud Bachmann, Olga Traeger-Matscheko.

Es gibt keine Zufälle Lustspiel von Andreas Solt und Stefan Beke´ffi Premiere am 12. August 1947, Wien, Volkstheater; Regie: Gustav Manker; Bühnen- bild: Herbert Ploberger; Kostüme: Erika Thomasberger; mit Magda Schneider, Benno Smytt, Fritz Schmiedel, Erika Ziha, Alfred Huttig, Ilde Overhoff, Andre´Mat- toni, Franz Pokorny, Helene Lauterböck, Susanne Engelhart, Friedrich Links, Lucie Bittrich, Beatrix Kadla, Laczi Hillinger, Viktor Gschmeidler, Luise Wilmers, Hans Radvany, Helene Grof, Wolfgang Gilbert, Fritz Linn, Ursula Lingen, Traudl Thuma, Oscar Willner, Josef Hajny, Walter Kohut, Hella Ferstl, Lina Frank, Hubert Fischl.

Der Kreidekreis Spiel nach einer chinesischen Fabel von Klabund Premiere am 17. Februar 1948, Wien, Theater in der Josefstadt; Regie: Alfred Ibach; Musik: Ludwig Zenk; Bühnenbild und Kostüm: Herbert Ploberger; mit Angelika Salloker, Ludmilla Hell, Leopold Rudolf, Peter Preses, Paul Hubschmid, Hans Zieg- ler, Elisabeth Markus, Josef Zechell, Gustav Waldau, Melanie Horeschovsky, Max Brebeck, Peter Sturm, Eduard Sekler, Ludwig Blaha, Hermann Glaser, Herbert Alda, Gerhard Riedmann, Walter Winkler.

95 Der Alte (Starik) Schauspiel von Maxim Gorki, übersetzt von Xaver Schaffgotsch Premiere am 11. März 1949, Wien, Theater in der Josefstadt; Regie: Rudolf Stein- böck; Bühnenbild und Kostüm: Herbert Ploberger; mit Erich Nikowitz, Gandolf Buschbeck, Evi Servaes, Gertrud Bechmann, Max Brebeck, Vilma Degischer, Peter Preses, Ernst Stankovski, Alexander Fischer-Marich, Franz Pfaudler, Aglaja Schmid.

Ihr Mann (Son mari) Lustspiel von Paul Ge´raldy, übersetzt von Berta Zuckerkandl Premiere am 01. April 1949, Wien, Kammerspiele des Theaters in der Josefstadt; Regie: Franz Pfaudler; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Kostüm: Hill Reihs-Gromes; mit Vilma Degischer, Elisabeth Markus, Helly Servi, Inge Egger, Peter Preses, Robert Lindner, Hermann Glaser.

Was Damen gefällt (Bataille de Dames) Lustspiel von Augustin-Euge`ne Scribe, bearbeitet von Egon Friedell und Hans Sass- mann Premiere am 12. Mai 1949, Wien, Kammerspiele des Theaters in der Josefstadt; Regie: Peter Preses; Bühnenbild und Kostüm: Herbert Ploberger; mit Christl Räntz, Carl Günther, Aglaja Schmid, Robert Lindner, Peter Gerhard, Oscar Karlweis, Josef Zechell, Camillo Koschut, Peter Janisch.

Ein Mann wird gesucht (Liberte´provisoire) Komödie von Michel Duran, übersetzt von F. Geiger Premiere am 02. August 1949, Wien, Kammerspiele des Theaters in der Josefstadt; Regie: Christian Möller; Bühnenbild: Herbert Ploberger; Kostüm: Hill Reihs-Gro- mes und Grete Brenneis; mit Susanne Almassy, Erna Mangold, Gisa Wurm, Robert Lindner, Heinrich Ortmayr, Hugo Gottschlich, Ernst Waldbrunn, Peter Gerhard, Hermann Glaser, Heribert Aichinger.

Wer wählt wen? (The Chiltern Hundreds) Komödie von William Douglas Home, übersetzt von Helmut Qualtinger Premiere am 05. August 1949, Wien, Theater in der Josefstadt; Regie: Peter Preses; Bühnenbild: Herbert Ploberger; mit Carl Günther, Elisabeth Markus, Kurt Heintel, Susanne Engelhart, Hilde Harvan, Inge Egger, Raoul Alster, Max Brebeck.

Der Arzt am Scheideweg (The Doctor’s Dilemma) Komödie von Bernhard Shaw, übersetzt von Siegfried Trebitsch Premiere am 22. September 1949, Wien, Kammerspiele des Theaters in der Josef- stadt; Regie: Leopold Rudolf; Bühnenbild und Kostüm: Herbert Ploberger; mit Ernst Deutsch, Hans Ziegler, Carl Günther, Peter Preses, Heribert Aichinger, Chri- stian Möller, Hans Holt, Grete Zimmer, Wolfgang Weiser, Gisa Wurm, Inge Egger, Gerhard Riedmann, Peter Sturm, Rudolf Weitlaner.

96 Othello, Der Mohr von Venedig Tragödie von William Shakespeare Premiere am 06. Oktober 1949, Wien, Neues Theater in der Scala; Regie: Friedrich Neubauer/Günther Haenel; Bühnenbild und Kostüm: Herbert Ploberger; mit Josef Krastel, Hans Jungbauer, Ludwig Blaha, Friedrich Links, Wolfgang Heinz, Emil Stöhr, Karl Paryla, Anton Duschek, Erwin Faber, Hortense Raky, Hella Ferstl, Ursula Lingen, Franz Zellhausen, Toni Kramreither, Hans Weniger, Otto Tausig, Rudolf Rhomberg, Max Straßberg.

Wien und Salzburg 1954–1962

Das Glas Wasser (Le verre d’eau, ou Les effets et les causes) Lustspiel von Augustin-Euge`ne Scribe, bearbeitet vom Rudolf Steinböck Premiere am 24. Oktober 1954, Wien, Theater in der Josefstadt; Regie: Rudolf Stein- böck; Bühnenbild und Kostüm: Herbert Ploberger; mit Aglaja Schmid, Susanne Almassy, Erik Frey, Helmuth Lohner, Nicole Heesters, Hermann Glaser, Robert Val- berg.

Der Turm Trauerspiel von Hugo von Hofmannsthal Premiere am 13. August 1959, Salzburg, Salzburger Festspiele, Felsenreitschule; Regie: Ernst Lothar; Bühnenbild: Gustav Manker; Kostüm: Herbert Ploberger; Musik: Bernhard Paumgartner; mit Maximilian Schell, Ernst Ginsberg, Ullrich Haupt, Ludwig Linkmann, Rudolf Therkatz, Hanns Ernst Jäger, Peter Brogle´, Mathias Wieman, Peter Morgenstern, Erich Auer, Eduard Cossovel, Helmut Janatsch, Horst Fitzthum, Karl Blühm, August Herbst, Kurt Sowinetz, Kurt Prade, Johannes Obonya, Wolfgang Hebenstreit, Mario Haindorff, Viktor Braun, Hans Christian, Ernst Meister, Richard Tomaselli, Ingo Koblitz, Adrienne Gessner, Martha Wallner.

König Heinrich IV. Schauspiel von William Shakespeare, übersetzt von A. W. von Schlegel Premiere am 18. Februar 1960, Wien, Burgtheater; Regie: Leopold Lindtberg; Büh- nenbild: Teo Otto; Kostüm: Herbert Ploberger; Musik: Hans Totzauer; mit Albin Skoda, Oskar Werner, Peter Kreuziger, Peter Reimer, Stefan Skodler, Andreas Wolf, Michael Janisch, Heinz Moog, Fred Liewehr, Hanns Obonya, Erich Auer, Heinz Woester, Josef Wichart, Achim Benning, Hannes Schiel, Hermann Schomberg, Alexander Trojan, Josef Krastel, Hugo Gottschlich, Robert Lindner, Peter P. Jost, Günther Haenel, Franz Böheim, Michael Tellering, Otto Kerry, Erich Dörner, Peter Neußer, Wolfgang Reinbacher, Andreas Adams, Wolfgang Gasser, Viktor Braun, Hannes Schiel, Erich Dörner, Herwig Seeböck, Max Willimsky, Gandolf Buschbeck, Friedrich Neubauer, Johannes Schauer, Judith Holzmeister, Erika Pluhar, Dagny Servaes, Inge Konradi, Sonja Sutter.

97 König Heinrich V. Schauspiel von William Shakespeare, übersetzt von A. W. von Schlegel Premiere am 07. Februar 1961, Wien, Burgtheater; Regie: Leopold Lindtberg; Büh- nenbild: Teo Otto; Kostüm: Herbert Ploberger; Musik: Hans Totzauer; mit Albin Skoda, Oskar Werner, Veit Relin, Peter Kreuziger, Heinz Woester, Stefan Skodler, Heinz Moog, Manfred Inger, Hannes Schiel, Otto Kerry, Ernst Gegenbauer, Josef Krastel, Hanns Obonya, Josef Meinrad, Peter P. Jost, Kaspar Fischer, Reinhold Sie- gert, Wolfgang Gasser, Hermann Thimig, Hugo Gottschlich, Robert Lindner, Peter Brogle´, Max Pfeiler, Wolf Albach-Retty, Alexander Trojan, Wolfgang Stendar, Fritz Lehmann, Helmuth Janatsch, Karl Blühm, Hintz Fabricius, Franz Zellhausen, Gün- ther Haenel, Rudolf Bary, Herwig Seeböck, Elisabeth Höbarth, Annemarie Düringer, Eva Zilcher, Lily Stepanek.

König Richard III. Schauspiel von William Shakespeare, übersetzt von A. W. von Schlegel Premiere am 08. März 1962, Wien, Burgtheater; Regie: Leopold Lindtberg; Bühnen- bild: Teo Otto; Kostüm: Herbert Ploberger; Musik: Hans Totzauer; mit Fred Lie- wehr, Heinz Ehrenfreund, Manfred Konecny, Kurt Müller-Graf, Heinrich Schweiger, Peter Brogle´, Wolfgang Stendar, Josef Krastel, Helmut Janatsch, Hannes Schiel, Ste- fan Skodler, Karl Mittner, Peter Kreuziger, Erich Auer, Heinz Woester, Wolfgang Lit- schauer, Gandolf Buschbeck, Peter P. Jost, Michael Tellering, Otto Kerry, Otto Schmöle, Rudolf Paczak, Franz Zellhausen, , Günther Haenel, Manfred Inger, Erich Dörner, Ernst Gegenbauer, Ernst Princz, Gerald Waldegg, Josef Wichart, Eva Zilcher, Judith Holzmeister, Lieselotte Schreiner, Sonja Sutter, Achim Benning.

98 Geistesverwandt über Zeiten und Räume Gertrud Fussenegger zum Geburtstag

Von Josef Demmelbauer

Im Herbst 2006 ist ein schmaler hat es seinen Eigenwert, freilich einen Band mit dem seltsamen Titel „Warum von ungewisser kurzer Dauer? Hängt es Denken traurig macht“ und von zehn mit Gott zusammen, wenn es schon (möglichen) Gründen hiefür erschienen. nicht von ihm kommt, oder gibt es da Sein Verfasser ist der 1929 in Paris überhaupt keinen Zusammenhang, ent- geborene und an der Universität Oxford weder weil es Gott nicht gibt oder, wenn lehrende Geisteswissenschaftler George es ihn gibt, weil ihn das Gewimmel der Steiner. Der Band nimmt seinen Aus- unzähligen Menschen im Lauf der Jahr- gang von einer Passage aus „Philosophi- tausende nicht kümmern kann? sche Untersuchungen über das Wesen Ein zwingender Beweis lässt sich we- der menschlichen Freiheit“, die der ro- der nach der einen noch nach der ande- mantische Naturphilosoph Friedrich ren Richtung führen, eine „allem endli- Wilhelm Schelling (1775–1854) im Jahre chen Leben anklebende Traurigkeit“. 1809 veröffentlicht hatte. Mit diesem Und wie wirkt sich das auf unsere Werk bewegt sich Schelling erstmals in Lebensanschauung aus? die mystisch-religiöse Richtung, die seine späteren Werke kennzeichnet.1 Mit Am fasslichsten vermögen dies dem Schelling-Zitat von der „allem end- Dichter, prosaischer gesagt, Schriftstel- lichen Leben anklebenden Traurig- ler, zum Ausdruck zu bringen, die erzäh- keit . . ., dem Schleier der Schwermut, len können. Bei ihnen wird Leben, wird der über die ganze Natur ausgebreitet Existenz anschaulich, während dies den ist, der tiefen unzerstörlichen Melancho- „Sinnvermittlern“, den Philosophen und lie allen Lebens“ gelangen wir mitten den Theologen nur selten gelingt. hinein in das Rätsel der menschlichen Lassen wir daher je zwei Dichter zu Existenz, „ihrer Natur und ihres Zweckes Wort kommen, die teils verwandte, teils – wenn es ihn überhaupt gibt . . . Wir unterschiedliche Sichtweisen vom Leben sind einer Antwort auf die Frage, ob der haben. Tod endgültig ist oder nicht, ob es Gott gibt oder nicht, keinen Zoll näher ge- 1 Zu Schelling, der im Tübinger Stift mit seinen kommen als Parmenides oder Platon. Landsleuten Hölderlin und Hegel Freundschaft Vielleicht sind wir weiter davon entfernt geschlossen hatte: Störig, Kleine Weltge- als sie.“2 schichte der Philosophie, Bd. 2, S. 117 ff. (Fi- Was ist unser Leben? Ist es ein mittel- scher-Taschenbuch 6136). 2 George Steiner, Warum Denken traurig macht, alterliches Jammertal, wie es vor allem S. 74. Dem bei Suhrkamp erschienenen Band die religiöse Dichtung noch Jahrhun- ist ein Nachwort von Durs Grünbein beigege- derte nach dieser Epoche beklagt, oder ben.

99 „Stoiker“ und „Tragiker“ oder nicht glaubte, gar nichts mehr.“ (S. 54) 2006 erschien in New York als der- Da stand er dann am Grab unter sei- zeit letztes einer langen Reihe erfolgrei- nen Verwandten, mit Tochter und ge- cher Bücher von Philip Roth (darunter schiedener Frau, mit zwei völlig entfrem- etwa „Der menschliche Makel“) der deten erwachsenen Söhnen. Sein Vater Band „Everyman“. Der Autor, Jahrgang hatte beim Rabbiner das traditionelle jü- 1933, Amerikaner jüdischer Herkunft, dische Begräbnisritual bestellt, bei dem wird ob des Ranges seiner Werke jedes die Verwandten selbst das Grab zu- Jahr als Favorit für den Nobelpreis für schaufeln müssen. Das dauerte fast eine Literatur gehandelt. Noch im selben Jahr Stunde, bis die Erde die Höhe des Grab- ist der Band in deutscher Übersetzung deckels erreichte und ihn dann allmäh- bei Hanser als „Jedermann“ herausge- lich bedeckte. „Sein Vater würde nicht kommen. Geht es im Hofmannsthal- nur in einem Sarg liegen, sondern auch schen „Jedermann“ um das Sterben des unter der Last dieser Erde, und plötzlich reichen Mannes mitten aus dem vollen sah er den Mund seines Vaters, als sei da Leben heraus, so geht es bei Roth um die gar kein Sarg, als falle die Erde, die sie in zunehmenden körperlichen Gebrechen das Grab warfen, direkt auf ihn und ver- im – für heutige Verhältnisse – frühen stopfe ihm Mund, Augen, Nase und Oh- Alter. „Das Alter ist kein Kampf; das Al- ren . . .“ (S. 61). ter ist ein Massaker.“ So springt es aus Von hier, von der Ostküste der USA, ihm heraus (S. 148), nachdem er mit ei- führt der Weg weit weg nach Paris, wo nem gleichaltrigen krebskranken Freund Heinrich Heine vor über 150 Jahren, telefoniert hat und sich die Banalität und 1856, wenig älter als 58 Jahre, gestorben Vergeblichkeit seiner aufmunternden ist. Der große Spötter und „ewige Ruhe- Worte vergegenwärtigt. Die Religion ist störer“ (M. Reich-Ranicki), von dem ihm kein Trost, auch seine jüdische nicht. schon zu seinen Lebzeiten gesagt wurde, „. . . er nahm Anstoß an allen Religionen, er habe keinen Glauben – das war da- ihr abergläubisches Getue schien ihm mals nicht ungefährlich! –, überhaupt sinnlos und kindisch; was er nicht aus- keine durchgängige und verlässliche stehen konnte, war ihre komplette Uner- Überzeugung, liegt in seiner „Matrat- wachsenheit – die Babysprache, die zengruft“, sein Ende, ausgelöst von einer Rechtschaffenheit und die Schafe, die venerischen Erkrankung, vor Augen. In eifrigen Gläubigen. Mit Hokuspokus seinem Heine-Essay3 schildert Fritz J. über Tod und Gott und obsoleten Him- Raddatz den Zustand Heines in den acht melsphantasien hatte er nichts zu schaf- Jahren der Matratzengruft, während de- fen. Es gab nur unsere Körper, geboren, rer er nicht einen Schritt gehen konnte, um zu leben und zu sterben nach Bedin- gungen, geschaffen von Körpern, die vor 3 Fischer-Taschenbuch 2216, November 1979, uns gelebt hatten und gestorben S. 92/93; Original bei Hoffmann und Campe waren . . . An dem Tag jedoch, da sein Verlag, Hamburg 1977. Zum 150. Todestag von Heine ist eine Fülle von Heine-Literatur erschie- Vater neben seiner Mutter auf dem her- nen. Einen Überblick darüber gibt etwa die Wo- untergekommenen Friedhof . . . begra- chenendbeilage der „Salzburger Nachrichten“ ben wurde, zählte das, was er glaubte vom 11. Februar 2006.

