Mitteilungen Aus Dem Brenner-Archiv Nr. 30/2011
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Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv Nr. 30/2011 innsbruck university press Johann Holzner, Anton Unterkircher: Brenner-Archiv, Universität Innsbruck Gedruckt mit Unterstützung des Dekanats der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck, des Amtes der Tiroler Landesregierung (Kulturabteilung) und des Kulturamts der Stadt Innsbruck ISSN 1027-5649 Eigentümer: Brenner-Forum und Forschungsinstitut Brenner-Archiv Innsbruck 2011 Bestellungen sind zu richten an: Forschungsinstitut Brenner-Archiv Universität Innsbruck (Tel. +43 512 507-4501) A-6020 Innsbruck, Josef-Hirn-Str. 5 brenner-archiv.uibk.ac.at Druck: Steigerdruck, 6094 Axams, Lindenweg 37 Satz: Barbara Halder und Christoph Wild Layout und Design: Christoph Wild Nachdruck oder Vervielfältigung nur mit Genehmigung der Herausgeber gestattet. © innsbruck university press, 2011 Universität Innsbruck, Vizerektorat für Forschung 1. Auflage Alle Rechte vorbehalten. Inhalt Editorial 5 Aufsätze - für Wolfgang Wiesmüller Ulrich Dittmann: Lyrische Dialektik 7 Hubert Lengauer: Im Fluss. Über Lyrik und Geschichte 15 Ulrike Tanzer: Wiederentdeckt. Die Lyrikerin Josephine von Knorr 25 Károly Csúri: Mondene Traumvisionen. Über Georg Trakls Prosagedicht „Offenbarung und Untergang“ 39 Susanne Gillmayr-Bucher: „Sie reden die Luft zwischen den Wörtern“. Biblisch-lyrische Gespräche über Engel 55 Hans Höller: Unheimliche Autorschaft. Zu Ruth Klügers „Mit einem Jahrzeitlicht für den Vater“ 69 Cornelius Hell: „Maria auf dem Heiligen Strich“. Edwin Wolfram Dahl und die religiöse Komponente in seinem Werk 79 Essays Michael Sallinger: Anbiederungen. Beinahe. Beim Auslaufen der Signaturen der Transzendenz. Vermischtes aus Anlass eines jüngst veröffentlichten Briefes von Gertrud Fussenegger an Ernst Jünger 89 Dennis Lewandowski: Friedrich Heers utopischer Roman „Der achte Tag“ (1950) im frühen Presseecho 97 Tomas Sommadossi: Literarischer Intoleranzdiskurs. Joseph Zoderers Roman „Die Walsche“ (1982) aus sozialpsychologischer Sicht 109 Aus dem Archiv Ursula A. Schneider: Neues von Peter Engelmann (Ps. Peter Eng) und Anny Engelmann (Ps. Suska). Die Geschwister von Paul Engelmann, Figuren einer verschwundenen europäischen Moderne 119 Christine Tavernier: Fassungen, Gattungen und „Atzungen“. Christine Bustas Notizen aus dem Nachlass 145 Anton Unterkircher: „Nur einen Augenblick – dann ist alles gut“. Die Abschiedsbriefe des Widerstandskämpfers Walter Krajnc an Gertrud Theiner-Haffner 167 Johann Holzner: Zwei Briefe über den unverwechselbaren „Trakl’schen Ton“ 175 Rezensionen und Buchzugänge 177 Bericht des Institutsleiters 195 Neuerscheinungen 199 Verzeichnis der Abbildungen 204 Editorial A. Univ.