Beiträge 27 Die Last des jüngst Vergangenen (I) Das Ende des Zweiten Weltkriegs in der österreichischen Literatur Helmut Rizy as ist der schönste Sommer mei - scheiden: Gutes Geschäft – oder gutes Verdienste um die Republik Österreich nes Lebens, und wenn ich hun - Gewissen? Ich bin für das zweite – auf je - ausgezeichnet. Dass man sie 1984 bis Ddert Jahre alt werde – das wird de Gefahr hin, selbst auf die einer Emi - 1985 in die Jury beim Ingeborg-Bach - der schönste Frühling und Sommer blei - gration, falls der braune Zauber auch bei mann-Preis berief, ist als Beleidigung der ben“, schrieb im Juni 1945 die damals uns einmal Fuß fassen sollte!“ 2 namensgebenden Autorin zu werten. 18-jährige Ingeborg Bachmann in ihr Einer der Genannten wollte hingegen Tagebuch, das sie während des Kriegs Propagandisten das Ende des Dritten Reichs gar nicht er - begonnen hatte. „Vom Frieden merkt des „Anschlusses“ leben. Josef Weinheber, NSDAP- man nicht viel, sagen alle, aber für mich Die große Mehrzahl der AutorInnen, Mitglied seit 1931, verübte am 8. April ist Frieden, Frieden! Die Leute sind alle die 1933 aus Protest den österreichischen 1945, als die Befreiung Wiens durch die so entsetzlich dumm, haben sie denn PEN verlassen hatten, waren zu jener Rote Armee schon begonnen hatte, erwartet, dass nach einer solchen Kata - Zeit jedoch bereits Mitglieder (etwa die Selbstmord mittels einer Überdosis Mor - strophe das Schlaraffenland von einem Hälfte) oder Sympathisanten der phium. Einen Monat später schrieb Tag zum andern ausbricht! […] Ich wer - NSDAP gewesen. Sie gründeten 1936 Theodor Kramer im englischen Exil sein de studieren, arbeiten, schreiben! Ich den Bund deutscher Schriftsteller Öster - an den toten Weinheber gerichtetes lebe ja, ich lebe. O Gott, frei sein und le - reichs , eine illegale Tarnorganisation, Gedicht ben, auch ohne Schuhe, ohne Butterbrot, von der der „“ an Nazideutsch - ohne Strümpfe, ohne, ach was, es ist eine land propagiert wurde. Dieser wurde Requiem für einen Faschisten herrliche Zeit!“ 1 dann 1938 im vom Bund herausgegebe - Du warst in allem einer ihrer Besten, Als die Kärntnerin dies schrieb, gab es nen „Bekenntnisbuch österreichischer erschrocken fühl ich heut mich dir auch im offiziellen Sprachgebrauch wie - Schriftsteller“ auch freudig begrüßt. verwandt; der eine österreichische Literatur. Darü - Danach ist der Bund nahtlos in der du schwelgtest gerne bei den gleichen ber waren allerdings nicht alle öster - Reichsschrifttumskammer aufgegangen. Festen reichischen DichterInnen und Schrift - Präsident des Bunds deutscher Schrift - und zogst wie ich oft wochenlang durchs stellerInnen so glücklich wie Bachmann, steller war Max Mell, prominente Mit - Land. denn eine nicht unbeträchtliche Zahl von glieder Richard Billinger, Bruno Brehm, Es füllte dich wie mich der gleiche Ekel ihnen hatte sich in der nunmehr der Ver - Mirko Jelusich, Franz Karl Ginzkey, vor dem Geklüngel ohne innern Drang, gangenheit angehörenden Reichsschrift - Paula Grogger, Franz Nabl, Josef Frie - vor jedem Wortgekletzel und Gehäkel; tumskammer gut beheimatet gefühlt. drich Perkonig, Friedrich Schreyvogl, nichts galt dir als der schöne Über- Hingegen sollten sie im wiedererstehen - Karl Springenschmid, Franz Spunda, schwang. den österreichischen PEN keine neue Franz Tumler, Karl Heinrich Waggerl Heimat finden. Denn das war eine Vor - und Josef Weinheber. Dass sie nach So zog es dich zu ihnen, die marschierten; aussetzung für dessen Wiedererstehen: 1945 der PEN nicht mehr wollte, wurde wer weiß da, wann du auf dem Marsch All jene, die 1933 aus Protest gegen die