100 „wie ein Kind abgemagert, von Pflege- Ludwig Gumplowicz (1838–1909),6 personal getragen und versorgt, die so wie Heine Jude und zwecks besseren grauenhaften Schmerzen manchmal we- Fortkommens zum Protestantismus kon- nigstens zur Erträglichkeit gedämpft vertiert, Soziologe und Professor für durch Morphium, das in eine am Hals Staatsrecht in Graz, hielt dazu fest, dass ständig offen gehaltene Wunde gestreut „wir diese Frage des Dichters nur damit wurde“. Dieses Martyrium hätte geeig- beantworten können, dass die Natur, die net sein können, so fährt Raddatz fort, Allschöpferin, sich um solche Lappalien „zur Einkehr in die Obhut irgendeiner al- nicht kümmert“. leinseligmachenden Kirche. Eben das tat „Also fragen wir beständig, Heine nicht.“ Das belegt Raddatz mit Bis man uns mit einer Handvoll dem folgenden Heine-Zitat: Erde endlich stopft die Mäuler – „Ausdrücklich widersprechen muss Aber ist das eine Antwort?“ ich jedoch dem Gerüchte, als hätten mich meine Rückschritte bis zur Bei diesen letzten Zeilen ist man zu- Schwelle irgendeiner Kirche oder gar in nächst an das jüdische Begräbnisritual ihren Schoß geführt. Nein, meine reli- erinnert. Aber was bei Philip Roth grau- giösen Überzeugungen und Ansichten siges Entsetzen des areligiösen Sohnes sind frei geblieben von jeder Kirchlich- hervorruft: „Ich schaue in dieses Gesicht, keit; kein Glockenklang hat mich ver- seit ich geboren wurde – hört auf, das lockt, keine Altarkerze hat mich geblen- Gesicht meines Vaters zu begraben!“, das det. Ich habe mit keiner Symbolik ge- ist bei Heine radikale Glaubensverzweif- spielt und meiner Vernunft nicht ganz lung, angesiedelt im allgemein menschli- entsagt.“ chen Bereich: Das Buch Hiob des Alten Heine mochte jedoch nicht als Athe- ist gelten. Er hatte mit dem „Gott unserer 4 Heinrich Heine und die Abschaffung der Väter“, den er nicht in seine antikirch- Sünde, Claassen Verlag 1972, 408 Seiten. Stern- lichen Polemiken einbezogen sehen berger, der heuer 100 Jahre alt geworden wäre, wollte, Frieden geschlossen. Hier kommt war Professor für Politische Wissenschaft in Raddatz in die Nähe von Dolf Sternber- Heidelberg, Publizist und Schriftsteller, Autor gers Heine-Buch,4 das, so schreibt dieser vielbeachteter Texte, z. B. „Panorama“ oder An- sichten vom 19. Jahrhundert oder der Untersu- im Vorwort dazu, zeigen soll, dass die chung über Augustinus oder die Eschatologik. Meinung, Heine habe keine Glauben ge- 5 Sternberger, 316 f. habt, irrig sei. Gegen Ende des Buches 6 Zum „Sozialdarwinisten“ Gumplowicz: Wil- gibt Sternberger „die härteste, des Psal- liam M. Johnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte 1972, deutsch 1974, S. 324 ff., misten würdige Zweifels- und Empö- das Werk ist 2006 bereits in 4., erweiterter Auf- rungsfrage“ wieder, die Heine in seinem lage erschienen. Gumplowicz, „privat ein hoch- berühmten Lazarus-Gedicht5 ausgesto- gesinnter Idealist, stets heiter und stets der ßen hat: Sorge um seine kranke Frau hingegeben“, be- ging 71-jährig gemeinsam mit seiner invaliden „Warum schleppt sich blutend, elend Frau Selbstmord; er wollte dadurch seiner eige- nen Hilflosigkeit und dem zu erwartenden Tod Unter Kreuzlast der Gerechte, wegen Zungenkrebs vorgreifen (Johnston, 323). Während glücklich als ein Sieger Zum „Diskurs über den Freitod“ sh. Jean Trabt auf hohem Roß der Schlechte?“ Amery, „Hand an sich legen“ (1976).

101 Testaments wird auf vier Zeilen kompri- ergänzen – „in meiner Jugend geradezu miert, das Warten auf Antwort in alle verfolgt, Gott als ,das Unerträgliche‘. Ewigkeit ausgedehnt.7 Philip Roths Je- Denken Sie an Luther! Das (vielleicht dermann würde, sollte er jemals eine fragwürdige) Verdienst der katholischen Autobiographie schreiben, sie als „Leben Kirche ist, ,Gott‘ erträglich gemacht zu und Tod eines männlichen Körpers“ beti- haben und die arme, von metaphysi- teln, Jenseitsbezüge hat er ad acta gelegt, schen Qualen gemarterte Seele mit seine Betrachtungsweise zum Leben und Symbolen und Ritualen zu beruhigen. dem Zeitpunkt seines unausweichlichen Das ist das Mediterrane am Katholizis- Endes ist – so scheint es – stoische Ge- mus. Die sanfte, aber wohltätige, geseg- fasstheit, Heine ist bei allem Spott für nete Korruption. Und ein großes Stück Religion und Kirche offenbar ein ver- Weisheit dazu.“ (S. 117) zweifelter – tragischer – Gottsucher ge- Was nun Gertrud Fusseneggers Ein- blieben. stellung zur Kirche betrifft, „so habe ich“, Wir kommen nun in freundlichere, schreibt sie auf S. 91/92 des Gesprächs- hellere Gefilde. buches, „ihre Vertreter und Institutionen in meinen Büchern nicht so kritisiert, dass ich ihnen nicht letztendlich recht Lebenspflichten und Lebens-Sinn gegeben hätte. Sie sind Menschen und menschlich, das heißt bedingt, aber eher, in der Wahrheit als die, die sich neben In den vergangenen Wochen hat ihnen oder gegen sie bewegen . . .“ man der Dichterin Gertrud Fussenegger anlässlich ihres hohen Geburtstages Ernst Jünger (1895–1998) schrieb sei- hohe – verdiente – Ehre erwiesen. Auch nem Bruder Friedrich Georg zu dessen diese Zeilen wollen ein Zeichen der 70. Geburtstag, dass anders als für die Hochachtung von Person und Werk der Welt des Handelns, der Geschäfte, der Jubilarin sein. Von ihren zahlreichen Politik dort, „wo das Denken und die Werken ist „Zeit des Raben, Zeit der Sprache selbst Objekte werden, also in Taube“, eine Romanbiographie über Ma- der geistigen und musischen Welt“, Par- rie Curie und Le´on Bloy,8 wohl am be- teinahme nichts zu suchen habe. Aus deutendsten. Allein die Aneignung und dieser Sicht wird verständlich, dass Ger- Beherrschung des naturwissenschaftli- trud Fussenegger von sich sagen konnte: chen Stoffes ist schon eine bewunderns- „Den Konservativen, den Katholiken war werte Leistung. In ihrem Gesprächsbuch ich nicht konservativ und katholisch ge- über ihr Leben und Werk9 kommt sie bei der Erklärung ihres Erfasstwerdens vom Stoff – der Dichter Bloy steht für eine ra- 7 Sh. dazu die Anm. 68 auf S. 397 bei Sternber- dikale christliche Mystik, das Ehepaar ger. Curie für atheistische Naturwissenschaft 8 Vgl. Fussenegger, Über das Sinnbildliche im – auf Gott als Abgrund zu sprechen, wie Werk Le´on Bloys. In: Echolot, herausgegeben vom Adalbert-Stifter-Institut des Landes Ober- ihn Bloy in seiner Radikalität verstand: österreich, S. 19 ff. „Dieser Gedanke sprach mich an, er hat 9 Sh. meine Besprechung in Oö. Hbl., 2005, mich“ – wie früher so viele, möchte man H. 3/4, S. 268.

102 nug; den Nazis nicht nationalsoziali- Der Mensch ist nicht zum Unglück, stisch genug, den Sozialisten nicht sozia- sondern für die Freude geboren, freilich listisch genug.“ (S. 94 des Gesprächsbu- nicht für die „Spaßgesellschaft“! ches) Das ist die frohe Botschaft, die einst In einem äußerst bemerkenswerten Ludwig Hölty (1748–1776) vorgetragen Vortrag zum Thema Lebensentscheidun- hat. Der so früh verstorbene Dichter, gen bekennt sich die Dichterin „zum den Älteren wenigstens mit „Üb immer Aufwärts, zur Heilsmöglichkeit, zur Treu und Redlichkeit“, dem Rat des alten Hoffnung . . . Lebensglück gedeiht . . . auf Landmannes an seinen Sohn, bekannt, die Dauer nicht abseits von Lebens- den Jungen kaum noch, hat sie in den Sinn“. Den müssen sich die meisten aber folgenden vier Zeilen aus seinem Ge- erarbeiten. dicht „Lebenspflichten“, wissend um die „Ein heiterer Mensch ist an sich er- Endlichkeit des Lebens, so zum Aus- freulich – ein Wohltäter par existence. druck gebracht: Ich spürte das gestern beim Besuch von Gertrud Fussenegger, fühlte mich gleich „Ungewisser, kurzer Dau’r wohler danach.“ Das notierte der damals Ist dies Erdeleben; 90-jährige Ernst Jünger 1985 in sein Ta- 10 Und zur Freude, nicht zur Trau’r gebuch. Diese Heiterkeit ist eine Frucht Uns von Gott gegeben.“ ernster Sinnsuche. In dem 1983 erschienenen Brief- und Die „Lebenspflichten“ beginnen so: Tagebuchroman „Sie waren Zeitgenos- sen“, einem ebenso fesselnden wie nach- „Rosen auf den Weg gestreut, denklich stimmenden Buch, einem vor- Und des Harms vergessen! dergründig historischen Roman11 über Eine kleine Spanne Zeit die Zeitgenossen Jesu Christi, die von Ward uns zugemessen. ihm keine Notiz nehmen, schreibt Elja- Heute hüpft im Frühlingstanz kim, der Bruder des Hohepriesters Kai- Noch der frohe Knabe; phas, als Gutsbesitzer und Priester der Morgen weht der Totenkranz jüdischen Oberschicht zugehörig, skep- Schon auf seinem Grabe. tisch und an seiner zur Gewalttätigkeit entartenden Zeit leidend, an den Grie- 10 Siebzig verweht III, S. 493. chen Antisthenes, „Arzt, Privatgelehrter 11 Im Gesprächsbuch betont die Dichterin, das und Dichter, derzeit zu Caesarea“ – die- Buch „sollte einen paradigmatischen Charakter ser hat auch Zugang zu Pontius Pilatus – haben“. Der Gesprächspartner Rainer Hackel in einem Brief: vermeint in ihm einen Bezug auf das Dritte „Bring mir . . . wieder einige philoso- Reich sehen zu können, „eine erschreckende Frage“. Nahe liegender scheint mir, in einer phische Schriften mit! Auch Gedichte, Hauptfigur, in dem jungen Aristobul, dem auch Komödien sind willkommen, alles, Sohn Eljakims, der dem jüdischen Volk durch was mich bilden, woran ich mich erhei- revolutionäre Gewalt – er schließt sich Barab- tern kann, was mich versichert, dass der bas an – eine bessere Zukunft weisen will, einen Bezug zu dem RAF-Terror in Deutschland zu Mensch nicht zum Unglück und für ein sehen, der 1977 – einige Jahre vor dem Erschei- finsteres Verhängnis, sondern für die nen des Buches – auf seinem Höhepunkt ange- Freude geboren ist.“ (S. 8/9) langt war.

103 Wonne führt die junge Braut der letzten Strophe des Gedichtes „Auf- Heute zum Altare; munterung zur Freude“14 seines „engeren Eh die Abendwolke taut, Landsmannes Hölty“ geschlossen: Ruht sie auf der Bahre.“ „O wunderschön ist Gottes Erde, Das Erstaunliche aus Sicht unserer Und wert darauf vergnügt zu sein; Zeit, in der nur von Menschenrechten – Drum will ich, bis ich Asche werde, 15 freilich meist zu Recht – die Rede ist, ist Mich dieser schönen Erde freun!“ der Titel des Gedichts: Hölty mahnt mit Diese Zeilen lassen sich heute auch Anmut und einer auch aus anderen Ge- als Mahnung zu einem verantwortungs- dichten hervorleuchtenden zarten Naivi- vollen Umgang mit der Natur verstehen. tät, das Leben „ungewisser kurzer Dau’r“ Die eben ins allgemeine Bewusstsein ge- nicht sich und den Mitmenschen durch hobene Klimakrise lässt in Europa die Harm und Grillenfang“ zu vergällen;12 Alarmglocken schrillen, und es finden für gewisse Bereiche der heutigen Litera- sich Anzeichen, dass auch die USA den tur hat Gertrud Fussenegger von „mo- Ernst der Lage erkennen. Sogar China disch geschwärztem Elend“, von der mit seinem schier unstillbaren Energie- „Zerstampfung des Daseins“ gespro- bedarf soll bereits ein Gesetz zur Förde- chen. rung alternativer Energie erlassen haben. Ludwig Heinrich Christoph Hölty, Der jüngste EU-Gipfel, auf dem die Kli- ein Jahr vor Goethe in Hannover gebo- mafrage im Mittelpunkt stand, lässt hof- ren und dort 1776 gestorben, studierte fen. Theologie in Göttingen, wo er sich mit In ihrer Rede anlässlich der Feier ih- Gottfried August Bürger, dem Homer- res 80. Geburtstages hat Gertrud Fussen- Übersetzer Johann Heinrich Voß und egger, damals wie noch heute unterwegs den beiden Grafen Stolberg im Göttin- zu neuen Selbsterfahrungen, unsere Ein- ger Hainbund zusammenfand. Für seine profunde Bildung legt die Übersetzung 12 der Werke des englischen Dichters, Poli- Natürlich ist nur undisziplinierte Übellaunig- keit gemeint, nicht die Depression, die als tikers und Essayisten Shaftesbury (geb. Krankheit ärzlicher Hilfe bedarf. 1671 in London, gest. 1713 in Neapel) 13 Sh. Dietrich Fischer-Dieskau, Texte deutscher Zeugnis ab. Höltys Gedichte erschienen Lieder, dtv 3091, unter Ludwig Heinrich Chri- einige Jahre nach seinem Tod in einer stoph Hölty, S. 454. 14 Der Gedanke dieser Verse findet sich auch im zweibändigen Gesamtausgabe. In die Buch Kohelet 3, 22: „So sah ich ein, dass es für 1982 im Insel-Verlag erschienene zwei- den Menschen nichts Besseres gibt, als sich bei bändige Auswahl „Deutsche Gedichte“ seinem Tun zu freuen; denn dies ist sein hat Karl Krolow, selbst ein Lyriker von Lohn . . .“ 15 Rang, sechs Hölty-Gedichte aufgenom- Das Wort „vergnügt“ hatte damals die Bedeu- tung „Freude haben“. Barthold Hinrich Brockes, men, Brahms und Schubert haben einige geboren 1680 in Hamburg, dort 1747, also ein 13 seiner Gedichte vertont. Jahr vor Höltys, zwei Jahre vor Goethes Geburt, Ernst Jünger hat seine Ansprache an- gestorben, hatte seinem Werk den Titel „Irdi- sches Vergnügen in Gott“ gegeben. Zu Brockes lässlich des ihm zu seinem 90. Geburts- sh. auch Demmelbauer, Die Zeit, die ist ein son- tag ausgerichteten Festes im Neuen derbares Ding, Oö. Hbl. 2002, H. 3/4, S. 238 ff. Schloss zu Stuttgart mit der Wiedergabe (241/242).