-Prof. Mag. Dr. Wolfgang Wiesmüller, der Stifter-Forscher und Lyrik-Experte, als Fachmann im Bereich Editionswissenschaft wie als Obmann des Brenner-Forums (seit 2003) dem Brenner-Archiv eng verbunden, feierte im vergangenen Jahr seinen 60. Geburtstag. Aus diesem Anlass fand am 14. Oktober 2010 in der Innsbrucker Claudiana unter dem Titel Lyrik – Horizonte eines Genres ein viel beachtetes Symposion statt. Wir freuen uns, alle Vorträge dieser Tagung in der vorliegenden Nummer der Mitteilungen präsentieren zu können; und wir danken für die uns gewährte Unterstützung (auch im Hinblick auf die redaktionelle Einrichtung der Aufsätze) namentlich Wolfgang Hackl, Sieglinde Klettenhammer, Elfriede Pöder und Astrid Obernosterer (vom Institut für Germanistik der Universität Innsbruck). Neben diesen Aufsätzen finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, diesmal Essays über Gertrud Fussenegger, über Friedrich Heer und über Joseph Zoderer, eine umfangreiche Studie über die Geschwister Paul Engelmanns, Peter und Anny Engelmann, und weitere Beiträge aus dem Archiv. Sie werden indessen, zum ersten Mal seit es diese Mitteilungen gibt, keinen einzigen Beitrag von Eberhard Sauermann entdecken. Sauermann, der als Mitherausgeber und Redakteur viele Nummern der Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv betreut hat, der zuverlässigste Lektor, konzentriert sich auf neue Aufgaben im Brenner-Archiv. Auch an dieser Stelle aber sei ihm für die arbeitsintensive und geduldige Mitarbeit am Jahrbuch des Instituts ganz herzlich gedankt. – Neuer Mitherausgeber ist Anton Unterkircher. Auch dieses Mal möchten wir Ihnen zwei Neuerscheinungen zur Lektüre empfeh- len: Sabine Grubers Roman Stillbach oder Die Sehnsucht (München: C. H. Beck) und Siegfried Höllrigls Bericht über seine Reise (zu Fuß) von Basel über Meran nach Istanbul Was weiß der Reiter vom Gehen (Innsbruck: edition laurin). Noch einmal: 100 Jahre Brenner. Die Ausstellung Zeitmesser, die 2010 im Innsbrucker Ferdinandeum gezeigt wurde, übersiedelte nach der Winterpause, vom 26. März bis zum 22. Mai 2011, ins Landesmuseum Schloss Tirol; 2012 soll sie vom Literaturhaus Wien übernommen werden. – Der Katalog zur Ausstellung ist im Brenner-Archiv erhältlich. 5 Lyrische Dialektik von Ulrich Dittmann (München) Lieber Wolfgang, meine sehr verehrten Damen und Herren, Professor Wiesmüller und ich, wir kennen uns über einen ganzen Generationszeitraum, d.h. vor mehr als dreißig Jahren kamen wir erstmals dank der editorischen Arbeit an Stifters Prosa zusammen. Mit einem Thema aus der Lyrik überschreite ich auf Wunsch der Veranstalter unsere durch die professionelle Kooperation definierten Gattungsgrenzen. Ich tue das gerne, liegt doch ein unprofessioneller Anlass vor, zu dem ich auch sehr gerne angereist bin. Mein Thema klingt anspruchsvoll theoretisch, es wird Ihnen hier jedoch keine Theorie kreiert werden, davon hat meine Generation genug produziert; den Begriff „dialektisch“ drängten mir Texte auf, von denen ich Ihnen zwei vorstellen möchte. Ich konnte mich mit ihnen immerhin so weit identifizieren, dass ich sie wiederholt in meinen Seminaren und germanistischen Einführungskursen an der Ludwig-Maximilians-Universität verwendete. Durchaus in didaktischer Absicht ging es mir darum, den Studierenden die Vorurteile auszutreiben, die ihnen – notgedrungen, weil von Vertretern meiner Generation unterrichtet – den Zugang zu weiten Bereichen der Lyrik einschränkten oder ganz verbauten. In gewisser Weise waren also die Wahl der Texte und die Beschäftigung mit ihnen, auch eine Befreiungsreaktion auf Erfahrungen meines vor mehr als 50 Jahren, vor allem durch Gedichtlektüre motivierten Studienbeginns. Außerdem