allerdings für viele durch Ehrungen des ins Nichts beim PEN-Kongress in Dubrovnik ge - offiziellen Österreich kompensiert: Den gewahr der Zeichen wurdest, die sie fasste Resolution, in der die Bücher- Großen österreichischen Staatspreis für zierten? verbrennung in Deutschland verurteilt Literatur erhielten etwa Mell (1954), Du liegst gefällt am Tage des Gerichts. wurde, ausgetreten waren, durften dem - Nabl (1956) und Ginzkey (1957), das Ich hätte dich mit eigner Hand erschlagen; nach in den neuen österreichischen PEN Bundesverdienstkreuz am Bande Billin - doch unser keiner hatte die Geduld, nicht wieder aufgenommen werden. ger (1962), das Österreichische Ehren - in deiner Sprache dir den Weg zu sagen: Einige von ihnen hatten damals ja zeichen für Wissenschaft und Kunst dein Tod ist unsre, ist auch meine Schuld. „nur“ den erfolgreichen Verkauf ihrer Waggerl (1967). Ginzkey und Schrey - Bücher in Nazi-Deutschland nicht ge - vogl sind in Ehrengräbern auf dem Wie - Ich setz für dich zu Abend diese Zeilen, fährden wollen: E twa Felix Salten – Au - ner Zentralfriedhof bestattet. Nach Nabl da schrill die Grille ihre Beine reibt, tor von „Bambi“ und „Josefine Mutzen - und Tumler wurden Literaturpreise wie du es liebtest, und der Seim im geilen bacher“, damals Präsident des österreichi - benannt. Dazu wurden einige mit Denk - Faulbaum im Kreis die schwarzen Käfer schen PEN. 1938 wurden seine Bücher mälern geehrt, und in manchen Städten treibt. dennoch in Deutschland verboten. Oder und Orten tragen Straßen auch weiterhin Daß wir des Tods und Ursprungs nicht der Verleger Paul Zsolnay, der sich rasch deren Namen. vergessen, von seinen dem Nazi-Regime unliebsa - Nicht zum obengenannten Kreis gehör - wann jeder Brot hat und zum Brot auch men Autoren trennte, dessen Verlag den - te Gertrud Fussenegger, die 21-jährig Wein, noch nach dem „Anschluss“ „arisiert“ 1933 der NSDAP beitrat und sich nach vom Überschwang zu singen wie besessen, wurde. Am 19. Juni 1933 schrieb Franz 1945 sehr spät und nur halbherzig von ih - soll um dich, Bruder, meine Klage sein. 3 Theodor Csokor an Ferdinand Bruckner rer Nazi-Vergangenheit distanzierte. Sie im Zusammenhang mit der Resolution wurde 2002 sogar mit dem Großen Gol - Damit jedoch nachträglich niemand auf von Dubrovnik: „Man muß sich eben ent - denen Ehrenzeichen mit dem Stern für die Idee käme, Josef Weinheber wäre

2/15 28 Beiträge und waren noch jung Diese „größere“ Hoffnung ist die, die Doch in der Mitte thronte aus der Enttäuschung erwächst, dass sich mit all ihren Zeichen die große Hoffnung, der Verfolgung herrlich die Schuld durch die Nazis entkommen zu können, fettgeworden im Prunk nicht erfüllt. Da ist etwa die Vorstellung der Kinder, sie könnten durch eine her - Und sie segnete sie vorragende Tat Anerkennung finden: da wurden auch Sieger zu Erben Wir warten auf das fremde Kind, wir am Weinen der Kinder retten es vor dem Ertrinken und wir tra - am sinnlos vergossenen Blut gen es aufs Rathaus. Brav von euch! Und sie suchen Schätze wird der Bürgermeister sagen. Vergeßt und lassen die Hungernden sterben eure Großeltern. Von morgen ab dürft und sie erwerben ihr wieder auf allen Bänken sitzen, von die Schuld als ihr höchstes Gut 4 morgen ab dürft ihr wieder Ringelspiel fahren. 