104 stellung zur Umwelt als „eine Probe all- Hütet den grünen Gürtel, diesen dürfti- gemeiner Lernfähigkeit“ bezeichnet: gen Zoll, „Jahrtausendelang hat der Mensch den wir dem Leben rückzuerstatten ver- die Natur sorglos vernutzt; binnen zwei, sprachen. drei Jahrzehnten hat ein Umdenken ein- Hütet ihn wohl!“ gesetzt. Noch ist es zu schwach, noch ge- nügt es nicht. Noch muss es in Praxis Gertrud Fussenegger gehört nicht zu umgesetzt werden. Dennoch: zwei kurze den Befürwortern dessen, was seiner Ra- Jahrzehnte haben schon allerlei verän- dikalität wegen mit dem abwertenden dert und einen allgemeinen Grundkon- Begriff „Öko-Diktatur“ belegt wurde, sie 16 sens hervorgerufen.“ weiß um die Unverzichtbarkeit einer Der Dichterin ist die Bewahrung der vorausberechenbaren Rechtsordnung, Natur auch ein persönliches Anliegen. „denn die Qualität des Lebens wird nicht Ihr Mittel, sich dafür einzusetzen, ist das nur durch eine lebenswerte Umwelt, 17 Wort, im Fall des Schutzes eines Grün- sondern auch durch ein humanes politi- gürtels in Leonding das Gedicht „Hütet sches System bestimmt“.18 ihn wohl!“: „... „O wunderschön ist Gottes Erde.“ ... Denn nicht nur der Vogel bedarf des Wir wünschen Gertrud Fussenegger Raumes, in ihrer bewundernswerten geistigen seine Schwingen zu regen, Kreise zu zie- Klarheit und Wachheit, sie möge sich hen im Grenzenlosen . . . noch lange „dieser schönen Erde freun“, Auch unser, des Menschen Auge ver- auf der Altersspur des von ihr hochge- langt es nach Horizonten schätzten Ernst Jünger, damit wir ihr Morgen- und Abendröten, nie veral- zum „Hunderter“ neuerlich gratulieren tende Botschaft und für ihr großartiges Werk danken aus dem Reich der Natur. können.

16 In: Facetten ’92, S. 7 ff. (11). 17 So bereits: „Mensch und Landschaft und etli- che Sorgen“, ein Vortrag aus dem Jahre 1977, in: Echolot (FN 8), S. 19 ff. 18 Kloepfer, Vom Umweltrecht zum Umweltstaat? In: Steger (Hg.), Handbuch des Umwelt- managements (1992), S. 44 ff. (63).

105 Objekt rechtspolitischer Willkür – Der einmalige Fall des Luxushotels Weinzinger

Von Ernst Kollros

Das Hotel Weinzinger kennen heute reichischen Kaiserhauses, nächtigten in nur noch ältere Linzer. Der einstige Lu- dem immer größer werdenden Hotel an xusbetrieb an der Donau fiel schon in der Donau. den Sechzigerjahren des vergangenen 1902 erwarb der Wiener Josef Wein- Jahrhunderts der Spitzhacke zum Opfer. zinger gemeinsam mit seinem Schwager Anstelle des Linzer Vorzeigehotels ragt das Haus, das er vollkommen umbaute jetzt der Verwaltungsturm der Generali- und 1914, kurz vor Ausbruch des Welt- Versicherung in den Himmel – städte- krieges, eröffnete. Einen derartigen Lu- baulich nicht unbedingt ein Plus für die xus hatte es in der Linzer Hotellerie bis Donaustadt, wenn man die alten Ansich- dahin nicht einmal annähernd gegeben. ten des Brückenkopfbereichs betrachtet. 114 Zimmer, alle mit elektrischem Licht Für Schlagzeilen hatte das Hotel vor al- und Zentralheizung ausgestattet, zwei lem nach dem Zweiten Weltkrieg freilich Speisesäle, ein Lesezimmer und eine aus einem ganz anderen Grund gesorgt, überdachte Terrasse boten den verwöhn- doch der Reihe nach . . . ten Gästen internationalen Standard. Die Ursprünge des Weinzinger liegen Der Zeitpunkt für den Umbau war aller- schon in den Vierzigerjahren des 19. Jh.s. dings schlecht gewählt, der Erste Welt- Die ruhige Provinzstadt benötigte zu krieg dem Geschäft nicht gerade förder- dieser Zeit dringend eine angemessene lich. Herberge für die zahlreichen Reisenden, Nach dem Krieg ging es trotz Plün- die mit den damals boomenden Dampf- derungen und ungünstiger wirtschaftli- schiffen in der oberösterreichischen Lan- cher Rahmenbedingungen erstaunlicher- deshauptstadt Zwischenstation mach- weise relativ rasch wieder aufwärts. Die ten. Der umsichtige und wohl auch gut Nächtigungszahlen entwickelten sich of- situierte Linzer Fischhändler Bartholo- fenbar ganz gut, weitere beträchtliche In- mäus Kogler erkannte und nutzte diese vestitionen wurden in der Zwischen- Chance. Der schlaue Geschäftsmann er- kriegszeit getätigt. warb zweckmäßigerweise gleich neben der Schiffsanlegestelle Baugrund und ließ den dreistöckigen Gasthof Erzherzog Die Enteignung Karl mit 48 feudal ausgestatteten Zim- mern errichten. Die Idee schlug durch, Mit der Besetzung Österreichs das Tourismusgeschäft entwickelte sich durch deutsche Truppen änderte sich für bestens, betuchte Reisende aus aller die nunmehrigen Eigentümer, die fünf Welt, unter ihnen Kaiserin Eugenie von Brüder Weinzinger, alles, jedoch nicht Frankreich, Kaiser Pedro von Brasilien schlagartig von heute auf morgen. An- und natürlich auch Mitglieder des öster- fangs schienen die Sterne für das Hotel

106 Farbansichtskarte des um 1850 errichteten Hotel-Gasthofs „Erzherzog Karl“. Auf der Rückseite fehlen nähere Herstellerangaben. und seine Betreiber im Gegenteil sogar Nibelungenbrücke, zu errichten. Wenig günstig zu stehen. später interviewte ihn der bekannte briti- hatte nach dem Ein- sche Journalist Ward Price für die Welt- marsch am 12. und 13. März 1938 mit öffentlichkeit – wirtschaftlich eigentlich ungefähr 130 Begleitpersonen im Wein- sehr positive Auspizien für die Zukunft zinger Quartier genommen und bei die- des Hotels, in dem Hitler auch bei allen ser Gelegenheit die Absichtserklärung seinen späteren Linz-Aufenthalten ab- der Besitzer, das Haus neuerlich entspre- stieg und dabei nach dem Bericht eines chend umzubauen, nicht nur ausdrück- Zeitzeugen1 im zweiten Stock jeweils lich gebilligt, sondern lebhaft befürwor- eine ständige Zimmerflucht für sich be- tet. Im Hotel wurde damals Weltge- anspruchte. Nur bei offiziellen Besuchen schichte geschrieben; der Diktator voll- war vor dem Hoteleingang die „Leib- zog dort den formellen „Anschluss“ standarte“ aufgezogen, denn nicht alle Österreichs an das „Deutsche Reich“, Aufenthalte des Diktators sollten offizi- sprach beim Mittagessen am 13. März ell bekannt werden – ein Umstand, der über seine weiteren Pläne hinsichtlich im Zusammenhang mit der Hotelge- der Reichsautobahn und der Ausgestal- schichte noch von Bedeutung sein wird. tung von Linz u. a. zum Industriezen- trum sowie seinen Wunsch, anstelle der 1 Zerlik, Hitlers Aufenthalt in Linz im März 1938 1872 geschaffenen Donaubrücke eine und der „Anschluss“, Hist. Jahrbuch der Stadt breitere und repräsentativere Brücke, die Linz 1975.

107 Schwarz-Weiß-Karte Hotel „Weinzinger“, abgestempelt 1939, ohne nähere Herstellerangaben.

(In unmittelbarer Nähe des Weinzin- Färber, seines Zeichens Generaldirektor ger, im damals neuen Finanzgebäude der „Führer-Hotels“, mit dem herrisch Ost, hatte sich übrigens der sogenannte vorgetragenen Ansinnen, er wolle das „Führerbunker“ befunden, den Hitler bei Objekt kaufen. Als Otto, einer der fünf Luftangriffen aufsuchte, abgesondert Besitzerbrüder, dies kategorisch ab- von der übrigen Bevölkerung, zumal die lehnte, reagierte Färber mit der drohen- Bewohner der umliegenden Häuser die- den Bemerkung, die Weinzingers wür- sen Bunker desgleichen benützen durf- den diese ihre Haltung „noch be- ten.2 Auch wurde Hitler, der verhinderte reuen“. . . Architekt, während seiner Linz-Aufent- Warum der jähe Sinneswandel des halte des Jahres 1938 manchmal in den Diktators, weshalb waren die Eigner bei frühen Morgenstunden beim Brücken- ihm so offensichtlich in Ungnade gefal- kopf der alten Donaubrücke, Pläne für len? den Neubau des Tragwerks prüfend und Antwort auf diese Fragen gibt ein zeichnend, gesehen – teilweise in Beglei- Schreiben der Kanzlei Görings vom 13. tung von Fachleuten, jedoch ohne Leib- Februar 1939 an eine Frau Keller in Graz. wache.) In dem Papier ist unverblümt davon die Die geschäftlichen Hoffnungen der Hoteleigentümer sollten jedenfalls nicht 2 Interview mit Zeitzeugen: Mitteilung v. Reg.- Rat Johann Obermeir, der während der Dreißi- lange währen. Bald nach dem „An- ger- bzw. Vierzigerjahre in der Linzer Adler- schluss“ erschien im Auftrag von Reichs- gasse und damit in unmittelbarer Nachbar- leiter Martin Bormann ein gewisser Herr schaft des Hotels Weinzinger gewohnt hatte.

108 Rede, dass das Hotel für die kommende behördlichen Verhandlungsversuchen, Bedeutung der Stadt Linz nicht ausrei- wozu man sogar eine eigene Hotelgesell- che und daher entfernt werden müsse. schaft m. b. H. gegründet hatte, wurde Das wahre Motiv versteckt sich aber bei der Landeshauptmannschaft Ober- ganz auffällig zwischen den Zeilen: Es donau das Enteignungsverfahren einge- wird nämlich auf eine Indiskretion ver- leitet und bis 19. Oktober 1939, in einem wiesen, durch die sich einer der Weinzin- Zeitraum von nur zwei Monaten, durch- ger-Brüder Hitlers Zorn zugezogen gepeitscht. Man verpflichtete die Wein- hatte; er hatte einen inoffiziellen Be- zingers, die Liegenschaft samt allem Zu- suchstermin des Diktators nicht geheim behör der Stadtgemeinde Linz zu über- gehalten. Zwar wird in dem Schreiben tragen, als Entschädigung wurden ausdrücklich betont, dass der beabsich- 548.592 Reichsmark bestimmt. tigte Abbruch keine Strafmaßnahme Von der weiteren Drohung Eigru- darstelle, doch der tatsächliche Grund bers, dass sie im Fall eines Gerichtsrekur- für die Enteignung, zu der es in Kürze ses nochmals um 100.000 RM weniger kommen sollte, dürfte damit auf der bekommen würden, ließen sich die Brü- Hand liegen. Gegen die Hotelbesitzer der nun jedoch erneut nicht einschüch- Stimmung gemacht wurde zusätzlich in tern und riefen mutig die letzte Instanz, einem Brief des Wirtschaftsbeauftragten das Oberlandesgericht Wien an, das für den Kreis Linz-Stadt an Albert überraschenderweise die Erhöhung des Speer; die Brüder Weinzinger werden Entschädigungsbetrags auf 700.000 RM darin als notorische „Streithansln“ hin- verfügte. Zumindest ein kleiner Erfolg gestellt, die darüber hinaus in der Bevöl- für die Weinzingers, die mit ihrer De- kerung kein Ansehen genössen, weswe- marche allerhand riskiert hatten; heute gen es die NSDAP für unmöglich halte, ist bekannt, dass z. B. im Zuge von Ent- dass sie das Hotel im Falle seines Aus- eignungsverfahren am wi- baus als „Führer-Hotel“ selbst betreiben. derspenstigen Grundbesitzern durchaus (Ursprünglich war also sehr wohl daran das Konzentrationslager Dachau in Aus- gedacht gewesen, das Haus auszu- sicht gestellt wurde . . . bauen.) Natürlich war die Entschädigungs- In der Folge wurden die Weinzingers summe nicht im Wege einer ordentli- immer mehr unter Druck gesetzt. Gau- chen, regulären Schätzung, sondern un- leiter August Eigruber ließ ausrichten, ter stärkstem Druck auf den Sachver- sie wären „verrückt“, wenn sie die ange- ständigen, Dipl.-Ing. Josef Prikl aus botene Kaufpreissumme von 650.000 Linz3, festgesetzt worden und trotz der Reichsmark nicht akzeptierten, und ver- Korrektur nach oben unverändert viel zu wies in erpresserischer Manier darauf, gering. So kam der internationale Hotel- dass es bei einer Enteignung noch um 100.000 RM weniger gäbe. Im Kampf 3 Prikl war im Zuge des Entschädigungsverfah- „David gegen Goliath“ hatten die Brüder rens an die Gebrüder Weinzinger mit der – un- trotz hartnäckigen Widerstands mit all erfüllbaren – Bitte herangetreten, ihn als Sach- verständigen abzulehnen, da er von der Enteig- den bescheidenen Mitteln, die ihnen nungsbehörde de facto gezwungen werde, ein noch geblieben waren, vorerst über- Gutachten „wider seinen Eid und gegen sein haupt keine Chance. Nach fruchtlosen Gewissen“ abzugeben.