gab es zu den beiden von mir für diesen Anlass ausgewählten Texten außerfachliche Ereignisse, die sie mir nahe brachten. Ich werde davon berichten, zunächst aber zum Hintergrund meiner Textwahl aus aktiver Unterrichtszeit und für den heutigen Anlass. Bei meinem Studienanfang war Emil Staiger dank seiner Grundbegriffe der Poetik der Papst des Faches und Wolfgang Kayser sein Sprachrohr; dessen Buch Das sprachliche Kunstwerk lehrte uns ganz dogmatisch: Beim lyrischen Sprechen „ist alles Innerlichkeit. Die lyrische Kundgabe ist die einfache Selbstaussprache der gestimmten Innerlichkeit oder inneren Gestimmtheit“.1 Seelisches verschmilzt mit Gegenständlichem, „Alles reiht sich und kreist um jenes geheime Zentrum der Gestimmtheit“.2 Höhepunkt für diese Gattungsbestimmung war – man möchte sagen ‚natürlich’, weil es ja scheinbar um ganz unintellektuelle Prozesse ging – Wanderers Nachtlied von Goethe. Unter solchen Vorzeichen vollzog sich die Interpretation als Initiation in eine Art Weihe, man bemühte sich, den „lyrischen Vorgang“, von Kayser als „Verinnerung in der Erregung“3 bestimmt, so angemessen nach zu erleben, wie es einer Aussprache der Seele zukommt, nämlich: ‚einfühlsam’. Über Gedichte sprechen gewann eine Aura, von der man wusste, dass sie eigentlich dem wissenschaftlichen Anspruch des Faches unangemessen war, aber eben gegen diesen ‚spießig-rationalen Anspruch’ verteidigte man ja seine besondere Eignung für das Fach: In seinem Selbstverständnis stand der Literaturwissenschaftler weit über dem Linguisten, Kayser verortete Gedichte dort, „wo Sprache am intensivsten lebt“.4 Dieser heute wohl kaum mehr nachzuvollziehende 7 Superlativ steht in der Einleitung zu Kaysers Buch, das inzwischen weitgehend Wissenschaftsgeschichte ist und es eigentlich auch schon damals gewesen wäre, wenn man nicht die Irrationalität als Wesensmerkmal des Faches definiert und festgelegt hätte: Weil „besondere Empfänglichkeit für das Phänomen des Dichterischen“, „Fähigkeit zum Erlebnis“ und „Begeisterung“5 beim Studierenden vorausgesetzt wurden, blieb die kritische Reflexion außen vor. Inzwischen hat man dank der Linguisten Unbestimmtheiten eingrenzen können und man hat auch genug poetologische wie poetische Texte gefunden, die einen rationaleren Umgang mit der Dichtung nahe legen. Bert Brecht wurde ausgegraben, der für das Zerpflücken von Gedichten plädiert: Der Laie hat für gewöhnlich, sofern er ein Liebhaber von Gedichten ist, einen lebhaften Widerwillen gegen das, was man das Zerpflücken von Gedichten nennt, ein Heranführen kalter Logik, Herausreißen von Wörtern und Bildern aus diesen zarten blütenhaften Gebilden. Demgegenüber muß gesagt werden, daß nicht einmal Blumen verwelken, wenn man in sie hineinsticht. Gedichte sind, wenn sie überhaupt lebensfähig sind, ganz besonders lebensfähig und können die eingreifendsten Operationen überstehen. [...] Der Laie vergißt, wenn er Gedichte für unnahbar hält, daß der Lyriker zwar mit ihm jene leichten Stimmungen, die er haben kann, teilen mag, daß aber ihre Formulierung in einem Gedicht ein Arbeitsvorgang ist und das Gedicht eben etwas zum Verweilen gebrachtes Flüchtiges ist, also etwas verhältnismäßig Massives, Materielles. Wer das Gedicht für unnahbar hält, kommt