5 Die größere Hoffnung Es gibt auch kein Entkommen über die Wie dringend es für manche war, das Grenze: jüngst Erlebte literarisch aufzuarbeiten, Hatten sie nicht schon ihr letztes Geld zeigt sich besonders deutlich bei Ilse ausgegeben, um sich Perronkarten zu Aichinger. Am 1. September 1945 ver- kaufen, sooft ein Kindertransport in ein Theodor Kramer (1897–1958) öffentlichte der vier Tage zuvor erstmals fremdes Land gegangen war, und hatten vielleicht gar kein so überzeugter Nazi ge - erschienene Wiener Kurier , die Zeitung sie nicht ihr letztes Lächeln ausgegeben, wesen, erschien 1950 ein Buch mit dem der US-Besatzungsmacht, einen Text der um ihren glücklicheren Freunden noch Titel „Bekenntnis zu Josef Weinheber. 24-jährigen angehenden Autorin mit mehr Glück und alles Gute für die Reise Erinnerungen seiner Freunde“. Es waren dem Titel „Das vierte Tor“. Es geht in zu wünschen? […] 44, unter ihnen Franz Karl Ginzkey, Mir - diesem um den jüdischen Sektor am War es nicht schon zu spät? Längst ging ko Jelusich, Heinz Kindermann, E. G. Wiener Zentralfriedhof, in dem Kinder kein Kindertransport mehr. Die Grenzen Kolbenheyer, Karl Heinrich Waggerl, spielen, die keine Angst vor den Toten, waren gesperrt. Es war Krieg. Bruno Brehm, , denen daran aber Angst vor den Lebenden haben „Wohin sollen wir gehen?“ gelegen war, jeden Zweifel auszuräumen. müssen, wobei hier schon manches aus „Welches von allen Ländern nimmt uns Es wäre also realitätsfern gewesen, von ihrem Roman „Die größere Hoffnung“ noch auf?“ den genannten AutorInnen in ihrer literari - anklingt, der dann 1948 im Bermann- Nicht der Süden und nicht der Norden, schen Tätigkeit nach dem Ende des Zwei - Fischer Verlag, Amsterdam erscheint. nicht der Osten und nicht der Westen, ten Weltkriegs etwas Wesentliches zur Aichinger erzählt darin von Ellen, nicht die Vergangenheit und nicht die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte zu einem etwa 15-jährigen Mädchen, das ne - Zukunft. 6 erwarten. Von jenen jedoch, die sich in ben zwei richtigen zwei „falsche“ Großel - Und auch kein gedankliches Entkommen: den folgenden Jahren eingehend mit Krieg tern hat, den Nürnberger Gesetzen zufol - „Wollten wir nicht das Deutsche ver - und Faschismus auseinandersetzen wer - ge wie die Autorin selbst also „Halb - lernen?“ den, sind viele noch nicht wieder in Öster - arierin“ ist, und ihren Freunden, die den „Aber es dauert zu lang!“ reich – am ehesten noch jene Frauen, die gelben Stern tragen müssen; sie erzählt „Wollten wir nicht mit den Schultern nicht unmittelbarer Verfolgung ausgesetzt von deren steter Bedrohung, ihren Äng - zucken, wenn man uns beschimpft, und waren. Manche der Autoren kehrten erst sten und Hoffnungen, nicht realistisch- es nicht mehr verstehen?“ jüngst von der Front zurück, andere ver - konkret, sondern in poetischen, mitunter „Heute ist schon die zwölfte Stunde. harrten noch, unentschieden, ob und wann märchenhaften Bildern. Das Surreale ver - Und wir haben noch kein einziges Wort sie zurückkehren sollten, in der Emigra - deutlicht allerdings auf besondere Weise verlernt.“ 7 tion; oder waren in Gefangenschaft. das Reale, um das es der Autorin geht, „Die größere Hoffnung“ blieb der einzi - Für einige der AutorInnen war es ein wobei auch Autobiographisches einfließt. ge Roman in Ilse Aichingers Œuvre. Ihr Bedürfnis, sogleich Erfahrungen, Erleb - Aichinger lebte mit ihrer jüdischen literarisches Schaffen ist gekennzeichnet tes und Erlittenes zu Papier zu bringen, Mutter, der Vater hatte sich „rechtzeitig“ durch eine zunehmende Verknappung, die andere brauchten wiederum längere Zeit, scheiden lassen, in Wien. Ihre Zwillings - allerdings auch im Roman mitunter her - um sich in ihrer literarischen Arbeit an schwester konnte mit einem Kindertrans - vortritt, etwa wenn es da heißt: dieses heranzuwagen. In der Lyrik und in port nach England gebracht werden, der „Bin ich ein Fremder, weil mein Haar der Kurzprosa war das spontane