109 besitzerverband Köln, der als einschlä- Der von den Brüdern schließlich be- gig kompetente Institution zur damali- auftragte Wiener Rechtsanwalt Dr. Mi- gen Zeit für mehr als vierzig verschie- chael Stern spielte in dem Prozess sou- dene Länder Gutachten erstellte, in einer verän und wirksam seine Trumpfkarten detaillierten Schätzung zu einem Ge- aus, obwohl sich die Stadt mit allen juri- samtwert von sage und schreibe dischen Mitteln gegen die Rückstellung 3,580.563 Reichsmark. (Gegen die Be- des lukrativen Hotelbetriebs zur Wehr stellung des von der Stadt Linz beauf- setzte und dabei auch vor persönlichen tragten zweiten Sachverständigen, der Untergriffen nicht zurückscheute. Zu gu- das Inventar und die Gesamteinrichtung ter Letzt, in der Verhandlung vom 8. Juli des Hotels horrend unter dem Istwert 1948, gab die Rückstellungskommission veranschlagte, hatten die Brüder eben- dem Antrag der Weinzingers statt, er- falls, umsonst, Einspruch erhoben.) klärte das Enteignungserkenntnis des Das bekämpfte Enteignungs- bzw. Gauleiters von Oberdonau für nichtig Entschädigungsverfahren (Bescheid des und die Stadt Linz für schuldig, den An- Landeshauptmanns von Oberdonau tragstellern das Hotel gegen Bezahlung vom 19. Oktober 1939) wurde vom von 700.000 Schilling (dem Äquivalent Oberlandesgericht Wien erst am 16. Juni der seinerzeitigen Entschädigungs- 1943 abgeschlossen, das Weinzinger zu summe) sofort zurückzugeben Die An- diesem Zeitpunkt aber schon längst vom waltskosten waren beträchtlich. Dr. neuen Eigentümer, der Stadt Linz, als Stern stellte den für die damalige Zeit Hotel Linzerhof mit beachtlichen Reinge- riesigen Betrag von 32.550 S in Rech- winnen weitergeführt. nung – allerdings bei einem Streit- wert von immerhin fast 3,8 Millionen Der Rückstellungsprozess* Schilling. Nach Kriegsende traten die Brüder Der erstinstanzliche Entscheid Weinzinger vor die Schranken des Lin- wurde von der Obersten Rückstellungs- zer Landesgerichts, um von der Stadtge- kommission beim Obersten Gerichtshof meinde, die auf der Legitimität der Ent- am 26. März 1949 bestätigt, womit das eignung („aus Gründen städtebaulicher insgesamt vierjährige Verfahren endgül- Veränderung“) beharrte, in einem mehr- tig abgeschlossen war und die Brüder jährigen Prozess die Rückstellung des Weinzinger ihr Eigentumsrecht, nach Hotels zu erkämpfen. Zur Verhandlung insgesamt neun Jahren, wieder im vollen gelangte der wohl österreichweit einma- Umfang ausüben konnten. lige, von einem Bundesministerium still- Nachdem das Hotel zehn Jahre hin- schweigend geduldete Fall, dass ein 1939 durch den US-Besatzungstruppen als unter Missbrauch der Gesetze entzoge- Hauptquartier gedient hatte, stand es seit nes Vermögen auch 1947 noch von einer deren Abzug leer, bis der mächtige Bau auf „Befehl des Führers“ gegründeten an der Unteren Donaulände dann in den Gesellschaft verwaltet wurde und dass in Sechzigern für immer aus dem Linzer diesem Unternehmen nach wie vor jener Stadtbild verschwand. Direktor amtierte, der 1940 durch Reichsleiter Bormann bzw. Gauleiter Ei- * Quelle: Rückstellungsakte Hotel Weinzinger, gruber eingesetzt worden war. Oö. Landesarchiv, Linz.

110 Rückstellungsantrag Dr. Michael Sterns, 19. Februar 1948.

111 Das Erkenntnis der Rückstellungskommission (Landesgericht Linz) vom Juli 1948.

112 Kinderspruch und Kinderlied Zur Überlieferung in Oberösterreich und Salzburg*

Von Klaus Petermayr

Um Überlieferung zu dokumentie- und wie sich der aktuelle Stand präsen- ren, bedarf es ihrer Aufzeichnung. Über tiert. Freilich kann hier nur ein erster einen bestimmten Zeitraum hinweg und Überblick geboten werden. auf eine bestimmte Region bezogen, Die Beschäftigung von Wissen- können Aufzeichnungen aber nie voll- schaftlern und Sammlern mit den Lie- ständig sein. Sie werden und wurden le- dern der Kinder ist noch relativ jung. Sie diglich punktuell durchgeführt. Das da- dürfte ihren Ausgang bei Achim von Ar- bei entstehende Bild gibt nur annähernd nims und Clemens Brentanos Werk „Des die tatsächliche Situation wieder, und so Knaben Wunderhorn“ 1806 genommen liegt es beim Auswerter, diese Informa- haben,2 in dessen Anhang derartige Ge- tionen zu relativieren und brauchbare sänge wiedergegeben sind. Schon dort Schlüsse daraus zu ziehen. können zwei grundlegende Erschei- Schon der Zusatz zum Titel „Zur nungsformen unterschieden werden: Überlieferung in Oberösterreich und 1. Das Kinderlied. Dieses wurde in der Salzburg“ enthält eine geografisch einge- Regel von Erwachsenen erdacht. Das schränkte Komponente. Ziel nachfolgen- heißt: Es wurde von ihnen „kindge- der Überlegungen soll und kann es aber recht“ vorgetragen bzw. zum Vortrag nicht sein, einen lokalen Typus der Lie- durch Kinder bestimmt. Als Beispiel der festzulegen, denn dies ist ganz und möge etwa das Wiegenlied gelten. gar unmöglich – vor allem aus musikali- scher und rhythmischer Sicht. Kinderlie- 2. Der Kinderspruch oder -reim. Dieser der, die allen Völkern und Kulturen ei- ist meist eine Schöpfung der Kinder gen sind, lassen auch in den unterschied- selbst und entstand oft durch Impro- lichsten geografischen Räumen ähnliche visation. So etwa diverse Auszähl- Strukturen erkennen, die einzig mentali- reime. täts- und sprachbedingt besondere Cha- rakteristika hervorbringen, wie schon Wolfgang Suppan feststellte.1 So sind es * Erweiterte Fassung eines beim Symposium der auch in Österreich primär Dialekt und AGACH „Forschung und Praxis des Kinderlie- regionales Umfeld, welche, wie noch des im Alpenraum“ im November 2004 in Tri- ent gehaltenen Vortrags. darzulegen sein wird, die Eigenheiten 1 Suppan, Wolfgang: Volkslied. Seine Sammlung der Lieder prägen. Folgender Text soll und Erforschung. (Sammlung Metzler. Realien vielmehr anhand von Sammlungen und zur Literatur, Band 52), Stuttgart2 1978, S. 32 ff. einzelnen Beispielen daraus zeigen, wie 2 Achim, Arnim von/Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder, sich Erwachsene im Laufe der Zeit mit 3 Bde., Heidelberg und Frankfurt 1806 f.. Der den musikalischen Ausdrucksformen Anhang mit den Kinderliedern erschien 1808 in der Kinder auseinandergesetzt haben Heidelberg.

113 „Schüler ’s ist Frühling“ aus Zell am Pettenfirst (Sonnleithner-Sammlung der Gesellschaft der Musikfreunde Wien).

Vor dem 19. Jahrhundert lassen sich in Sammlung der Gesellschaft der Musik- Österreich kaum Hinweise zu Kinderlie- freunde in Wien, im selben Jahr durch- dern finden. Einzige Ausnahmen bilden geführt, sind lediglich fünf Belege nach- die Wiegenlieder. Freilich sind darunter weisbar. Sie stammen aus Zell am Pet- keineswegs so populäre Kunstlieder zu tenfirst und Frankenmarkt im Hausruck- verstehen, wie sie später durch Wolfgang viertel: Amadeus Mozart, , Jo- – Schüler ‘s ist Frühling (Zell a. P.; Faszikel hannes Brahms u. a. auf uns gekommen Oberösterreich, XI. Heft/9 l). sind. Vielmehr sind es Kleinformen, an- gewandt im häuslichen Bereich, um Kin- 3 Vgl. dazu auch das Kapitel „Kinderlied – Kin- der durch sich ständig wiederholende derreim“ in: Deutsch, Walter/Haid, Gerlinde/ 3 Phrasen zum Schlafen zu animieren. Zeman, Herbert: Das Volkslied in Österreich. Erste bewusste Aufzeichnungen fin- Ein gattungsgeschichtliches Handbuch, Wien 1993, S. 145 ff. den sich bei Ziska und Schottky in deren 4 Ziska, Franz/Schottky, Julius Max: Österreichi- Band „Österreichische Volkslieder“ von sche Volkslieder mit ihren Singweisen, Pesth 1819.4 In der sogenannten Sonnleithner- 1819.

114 Titelbild der „Salzburger Volkslieder“ von V. M. Süß (1865).

115 – Reitzend ist der Lenz und schön (Zell a. P.; In damals üblicher blumiger Wortwahl Faszikel Oberösterreich, XI. Heft/9 m). schreibt er: – Wenn das Herz voll Angst und Leid (Fran- kenmarkt; Faszikel Oberösterreich, Unsere Überlieferungen eröffnen wir mit XI. Heft/8, 13). den der zarten Jugend, der Kindlichkeit geweih- ten Liedern, mit den sogenannten Wiegen- oder – Freut euch der Schule (Frankenmarkt; Fas- Klein-Kinder-Liedern, denn gerade diese erwe- zikel Oberösterreich, XI. Heft/8, 14). cken oft bei den Kleinen schon Liebe und Sinn – So oft sich fängt die Schule an (Franken- für Lied und Gesang. Was Großmütterchen markt; Faszikel Oberösterreich, XI. und die liebende Mutter an der Wiege und in Heft/8, 15). der Kinderstube sprach und sang, wird nicht vergessen. Jetzt ist es vielleicht auch hierin an- Hierbei handelt es sich um Schullie- ders geworden – Sammeln wir daher diese kind- der, die zwar kindgerechten Charakter lichen unschuldigen Lieder, die oft manches haben, aber ausschließlich pädagogische Thränchen der Kleinen trockneten, sie ein- Zwecke erfüllten. Auch ihre Begleitung – schlummerten oder sie sonst vergnügten, in so eine vom Lehrer auszuführende Klavier- weit es noch möglich ist, als Beleg gemüthlicher stimme – deutet auf diesen Zweck hin. Erziehung und Kinderpflege in der Vergangen- Die genannten Gesänge stellen – mit heit.8 Ausnahme von „Wenn das Herz voll Angst und Leid“ – Abschriften aus von Georg Krämer (1771–1835) zumeist in Salzburg Süß sah demnach primär den päda- publizierten Schriften dar, zu denen Phi- gogischen Aspekt der Lieder. Auf Reime lipp Schmelz (1770–1804) die Melodien und Sprüche – die ebenfalls Aufnahme lieferte.5 in die Sammlung fanden – kommt er Einer der frühesten Sammler von Kinderliedern und Kindersprüchen 5 Krämer, Georg: Neues Schulgesangbuch für war der Salzburger Vinzenz Maria Süß. die niederen Stadt-, Land- und Feyertagsschu- In seinem Band „Salzburger Volkslieder“ len, Salzburg 1800; Schmelz, Philipp: Melodien zu Herrn Georg Krämers neuen Schulgesängen, von 1865 bringt er hundert Nummern Salzburg 1800; Krämer Georg: Schul und zum Thema, jedoch ohne Melodien bzw. Christen Lehr Gesänge über alle wichtigen Noten.6 In der nahezu zeitgleich Dinge und Umstände, die man für die Schul- für Oberösterreich entstandenen Kol- und Christen Lehr Gesang benützt wünschen lektion des Anton Ritter von Spaun mag, München 1810; vgl. dazu: Petermayr, Klaus: Lieder und Tänze um 1800 im Hausruck- blieben solche Lieder jedoch unberück- viertel aus der Sonnleithner-Sammlung der Ge- sichtigt.7 sellschaft der Musikfreunde in Wien (Corpus Eindeutiges Vorbild der Süßschen Musicae Popularis Austriacae 18), Wien 2006, S. 159 ff., 190 ff. Kinderliedersammlung dürfte einerseits 6 Süß, Vinzent Maria: Salzburger Volkslieder mit der Anhang des „Knaben Wunderhorn“, ihren Singweisen, Salzburg 1865. Obwohl im vor allem aber die Publikation „Österrei- Titel angekündigt, werden nur zu einem Bruch- chische Volkslieder“ von Ziska und teil der Lieder Melodien mitgeteilt. 7 Spaun, Anton Ritter von: Oesterreichische Schottky gewesen sein. Seine Beweg- Volksweisen in einer Auswahl von Liedern, Al- gründe, eine derartige Sammlung zu er- pen-Melodien und Tänzen, Wien 1845. stellen, hielt der Autor im Vorwort fest. 8 Süß, Anm. 4, S. VII–VIII.

116 nicht zu sprechen. Gerade diese sind es Wer will sie heben? aber, die als selbstständige Produkte der Die Wirthin in der Eben. Kinder ungleich größeres Interesse er- Wer will die Windel waschen? wecken. Drei Beispiele mögen die unter- Der Bauer in der Pumpertaschen. schiedlichen Formen innerhalb der Süß- (Süß Nr. 38) schen Sammlung verdeutlichen. Zuerst ein sicherlich durch Improvisation ent- Süß’ Sammlung bildete lange Zeit standener Kinderspruch: eine singuläre Erscheinung. Kinderlieder und -sprüche wurden in den nächsten Ringa ringa reia, Jahrzehnten kaum beachtet und in den D’ Fischerl sand en Weia; Hintergrund gedrängt. Es fehlte aber Steig’n auf an Åpflbamm, auch die richtige Plattform für deren Pu- Måchan då an Burzlbamm. blikation. Erst das Erscheinen von Josef (Süß Nr. 2) Pommers Zeitschrift „Das deutsche Volkslied“ (1899) ermöglichte eine sol- Der nächste Spruch wurde dem Text che.9 Diese bot nun auch Raum für den zufolge von einem Elternteil improvisiert einzelnen Abdruck solcher musikali- und sollte dem Kind als „Wiegenlied“ schen Klein- und Kleinstformen. Gerade dienen: aus Oberösterreich findet sich hierin eine flächendeckende Menge an Einsen- Heia popeia mein Kloans, dungen. Vergleicht man dabei diejenigen Auf’s Jåhr kriag’n mar a wiedar oans. aus dem Salzkammergut mit denen des Hei popeia und schlåf nu kråd zua, Mühl- oder Traunviertels, muss einmal Schlåf nu kråd furt bis auf moring a da Fruah! mehr festgestellt werden, dass es sich im (Süß Nr. 8) Grunde um stets dieselben Formen und Muster handelt, einzig die Färbung des Letztlich sei ein Reim oder Lied – Ge- Dialekts lässt regionale Unterschiede er- naueres ist nicht mehr feststellbar – an- kennen. Parallelen in Reim und Spruch geführt, worin besondere regionale Ei- finden sich etwa zwischen den Aufzeich- genarten, in Form von angedeuteten nungen Hans Friedels aus Putzleinsdorf Örtlichkeiten, hervortreten. Kindliche im Mühlviertel und jenen der schon ge- Züge sind hier nur bedingt erkennbar, nannten Salzburger Sammlung von was auf eine Autorschaft von Erwachse- Süß. Auch hierzu zwei Beispiele: nen oder zumindest Jugendlichen schlie- ßen ließe. Denkbar ist auch eine vorgese- Oans, zwoa, drei, hene Wiedergabe in Dialogform, wobei Pika, poka nei, die Antwort auf die jeweils zuvor ge- Pika, poka Pfånnenstiel, stellte Frage dem Kind zugedacht wäre: Steht a Mandl auf da Mühl, Håt a ströbers [strohernes] Hüatl af, Es fuhren drei Doggen durchs Thor, Steht a 32er draf. Die erste Wilhelmine, (Putzleinsdorf, Mühlviertel) Die zweite Karoline, Die dritte Klementine. 9 „Das deutsche Volkslied. Zeitschrift für seine Wer will sie taufen? Kenntnis und Pflege“, Wien 1899 ff. Bis 1945 er- Der Pfarrer von Laufen. schienen 47 Jahrgänge.

117 „Russenreim“, aufgezeichnet von O. Eberhard. Aus dem „Deutschen Volkslied“ 17 (1915).