Darauf - Kriegsausbruch verhinderte dann aber schwarz und gekraust ist, oder seid ihr eingehen mitunter leichter als im Roman. die Emigration der restlichen Familie. Fremde, weil eure Hände kalt und hart Erich Fried, der noch viele Jahre gar Während des Kriegs wurde Ilse Aichin - sind? Wer ist fremder, ihr oder ich? Der nicht daran dachte, aus London, seiner ger dienstverpflichtet und sie schaffte es, haßt, ist fremder, als der gehaßt wird, zweiten Heimat, nach Wien zurück - ihre Mutter in dem ihr zugewiesenen und die Fremdesten sind, die sich am zukehren, schrieb 1946 das Gedicht Zimmer – direkt gegenüber dem Gestapo - meisten zu Hause fühlen!“ 8 Hauptquartier am Wiener Morzinplatz – Nach dem zweiten Weltkrieg zu verstecken. Nach Kriegsende begann Wien, Neuer Markt – Wachau Als sie gesiegt hatten sie ein Medizinstudium, das sie aber Das Faktische – etwa exakte Orts an- fanden sie Länder voll Leichen schon 1947 abbrach, um „Die größere gabe oder genauer Zeitpunkt – gewann in und die Schutthaufen rauchten Hoffnung“ zu schreiben. der Literatur der ersten Nachkriegsjahre

2/15 Beiträge 29 eine neue, besondere Bedeutung. So stellt wendete den Namen selbst als Pseud - Johannes Mario Simmel seinem ersten onym – sagen: „[…] außerdem muß man Roman „Mich wundert, daß ich so fröh - kein Gewehr tragen, um ein Mörder zu lich bin“ (1949 im Zsolnay-Verlag veröf - werden. Man muß nicht dabei sein, wenn fentlicht) eine Erklärung voran, wonach man jemanden umbringt. Nur fünfund - am 21. März 1945 kurz vor Mittag US- zwanzig Millionen sind dabei gewesen Kampfflugzeuge einen Angriff auf Wien von den sechzig Millionen. Der Rest geflogen hätten, wobei ein Haus auf dem blieb zuhause. Er tat gar nichts. Er mor - Neuen Markt, nahe der Plankengasse, so dete mit seinem Schweigen.“ 11 schwer getroffen worden sei, dass es ein - Auch für Bronnens Stück „Die Kette stürzte, wodurch der Zugang zum Keller, Kolin“ war ein Luftangriff der Auslöser. in dem sieben Personen Schutz gesucht Vier Widerstandskämpfer nützen die Ge - hatten, verschüttet wurde. So wird das legenheit zur Flucht aus dem Konzentra - Umfeld geschaffen, in dem die entschei - tionslager Gneixendorf. Der Lagerkom - denden Figuren sich auseinandersetzen mandant, SS-Hauptsturmführer Greyll, und bis zu ihrer Rettung handeln. ein Menschenschinder, hat sich ebenfalls Arnolt Bronnen gab seinem Drama schon abgesetzt und ist auf der von „Die Kette Kolin“ (erstmals 1950 als Flüchtlingen jeder Art verstopften Straße unverkäufliches Bühnenmanuskript vom durch die Wachau in einem von einem Desch-Verlag vervielfältigt) den Unter - Taubstummen gelenkten Autobus auf titel „Eine wahre Begebenheit in der dem Weg in den Westen. Die vier Arnolt Bronnen (1895–1959) Wachau“ und stellt seinerseits eine Widerstandskämpfer haben sich einzeln Erklärung – „Für wen und gegen wen?“ aufgemacht, ihn, der immer im Dunkeln ein neues Verbrechen. So wird das Gute – voran, worin er feststellt, er habe im geblieben ist, zu verfolgen und für seine nie gut, und das Böse immer böser. Man April 1945 den Beginn der Geschichte Untaten zur Rechenschaft zu ziehen. muß erst die Vergeltung tilgen, ehe man selbst erlebt und im Oktober 1945 von Nach und nach kommen alle im Auto - die Verbrechen tilgen kann. 13 zwei ehemaligen KZ-Insassen in einem bus zusammen und der KZ-Komman - Doch dann bemächtigt sich Greylls kleinen Haus am Linzer Pöstlingberg das dant ist durch seine Äußerungen für sie Sohn einer der Pistolen, verwundet Ende erfahren. unschwer zu erkennen, gibt sich auch zu Trnka und lässt sie umdenken. Bei Simmel sind die handelnden Per - erkennen, da er einen Keil zwischen die RICKI: Ich werd an die Versöhnung sonen ein älteres Fräulein, das im Haus vier treiben will, die ihrerseits Fehler be - glauben. darüber gewohnt hat, ein Pfarrer, der sei - gangen haben, die zum Auffliegen ihrer Aber Versöhnung, wenn das Gute so nen Glauben an Gott verloren hat („Gott - Gruppe geführt hatten. Dazu kommen schwach ist –? es Mühlen mahlen langsam. Warum auch noch Greylls Frau und dessen beide Aber Versöhnung, wenn das Böse so stark mahlen sie nicht schneller, wenn damit Kinder, die ihm bescheinigen, er sei ist –? einigen Millionen Menschen das Leben immer ein fürsorglicher Familienvater TRNKA: Auch die Versöhnung müssen gerettet werden könnte?“ 9), eine junge gewesen – und doch selbst für seine wir erst erkämpfen. 14 Schauspielerin, eine Schwangere mit Taten nicht verantwortlich zu machen. In der vorliegenden Ausgabe wird als kleiner Tochter, sowie der Deserteur FRAU: Man hat ihm befohlen, was Datum der Uraufführung der 8. März Robert Faber und der für die NS- immer er tat, 1981 genannt. Allerdings wurde das Rüstungsindustrie forschende Chemiker Und was immer er tat, hätte sonst ein Stück schon 1952 in durch die von und überzeugte Nazi Walter Schröder. anderer getan, Alfred Stögmüller geleitete Theater - Zwischen letzteren entwickelt der Autor Und es wäre nur ein Opfer mehr gewesen, – truppe der Volkshochschule Der Schein - in erster Linie die Diskussion um den Nämlich er. werfer , der neben anderen Walter Krieg, wenn er Schröder sagen lässt: PARZER: Ist das so einfach? Schmidinger und Kurt Klinger „Warten Sie sechs Monate und Sie Trägt denn der Mensch keine Verant - angehörten, aufgeführt. Sie führte im werden sehen, wie die Erde vor wortung für seine Taten? selben Jahr auch ein Stück Karl Wiesin - Schrecken bebt […]“ FRAU: Nicht für befohlene Taten. gers und Arnolt Bronnens 1948 entstan - „Warum wollen Sie die Erde zerstören?“ TRNKA: Vor der großen Verantwortung denes „Lustspiel“ „Die jüngste Nacht“ fragte Faber abwesend. wiegt der Befehl nichts und das eigene auf, in der dieser die letzten Stunden der „Um den Krieg zu gewinnen.“ Gewissen alles. NS-Herrschaft im Salzkammergut „Und wenn wir den Krieg gewonnen FRAU: Der Soldat hat das Gewissen komisch-grotesk dramatisierte. haben?“ 10 seines Vorgesetzten. 12 In der Vorbemerkung zu diesem Stück Faber hat alle anderen auf seiner Seite, Drei der Widerstandskämpfer sind stellt Bronnen unter dem Titel „Wenn auch als es darum geht, Schröders ge - dafür, Greyll sogleich hinzurichten. Die Sie mir unter die Tasten Blicken ...“ fest: fährlichen Plan zu verhindern, der mit - Vierte erhebt Einwände „Überhaupt bedeutet die Bühne eine Zeit tels der Explosion von Benzin-Kanistern RICKI: Und eben darum fühle ich ein für sich: sie ist absoluter Raum und abso - zum Keller des benachbarten Hauses Gesetz: daß wir besser sein müssen. Daß lute Zeit. So ist die Regie-Bemerkung, durchbrechen will. Und Faber ist letzt - wir größer sein müssen. Daß wir weiter das Stück spiele in der Nacht vom 7. zum lich gezwungen, Schröder zu erschießen. sein müssen. Warum fragt ihr mich? 8. Mai 1945, weiter nichts als eine In der Diskussion, die sich danach ent - Weil ihr es selber fühlt. Es gibt Verbre - Kostümanweisung. Wie sonst wäre es wickelt, ob er nun ein Mörder sei, lässt chen und Vergeltung. Verbrechen und Theater, wenn es nicht an jedem Orte der Autor Robert Faber – Simmel ver - Vergeltung. Aus jeder Vergeltung wächst und an jedem Tage spielte?“ 15