Oans, zwoa, drei, Emily Gerstner-Hirzel spricht in die- Pigga, pågga bei sem Zusammenhang vom Kinderreim in Pigga, pågga Bes’nstül der Volksüberlieferung Erwachsener.12 Sitzt a Mandl auf da Mühl, Das Besondere dabei ist, dass Reime mit Håt a staubögs Hiatl auf, historischem Bezug eine ungefähre Da- Um ad um voll Fedan drauf. tierung erlauben. In diesem Fall dürften (Süß Nr. 1) wohl die napoleonischen Kriege (frühes 19. Jahrhundert) bzw. unmittelbar daran Hot, mei Schimmerl, hot, mei Braun, anknüpfende Erinnerungen zur Entste- Moring wird ’s zum Håbernbau’n. hung geführt haben.13 Wånn mei’n Schimmel nimmer will, Doch nicht nur im „Deutschen Nehma mar in Peitschenstiel. Volkslied“ fanden in dieser Zeit der in- (Putzleinsdorf, Mühlviertel, tensiven Sammlung Kinderlieder Auf- „Das deutsche Volkslied“ 14/1912, S. 49) nahme. Vor allem in Oberösterreich er- Hott, mein Braun, hott, mein Braun, möglichte die große Breite an heimat- Moring theama Håban baun, und regionalkundlichen Medien ein- Moring theama Heu einfüåhrn, schlägige Publikationen. So veröffent- Daß dö Roß wås z’ ess’n kriag’n. lichten etwa Albert Binna und Hans Ze- hetner Kinderlieder und -reime aus (Süß Nr. 29)

Leider blieben die meisten der Ein- 10 Vgl. auch: Petermayr, Klaus: Otto Eberhard – ein sendungen in Pommers Zeitschrift un- bedeutender Salzburger Volksliedsammler. Zur hundert- kommentiert, d. h., sie haben rein be- fünfundzwanzigsten Wiederkehr seines Geburtstages, wahrenden Charakter und verzichten in: Salzburger Volkskultur 24 (2000), Heft 2, S. 129–132. auf eine Auswertung des Gesammelten. 11 Vgl.: Das Deutsche Volkslied 17 (1915), S. 98. So auch jene des einzigen Salzburger 12 Gerstner-Hirzel, Emily: Das Kinderlied, in: Hand- Einsenders dieser Zeit: Otto Eberhard.10 buch des Volksliedes. Band I: Die Gattungen Interessant ist ein von ihm in der Stadt des Volksliedes, hg. von Rolf Wilhelm Bred- Salzburg aufgezeichneter „Russen- nich, Lutz Röhrich und Wolfgang Suppan, München 1973, S. 923–968. Reim“, ein historisch-politischer Kinder- 13 Nach dem Scheitern Napoleons in Russland spruch.11 (1812) war Danzig von der russischen Armee bis 1814 besetzt.

118 Burgkirchen bzw. Ranshofen in der Rupfas Gårn, harbas Gårn, „Braunauer Heimatkunde“.14 D’ Wöba sand narösch worn, Für Oberösterreich und Salzburg Sand auf da Sålza g’fåhrn, gleichermaßen von Bedeutung war Ernst Håbmt an Strehn Gårn valorn; Jungwirth, der an der Grenze von Flach- D’ Fischa håmd nåchö g’fischt, gau und Innviertel seine Erhebungen Håbmt an S an Strehn Gårn dawischt. durchführte und als Erster auch Kinder- (Süß Nr. 86) spiele mit aufnahm. Seine handschriftli- chen Sammlungen befinden sich heute Erst dank Commendas Aufzeich- im Oberösterreichischen Volkslied- nung ist erkennbar, dass es sich bei die- archiv.15 Eine größere Anzahl an Kinder- sem altbekannten Gesang um ein Wie- und Auszählreimen veröffentlichte Jung- gen- bzw. Kinderlied handelt. Zugleich wirth in Pommers Zeitschrift.16 erhellt, dass nicht nur Text- und Melo- Als wichtigster Kollektor der Zeit dieform gattungsbestimmende Auswir- galt aber Hans Commenda, der Mitbe- kungen erlangen, sondern auch solche gründer des Oberösterreichischen Gesänge als „Kinderlieder“ zu bezeich- Volksliedwerkes.17 Er war einer der Ers- nen sind, die von ebendiesen vorgetra- ten, die auch die Melodien zu den Lie- gen werden. dern und Sprüchen aufzeichneten. So ist Für die Zeit des beginnenden 20. es ihm zu verdanken, dass aus seinem Jahrhunderts kann zusammenfassend immensen Sammelmaterial vollständige festgestellt werden, dass das primäre In- Gesänge erhalten sind, die auch über teresse von Forschern und Sammlern Oberösterreich hinaus Bedeutung besit- beim Kinderspruch und nicht wie davor zen. Eine Gegenüberstellung mit der beim Kinderlied lag. Das heißt, den ei- Sammlung von Süß scheint hier wieder gentlichen Schöpfungen der Kinder gab angebracht: man zunehmend den Vorzug. Rupfas Gårn, hawas Gårn, D’ Wewa san narrisch wordn, Sand über Dana gfåhrn, 14 Binna, Albert: Kinderlieder und Reime aus Burgkir- Håmt an Strähn Gårn verlorn. chen, in: Braunauer Heimatkunde 13 (1920), D’ Schiffer håmt nåchi gfischt, S. 111–112; Zehetner, Hans: Kinderlieder und Reime aus Ranshofen, in: Braunauer Heimatkunde Håmt an Strähn Gårn dawischt, 12 (1919), S. 53–55. Des is a Gschicht, [Zusatz] 15 Vgl.: Petermayr, Klaus: Ernst Jungwirth (1886– Wann ma ’s Hefal bricht, 1955). Leben und volksmusikalische Sammlungen, in: Wånn ma ’s nimma måchn kånn, Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes Rennt ma da davon. 49 (2000), S. 131–138. 16 Das deutsche Volkslied 13 (1911), S. 176; 16 (Aufgezeichnet nach der Überlieferung (1914), S. 73 ff., 216; 19 (1917), S. 11; 22 (1920), von Töpfer Michl in Julbach durch Hans S. 65 ff.; 23 (1921), S. 1 ff. 17 Commenda) Zu Commenda gibt es eine ganze Reihe an bio- grafischen Darstellungen. Die brauchbarste von allen sei hier stellvertretend angeführt: Fochler, Im Vergleich dazu, wieder regional Rudolf: Hans Commenda (1889–1971). „Mich inter- abgeändert, ein Lied aus der Sammlung essieren mehr die Menschen“, in: Oberösterreicher 7 von Süß: (1991), S. 63-86.

119 Commendas Aufzeichnung des Liedes „Rupfas Gårn“. OÖVLW XI/1, Nr. 21.

Zur Zeit des Nationalsozialismus 18 Bresgen, Cesar: „Wir sind ja die lustigen Pfei- kam die Beschäftigung mit dem Thema ferlbuam“. Musikblätter der Hitlerjugend, Nr. beinahe gänzlich zum Erliegen. In den 105/106, Berlin – Wolfenbüttel o. J.; Zu Bres- Vordergrund rückte nun vor allem die gens Verhältnis zum Nationalsozialismus vgl.: Auseinandersetzung mit Liedern für Ju- Nußbaumer, Thomas: Cesar Bresgen: Komponist im Dritten Reich, in: Hochradner, Thomas/Nuß- gendliche, die aber in erster Linie Partei- baumer, Thomas (Hg.): Cesar Bresgen. Kompo- und Propagandazwecken dienten. In die- nist und Musikpädagoge im Spannungsfeld sem Zusammenhang sei etwa auf den des 20. Jahrhunderts. (Wort und Musik. Salz- Band „Wir sind ja die lustigen Pfeiferl- burger Akademische Beiträge 59), Salzburg buam“ von Cesar Bresgen verwiesen.18 2005. 19 Zur Volkskultur in Oberösterreich während der Auch in Oberösterreich erschienen Lied- NS-Zeit vgl.: Gaigg, Gerhard/Jalkotzy, Alexan- und Instrumentalmusikhefte für natio- der: Volkskultur und Festkultur in Oberdonau, in: nalsozialistische Zwecke – jedoch allge- Reichsgau Oberdonau – Aspekte 1. (Oberöster- mein und nicht explizit für Kinder bzw. reich in der Zeit des Nationalsozialismus 2) , Jugendliche ausgerichtet.19 hg. vom Oberösterreichischen Landesarchiv, Linz 2004, S. 253–324. Neben einzelnen Aufzeichnungen 20 Kampmüller, Otto: Oberösterreichische Wiegenlie- durch Commenda und Kampmüller20 – der, in: Oberösterreichische Heimatblätter 30 auf den weiter unten noch näher einge- (1976), S. 173–190; Pflanzen und Tiere in oberöster- gangen wird – tat sich in der Kinderlied- reichischen Kinderreimen, -liedern und -spielen, in: Oberösterreichische Heimatblätter 31 (1977), und -spruchforschung nach 1950 nicht S. 111–143; Spott in oberösterreichischen Kinderrei- übermäßig viel. Erst 1980 führten Wis- men und -liedern, in: Oberösterreichische Heimat- senschaftler im Auftrag des Salzburger blätter 33 (1979), S. 63–93.

120 Kikerikiki“ – eine der vielen Publikationen mit Kinderliedern des Oberösterreichischen Volksliedwerkes.

121 Volksliedwerkes eine groß angelegte bensende mit den unterschiedlichsten Feldforschung im Flachgau durch, in de- Erscheinungsformen von Kinderliedern, ren Rahmen auch der aktuelle Stand von seine Erfahrungen wurden vorwiegend Kinderliedern und Kindersprüchen do- in den Oberösterreichischen Heimat- kumentiert wurde. Als Gewährsperso- blättern publiziert.26 nen dienten sowohl ältere Menschen als auch Schulkinder. Die Ergebnisse fielen Einen ebenso wichtigen Stellenwert unterschiedlich aus, doch konnte allge- nimmt die Gattung der Kindertänze ein, mein festgestellt werden, dass bei den da auch sie großteils auf dem Einsatz Älteren noch ein reicher Erinnerungs- von Liedern beruhen. Darauf kann in schatz an Liedern und Sprüchen vorhan- diesem Rahmen nicht näher eingegan- den war, bei den Kindern hingegen viele gen werden. Verwiesen sei allerdings auf Gattungen ganz verschwunden bzw. nur eine aktuelle Diplomarbeit, die diesem wenig fantasievolle Formen in Gebrauch Thema breiten Raum beimisst.27 waren.21 Die zeitlose Verwendung man- cher Sprüche wird im Vergleich mit den von Jungwirth gesammelten Materialien Eine „Renaissance“? deutlich.22 Auch wenn Kinderlieder ihre ur- Mit dem Kinderlied bzw. dem Kin- sprüngliche Bestimmung fast gänzlich derspruch verwandt ist das Kinderspiel, verloren haben, sind sie gegenwärtig in dessen Ausübung diese oft integriert wieder im Kommen – vor allem bei den waren. In Oberösterreich setzte sich Pädagogen in Kindergärten und Volks- schon 1914 Richard Heller mit Kinderlie- dern und Spielen aus Hallstatt auseinan- der,23 dem später Hans Commenda mit einer Abhandlung über das Spielgut der 21 Vgl.: Schimpfößl-Ager, Theresia/Haid, Ger- 24 linde: Sprüche, Spiele und Lieder der Kinder, Linzer Kinder folgte. Aber erst Otto in: Volksmusik im Flachgau. Forschungsergeb- Kampmüller gelang es in seinen Arbei- nisse und Berichte aus dem nördlichen Salz- ten, die Kinderspiele wieder einigerma- burg, hg. von der Salzburger Heimatpflege und ßen ins Bewusstsein der Allgemeinheit dem Salzburger Volksliedwerk, Salzburg 1980, zurückzurufen. Sein 1965 in Linz er- S. 133-148. 22 Vgl. Anm. 16. schienener Band „Oberösterreichische 23 Heller, Richard: Kinderlieder und Spiele aus Hall- Kinderspiele“ gibt Zeugnis von des Au- statt, in: Zeitschrift für Österreichische Volks- tors intensiver Beschäftigung mit dem kunde 20 (1914), S. 49–50. Thema.25 Das Werk ist schon deshalb 24 Commenda, Hans: Das Spielgut der Linzer von Bedeutung, weil Kampmüller mit Kinder, in: Jahrbuch der Stadt Linz (1949), S. 341–362. den Schulen aller Bezirke kooperierte. 25 Kampmüller, Otto: Oberösterreichische Kin- So gelang ihm, neben umfangreichen derspiele (Schriftenreihe des Institutes für Lan- Eingängen, auch eine flächendeckende deskunde von Oberösterreich 19), Linz 1965. Erfassung des Materials, das er erstmals 26 Vgl. Anm. 20. 27 Kepplinger, Gudrun: Traditionelle Tanzspiele in seiner ganzen Breite klassifizieren im Oberen Mühlviertel, Diplomarbeit an der konnte. Der im Jahr 2000 verstorbene Universität für Musik und darstellende Kunst Autor beschäftigte sich bis an sein Le- Wien, Wien 2003, bes. S. 30–34.

122 schulen, aber auch in der elementaren wicklung maßgeblich beteiligt. Einerseits musikalischen Früherziehung. Die einfa- durch die „Mit-allen-Sinnen“-Projekte chen Rhythmen und einprägsamen des Bundesministeriums, andererseits Reime, die eingängig-leichten Melodien durch ehrenamtliches Engagement inter- dienen als perfektes Medium, Heran- essierter Einzelpersonen. In eigenen, wachsende vorzubilden und ein musika- pädagogisch fundierten Publikationen lisches Grundverständnis zu schaffen, wird die anhaltende Tendenz gefördert auf das weiter aufgebaut werden kann.28 und gestützt. Doch nicht nur die Kinder Die Volksliedwerke von Salzburg und gilt es aufs Neue zu begeistern, auch den Oberösterreich sowie das Landesmusik- Pädagogen muss der Umgang mit jenen schulwerk tragen diesem Trend nicht nur elementaren Gesängen vielfach erst wie- Rechnung, sondern waren an seiner Ent- der nahegebracht werden.

28 Vgl.: Kroboth, Martina: Faszination „Musikalische Früherziehung“, in: Vierteltakt 2005, Nr. 3, S. 2.3– 2.4.

123 Eine alte Liederhandschrift im Ebenseer Heimatmuseum

Von Franz Gillesberger

Eine kleine volkskundliche Besonderheit auf musikalischem Sektor birgt das Ebenseer Heimatmuseum: Weinachtslieder (für – wurde später hinzugefügt; F. G.) Anton Pfifferling in Unterlangbadh Haus Nr. 1?1 1836. Der handgeschriebene Band misst 23,5 x 20 cm und besteht aus 164 vergilbten Seiten, die unpaginiert, aber von Hand eingerahmt sind. 134 Seiten sind beschrieben, wobei nach einem Gebeth ab Seite 126 von anderer Handschrift zwei weitere Lieder angeführt werden: Spögseiten Zöga (10 Strophen) bzw. Weinachtslied (4 Strophen).

Bei der Bindung des Buches in einen steifen, überzogenen Karton wurde (wie durchaus üblich) ein gebrauchter Lederbuchrücken verwendet, dessen ver- blasste Goldprägung noch gut erkennbar ist: Allgemeine Musikalische Zeitung 1817. Viele Liedanfänge (21) werden durch eingeklebte bunte Papierlaschen in Form eines Registers gekennzeichnet. Die Melodien wurden von den Schreibern als bekannt vorausgesetzt, da sie im Gegensatz zu der in den meisten Ebenseer Familien gebräuchlichen Sammlung Hirten-Lieder zur Zeit der Geburt Jesu Christi – Im Tonsatze nach den Aufzeichnungen des Lehrers Ferdinand Schaller, Ebensee (Erstveröffentlg. verm. vor 1921 – Todesjahr Schallers) fehlen.

Der Inhalt der im Ebenseer Heimatmuseum vorliegenden Handschrift besteht aus zweiundvierzig Liedern, zwei Gebeten sowie zwei weiteren Gebeten (Vor den Segen; Nach den Segen) auf einem beigelegten grünen Blatt. Fünf Lieder kommen zweimal vor mit geringen Abweichungen, die anhand des im gesamten Salzkam- mergut bekannten und beliebten Liedes O Bruader lieber Bruader mein demonstriert werden (Zeilensprung nach dem Original):

Lied Nr. 14 (Zählung von F. G.):

Weinachts Lied

Bruder lieba Bruder mein, was i da neus muß sang, und was sich heunt um Mitternacht hat neues zuagetrang, sah i a hüdal stehn, von fehrn a Lich= tel gehn, so geh na dan so wöhl ma gehn wöhln gleima zuwi stähn.