2/15 30 Beiträge Vertretern der sowjetischen und der US- „Die Kinder von Wien“ erschien. Im amerikanischen Besatzungsmacht. Vorwort schreibt der Autor: Da ist der schwarze Reverend aus Lou - „Ich weiß, ich weiß. Schwer, daß man isiana, der sich um die Kinder annimmt, es eindeutscht. Aber wie ich es damals sie in die Schweiz bringen will, und dafür auf englisch schrieb, damals vor dreißig sogar lügt und Unterschriften fälscht, Jahren – war es da wirklich englisch? Es allerdings scheitert, da ihm ein weißer war nicht. So haben diese Besprisorni Pfarrerskollege in die Quere kommt. Der eben gesprochen, diese übriggebliebe - bietet Jid immerhin an, er könnte für die nen Kinder, trotzdemnochimmerlebendig US-Besatzungsmacht spionieren. aus allen Lagern, HJ-Schulungslager, „Ein paar Informationen, das ist alles und DP-Durchgangslager und Werwolf - was unser Nachrichtenoffizier vielleicht ausbildungslager und KZs, zueinander - von Ihnen will von Zeit zu Zeit. Unsere gefunden, weil sie allein waren, zusam - tapferen russischen Alliierten erfahren men ist es wärmer. Sie haben deutsch ge - davon garantiert nichts. Die Spione von sprochen, gemischt mit Jiddisch, ge - unseren Alliierten sitzen bei uns in jedem mischt mit American Slang und Popolski Amt. Es ist unsere heilige Pflicht, daß und Russian Slang, damals, dort, in dem wir uns verteidigen. Das ist ihre Chance, Keller in Wien. Es kann aber auch ein junger Mann, daß sie sich moralisch anderer Keller gewesen sein überall, rehabilitieren. Sie beweisen ihre Dank - damals Anno fünfundvierzig, jenseits von barkeit für ihre Befreiung, indem sie uns dem Meridian der Verzweiflung.“ 20 regelmäßig Informationen –!“ 16 Die Fabel blieb erhalten, verschwun - Robert Neumann (1897–1975) Und der sowjetische Leutnant ein wenig den sind einzelne topographische später: „Könnt ihr uns denn nicht ver - Bezeichnungen wie Döbling oder Roten - Der Sofien-Dom in Wien stehn? Mörder unter euch, deshalb haben turmstraße. Die Stadt hat nun einen Sofi - Robert Neumann, damals „Acting Pre - wir euch besiegt, aber wir hassen euch en-Dom und auf dem „Schwarzplatz“ sident“ des Österreichischen Exil-PEN nicht wir lieben euch. Nur, Liebe muß sein steht ein Monument „Der Rote Befrei - in London, reagierte auf das Ende des mit Gerechtigkeit. Und Gerechtigkeit – soldat mit sechzehn Säulen. Haben die Kriegs mit einem Romanprojekt, in dem vielleicht zu schwer für euch zu verstehn, Russen hingebaut.“ 21 er unter dem Titel „ the Danube Bürger – Gerechtigkeit ist Gedächtnis. Babylon“ die Zeit von Karl Lueger bis Wir dürfen nicht vergessen, unter euch Prag zum Austrofaschismus thematisieren waren die Mörder. Und wir dürfen nicht Städtenamen verbinden sich leicht mit wollte. Er arbeitete vom März bis zum vergessen, daß einen Steinwurf von hier – Assoziationen, können aber auch gravie - August 1945 an dem Roman, entschied eine, wie soll ich sagen? – eine demüti - rende Erlebnisse in Erinnerung rufen. So sich aber im September 1945, einen gende Verkettung, daß gewisse Leute heu - schrieb die Journalistin, Historikerin und Roman zu schreiben, der nicht nur die te unsere Alliierten sind. Wir müssen euch Dichterin Eva Priester zum Ende des Trostlosigkeit der zerbombten Städte, und uns vor ihnen schützen. Daß wir um Kriegs das Gedicht sondern auch den moralischen Verfall, eure Seelen ringen, gegen ihre Propagan - den der Krieg hinterlassen hatte, zum da, das ist aus heiligem Selbsterhaltungs - epilog 1945 Thema haben sollte. Neumann benötigte trieb! Vielleicht würde es sogar unsere Es kam der Tag, da Tote wiederkehren, lediglich drei Monate, um den Roman sozialistische Pflicht sein –.“ 17 es schlug durch heißen, wetterschweren Mai „Children of Vienna“ zu schreiben, der Lion Feuchtwanger erinnerte Robert der frohe Blitz. Aus Glocken und Gewehren im darauffolgenden Jahr in London Neumanns Roman „an Swift oder häufi - erdröhnt der letzte Tanz. Und Prag ist frei! erschien, mit dem Hinweis, er sei an die ger an Grimmelshausen. Ich bin sicher, Frauen und Männer der Siegermächte daß es unter den Büchern unserer Zeit ei - Am dunklen Kai erwachen die Laternen, gerichtet und um der Kinder Europas nes der wenigen ist, von denen man noch am Berg erblühen Stimmen und Gesang, willen geschrieben. nach uns sprechen wird.“ So schrieb er weit fließt die Moldau unter freien Sternen, Neumann lässt darin halbwüchsige am 18. Dezember 1946 an den Autor. 18 hell strahlt dein Licht, o Prag. Nimm Waisenkinder im Keller eines von Bom - Eine von Neumanns damaliger Ehe - meinen Dank! ben zerstörten Hauses an der Demarka - frau Franziska „Rolly“ Becker besorgte tionslinie zwischen den Besatzungs- deutsche Übersetzung des Romans unter Denn Jahr um Jahr durch Sturm und zonen zusammenleben – den vom KZ dem Titel „Kinder von Wien“ erschien langes Schweigen traumatisierten Jid, die noch immer in 1948 beim Amsterdamer Querido-Ver - Hat deine Stimme uns der Wind gebracht, der BDM-Ideologie und im BDM-Jargon lag. In Österreich wurde das Buch gar es sangen deine Rebellantengeigen verhaftete Ate, den kleinen Dieb Goy, nicht gut aufgenommen. In der Arbeiter- die neuen Worte durch die Winternacht. die sich gelegentlich prostituierende Zeitung vom 10. April 1948 meinte der Ewa, den Sohn des früheren Hausbesit - Rezensent: „Wir können es keinem Du warst das Volk, ein Lied vor Postenketten, zers Curls und das nicht lebensfähige Dichter gestatten, für irgendeine grausi - ein Lachen, das durch Eis und Feuer fliegt, Kindl. Sie haben in der Welt der Erwach - ge Märchen- und Fabelstadt just den du warst der Geigenton auf Folterbetten, senen keinen Platz, nutzloser als der Namen Wien zu wählen.“ 19 Ab Mitte der das nackte Herz, das Stahl und Tod besiegt. Schutt, den man zumindest zum Teil ver - 1960er Jahre arbeitete Neumann schließ - werten kann. Und Neumann konfrontiert lich an einer Neuübersetzung des Und durch den warmen Schatten deiner diese ausgegrenzte Gemeinschaft mit Romans, die dann 1974 unter dem Titel Bäume

2/15 Beiträge 31 ging jene Straße, die ich heimwärts fand, Doch dann im Spiegel deiner Tränen, deiner Träume – wir horchten plötzlich auf – sah ich zum erstenmal mein eignes Land. auf einmal war es totenstill. Und einer kam und sagte: Du Himmelreich aus Mut und bunten Geht nach Hause. Bändern, Nach Hause? Mann, du bist verrückt! du Wiesenduft, der über Gräber zieht, Kennst du keine Mausefalle? gesegnet seiest du vor allen Ländern. Doch es rührte sich nichts mehr. Hell strahlt dein Licht. Leb wohl! Hier Die Kronen der Kastanien wurden still. schließt mein Lied. 22 Alles schwieg und wartete.

Die 1910 in Petersburg geborene spä - Und dann stiegen sie aus den Sturm- tere Volksstimme -Redakteurin war schon geschützen, kurz nach der Machtübernahme der dann kamen sie aus den Häusern hinter Nazis unter dem „Verdacht der Vorbe - der Kirche, reitung des Hochverrats“ in ver - dann liefen sie über den Platz, dann haftet worden. Vom März bis Dezember liefen auch wir... 1933 saß sie im Gefängnis. 1935 gelang Glas, Ziegel, Panzerfäuste und ein ihr dann die Flucht nach Prag. Hier trat Hitlerbild, Eva Priester (1910–1982) sie in Kontakt mit der österreichischen ein verschwitzter General, Konserven- Exilgruppe, trat der KPÖ bei, bevor sie büchsen und ein Toter, der Zerstörung des Krieges / nicht heim - schließlich 1939 nach Großbritannien ein Puppenwagen, Milchflaschen, finden kannst. 