124 125 Vo freuden I kam Reden kann, wan I die um Mitternacht hat neues zugetrang Musick her, es kinad da bey a schöne frau sah i a Hutel stehn von fehrn a und a schänner Herr, das Kind liegt Lichtel gähn so geh na dan so wöhlma auf den Heu Ochs und Esel a dabey, gehn wohln gleima zuwö stähn. es wehnt die äuglein hin und her I glaub es früstz so sehr. Vo freuden i kam Reden kann wan i die mußi hör ös kniet dabey eine Was muß das für a Kindl sein was schöne frau und a schöner Herr meinst han Kammarath, es muß Das Kind ligt auf den Heu Ochs und Essel ja gar von Himmel sein, weils a dabey Es wenth die Äugelein so viel Lichter hat, den Glanz hin und her i glaub es früst so sehr. gibz gar heraus, so ge na dan so wohlma gehn wöhlns weider Was muß das für a Kindel sein das Brauden aus. meinst han Kammerad ös muß ja gar von Himmel sein weils so viel Lied Nr. 24 (s.o.): Lichter hat, Es Brind das ganze Haus ihn glanz giebst gar her= Lied aus so geh na dan so wohlma Bruder lieber Bruder mein was i da gehn wollns weiter breitten neus muß sang, und was sich heund aus.

Die Liedanfänge in alphabetischer Reihenfolge:

Auf auf es ist schon Tag Auf auf ihr Hirten nit schlaffet so lang (zweimal) Auf ihr Buema von dem Schlaf Auff ihr Hirten von dem Schlaff, bey so schönen zeiten Bruder lieber(a) Bruder mein (zweimal) Botz Tausend lieba Bue, loß mir a wengel zu Buem machts en hurtig auf Das sind uns nun selige Tage Der Thomal geht losen, was wird a neus hörn? Ein Kind gebohrn zu Bethlahem Erfreuet euch Menschen auf Erden Es wolt ein Sünder gehen, wolt Reisen zu der Rom=Stadt Gegrüßt seist du Maria, du himlische Zirt Gott wollen mir loben und ehrn Grünne Felder Grünne Wissen Ha Nachba bleib steh, laß da sagn Ha neiling bei unsern Markrichter Heh Buem da is daß haißt gschlafa Herr gschwind, kom eitles Welt Kind (zweimal)

126 Ich kom her zu deiner Krippen Ich lag in einer Nacht und schlief Ihr liem meine Singer stehts zam auf an Schein Ju hei sa heint gab I. kein halb bazzen (zweimal) Mein aichl Buem stets gschwind auf Nun merket auf zu dieser Frist O Edle Liebereichist und ehrwünschte Nacht O. Nachbaur loß was ie da sag Ös Gaisböcklein und Widdan lost Lamplein mit Ruh O. Stöffl steh auf, und dur dich umseha O Wunda über Wunna Schau mein lieber Kammarad (zweimal) Schau, schau was ist dann das schon mehr Sey gelobt Herr Jesu Christ, der du bist Stets auf meine Buema werds munta Und wer nun die Göttliche Almacht betracht Was dust den mein Thomel zwö stehst den nit auf Was Wunda jetzunda was hani dablickt

Die zwei Gebete (es handelt sich dabei eher um Anleitungen) beginnen jeweils:

Die 12. Freytag wie man sie das ganze Jahr hindurch fasten sol bey Wasser und Brod. Wie man die 9. Rosenkranze in den Marther Wochen Bethen soll, am Grünen Donners- tag der erste Rosenkranz in Betrachtung zu bethen stehend.

Insgesamt dokumentiert das vorliegende Handschriftenbuch über die barocke Volksfrömmigkeit hinaus die Beliebtheit der alten Ebenseer Weihnachts- und Krippenlieder.

127 Das Gnadenbild in der Pfarrkirche Ohlsdorf – und Varianten eines Grundmotivs

Von Josef Moser

Historischer Abriss

Der Fund einer neolithischen Loch- axt aus grauem Serpentin (6000 bis 2000 v. Chr.) während Umbauarbeiten im Hause Peiskam Nr. 4 („Langgangl“) bei Ohlsdorf im Jahre 1962* belegt den alten Siedlungsboden der heutigen Gemeinde im Alpenvorland, die seit 1298 als eigene Pfarre aufscheint. Ohlsdorfs erste ur- kundliche Erwähnung erfolgte bereits 748 in der Schenkungsurkunde eines landwirtschaftlichen Besitzes einschließ- lich der darauf lebenden Personen in Ollesdorf anlässlich der Gründung des Klosters Mondsee. Trotz oder wegen des ungewöhnlich hohen Anteils an Prote- stanten (Schlacht von Pinsdorf 1626 – „Bauernhügel“) im Ohlsdorfer Gemein- degebiet wurde die zweischiffige goti- sche Hallenkirche, 1501 von Hannes von Aichlham auf romanischer Bausubstanz errichtet, Mitte des 17. Jahrhunderts im Zuge der Gegenreformation barockisiert Abb. 1: Das Ohlsdorfer Original aus dem Jahre und zu einem Zentrum der Marienver- 1657. ehrung. (= Christian Degenhardt). Seinen ur- Das Ohlsdorfer Gnadenbild sprünglichen Platz hatte es im rechten Seitenaltar. Erst 1718 wurde es in den Das Hochaltarbild, „Maria gravida“ um 1680/90 geschaffenen, der Gmund- = „Maria zur guten Hoffnung“, Öl auf ner Schwanthaler-Gruppe zugeschriebe- Leinwand, stammt von Meister Chris- nen barocken Hochaltar eingefügt. tian Degenhart (geb. um 1611, gest. Obwohl der Pilgerzulauf im 18. und 1675/76), dem Klostermaler des Stiftes auch noch im 19. Jahrhundert allgemein Garsten. Das 180 cm hohe, 112 cm breite Gemälde trägt die Datierung 1657 und * Der Autor initiierte die wissenschaftlich-histori- ist signiert mit „C. M. Doognhart“ sche Aufarbeitung.

128 sehr rege war, ist über die Kirche als Andachtsbilder Wallfahrtsort – hauptsächliches Pilger- motiv: Kindesnöte bzw. der Wunsch Sie stammen vorwiegend aus dem nach Kindersegen – wenig überliefert. 18. und 19. Jahrhundert und verteilen Dem Wandel des Zeitgeistes entspre- sich auf Privatbesitz, Sammlungen und chend ist die Wallfahrt von ihrer vorma- Museen im Raum zwischen Salzburg ligen regionalen Bedeutung auch bis hier und Wien. zur „beinahe lokalen“ Bedeutungslosig- Da Nachbildungen aus dieser Kate- keit herabgesunken. gorie kaum greifbar sind und sich in Das Gnadenbild gehört in die meist schlechtem Zustand befinden, sei Gruppe barocker Mariendarstellungen, hier auf die einschlägige Fachliteratur auf denen die Schwangerschaft der Got- verwiesen. tesmutter durch das IHS-Monogramm auf dem Schoß der Jungfrau symboli- siert wird. Zur Geltung kommt auch das Traunkirchen am Traunsee Motiv der „Unbefleckten Empfängnis“ („Immaculata“), da Maria auf einer Im ehemaligen Traunkirchner Jesui- mächtigen Erdkugel stehend mit dem tenkonvent befindet sich an der Mauer linken Fuß den Kopf der Paradies- über dem Kredenztisch des Ignatius-Sei- schlange zertritt (Abb. 1). Marias Haupt tenaltars im südlichen Seitenschiff eine wird von einem Sternenkranz umstrahlt, nahezu getreue Kopie des Ohlsdorfer darüber wölbt sich ein regenbogenähnli- Gnadenbildes (Öl auf Leinwand, Höhe ches Spruchband mit dem Text „Und das 124 cm, Breite 52 cm) in einem abgerun- Wort ist Fleisch Worden“. Überhöht wird deten Rokokorahmen. Der einzige Un- das Bildnis durch die Geistestaube und terschied zum Original besteht in der la- das trinitarische Dreieck mit dem einge- teinischen Übersetzung des Spruch- schriebenen hebräischen Gottesnamen bandtextes („Et verbum caro factum est“) „Jahwe“. In den umgebenden Wolken sowie in der Erweiterung der Engelsan- schweben sieben Engel. Mariens blauer zahl auf neun (Abb. 2). Mantel ist über und über mit goldenen Rosenblüten bedeckt, das rote Kleid Wartstein bei Mattsee wird von einem schmalen Band zusam- mengehalten, das mit den Handstellun- Auf einem bewaldeten Felsvor- gen und dem IHS-Monogramm die sprung, der in malerischer Lage als vertikale Komponente des Gemäldes Halbinsel in den Obertrumer See hinein- ergibt. ragt, wurde 1780 unter Dechant Wisin- Diese künstlerisch beachtliche, aus- ger die Wartsteinkapelle bei Mattsee/ drucksvolle Madonnendarstellung er- Salzburg errichtet. Das dortige Marien- fuhr im Laufe der Zeit viele variierte gemälde, seit 1977 als Dauerleihgabe der Nachbildungen. Eine davon hatte bis Marktgemeinde Wartstein im neu ge- 1970 das Obergeschoß des Hauses Lei- gründeten Stiftsmuseum Mattsee zu be- tenstraße Nr. 8 in Lambach/OÖ. als sichtigen, ruft Assoziationen mit der Wandmalerei geschmückt. Ohlsdorfer Madonna wach. IHS-Mono-

129 Höhe 13 cm, Breite 9 cm, unsigniert und undatiert – erhielt der Autor im August 2004 vom damaligen Ohlsdorfer Pfarrer Dr. Johann Grausgruber. Abweichend vom Original wird der Sternenkranz und das Textband über dem Haupte Ma- riens von zwei Engeln gehalten. Im Ba- sis-Passepartout liest man den Text: „Un- ser Lieben Frauen Bildnis wie solche in der Uhralten Pfarr Kirchen zu Olstorff unweit der Statt Gmunden mit grosser andacht Verehret wird.“ Im linken unteren Eck findet sich die Darstellung der Ohlsdorfer Pfarr- kirche mit Turm (Satteldach!). Da- neben lugt ein großes Gebäude hervor, bei dem es sich um das „Benefizium“ (= Höraksche Stiftung und heutiges Pfarrhaus) handeln könnte. Die Kirche wird von einer Steinmauer mit Torbogen eingefasst. Als optisches Pendant füllt Abb. 2: Kopie im ehemaligen Traunkirchner Jesui- eine Laubbaumgruppe das rechte untere tenkonvent. Eck. gramm, Kleid- und Mantelfarbe, Strah- lenkranz etc. scheinen jedenfalls engere Eine Entdeckung Bezüge herzustellen. Eine romantisie- rend-modifizierte Abwandlung des Ausgesprochenem Zufall ist es zu Ohlsdofer Gnadenbildes? Die Fach- verdanken, dass der Autor während der literatur, welche das in Öl auf Leinwand Arbeit an diesem Aufsatz in einem Haus (50«70 cm) gemalte Werk dem ausge- „Unterm Stein“ (Traunstein) – zwischen henden 18. Jahrhundert zuordnet, ver- dem Stadtzentrum von Gmunden und neint dies meines Erachtens seltsamer- dem Gasthof „Hois’n“ – eine weitere weise. So wird im Niederbayrischen exakte Kopie der Ohlsdorfer Madonna Kunstführer, Reclam-Verlag, Nr. 8055, zu Gesicht bekam (Höhe 24 cm, Breite S. 127, der Ursprung des Wartsteiner Ge- 17 cm). mäldes in der „Steinernen Madonna“ Das stark reparaturbedürftige, unda- (um 1400) des Wallfahrtsortes Bogen- tierte sowie unsignierte Gemälde ist in berg (Diözese Passau) gesehen. Öl auf Leinwand gehalten, in einen grauen, wurmstichigen, vier Zentimeter breiten Holzrahmen gespannt und an Kopie einer Kopie der Rückseite mit einer Holzplatte abge- deckt. Es dürfte schon seit Generationen Diesen Stich (Abb. 3) – vielleicht ei- zum Hausbestand gehören (die Eigentü- nes der oben erwähnten Andachtsbilder, mer wollen ungenannt bleiben) und

130 Nach dem Passepartout rahmt den Stich ein Bandmuster ein, das an den vier Ecken von Rosetten in konzentri- schen Kreisen und in der Mitte jeweils von kolorierten Rosen mit Blättern un- terbrochen wird. Stilistisch wäre diese ornamentale Gestaltung der Josefini- schen Zeit (Josef II., 1780–1790) zuzu- ordnen. Die Schriftleiste – unten – lautet: „Gnadenbild unserer Lieben Frau so sollhe in der Pfarr Kirchen zu Olstorff unweit der Stadt Gmunden verehrt wird.“ Die Schreibweise „Olstorff“ war üb- lich in den Jahren 1699 bis ca. 1800. Auf der Höhe der Erdkugel und der sich im Todeskampf windenden Schlange sieht man im unteren linken Eck neben einer geborstenen Säule die überaus freie Dar- stellung der von einer Mauer umgebe- nen Kirche, deren Firsthöhe stets die- selbe bleibt und deren Turm ein Sattel- dach aufweist (realiter vorhanden bis 1876/77). Seit ihrem spätgotischen Bau ist die Apsis jedoch abgesetzt und nied- Abb. 3: Undatierter und unsignierter Stich (An- riger als das Kirchenschiff. Aus Gründen dachtsbild?). Im linken unteren Eck die Ohlsdorfer der Symmetrie wird das rechte untere Pfarrkirche. Eck von zwei ungleich hohen Hügeln und einem Säulentorso ausgefüllt. Nun aber kommen wir zum hoch- hing zuletzt über dem Eingang zum Kel- gradig Bemerkenswerten an dieser Dar- ler im Freien. stellung: Die Madonna hat zwar das „IHS“ auf ihrem Schoß, doch fehlt der gesamten Gestalt das typisch Barocke. Eine Überraschung Das Kleid fällt gerade in strengem Fal- tenwurf zu Boden und der schmucklose Gleichfalls undatiert und unsigniert Mantel seinerseits erscheint geradlinig ist der in den Farben Blau, Rosa, Grün, vom Winde bewegt. Vor allem aber ge- Braun, Orange gehaltene Stich, der dem mahnt das Antlitz der Jungfrau in seiner Autor im Jahre 2004 von einem seiner Einfach- und Schlichtheit unwillkürlich ehemaligen Schüler zum Geschenk ge- an eine gotische Madonna. Die sechs En- macht wurde. Die Herkunft des Bildes gel, davon vier figürlich und zwei nur als (Abb. 4) ist unbekannt, der Geschenkge- geflügelte Köpfe ausgeführt, zeigen im ber wollte anonym bleiben. Gegensatz zum barocken Original bäu-

131 schluss bilden Taube und trinitarisches Dreieck ohne eingeschriebenen Text. Die Kolorierung ist durchwegs äußerst un- genau und reicht stets über die Begren- zungen hinaus. Trotz des eher ländlichen Eindrucks, der auf wenig künstlerische Routine schließen lässt, fasziniert jene seltsame, der Gotik an- bzw. nachempfundene Version durch ihre Einheitlichkeit, Ge- schlossenheit, Gefühlstiefe und Über- zeugungskraft. In ihrer exemplifizierenden Knapp- heit konnte diese Aufarbeitung das Thema natürlich nur berühren. Wie aber insbesondere die beiden letztgenannten Beispiele verdeutlichen, birgt die Be- schäftigung mit der „Ohlsdorfer Ma- donna“ und deren Niederschlag in der bildenden Kunst nicht nur unseres Bun- deslandes selbst im 21. Jahrhundert noch Abb. 4: Version (18. Jahrhundert) in „gotischer Ma- die eine oder andere Novität und sogar nier“, ebenfalls undatiert und unsigniert. Überraschung. erliche Züge: hagere Gesichter mit trau- rig gesenktem Blick, dem keine fromme Literatur Andacht, kein jubelndes „Hosanna“ ab- lesbar ist. Die beiden oberen „Pseudo“- Heimatbuch der Gemeinde Ohlsdorf, Salzkam- Engel halten über dem vom Sternen- mergut-Druckerei Gmunden. kranz gesäumten Haupte Mariens eine Lechner, Gregor OSB, Göttweig, „Maria Gravida“ – Zum Schwangerschaftsmotiv in der Bild. Kunst; mehrfach gezackte ziselierte Krone, das Schell und Steiner, München 1981. einzeilige, leicht gewölbte Spruchband Pillwein, Benedikt: Geschichte, Geographie und trägt die Inschrift: „Und das Wort ist Statistik des Herzogtums Österreich ob der Enns, Fleisch geworden.“ Den oberen Ab- Linz 1839.