24 emigrieren konnte, wo sie für die Exil - Leichen und Karotten, zeitschrift Zeitspiegel tätig war. Barrikaden, Panzerwracks, ein grinsen- Anmerkungen: Eine ganz andere Bedeutung als für der Gehenkter, 1/ Ingeborg Bachmann: Kriegstagebuch. Berlin Eva Priester hatte Prag für Gerhard Drähte, Kraut, ein brennendes Palais, 2010, S. 23. Fritsch, der in der Nähe der Stadt in ein Ledermantel – laß, laß liegen, 2/ Franz R. Reiter (Hg.): F. Th. Csokor: Auch Gefangenschaft geriet. So findet diese laß, wirf weg... heute noch nicht im Land. Briefe und Gedichte sich dann in einem 1949 veröffentlichten aus dem Exil. Wien 1993, S. 24. Gedicht. Endlich über der Moldau! 3/ Theodor Kramer: Gesammelte Gedichte, Abend, Flieder und Kastanien. Bd. 1. Wien 1984, S. 399. 8.5.1945 Vor und hinter uns ein Meer, 4/ Erich Fried: Gesammelte Werke. Gedichte, Der achte Mai ... ein schmutziggraues, blaues Meer Bd. 1. Berlin 1993, S. 77. Jedes Jahr hat einen achten Mai. von deutschen Uniformen. 5/ Ilse Aichinger: Die größere Hoffnung. Frank - Einen Tag wie die anderen Tage im Mai, furt/M. 1991, S. 41. einen Tag, an dem der Flieder blüht und Auf den Gehsteigen und in allen 6/ Ebd, S. 59. die Kastanien. Fenstern 7/ Ebd, S. 89. der Vorstadthäuser (Häuser wie daheim) 8/ Ebd, S. 76. Die weiß und rosa Kerzen der Kastanien, unter den wehenden Fahnen der Freiheit 9/ Johannes Mario Simmel: Mich wundert, daß sie standen damals über uns wie heute, die anderen, die Menschen von Prag, ich so fröhlich bin. Wien 1949, S. 26. damals, als die Sturmgeschütze mit den auf die wir vorhin noch geschossen hatten. 10/ Ebd, S. 135. Balkenkreuzen Sie sahen uns an und ließen uns vorbei. 11/ Ebd, S. 210f. noch immer in die Prager Altstadt Alle Straßen ihrer Stadt spieen uns aus 12/ Arnolt Bronnen: Werke, Bd. 5. schossen – in die langsam sinkende Nacht. 1989, S. 100. und wir wußten: es ist nicht mehr Krieg. 13/ Ebd, S. 106. Bei jedem Schuß, da fielen weiß und rosa Wir gingen schweigend 14/ Ebd, S. 115. Blüten und wir wußten: es ist nicht mehr Krieg. 15/ Ebd, S. 121. aus den aufgeschreckten Kronen der An der Straße leuchteten die Kerzen, 16/ Robert Neumann: Die Kinder von Wien. Kastanien – die weiß und rosa Kerzen der Kastanien. Frankfurt/M. 2008, S. 183. und wir wußten: es ist nicht mehr Krieg. Hinter uns loderte der Ratshausturm 17/ Ebd, S. 189f. Die Blüten rieselten auf Sandsack- der letzten Stadt, die wir 18/ Franz Stadler (Hg.): Robert Neumann. Mit barrikaden, verwüstet hatten. 23 eigener Feder. Aufsätze, Briefe, Nachlass - drüben knickte krachend eine Hauswand materialen. , Wien, Bozen 2013, S. 48. ein – Die Erlebnisse des Kriegs und das 19/ Ebd, S. 49. und wir wußten: es ist nicht mehr Krieg. Unvermögen, das Erlebte aufzuarbeiten, 20/ Ebd, S. 5. Handgranaten, Zigaretten, öl- blieben das Hauptthema von Gerhard 21/ Ebd, S. 137. verschmierte Finger, Fritschs vergleichsweise kurzem Schaf - 22/ Eva Priester: Aus Krieg und Nachkrieg. Schnaps und Marmelade, Brände, Staub fen, das mit seinem Selbstmord am Wien 1946, S. 23. und Tote – 22. März 1969, wenige Tage vor seinem 23/ Gerhard Fritsch: 8.5.1945, in: Österreichi - und wir wußten: es ist nicht mehr Krieg. 46. Geburtstag, ein Ende fand. Heißt es sches Tagebuch , Nr. 6/1949. Sonne, Blüten und Benzin. Und Schuß doch in seinem Gedicht „Einem Solda - 24/ Zit. nach Susanne Zobl: Zu Leben und Werk um Schuß ten“ aus dem Dezember 1945: „[…] du von Gerhard Fritsch, in: Der literarische in die Innenstadt von Prag. aber wirst ruhelos bleiben, / weil du aus Zaunkönig , Klosterneuburg, Nr. 1/2004.

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