132 Produkt mit einst „tragender Rolle“: Zur Erinnerung an den letzten Holzschuhmacher des Salzkammerguts

Von Walter Rieder

Am 10. Februar vergangenen Jahres die Steinkoglers damit in bereits dritter ist Johann Steinkogler („da Kål Hansl Generation weiterführten. Nach Absol- Hansl“), pensionierter Fuhrunternehmer vierung der Pflichtschule erlernte Johann und Kleinlandwirt in Ebensee, Bahnhof- das Maurerhandwerk, musste 1941 im straße 61, hochbetagt aus dieser Welt Alter von 22 Jahren zum Kriegsdienst geschieden. Mit ihm hat der letzte lokale einrücken und kam noch 1945 unver- Holzschuhmacher das „Roafmessa“ für sehrt nach Hause zurück. Mit nur einem immer aus der Hand gelegt. Nachdem Pferd begann er gleich darauf ein Fuhr- der Holzschuh nicht nur für die „Pfann- unternehmen aufzubauen, führte die hauser“ (so werden die Salinenbeschäf- kleine elterliche Landwirtschaft und er- tigten noch heute gelegentlich bezeich- zeugte, wann immer keine andere Arbeit net), sondern auch für andere Bevölke- drängte, Holzschuhe. Zu seiner Kund- rungskreise in der Region lange Zeit schaft gehörten neben Privatleuten und hindurch eine wichtige Rolle gespielt Abnehmern aus dem primär bäuerlichen hatte, sei im Folgenden eine kurze Rück- Bereich bis in die 50er-Jahre auch die Be- schau auf diesen traditionsreichen triebe der Saline und der Sodafabrik in Handwerkszweig, die Biographie seines Ebensee. Einmal sollten die Produkte des letzten Vertreters im Salzkammergut „Kål Hansl Hansl“ sogar zu hoher künst- und die Verbreitungs- bzw. Nutzungsge- lerischer Ehre gelangen, und zwar be- schichte des Produktes selbst unternom- stellte bei ihm keine geringere Institution men. als die Wiener Staatsoper um 1960 die entsprechende Ausstattung für den Holzschuhtanz in Lortzings Oper „Zar Biographie und Zimmermann“! Mit 27 Jahren heira- tete Johann Steinkogler die Ebenseerin Johann Steinkogler kam 1919 als sie- Maria Lahnsteiner, die ihm drei Mäd- bentes von insgesamt neun Kindern ei- chen und einen Sohn schenkte. Sie ist ih- nes „Pfannhausers“ und Kleinlandwirts rem Mann nach fast sechzigjähriger Ehe, gleichen Namens zur Welt. Schon bald 14 Tage vor dessen eigenem Tod, in die nach der Frühpensionierung des Vaters Ewigkeit vorausgegangen. im Jahre 1923 (die Umstellung der Salz- produktion von „Monarchie- auf Klein- Anders als „bei der Arbeit“ hatte staatgröße“ hatte für viele Salinenarbei- man den Hans stets nur spätabends oder ter die Entlassung bedeutet) wurde der sonn- und feiertags angetroffen. Auch Sohn eifrig zur familienbetrieblichen im Ruhestand blieb er unermüdlich an Holzschuhfertigung eingespannt, welche seiner „Hoazlbeng“ tätig, bis ihm Alter

133 „Meister Steinkogler“ und seine kleine Werkstatt in Ebensee. Fotos: Johann Jocher und Krankheit das Werkzeug aus der seren ähnlich waren, weiß man nicht. Si- Hand nahmen. Mit großer Geduld von cher ist hingegen wiederum, dass in den Tochter Maria betreut, lernte er den europäischen Städten des Mittelalters schweren, unaufhaltsamen Prozess des viel Schuhwerk mit sehr hohen Holzsoh- fortschreitenden Kräfteverfalls in Erge- len getragen wurde, die ein probates benheit anzunehmen. Mögen die Ehe- Mittel darstellten, den Straßenkot, der leute, ihrem tiefen Glauben gemäß, nun für uns Heutige unvorstellbare Mengen wieder vereint sein! und Tiefen hatte, insbesondere bei Re- genwetter möglichst ungeschoren durchschreiten zu können. Wo steht die Wiege des Holzschuhs? Sicher ist auch, dass speziell in den Niederlanden der Holzschuh, je nach Diese Frage ist nicht mit letzter Si- Qualität und Zweckbestimmung ver- cherheit zu beantworten. Verbrieft ist je- ziert oder bemalt, sehr lange zum Alltag denfalls, dass schon römische Bauern gehört hatte (WEJS). Das Aussehen die- zur Feldarbeit bei trockenem Wetter ser Exemplare wich von dem der unse- hohe Holzschuhe, sculponeae (nach sculpo ren aber einigermaßen ab. = ich steche, schneide, schnitze), getra- Da es im Bayerischen Wald sowie in gen haben (SCHILLER/VOIGT, 33). Wie Böhmen zur Endzeit der österreichisch- sie ausgesehen haben und ob sie den un- ungarischen Monarchie eine blühende

134 Holzschuh-Hausindustrie gab (vorwie- selbst herstellbar ist. Es floriert so lange, gend in den Verwaltungsbezirken Schüt- bis ihm Besseres und/oder Billigeres den tenhofen, Prachtiz, Krummau, hier be- Rang abläuft. sonders in den acht Gemeinden des Jo- Besonders geeignet waren Holz- hannestales), die dort gefertigten Exem- schuhe u. a. für die Arbeit im Pfannhaus plare den unseren glichen und diese in (der Saline), wo das Salz jedem Leder- manchen Gegenden Oberösterreichs schuh sehr rasch zusetzte. Für die Böhm genannt wurden, dürfte die Frage „Pfannhauser“ mit ihrem knappen Ein- nach dem Ursprung der heimischen kommen waren die teuren Lederschuhe Holzschuhe beantwortet sein. Die euro- außerdem naturgemäß eher ein Luxus, paweite Verbreitung dieser Art hölzerner und Alternativen, zum Beispiel aus Gehwerkzeuge über Jahrhunderte hin- Gummi oder Plastik, existierten noch weg illustriert das Bild unten. nicht. Grundsätzlich kann man sagen, dass Vortrefflich taugten die Hüzan auch sich ein Kleidungsstück immer dann für die Stallarbeit, weil man sich der ge- durchsetzt, wenn es preisgünstig, zweck- brauchten, verschmutzten Schuhe gleich mäßig (Gegenwartsbeispiel Jeans!) oder an der Stalltüre problemlos entledigen

Holzschuhfertigung in den Waldkarpaten um 1900. Aus: Kozauer, Bilderteil, Bild 10

135 Vor allem auch bei den „Pfannhausern“ in der Saline stand der Holzschuh über Generationen hinweg in bevorzugtem Gebrauch. Foto: Sammlung Walter Rieder

136 und diese leicht und schnell gegen sau- gehörte einst auch der Verfasser dieses bere wechseln konnte. Beitrags, so bald als und so lange als Gerade auch in Notzeiten, und da- möglich barfuß zum Unterricht gekom- von hat jede frühere Generation zumin- men... dest eine erlebt, wurde der bei einigem Mittlerweile haben Wohlstand und Geschick selbst produzierbare Holz- zweckmäßiger Ersatz aus Kunststoff schuh seinem ledernen Gegenstück viel- oder anderen Materialien den Holz- fach und vielerorts vorgezogen. Leder- schuh längst abgelöst, doch als Zierge- schuhe wurden von den ärmeren Bevöl- genstand bzw. Kulturgut ist er in man- kerungsschichten des Salzkammergutes, cher Wohnung etwa Ebensees nach wie falls überhaupt, meist nur sonntags ge- vor zu finden. tragen. Noch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mussten bei uns die Der Gebrauch von Holzschuhen Kinder weniger begüterter Eltern, die so- hatte Vorteile, die inzwischen vergessen genannten Armenschüler, nolens volens sind: Man konnte sie, wie bereits er- in Holzschuhen zur Schule gehen, wäh- wähnt, im Nu anziehen und ebenso rend ihre besser situierten Kameraden rasch wieder abstreifen, das Holz isoliert bereits Lederschuhe hatten. Deshalb hervorragend gegen Niedrigtemperatu- sind die ärmeren Kinder, und zu ihnen ren von unten – ein Segen für jeden, der

Als Kulturgut, Raumschmuck und Zierobjekt haben die „Hüzan“ nicht zuletzt im Salzkammergut vielfach überlebt. Foto: Johann Jocher

137 lange auf kaltem Boden stehen musste. 7) Mit dem Stemmeisen (oder Rundboh- Allem voran aber waren die „Hölzernen“ rer und Handratsche) wird die Ferse aus- unschlagbar preisgünstig und schon aus gestemmt und mittels „Aussireißer“ diesem Grund derart verbreitet, dass sie (oder Bodenschaber, der Stahlteil dessel- sogar ins Volkslied eingegangen sind. ben ist im rechten Winkel gebogen und beiderseits scharf) der Innenschuh glatt gemacht. Kleine Herstellungskunde 8) Mit dem „Aussireißer“ wird der Rist fein ausgearbeitet. Der klassische heimische Holzschuh ist jeweils aus einem Stück astreinen, 9) Mit dem kleinen Zehenmesser wer- trockenen Fichtenholzes gearbeitet, das den die Innenränder gebrochen. in Rädern oder Stöckeln in Holzschuh- 10) Über den Holzschuhoberteil wird ein länge vom Bloch abgeschnitten wird. schmaler Blechstreifen genagelt, der den 1) Erster Produktionsschritt: das „Klie- Ristschuh vor dem Abreißen schützt. ben“ der Stöckel in dreieckige Stücke. 2) Diese werden mit Kreis-, Bandsäge und Schnitzhacke in die rohe Holz- schuhform geschnitten und gehackt. Literatur 3) Mit der Bohrmaschine wird der Schuh grob der Länge nach ausgehöhlt. BLAU, Josef: Böhmerwälder Hausindustrie und Volkskunst. 1. Teil. Wald- und Holzarbeit. J. G. 4) In der „Hoazlbank“ wird mit dem Salve, K. u. k. Hof- und Universitäts-Buchhändler. „Roafmesser“ die noch grobe äußere G 1917. Form des Schuhs hergestellt. GEORGES, Karl Ernst: Ausführliches lateinisch- deutsches Handwörterbuch. Hahnsche Buch- 5) Mit Spezialwerkzeugen (Haken, Reiß- handlung, Nachdruck, Hannover, 1985. haken oder „Aussireißer“, ein ringförmi- KOZAUER, Nikolaus G.: Die Waldkarpaten- ges Instrument, u. a.) wird der Innen- Ukraine zwischen den beiden Weltkriegen. Bruno schuh ausgearbeitet. Langer Verlag, Esslingen am Neckar, 1979. SCHILLER, Hermann / VOIGT, Moritz: Staats-, 6) Mit dem Zehenmesser (ein spitzes, Kriegs- und Privataltertümer. C. H. Beck’sche Ver- beidseitig scharfes Messer an einem län- lagsbuchhandlung (Oskar Beck), München, 1893. geren Holzstiel) werden Schuhspitze WEJS, Frederik: Aus Holz gemacht. Gerstenberg- und Innenboden glatt ausgearbeitet. verlag, 1984.

138 Buchbesprechungen

Hoffer: Straßenverkehrsordnung – StVO. 29. Zeichnungen von Karl Alexander Wilke (u. a. von Auflage der ÖAMTC-Ausgabe. Neuer Wissenschaftli- 1913 bis 1923 Ausstattungschef am Wiener Burg- cher Verlag – NWV, Wien 2006. 468 Seiten, broschiert, theater) das Erzählte meisterhaft und schaffen da- EUR 34,80. mit die maßgeschneiderte atmosphärische Ergän- Die Straßenverkehrsregeln gelten für jeden zung. C. G Verkehrsteilnehmer, nicht nur wie das Kraftfahr- gesetz für Kfz-Lenker. Die StVO hat es bereits auf mehr als 20 Novellen gebracht; die letzte Ände- Arthur Schnitzer: Gärtnern ohne Gift. Ein prakti- rung, die am 8. Mai 2006 kundgemacht wurde, ist scher Ratgeber. Wien 2006: Böhlau-Verlag. 233 Sei- in der vorliegenden – kommentierten – 29.(!) Auf- ten, viele Farbabbildungen, gebunden, EUR 19,90. lage der ÖAMTC-StVO auf S. 399/400 abge- Gartenbücher gibt es zuhauf. Dieser prakti- druckt, sie betrifft die Sicherheit von Straßentun- sche Ratgeber für jeden am biologischen Gärtnern nels. Ein Vorschlag: Das Buch ins Auto legen, da- Interessierten ist aber etwas Besonderes. Der Au- mit man bei Bedarf nachschauen kann! tor, dessen Namensähnlichkeit mit dem berühm- Josef Demmelbauer ten Dichter Arthur Schnitzler auffällt, hat jahr- zehntelange Erfahrung als Berater für die Steier- märkische Landwirtschaftskammer in Gemüse- Josef Pöttinger: Oberösterreichische Volks- bau, Biolandbau und Kompostwirtschaft und sagen. Nachdruck/Reprint 2005, Archiv-Verlag Wien. zeigt, wie man natürliche Mittel zur Stärkung und 208 Seiten, illustriert, Ortsverzeichnis, Anmerkungen. zum Schutz der Pflanzen einsetzen kann. Zwei EUR 39,90. Beispiele: Kartoffelwasser hilft gegen Blattlausbe- Als Sammler und Herausgeber regionaler fall bei Rosen. Paradeiser nicht neben Erdäpfeln Märchen sowie Volkssagen hat sich der aus Salz- anbauen, es tut beiden nicht gut! Ein schönes, ein burg gebürtige Lehrer, Pädagoge und Schriftstel- praktisches Buch! J. D. ler Josef Pöttinger (1891–1973) um die Bewahrung einschlägigen österreichischen Literaturguts nach- haltig verdient gemacht. Auch die Neuauflage sei- Greiter: Schmerzensgeld nach einem Unfall. Wo- nes 1948 produzierten Sammelwerks „Oberöster- für bekomme ich Schmerzensgeld? Wien 2006, reichische Volkssagen“ bildet innerhalb der nach Verlag Österreich. 252 Seiten, broschiert, EUR 28,–. Bundesländern gegliederten Reprint-Reihe des Wer Opfer eines Unfalls wird oder dessen na- Archiv-Verlags („Sagen aus Österreich“) eine her Angehöriger ist, der steht nach einiger Zeit Kostbarkeit sui generis: Jugendlichem und er- auch vor der Frage: Gibt es dafür Schmerzens- wachsenem Publikum ungeteilt empfehlbar, be- geld? Welche Höhe kann ich geltend machen? Vor schwören 117 Geschichten aus verschiedensten allem die zweite Frage ist für den Betroffenen, so- Zeiträumen die mythisch-magische Welt von He- fern er nicht juristischer Spezialist ist, kaum be- xen, Teufeln und Nixen, Zwergen, Fabeltieren und antwortbar. Eine vorzügliche Hilfestellung hierbei anderen Zauberwesen, wobei die Stoffe mit kon- gibt aber das vorliegende Buch. Es ist nach Sach- kreten historischen Fakten bzw. Ereignissen (wie gruppen geordnet, z. B. Körperverletzung in 44 beispielsweise der jahrhundertlangen Rivalität unterschiedlichen Fällen, Erschwerung oder Ver- zwischen dem bayerischen Herrschergeschlecht lust von Körperfunktionen oder – besonders tra- der Wittelsbacher und den österreichischen Habs- gisch – der Tod naher Angehöriger, etwa wie im burgern, der Gründung des Klosters Mondsee, Fall Nr. 177 der Tod der Ehefrau und dreier Kinder den Bauerkriegen oder der „Gottesgeißel Pest“) durch ein auf einem Sattelfahrzeug geladenes oft in direkter Korrespondenz stehen. Gut, das in einer starken Kurve abrutschte und In ihrem charaktervollen, räumliche Tiefe ak- den entgegenkommenden Pkw zermalmte. Über- zentuierenden und so gleichsam auf eine „andere haupt auffällig, doch nicht verwunderlich ist die Dimension“ verweisenden Duktus begleiten die Vielzahl der Verkehrsunfälle als Auslöser von

139 Schmerzensgeldstreitigkeiten. Peter Sloterdijks nung BGBl. II Nr. 2003/542 idF. BGBl. II Nr. 2006/ Reißer vom „Auto als Sakrament auf Rädern“ geht 40. Außerhalb dieser generellen Bewilligung ver- uns bei der Durchsicht dieses Buches unter die langt das Gesetz, dass der Schutz des Lebens und Haut! Josef Demmelbauer der Gesundheit von Menschen sowie der unge- störte Betrieb anderer Funkanlagen . . . gewährleis- tet sein müssen. Auf die Erfordernisse des Um- weltschutzes ist unter Beachtung der wirtschaftli- Damjanovic/Holoubek/Lehofer: Grundzüge des chen Zumutbarkeit Bedacht zu nehmen. Bewilli- Telekommunikationsrechts. 2., neu bearbeitete Auf- gungen dürfen nur für höchstens zehn Jahre erteilt lage. Wien/New York 2006: Springer Verlag, IV, werden und können Bedingungen und Auflagen 180 Seiten, broschiert, EUR 21,50. insbesondere für den Schutz des Lebens oder der Das Telekommunikationsrecht wird im All- Gesundheit von Menschen vorsehen (vgl. § 81 tag durch die galoppierende Zunahme des Telefo- TKG 2003). nierens und die Werbung der Betreiber eines Anders als das Betriebsanlagenrecht der Kommunikationsnetzes, also insbesondere durch GewO kennt das TKG 2003 kein „Kommunika- die konkurrierenden Handy-Firmen, anschaulich. tions-Anlagenrecht“ unter Mitwirkung der Nach- Hierbei steht die unbekümmerte Verwendung von barn. Im Spätherbst 2005 hat aber ein Drittel der Handys, vor allem durch junge Leute, in einem Mitglieder des Nationalrates deshalb den Verfas- schroffen Gegensatz zu den Ängsten der Nach- sungsgerichtshof (= VfGH) angerufen und daraus barn – vornehmlich – geplanter Handymasten. die Verfassungswidrigkeit des TKG 2003 abgelei- Darüber wurde an dieser Stelle bereits berichtet, tet. Die Entscheidung des VfGH steht noch aus. zunächst zur deutschen Rechtslage, die für Han- Die Oö. BauO-Novelle 2006, LGBl. Nr. 96/2006, dymasten verbindliche Grenzwerte vorsieht (Heft konnte die Erwartungen der Handymasten-Geg- 3/4-2005, S. 263), sodann zur österreichischen ner nicht befriedigen (s. dazu Hahn, Oö. Gemein- Rechtslage (Heft 1/2-2006, S. 96). de-Zeitung 2006, Folge 9). Im Vorjahr erschien eine vom Land Ober- Soweit in aller Kürze die umstrittene Rechts- österreich herausgegebene – äußerst informative – lage betreffend die Handymasten, zu der sich der Broschüre zum Thema „Mobilfunk und Gesund- sehr empfehlenswerte „Lehrbehelf“ auf den Seiten heit“, und nun legt der Springer Verlag nach dem 25 bis 28 äußert. Josef Demmelbauer „Handbuch des Telekommunikationsrechts“ (2006, ca. 400 Seiten, geb., EUR 78,–) einen, be- scheiden gesagt, „Lehrbehelf“ für das – über den Mobilfunk hinausreichende – gesamte Telekom- Petrovitsch: Legio II Italica, Forschungen in Lauria- munikationsrecht vor. Darin ist auch das Tele- cum 13, Linz 2006, 352 Seiten. Hrsg.: Gesellschaft für kommunikationsgesetz 2003 (= TKG 2003) in sei- Landeskunde in Oberösterreich – Oberösterreichischer ner letzten Fassung abgedruckt (S. 131–173). Im Musealverein, Redaktion: Gerhard Winkler. EUR 18,–. aufgeregten Für und Wider zum Thema „Mobil- Das vorliegende Buch basiert auf der Di- funk und Gesundheit“ ist es geboten, zunächst plomarbeit des Verfassers über die Legio II Italica, den Gesetzestext hierüber anzuschauen. Er ist im die von Hannsjörg Ubl, einem der profundesten Abschnitt Funkanlagen und Telekommunikati- Kenner des römischen Limes in Österreich und onssendeeinrichtungen angesiedelt: Gemäß § 74 langjährigem Ausgräber von Lauriacum, betreut Abs. 1 TKG 2003 ist die Errichtung und der Be- wurde. trieb einer Funkanlage – unter diesen Begriff fallen Die Legio II Italica prägte die römische Ge- auch Handymasten – grundsätzlich nur mit einer schichte von Enns und des norischen Limes vom Bewilligung durch das Fernmeldebüro (in Linz für Ende des 2. Jh. bis zum Ende des 5. Jh. n. Chr. Den die Länder Oberösterreich und Salzburg) zuläs- Hauptteil des Werkes bildet der Katalog der epi- sig. Soweit dies mit dem Interesse an einem ord- graphischen Zeugnisse für die Legion. Dabei trug nungsgemäßen und störungsfreien Fernmeldever- der Verfasser nicht weniger als 145 Inschriften aus kehr vereinbar ist, kann der zuständige Bundes- Noricum und dem italischen Mutterland, aus minister die Errichtung und den Betrieb von Frankreich, dem Balkan, Kleinasien, Syrien und Funkanlagen auch allgemein für bestimmte Gerä- Nordafrika zusammen. Die Materialvorlage allein tearten oder Gerätetypen mit Verordnung für ge- schon macht das Buch zu einem wichtigen Nach- nerell bewilligt erklären. Derzeit gilt die Verord- schlagewerk. Abgesehen von den Angaben zum

140 aktuellen Aufbewahrungsort und zur Literatur zum aktuellen Energierecht herausgegeben und werden Erklärungen zu den jeweiligen Rängen ihnen eine spannende – das passt zur Elektrizität! und Beinamen der Legion der in den Inschriften – Einführung vorangestellt, ähnlich dem „aktuel- genannten Personen angeführt. Damit werden In- len Telekommunikationsrecht“, das ebenfalls in halt und Bedeutung auch für jene Leser verständ- Heft 1/2-2006, S. 96/97,angezeigt worden war. Wie lich, die nicht sämtliche Details der römischen Mi- aktuell dieses Thema ist, bedarf keines Beweises, litärgeschichte völlig präsent haben. Ergänzend man braucht nur die Zeitungen zu lesen. dazu wird im Kapitel über die Geschichte der Le- Dem Verständnis des neuen Elektrizitäts- gion auf Seite 284 das Schema einer solchen ange- rechts, das beileibe nicht leicht zu erfassen ist, geben. Jedem Abschnitt des Buches ist eine spezi- kommt man durch die Lektüre des auch für Nicht- fische Literaturliste vorangestellt. Dem Kapitel juristen bestimmten Buches über den österreichi- „Die Geschichte der Legion“ stellt der Autor ein schen Weg im Elektrizitätsrecht näher, das der bereits von Hansjörg Ubl (2006) publiziertes Rechtsanwalt Peter Draxler für den Lehrgang Schema einer Legion und eine Literaturliste Technik & Recht des Österreichischen Verbandes voran. Im Anschluss folgt eine Übersicht über die für Elektrotechnik (ÖVE) verfasst und aktualisiert Beinamen und die Legaten der Legion. hat. Es hat nicht den Rang von Raschauers Hand- In jeweils eigenen Kapiteln werden die drei buch Energierecht, bringt aber Insiderwissen ein Lager der Legion in Locica/Lotschitz bei Cilli/ und so vor allem Technikern und elektrotechnisch Celje, Albing und Lauriacum (Lorch) behandelt Interessierten eine Fülle von Informationen. Au- (mit Plänen). Außerdem werden die Münzen mit ßerdem enthält es den Text des Ökostromgeset- dem Namen der Legion (mit Unterstützung von zes, der Verordnung hiezu und des Elektrizitäts- Bernhard Prokisch) und die gestempelten Ziegel wirtschafts- und -organisationsgesetzes (ElWOG). der Legion von Gerhard Winkler vorgestellt. Josef Demmelbauer Mit dem vorliegenden Werk ist es gelungen, eine umfassende Darstellung der Legio II Italica zu geben und gleichzeitig einen wesentlichen Bei- trag in der Erforschung der Geschichte des römi- schen Limes in Österreich zu liefern. Es bleibt zu N. Raschauer / Wessely (Hrsg.): Handbuch Um- hoffen, dass weitere Wissenschafter die Zeit fin- weltrecht. Eine systematische Darstellung. WUV den, durch Beiträge über archäologische Ausgra- Universitätsverlag, Wien 2006. 658 Seiten, gebunden, bungen und historische Untersuchungen das Bild EUR 88,–. der Geschichte Lauriacums zu vervollständigen. Renate Miglbauer Letztlich hat der sich abzeichnende Klima- wandel die Leute wieder hellhörig gemacht für das Jahrhundertthema Umweltschutz. Wie ist der Eine ausführliche, von R. Miglbauer verfasste Be- Umweltschutz derzeit in Österreich auf Gesetzes- sprechung dieses Bandes erscheint im Jahrbuch ebene geregelt? Wie weit spielt das Recht der EG des Oö. Musealvereins, Band 151 (Herbst 2007). da herein? Das wird umfassend in Einzelbeiträgen abgehandelt. Themen sind im Einzelnen das Forstrecht, das ja 1852 der Anfang des – unter die- sem Begriff unbekannten – Umweltschutzrechts war, das Abfallwirtschaftsrecht, ein Produkt der B. Raschauer (Hrsg.): Aktuelles Energierecht. Überflussgesellschaft, das jeweils klassische Ge- Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Wien/Graz 2006. 115 werberecht, Wasserrecht und Bergrecht (jetzt seit Seiten, broschiert, EUR 28,80. Lassing: Mineralrohstoffrecht), das Naturschutz- recht aus der Feder der aus Braunau/Inn stam- P. Draxler: E-Recht. Der österreichische Weg. menden Juristin Heike Randl sowie jüngere Verlag Österreich, Wien 2007. 508 Seiten, broschiert, Rechtsinstitute wie örtliche Raumplanung, Um- EUR 65,-. weltverträglichkeitsprüfung, Lärmrecht, Luftrein- haltung und Klimaschutz, u. a. In Heft 1/2-2006, S. 96/97, wurde B. Rasch- auers Handbuch Energierecht vorgestellt. Nun hat Alles in allem: ein aktueller und umfassender B. Raschauer Beiträge von Kennern der Materie Überblick über die wichtigsten Bereiche des Um-

141 weltrechts. Ehe man sich zur Materie zu Wort mel- Linz zwischen Demokratie und Diktatur. 1918– det, sollte man in dieses Buch hineingeschaut ha- 1945 (Linz-Bilder 2). Hg. von Fritz Mayrhofer und ben! Josef Demmelbauer Walter Schuster. Linz, Archiv der Stadt Linz, 2006, 234 Seiten, 278 Abbildungen, EUR 30,–. ISBN-10: 3-900388-86-5 ISBN-13: 978-3-900388-86-7 Stöger: Index Bundesrecht 2007 (inklusive CD- Dieser Bildband dokumentiert mit teilweise ROM). Wien: Verlag Österreich, 2007.1348 Seiten, bro- schiert, EUR 84,–. einzigartigen und bisher unveröffentlichten Fotos den Weg der Stadt Linz vom Zerfall der Monar- Der hier schon mehrmals angezeigte Index, chie über die Umbruchzeit nach 1918, die Kom- ein systematisches Verzeichnis des geltenden munalpolitik in der Ersten Republik, den Bürger- Bundesrechts, enthält in nun bereits 23., aktuali- krieg 1934, den autoritären „Ständestaat“ und die sierter Auflage das zum Stichtag 1. Jänner 2007 NS-Diktatur bis zum Ende des Zweiten Welt- geltende Bundesrecht, soweit es im Bundesgesetz- kriegs. Historische Prozesse, deren prägende Wir- blatt oder in seinen Vorläufern kundgemacht ist. kung für die oberösterreichische Landeshaupt- Ein Leuchtturm in der Flut der Gesetze, für Juri- stadt weit über 1945 hinausreichte – instruktiv sten unverzichtbar, für interessierte Staatsbürger dargestellt in einem beeindruckenden Bogen aus nützlich! J. D. Wort und Bild, wobei wissenschaftliche Sachkom- petenz und die Objektivität der Themenbehand- lung den dokumentarischen Anspruch zu hundert Prozent einlösen. Langer: Außerstreitgesetz 2003, 2., aktualisierte Das vom Archiv der Stadt Linz innerhalb der Auflage. Wien/Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag, Reihe „Linz-Bilder“ als Band zwei herausge- 2007. 595 Seiten, broschiert, EUR 58,80. brachte Werk, das u. a. neueste Erkenntnisse zur Linzer Stadtgeschichte einschließt, verdient brei- In Deutschland ist für das, wofür bei uns seit teste Beachtung. Erhältlich ist es im auch im Buch- alters der Begriff „Verfahren außer Streitsachen“ handel. eingeführt ist, die Bezeichnung „freiwillige Ge- richtsbarkeit“ üblich, was verständlicher wirkt. Der Band bringt eine erste grobe Übersicht bzw. Berichtigung Orientierung über den Inhalt des neuen Außer- Durch ein bedauerliches Missverständnis streitgesetzes 2003, das an die Stelle des alten Ge- wurden beim Rezensionsaufsatz zum Band setzes aus 1854 (!) getreten ist: Da geht es insbe- „Karpatenbeeren. Bairisch-österreichische sondere um das Verfahren in Ehe-, Kindschafts- Siedlung, Kultur und Sprache in den ukrai- und Sachwalterschaftsangelegenheiten – Letztere nisch-rumänischen Waldkarpaten“ (Oö. Hei- werden mit Wirkung vom 1. Juli 2007 neu geregelt matblätter 3/4-2006) auf den Seiten 215–222 –, um das Verlassenschaftsverfahren, um Beur- Herausgeber- und Rezensentennamen ver- kundung u. Ä. Daneben werden auch wohnrecht- tauscht. liche Vorschriften, das Unterhaltsvorschussgesetz, Mitherausgeber des Bandes ist – neben Ste- die Einräumung von Notwegen, das neue Patien- phan Gaisbauer – Hermann Scheuringer, ver- tenverfügungs-Gesetz zu dieser rechtlichen Groß- fasst wurde der Rezensionsaufsatz von Hans familie gezählt und in diesem Werk abgedruckt Gehl, Tübingen. und kurz erläutert. Folglich verdient der Band Die Redaktion breite Beachtung. Josef Demmelbauer

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OÖ. HEIMATBLÄTTER 2007 HEFT 1/2 Beiträge zur Oö. Landeskunde I 61. Jahrgang I www.land-oberoesterreich.gv.at I 2007 HEFT 1/2 OÖ. HEIMATBLÄTTER OÖ.